Dienstag, 25. November 2025

Die Scham

Es ist für mich eins der unangenehmsten Gefühle: Scham.

Unglücklicherweise empfinde ich Scham sehr frühzeitig, weil ich eine extrem niedrige Toleranzschwelle für Peinlichkeit habe. Das macht sich beispielsweise dadurch bemerkbar, daß ich noch nie ein Selfie gemacht habe. Ich will mein Gesicht nicht im Internet sehen und staune, weil eine überwältigende Mehrheit der Menschen, das Problem nicht nur nicht kennt, sondern geradezu begeistert davon ist, ihr eigenes Konterfei möglichst oft in die Kamera zu halten.

Sie trachten a) grundsätzlich danach, so oft wie möglich gesehen zu werden, und haben b) ganz offensichtlich eine gewaltige große Peinlichkeits-Toleranz. Es stört sie nicht, bei den albernsten Grimassen, mit „Duckface“ oder „Herzfinger“-Geste abgefilmt zu werden. Posen, die ich nicht einmal selbst ausüben muss, um mich zu schämen. Für mich ist es ZUM MITSCHÄMEN, das nur anzugucken.

Erstaunlicherweise gilt Schamfreiheit sogar als herausragende Qualität in der Medienwelt von 2025. Politiker, Schauspieler, Journalisten, Influencer werden dafür geschätzt, keine Berührungsängste zu haben, dahin zu gehen, wo es wehtut, jeden Blödsinn mitzumachen. Markus Söder, die Inkarnation der Schamlosigkeit, steht weit oben in der Beliebtheitsliste. Er hat die meisten Follower aller deutschen Politiker. Der Typ, der täglich seine ungepflegten Fingernägel beim Fastfoodfressen in die Kamera hält, der hochnotpeinlich auf internationaler Bühne bei Bergoglios Beerdigung vor dem Petersdom Grinse-Selfies schießt, der Willy Brandts Kniefall beim Holocaustgedenken nachäfft, der lügt und hetzt.

Obschon „schamlos“ durchaus negativ konnotiert wird – „sag mal, schämst du dich denn gar nicht?!“ – wird Söder nicht etwa durch „Entfolgen“ gestraft, sondern sammelt immer mehr Follower. Für ihn gibt es keinerlei Triggerpunkte; nichts löst bei Söder Scham aus – warum auch immer.

[….] Der genaue Auslöser ist dabei ganz individuell: Situationen, in denen sich die eine Person extrem schämt, können einer anderen völlig egal sein. Denn ob wir uns schämen oder nicht, hängt stark mit den Wertevorstellungen einer Kultur, mit der Bildungsschicht oder der Gruppe zusammen, der wir uns zugehörig fühlen. Auch die Intensität des Gefühls kann sich stark unterscheiden.

Für den Psychoanalytiker Léon Wurmser zählt zu den wichtigsten Schamauslösern, wenn Menschen denken, sie seien schwach. Wenn wir in einer bestimmten Situation versagen, die Kontrolle über die eigenen Impulse verlieren oder vermeintlich unangemessene Gefühle zeigen – zum Beispiel, wenn wir in der Öffentlichkeit weinen.

Forschende unterscheiden unterschiedliche Typen von Scham

    Ein Scham-Typ ist die "soziale und körperliche Abweichung oder abweichende Persönlichkeitsmerkmale“. Das heißt, wir können Scham empfinden, wenn wir in der Öffentlichkeit weinen oder in unangemessenen Situationen laut lachen. Auch wenn wir uns aufgrund unserer sozialen Zugehörigkeit in bestimmten Situationen fehl am Platz fühlen oder wenn wir uns beim Sex für unseren Körper schämen.

    Ein weiterer Scham-Typ ist "Überschreitungen oder grenzverletzendes Verhalten“. Wir können also Scham empfinden, wenn wir für unser Verhalten öffentlich kritisiert werden, wenn wir lügen oder gesellschaftliche Normen brechen.

    Auch "Versagen oder Misserfolg“ können zu Schamgefühlen führen. Hierzu zählen unter anderem Niederlagen, wenn wir Fehler machen oder wenn wir Behauptungen anstellen, die sich als Irrtum erweisen. Forschende zählen zu diesem Scham-Typ übrigens auch, wenn Scham ausgelöst wird, weil wir Körperfunktionen nicht kontrollieren können – zum Beispiel, wenn wir laut pupsen.

    Aber auch eigentlich Positives wie Lob kann zu Scham führen – etwa wegen der erhöhten Aufmerksamkeit oder aus Angst, nicht angemessen auf das Lob zu reagieren.  [….]

(Quarks, 07.03.2022)

Vielleicht ist es kein Zufall, daß der mit Sicherheit schamloseste Mann der Erde – Donald Trump – auch der mächtigste Mensch auf der Welt ist.

Man kann das Stinktier Trump nicht überstinken, weil es unmöglich ist, noch schamloser, als er, zu lügen und zu prahlen.

Söder und Trump sind sich mutmaßlich schon darüber bewußt, wie schrill und auffällig sie wirken, wie sehr sie sich vom Bild der herkömmlichen, seriösen Politiker abheben. Aber gefangen in ihrer größenwahnsinnigen Persönlichkeit, missdeuten sie all das Lachen und Kopfschütteln als Komplimente.

Der Fritzekanzler stellt noch einmal eine andere Kategorie dar. Auch er stolpert selbstinduziert von Peinlichkeit zu Peinlichkeit. Auch er ein Top-Regierungschef, für den man sich 24/7 mitschämt.

Aber anders als die zuvor Genannten, merkt der Fritzekanzler gar nichts. Er ist nicht zur Selbstreflexion im Stande. Unfähig zu begreifen, was er anrichtet – selbst wenn er landauf, landab aus allen Feuilletons, von Hauptstadtjournalisten, Parteichefs, Opfervertretern drauf festgenagelt wird, wie blamabel er in der Stadtbild-Debatte agierte.

[…]  Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat auf seiner jüngsten Afrikareise deutsches Brot zum Frühstück vermisst. Einen Tag nach seiner Teilnahme am Gipfel der Europäischen und der Afrikanischen Union in der angolanischen Hauptstadt Luanda sagte der Kanzler in Hamburg: „Was man am deutschen Brot hat, merkt man immer wieder, wenn man im Ausland ist. Gestern Morgen in Luanda am Frühstücksbuffet hab’ ich gesucht, wo ist ein ordentliches Stück Brot – und keins gefunden.“ […] Für Merz ist es nicht das erste Mal, dass er nach einer seiner Auslandsreisen mit einer Aussage über sein Gastgeberland aneckt. Vor gut zwei Wochen hatte der Bundeskanzler zum Auftakt der Weltklimakonferenz im brasilianischen Belém an einem Gipfel teilgenommen.  [….]

(Tagesspiegel, 25.11.2025)

Was für ein Klischee! Wie der germanische Tölpel in Rimini, der in der für das beste Essen der ganzen Welt bekannten italienischen Region Emilia-Romagna, deutsche Schlimme-Augenwurst und Schwarzbrot verlangt.

Der Fritzekanzler verbringt einen Vormittag in ANGOLA und beklagt sich, da kein deutsches Brot zu fressen gehabt zu haben.

Kann man sich nicht ausdenken. Wie kann man nur so peinlich sein, Merz?

Zum Mitschämen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Feedback an Tammox