Mittwoch, 26. Oktober 2016

Poppen.



Sex finde ich aus zwei Gründen ganz schlecht.

·        Einerseits ist er die Ursache für die gräßliche Überbevölkerung – und wir sind schon viel zu viele Menschen auf dem Planeten.

·        Andererseits geht der Sexualtrieb oft mit Machtgefühlen einher, so daß eine in irgendeiner Weise übergeordnete Person aus einer Machtposition heraus die Andere zum Sex nötigen kann. Das beste Beispiel dafür ist Donald Trump, der ganz offensichtlich denkt aufgrund seiner Berühmtheit und seines Reichtums auch 50 Jahre jüngere Frauen beliebig an die „Pussy“ grabschen zu können. Wie ekelhaft von ihm.

Schließt man aber diese beiden Problempunkte aus, indem man a) verhütet und b) streng einvernehmlich Geschlechtsverkehr praktiziert, finde ich Sex gar nicht.

Sex entzieht sich der moralischen und allgemeinen Bewertbarkeit.

Es ist absurd eine so private und intime Angelegenheit zu preisen oder auf einer Skala zu raten. Kein Mann und keine Frau steigt in meiner Achtung, weil er/sie besonders viel Sex praktiziert.
 Angesichts der extrem breiten Fächerung von sexuellen Vorlieben erscheint es mir auch grotesk mit der Gestalt seiner eigenen Primären, Sekundären oder Tertiären Geschlechtsmerkmalen zu prahlen.
Diminuiert es nicht die menschliche Kultur, wenn den Werbern weltweit immer wieder nur Anspielungen auf Busen und Penis als selling-arguments einfallen?

Es ist selbstverständlich genauso absurd sexuelle Aktivität zu verdammen, wie es nach wie vor in den allermeisten Kulturen und Religionen geschieht.
Aus religiöser Sicht ist es sinnvoll die totale Enthaltsamkeit zu verlangen, da sich so gut wie niemand daran halten kann und nur durch das daraus resultierende schlechte Gewissen die Gläubigen ihren religiösen Führern gegenüber hinreichend hörig und spendabel bleiben.
Darüber hinaus macht der kulturelle Jungfrauenwahn aber keinen Sinn.
Es ist erstens unfair, weil nicht jungfräulichen Männern frühere sexuelle Aktivitäten nicht zu beweisen sind, während Frauen das Hymen-Problem haben.
Es ist zweitens kontraproduktiv, da Geschlechtsverkehr wie die allermeisten Tätigkeiten Übung erfordert. Glücklicherweise wird es also üblicherweise im Laufe der Zeit besser als beim „Ersten Mal“.
Insofern sind djihadische Märtyrer eher gestraft, wenn sie im Himmel bei Allah 72 mal mit einer Jungfrau schlafen sollen.

Verblüffenderweise sind die meisten Menschen im 21. Jahrhundert immer noch nicht in der Lage ein neutrales Verhältnis zum Sex zu generieren.
In der Pubertät kichert und geniert man sich, man verheimlicht vor den einen, um vor den anderen umso mehr anzugeben.
In der Öffentlichkeit, auch das zeigt der amerikanische Wahlkampf mustergültig, wird schon das Sprechen über Sex als schockierend empfunden.
Verschämt sprechen US-Anchors vom „P-Word“, als ob einen beim Aussprechen von „Pussy“ oder „Penis“ sofort der tödliche Blitzstrahl Gottes treffe.
Konterkariert wird diese bizarre öffentliche Scham aber durch das immerwährende Faszinosum, welches die sexuelle Aktivität von Celebritys aller Art darstellt.
Scottie Nell Hughes kreischte noch vor einigen Tagen bei Erin Burnett hysterisch wie sehr sie immer noch offended davon wäre, daß ihr kleiner Sohn vor 20 Jahren fragte, was ein „Oral Office“ wäre, daß Bill Clinton das Amt wie kein anderer beschmutzt habe.

Nun, ganz offensichtlich war das was zwischen Bill Clinton und einer Praktikantin vorging, einvernehmlich, bzw sogar aufgrund der enormen Schwärmerei Lewinskis für ihren Chef entstanden. Clinton tat auch sicher nichts dafür dieses Vorkommnis öffentlich zu machen. Es waren eindeutig Nell Huges‘ Republikaner, die jahrelang über nichts anderes sprachen.
Ich finde es irrelevant und unpeinlich, wenn ein Präsident oder Kanzler Oralsex mit einer Person praktiziert, mit der er/sie nicht verheiratet ist.
Relevant und peinlich ist aber, wenn sich Parteien und Kirchen auch 20 Jahre später so brennend dafür interessieren, daß sie nicht aufhören können im maximalen Hypocritenmodus darüber zu sprechen.

Ob Angela Merkel im Bundeskanzleramt (einvernehmlichen) Sex mit anderen Menschen als Prof Sauer hat, ist politisch und moralisch so uninteressant, daß ich nicht sagen könnte, ob ich gut oder schlecht darüber denke.

Die Deutschen und ihre Medien sind hingegen schon auf die Gegenfahrbahn geraten.
Nach der großen Sorge, sie könnten aussterben, folgt nun das Lamento darüber, daß hierzulange zu wenig gepoppt werde.

Neue Studie zeigt: Immer weniger Deutsche sind sexuell aktiv. Vor allem die Jungen hängen durch. [Brüllwitz-Wortspiel – T.]
Bei vielen jungen Paaren herrscht heute Smog im Schlafzimmer: dicke Luft und kein Verkehr. Das ergab eine Langzeitstudie der Universität Leipzig. Heute sind demnach nur noch 67 Prozent der Deutschen sexuell aktiv; im Jahre 2005 waren es noch fast 74 Prozent. Das liegt vor allem an der jungen Generation, die offenbar etwas durchhängt. Hatte die US-Popsirene Madonna noch vor Jahren über die einschlägigen Qualitäten junger Männer gejauchzt: "Sie wissen zwar nicht, was sie da tun, aber sie tun es die ganze Nacht", so muss nun festgestellt werden, dass fast 30 Prozent der jungen Menschen zwischen 18 und 30 Jahren nur noch ausgefallenen Sex praktizieren. Montag ausgefallen, Dienstag ausgefallen … [….]

Was für ein sagenhafter Unsinn.
Viel Sex ist genau gut oder schlecht, wie wenig Sex.

Schuld ist natürlich wieder einmal das böse Internet. Da der gemeine Millenial  jederzeit unkompliziert mit Youporn eine Masturbation einlegen kann, erspart er sich womöglich die zeitraubende Suche nach realen Kopulations-Kumpanen.
So what?
Die meiste Zeit in der Geschichte der menschlichen Zivilisation wurde Ersatz-Sex auf einseitiger Basis vollzogen.
 Prostitution gab es immer. Im 19. Jahrhundert stellten bürgerliche Familien aus Angst vor der Syphilis ein „Hausmädchen“ an, wenn sie einen pubertierenden Sohn hatten. (Stichwort Stefan Zweig: „Die Welt von gestern“). Es gab das „Ius Prima Noctis“ und wie man aus dem Kinsey-Report weiß, poppten Teenager in ländlichen Gebieten der USA in den prüden 50er Jahren mit großer Selbstverständlichkeit Kühe und Schweine.
Schließlich gab es gerade mal zwei Dekaden vor der AIDS-Krise, in denen Hippies und Kommunarden tatsächlich mehr Sex unter erwachsenen Menschen auf freiwilliger Basis hatten, aber das war den konservativen Schreiberlingen im „Hamburger Abendblatt“ schon gar nicht recht.

Kaum zu glauben; kaum poppen die Deutschen aber etwas weniger, wird das auch wieder beklagt.

WARUM INTERESSIERT DAS JEMAND???

Die Kollegen von der Süddeutschen Zeitung grübeln unterdessen wie zukünftig die „kulturelle Leistung“ der Privatpornos zu bewerten sei.

Nach Erkenntnissen einer Datenanalyse im Auftrag der Firma Vexcash hat jeder sechste Deutsche schon einen »Privatporno« gedreht. Obwohl leicht rätselhaft bleibt, was um Himmelswillen die übrigen fünf Sechstel mit ihren hochleistungsfähigen Smartphonekameras anfangen, entsteht hier eine beeindruckende Datenmenge. Selbst, wenn wir konservativ annehmen, dass also rund 10 Millionen Deutsche jeweils einen etwa fünfminütigen »Privatporno gedreht« haben, ergibt dies eine akkumulierte Privatporno-Laufzeit von fast hundert Jahren. Ist dies der wahre Datenschatz, den die Cyberarchäologinnen der Zukunft heben werden, und mit Hilfe dessen sie analysieren werden, wer wir waren? Ist es das, was am Ende von uns und unserem Zeitalter bleiben wird? [….]

WIESO INTERESSIERT DAS JEMAND???

Wir wissen von Höhlenmalereien, daß auch Onkel Neandertaler poppte.
Was für eine Überraschung.

Sofern in 1000 Jahren noch Menschen existieren und dann Speichermedien mit sexuellen Aufzeichnungen aus dem frühen Internetzeitalter auftauchen sollten, wird es ebenso wenig überraschend sein, daß schon im 21. Jahrhundert gepoppt wurde.

Im „Jetzt“, dem Jugend-Ableger der SZ, befürchtet man hingegen, die Liebe käme zu kurz.

Die Vereinbarkeit von Liebe und Leben scheint 2016 keineswegs sichergestellt. „Wenn es mehr als ein Jahr dauert, ohne Garantie, wie sollen wir uns dann bitteschön verlieben?" Und leise, aber durchdringend höre ich das Schleifen der Verantwortung auf dem Boden der Tatsachen, wie sie gerade wieder einmal von jedem einzelnen von sich weggeschoben wird. Dass es an sich legitim ist, die Knappheit der Ressource Zeit zu beklagen, dass in der Entschuldigung „keine Zeit für die Liebe“ ein Viertelkörnchen Wahrheit steckt, weil man für viele Sachen wirklich keine Zeit hat, macht diese Verteidigung nicht besser. [….]

Natürlich, Herr Karig, war es in den meisten Jahrhunderten viel einfacher, als man Liebe und Ehe synonym verwendete, als jemand anders die Auswahl des Partners übernahm.
Onkel Neandertaler schlug Tante Neandertaler aus dem Nachbarstamm vermutlich einfach mit einer Keule bewußtlos und schleppte sie dann mit in seine Höhle.
Hat auch funktioniert.

Durch das Internet ist die Auswahl bei Sex und Liebe sehr viel größer. Das macht es komplizierter als vor 300 Jahren, als für die Bauernmagd ohnehin nur der hinkende Bauernjunge vom Nachbarhof blieb.

In der Regel lebt man auch nicht mehr zusammen mit fünf Schweinen, drei Kühen und 12 Geschwistern in einem Schuppen, so daß nachts coram publico einmal über die Angetraute rübergerollt wird – egal, ob sie will oder nicht.

So einfach ist es nicht mehr.
Aber will man solche Zeiten zurück?