Mittwoch, 25. April 2018

Konservative Sozis.


Als Hamburger mag ich voreingenommen sein bezüglich Olaf Scholz.
All das was 2001 bis 2011 unter der ungewohnten CDU-Schill-Herrschaft an die Wand gefahren wurde, räumte Olaf Scholz seit seinem Amtsantritt systematisch auf:

Der Wohnungsbau, unter Schwarz-Grün komplett eingestellt, wurde wieder auf Hochtouren gebracht, die Straßen wurden saniert, die Elbphilharmonie fertig gestellt, es wurden KITA-Plätze für alle Kinder geschaffen, deutlich mehr Lehrer und Polizisten eingestellt. Mit gegenwärtig 66.000 Arbeitssuchenden befindet sich die Arbeitslosenquote auf dem niedrigsten Stand seit 25 Jahren. Scholz führte totale Behördentransparenz ein, jedes Jahr erfahren wir auf den Cent genau wie viel die kommunalen Chefs verdienen.
Die Kriminalität sank auf den niedrigsten Wert seit 1980, die Arbeitslosigkeit sank und die Einnahmen sprudelten.
Hamburg nahm 50.000 Flüchtlinge auf, ohne daß rechtsradikale Großdemos entstanden; bei der Bundestagswahl 2017 bekam die AfD in keinem Bundesland prozentual weniger Stimmen als in Hamburg.
Es wurden wieder Bäume gepflanzt, Hamburg ist die grünste Stadt Deutschlands.

[….] Aus den größten Mitgliedsländern der OECD (Organisation für wissenschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) wurden 50 geeignete Städte herausgesucht – der Fokus lag auf besonders beliebten Zielen für Städtetrips. Aus den Ergebnissen lässt sich gut ablesen, über wie viele Quadratmeter an Parks und Wäldern jede Stadt pro Einwohner verfügt.
Hamburg mit seinen 1,82 Millionen Einwohnern kann als Neunter demnach 114,07 Quadratmeter pro Bürger vorweisen. Für Berlin reicht es mit dem Wert von 88,10 nur zu Rang 18, für München mit 72,49 gar nur zu Platz 24. [….]

Der öffentliche Nahverkehr wird systematisch ausgebaut, auf den Straßen fahren ökologischen Wasserstoff-Busse, die als einziges „Abgas“ Wasser ausstoßen.
Keine andere Stadt installierte so viele Elektroladestationen für PKWs und weit über 200 Leihfahrradstationen und an die 3000 Räder. Mit 2,5 Millionen Nutzungen pro Jahr und über 450.000 angemeldeten Nutzern verfügt Hamburgs „Stadtrad“ über das größte Netz aller deutschen Städte.

[….] Hamburg zählt nach einer neuen Studie zu den zehn Städten mit der höchsten Lebensqualität weltweit. Wie das Londoner Institut Economist Intelligence Unit heute mitteilte, rückte die Hansestadt auf Platz 10 der 140 untersuchten Städte. [….] Frankfurt kam auf Platz 20, Berlin auf 23. Die beiden weiteren deutschen Städte in dem Ranking, München und Düsseldorf, erreichten Platz 25 und 32. [….]

Es ist eine akademische Frage, ob Bürgermeister Olaf Scholz die Stadt eher verwaltete oder regierte.
Ob er als Redner brilliert, ist eine stilistische Frage und ob er sich links, in der Mitte oder gar bei den Seeheimern der SPD einordnen lässt, mögen SPD-Mitglieder leidenschaftlich erörtern.

Als Hamburger Bürger ist mir das herzlich egal, weil Scholz ein verdammt guter Bürgermeister war, der völlig zu Recht gleich zweimal das beste Landtagswahlergebnis aller Bundesländer für die SPD holte.

Natürlich gibt es Kehrseiten des Erfolgs. Weil sich immer mehr Hamburger leisten können allein zu wohnen und vom ökonomischen Erfolg angelockt jährlich 30.000 Menschen hierher ziehen, sind bezahlbare Wohnungen viel zu knapp. Außerdem ärgert sich jeder über die Baustellenflut.

Selbstverständlich ist es idiotisch Scholz als „König Olaf“ zu beschreiben, wie es konservative Zeitungen seit Jahren tun. Der Mann ist durchaus fehlbar.
Er schätzte die angebliche Olympiabegeisterung der Hamburger falsch ein und holte sich eine saftige Ohrfeige bei der Volksabstimmung zu Thema.
Und ja, bei einigen Aussagen zum G20-Gipfel im Sommer 2017 vergaloppierte er sich völlig.

Für mich war das bitter, da ich auch gern einen Politiker hätte, dem ich immer nur 100% zustimmen kann. Aber in der echten Welt gibt es eben auch zu den Guten mal Differenzen.

An Scholz schätze ich neben seinen bewiesenen politischen Fähigkeiten insbesondere zwei Eigenschaften:

1.) Der Mann ist völlig unprätentiös, schwingt keine wolkigen Reden und würde niemals wie sein CDU-Vorgänger in eine Millionenvilla ziehen oder die BUNTE zu Homestories einladen. Er lebt schon seit immer in derselben bescheidenen Altonaer Wohnung und ist jedes Luxus-Lasters unverdächtig.
2.) Scholz ist außerordentlich intelligent und gebildet. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit mauserte er sich zu dem Finanzexperten der Bundesrepublik, koordiniert seit Jahren die Finanzpolitik der SPD-Ländern; handelte den neuen Länderfinanzausgleich aus.

In seinem neuen Job als Vizekanzler und Finanzminister besticht er anders als sein Vorgänger durch echte Kenntnis, gute Umgangsformen und Freundlichkeit.

Fast neun Jahre litten die anderen Finanzminister in Brüssel unter Schäubles Borniertheit. Der Schwabe ist gedanklich so unflexibel, daß er seine Kollegen mit seinem Austeritäts-Einerlei nicht nur intellektuell unterforderte, sondern insbesondere durch seine bekanntermaßen schlechten Manieren vor den Kopf stieß.
Schäuble war zudem auch politisch faul. Neun Jahre ließ er trotz Rekordeinnahmen und Rekordmehrheiten in beiden Parlamentskammern alle längst überfälligen Reformen liegen. Bis heute sind die Erbschaftssteuer, die Grundsteuer und die Mehrwertsteuer ein partiell verfassungswidriges Chaos.
An grundlegende Vereinfachungen der Einkommens- und Unternehmenssteuern dachte er gar nicht.
Von so einer „schwarzen Null“ konnten auch international keinerlei Impulse ausgehen.
Im Gegenteil, Deutschland hinkt seinen Zahlungsverpflichtungen bei Entwicklungshilfe und humanitären Angelegenheiten weit hinterher.

Scholz kann anders als Schäuble bella figura“ und hinterließ selbst bei den ultraskeptischen Amerikanern einen hervorragenden Eindruck.

[….] Für den neuen Vizekanzler und Bundesfinanzminister öffnete sich Freitag in Washington der Vorhang. Und dort bot er eine 1a-Vorstellung. Etwa bei der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Im Gespräch mit IWF-Chefin Christine Lagarde gab sich Scholz gewohnt unaufgeregt und warb unter anderem für die transatlantischen Beziehungen. Das kam bei den Amerikanern gut an, nicht nur inhaltlich.
Denn anders als Amtsvorgänger Wolfgang Schäuble (CDU) wartete der deutsche Politiker mit astreinem Englisch auf. Dadurch ließ er seine Bedenken – etwa was die geplante Europäische Bankenunion betrifft – eher beiläufig ins Gespräch einfließen. [….]

Wegen des „schwarze Null“-Fetischs, dem Scholz möglicherweise übermorgen bei seiner Etatvorstellung im Bundestag frönen wird, wird ihm nun nach „König Olaf“ das nächste Etikett aufgeklebt: „Konservativ“.

[….] Der nächste Konservative?
[….] Scholz hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er den Sparkurs seines konservativen Vorgängers fortsetzen will. Auch der rote Finanzminister steuert die schwarze Null an. [….]
"Wenn wir die schwarze Null halten", sagt Scholz, "dann ist das gemessen an der guten Konjunkturlage eine expansive Haushaltspolitik." Man werde mindestens 46 Milliarden Euro mehr ausgeben, das bedeute doch, dass die staatlichen Investitionen deutlich ansteigen werden - genau wie die SPD das fordere.
Am Freitag wird Scholz zeigen, wie er die Milliarden ausgeben will, und, vor allem wann. Wird er zuerst in Kitas, Schulen und Pflegeeinrichtungen investieren oder in die Mütterrente und das Baukindergeld? Und wird er, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Entwicklungshilfe genauso erhöhen wie Rüstungsausgaben? [….]
Scholz' Vertraute streuen, dass der Hanseat eher dem Kurs seiner SPD-Amtsvorgänger Helmut Schmidt und Peer Steinbrück einiges abgewinnen kann. Beide waren beliebte Finanzminister - mit einer gewissen Distanz zur eigenen Partei. Schmidt schaffte es sogar ins Kanzleramt. Dass Scholz als der ehrgeizigste Hanseat seit Schmidt gilt, dürfte ihn freuen. [….]

Ich erinnere mich an alte Sprüche Gerd Schröders. Es gebe keine Linke oder rechte Finanzpolitik, sondern nur Gute oder Schlechte.

Bisher haben wir alle Scholz‘ Etatplanung noch nicht gesehen; es ist also absurd sie jetzt schon zu etikettieren.
Aber im Gegensatz zu Wolfgang Schäuble versteht Scholz sehr viel von der Materie, denkt international und hat in vielen Jahren als Minister und Regierungschef bewiesen, daß er Politik gestalten kann.
Vertreter der reinen linken Lehre mögen a priori schäumen, aber ich gestatte mir vorsichtigen Optimismus bezüglich der neuen deutschen Finanzpolitik.
Scholz ist schlau und das kann man nicht von allen Spitzenpolitikern sagen (ich will jetzt keine Namen von kürzlich gewählten Parteichefinnen nennen).
Intelligenz ist schon mal keine schlechte Voraussetzung für einen guten Job.

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