Donnerstag, 15. November 2018

Bruderkrieg.

Die wenigsten Deutschen haben Vorurteile gegenüber Neuseeländern oder Kanadiern.
Das liegt insbesondere an der großen räumlichen Distanz. Menschen hassen üblicherweise niemand mehr als ihre eigenen Nachbarn. Das muss irgendetwas mit archaischen Konkurrenzgefühlen zu tun haben.
So wie Löwen gewohnheitsmäßig Großkatzen der Nachbarreviere totbeißen. Der Leopard nebenan und die Gepardin von gegenüber sind Nahrungskonkurrenten.
Auch die generelle religiöse Basis der Zivilisationen spielt eine negative Rolle, da alle Gottesvorstellung zu einer „Wir sind besser als die“-Grundeinstellung führen.
Wer einen Allmächtigen auf seiner Seite hat, weiß alle anderen im Unrecht.
Das ist der Grundgedanke der christlichen Missionierung: Entweder ihr ordnet euch unserem Gott unter, oder Rübe ab!
Vor 400 Jahren begann mit dieser Prämisse der 30-Jährige Krieg, der am Ende die halbe Bevölkerung Europas ausrottete, weil katholische Habsburger Prinzen in Bayern und Österreich mit Verve ihre protestantischen Nachbarn massakrierten.

Nachbarnationen wie Frankreich und Deutschland verstanden sich über Generationen als „Erbfeinde“. Japaner hassten Koreaner, die Schotten bekriegten die Briten, Polen und Ukrainer wettern gegen Russen, die NATO-Partner Griechenland und Türkei rüsten sich bis an die Zähne hoch, um gegeneinander Krieg führen zu können. Balten misstrauen den Russen. Chinesen gehen gegen Tibeter vor, assimilieren sie. Im Kaschmir-Konflikt (betreffend des 1947 aufgelösten indischen Fürstenstaats Jammu und Kashmir) haben sich die Nachbarn Indien, China und Pakistan sogar so Atommächten hochgerüstet, weil sie sich gegenseitig so ver­achten.

Auf der nächstkleineren Ebene, dem Hass zwischen einzelnen Volksgruppen innerhalb einer Nation, wird die Gewalttätigkeit noch extremer. Die extrem blutigen Bürgerkriege auf dem Balkan, im Irak, in Ruanda oder dem Kaukasus findet zwischen Menschen statt, die den gleichen Pass haben.
Die Freundschaft zwischen Franzosen und Deutschen, die relative Unvorstellbarkeit eines Krieges in Westeuropa ist deswegen so bemerkenswert, weil der Hass zwischen benachbarten Volksgruppen als fast unausrottbar gilt.
Südtiroler verabscheuen Italiener, Flamen die Walonen, Basken die Franzosen, Katalanen die Spanier, Korsen die Franzosen, Bayern die Österreicher.
Hamburger mögen keine Sachsen, Ungarn verachten die Roma, Serben die Ungarische Minderheit, Myanmar vertreibt die Rohingya.

So kann man das immer weiter herunterdeklinieren. In Deutschland sind rund 500.000 Gerichtsverfahren zwischen direkten Nachbarn anhängig. Niemand hasst man so sehr wie den Typ, mit dem man Tür an Tür wohnt
Ich wohnte ein ganzes Jahrzehnt in einem Haus, Baujahr 1951, dessen Bausubstanz so schlecht war, daß man buchstäblich „jeden Pups“ hörte.
Über mir, im dritten OG hauste ein außerordentlich sexuell aktives Paar, welches irgendein Bistro betrieb. Die kamen immer frühestens um 23.00 nach Hause, stolzierten eine Viertelstunde in ihren schweren Schuhen auf dem blanken Holzboden hin und her, um dann stundenlang so lautstark zu kopulieren, daß der Mann unter mir, im ersten OG davon wach wurde und erst wütend rumpöbelte, bevor er dazu überging wie ein Irrer mit irgendwelchen Werkzeugen an die Heizungen zu bollern.
Davon erlitt ich so einen schweren psychischen Schaden, daß ich seitdem im Zölibat lebe. Am Ende horchte ich immer panisch an meiner Wohnungstür, bevor ich das Haus verließ, weil ich solche Angst hatte den potenten Kreisch-Pornologen von oben oder dem Hammerschwingenden Heizungsmolester von unten zu begegnen. Es blieb mir nur übrig auszuziehen.

Das Problem bei all diesen mörderischen Konflikten ist nicht nur die räumliche Nähe, sondern die Ähnlichkeit der Volksgruppen.
Kaum ein Landstrich ist so von Hass geprägt wie Palästina und Israel, die Keimzelle dreier Weltreligionen. In Jerusalem wohnen Christen, Muslime und Juden nicht nur buchstäblich Tür an Tür, sie sind auch kulturell so verwoben, daß sie kaum zu unterscheiden sind. Juden und Muslime schnibbeln ihren Kindern am Penis herum und frönen auch einer sehr ähnlichen Esskultur. Ein Jude, der sich in der Fremde koscher ernähren möchte, kann in Paris oder Berlin in ein muslimisches Lebensmittelgeschäft gehen und halal einkaufen. Damit ist er weitgehend auf der sicheren Seite.

Je weiter man weg ist, desto eher vergisst man die Ähnlichkeiten. So verlangte die Schleswig-Holsteinische CDU unter ihrem Spitzenkandidaten Günther im letzten Landtagswahlkampf einen Schweinefleischtag in deutschen Kantinen einzuführen.
Damit sollte auf populistische Art den Islamophoben ein Zuckerchen gegeben werden. Die AfD war begeistert; wer sich als Muslim nicht den deutschen Essgewohnheiten anpasse und Schwein fresse, solle doch wieder gehen.
Daß dieses Anliegen der Nord-CDU genauso antijüdisch wie antimuslimisch war, übersah man. Für Juden ist Schweinefleisch genauso tabuisiert.

Angesichts der Beschneidungsdebatte, die aus Rücksicht vor der jüdischen Bevölkerung damit endete, daß das deutschen Parlament potentiell tödliche und grausame chirurgische Eingriffe an Babypenissen erlaubte, wurde diese religiokulturelle Ähnlichkeit deutlich. Bezüglich der Genitalverstümmelung ticken Juden und Muslime ganz ähnlich.

Legendär auch der plötzliche Frieden zwischen Jerusalemer Christen, Juden und Muslimen, als in der Stadt der der World-pride-day veranstaltet werden sollte. Der gemeinsame Schwulenhass vereinte die drei Erzfeinde.

Diese Kultur-Gemeinsamkeiten führen zu bizarren Problemen. Der gemeinsame Hass von Israelis und Amerikanern auf den Iran führte beispielsweise zu der Idee den Export Iranischer Pistazien zu sanktionieren. Mit dem angenehmen Nebeneffekt, daß kalifornischen Pistazien-Produzenten auf neue Absatzmärkte hoffen.
Nicht bedacht dabei wurde allerdings, daß Iranische Pistazien die besten sind und daß niemand so viele Pistazien pro Kopf isst wie Israelis. Israelis und Iraner haben genau die gleichen kulinarischen Vorlieben.

Das ist ein besonders sinnloser Aspekt am Bruderkrieg. Man schneidet sich immer ins eigene Fleisch.
Vor über 30 Jahren war ich mal versehentlich während eines 1.Mai-Wochenendes in einer Kreuzberger Wohnung direkt am Kotbusser Tor einquartiert.
Als gesitteter Hamburger staunte ich nicht schlecht wie martialisch es dort zuging. Während man morgens in einer großen WG-Küche saß, kamen allerlei Gestalten wie selbstverständlich herein und füllten kleine Wasser-Spritzflaschen mit Leitungswasser.
Ziemlich absurd angesichts der riesigen Wasserwerfer unten auf der Straße  fand ich. Was sollte das denn? Da könnte man ja gleich mit Wattebäuschen werfen.
Als ich schließlich nachfragte, bedeutete man mir seufzend, das brauche man doch heute zum Augenausspülen. Wegen des Tränengases. Ach so.
Das verstand ich gerade noch. Rätselhafter war mir aber wieso man im antikapitalistischen Rausch ausgerechnete dem winzigen Dönershop nebenan und dem Gemüseladen die Scheiben einschlug. Sollte man sich nicht besser in Reichenvierteln oder den Luxus-Einkaufsstraßen prügeln, als ausgerechnet in der eigenen Nachbarschaft, in der sowieso 95% der Menschen grün oder links wählen?
2017 bei den G20-Auseinandersetzungen in Hamburg gab es tatsächlich mal einen Demozug durch eine gehobenere Wohngegend.  Zu Klump geprügelt wurde aber wieder die links-alternative Schanze
Nicht beteiligt und von der Polizei ausdrücklich gelobt waren übrigens die linken Schanzenbewohner rund um die berüchtigte Rote Flora selbst. Auch die Jungs hatten offenbar keinen Bock mehr ihre eigene Hood in ein Trümmerfeld zu verwandeln.
Genutzt hat es aber nichts, denn es gab genügend Zugereiste, die unter ihren schwarzen Klamotten 600-Euro-Marken-Sneacker, Calvin-Klein-Unterhosen und 800-Euro Apple-phones trugen. Die waren weniger ortskundig.

Und so war es wie immer bei Bruderkriegen: Man hatte sich gewaltig in den eigenen Fuß geschossen, während der golfende Trump in seinen Luxus-Resorts unbehelligt blieb.