Samstag, 5. Oktober 2013

Wie die Journaille tickt.


 
Schon oft sind Parteien vom Wähler fürchterlich vermöbelt worden.
Die Linken flogen 2002 aus dem Bundestag und die Grünen im Jahr 1990.
Die großen Parteien sind nicht frei von solchen existenzbedrohenden Ergebnissen.
Für die Sozialdemokraten war die Bundestagswahl 2009 eine der schwärzesten Stunden: 76 Abgeordnete und Hunderte Mitarbeiter mußten gehen, als Kuschel-Steinmeier mit MINUS 11,2 Prozentpunkten ins Ziel kam.
Für die CDU war einer der größten Schocker vermutlich das Wahlergebnis von 1998, als 49 Sitze wegfielen und sämtliche Regierungsämter von eben auf jetzt futsch waren.
In den Ländern gibt es ähnliche Ausschläge.
Bitter war für die SPD beispielsweise das Hamburger Wahlergebnis von 1993. Erst 1991 hatte Henning Voscherau für die Sozis eine absolute Mehrheit geholt. Dann stellte sich heraus, daß die CDU bei ihrer Kandidatenaufstellung gemauschelt und betrogen hatte. CDU-Mann Markus Wegner klagte und erreichte beim Verfassungsgericht Neuwahlen, obwohl die SPD eine stabile und erfolgreiche Regierung mit absoluter Mehrheit führte und lediglich die oppositionelle CDU betrogen hatte. Der Wähler war aber so genervt von allen Parteien, daß auch die SPD auf 40% absackte.
Bei den Bürgerschaftswahlen von 2011 wurde die allein regierende CDU unter Bürgermeister Christoph Ahlhaus regelrecht pulverisiert. Die Union verlor rekordmäßige 20,7 Prozentpunkte, während Olaf Scholz‘ SPD 14,3 Prozentpunkte hinzugewann und eine absolute Mehrheit holte.

So bitter solche Ergebnisschwankungen sein mögen, so sind sie ein Zeichen dafür, daß die Demokratie irgendwie doch funktioniert und nicht immer nur die bekannten Gesichter vom apathischen Urnenpöbel bestätigt werden.

Die parlamentarische Demokratie hätte man vor zwei Wochen  zu machen  müssen, wenn nicht die FDP nach einer unterirdischen Performance aus dem Parlament gefegt worden wäre.
Nicht nur, daß die fünf Minister durch katastrophale Untätigkeit und handwerkliche Unfähigkeit auffielen, nein, sie missverstanden ihre Jobs auch noch als Selbstbedienungsläden, in denen man nach Herzenslust Parteialtkader mit schönen Beamtenstellen versorgen konnte. Mit ihnen begann die Talibanisierung der Regierungspolitik. Deutschland wurde international verachtet, man verprellte die Partner und die Regierungsparteien warfen sich gegenseitig vor als „Gurkentruppe“ und „Wildsäue“ zu agieren.
Ausgerechnet die FDP, deren ehemaliger Chef Westerwelle wie kein anderer Parteichef zuvor Pathos und Großsprecherei bemühte, setze nicht ein einziges ihrer Wahlversprechen um. Rein gar nichts erreichten die größten Polit-Loser aller Zeiten.
Stattdessen holten Bahr und Rösler die Lobbyisten direkt in die Ministerien, damit diese sich ihre Gesetze gleich selbst schreiben konnten.
Vier Jahre lang betrieben die Hepatitisgelben eine ausschließlich parteispendenorientierte Gesetzgebung.
Und als ob das alles noch nicht genug gewesen wäre, begannen Fipsi und Brüderle Leichtfuß zwei Wochen vor der Wahl eine jämmerliche Zweitstimmenkampagne. Nachdem Rösler erst 2011 bei seinem Amtsantritt erklärt hatte, der Tiefpunkt der FDP Geschichte sei der Wahlkampf 1994 gewesen, als man sich selbst zur reinen Funktionspartei degradierte und plakatierte, wer Kohl behalten wolle, müsse FDP wählen.
Anderthalb Jahre später waren diese Schwüre vergessen. Spitzenkandidat Brüderle erklärte man müsse FDP wählen, wenn man Merkel als Kanzlerin wolle.


Wenn die FDP erneut in den Bundestag eingezogen wäre, hätte man dem Urnenpöbel das Wahlrecht entziehen müssen.
Daß Röslers Lobbyistenanustauchergruppe überhaupt noch auf 4,8 % kam, grenzt an ein Wunder und ist nur dadurch zu erklären, daß 80% der verbliebenen FDP-Wähler bei Nachwahlbefragungen angaben, die CDU wäre ihre liebste Partei.
Soweit, so gut.

Nun passiert aber etwa erstaunliches.
Während die FDP-Mitarbeiter ihre Büros räumen müssen und sich die in Zeiten der Internet-Meme zu erwartenden satirischen und belustigenden Kommentare einstellen, beginnen die Journalisten Mitleid zu empfinden.
MITLEID.
Etwas ganz Neues.
Ich erinnere mich nicht, daß über das Ausscheiden der Grünen oder Linken aus dem Bundestag Tränen vergossen wurden!
Und dabei hatten weder Grüne noch Linke wie die FDP solche Vorlagen geliefert.
Jeder erinnert sich jetzt an die Sprüche von der „spätrömischen Dekadenz“ der Transferempfänger und an die Weigerung des Wirtschaftsministers Röslers den vor dem Nichts stehenden extrem schlecht verdienenden „Schleckerfrauen“ zu helfen.
Sie sollten sich doch selbst eine „Anschlußverwendung“ suchen, tönte der hochrangige Laienkatholik kaltherzig.
Daß es da die Satiriker in den Fingern juckt den Millionärsfreunden hinterherzurufen, nachdem ihnen ebenfalls das Schicksal des plötzlichen Jobverlustes widerfuhr, ist nur zu verständlich.
Aber man kann kaum eine Zeitung, oder eine Nachrichtenseite aufschlagen, in der nicht ausführlich auf das Schicksal der armen, armen nun arbeitslosen FDP-Parlamentarier eingegangen wird. Ausgerechnet bei der sozialstaatsfeindlichsten Partei wird den Journalisten ganz warm ums Herz.
Ich glaube, man hat schon in der Bundespressekonferenz für die darbenden zukünftigen Ex-Minister gesammelt.

Drei Etagen haben die 93 FDP-Abgeordneten und ihr hundertköpfiger Mitarbeiterstab in der vergangenen Legislaturperiode im Jakob-Kaiser-Haus belegt. Jetzt müssen alle bis 22. Oktober raus aus den Büros. Der Bundestagsverwaltung wäre es lieb, wenn sie früher gingen, denn Teppiche müssen noch schamponiert, Wände geweißt, Fenster geputzt werden für die Neuzugänge.
Die 93 Abgeordneten der Fraktion und ihre Mitarbeiter müssen sich jetzt in eine neue Realität fügen, für die es im Handbuch des Deutschen Bundestags keine Handlungsanweisung gibt. Die Realität heißt: Job los, Büro auflösen. Der BDI und die IHK nehmen schon keine Bewerbungen mehr an, zu viele FDP-Mitarbeiter hätten bereits Bewerbungsunterlagen eingereicht. […]
Vertreter der Arbeitsagentur sind vorige Woche ins Jakob-Kaiser-Haus gekommen. 600 Arbeitslose auf einen Schlag, das ist die Größe eines Mittelstandsbetriebs. Die Arbeitsagentur war von der Bundestagsverwaltung gerufen worden. Schnell hatte sich eine lange Schlange gebildet.
[…] Lars Lindemann, einer der Abgeordneten, die keine mehr sind, sitzt zwischen Umzugskartons, das Mineralwasser trinkt er aus der Flasche. […]
 'Purer Hass' schlage ihm entgegen. 'Gut, dass ihr jetzt in der Scheiße liegt', solche Sachen. Schadenfreude und Mobbing beschränkten sich aber nicht nur aufs Internet, sondern machten selbst vor den Kindern und den Familien auch anderer FDP-Kollegen nicht halt. […]
Die FDP, haben auch immer wieder FDP-Mitglieder gesagt, sei zu weit weg von der Lebenswirklichkeit der Deutschen. Jetzt trifft sie die Lebenswirklichkeit mancher Deutscher mit voller Wucht: Zynismus, Hohn, Spott.
[…]   Kober fällt weicher als manch andere in den FDP-Büros. 'Ich gleite zurück in meinen alten Beruf als evangelischer Pfarrer.' […]
Überrascht habe ihn die Reaktion eines Pfarrerkollegen, der eine E-Mail geschickt hatte mit dem Satz: 'Hoffentlich werden Sie nicht wieder Pfarrer.'
[…]   Was Lindemann aber auch ärgert, sogar richtig ärgert, ist die Gegenwart: das Verhalten der FDP-Führung. Er würde sich wünschen, sagt er, dass die Bundestagsfraktion einen 'gemeinsamen Akt des Abschieds' veranstalte. 'Das gehört zur Führungsverantwortung.' Aber nichts davon. In all den Tagen seit der Wahl habe von der FDP-Führung kein Einziger mal bei den Abgeordneten angeklopft: 'Niemand von denen hat sich durchringen können, vorbeizuschauen und einmal zu fragen: Wie geht es euch?'
(Thorsten Schmitz, SZ vom 01.10.2013)

Am Weitesten treibt es der neben Matthias Matussek schwärzeste SPIEGEL-Mann Jan Fleischhauer, der immer noch seiner arroganten Schnöselpartei die Treue hält.
 Die FDP habe doch vier Jahre alles richtig gemacht! Nur ein kleiner Fehler, nämlich die Hotelsteuer wäre ihr unterlaufen. Wie die Linken sich jetzt gegenüber der FDP der Herzen aufführten sei aber unentschuldbar.
Der „Mob links der Mitte“ tobe sich jetzt aus, empört sich der Kolumnist vom „schwarzen Kanal“.

Kaum etwas liebt der Deutsche so sehr wie die Kuhstallwärme der Volksgemeinschaft. […]  Es ist erstaunlich, welchen Hass die FDP auch nach ihrem Abschied aus dem Bundestag auf sich zieht. Den Feinden des organisierten Liberalismus reicht es nicht, dass die von ihnen ins Grab gewünschte Partei endlich dort gelandet ist, wo sie nach Meinung ihrer Verächter schon immer hingehörte. Sie müssen ihr noch im Untergang ihre Wut und Verachtung hinterher schreien.
Es gibt nicht nur rechten Pöbel, es gibt auch einen Mob links der Mitte. Dieser Pöbel beschmiert keine Wände oder brüllt dumpfe Parolen, er hinterlässt seinen Unflat auf den Facebook-Seiten von Rainer Brüderle und Philipp Rösler, bis diese geschlossen werden müssen. […] Was hat die FDP verbrochen?
Die FDP hat in den vier Jahren an der Regierung nicht den deutschen Sozialstaat geschleift. Sie hat weder den Hartz-IV-Empfängern die Butterbemme aus der Hand genommen, noch der Alleinerziehenden die Mutter-Kind-Kuren gekürzt oder dem 76-Jährigen die Beihilfe für das dritte künstliche Hüftgelenk. […] Tatsächlich ist die einzige Sünde, die sich die FDP in ihren vier Jahren an der Seite von Angela Merkel zu Schulden kommen ließ, die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für das Hotelgewerbe. […] "Das Wir entscheidet", hat die SPD im Wahlkampf plakatiert. Dass eine nach der Regierungsmacht greifende Partei ganz naiv als Verheißung versteht, was jeder historisch denkende Kopf auch als Drohung empfinden muss, zeigt wie verludert der Freiheitsbegriff in Deutschland ist. […] Es gibt auch in der Politik so etwas wie eine Beileidskultur. Jürgen Trittin hat am Wahlabend nach einem Blick auf die ersten Umfragen seinen Wagen anhalten lassen, um den Verlierern am Telefon ein paar freundliche Worte zu sagen. Hermann Gröhe und Volker Kauder standen auf der Bühne des Konrad-Adenauer-Hauses und grölten einen Tote-Hosen-Song, als nebenan bei der FDP die Lichter ausgingen. Dass ein Bürgerschreck der Grünen mehr Anstand im Leib hat als der Fraktionschef und der Generalsekretär einer Partei, die das C im Namen führt, sagt viel über die Verfassung des parlamentarischen Konservatismus in Deutschland.

Jetzt kommen mir auch die Tränen…

3 Kommentare:

  1. Besser ist, man erwähnt diese Randgruppenpartei nicht mehr. Es wird Zeit, dass sie in Vergessenheit gerät. Man trägt ja nicht den Liberalismus und die Freiheit zu Grabe, sondern käufliche Politik und den Bremsklotz der CDU, der für einen gewollten politischen Stillstand notwendig war.

    Und sie sollen froh sein. Früher hätte man sowas auf dem Marktplatz mit 50 Hieben auf die Fußsohlen öffentlich gerichtet, bevor man sie vor die Stadttore verbannt hat.

    Glücklicherweise hat man ja schon beinahe einen Ersatz für die Trottel gefunden. Es gibt immer Karrieristen, die sich auch den letzten Müll schönreden und das ihren Anhängern als pures Gold verkaufen, wenn sie nur selbst davon profitieren.

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  2. Du vergißt aber den starken Rückhalt, den die FDP bei den kalssischen Medien hat! Viele der ganz wichtigen Chefredakteure und Redaktionsleiter sind begeisterte FDP-Anhänger.
    Ulf Poschardt, Gabor Steingart, Jörges, und erst recht die ganzen Springertypen.

    Die werden schon ihr Möglichstes geben, um die FDP nicht untergehen zu lassen.

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  3. Natürlich zehrt man von seiner Geschichte und seinen Hardcorefans. Aber das wird abnehmen. Weil sich die Großmäuler und Selbstdarstellwer jetzt ein anderes Zuhause suchen werden. Sie werden mit der FDP kaum eine Chance auf eine politische Karriere haben. Und ohne solche Typen, bleibt die FDP ohne Profil. Man wird sie schon bald nicht mehr wahrnehmen.

    Dieses Jüngelchen Lindner, ist doch nur die Fortsetzung des Dummbratzenkurses der FDP. Der labert genau solchen Mist, wie seine Vorgänger. Wenn Politik zum reinen Phrasendreschen verkommt, hat das einen Namen: FDP. Das ist bei denen Programm. Und sowas zieht auch nur Phrasendrescher an. Und nichts Anderes sind die von dir aufgezählten Typen:

    "Ulf Poschardt, Gabor Steingart, Jörges, und erst recht die ganzen Springertypen."

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