Der
Ausdruck „geil“ wurde zunächst als so drastisch empfunden, daß man ihn selbst
nicht benutzen mochte und dann erlebte man, wie er völlig in den normalen
Sprachgebrauch einging.
Den
Neologismus „Shitstorm“ fand ich anfangs auch überexkrementell deutlich.
Aber
inzwischen ist er zu einer unverzichtbaren Vokabel geworden.
Damit
wird ein unheimliches, nicht wirklich erklärbares Phänomen beschrieben und die
anonyme Masse der Internetuser als etwas sehr Bedrohliches dämonisiert.
Scheißestürme
scheinen völlig willkürlich über einen hinein zu brechen.
Wie
Sandstürme. Einem bleibt dann nur die Möglichkeit abzutauchen und in der Ecke
verbarrikadiert abzuwarten bis „es“ vorbei ist.
Der
Shitstorm ist die Windhose des Social-media-Zeitalters.
Gewaltig,
schmutzig und erbarmungslos können sie jeden treffen.
Inzwischen
gibt es eine regelrechte journalistische Kultur des Shitstorm-Opfer-Bedauerns.
Warmherzig und mitfühlend berichten beispielsweise die SZ-Feuilletonisten über
den armen, armen Christian Wulff, der mit seinem just vorgestellten Buch „Ganz
Oben, Ganz Unten“ wieder einem Shitstorm trotzen muß.
Hätte er doch bloß
geschwiegen. Das Buch "Ganz oben, ganz unten" von Christan Wulff war
noch nicht gelesen, da wussten viele schon, dass es schrecklich sein würde. Was
ist das für eine Medienlandschaft, die so unbarmherzig reagiert? […] Dazu noch ein paar Auszüge aus
den Kommentarspalten und den "sozialen" Netzwerken, alle anonym
abgesetzt vor Verkaufsstart des Buchs:
"Osnabrücker
Würstchen." "Idiot." "Keine Einsicht, kein Rückgrat."
"Nimm deine Rente und verkrümel dich." "So ein Schund."
"So langsam sollte er sich mal in Behandlung begeben."
"Wenigstens hat er jetzt mit seiner hohlen Ex-Frau gleichgezogen, was Peinlichkeit
angeht."
[…]
In ihrer ersten Reaktion schlagen viele
Medien die Einladung Wulffs zur Diskussion aus. Sie gestatten sich kaum einen
Moment des Innehaltens [….] Und jetzt: wurde schon der Titel des Buchs
verrissen, bevor überhaupt eine Seite davon im Umlauf war, weil einer wie er
mit fast 200 000 Euro Ehrensold nie "ganz unten" sein kann. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen
Wohlfahrtsverbandes klagt sogar, der Titel sei "ein peinlicher Fehlgriff,
der bestenfalls noch Kopfschütteln auslöst", er verhöhne
Hartz-IV-Empfänger. […]
Einen
Tag später springt Wiegands Kollege und Chef Heribert Prantl ihm bei, indem er
die Fähigkeit zur Selbstkritik des Mannes preist, der sich mit seinem
218.000-Euro-Ehrensold auf Lebenszeit „ganz unten“ wähnt:
Christian Wulffs Buch
ist gewiss keine Selbstanklage; aber das Buch ist selbstkritisch gesprenkelt.
Die Selbstkritik wird dort nicht in Kübeln ausgegossen; aber sie ist deutlicher
als in zehn anderen Politikerbüchern zusammengenommen. Das macht das Buch
genießbar und lesenswert, sehr viel lesenswerter jedenfalls als viele
Kommentare, die über dieses Buch schon vor und gleich nach seinem Erscheinen
geschrieben wurden.
Heute
steht allerdings schon der nächste Shitstorm ins Haus. Es trifft, wie in 90%
der Fälle, wieder einmal einen CDU-Politiker.
Nun umweht
die Scheiße den Kopf des Rheinland-Pfälzischen Bürgermeisters (Herschbach) und
JU-Politikers Sven Heibel.
Er hatte
sich an das Thema „Schwule“ gewagt und auf den „man wird doch wohl noch sagen
dürfen, daß…“-Effekt gehofft.
Heibel
mag nämlich keine Schwulen, weil sie, frei nach Kreuznet, die Kinder verderben.
Der Ortsbürgermeister
von Herschbach im Westerwald, Sven Heibel, wirbt auf Facebook für den
Paragrafen 175, der abgeschafft wurde, weil er Homosexualität unter Strafe
stellte. Nun hagelt es Rücktrittsforderungen.
[…] Noch ist Sven Heibel Ortsbürgermeister von
Herschbach, macht aber mit einem Facebook-Post einen großen Schritt rückwärts:
"Vor 20 Jahren wurde die Strafbarkeit der Homosexualität, § 175 StGB,
abgeschafft. Ich weiß nicht, ob das ein Grund zum Feiern ist", lautete
sein Eintrag in dem sozialen Netzwerk, den Heibel mittlerweile gelöscht hat.
Dazu stellte er ein
Foto von einem aufgeschlagenen Strafgesetzbuch. Darin: ein gefalteter Zettel
mit der Gesetzesfassung vom 25. Juni 1969, in der noch Paragraf 175 aufgeführt
ist. Unzucht zwischen Männern wurde damals noch mit einer Freiheitsstrafe bis
zu fünf Jahren bestraft. In den Kommentaren muss sich der CDU-Politiker nun als
"Hinterwäldler" oder "dummer Typ" beschimpfen lassen.
"Wir leben im 21. Jahrhundert, nicht im Mittelalter", heißt es etwa.
[…] Mehr als 500-mal wurde sein Post innerhalb von
sechs Stunden auf Facebook geteilt, versehen mit den Kommentaren "Immer
wieder peinlich…", "Kein Scherz!" oder schlicht:
"Trottel". […]
Ich habe
ja nichts gegen Schwule, aber…
Nach den
ersten Tiefausläufern des Shitstorms verschlimmbesserte Heibel seine Aussagen
noch einmal, indem er, rechtschreibgeschwächt die Opferrolle einnahm.
Liebe Freunde und vor
allem nicht-Freunde, zur Klarstellung:
Der von mir heute
morgen veröffentlichte Poste:
"Vor 20 Jahren
wurde die Strafbarkeit der Homosexualität, § 175 StGB, abgeschafft. Ich weiß
nicht, ob das ein Grund zum Feiern ist. In einem Seminar fragte mich mein
Strafrechtsprof mal, ob dies mein Ernst sei? Ich sagte natürlich: klar! - in
meinem StGB immer noch vorhanden...und es bleibt es auch!"
bleibt so in der Welt.
Er spiegelt meine e i g e n e Meinung wieder, und diese ist von der
Meinungsfreiheit unserer Verfassung gedeckt. Diese lasse ich mir auch nicht
verbieten, auch nicht von der eigenen Partei, in deren Namen ich nicht
gesprochen habe. Was allerdings von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt ist,
sind Beleidigungen und Diffamierungen, die ich zuhauf bekommen und gelesen
habe. Dies zeigt mir wie weit es mit der Toleranz "anderer Meinungen"
in unserer Gesellschaft bestellt ist. Viele denken: Meinungsfreiheit ja, aber
nur soweit auch die eigene Meinung abgedeckt wird. So ist es nicht!
Mit meinem Poste
wollte ich auch nicht Homosexuelle diskriminieren, sondern vielmehr zum
Ausdruck bringen, dass man nicht alles in unserer (angeblich so liberalen)
Gesellschaft auch gut finden muss. Toleranz ja, aber Toleranz heißt nicht, dass
man alles gut heißen muss.
Wenn man seine Meinung
nicht mehr sagen darf, dann gute Nacht Deutschland!
(SH
via Facebook 12.06.14)
Der arme
Heibel.
Und der
arme Wulff.
Ich bin
bekanntlich auch kein Anhänger von Plebisziten, ich glaube nicht an
Schwarmintelligenz, sondern an Schwarmdummheit und ich halte
den Urnenpöbel auch keineswegs für weise.
ABER:
In den
sozialen Netzwerken erregen sich schließlich nicht die
Durchschnitts-Phlegmatiker, sondern diejenigen, die zumindest ein
Grundinteresse am Thema mitbringen.
Bei
Wulff und Heibel kann es schwerlich zwei Meinungen geben. Die beiden haben es
nicht besser verdient.
Wer sich
dumm, dreist und diskriminatorisch an die Öffentlichkeit wendet, muß nun
einmal damit rechnen, daß diese Öffentlichkeit reflektiert.
Scheißestürme
können durchaus sinnvoll sein!
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