Dienstag, 31. Oktober 2017

Theodizee 2017



Daß der Bundestag heute auch den Nichtreligiösen einen Feiertag spendiert hat, ist für mich irrelevant, da ich nicht angestellt bin.

Blöd ist allerdings das zu jedem christlichen Feiertag in den Zeitungen verbreitete Theodizee-Genöle der liberalen Christen, die öffentlich damit hadern wie absurd ihr Glaube ist.

Gerätselt darüber wurde aber schon vor 3.000 Jahren im alten China, bei den Sumerern, in Indien, im Iran, Babylonien und Ägypten.

Eine Antwort fiel nie einem ein. Zu offensichtlich ist die Tatsache, daß ein Gott nicht gleichzeitig allmächtig und gut sein kann.

Fall A) Ein allmächtiger Gott existiert nicht.

Fall B) Ein allmächtiger Gott existiert. Dann zeigen aber Auschwitz und die weiteren bekannten Genozide, daß er ein Arschloch sein muß und das ist per Definition eben nicht göttlich. Also existiert eben doch kein (lieber) Gott.

Was ich hier wieder einmal skizziere, ist das alte Theodizee-Problem.
Der Begriff wurde durch Gottfried Wilhelm Leibniz, dem letzten Universalgelehrten der Geschichte in seiner Abhandlung  „Essai de Théodicée“ (1710) geprägt.

Damit griff er aber einen Jahrtausende alten Gedankengang auf.

Die große Theodizee-Frage (Rechtfertigung Gottes“) wird immer wieder gestellt - seit Jahrtausenden, seit Epicur.

Sextus Empiricus, der Arzt und Philosoph des 2. Jahrhunderts, formulierte das Dilemma folgendermaßen:

Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht:
Dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft,
Oder er kann es und will es nicht:
Dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist,
Oder er will es nicht und kann es nicht:
ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott,
Oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt:
Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?

„In letzter Zeit war die Leistungsbilanz Gottes, was die Juden anbelangt nicht gerade überwältigend." Er könne nicht zugleich allmächtig und gerecht sein - denn wäre er es, hätte er Ausschwitz nicht zugelassen. Doch offensichtlich konnte er es nicht verhindern.
Und was ist wenn es einen Gott gibt, der Ausschwitz verhindern wollte, aber nicht konnte?

Auch dazu hat Bauer eine einfache Antwort: „Ein armer Kerl, der Unterstützung braucht, der sich seine Stärke von uns holen muß - einen solchen Gott brauche ich nicht!“

Interessanter als die große Theodizee-Frage an sich finde ich die Tatsache, daß professionelle Priester, Ordensleute und klerikaler Hochadel nach 2000 Jahren Kopfzerbrechen immer noch keine Alibi-Antwort gefunden haben.

2017 formuliert Matthias Drobinski, der große Fromme der SZ das Problem in seinem lakonischen Leitartikel wie folgt:

[….] Und trotzdem klingt so manche Pfarrers- und auch Bischofsrede flach an diesem Tag: Du bist in Ordnung, wie du bist. Gott ist da und liebt dich, hat dich und die Welt in der Hand. Und geht es dir schlecht, ist er da.
Ist er das? Wo ist er, wenn in Syrien Assads Fassbomben Kinder zerreißen und angebliche Gotteskrieger Menschen köpfen? Wo ist er, wenn Menschen an Hunger und Krankheit krepieren? Ist er in den Folterkellern der Welt oder bei den ersaufenden Flüchtlingen im Mittelmeer, flüstert ihnen in ihrer verzweifelten Atemnot zu: Ist schon ok, wie du bist? Steht er den Alten bei, die einsam und vergessen im Neonlicht des Krankenhausflurs an ihr Ende kommen? Oder ist die Rede vom Beistand nicht mehr als eine billige Lüge? [….]
Intelligenten Menschen wird das Offensichtliche sofort klar: Da ist kein Gott.
Das Konstrukt einer übersinnlichen und allmächtigen Figur ist eine Idee primitiver Kulturen, die sich so über ihre Unwissenheit und Ängste hinwegtrösten.
Ein so postulierter Gott lebt lange, da er sich vorzüglich dazu eignet die Macht von Diktatoren und den Herrschenden allgemein zu sichern.
Mit dem Verweis auf den Willen Gottes, mucken die Unterdrückten und Ausgebeuteten nicht auf – so lange man sie angemessen unwissend und ungebildet hält.

Für die offiziellen Anhänger eines Gott-Kultes ist Aufklärung in jeder Hinsicht von Übel. Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit führte wenig überraschenderweise auch zu einer sukzessiven Schrumpfung der Kirchenmacht. Doofheit ist der Hauptverbündete des Glaubens und der mit dem Religiotismus verquickten Paradoxien.

Intelligentere und freier Denkende wissen hingegen, daß Religion eine Täuschung ist.

 „Glaube an Gott trotz Auschwitz? Die einzige Entschuldigung für Gott wäre, dass es ihn nicht gibt. Ich glaube, ich glaube nicht an Gott – aber ich glaube sogar das nicht.“
(Hellmuth Karasek)


Gott ist eine literarische Erfindung. Es gibt keinen Gott.“
(Marcel Reich-Ranicki)

Wie bekommt Drobinski die Kurve?
Wenn er schon als frommer Katholik zum Reformationstag den Leitartikel schreibt, wird ihm ja irgendwas als Gott-Begründung einfallen.
Dachte ich zumindest.
Aber es läuft immer auf das Gleiche hinaus.
Religioten glauben und das ist ihnen Begründung genug.

[….] Wann zeigt sich deine Gnade, gnädiger Gott? In allen Momenten der Menschlichkeit und der verzweifelten Liebe, dem unverhofften Guten; in der Hoffnung gegen alle Wahrscheinlichkeit, dem Vertrauen auf den schwankenden Boden, dass Gott auch in einer Welt voller Teufel "ein' feste Burg ist", wie es in dem Kirchenlied von Martin Luther heißt. Auch das zieht sich durch die Geschichte bis heute: Es gibt diese unglaublichen Momente der Gottesahnung und der Paradiesmusik, es gibt sie auch dort, wo jede Menschlichkeit gemordet scheint. Und keine Aufklärung dieser Welt hat sie bislang wegrationalisieren können. [….]

So argumentiert man ohne Argument.
Drobinski bestreitet ganz in Trump-Manier die Effekte der Aufklärung.
Er behauptet einfach das, was seinem Hirngespinst entspringt: Es gibt diese unglaublichen Momente der Gottesahnung.

Montag, 30. Oktober 2017

Sozi-Nabelschau Teil II



Wenn man den Berichten der Funke-Mediengruppe glauben darf, sägt Olaf Scholz am Stuhl des SPD-Bundesvorsitzenden; möchte sich gar selbst zum Chef aufschwingen.

 [….] Jetzt ist Schulz Wahlverlierer. Einer, der um sein Amt kämpft. Einige in der Parteiführung glauben inzwischen, dass er mit dem Job überfordert ist. Bei der Suche nach einem neuen Generalsekretär habe er keine glückliche Figur gemacht. Vor allem aber habe er keine Ideen, wie es weitergehen solle mit der SPD, heißt es. Das habe sich schon im Bundestagswahlkampf gezeigt, sagt einer, als Schulz ohne eigene Programmatik für die Kanzlerkandidatur angetreten sei.
Schulz wiederum sagt, er wolle erst einmal hören, was die Mitglieder wollen. [….]
Der Bürgermeister soll sich selbst für den besseren Parteivorsitzenden halten. [….] "Im Kern sind die beiden nicht weit auseinander", sagt [der Bundestagsabgeordnete Johannes] Kahrs deshalb. [….] Es gebe derzeit keinen anderen Kandidaten als Schulz: "Damit ist das Thema durch im Moment." Man kann Kahrs so verstehen, als ob Scholz vielleicht doch noch Parteichef werden könnte. [….]  in Hamburg ist Unzufriedenheit mit Schulz zu spüren: Programmatisch sei zu wenig von ihm gekommen. […..]

Daß Scholz wie Lafontaine 1995 den amtierenden Parteivorsitzenden stürzt, liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft.
Scholz müßte wirklich sehr nachdrücklich gebeten werden – und zwar unter anderem auch von Martin Schulz selbst.
Der Hamburger ist kein Charismatiker, dem bundesweit die Herzen zufliegen. Eine „Schulz-Zug“-Euphorie an der Basis mit Myriaden Neueintritten würde er nicht auslösen. Eine Partei braucht aber so ein Zugpferd an der Spitze; insofern könnte Scholz immer nur eine Not- oder Übergangslösung sein.
Bitter ist dabei wie offensichtlich Olaf Scholz erfolgreicher und intelligenter als Schulz ist.
Aber Qualifikation und Sachkenntnis sind leider nicht mehr die Topkriterien für politische Jobs.

Um noch mal auf meinen gestrigen Wutanfall zurück zu kommen, möchte ich eine erstaunliche Sache ansprechen, die meiner Ansicht nach ein Kernproblem der SPD-Performance ist.

Die soziale Gerechtigkeit, die nach Wunsch der SPD-Linken wieder in den Vordergrund gerückt werden sollte, zieht nicht als Wahlkampfhit.
Der Partei-Rechte Martin Schulz (auch er ist Seeheimer) hatte diese Emotionen im Wahlkampf stark bedient und so auch die Begeisterung der Basis ausgelöst.
Aus mir nach wie vor unerfindlichen Gründen waren aber weder die SPD-Bundesminister noch der Kanzlerkandidat in der Lage zu konkretisieren was eigentlich diese ominöse „soziale Gerechtigkeit“ sein soll.

Vielleicht ist meine Online-Filterblase nicht repräsentativ genug, aber ich höre in allen parteipolitischen Diskussionen immer, die SPD sei „unwählbar“, habe „die Armen verraten“.
Bei den Linken und ehemaligen SPD-Wählern gibt es auch 12 Jahre nach Schröder noch so einen gewaltigen Hass auf die SPD, daß sie lieber Jahrzehntelang CDU-Kanzler akzeptieren, als jemals der SPD wieder eine Chance zu geben.
Kann man diese nach links abgewanderten Wähler überhaupt zurück gewinnen?
Was nützten „soziale Gerechtigkeit“-Wahlkämpfe, wenn diejenigen, die das ansprechen soll, ohnehin für immer schmollen und an Riexinger und Lafontaine kleben?
Erschwert wird das Problem noch durch das alte Hildebrandtsche Motto „die SPD scheißt in jede Hose, die man ihr hinhält“.
Wenn in Diskussionen mit Linken der Trigger „HartzIV“ oder „Agendapolitik“ fällt, fangen Sozialdemokraten sofort an zu weinen, ziehen sich zurück oder sie beginnen ebenfalls wie von Sinnen auf Gerd Schröder einzudreschen.

Der Bundesvize Stegner sagt dazu etwas meiner Ansicht nach sehr Richtiges.

[….] Die Lösung von Zukunftsproblemen kann allerdings nicht in einer masochistischen Dauerbeschäftigung mit der Agenda 2010 liegen. Manche Fehler wurden bereits korrigiert. Dieses Kapitel muss endlich geschlossen werden, indem wir uns zu den Irrtümern bekennen. Die Anpassung an den neoliberalen Zeitgeist wie im Schröder-Blair-Papier und die Inkaufnahme prekärer Arbeitsverhältnisse waren schwere Fehler! Dies gilt jedoch keineswegs für alle damaligen Reformen im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit. [….]

Man merkt; der Mann gehört zum linken Flügel.
Aber können sich nicht alle Sozialdemokraten darauf einigen, daß die böse Agendapolitik zwar einige soziale Härten und Ungerechtigkeiten produzierte, aber unterm Strich sicher mehr genützt, als geschadet hat?
Sozis sollten mutig zu den berühmten Reformen stehen, ohne die von den Linken vorgetragenen Kritikpunkte abzuschmettern.
In so einer Diskussion kann man auch als Schröderianer gut punkten, indem man kenntnisreich wie Olaf Scholz auf die vielen Korrekturen seit der Zeit verweist, statt vage und desorientiert wie Schulz zu mäandern.

[…..] Es ist daher gut, dass die SPD seither in beiden großen Koalitionen zahlreiche Reformen vorangetrieben hat, die Deutschland sozialer und gerechter machen. Kurzarbeit hat in der Krise 2008/2009 Hunderttausende Arbeitsplätze gerettet, Branchenmindestlöhne und ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn wurden etabliert, Leiharbeit und der Missbrauch bei Werkverträgen eingeschränkt, erwerbsgeminderte Rentner bessergestellt, langjährigen Beschäftigten der Rentenzugang bereits mit 63 ermöglicht, Kitaplätze ausgebaut, BAföG und Wohngeld erhöht, Alleinerziehende unterstützt, Mieter besser geschützt. Die Aufzählung der von der SPD durchgesetzten Gesetze für ein gerechtes Deutschland ließe sich mühelos verlängern. Das Wahlprogramm der SPD bei dieser Bundestagswahl hat mit zahlreichen Konzepten wie der Wiedereinführung der Parität bei den Beiträgen zur Krankenversicherung oder der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen oder zur Stabilisierung des Rentenniveaus daran angeknüpft. Und der Wahlkampf stand ganz im Zeichen der sozialen Gerechtigkeit. Es ist daher nicht plausibel möglich, das Wahlergebnis damit zu begründen, dass die SPD sich nicht genügend für soziale Gerechtigkeit einsetze. [….]

Man muss diese Aufzählung des Parteirechten Scholz im Zusammenhang mit einer Wahrnehmung der Parteilinken Nahles sehen.
Auch sie weiß natürlich wie enorm viel die SPD nach 2005 aktiv in acht Jahren Regierungsverantwortung für die soziale Gerechtigkeit getan hat, während die Linke nie Regierungsverantwortung trug und außer Forderungen gar nichts für die sozial Schwachen tat.
Und dennoch glaubt man der SPD nicht.

[….] Die wesentliche und bittere Erkenntnis nach dieser Bundestagswahl ist, dass der Vertrauensbruch tiefer sitzt, als wir es jemals für möglich gehalten haben. 2009 waren wir der Meinung, wir könnten verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen, indem wir Fehler der Vergangenheit benennen. Zur Wahl 2013 war es dann wieder ähnlich. Die Menschen haben uns im Wahlkampf gesagt: Wir finden euer Programm gut, glauben euch aber nicht, dass ihr das auch wirklich umsetzt. In der Regierung haben wir uns dann gedacht: Das können wir widerlegen. Wir haben versprochen und Wort gehalten – ob bei der Rente mit 63, der Frauenquote oder beim Mindestlohn. Allerdings waren das in diesem Wahlkampf gar nicht die entscheidenden Themen. [….]

Das sind zwei Seiten einer Medaille. Nahles setzte konkrete Sozialpolitik um, schuf Fakten und dachte, dadurch müssten die Wähler ja akzeptieren, wie entschrödert und sozial wie Sozis jetzt sind.

Das war aber ein Irrtum! Durch Filterblasen-Informationsauswahl sind diese Taten gar nicht zu den Betroffenen durchgedrungen.

Martin Schulz' allgemeine Hinweise auf die „hart arbeitenden Menschen“ waren viel zu vage und zu untauglich, um Vertrauen zu erwecken.

(…..) Fast noch schlimmer ist der Terminus „die hart arbeitenden Menschen“, den Schulz in Endlos-Wiederholung auftischt, um sein Gerechtigkeitsthema zu pushen.
Für meinen Geschmack spricht das etwas sehr platt die Neidinstinkte des deutschen Michels an, der natürlich immer findet, er komme zu kurz und andere hätten mehr. Zum anderen ist es eine seltsam altmodische Formulierung. Als ob nur alle hart arbeiten müßten und dann lösten sich die Probleme in Luft auf.
Und was ist eigentlich mit den Millionen Menschen, die eben nicht hart arbeiten können, weil sie krank sind, unter psychischen Problemen leiden, Pflegefälle sind oder aber zu alt zum Arbeiten sind?

Was ist das eigentlich für eine sozi-mäßige Selbstverzwergung?
Weil wir die SPD sind, können wir nur soziale Gerechtigkeit und überlassen die große Außenpolitik der Union? (…..)

Ich glaube nicht, daß das Thema „soziale Gerechtigkeit“ ein Gewinnerthema ist.
 Die nach ganz Links Abgewanderten holen wir damit nicht zurück. Außerdem war die anfängliche Schulz-Euphorie mit 30.000 Parteieintritten trotz oder wegen der Agendapolitik gelungen. Nicht, weil der Seeheimer Schulz plötzlich mit den Arbeitsmarktreformen gebrochen hätte.

„Soziale Gerechtigkeit“ ist aber ein Verliererthema, wenn man wie von Stegner skizziert immer den Kopf einzieht, sobald der Name „Schröder“ fällt.

Wir als Sozialdemokraten müssen

a) die Agendapolitik erklären, indem wir den damaligen Kontext beschreiben,


c) nicht vage von „Gerechtigkeit“ schwafeln, sondern im Sinne von Olaf Scholz sehr konkret werden, wenn es um die Modifizierungen der letzten 12 Jahre geht.

[…..] Und die SPD muss konkret sein, auch wenn es um soziale Gerechtigkeit geht. Nur anhand konkreter Vorschläge bleibt der Begriff nicht abstrakt. Nur konkrete Vorschläge können auch politisch wirkmächtig werden. Die Programmatik der SPD bietet dafür genug Handhabe: eine deutliche Steigerung des Mindestlohns, die Abschaffung der Möglichkeit, Arbeitsverträge ohne Sachgründe zu befristen, das Recht nach vorübergehender Teilzeitbeschäftigung wieder Vollzeit zu arbeiten, die Stabilisierung des Rentenniveaus, paritätische Beträge in der Krankenversicherung, die massive Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus, Gebührenfreiheit in Kitas, Ganztagsschulen, ein Rechtsanspruch auf eine neue Berufsausbildung im fortgeschrittenen Alter, Breitbandverkabelung als Grundversorgung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland, die Entlastung der Kommunen von den Kosten der Unterkunft Arbeitsloser, die ja regional vor allem dort anfallen, wo die wirtschaftliche Lage nicht gut ist, Entlastungen bei den Beträgen für Geringverdiener und steuerliche Entlastungen für untere und mittlere Einkommen. Die SPD hat diese und noch mehr konkrete Vorschläge. Sie muss sie auch benennen. [….]

Soziale Politik in der Regierungsverantwortung wie Andrea Nahles umzusetzen ist das eine.
Das reicht aber nicht.
Die gesamte Partei, aber insbesondere die Bundesminister hätten wöchentlich dem Wähler einhämmern müssen,

1.) Was sie erreicht haben
2.) Welche Widerstände der Union überwunden wurden
3.) Wo sich CDU/CSU mit ihrer Mehrheit nicht bewegten
4.) Was die SPD in einer Alleinregierung über das in der Groko Erreichte hinaus durchgesetzt hätte.

Dann würden weniger phlegmatische Wähler denken es mache keine Unterschied, ob man CDU oder SPD wähle, ob man überhaupt zur Wahl gehe.

Dann hätte die SPD aber insbesondere auch mehr Zeit gehabt sich für die meiner Ansicht nach noch wichtigeren Zukunftsthemen einzusetzen.
Weswegen der ausgewiesenen Europa-Politiker Schulz mit all seinen Kontakten außenpolitisch fade und blass blieb, ist mir bis heute ein Rätsel.
Wieso hat er sich nicht mit einer klar proeuropäischen Politik und einer ganzen Liste bilateraler Vorhaben von der Kanzlerin abgesetzt?

Sonntag, 29. Oktober 2017

Sozi-Nabelbeschau.



Warum nur bin ich damit geschlagen ein Sozi zu sein?
Und das auch noch im Zeitalter der sozialen Medien, in dem sich jedes Parteimitglied über „die da oben“ und mangelnde Mitsprache beklagt, während man aber genau das tut – bei allem mitreden und auf Facebook/Twitter zu jedem Pipifax seinen Senf dazu gibt.
Als ob zu den goldenen Zeiten Willy Brandts in den 1960ern und 1970ern die 1,1 Millionen SPD-Mitglieder immer in Echtzeit über jede Petitesse per Tweet und Email informiert worden wären und alles kommentieren konnten.
Gleichzeitig sinkt aber die Aufmerksamkeitsspanne auf Trump-Niveau herab.
Mit Gerd-Schröder wird einzig und allein „HartzIV“ verbunden. Ganz so, als ob er nur aus Bosheit Bundeskanzler geworden wäre und sofort systematisch den Armen schaden wollte.

Dabei hat Schröder so viel erreicht, das jetzt vergessen ist.
Es ist keine Kleinigkeit weltweit Vorkämpfer gegen den massenmörderischen Irakkrieg zu sein, nach über 50 Jahren endlich an die in Deutschland versklavten Zwangsarbeiter zu denken und damit zu beginnen die Ehe für alle zu öffnen.

Dazu schreibt ein SPD-Mitglied aus dem linken Bremerhavener Verband:

SCHRÖDER sieht nur sich und nicht das Volk! Sein eigener Hintern ist ihm am nähesten
(Susy S., 29.10.17)

Ausgerechnet Schröder so etwas zu unterstellen, ist nicht nur bösartig, sondern insbesondere auch faktisch falsch.
Er hat die Agenda und die vorgezogenen Neuwahlen angesetzt, weil er es für Deutschland absolut notwendig hielt und eben gerade nicht an sich und sein Amt dachte, sondern die Interessen des Landes vor seine Persönlichen stellte.
Das ist das Paradebeispiel von "NICHT am Sessel kleben" sondern etwas für richtig Erachtetes durchzuziehen, auch wenn man weiß damit sein Bundeskanzleramt zu verlieren.
So viel Selbstlosigkeit ist bei der allseits beliebten Merkel undenkbar.

Große Aufregung auch um ein WDR-meme, welches sich mit den vier Stunden Sonntagsarbeitszeit beschäftigt, die viele Verkäufer dieses Jahr zu leisten haben, weil der 24.12. auf einen Sonntag fällt.
Die arbeiterfreundlichen Basis-Sozis sind fürchterlich empört und drohen mit Boykott.


Aufruf zum Boykott!
Bitte geht nicht mehr an heilig Abend einkaufen, gönnt dem Personal auch mal ein langes Wochenende. Laßt den Umsatz in den Keller purzeln damit so etwas nicht wiederholt wird.
+++ teilen ausdrücklich erwünscht +++
# darüber nachdenken ist auch erwünscht.

Die brutale homophobe und misogyne Religion "Christentum" ist ohnehin schon mit Feiertagen überrepräsentiert und nun soll ich mich ereifern, weil sich zwei Christen-Rudimente gegenseitig in die Quere kommen?

Die Sonntagsruhe geht auf ein Gebot des christlichen Gottes zurück.

"Sechs Tage sollst du deine Arbeit tun; aber des siebenten Tages sollst du feiern, auf daß dein Ochs und Esel ruhen und deiner Magd Sohn und der Fremdling sich erquicken."
(2.Mose 23:12)

Derselbe Gott feiert aber im Jahr 2017 Geburtstag an einem Tag, an dem man nicht arbeiten soll, aber um ihn zu ehren irgendwie auch einkaufen soll.

1.)
Ich will meine Wochenplanung nicht von christlichen Vorgaben abhängig machen.

2.)
Wieso denken altgediente linke Sozis immer noch flexible Arbeitszeiten und lange Ladenöffnungszeiten richteten sich gegen die Arbeitnehmer?
Ich behaupte, das Gegenteil ist der Fall. Insbesondere in einer Single-Stadt wie Hamburg freuen sich nicht nur die Kunden, wenn sie auch um 22.00 Uhr in den Supermarkt gehen können, sondern für viele Verkäufer ist das auch sehr willkommen. Sie arbeiten deswegen ja nicht mehr, sondern haben dafür zu einer Zeit frei, in der sie mehr damit anfangen können. Außerdem sind die klassischen Nebenjobs, beispielsweise für Studenten, gar nicht möglich, wenn Geschäfte nur Mo-Fr, 10.00-18.00 Uhr aufhaben, weil sie zu den Zeiten an der Uni sein müssen.

3.)
Wißt Ihr Sozis eigentlich wie viele Millionen Menschen ganz regelmäßig sonntags arbeiten? Pfleger, Krankenschwestern, Chirurgen, Taxifahrer, Blumenverkäufer. Köche, Polizisten, Seeleute, Busfahrer, ich, Feuerwehrleute, Musiker, Gastronomen, Kellner, Putzfrauen, Straßenbahnfahrer, etc.
Bei Verkäufer geht es nun um einen einzigen Sonntag im Jahr 2017 und da auch nur um vier Stunden. Zudem sind die beiden folgenden Tage – Montag und Dienstag (=Erster und Zweiter Weihnachtstag) – ganz frei für sie.
Insbesondere in Pflegediensten arbeiten nicht wenige Menschen und die müssen an jedem Feiertag und Sonntag da sein. Auch am ersten und zweiten Weihnachtstag, wenn die Verkäufer schon wieder chillen können.
Wieso wird nun ausgerechnet um Verkäufer mit einer vergleichsweise minimalen Zusatzarbeit so ein Theater veranstaltet?

Wieso ich trotz der Deppen an der Sozi-Basis noch Mitglied bin?
Natürlich weil die Basismitglieder anderer Parteien noch größere Deppen sind und man außerhalb der Parteien noch viel weniger bewirken kann.
Zudem kann man bei Sozis ob der tradierten 150 Jahre alten Grundsätze sicher sein, daß die meisten keine Ausgrenzung, Entrechtung anderer, keinen Rassismus, keinen Chauvinismus und keine Überheblichkeit akzeptieren.
Ich behaupte, die Arschloch-Quote unter SPD-Mitgliedern ist verglichen zu anderen Parteien minimal.
Sozis fiele nicht ein sich als „Partei der Besserverdienenden“ zu inszenieren oder dumpfem Rassismus zu frönen.
Grundsätzlich eher gute Menschen, die nicht ihren Ressentiments gegen Dunkelhäutige frönen oder Homosexuelle ausgrenzen, sind allein deswegen leider noch nicht automatisch klug und haben immer Recht.
Alle Menschen, außer mir natürlich, irren sich gelegentlich.
Da muss man zufrieden sein, wenn man sich unter Leuten bewegt, die weniger Unsinn als andere verbreiten.

 Zu allem Übel kam gestern auch noch die Parteizeitung „Vorwärts“ hier vorbeigeflattert, die ich ausnahmsweise von A bis Z durchlas.
Erst ein langer Aufsatz von Martin Schulz, dann einer von Hubertus Heil und schließlich ein Interview mit Andrea Nahles.
Letztere ist bekanntlich meine Intimfeindin und ich halte sie für extrem ungeeignet als SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende.
Erschreckenderweise sind ihre Aussagen noch die Sinnvollsten.
Martin Schulz hingegen versteht es auf zwei Zeitungsseiten Text nicht einmal konkret zu werden und lediglich Floskeln aneinander zu reihen.
Die inzwischen so hohlen Sozi-Lieblingsworte „anpacken, zupacken, Neustart, Erneuerung, neu denken, Zukunft, Signale setzen, gemeinsam, ehrlich, wir, große Herausforderungen“ verwendet Schulz reichlich.
Was das konkret heißen soll, sagt er nicht.

[…..]Wir stehen vor einer der größten Herausforderungen unserer jüngeren Parteigeschichte: Eine fundamentale und tiefgreifende Erneuerung unserer Partei ist unabdingbar, wenn wir langfristig wieder erfolgreich sein wollen. Unser Neustart wird umfassend sein […..]  Wahlniederlagen senden deutliches Signal
[…..] dass wir vor einer der größten Herausforderungen unserer jüngeren Parteiengeschichte stehen. Das niederschmetternde Ergebnis bei der Bundestagswahl […..] sind ein sehr deutliches Signal an uns: Eine fundamentale und tiefgreifende Erneuerung unserer Partei ist unabdingbar, wenn wir langfristig wieder erfolgreich sein wollen.
[…..] 2017 muss symbolisch stehen […..] als Neuanfang für die SPD, den Start eines Prozesses, der uns besser macht, durch den wir uns neu aufstellen und der unsere Partei wieder mehrheitsfähig macht. […..] Unser Neustart wird umfassend sein – organisatorisch, strukturell, strategisch. […..]  Eines ist mir dabei wichtig: dass wir von der Vergangenheit lernen, aber dass wir uns vor allem auf die Zukunft konzentrieren.
[…..]  Genau darum muss es uns gehen: um unsere Erneuerung und Modernisierung.
[…..] Ich möchte, dass sich an diesem Erneuerungsprozess so viele Menschen wie möglich beteiligen […..] Ausgangspunkt muss die Analyse sein, wie sich unsere Welt in den vergangenen Jahren verändert hat und was unsere Vision einer besseren, gerechteren und zukunftsfähigen Gesellschaft ist. […..] Es geht um eine optimistische Vision der Zukunft. […..] wir müssen uns auch weiterentwickeln und mutig die Zukunft beschreiben. […..] In den nächsten Jahren geht es um die Zukunft der Sozialdemokratie – in Deutschland, aber auch in ganz Europa. […..]  Wenn uns der mutige Aufbruch gelingt, werden unserem großartigen Erfolg in Niedersachsen bald auch wieder Erfolge bei Bundestagswahlen folgen. Vor uns liegt viel Arbeit. Lasst sie uns gemeinsam anpacken! [….]

Soll das ein Witz sein? Nach der guten alten Regel „Fünf Euro ins Phrasenschwein“, wäre die Sozi-Sau aber schlachtreif.
Wer schreibt ihm so ein Nichts? Er wird das doch hoffentlich nicht selbst verfasst haben?

Das ist ein linguistisches Lehrbeispiel dafür wie man es nicht machen sollte.
Aneinandergereihte Phrasen aus einem billigen Management-Motivationsseminar, die gut klingen, aber alles und nichts bedeuten können.
Nach einem guten Monat Analysezeit ist Schulz nicht mehr eingefallen als diese Null-Aussagen, die jeder unterschreiben kann und denen niemand widersprechen würde?

Etwas erschreckend, daß sowohl der linke Flügel mit dem 12-Punkte-Plan von Ralf Stegner, als auch die Analyse des rechten Scholz-Flügels viel besser und fundierter erscheinen, als das elende Blabla des Parteichefs.
Ich befürchte, wir werden Mr. 100% austauschen müssen, wenn wir irgendwann mal wieder eine Bundesregierung stellen wollen.
Das kann ja was werden beim kommenden Bundesparteitag vom 07.-09.12. im CityCube in Berlin.