Dienstag, 10. Juni 2014

Atheismus als Religion.


Es ist nun schon über einen Monat her, daß ich über das religiotisch verflachte Gefasel der ZEIT so in Rage geriet, daß ich in einem 12-seitigen, eng bedruckten Brief mein Abo kündigte.

Die ZEIT bestätigte mir den Eingang des Schreibens, reagierte aber dann die nächsten vier Wochen nicht.

……  Als Textchefin und Leserbriefbeauftragte der ZEIT freue ich mich, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, sich mit unserer Arbeit auseinanderzusetzen. Kritik und Lob sind uns gleichermaßen willkommen – denn nur so können wir für Sie das bestmögliche Blatt machen.
Sie können versichert sein, dass wir Ihre Zeilen aufmerksam lesen werden. Geben Sie uns dazu nur bitte ein wenig Zeit, denn inzwischen erreichen uns – online, per Mail oder ganz klassisch – per Brief monatlich mehrere Tausend Leserbotschaften. Und in der Regel arbeiten all die, die am Entstehen einer Ausgabe beteiligt gewesen sind, längst an der nächsten, wenn die ersten Reaktionen bei mir eintreffen...
Es grüßt Sie derweil herzlich aus Hamburg
Anna von Münchhausen
Textchefin/Redaktion
(ZEIT 12.05.14)

Daß die gute Frau „von Münchhausen“ heißt, passt gut mit meiner Erwartungshaltung bezüglich einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit meinen Anmerkungen zusammen.

(Und da Ironie ohne große Warnschilder manchmal nicht erkannt wird:
Nein, ich rechne NICHT damit, daß der Chefredakteur einer großen Wochenzeitung mit über 500.000 Auflage persönlich meinen Brief liest und womöglich gar die Ausrichtung seines Blattes deswegen ändert!)

Betrachtet man DIE ZEIT unter religiotischen Gesichtspunkten, ist sie in den letzten Wochen sogar noch extremer geworden.

In der aktuellsten ZEIT-Ausgabe ist die Rubrik „Glauben und Zweifeln“ übrigens mal wieder auf den doppelten Umfang ausgedehnt worden. Nur das „Zweifeln“ hat di Lorenzo  - wie üblich – vergessen.
Zunächst gibt es ein Interview mit Leonardo Kardinal Sandri, der aber nicht etwa korrekt in der Form „(Vorname) Kardinal (Nachname)“ beschrieben wird, sondern tumb Kardinal Leonardo Sandri genannt wird.
Aber das kennen wir ja vom „klugen“ die Lorenzo – seine Kirchenbejublungsseiten strotzen vor Fehlern.
Außer dem äußerst untertänig geführten Kardinal-Interview gibt es noch einen Aufsatz von stramm Papst-treuen Chef der Katholischen Nachrichten Agentur (KNA) Ludwig Ring-Eifel und schließlich eine ganze weitere Seite voll des Lobes über Papst Franzens Nahost-Reise.

Die Pfingstausgabe titelte sogar durch und durch fromm und widmete gleich drei ganze Seiten dem Kirchismus.
Verpackt in die scheinbar kritische Überschrift „Suche Segen ohne Gott“ berichten am 05.06.14 die stramm christliche Chefin Evelyn Finger und ihre Kollegen über die segensreiche Wirkung von christlichen Ritualen, nach denen sich angeblich auch Atheisten vor Sehnsucht gieren.

Der fromme Giovanni di Lorenzo bejubelt die Renaissance der religiösen Rituale.

Suche Segen ohne Gott: Immer mehr Menschen feiern Taufen Hochzeiten und Begräbnisse jenseits der Kirche. Manchmal helfen sogar Pfarrer mit. Ein Blick in die neue ZEIT-Ausgabe….

Nur zwei Tage später am  Samstag, den 07.06.14 erschien, vorgezogen durch Pfingsten der neue SPIEGEL mit der Titelgeschichte „Ist da jemand? Die Zukunft der Religion: Glaube ohne Gott.“

Wenn plötzlich mehrere große Periodika mit derselben Geschichte titeln, haben sie in der Regel einen gemeinsamen Anlass.
Diesmal war es aber nicht das Datum der Ausgießung des HeiGei (08.06.2014 & 09.06.2014), sondern das posthum erschienene Buch des Philosophen Ronald Dworkin, der sich an eine Art Synthese zwischen Atheismus und Religiotismus macht.


Natürlich sind alle Religioten, die sich gar fürchterlich über das Schrumpfen des deutschen Kirchismus grämen, schwer begeistert von der These. Atheisten sind in Wahrheit eigentlich auch religiös. Ätschi!
Badde, Englisch, Keller, Finger, Kässmann, Spaemann, Mosebach, Lohmann, Matussek, Hahne und Co, die seit vielen Jahren trotz des pausenlosen Schlagens der Werbetrommel hilflos der Abkehr vom Christentum zusehen mußten, haben endlich einen Ausweg.

Die naheliegenden Gründe für die Abkehr vom Christentum kommt den Frommen leider nicht in den Sinn:

1.) Ihr Ideologie ist antihumanistischer Mist
2.) Sie schreiben lahm und langweilig.

Deutsches Christentum 2014 ist leider weitgehend unerträglich, wenn man sein Hirn nicht komplett abgeschaltet hat.


Buchbesprechung Andreas Englisch: "Franziskus. Zeichen der Hoffnung"
Auch in seinem neuen, bestenfalls eine wirre Anekdotensammlung zu nennenden Machwerk verwechselt der Boulevardschreiber Andreas Englisch sein unappetitliches Schnüffeln am Rock des neuen und des alten Papstes mit Journalismus.


Andreas Englisch: "Franziskus – Zeichen der Hoffnung"
Wie schwer es ist zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt, lässt sich aus diesem sagenhaft zusammengestoppelten Machwerk des gläubigen Vatikan-Hofberichterstatters Andreas Englisch erkennen. "'Wisst ihr denn auch, warum kein Mensch einen Reporter braucht'", lässt er darin Papst Benedikt 16. einen ihn begleitenden Journalistentross fragen und auch sogleich die Antwort geben: "'Weil vor 2000 Jahren genau hier am Berg der Seligpreisungen ein Mann stand, der gesagt hat, Selig sind die Barmherzigen … Kein Reporter hat damals mitgeschrieben, und doch hat die Zeit dieses Wort nicht auslöschen können.' … Als er das sagte, dachte ich, er hat recht." Leider hat Andreas Englisch daraus die Konsequenz gezogen und hat von Reporter auf Apostel umgesattelt.

Üblicherweise schreibt der SPIEGEL wesentlich bessere Artikel über Religion als die ZEIT. Das kann sehr kurzweilig zu lesen sein, wenn beispielsweise Peter Wensierski der Autor ist.
Zumal Matthias Matussek nun zu seinen Freunden von der stramm rechten WELT gewechselt ist.

Um es vorweg zu nehmen: Diesmal ist das leider überhaupt nicht gelungen.
Man hätte schon allein deswegen skeptisch sein müssen, weil zur Titelgeschichte ein zweiseitiges Interview mit dem ultrafundamentalistischen Topreligioten Robert Spaemann gehört, der sich spätestens mit seinen blind hetzenden Hassattacken gegen Konfessionslose während der Beschneidungsdebatte als ernstzunehmender Philosoph endgültig disqualifizierte.


Als Christ des Tages Nummer 64 ist Spaemann immer wieder durch groteske Verwünschungen aufgefallen.
Wieso Spiegel-Autor Roman Leick ein devotes Interview mit ihm im Zusammenhang mit der Titelgeschichte führen durfte wird wohl das ewige Geheimnis des neuen Chefredakteurs Wolfgang Büchner sein.

Roman Leick ist zusammen mit Susanne Beyer auch der Autor der Titelstory, die sich wesentlich am Pastor Johann Hinrich Claussen aus Hamburg Harvestehude und eben Ronald Dworkins Buch „Religion ohne Gott“ orientiert.

Für diejenigen, die sich noch nicht mit Dworkin beschäftigt haben, sei auf die Buchkritik von Thomas Assheuer verwiesen. Assheuer berichtet wohlwollend über Dworkin, zeigt aber auch die eklatanten Schwächen des Buches auf.

Hauptkritikpunkt ist die mangelnde Allgemeingültigkeit des Dworkin-Ansatzes. Er argumentiert aus einer sehr amerikanischen Perspektive und hat die dortigen Ausprägungen der alltäglichen Volksfrömmigkeit vor Augen.

Hätte George W. Bush die Al-Kaida-Terroristen nicht foltern lassen, wenn er zuvor Religion ohne Gott gelesen hätte? Würden Islamisten, die ihre Religion zur Waffe machen, sich beim Blick in den Sternenhimmel mit Andersgläubigen verständigen können? Natürlich nicht, aber vermutlich hatte Dworkin eher jenen geistigen Bürgerkrieg in den USA im Blick, in dem liberale Atheisten und konservative Evangelikale sich wechselseitig den Teufel an den Hals wünschen. Dworkin ist jedenfalls die Bestürzung über den heillosen Streit um das Heil anzumerken, dieser scheint sogar seine Theorie des Liberalismus zu verdunkeln.


Leick und Beyer haben offensichtlich auch Assheuer gelesen. Aber ob sie Dworkin richtig verstanden haben, ist mehr als fraglich.

Dessen Thesen be- oder widerlegen sie nicht, sondern setzen sie einfach voraus.
Ein Atheist muß laut der SPIEGEL-Titelgeschichte frustriert davon sein, daß seine Weltsicht so gar keinen Platz für Schönheit und „Erhabenes“ hat. Deswegen sehnt er sich nach Metaphysik.
So einfach ist das.
Als Beleg wird die seit Jahren immer wieder zitierte Bertelsmannstudie herangezogen, nach der große Teile der Gesellschaft religiös sind – auch wenn sie aus der Kirche ausgetreten sind.
Es handelt sich um jene methodisch fragwürdige Studie, in der Interesse am Phänomen Religion mit Religiosität verwechselt wird. Schon Michael Schmidt-Salomon beklagte sich, daß er nach Ausfüllen des Bertelsmann-Fragebogens als hochreligiös gezählt wurde.

Leick und Beyer nehmen es aber nicht so genau mit der Wissenschaft und versteigen sich sogar zu der abstrusen Aussage die Naturwissenschaften wendeten sich von der reinen Vernunft ab, da sie erkannt hätten wie viele „Irrationalismen“ (Laut Dworkin also letztendlich auch „religiöse Phänomene“) die Rationalität bestimmten.
Das, Entschuldigung lieber SPIEGEL, ist natürlich blanker Unsinn.

Vollends grotesk werden Leick und Beyer aber erst, wenn sie Nichtgläubigen ohne überzeugende Herleitung einfach als „religiös“ abstempeln, indem sie ihnen andichten sich unerfüllt zu fühlen. Sie hätten „ein Problem.“

So haben nicht nur die Christen zu kämpfen mit den Zumutungen ihres Glaubens, auch Atheisten haben ein Problem: Die Ratio absolut zu setzen, das funktioniert nicht mehr. [….] Die Rationalität fordert ihr Recht, aber eben auch das Gefühl. Niemand will in einer total entzauberten Welt leben. Außerdem lauert in der Gottlosigkeit, so haben es schon viele Dichter und Denker gesehen, allen voran Friedrich Nietzsche und Fjodor Dostojewski, der Nihilismus, die totale Verneinung. Eine Gesellschaft aber kann nicht auf Nihilismus bauen, sie braucht verbindliche Werte, Menschen, die eine Einsicht haben in die Notwendigkeit ethischen Verhaltens. Wenn also Gläubige Schwierigkeiten haben mit der überkommenen Bilderwelt und Atheisten den drohenden Nihilismus fürchten, könnte eine „Religion ohne Gott“, über die Claussen in seiner Predigt nachdenken will, ein gemeinsamer Nenner sein, auf den sich Theisten und Atheisten einigen. […] Fordern nicht der Glaube und der Unglaube ein Bekenntnis und auch die gegenseitige Konfrontation, damit sich die jeweiligen Positionen schärfen und weiterentwickeln können?
(DER SPIEGEL 24/2014 s.61)

Was für ein Unsinn. Hier sprechen Religiöse, die sich nicht aus ihrer eingeschränkten Weltsicht lösen können.
Wer nicht metaphysisch tickt, fürchtet sich vor Nihilismus und betreibt totale Verneinung.
Geradezu absurd, daß dem Unglauben „ein Bekenntnis“ abverlangt wird.
Hier dringt die uralte Mär von den Atheisten ohne Werte durch.
Dabei ist es genau umgekehrt.
Unsere Menschenrechte wurden weitgehend gegen den erbitterten Widerstand der Religionen erkämpft.

Und nur weil ein Atheist nicht an das Hirngespinst „Gott“ glaubt, ist er deswegen kein bißchen emotional oder ethisch eingeschränkt. Ganz im Gegenteil; erst der „evolutionäre Humanismus“ befähigt zu einer Ethik ohne religiöse Beschränkungen.
Und schon gar nicht bedeutet Rationalität den Ausschluß von Kunst.
Kunst gibt dem Atheisten Empfindungen, Emotionen und die Erhabenheit, die sich die SPIEGEL-Autoren in ihrer verengten Sicht der Dinge offenbar nicht ohne Religion vorstellen können.

Aber es wird noch schlimmer.

Wenn man Dworkin folgt, gibt es für Gottesgläubige und Ungläubige, für Theisten und Atheisten, keinen Grund, einander zu bekämpfen. Sie wären wahlweise in einem religiösen oder allgemeinen Humanismus vereint. Der säkulare Humanismus wäre selbst eine Spielart der Religion, weil er auch ein Glaube ist: eben an diese unveräußerlichen Werte, an deren Wahrheit, Gültigkeit.
(DER SPIEGEL 24/2014 s.62)

Der SPIEGEL deutet den Humanismus säkularer Prägung also zu einer „Spielart der Religion“ um, obwohl es gerade die Religion war, die den Humanisten über Jahrhunderte feindselig gegenüber stand. Noch heute sind es die Religiösen, die sich in erster Linie gegen Frauen- oder Schwulenrechte, also HUMANISTISCHE Anliegen wehren.

Über die letzten Zitate Leicks und Beyers möge man sich allein weiter ärgern. Atheisten und Wissenschaftler kämen ob ihrer Eingeschränktheit an Grenzen und da beträten sie automatisch die religiöse Welt.
Es erübrigt sich ob der offensichtlichen Idiotie ein Kommentar.

Die Entzauberung der Welt durch die Wissenschaft, die Technik und die Rationalität ist eine geistige Leistung. Der reduktionistische Materialismus greift zu kurz.  Das menschliche Denken, die Erkenntnisfähigkeit, bleibt in sich selbst gefangen. So hat der Geist aber keinen Ausdruck für das, was dem Menschen immer wieder begegnet: die Erfahrung des Erhabenen. Diese Erfahrung ist eine des Gefühls. Und hier beginnt die religiöse Dimension. […]
Der Blick auf die Schönheit des Universums ist ein unwissenschaftlicher Blick – und insofern ein religiöser. Die Physik kann selbst nicht erklären, warum das Universum als schön erkannt wird. Das religiöse Empfinden bleibt der Erklärung der Wissenschaft einen Schritt voraus.
[….] Was Unsterblichkeit, das Leben nach dem Tod, wirklich bedeutet, lässt sich ausmalen, aber nicht ernsthaft denken. Dennoch ist es ein attraktives Angebot derjenigen Religionen, etwa des Christentums und des Islam, die es verheißen. Es nimmt die Furcht vor dem Nichts, der vollständigen Auslöschung.
(DER SPIEGEL 24/2014 s.63)

Oh Dear. SPIEGEL goes Finger. Wenn nicht sogar Englisch.