Freitag, 19. September 2014

Schwarzen-Empathie.



Als sich letzte Woche 9/11 das 13. mal jährte, wurde man wieder mit Erinnerungs-Dokus zugeschüttet.
Eine einzige patriotische Aufwallung rollte sich durch die sozialen Medien.
NEVER FORGET-Bildchen; vorzugsweise mit Sternenbanner-Deko, pflasterten Facebook und Twitter zu.
Schon verblüffend, wie Amerika Osama bin Laden a posteriori Recht gibt.
Denn verglichen mit den rund 1,5 Millionen Menschen, die unmittelbar und mittelbar durch die US-Angriffe auf Afghanistan und den Irak starben, sind die 2.900 Toten des WTC ganz schön wenig.
Osama hatte also einen aus seiner Sicht wirklich genialen Plan, den er systematisch und höchst erfolgreich umsetzte.
Mit vergleichsweise geringem Aufwand und „nur“ 19 Freiwilligen schuf er ein Jahrhundertereignis mit derart spektakulären Bildern, daß zumindest Amerika den Namen bin Laden nie vergessen wird und ihm den Gefallen tut ihn sogar posthum kollektive Aufmerksamkeit und unendliche kostenlose PR zu verschaffen. So wird der Terroristennachwuchsstrom nie versiegen.

Ich kann mich diesbezüglich nur einem CultofDusty-Video anschließen. Der Mann hatte schon zum zehnjährigen Jubiläum die Nase voll und fand die passenden Worte.


Die Gefahr durch eine Erdnuss oder eine Kuh zu sterben ist größer als die Opfer eines Terroristen zu werden. Amerikanische Polizisten erschießen acht Mal mehr Menschen jedes Jahr, als es Terrorismusopfer gibt.

56 Millionen Menschen sterben jedes Jahr.
56 Millionen Katastrophen für die Angehörigen.
Muß man noch für Dekaden immer auf den speziellen 2.900 vom 9/11 nachdenken?
So besonders ist NY nicht. New York – immerhin die Stadt, in der meine Eltern viele Jahre lebten (und ich kurz lebte); ich bin also emotional nicht unbeteiligt.

Es waren aber Opfer erster Klasse: reich, hauptsächlich weiß, mehrheitlich Amerikaner.
Daß über sechs Millionen Kinder vor ihrem fünften Geburtstag jedes Jahr an den Folgen der Unterernährung sterben, obwohl man sie mit einem Bruchteil der Militärausgaben am Leben halten könnte, stört uns/die Welt/Amerika nur deswegen nicht, weil es sich dabei hauptsächlich um sehr Arme und sehr dunkle Menschen handelt.
Also keine Veranlassung für die auf dreistelligen Milliardenschätzen sitzenden christlichen Lebensschützer Deutschlands ihre Portemonnaies zu öffnen.

Eine Million Kinder sterben jedes Jahr noch am Tag ihrer Geburt. 2,8 Millionen überleben die ersten vier Wochen nach der Geburt nicht. [….] Pro Jahr [kommen]  etwa 6,3 Millionen Kinder vor ihrem fünften Geburtstag ums Leben. […]
Babys, die von Minderjährigen oder Frauen über 40 zur Welt gebracht werden, haben laut Unicef das größte Risiko, kurz nach der Geburt zu sterben.
[…] Dabei könnten viele Todesfälle durch einfache Maßnahmen verhindert werden. Etwa die Hälfte aller Schwangeren weltweit erhalte nicht die vier Vorsorgeuntersuchungen, die das Minimum seien. Äthiopien, Bangladesch, Nigeria und Kenia sind laut Bericht die Länder mit der höchsten Sterblichkeit von Neugeborenen - und der schlechtesten medizinischen Versorgung Schwangerer. […]

Kenianer und Äthiopier sind eindeutig zu dunkel, um die beliebteste Bundeskanzlerin aller Zeiten zu einer politischen Tätigkeit zu veranlassen.
Merkel, die sich selbst rühmt stets am christlichen Menschenbild orientiert zu handeln.
Bei den Konservativen hat sich offensichtlich noch nicht ganz herumgesprochen, daß Schwarze auch „richtige“ Menschen sind. Daher gab es in 2000 Jahren auch noch nie einen schwarzen Papst. Daß einer von 44 nun US-Präsident geworden ist, haben Millionen Teebeutler bis heute nicht akzeptieren können.

Das mit den Menschenrechten, der „unantastbaren Würde“ ist international betrachtet eine ziemlich komplizierte Sache.
 Für wen gelten die eigentlich? 
Das kann je nach Hautfarbe und Geschlecht variieren. Weiße Männer in Europa und Nordamerika haben maximierte Menschenrechte. Bei Frauen darf es schon etwas weniger sein; es macht uns nichts aus, wenn sie wie in Deutschland für die gleiche Tätigkeit 22% weniger verdienen als ein Mann. 
Und bei Schwarzen oder Asiaten…, naja, da wird bei Massakern schon mal weggesehen.
 Es wird aber noch mehr differenziert.
Syrische Menschenleben sind wertloser als Libysche. Um Letztere zu retten betreibt die NATO recht große Mühen. Bei den billigen Syrern guckt man demonstrativ weg.
Wir empören uns ziemlich darüber, wenn im Iran Schwule an Baukränen aufgehängt werden und beklagen lautstark, dass in einem Teheraner Prozess die Aussage einer Frau grundsätzlich nur die Hälfte der eines Mannes zählt.
 Wenn nebenan in Saudi Arabien Schwule getötet werden, stört das niemanden.
 Und von den Rechten, die Frauen im Iran haben, wagen die Damen in Riad noch nicht einmal zu träumen. Offensichtlich sind Saudi-Araber weniger wert.

Man weiß ja noch nicht mal, wie man überhaupt die Menschenrechte definiert.
 Noch nicht mal unter Freunden.
So wurde letztes Jahr ein bekannter Chef eines extrem antidemokratischen Zwergstaates im Bundestag empfangen. Der Geront, der einem bizarren Nachthemd-Fetisch frönt, Frauen grundsätzlich komplett aus der Teilhabe an der Macht ausschließt und ein Kinderschutzalter von 12 Jahren in seinem Staat gelten läßt, wurde mit Standing Ovations bejubelt. 

Der Greis im Kleid unterschreibt aber die UN-Menschenrechtscharta nicht, sondern lässt vielmehr seine Emissäre bei der UN ausrichten, es müsse ein umfassendes Recht auf Homophobie gewährt bleiben. 
[….]
Schwarze Leben zählen noch lange nicht so viel wie Weiße. Da dürfen auch Katholiken mal nach Herzenslust Leute massakrieren.

Als Schauplatz des schlimmsten Genozids der letzten Dekaden steht Ruanda zum einen für die Grausamkeit, zu der Menschen fähig sind - mindestens 850.000 Tutsi wurden regelrecht abgeschlachtet.
Zum anderen zeigt das Beispiel Ruanda die sagenhafte Indolenz, zu der die Weltgemeinschaft fähig ist, wenn es um Schwarze in Afrika geht.
Während im Europäischem und Amerikanischen Blätterwald sofort ein Orkan ausbricht, wenn es (wieder einmal) zu einem Konflikt in oder um Israel kommt und von ganz links bei ganz rechts gerne „Genozid!“ gekreischt wird, wenn dabei ein Dutzend Palästinenser getötet werden, läßt es dieselben Leute vollkommen kalt, wenn fast eine Million Tutsi ermordet werden.

Die Staatengemeinschaft interessiert das einfach nicht.
Ein Menschenleben ist eben nicht gleich Menschenleben.
Je dunkler die Hautfarbe, desto geringer das Interesse.

Dieser offenkundige Rassismus der westlichen Weltöffentlichkeit wird umso deutlicher, wenn man sich dazu vergegenwärtigt, daß das erst 1962 aus belgischer Kolonialherrschaft entlassene Land eine fast rein christliche Bevölkerung hat.
Unsere christlichen Mitbrüder!
Knapp 60% Katholiken, knapp 40% Protestanten.

Das am dichtesten bevölkerte Land Afrikas wurde gründlich missioniert.

Es handelte sich 1994 also um einen Genozid an Christen - verübt durch Christen.
Ein Christengenozid, der keineswegs beendet ist - aus Furcht vor Rache flohen mindestens zwei Millionen Hutu in die Nachbarstaaten; insbesondere in den Kongo, in dem jetzt fröhlich weiter gemordet wird.

[….] Inzwischen finden noch größere Grausamkeiten im Nachbarland Kongo statt; sogar der Hardcore-Zyniker Scholl-Latour ist ernsthaft entsetzt.

Peter Scholl-Latour: Ich entrüste mich nicht leicht. Aber ich glaube, dass die Massaker, die zurzeit wieder am Kongo Millionen Opfer fordern, die größte menschliche Tragödie unserer Tage darstellen. Daran gemessen sind die schrecklichen Ereignisse vom 11. September 2001 in New York nur eine tragische Episode.   […]
ZEIT: Sie haben von dem Mitgefühl gesprochen, das in Ihrem Buch Afrikanische Totenklage steckt. Woher kommt die Anteilnahme?

Scholl-Latour: Ich kenne die Kongolesen gut und mag sie. Auch dort habe ich kritische Situationen erlebt, und gelegentlich hat man mir das Gewehr auf die Brust gesetzt. Aber die Kongolesen sind ein heiteres, liebenswertes Volk. Vor ein paar Jahren bin ich nach Kisangani gelangt, das frühere Stanleyville. Ich war der einzige Ausländer außer ein paar Mitarbeitern des Roten Kreuzes. Da ist mir ein alter elender Mann begegnet, und ich habe ihn, wie dort üblich, gefragt: »Wie geht’s?« Ein Kongolese antwortet dann eigentlich immer: »Es geht« oder »Es geht gut« oder »Es geht so leidlich«. Aber dieser Alte sagte: »Es geht schlecht, Monsieur.«

[….]   Das Geld für die Waffenverkäufe erhält sie Hutu-Miliz FDLR unter anderem von der protestantischen Kirche ECC (Église du Christ au Congo) im Ostkongo, einer Partnerkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Deutsche EKD-Funktionäre möchten das lieber nicht an die große Glocke hängen und protestierten scharf gegen derartige Veröffentlichungen. Wer zahlt schon gern Kirchensteuer, wenn davon über Umwege Waffen für Massaker in Zentralafrika bezahlt werden?  [….]

Penetrantes Nichtstun und Ignorieren prägt auch Angela Merkels Ebola-Politik.
Die sollen sich mal nicht so haben da unten.

Jetzt soll die Bundeswehr tun, wozu sie in der Lage ist. Sie wird im Kampf gegen Ebola ein Feldlazarett in Liberias Hauptstadt Monrovia liefern, sie wird zwei Flugzeuge als Luftbrücke einsetzen sowie weitere Transporte prüfen. Außerdem legt das Auswärtige Amt fünf Millionen Euro Soforthilfe nach. Wäre diese Meldung vor zwei, drei Monaten bekannt geworden, könnte man sagen: okay, wenigstens ein Anfang. Doch weil diese Botschaft erst am gestrigen Donnerstag die Obleute des Verteidigungsausschusses erreichte, wird sie zum Beleg dafür, dass diese Bundesregierung in einem zentralen Fall versagt hat. Sie ist ihrer internationalen Verantwortung alles andere als gerecht geworden.
Wohl noch nie hat eine Staatspräsidentin der Kanzlerin einen Brief geschrieben, der annähernd so bedrückend gewesen ist wie das Schreiben von Liberias Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf an Angela Merkel. Unmissverständlich warnt sie davor, dass ihr Land „die Schlacht gegen Ebola verlieren“ werde, wenn nicht auch Deutschland endlich mit Lazaretten und anderem helfe. Solche Briefe schreibt kein Staatsoberhaupt gerne. Es ist eine große Peinlichkeit, dass er nötig wurde.[…]
Nun ist die zögerliche Haltung der Bundesregierung an sich schon erbärmlich. Wenn man aber Tankred Stöbe zuhört, dem Präsidenten der deutschen Sektion von „Ärzte ohne Grenzen“, dann kann man dessen Zorn sehr gut verstehen. Stöbe hat jetzt geschildert, wie die Regierung trotz monatelangen Drängens der Ärzte nicht reagiert hat. Seit Juni sei nichts passiert, obwohl sich seine Organisation quasi den Mund fusselig geredet habe. Stöbes Resümee: Es sei „einfach blanker Zynismus“, angesichts der seit Monaten immer dramatischeren Lage noch immer von nötigen Feinabstimmungen zu reden. Schlechter kann das Urteil über eine Regierung kaum mehr ausfallen.
Dabei böte ausgerechnet die Ebola-Epidemie eine Chance zu zeigen, was mit dem Terminus „mehr deutsche Verantwortung“ für die Nöte in der Welt wirklich gemeint sein könnte. [….]
(Stefan Braun, SZ vom 19.09.2014)

Bisher ist vermutlich genau die 9/11-Anzahl Menschen an Ebola gestorben.
ABER es sind hauptsächlich sehr arme Personen mit ziemlich dunkler Hautfarbe.
Da muß man nicht extra gutes deutsches Know How schicken, scheint sich die Kanzlerin zu denken. Und der sonst so redefreudige Gauck mag Neger lange nicht so gerne wie Ukrainer.

Ärzte ohne Grenzen muss eine mit Ebola infizierte Mitarbeiterin nach Frankreich ausfliegen. Die Frau hat sich in Liberia angesteckt. Die Hilfsorganisation, die seit Monaten in Westafrika im Einsatz ist, kritisiert das zögerliche Verhalten der Bundesregierung scharf.
[….]  "Ich bin mir nicht sicher, dass man sich hier in Berlin des Ausmaßes dieser Krise wirklich bewusstgeworden ist", sagte Geschäftsführer Florian Westphal am Donnerstag im Deutschlandradio Kultur. Auch der angekündigte Transport einer Krankenstation in das Krisengebiet sei ohne zugehöriges Personal wirkungslos.  [….]

1 Kommentar:

  1. Was Ellen Johnson-Sirleaf angeht, gibt es, was ueblich deutsche Interessen angeht, auch die diesbezueglich typische Schattenseite.

    "Im
    Land wird scharfe Kritik an Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf laut;
    sie sei "schlichtweg unfähig" und gehe angesichts des wachsenden
    Unmuts über ihre Amtsführung nun zu Repressalien gegen kritische
    Journalisten und Medien über, heißt es. Das Urteil trifft auch den
    Westen, da Washington und Berlin die ehemalige Weltbank-Mitarbeiterin
    Johnson Sirleaf systematisch unterstützt haben; noch im Juni hat die
    umstrittene Präsidentin PR-wirksam einen Preis des Instituts für
    Weltwirtschaft an der Universität Kiel erhalten. Gravierende
    Korruptionsvorwürfe sind im Westen stets ignoriert worden, zumal die
    liberianische Präsidentin sich für Rohstoffinteressen der
    Industriestaaten immer offen gab. Berlin hat ihr noch vor wenigen
    Jahren "entschiedenen Reformwillen" bescheinigt."
    http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58953

    Gruss
    Jake

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