Natürlich habe ich schon immer ein SPIEGEL-Print-Abo und werde es auch behalten. Deswegen gefällt mir aber noch lange nicht jeder Artikel in des Periodikums.
Es gibt tatsächlich diese sogenannten „Spiegel-Kampagnen“, bei denen sich die Chefredaktion offenbar einen Politiker des linken Parteienspektrums aussucht und über Jahre mit einer Kaskade negativer Artikel überzieht.
Nach dem Fall der Mauer traf es Manfred Stolpe und Gregor Gysi besonders hart. Ich hatte immer das Gefühl, es handele sich um eine persönliche Vendetta; ausgetragen von Funk, Kilz, Kaden und insbesondere Stefan Aust. Keine Woche, ohne daß erneut irgendeine IM-Geschichte ausgebreitet wurde.
Zu der Zeit, noch ohne Internetanschluss, las ich den Spiegel buchstäblich von der ersten bis zur letzten Seite. Jedes Wort. Bei der erwarteten Anti-Stolpe-Tirade konnte ich schon mitsingen, weil das so oft wiederholt wurde. Nun bin ich generell kein Fan von Kirchenfunktionären, aber angesichts dieses Sperrfeuers aus Hamburg, freute ich mich ganz besonders, wenn er wieder mal die absolute Mehrheit in Brandenburg holte.
Die nächste echte Zerstörungskampagne lief um 2002 durch den erzkonservativen Gabor Steingart, 2001 bis 2007 Leiter des Hauptstadtbüros des Spiegel in Berlin an, der es sich zusammen mit STERN-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges offenbar zur Lebensaufgabe gemacht hatte, die rotgrüne Schröder-Regierung zu stürzen. Nachdem zu Steingarts großer Enttäuschung Stoiber im Herbst 2002 die Bundestagswahl verlor, schoss er sich insbesondere auf Vizekanzler Fischer ein und erklärte jeden Montag auf’s Neue, wieso endlich Merkel und Westerwelle die Regierung übernehmen müssten. Die große Liebe für Angela Merkel und die CDU brach zwar nie in der SPIEGEL-Redaktion aus, aber sie wurde nie auch nur annähernd so hart wie Stolpe, Schröder oder Fischer angefasst.
Seit etwa zwei Jahren gibt es ein neues Hassobjekt: Olaf Scholz. Insbesondere im Laufe des Jahres 2021 wurde er voller Verachtung, als Charisma-freier Sonderling lächerlich gemacht, der es niemals schaffen würde auch nur die kleinste Chance auf das Kanzleramt zu erhalten. Als aber ausgerechnet dieser so niedergeschriebene Scholz im Dezember 2021 plötzlich Kanzler war, wollte man an der Ericusspitze 1 offenbar ungern zugeben, ein volles Jahr drastische Fehlprognosen ventiliert zu haben.
In den vergangenen elf Monaten erschien dementsprechend kein Spiegel-Artikel, in dem Olaf Scholz nicht mit deutlich wahrnehmbaren negativen Untertönen beschrieben wurde. Unglücklicherweise (für den Spiegel) verstehen sich die Ampelaner auf persönlicher Ebene sehr gut, so daß Grüne und Gelbe keine persönliche schmutzige Wäsche weitertratschen.
In den Koalitionsverhandlungen hatte man vereinbart, die Treffen reihum von Scholz, Habeck und Lindner leiten zu lassen. Nachdem alle einmal dran waren, baten FDP und Grüne den künftigen Kanzler einhellig darum, er möge doch bitte alle weiteren Verhandlungsrunden leiten. Sehr schnell erkannten also die damals eifersüchtig um Posten buhlenden Parteien, wie fair und sachlich und perfekt informiert, Scholz hinter den Kulissen agiert.
Als linker Sozialdemokrat ärgere ich mich natürlich, wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nichts besseres zu tun hat, als zu Lindners Prunk-Porsche-Hochzeit auf der Reichen-Insel Sylt einzufliegen.
Scholz ist aber bekannt dafür, sich im diametralen Gegensatz zu Linder, wirklich gar nichts aus Statussymbolen und Reichtum zu machen. Scholz hielt sich immer fern von Yellow Press und roten Teppichen. Er wird also kaum nach Sylt geflogen sein, weil es ihm so einen Spaß machte, Lindners Porsche zu betrachten und Lindners Champagner zu trinken. Er flog klugerweise dahin, weil er Lindners Ego kennt und weiß, wie sehr es gestreichelt werden muss, um den Koalitionsfrieden zu wahren. Das hake ich als „Regierungskunst“ ab. Er braucht die FDP und mit diesem Ehrenbesuch stimmte er Lobbylindner mild, ohne dafür politische Kapital zu verschwenden.
Die Auseinandersetzungen um das AKW Lingen und die partiell hysterischen heuchlerischen Stellungnahmen zur Cosco-Beteiligung am Terminal Tollerort, machen den SPIEGEL offenkundig sehr glücklich.
In der aktuellen Ausgabe ziehen die Hamburger richtig vom Leder gegen den Kanzler.
Spaß macht es mir wirklich nicht, das zu lesen. Aber ich will mich keinesfalls in eine Blase zurück ziehen, in der jeder meiner Meinung ist. Das ist nämlich das moderne Grundübel der Welt. Also lese ich, wie Melanie Amann, Markus Becker, Christoph Giesen, Nils Klawitter, Martin Knobbe, Marina Kormbaki, Maximilian Popp und Britta Sandberg Olaf Scholz hassen. Sie müssen ihn schließlich nicht lieben.
Etwas störend sind aber die Stellen, an denen sie bei der Verklärung ihrer geliebten Angela Merkel, den Boden der Tatsachen ganz verlassen.
[….] In Brüssel sieht es nicht besser aus, im Gegenteil. Dort wird jeder neue Regierungschef an seinem Vorgänger gemessen, also wird Scholz mit Angela Merkel verglichen – und dieser Tage sind die Erinnerungen an alte Zeiten besonders rosig eingefärbt. Merkel, so schwärmen Diplomaten in Brüssel, habe enorm viel Zeit in Gespräche mit kleineren EU-Ländern investiert. Das Ergebnis sei ein »360-Grad-Blick« auf die europäischen Partner gewesen, der Scholz leider abgehe, zumindest bislang. Unter Merkel sei es außerdem unvorstellbar gewesen, dass Deutschland mal eben ein 200 Milliarden Euro schweres Paket zur Abfederung der Energiekrise geschnürt hätte, ohne die wichtigsten EU-Partner vorzuwarnen, insbesondere Frankreich – so geschehen unter Scholz. […..]
(DER SPIEGEL 44/2022, 29.10.2022)
Der reine Hohn! Merkel war es, die durch ihre grausame Austeritätspolitik die anderen EU-Partner so verprellte, daß die Beziehungen schweren Schaden nahm. Merkels Regierung war es, die die Griechen zwang, Piräus an die Chinesen zu verkaufen. Merkel und Schäuble setzten brutal Haushaltsdisziplin in Südeuropa durch, während sie in Deutschland des Gegenteil taten – nämlich Konjunkturprogramme gegen die Krise. Berlin wurde für diese Rücksichtslosigkeit gegenüber der kleineren Ländern so sehr gehasst, daß Merkel in Spanien, Italien, Griechenland mit SS-Uniform dargestellt wurde. Selbst das Weiße Haus mischte sich ein und Obama verlangte nachdrücklich, Deutschland dürfe sein brutales Machtmittel des Exportüberschusses nicht behalten.
[….] Kleinere, wirtschaftlich schwächere EU-Länder fühlten sich kalt erwischt, gar bedroht von der Wucht des 200-Milliarden-Pakets. Der Vorwurf: Deutschland subventioniere sich und nur sich raus aus der Krise. Berlin handele egoistisch und protektionistisch, hieß es schon zu Beginn des jüngsten Brüsseler Gipfels. […..]
(DER SPIEGEL 44/2022, 29.10.2022)
Kauder und Schäuble hetzten gegen Tsipras und Varoufakis, Kauder verstieg sich dazu in äußerster deutscher Arroganz zu erklären, man spräche wieder deutsch in Brüssel.
[….] Anders als langjährige EU-Regierungschefs beherrscht der deutsche Sozialdemokrat auch noch nicht die Kunst, nationale Belange europäisch zu verbrämen, deutsche Interessen zur Schicksalsfrage der ganzen EU hochzustilisieren. Macron ist da ganz groß drin, Scholz legt wenig Wert auf die Verkaufe seiner Konzepte, er glaubt an die Kraft von Argumenten und Fakten. Und läuft damit immer wieder ins Leere. […..]
(DER SPIEGEL 44/2022, 29.10.2022)
Merkel war es, die mit ihren nationalen Alleingängen in der Atompolitik (Ausstieg 2011) und Flüchtlingspolitik 2015 die anderen Europäer extrem verärgerte, weil sie rein gar nichts vorher abgesprochen hatte und alle vor vollendete Tatsachen stellte.
Dadurch wurde Martin Schulz als „Mr. Europa“ überhaupt 2017 SPD-Kanzlerkandidat, weil die Sozialdemokraten die deutschen Alleingänge und die arrogante Haltung des Kanzleramts gegenüber anderen Europäern ändern wollten.
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