Mittwoch, 14. August 2019

Baum-Umarmung.


Bäume zu umarmen ist die despektierliche Metapher für „Ökos“ schlechthin.
Natürlich wird Markus Söder auch so gezeichnet, wenn seine neue grüne Ausrichtung lächerlich gemacht werden soll.


Um Straßenbäume entbrennen regelmäßig kommunale Kleinkriege.
Wohnungsbesitzer im Erdgeschoss hassen die Bäume, weil sie ihnen das Licht nehmen. Schließlich sind „helle, sonnendurchflutete“ Wohnungen viel wertvoller als Dunkle.
Autofahrer in Parkplatznot sind die natürlichen Verbündeten der Dunkel-Wohnung-Bewohner. Auch sie mögen keine Bäume, weil ihre Stämme den kostbaren Parkplatz wegnehmen, Linden-Blattläuse ihren klebrigen Kot (Honigtau) auf die Windschutzscheiben schmieren, Kastanien Hauben und Dächer verbeulen.
Auf der anderen Seite stehen Baumfreunde, die jeden umgefallenen Riesen beweinen und in wüste Fluchtiraden verfallen, wenn das Bezirksamt hohle, morsche Stämme fällen lässt.
Kaum einer ist Baum-neutral.


Die erste gemeinsame Wohnung meiner Eltern in New York befand sich in einer endlosen Straße in Brooklyn. Die Häuser sahen alle völlig gleich aus, aber genau vor ihrem Eingang stand der einzige Straßenbaum,
Im Prä-Navi-Zeitalter ein genialer Orientierungsvorteil.
Und dann kam meine Mutter eines Tages von der Arbeit, der Baum war weg. Sie rannte entsetzt zum Hausmeister und fragte was da passiert war. Der kehrte gerade die letzten Späne und Blätter weg und sagte nur „making too many leaves“.
Damals sah man Straßenbäume in Amerika nur unter dem Aspekt der Zusatzarbeit, die durch das Laubharken entstand.
Ein „Insider“, der sich noch 60 Jahre in meiner Familie hielt. Immer, wenn irgendein Gewächs einging, oder ein Baum gefällt wurde, sagt jemand „making too many leaves“?

[…..] Im Auftrag von uns Kindern von Plant-for-the-Planet haben sich Wissenschaftler aus Yale und 23 weiteren Universitäten mit dieser Frage befasst. Im September 2015 haben sie eine endgültige Antwort auf diese Frage veröffentlicht – 3.000 Milliarden Bäume zählt die Erde! Dies scheint auf den ersten Blick eine enorm große Zahl, doch die Wissenschaftler haben ebenfalls herausgefunden, dass wir Menschen bereits 46%, also fast die Hälfte, aller Bäume, die es einmal gab, zerstört haben. Die Studie zeigt weiter, dass wir immer noch rund  15 Milliarden Bäume pro Jahr durch Abholzung verlieren.
Wir Kinder von Plant-for-the-Planet haben uns das Ziel gesetzt bis zum Jahr 2020, gemeinsam mit Unternehmen, Staaten und Organisationen, weltweit 1.000 Milliarden Bäume zu pflanzen. Unsere Freunde, die Wissenschaftler, haben uns gezeigt, dass es einmal rund 6.000 Milliarden Bäume auf der Welt gab. Davon sind leider nur noch rund 3.000 Milliarden übrig. Demnach haben wir genug Platz für 1.000 Milliarden neue Bäume und zwar ohne in Konkurrenz zur Landwirtschaft und Siedlungsbau zu treten und ohne in Wüsten pflanzen zu müssen. [….]

In den 1980ern hatte das Wort „Waldsterben“ Konjunktur, aber es war ein rein grünes Thema.
Sehr verwundert nahm man die wenigen Fälle zur Kenntnis, wenn sich ein „seriöser“, also nichtgrüner Förster/Forstwirt/Biologe den Forderungen anschloss und ebenfalls Maßnahmen gegen „sauren Regen“ und chemische Entsorgung durch Fabrikschornsteine verlangte.

Heute besteht kein Zweifel mehr an der gewaltigen Bedeutung von Wald und Bäumen. Sie sind raus aus der romantischen Ecke für ökologische Aktivisten oder expressionistische Maler.
Jedes Kind weiß um die unverzichtbare Rolle der Bäume für das Weltklima, weil in ihren Blätter mit der Photosynthese die einzige chemische Möglichkeit steckt das Klimagas CO2 ungefährlich als Zucker und Cellulose zu speichern.

Es tut nicht nur in der Seele weh, wenn Jair Bolsonaro in Trumpscher Manie die letzten brasilianischen Urwälder abholzen lässt, weil es sich um das artenreichste Biotop überhaupt handelt und damit laufend Tier- und Pflanzenarten ausgerottet werden, die noch nicht mal entdeckt wurden.
Nein, die Urwälder sind die Lungen der Erde, unverzichtbar für das Weltklima.
Sie sind nachwachsende Rohstoffe und Nahrungsquelle.

Bäume sind aber auch Lebensräume für unzählige Tiefarten in Europa und Deutschland. Auf ihnen existieren ganze Ökosysteme.
Sie produzieren Sauerstoff und fangen Kohlendioxid ab.
Aber darüber hinaus filtern sie auch die Luft und spielen eine gewaltige Rolle für das städtische Mikroklima. Durch das fehlende Baumgrün sind deutsche Innenstädte immer einige Grad heißer als die Umgebung.
So kommt es auch zu stärkeren Winden und Austrocknung.

Baumwurzeln sind aber auch das beste Mittel gegen Erosion und  verhindern die Versteppung.
Bäume sind es wert umarmt zu werden, zumal sie außer den genannten vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten auch noch bildschön sind.

Die gewaltigen Aufforstungsanstrengungen in Afrika und Indien sind zu begrüßen und es ist umso erbärmlicher, daß die reichen Länder des Westens es nicht schaffen in ähnlichem Maße Bäume zu pflanzen und ihre Metropolen zu begrünen, obwohl das durchaus gefordert wird.

[….] Äthiopien bricht Weltrekord im Bäumepflanzen
Äthiopien will seine Wälder aufforsten und hat eine riesige Mitmachaktion gestartet. Am Montag meldete die Regierung einen Weltrekord - noch nie wurden so schnell so viele Setzlinge gepflanzt.
Vier Milliarden neue Bäume möchte Äthiopien zwischen Mai und Oktober 2019 pflanzen und dafür die Regenzeit in der sonst sehr trockenen Region nutzen. Ein erstes wichtiges Etappenziel ist nun geschafft: Allein am Montag hat die Bevölkerung des Landes offiziellen Schätzungen zufolge innerhalb von zwölf Stunden fast 354 Millionen neue Setzlinge in den Boden gebracht.
Die Aktion ist Teil der "green legacy"-Initiative von Ministerpräsident Abiy Ahmed. Er möchte jeden der gut 100 Millionen Einwohner dazu ermutigen, in diesem Jahr 40 Bäume zu pflanzen. [….]


[….] Mit einer groß angelegten Kampagne hat die Regierung des indischen Bundesstaats Uttar Pradesh ein Zeichen gegen die Veränderung des Klimas gesetzt. Mehr als eine Million Menschen, darunter Schüler, Abgeordnete und Beamte, hätten Setzlinge an Straßen, Eisenbahngleisen und in Wäldern gepflanzt, sagte der Forstbeamte Bivhas Ranjan. Das Ziel der Aktion, 220 Millionen neue Bäume, sei nach einigen Stunden erreicht worden. Die Setzlinge wurden unter anderem in 60.000 Dörfern und an 83.000 Stellen in Waldgebieten in die Erde gebracht. [….]


[….] Am 3. Oktober soll jeder Deutsche einen Baum pflanzen
Schleswig-Holstein will zum Tag der Deutschen Einheit eine neue Tradition ins Leben rufen: Jeder Deutsche soll am 3. Oktober einen Baum pflanzen – gegen das Waldsterben und den Klimawandel. [….]
(STERN, 13.08.2019)


[….] Wangari Maathai, [….] die erste weibliche Professorin an der Universität von Nairobi rief 1977 mit ihrer Umweltschutzorganisation das größte Aufforstungsprojekt in Afrika ins Leben, seither wurden fast 40 Millionen Bäume gepflanzt.
"Der Baum wurde zum Symbol des demokratischen Kampfes in Kenia", sagte sie in ihrer Nobelpreisrede. "Die Bürger wurden mobilisiert, gegen weitverbreiteten Machtmissbrauch, Korruption und Missmanagement der Umwelt aufzustehen." [….]

80 Millionen oder 220 Millionen Bäume zu pflanzen klingt sehr großartig.
 Es ist aber auch irreführend, weil es sich so anhört, als ob Millionen Bäume plötzlich aus dem Nichts zusätzlich auf den Planeten kämen. Die wurde aber natürlich nicht blitzartig in Replikatoren des Raumschiffs Enterprise repliziert, sondern waren vorher auch schon auf der Erde. In Baumschulen.
Es sind auch keine Bäume, sondern Setzlinge, die an einem Ort A ausgegraben und PR-wirksam an einem Punkt B wieder eingegraben wurden.

Unnötig zu erwähnen, daß Deutschlands Regierung keinerlei Handlungsbedarf verspürt und nicht an Aufforstungen teilnimmt.
Nach 14 Jahren Merkel-Regierung gibt es nun ein träges „Klimakabinett“, welches unter anderem besetzt mit den Blitzbirnen Seehofer, Scheuer und Klöckner erst mal ganz unverbindlich und ergebnislos beraten soll.
Nein, das ist keine Meldung des Postillions, sondern deutsche Politik.
Go Greta! 

2 Kommentare:

  1. Politik sollte nicht von Politikern gemacht werden. Die haben einfach andere, falsche, schädliche Interessen und sind daher ungeeignet. Einerseits müssen sie ihren Wahlkampf finanzieren und daher ihr politisches Wirken immer auch darauf ausrichten, Spendengelder zu bekommen. Andererseits wollen sie wiedergewählt werden und müssen daher Selbstdarstellung betreiben. Unbequeme aber nötige Entscheidungen treffen sie daher nicht.

    Mit Blick auf Österreich, wo die Regierungsgeschäfte nurmehr von geeigneten Nicht-Politikern geführt werden, muss man sagen, dass Politiker für diesen Job gänzlich ungeeignet sind. Die eingesetzten Leute machen ihren Job offenbar so gut, dass nun auch in Italien überlegt wird, es übergangsweise so zu machen. Das könnte ein Modell sein, um unsere Demokratie wieder handlungsfähig zu machen. Die müssen sich nicht um Wahlen kümmern, brauchen nicht zu kandidieren. Ahnung von der Materie haben sie obendrein.

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    1. so eine rechtspopulistische Scheiße habe ich ja selten in meinem Leben gelesen. Plumpes pauschales bashing.
      Und dann auch noch ausgerechnet mit den Beispielen Italien und Österreich, wo es gerade nicht die etablierten Politiker waren, die die Katastrophe verursacht haben, sondern volkspupulistische Bewegungen.
      Du zeigst wieder einmal, daß Du nicht nur ideologisch verblendet bist - wie sich ja schon zeigte, als Du trottelig auf die blödesten Populisten Guttenberg und Piraten reinfielst - sondern, daß es Dir an den simpelsten Grundkenntnissen fehlt.

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