Dienstag, 28. Januar 2014

Die Legende vom braven Z.



Ach ja, das ist ja jetzt oft so enttäuschend, wenn der SPIEGEL mit Geschichten über die katholische Kirche titelt.
Da freut man sich über ein lustiges Leseerlebnis und dann werden nur olle Kamellen aufbereitet, die man schon aus Tageszeitungen kennt.
Oder noch schlimmer: Es wimmelt von sachlichen Fehlern und abstrusen Fehleinschätzungen -  dafür steht die Titelstory aus dem Februar 2013 über das Konklave.
Die aktuelle Titelgeschichte vom 27.01.2014 über den Papst und den Sex gab auch das Erwartbare wider: Nein, nicht alle Katholiken halten sich vollständig an die sexualmoralischen Lehren der RKK.



Jakob Augstein fasste das gesamte Ergebnis der weltweiten Studie in einem Wort zusammen – „nichts“.

Diese Erfahrung macht die katholische Kirche gerade, die von ihren Gläubigen wissen wollte, was sie von der kirchlichen Sexualmoral halten. Das Ergebnis - nichts - ist weniger überraschend als die Tatsache der Umfrage selbst, über die der neue SPIEGEL berichtet.

Man fragt sich wirklich, wieso die Kurie um Franzl überhaupt gefragt hat. Hätten nicht 30 Minuten Zappen, Internet oder das Lesen einer beliebigen Zeitung dazu gereicht, um zu wissen, daß niemand die moralischen Vorgaben aus dem KKK ernst nimmt – und auch nie ernst genommen hat?

„Unzucht ist die körperliche Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau, die nicht miteinander verheiratet sind. Sie ist ein schwerer Verstoß gegen die Würde dieser Menschen“, heißt es zum Beispiel im katholischen Katechismus. „Zudem ist sie ein schweres Ärgernis, wenn dadurch junge Menschen sittlich verdorben werden.“ Masturbation („eine schwere ordnungswidrige Handlung“) wird ebenso verdammt wie Homosexualität („in keinem Fall zu  billigen“). Ganz schlimm, sogar „unsittlich“, verhält es sich überdies mit der Ehescheidung – „weil sie in die Familie Unordnung bringt … und für die Gesellschaft aufgrund ihrer ansteckenden Wirkung zu einer tiefen Wunde wird“.
(DER SPIEGEL 5/14 s.38)

Wenig überraschend, daß sich kaum einer der jungen Katholiken daran hält.
Lange geklärt ist auch der Zusammenhang zwischen Wissen und Religiosität. Am besten wissen die Atheisten über die Kirche Bescheid. Deswegen sind sie ja Atheisten.
Kirchenkritiker aus „meiner Szene“ haben Uta Ranke-Heinemann und andere gelesen und kennen daher ganz selbstverständlich die Entzyklika „Humanae vitae“ sowie ihre Entstehungsgeschichte und die heutige Bedeutung. Unter den praktizierenden Katholiken sind solche Lehrschreiben hingegen gänzlich unbekannt.
Nur durch Unwissen können sie ihr schizophrenes Leben, beispielsweise als Frau in der RKK (Andrea Nahles!) aushalten.

Große Verwirrung löste auch die Frage aus, wie gut die Gläubigen die Lehre von „Humanae vitae“ kennen. „10 von 10 spontan Befragten dachten an eine vitalisierende Körperlotion“, heißt es in einem in Mainz eingegangenen Fragebogen. Tatsächlich gemeint war aber das päpstliche Lehrschreiben „Über die Weitergabe des Lebens“: Die Pillen-Enzyklika von Paul VI. hatte 1968 den Gebrauch von Verhütungsmitteln verboten und verursachte damals einen tiefen Spalt zwischen Amtskirche und Gläubigen.
(DER SPIEGEL 5/14 s.36f.)

Dennoch erfuhr ich in der SPIEGEL-Story diesmal doch etwas Neues.
Zunächst einmal ist die erfreuliche Tatsache zu registrieren, daß auch DER SPIEGEL gemerkt hat, daß Franziskus in einem Jahr Pontifikat keine einzige der widerlichen und menschendiskriminierenden Regelungen der RKK zurück genommen hat. Die Macht dazu hätte er.
Er plappert aber nur und denkt offenbar nicht daran seinen Schäfchen wirklich zu helfen.
Recht geglückt erscheint mir der Vergleich der pontifikalen Amtsübergabe mit dem Wechsel von GWB auf Obama.
Der jeweilige Vorgänger war so extrem unsympathisch, daß der Neue mit Vorschusslorbeeren überschüttet wurde und man ganz entzückt auf seine moderaten Töne reagierte.
 Bis man irgendwann merkten, daß der Neue auch nur das tut, was der Alte tat.

Auch die Informationen aus meinem Blog, daß nämlich der Papst ein Heuchler ist  und beispielsweise mit der Erhebung des Abschaum-Bischofs Müller in den Kardinalsstand eine ultrakonservative Stahlhelmlinie vorgibt, finden nun Eingang in den SPIEGEL. Die Titelgeschichte thematisiert die Gräben zwischen den Traditionalisten um Papst Benedikt, der immer noch im Vatikanstaat hockt und den unkonventionellen Franziskus-Fans.

Schließlich bekommt auch der deutsche Chefbischof Zollitsch eine Breitseite ab.

Er steht für eine deutsche RKK, die mit Macht die Aufklärung des Kinderfickertums verhindern will – Stichwort „Pfeiffer-Studie“.
Zollitsch forderte die missliebigen Pfaffen ultimativ zum Gehorsam auf, die es wagten darüber nachzudenken, ob sie auch Geschiedenen die Kommunion erteilen könnten.
Dazu erdreistete sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz auch noch, denjenigen Bundestagsabgeordneten, die der Papstrede im Bundestag nicht zuhören wollten, vorzuwerfen keine Demokraten zu sein. Er forderte Anwesenheitspflicht.
Sagenhaft, der oberste deutsche Vertreter einer absolutistischen Monarchie, die sich weigert die Menschenrechte anzuerkennen und Myriadenfachen Kindesmissbrauch gestattet hatte, wirft demokratisch gewählten Volksvertretern vor nicht demokratisch zu sein.

Der Mann, der Katholo-Romantikern wie dem Buchautoren und schwulen Kirchenkritiker Daniel Bühling („Das 11. Gebot: Du sollst nicht darüber sprechen“) als „scharfsinniger Theologe und guter Hirte“ gilt, ist in Wahrheit natürlich auch nur ein verlogener Karrierist.

Als ein im positiven Sinne Geistlicher der alten Schule ist [Erzbischof Zollitsch] eben KEIN Erzkonservativer, wie es heute gerade die jüngeren Priester gerne sind, sondern steht für den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils: für Aufbruch, Erneuerung, Zukunft. Er nimmt die Gläubigen und die gemeinsame Gestaltung der Kirche ernst und tritt für einen bewussten Fortschritt ein, um die Kirche lebendig zu halten. Der Welt zugewandt, reformfreudig und doch diplomatisch und tolerant genug, um auch die konservativsten Bischöfe für sich zu gewinnen…
(D. Bühling „Das 11. Gebot: Du sollst nicht darüber sprechen“, s. 173 f.)

Der Mann, der angeblich für Aufbruch und Erneuerung steht, ist den ultrakonservativen Traditionen so sehr verpflichtet, daß er dafür sorgen wollte den Gläubigen die heiklen Fragen gar nicht erst zu stellen. Dreist wollte er die Ergebnisse der vatikanischen Umfrage fälschen, indem er die Fragen zur Homosexualität selbst beantwortete und sie gar nicht erst den Schäfchen vorlegte.
Das ist verlogen, zutiefst antidemokratisch und zudem auch noch über alle Maßen dumm, wenn er tatsächlich glaubte damit durchzukommen.

Entscheidungsfreudiger zeigte sich Zollitsch in einem anderen, allerdings sehr bedeutsamen Punkt: „Die Fragen 1, 2, 5, 7 und 8“, ließ er seinen Sekretär in einem Schreiben an die deutschen Bischöfe verkünden, „werden zentral vom Sekretariat beantwortet.“ Um Zeit zu sparen, sollten bereits vorliegende Positionen verwendet werden. Tatsächlich wurden besonders  strittige Themen dem Kirchenvolk damit vorenthalten. Der Fragenkomplex 5 zum Beispiel befasst sich mit homosexuellen Paaren, die Fragen zu Punkt 7 mit Verhütung und Abtreibung. In einer Welt ohne Internet hätte der etwas tollpatschige Zensurversuch vielleicht funktioniert.
(DER SPIEGEL 5/14 s.34f.)

Das konservative deutsche Episkopat versucht natürlich die sie schockierenden Ergebnisse der Befragungen möglichst geheim zu halten und nur in sehr entschärfter und aufgefrommter Form nach Rom zu übermitteln.
Top-Kleriker hassen Transparenz.

Zollitsch zittert.

Unter deutschen Katholiken wird über den Fragebogen des Vatikans kontrovers diskutiert: Ihre Sexualmoral hat mit der kirchlichen Lehre wenig gemein. Wie sieht es in anderen Teilen der Welt aus? Eindrücke aus sechs Ländern.
"Die Kirche ist aufgerufen, aus sich selbst herauszugehen", das sagte Jorge Mario Bergoglio zu den Kardinälen, bevor die ihn zum Papst wählten. Krank sei die Kirche, verpestet durch die Selbstbezogenheit von Personal und Institutionen. Papst Franziskus hat die Heilung zur Mission erhoben: Er predigt die Abkehr von weltlichem Prunk, er fordert zur offenen Diskussion auf, auch Reizthemen sollen auf den Tisch.
[….]   Doch der Dialog mit der Basis bleibt den meisten Kirchenoberen fremd: In kaum einem Land wird der Fragebogen derart kontrovers diskutiert, wie in Deutschland. In anderen Teilen der Welt werden die Fragen oft in den Diensträumen der Bistümer beantwortet, die Lebenswirklichkeit der Gläubigen bleibt außen vor.