Donnerstag, 7. Juni 2012

Eviva Espana Teil II




Dann sieht Spanien mehr als verzaubert aus.
Denn es schleichen dort an Stelle der gespenster
Die Caballeros mit Gitarre um das Haus.
Dann hört man Serenaden überall
So wie auf einem Schlagerfestival.
Die Sonne scheint bei Tag und Nacht


Natürlich sind Umfragen nicht allzu ernst zu nehmen, aber ich bin nun mal ein Demoskopie-Junkie und ziehe mir daher mit wohligem Entsetzen immer wieder die neuen Zahlen rein.

Der aktuelle ARD-Deutschlandtrend zeigt, daß die beiden Griechenland-Zerstörer Merkel und Schäuble Nr. 1 und Nr. 2 der Beleibtheitsskala sind. Auf solche Typen steht der Urnenpöbel also am allermeisten.
Sollte Griechenland sich nicht dem deutschen Spardiktat beugen, befürworten 83% der Befragten den Rausschmiss Griechenlands aus dem Euro.

Und um den Wahnsinn komplett zu machen - bei der Kanzlerfrage schlägt Merkel alle vier Kandidaten der SPD deutlich (inkl Kraft).

Man staunt immer wieder über die ökonomische Unterbelichtung - nach all den Jahren. 
Nicht nur die Parlamentarier haben nicht die geringste Ahnung davon wie viel und ob überhaupt schon „deutsche Euros“ nach Athen geflossen sind (Danke PANORAMA für die erhellende Reportage), sondern es scheint immer noch nicht durchgedrungen zu sein, daß Angie und Nicolas deswegen unbedingt Griechenland „im Euro“ halten wollten, weil deutsche und französische Banken sonst Pleite gingen. 
Die haben nämlich zig Milliarden in griechischen Staatsanleihen angelegt und das ihren Kunden verkauft.
Die 83% der Deutschen würden sich vielleicht weniger bei der Vorstellung einer Drachme-Rückkehr aufgeilen, wenn ihnen ihre Lebensversicherungen um die Ohren knallen und Griechenland auf der Stelle aufhören wird für Milliarden Deutsche Panzer und andere Waffen zu importieren.

Mit einer abgewerteten Drachme könnten die Griechen vielleicht ihre Schulden besser weginflationieren. Eine Hilfe beim Aufbau eines de facto nicht vorhandenen Staats ist das aber auch nicht.

In Spanien ist das alles ganz anders. 
Die ökonomischen Kenndaten (Staatsverschuldung, Etat, ..) waren bis 2009 sogar deutlich besser als in Deutschland; sind es teilweise noch. 
Spanien hat auch ein funktionierendes Steuersystem, eine Finanz-Infrastruktur, ein belastbares juristisches System etc.
Anders als am Süd-Ost-Ende Europas muß in Madrid keineswegs erst mal nationbuilding betrieben werden.
Ich weiß nicht, ob in irgendwelchen Umfragen auch schon der „deutsche Wunsch“ nach einer Rückkehr Spaniens zur Peseta abgefragt wird.
Zutrauen würde ich dem Urnenpöbel so einiges.

Indes, auch das wäre eine miese Idee bei rund 100 Milliarden Euro, die deutsche Banken und Versicherungskonzerne in Spanien „investiert“ haben.
Gewisse Regierungen fanden es ja bisher für völlig unnötig irgendwelche Regularien für die internationalen Finanzmärkte einzuführen.

Spanien mit einer abgewerteten Peseta? 
Das dürfte auch für „uns“ Konsequenzen haben. 
Dazu reicht ein Blick auf die Basisinformationen der Bundesregierung.

In Deutschland leben heute rund 130.000 Spanier, die ein gutes Beispiel für Integration ohne Aufgabe der eigenen kulturellen Identität darstellen. Umgekehrt leben nach neueren Schätzungen weit über 500.000 deutsche Staatsangehörige dauerhaft, das heißt länger als drei Monate im Jahr in Spanien. Hinzu kommen rund 10 Millionen deutsche Touristen jährlich.
[…] Deutschland ist nach Frankreich der zweitgrößte Handelspartner Spaniens, bei den Importen Spaniens liegt Deutschland sogar auf Platz eins. Obwohl Spanien traditionell deutlich weniger nach Deutschland exportiert (Warenwert 2011: 22,52 Mrd. Euro, +2,5 Prozent) als es von dort importiert (Warenwert 2011: 34,86 Mrd. Euro, +1,8 Prozent), konnte Spanien über die letzten Jahre das bilaterale Handelsdefizit mit Deutschland verringern.   Die Bundesrepublik nimmt bei den industriellen Direktinvestitionen eine wichtige Position ein. In Spanien sind rund 1.100 deutsche Unternehmen mit Tochterfirmen oder Beteiligungen vertreten, viele davon mit eigener Produktion. Eine bedeutende Rolle in den Wirtschaftsbeziehungen spielt auch der deutsche Tourismus.

Die aktuellen Meldungen aus Spanien, welches nach dem EG-Beitritt so ungeheuer boomte und sich in Rekordzeit zu Europas viertfittester Volkswirtschaft emporarbeitete, sind allerdings deprimierend.

 Gerade erst hat eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CIS die Stimmung auf der iberischen Halbinsel festgehalten: 90,02 Prozent der Befragten bezeichnen die Lage ihres Landes als "schlecht" oder "sehr schlecht". Schon vor einem Jahr waren die Daten mies, jetzt ging es noch weiter bergab. "Der Pessimismus der Spanier bleibt im freien Fall", stellt die angesehene spanische Tageszeitung "El País" fest.
Die kollektive Eintrübung ist kaum verwunderlich. Die Zahl der Neueinstellungen geht drastisch zurück, die Industrieproduktion sinkt seit Monaten kontinuierlich, schon jetzt sind mehr als 50 Prozent der Jugendlichen ohne Arbeit oder Ausbildung, das Land muss hohe Zinsen zahlen, um sich frisches Geld auf den Finanzmärkten zu leihen, die Immobilienkrise hat wichtige spanische Banken in die Knie gezwungen.
 […] CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder sagt: "Ich denke schon, dass Spanien - nicht wegen des Landes, sondern wegen der Banken - unter den Rettungsschirm muss."

Die Wirtschaftsdaten verschlechtern sich dabei in einem rapiden Tempo.

Der wirtschaftliche Absturz in Spanien beschleunigt sich. Im April ist die Industrieproduktion des Landes so stark eingebrochen wie seit mehr als zweieinhalb Jahren nicht mehr. Die Unternehmen stellten 8,3 Prozent weniger her als im Vorjahresmonat, teilte das Statistikamt in Madrid mit. Das war der stärkste Rückgang seit September 2009. Analysten hatten lediglich ein Minus von 6,5 Prozent erwartet.    Bereits im März hatten die Unternehmen ihre Produktion um 7,5 Prozent gedrosselt. Spanien leidet unter einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Arbeitslosigkeit ist die höchste in der Europäischen Union. Jeder vierte Spanier hat keinen Job, etwa jeder zweite Jugendliche ist arbeitslos.  […]
Spanien braucht immer mehr Kapital, um notleidenden Banken zu helfen. Gleichzeitig wird es für den Staat angesichts steigender Zinsen immer schwieriger, Kredite am Finanzmarkt aufzunehmen. […]  Unionsfraktionschef Kauder […] forderte Spanien nunmehr auf, sich mit einem Hilfeantrag an den EFSF zu wenden. […] Allerdings könne es dabei gemäß den Bestimmungen des Rettungsschirmes EFSF nur um Hilfen für das Land gehen, die üblicherweise mit Auflagen verbunden werden, und nicht um Direkthilfen für notleidende Banken.

Man beachte, daß „Spiegel Online“ in so einem kurzen Text zweimal in die Sprache des Jahres 2008 zurück fällt.

Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff "Notleidende Banken", das Unwort des Jahres 2008.
Der Begriff stelle "das Verhältnis von Ursachen und Folgen der Weltwirtschaftskrise rundweg auf den Kopf", begründete Schlosser die Wahl seines Gremiums. Die Banken samt ihrer Finanzpolitik, durch die die Krise herbeigeführt worden sei, würden mit dem Ausdruck "notleidende Banken" zu Opfern stilisiert, erläuterte Schlosser. Tatsächlich sei aber der Steuerzahler das Opfer, der die Milliardenkredite mittragen müsse. Gleichzeitig gerieten ganze Volkswirtschaften in arge Bedrängnis.
(Spon 20.01.2009)

Wie kommt es nun, daß Spanien so ein Problem mit der Jugendarbeitslosigkeit und der Produktivität hat?

Die Finanzkrise war, wie wir schon gesehen haben, keineswegs hausgemacht.

Aber strukturell leidet das katholische Land eben seit 500 Jahren an seiner Katholizität. 
Der ist nämlich Gift für die kulturelle und ökonomische Entwicklung.

Die iberische Halbinsel erlebte in den sieben Jahrhunderten maurischer Herrschaft eine beispiellose kulturelle Blüte, bevor mit Isabella der Katholischen alles zerschlagen wurde, Inquisition und Judenverfolgung das Bild bestimmten.
Blüte ist durchaus wörtlich zu verstehen - die islamischen Einwanderer hatten nämlich auch den Blumentopf erfunden und brachten bunte Pflanzen nach Spanien. Sie legten Gärten an.
Ebenfalls aus Arabien importiert wurde die Gitarre - man stelle sich den Flamenco ohne Gitarren und bunte Stoffe vor - so sähe er wohl heute aus, wenn Spanien nur unter Christlichen Einfluss gestanden hätte.

Weitere heute nicht mehr wegzudenkende islamische Errungenschaften sind:
Mehrstöckige Architektur, Burgenbau, Liedgut, Farbige Stoffe, Zuckerrohranbau, Schulwesen, Übernahme der Papierproduktion aus China, Brieftaubenkommunikation, Schach, Kristallglas, golddurchwirkte Stoffe, Muster.

Im 11. Jahrhundert sind Arabische Erfindungen z.B. Uhren, Messgeräte, Hebegeräte und Energiespender, Linsen für Fernrohre und andere optische, astronomische und medizinische Instrumente und Geräte.

Die Christen sind beleidigt, ob ihrer eigenen Doofheit.

Die Araber brachten eine derartige Hochkultur hervor, daß die wissenschaftsfeindlichen Christen im Vatikan dies als eine Bedrohung ansahen, auf die sie mit Gewalt reagierten.

Die Kirche fängt an, Forschung mit arabischen Grundlagen zu verbieten und lässt Forscher deswegen in den Kerker werfen oder sogar mit dem Tod bestrafen.
Die Kirche beginnt ihre Weltzensur gegen die überlegene islamische Lebensweise und technische Entwicklung.
500 Jahre Krise nannte Sebastian Schoepp seine feuilletonistische Analyse dieses destruktiven Christlichen Debakels in Spanien.

Was ist los mit Spanien? Noch in der Regierungszeit von Ministerpräsident José María Aznar (1996 bis 2004) war es der Wachstums-Musterknabe der EU. 150 Milliarden Euro Strukturhilfe aus Brüssel flossen in die viertgrößte Volkswirtschaft des Euro-Raums. Doch statt florierender Betriebe wuchsen auf den kargen Böden Andalusiens und Kastiliens Investitionsruinen empor, die inzwischen so tot und verlassen daliegen wie die verfallenen Burgen aus der Zeit von El Cid. […]
Mit demselben Übereifer [wie durch den ersten touristischen Geldsegen - T.] begann Spanien zwanzig Jahre später das Manna auszugeben, das in Form der EU-Strukturhilfen vom Himmel fiel. Anstatt jedoch in eine Produktivgesellschaft zu investieren, wollte es schnellstmöglich dazugehören, sich modernisieren, was vor allem hieß: modern aussehen. Das Geld wurde verbaut, anfangs sinnvoll, später - befeuert durch Aznars ultraliberale Bodenpolitik - in Raserei. Trotz hektischer Aktivität verharrte Spanien dabei innerlich in seinem 'betäubenden Immobilismus'.
[…]   Der Triumphzug des Antiökonomischen begann aber schon 1492. Damals entdeckte Spanien nicht nur Amerika, es besiegte auch das letzte Überbleibsel arabischer Herrschaft in Granada und vertrieb in den kommenden Jahrhunderten Mauren und Juden. Beide Gruppen waren für Handwerk und Handel zuständig. Der christliche Hidalgo hingegen verabscheute Arbeit, sie war ihm durch einen bizarren Ehrenkodex untersagt; nur im Soldatischen sah er eine gottgegebene Aufgabe. Die Reichtümer aus den Kolonien flossen durch Spanien hindurch wie flüssiges Gold - in den Schuldendienst bei deutschen oder flämischen Kaufleuten, die sie in industrielle Prozesse investierten. Mitteleuropa wurde reich vom Inkagold, während Spaniens Edelleute auf ruinösen Latifundien dahindämmerten.  Der Inquisition verfolgte dreihundert Jahre lang alles als Ketzerei, was nach Produktivität aussah. 'Kommerzielle, industrielle und finanzielle Unternehmungen ließen jeden, der sich damit abgab, automatisch zum Juden werden', schrieb der Historiker Americo Castro. Wer forschte, tüftelte, las, lief Gefahr, auf dem Scheiterhaufen zu landen. Als in Mitteleuropa während der Aufklärung die Naturwissenschaft erblühten, stritten sich spanische Gelehrte darüber, ob Engel beim Fliegen Seelen transportieren können.  Nach dem Ende der Inquisition lebte die Fortschrittsfeindlichkeit im Nationalkatholizismus fort. […]
Dass das Pyramidenspiel mit Immobilien schiefgehen würde, konnte jeder vorhersehen, der sich die Kreditvergabekriterien spanischer Banken ansah. Doch niemand schritt ein.

2 Kommentare:

  1. Hi Tammox,

    nicht nur die Immobilien-Blase oder andere Blasen sind ein Pyramidenspiel. Die Kritik an diesen Blasen-Geschäften wie in der SZ bleiben auf halbem Weg stehen.

    Tatsächlich ist unser gesamtes auf Wachstum™ basierendes Wirtschaftssystem mit Zins und Zinseszins ein zwangsläufig zum Scheitern verurteiltes Pyramidenspiel. Dieses Wirtschaftssystem erzeugt nicht nur extreme Ungerechtigkeit bei der Verteilung des tatsächlich vorhandenen Reichtums (sowohl zwischen Völkern als auch innerhalb der Völker), so dass es ob dieser ungerechten Verteilung immer wieder zu Gewalt (Krieg oder Revolution) kommt, es erzeugt auch zwangsläufig immer größere Umweltschäden, an denen noch viele nachfolgende Generationen schwer zu knabbern haben.

    Da das Wachstum exponentiell verläuft, kann die Zeit, die es schon läuft nicht als Maß für die Zeit gelten, die noch verbleibt, bis der harte Aufschlag kommt.

    Die politischen Lenker und die Wirtschaftsführer kommen mir vor wie die Jugendlichen in James Deans Klassiker "Denn sie wissen nicht was sie tun". Wir betreiben ebenfalls ein lebensgefährliches Hasenfuß-Rennen auf die Klippenkante zu. Allerdings mit einem Pferdefuß: 1. sind wir in unseren "Autos" (die wir unseren Kindern geklaut haben) angekettet und können nicht einfach abspringen und 2. sind die Autos ebenfalls zusammen gekettet, so dass nur dann ein Überleben möglich ist, wenn eine hinreichend große Zahl "Hasenfüße" (oder besser: Vernünftige) im Rennen mitspielt, die bereit sind rechtzeitig zu stoppen, auch wenn das für kurze Zeit bedeutet, dass andere als "Gewinner" erscheinen mögen.

    Ich fürchte "homo demens" hat (als Masse) nicht genug Vernunft.

    LG und ein schönes Wochenende
    omnibus56

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  2. Lieber omnibus56!

    Ich kann mich dem nur anschließen. Es lebe MSS. Seine Definition des „homo demens“ ist sehr hilfreich.
    Zur Ehrenrettung der SZ:
    Ich zitierte hier (sehr unvollständig natürlich) eine FEUILLETON-Artikel, der nichts mit der Wirtschaftsredaktion zu tun hat.
    Was mir an der ganzen wirtschaftlichen Misere, deren Zenit wir sehenden Auges entgegen marschieren, besonders missfällt:
    Was Du beschreibst, daß nämlich dieses „immer mehr, immer schneller, Wachstum, …“-Konzept in einer Welt mit endlichen Ressourcen und verpesteter Umwelt kaum funktionieren KANN, ist ja keine wirklich neue Erkenntnis. Es gibt darüber ja auch genügend Literatur.
    Die Club of Rome-Studie Die Grenzen des Wachstums (engl. Originaltitel: The Limits to Growth) feierte dieses Jahr 40sten Geburtstag! 1972 hatte man das schon als ausführliche Analyse diskutiert.
    “Wir” wissen das ja alles und hätten auch genügend Zeit und Gelegenheit gehabt umzusteuern. Aber stattdessen rasen wir wie die Lemminge auf die Klippe zu und der Deutsche Vizekanzler hat im Jahr 2012 die bahnbrechende Idee das neue FDP-Konzept mit „WACHSTUM, mehr Wachstum“ zu charakterisieren.
    Es wundert mich natürlich wenig, daß der homo demens davon begeistert ist.
    Aber es handelt sich auch um ein Elitenversagen.
    Die klügeren Köpfe und Spitzenpolitiker müßten eigentlich seit Jahrzehnten dem Volk eingetrichtert haben was nicht mehr geht und was wie geändert werden muß. Stattdessen schlottern sie aber alle vor den nächsten Wahlen mit den Knien und suggerieren unser kapitalistisches Konzept könnte immer so weiter gehen.
    Als ob da nicht das ein oder andere WINZIGKLEINE Problem an den Finanzmärkten aufgetaucht wäre. Als ob nicht längst Öl, Wasser und Ackerland Mangelware geworden wären, als ob wir nicht längst merken welch ungeheure Migrationsdrucke entstehen.
    Als ob es ein Geheimnis wäre, das fast eine Milliarde Menschen auf dem Planeten hungern und jeden Tag 30.000 Kinder krepieren müssen.

    Wir wissen das ALLES und verschließen immer noch konsequent die Augen davor.

    Dir auch ein schönes Wochenende

    LGT

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