Freitag, 15. April 2016

Wie mich die allgemeine Verblödung nervt.



Natürlich und völlig zu Recht empören sich heute viele Journalisten über die Anti-Böhmermann-Entscheidung der Kanzlerin.
Ich schließe mich dem an.

Es gibt eine zweite Gruppe, die sehr viel empörter über das „Schmähgedicht“ an sich sind und immer wieder einzelne Zeilen zitieren. So würden sie sich auch nicht beschimpfen lassen und im Übrigen wäre es rassistisch, weil damit alle 78 Millionen Türken diskriminiert würden.

Das ist schon erstaunlich, wie viele Menschen nach zwei Wochen des medialen Dauerfeuers immer noch nicht begriffen haben worum es geht: Böhmermann zeigte auf was erlaubte Satire ist und grenzte dagegen verbotene „Schmähkritik“ ab, die er zur Illustration mit bösem Gesicht vortrug; immer betonend, daß man dazu nicht klatschen dürfe, daß dies nicht erlaubt sei. Selbst ein juristisch hochgebildeter Heribert Prantl, der zu Recht fordert den Schahparagraphen abzuschaffen, kann es sich nicht verkneifen immer wieder drauf hin zu weisen wie abscheulich und dumm er diesen kleinen Teil aus Böhmermanns Satire findet.
Dabei ist es juristisch selbstverständlich vollkommen irrelevant ob irgendeinem dieses „Schmähgedicht“ gefällt. Satire muß überhaupt niemand gefallen. Auch wenn jeder einzelne Mensch des Planeten Böhmermanns Satire-Strecke schlecht findet, wäre das noch lange kein Grund sie zu verbieten.

Ein dritte Gruppe Journalisten mischt sich nicht in die persönliche Bewertung der Causa ein, geriert sich aber als besonders schlau, indem sie allen Anderen Unwissenheit unterstellt, weil diese eine Entscheidung des Gerichts vorweg nähmen. Es wäre doch sehr schlau von der Kanzlerin nun den Fall in die Hand unabhängiger Richter abzugeben und ob die gegen Böhmermann entschieden, wäre schließlich noch offen.

Beispiele:

Die Bundesregierung überlässt das Urteil deutschen Gerichten. Gelingt mir beim besten Willen nicht, mich darüber zu empören.
(Stefan Niggemeier 13:14 - 15 Apr 2016)

Merkels Entscheidung ist richtig: Im Fall Böhmermann muss die Justiz urteilen, nicht die Politik. Ein Maulkorb für Satire ist das aber nicht.

Greven und Niggemeier verstehen offenbar nicht, daß die juristische Klärung ohnehin auf dem Wege des § 185 StGB erfolgt. Erdogan hatte Böhmermann schließlich auch schon privat wegen Beleidigung verklagt.
Dafür ist der § 185 StGB da; unabhängige Gerichte klären, ob es sich um eine erlaubte Äußerung handelt, oder strafbar beleidigend ist.

Die Kanzlerin hat nun aber – gegen den ausdrücklich Protest ihres SPD-Außenminister, ihres SPD-Vizekanzlers und ihres SPD-Justizministers – noch zusätzlich eine juristische Prüfung über den § 103 StGB freigemacht. Die Besonderheit dieses Paragraphs liegt eben darin, daß der Strafrahmen extrem hoch ist und daß Ermittlungen der Zustimmung der Bundesregierung bedürfen. Die ist in diesem Fall eben nicht neutral, weil Merkel schon vor zwei Wochen in vorauseilendem Gehorsam Böhmermann verurteilt hatte, indem sie der türkischen Regierung erklärte das „Schmähgedicht“ wäre „bewußt verletzend“.
Abgesehen davon, daß also Merkel auch zu denen gehört, die offensichtlich die gesamte satirische Strecke gar nicht gesehen und daher den Zusammenhang nicht verstanden hatte, hätte sie als Exekutive keine juristisch Bewertung vorab vornehmen dürfen, bevor sie eben diesen von ihr schon schuldig Gesprochenen mit der Autorität der Kanzlerin der Judikative vorwirft.

Rechtsanwalt Ströbele erklärt das wunderbar:

Die Kanzlerin will Erdogan milde stimmen und verheddert sich. Presse- und Meinungsfreiheit drohen auf der Strecke zu bleiben. Sie entscheidet politisch, die Ermächtigung zu erteilen, daß Böhmermann nun auch nach § 103 StGB wegen Beleidigung des türkischen Präsidenten Erdogan mit einer höheren Strafdrohung Freiheitsstrafe von 3 bis 5 Jahren verfolgt werden kann. Danach klingen Ihre Beschwörungen des hohen Wertes von Pressefreiheit, Meinungs- und Satirefreiheit hohl. Die Begründung, die unabhängige Justiz - Staatsanwaltschaft und Gericht - sollten entscheiden, ob eine strafbare Beleidigung vorliegt, rechtfertigt ihre Entscheidung keineswegs. Die Justiz entscheidet sowieso, nachdem Erdogan Strafantrag gestellt hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und prüft, ob Anklage wegen Beleidigung nach § 185 StGB erhoben wird. Völlig absurd, daß die Kanzlerin den Weg frei macht für die Anwendung der Strafvorschrift, die sie selbst für entbehrlich hält und abschaffen wird. Das alles nur, um Erdogan milde zu stimmen.

Wie ist die Angelegenheit aber politisch zu bewerten?
Hat nicht Herr Erdogan ein Eigentor geschossen, weil er eine kleine Spartensender-Sendung mit homöopathischen Einschaltquoten erst bekannt gemacht hat? 99% der Menschen, die jetzt über die angeblichen Beleidigungen Erdogans reden, wüßten gar nichts davon, wenn der türkische Präsident sie nicht selbst so aufgebauscht hätte.
Ist Erdogan etwa genauso dumm wie Joseph Ratzinger, der im Juli 2012 mit seiner Klage gegen die Titanic ein ihn schmähendes Bild, das sonst gar nicht bemerkt worden wäre, erst bundesweit bekannt gemacht hatte?

In diese Richtung dachte Claus Kleber vor einigen Tagen, als er Michael-Hubertus von Sprenger,  den Anwalt von Erdoğan, grillte.


Ein interessanter, aber irrelevanter Gedanke. Ich bin überzeugt, daß es Erdoğan persönlich recht gleichgültig ist was ein ihm unbekannter Nachwuchssatiriker in einem Minisender erzählt.
Dem türkischen Präsidenten geht es um eine Machtdemonstration und um Rache.

Als er 2003 Regierungschef wurde, ging er mit großen Schritten auf die Europa zu, krempelte sein Land um, liberalisierte und generierte ein gewaltiges Wirtschaftswachstum. Die EU-Mitgliedschaft war der Türkei schon lange versprochen worden.
2005 kam dann aber Merkel ins Amt und trat ihm mit Wucht ins Schienbein.
Sie bedeutete ihm, daß 40 Jahre Versprechungen nicht zählten, daß sie die Türkei generell für zu minderwertig hielte, um jemals zur EU zu gehören, allenfalls eine „privilegierte Partnerschaft" sei drin.
Erdoğan wurde durch die Kanzlerin schwer gedemütigt. Offensichtlich wuchs sich diese Kränkung im Laufe der Jahre zu einer echten Psychose aus. Jahr für Jahr wurde er immer skrupelloser und machtgieriger. Vor zwei Jahren zettelte er sogar die militärische Auseinandersetzung mit den Kurden wieder an, obwohl er selbst Jahre zuvor den Friedensprozess eingeleitet hatte.
Ab 2010 empfand der Türke die Herablassung und Geringschätzung durch Merkel möglicherweise noch viel stärker, weil der NATO-Partner Türkei mit dem Flüchtlingsstrom aus Syrien allein gelassen wurde. 2,5 Millionen Syrer hat Erdoğan aufgenommen, während sich „der Westen“ einen schlanken Fuß machte, im Falle Merkels die Nahostkonflikte durch Waffenlieferungen noch anheizte; 2015 sogar direkt an die von Ankara so verhassten Kurden.

2016 bekommt Erdoğan nun endlich die Chance sich zu rächen. Die geopolitischen Umstände haben sich so gedreht, daß Merkel nun ihn braucht. Das will er sie spüren lassen, weil er eine Dekade Wut auf Deutschland angesammelt hat.
Nun kann er Merkel springen lassen wie er möchte und das beweist er mit dem Vorgehen gegen Extra3 und das Neo-Magazin-Royale.

Merkel badet also auch ihre eigenen Fehler aus. Ihre Ablehnung der EU-Mitgliedschaft von vor zehn Jahren, ihr absurdes Flüchtlingstausch-Konzept mit Ankara und nun auch noch ihre erbärmliches Vorpreschen, als sie Böhmermanns Text als „bewußt verletzend“ verurteilte.

Möchte man der ganzen Angelegenheit etwas Gutes abgewinnen, so ist es der klare Unterschied zwischen SPD und Union. Alle SPD-Bundesminister haben sich scharf gegen Merkels § 103 StGB-Entscheidung ausgesprochen.
Möge man also bei den nächsten Wahlen für die SPD und nicht für die CDU stimmen.

Der kleine parteitaktische Vorteil für die Sozis wird allerdings durch den gewaltigen Imageschaden für die Politik insgesamt überstrahlt.
Seit Jahr und Tag wird das politisches Desinteresse der Jugendlichen, der Rückgang der Wahlbeteiligung, die EU-Skepsis, die Re-Nationalisierung beklagt.

Und genau dem Affen gibt Merkel nun Zucker.
AfDler und Aluhüte haben nun die Bestätigung: Politik ist korrupt, der EU geht es nur um Machtinteressen, man steht nicht für Werte ein…

Deswegen ist Merkels heutige Entscheidung auch so scharf zu verurteilen.

Georg Restle, Oliver Kalkofe und Michael Schmidt-Salomon haben das bereits so schön aufgeschrieben, daß ich abschließend die drei Herren zitiere, statt selbst in Koprolalie zu verfallen.

[…] Auch wenn die Zulassung einer Klage und das Verweisen an die Gerichte sachlich eine korrekte Alternative war und ist -
ich persönlich schäme mich gerade ganz furchtbar...
für die massive Eierlosigkeit und Rückgratschwäche unserer Regierung
(wobei das Statement der Kanzlerin deutlich sagte, dass ihre Entscheidung wohl nicht von vielen mit getragen wird, weshalb sie die Erklärung auch komplett alleine abgab).
Mein Bauchgefühl sagt mir, wir erlebten hier gerade den Anfang vom Ende der Ära Merkel...
Ein mutloses, unsouveränes und potentiell fatales Zeichen.
In einer Lose-Lose-Situation wurde am Ende die Doppel-Lose-Entscheidung gewählt...
und egal ob das inhaltlich korrekt ist oder nicht, egal wie es begründet wird - das Zeichen der Kanzlerin gegen unsere Presse-Meinungs-Satirefreiheit und das Einknicken vor der überzogenen Reaktion eines schnaubenden Despoten, nur um das wichtige Abkommen nicht zu gefährden -  dieses Zeichen zeigt keine Stärke, keinen Mut und keine Souveränität.
Und wird letztendlich als trauriges Einknicken und Verrat an den Werten des eigenen Landes stehen bleiben.  Egal ob das nun stimmt oder nicht.
Der Bumerang wurde vielleicht lasch geworfen, wird aber mit Wucht im eigenen Nacken landen. Und den falschen Leuten in die Hände spielen...
Ich habe solch eine Entscheidung zwar befürchtet, hätte aber niemals geglaubt dass sie so wirklich geschieht.
Dies ist vielleicht nicht der Tod der Satirefreiheit, aber ein kräftiger Tritt von Mutti in deren Eier, die ihr selber gerade verloren gegangen sind.


Was für ein Kotau! Die Bundeskanzlerin geht vor dem türkischen Präsidenten in die Knie und erlaubt es tatsächlich, dass deutsche Staatsanwälte gegen Jan Böhmermann ermitteln. Dabei hat Böhmermann nur das getan, was man von einem Satiriker erwarten darf: Er hat provoziert. Er hat die Regeln des Anstands bewusst verletzt. Er hat einen selbstherrlichen Herrscher der Lächerlichkeit Preis gegeben. Das muss nicht jedem gefallen; soll es auch gar nicht. Schon gar nicht dem türkischen Präsidenten.
Dass die Bundeskanzlerin ihre Entscheidung jetzt auch noch mit dem Hinweis auf Rechtsstaat und Gewaltenteilung rechtfertigt, macht allerdings sprachlos. War sie es doch selbst, die Böhmermann gegenüber dem türkischen Präsidenten auf beispiellose Art und Weise vorverurteilt hat. Dabei ist der Spezialparagraph 103 StGB ein rechtsstaatlicher Anachronismus. Er soll die auswärtigen Beziehungen schützen, ganz gleich ob es um Despoten, Diktaturen oder Folter-Regime geht.
Und da droht demnächst noch Schlimmeres. Wenn die Pläne der Bundesregierung und der EU Wirklichkeit werden, werden wir demnächst mit Libyen, Äthiopien oder dem Sudan die nächsten Deals abschließen. Man mag gar nicht dran denken, wenn sich die Bundesregierung künftig nicht nur von Herrn Erdogan, sondern auch von einem sudanesischen Präsidenten erpressen lässt, der ein international gesuchter Kriegsverbrecher ist. Auf genau diesen Pfad hat sich die Bundeskanzlerin heute begeben. Ein Pfad, der zeigt, dass diese Kanzlerin und diese Bundesregierung offenbar vor nichts mehr zurückschrecken, wenn es nur darum geht, Flüchtlinge von Europa fern zu halten. Dass sogar elementare Menschenrechte verhandelbar geworden sind, nicht nur in der Türkei, sondern auch hier in Deutschland.
Jan Böhmermann hat all dies nolens volens offen gelegt. Dafür sollte man ihn mit Preisen überhäufen; statt ihm die Staatsanwälte auf den Hals zu hetzen.


"Wer hat Böhmermann verraten? Christdemokraten!"
Der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon hat die Entscheidung der Bundesregierung, eine Strafverfolgung gegen Jan Böhmermann auf der Basis von §103 StGB zuzulassen, als "Kniefall vor einem Despoten" kritisiert, der "in seinem eigenen Land den überkommenen Straftatbestand der Majestätsbeleidigung nutzt, um politische Gegner auszuschalten."
Die Erklärung von Kanzlerin Merkel, in Deutschland solle nicht die Regierung, sondern die Justiz "das letzte Wort" haben, weshalb die Ermächtigung zur Strafverfolgung "keine Vorverurteilung Böhmermanns" bedeute, bezeichnete Schmidt-Salomon als "heuchlerisch": "Eine Ermächtigung zur Strafverfolgung kann nur dann erteilt werden, wenn ein hinreichender Tatverdacht besteht. Insofern muss die deutsche Kanzlerin zumindest unterstellen, dass Jan Böhmermann gegen §103 StGB verstoßen haben könnte. Dies ist jedoch absurd, wenn man den Kontext berücksichtigt, in dem das umstrittene Gedicht ‚Schmähkritik‘ vorgetragen wurde."
"Echte Schmähkritik setzt voraus, dass der Kritiker seine Schmähungen ernstmeint", erklärte Schmidt-Salomon. "Liegt diese Voraussetzung hier vor? Ganz sicher nicht! Denn niemand, der die Sendung gesehen hat, und noch halbwegs bei Verstand ist, wird davon ausgehen, dass Jan Böhmermann ernsthaft unterstellen wollte, dass der türkische Präsident ungewöhnlich kleine Genitalien hat und sexuell mit Ziegen und Schafen verkehrt! Böhmermann ging es um etwas völlig anderes (siehe das Transkript der Sendung): Seine Satire zielte darauf ab, dass Erdogan zwischen berechtigter Satire und verbotener Schmähkritik nicht unterscheiden kann, was der türkische Präsident mit seiner Reaktion auf die ZDF-Sendung dann ja auch eindrucksvoll unter Beweis stellte. Schon allein dies wäre tragisch-komisch genug und ein Beleg für Böhmermanns satirische Qualitäten! Leider aber scheint auch die deutsche Kanzlerin samt ihrer Berater, wie sich heute gezeigt hat, nicht über das erforderliche Differenzierungsvermögen zu verfügen, denn ansonsten hätte sie dem Strafverfolgungsinteresse der Türkei aufgrund fehlenden Tatverdachts niemals nachgeben dürfen!"
Positiv hob Schmidt-Salomon hervor, dass sämtliche SPD-Minister gegen die Strafverfolgung gestimmt haben: "In Anlehnung an eine alte Redewendung, die ursprünglich gegen die SPD gerichtet war, könnte man heute sagen: ‚Wer hat Böhmermann verraten? Christdemokraten!‘ Wie schon bei der Sterbehilfedebatte ist die CDU/CSU nun auch bei der Frage des Umgangs mit der Türkei all jenen in den Rücken gefallen, die die Prinzipien einer offenen Gesellschaft stärken wollen. Die Kanzlerin hätte heute die Chance gehabt, ein klareres Profil zu zeigen und dem türkischen Präsidenten eine Lehrstunde in Sachen Demokratie, Meinungs- und Kunstfreiheit zu erteilen. Diese Chance hat Angela Merkel kläglich vergeben." […][…]