Die vom deutschen Michl adorierte 80%-Zustimmungsfrau war sie nicht immer.
Als die Schröder-Fischer-Regierung 2003/2004/2005 dramatisch von nahezu allen Medien runtergeschrieben wurde, der Jörges-STERN und der Steingart-SPIEGEL unverhohle für eine Merkel-Westerwelle-Regierung warben, wurde die FDP ziemlich nervös, da CDU/CSU soweit davon zogen, daß Merkel schon mit einer absoluten Mehrheit für ihre Kanzlerschaft rechnete.
Allerdings verfügte die SPD über einen entscheidenden Trumpf; nämlich den einzigen überzeugenden Wahlkämpfer des letzten Vierteljahrhunderts: Gerd Schröder, der sich im Gegensatz zu seiner resignierenden Partei voll ins Zeug legte und eine sensationelle Aufholjagd hinlegte. Am 18.09.2005 ging die Union mit 35,2%, dicht gefolgt von der SPD mit 34,2% durchs Ziel. Die demoskopische Dynamik war eindeutig; wäre die Wahl ein oder zwei Wochen später gewesen, hätte die SPD vorn gelegen, Schröder wäre Kanzler geblieben und Merkel hätte nach der derartig vergeigten Chance – Opposition statt absoluter Mehrheit – den Hut nehmen müssen. Damals war der Andenpakt noch so stark, daß er die ihm so verhasste Frau aus dem Osten garantiert aus der Parteispitze verdrängt hätte.
Gerd Schröder rettete seiner Partei die Regierungsbeteiligung und Deutschland sollte dafür ewig dankbar sein, da die Sozi-Minister Steinbrück (Finanzen) und Scholz (Arbeit und Soziales) die Architekten des deutschen Wunders waren – kein anderes westliches Land kam so gut durch die von GWB ausgelöste Mega-Weltfinanzkrise von 2008.
Die SPD-Minister trugen die Regierung, arbeiteten fleißig und ungewöhnlich erfolgreich, während Merkels Leute Glos, Seehofer, Jung, Schavan, von der Leyen, Schäuble allesamt überfordert waren.
Aber ohne den trommelnden Schröder war das Willy Brandt-Haus nicht in der Lage die SPD-Erfolge bekannt zu machen. Die drögen Parteipräsiden nahmen an, Wähler wären rationale, informierte, faire Wesen. Sie würden die Arbeit der SPD schon honorieren. Dazu noch der sehr fromme Christ Steinmeier als Kandidat, der die CDU freundlich verschonte. Das sollte als Konzept für die 2009er Wahl reichen. Das ging gründlich in die Hose. Minus 11,2 Prozentpunkte für die SPD, Steinmeiner erreichte gerade noch 23%. Auch Merkels CDU/CSU rutschte um einen guten Punkt auf 33,8% ab. Immerhin profitierte die Linke von der lahmen SPD, erreichte mit 11,9% ein Topergebnis, wurde eine starke Oppositionskraft.
Verrückterweise profitierte ausgerechnet die FDP mit ihrem Rekordwert von 14,6% am meisten von der guten deutschen Krisenpolitik. Sie trat mit dem Deregulierungs- und Steuersenkungswahn an, der die Weltfinanzkrise erst ausgelöst hatte.
Selten erlebte man die Dysfunktionalität so extrem. Die konzeptionslose Spaßpartei FDP tat das was zu erwarten war: Sie setzte strikt die Interessen ihrer Parteispender durch, schleuste Lobbyisten direkt in die entscheidenden Schaltstellen des Gesundheitsministeriums und richtete so viel Chaos an (die schwarzgelben Koalitionäre bezeichneten sich gegenseitig als „Wildsäue“ und „Gurkentruppe“, gelten als schlechteste Nachkriegsregierung Deutschlands), daß die FDP vom besten Ergebnis ihrer Geschichte bei der Wahl 2013 auf das Schlechteste, nämlich 4,8% stürzten. Raus aus dem Bundestag, Generalsekretär Christian Lindner war in Schimpf und Schande schon zuvor geflohen.
(Später lernten wir noch genauer, wie sehr die Flucht vor der Verantwortung, sein Wegrennen zum Kern seines Charakters gehört).
Abgeschreckt von dem Chaos, hatte der Wähler der wie immer unbeteiligt wirkenden in sich ruhenden Präsidialkanzlerin ohne politische Konzeptionen 7,7 Prozentpunkte oben drauf gepackt. Die CDUCSU erzielte 2013 Merkels bestes Ergebnis: 41,5%.
Die SPD hatte diesmal mit Peer Steinbrück einen viel besseren Kanzlerkandidaten als 2009. Er erlebte allerdings einen der unfairsten Wahlkämpfe seit Willy Brandts Zeiten. Fast die ganze Presse war gegen ihn, blies jede Kleinigkeit zu Großskandalen auf. Er trinke keinen Weine für weniger als 5 Euro die Flasche, Stinkefinger, Kein Golf als Dienstwagen. Die total debakulierende Generalsekretärin Andrea Nahles tat im WBH ihre Möglichstes, um Steinbrück zusätzlich zu schaden. Keinesfalls wollte sie ihren Intimfeind gewinnen sehen.
Daß die SPD dennoch immerhin 2,7 Prozentpunkte hinzugewann, ist dem Kandidaten allein zu verdanken. Die Linke verlor an Aufmerksamkeit und stürzte um 3,3 Prozentpunkte auf 8,6% zurück.
Es kam wieder zu einer Groko Anders als acht Jahre zuvor, waren SPD und CDUCSU aber nicht mehr auf Augenhöhe; diesmal waren die Schwarzen fast 16 Prozentpunkte stärker.
Das WBH wiederholte aber dennoch stoisch die Fehler der ersten Merkel-Groko (2005-2009), schlief gemütlich die vier Jahre bis 2017 aus, hoffte einfach, die Wähler würden diesmal aber wirklich die gute Arbeit der Sozi-Minister erkennen und das am Ende belohnen. Das musste schief gehen, da der Urnenpöbel anders als 2005, nun schon lange an Merkels politische Abwesenheit gewöhnt war und ihre wolkige Art über allem zu schweben, ohne sich um die dringenden Probleme zu kümmern, durchaus schätzte. „Keine Reformen“ ist immer noch der oberste Wunsch der Deutschen.
Am Ende der zweiten Merkel-Groko stellte die SPD auch noch den unerfahrenen überforderten Martin Schulz als Kandidaten auf, der brav die Steinmeier-Fehler wiederholte: Keine Kritik an Merkel, immer schön devot auftreten.
Er verspielte 5,2 Prozentpunkte, holte das schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten: 20,5%
Seither verharrt die SPD in Dauerkrise, verschliss mehrere Vorsitzende und sank soweit in den demoskopischen Keller – bis auf 14% - daß sie nun statt Häme, eher Mitleid erfährt. Besonders schlechtes Führungspersonal – Kühnert, Esken, Walter-Borjans und Klingbeil – verschlimmerte die Lage zusätzlich.
An dieser Stelle möchte ich aber etwas Whataboutism verwenden. Merkels grandiose Aussitzfähigkeiten haben völlig verschleiert, daß die die CDU/CSU-Liste bei der Bundestagswahl 2017 noch schlimmer als die SPD verlor: 8,6 Prozentpunkte! Mit 32,9% fuhr die Union das schlechteste Ergebnis seit 1949 ein. Dennoch leistete sich Merkel ihr personell bisher katastrophalstes Kabinett, ließ Faulpelze (Seehofer, Karliczek, Altmaier) genauso ungehindert wurschteln wie die Totalversager (Spahn, Bär, Scheuer, AKK).
Ihre enorme persönliche Popularität resultiert ausschließlich aus ihrem Bekanntheitsgrad. Ihre politische Bilanz ist ein Trümmerhaufen. Energiewende wurde verschlafen. Technologisch ist Deutschland abgehängt, die Infrastruktur zerbröselt, das lahmste Internet Europas, das Bildungssystem hoffnungslos unterfinanziert und ewiggestrig, Universitäten internationale Lachnummern.
Am schlimmsten sieht es aber international aus – nach 16 Jahren als „Führerin Europas“ liegt die EU in Scherben; die Strukturen sind überaltert, GB ist ausgetreten, global spielt die EU kaum noch eine Rolle, Osteuropas Potentaten tanzen Brüssel nach Belieben auf der Nase herum, weil Merkels Abgesandte, Kommissionspräsidentin von der Leyen, bei ihrer Wahl auf die ungarischen und polnischen Stimmen setzte und sich nun nicht traut zu widersprechen, wenn dort LGBTIs gejagt, Pressefreiheit abgeschafft und Justiz gleichgeschaltet wird.
Nach sieben Jahren Schröder erlebte die EU 2005 eine Blütezeit. Frankreich und Deutschland arbeiteten so eng zusammen, daß die Regierungschefs wechselseitig auch das andere Land vertraten. Es gab enge Konsultationen mit Warschau und Moskau, die Politik im Nahen Osten gegenüber der USA war straff abgestimmt und effektiv. Merkel hat all das in 16 Jahren kaputt gemacht. Man misstraut Deutschland in der EU, zieht nicht mehr an einem Strang, die Russland-Politik ist ein Trümmerfeld.
Merkels 80%-Zufriedenheitswerte sind nur mit der Generalverblödung des Volks zu erklären.
Ihre 2017 auf den Tiefststand von 32,9% heruntergewirtschaftete CDUCSU steht hingegen realistischer da.
Wäre am Sonntag Bundestagswahl, verlöre sie noch einmal sechs bis zehn Prozentpunkte, ginge mit 24-26 % mit einem derartig schlechten Ergebnis durchs Ziel, daß von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl sämtliche Ex-Parteigrößen in Lichtgeschwindigkeit in ihren Gräbern rotierten.
Die beiden Volksparteien, die über Jahrzehnte 80 - 90% der Stimmen holten, werden Ende 2021 nur noch bei rund 40% liegen.
Wo sind die rund 45 freigewordenen Prozentpunkte hin; wer
profitiert?
Da gibt es natürlich die AfD-Faschisten. Die inhaltsleere Posterboy-FDP von
2009 ist ebenfalls wieder zurück und wird zweistellig werden.
Die Grünen hätten das Potential stärker als CDUCSU zu werden, schrumpfen sich aber durch die fortgesetzte Unfähigkeit ihrer Spitzenkandidatin, sowie die unfassbare Trottelei ihres Wahlkampfteams auf 17-18%. Sie werden mutmaßlich noch, ob der guten Olaf-Scholz-Performance von der SPD überholt.
Besonders erstaunlich ist aber, daß bei all dem gewaltigen Groko-Frust und der so verhagelten Merkel-Bilanz eine Partei, die davon am meisten profitieren sollte, sich sogar noch blöder als Laschet und Baerbock anstellt: Die Linke dümpelt bei blamablen 6% und könnte aus dem Bundestag fallen.
Der Grund sind eine paralysierte Parteiführung und der völkisch-nationalistische Kurs Lafontaines und Wagenknechts. Natürlich wählen Menschen aus dem RRG-Biotop eher nicht eine Partei, die wie die AfD klingt und alle drei Tage mit neuen Hetz-Äußerungen auf „skurrile Minderheiten“ eindrischt.
Es ist mir ein Rätsel wieso sich die Linke die Wagenknecht-Destruktion so lange gefallen lässt. Immerhin gibt es jetzt ein Parteiausschlussverfahren gegen sie und einen wütenden Ex-Chef.
[….] Riexinger sagte auf der Konferenz, es sei »brandgefährlich«, dass Wagenknecht in der Öffentlichkeit verbreite, die Linke würde sich zu wenig um die soziale Frage kümmern, weil es verfangen könnte. [….] So vollziehe Wagenknecht eine »Verfälschung der Fakten« und deute die Geschichte um, wenn sie die prekäre Lage der unteren Gesellschaftsschichten den im Buch sogenannten »Lifestyle-Linken« anlaste, die sich nur um Antirassismus, Genderfragen und die Bekämpfung des Klimawandels kümmern würden. Tatsächlich, so Riexinger, sei die neoliberale Politik Anfang der Nullerjahre etwa von Kanzler Gerhard Schröder der Grund für soziale Verwerfungen. »Das waren keine Lifestyle-Linken.« Mit Genderfragen hätte sich Schröder nicht beschäftigt. [….] Wahlweise nannte Riexinger bei seiner Bewertung Wagenknechts Thesen »irre«, »abenteuerlich«, einiges sei »ziemlicher Quatsch« »völlig falsch«, »ordoliberal«, »weitestgehend faktenlos«, »spießig-reaktionär« und eine »dürftige Analyse«. [….]
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