Freitag, 12. September 2014

Subsidiarität


Jeder deutsche Bundespolitiker, der etwas auf sich hält übt so lange das Wort „Subsidiaritätsprinzip“ auszusprechen, bis es ihm in jedem zweiten Satz flüssig über die Lippen kommt.
Wer von Subsidiarität spricht, erweckt den Eindruck sich im Dschungel der Zuständigkeiten auszukennen und zudem das Fach „politische Theorie“ belegt zu haben.
Mit so einem schönen Begriff im Wortschatz klingen selbst unterbelichtete Blitzbirnen wie Alexander Dobrindt fast intelligent.
Der Zungenbrecher wirkt zudem latent ehrfurchteinflößend und erstickt damit die Frage danach, was das eigentlich bedeutet im Keim.
Dabei bedeutet „Subsidiaritätsprinzip“ im politischen Sinne einfach nur, daß die Leute möglichst selbst entscheiden sollen und dementsprechend wenige Befehle von ganz oben kommen sollen. Angewendet wird es insbesondere auf Entscheidungshierarchien; beispielsweise Kommune -> Kreis -> Bundesland -> Bund  -> EU.
Die EU soll also nicht über Dinge entscheiden, die ein Kreistag selbst regeln könnte.
Üblicherweise wird das „Subsidiaritätsprinzip“ abhängig von der eigenen Position in der Hierarchie angewendet. Je weiter unten man steht, desto wichtiger ist einem die Regel.
Zudem ist das „Subsidiaritätsprinzip“ themenabhängig.
Lange Zeit galt es Konservativen als Ehrensache nicht in die Familien hineinzuregieren. Vergewaltigen in der Ehe oder das Schlagen von Kindern wollte die Rechte in Deutschland möglichst lange nicht unter Strafe stellen. KITAs galten als Teufelszeug.
Bei Homoehe und Abtreibung argumentieren Konservative genau umgekehrt; da sollten gerade staatliche Regeln von ganz oben durchgesetzt angewendet werden.

Besonders schön läßt sich das „Subsidiaritätsprinzip“ beschwören, wenn man gleichzeitig auf zwei, drei oder mehr verschiedenen Hierarchieebenen sitzt.
Dann kann man sich für alles Gute selbst loben und das was beim Urnenpöbel nicht gut ankommt auf „die da oben schieben“.
Horst Seehofer bestimmt als CSU-Chef die Personalien bis hinunter in die Bezirke, prägt die Landespolitik, ist einer der großen drei Entscheider in der Bundespolitik und bestimmt als solcher auch über das Brüsseler Personal mit.
Die bösen Brüsseler Beamten lassen sich in Bayerischen Wahlkämpfen trefflich verdammen und verulken, wenn man dabei verschweigt, daß die meisten dieser Beamten aus Deutschland kommen und maßgeblich von Führungsfiguren wie Merkel und Seehofer ausgesucht wurden.
Ebenso schön poltert es sich gegen die Bundesregierung in Berlin, wenn man in niederbayerischen Festzelten dezent verschweigt, daß die CSU diese Bundeskanzlerin gewählt und diesen Koalitionsvertrag ausgehandelt hat.

Gurkenkrümmungsverordnungen wurden auf Druck der deutschen Gemüsegroßhändler von deutschen Politikern durchgedrückt.
Es war die erste Merkel-Regierung, die Brüssel dazu zwang das Glühbirnenverbot zu exekutieren.

Es ist nicht die Schuld Europas oder des Bundes, daß es keinen flächendeckenden Breitbandinternetzugang gibt.
Wer sich tagtäglich über das Rumpel-Internet ärgert und sich beim Downloaden den Hintern platt wartet, kann dafür geradezu grotesk plastisch die Schuldigen ausmachen.
Es sind auf Bundesebene Alexander Dobrindt (im Kabinett Merkel III Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur) und auf Europaebene Günther Oettinger designierter EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft.


Beide zeigen ihre Eignung für das Thema schon durch ihre exzellenten Englischkenntnisse.



Solche Typen fallen aber nicht vom Himmel, sondern sind die klassischen Resultate davon, daß der Urnenpöbel massenhaft CDU und CSU auf den Wahlzetteln ankreuzt.
Letztlich ist es die beliebteste Kanzlerin aller Zeiten, die solche Personalien verbricht.
Ihr Händchen für extrem ungeeignete Personen ist legendär. Man erinnere sich nur an Verteidigungsminister Jung, Familienministerin Schröder, Gesundheitsminister Gröhe, diverse CDU-Generalsekretäre oder die Fehlgriffe im Bundespräsidialamt.
Wer Merkel wählt oder sie dadurch in den Sattel hebt, daß er nicht zur Wahl geht, darf sich nicht über die Pfeifen Oettinger und Dobrindt beklagen.


Tatsächlich ist Subsidiarität (von lat. subsidium „Hilfe, Reserve“) auf der alleruntersten Ebene verankert. Es ist der einfache Wähler, der sich bei Bundes- und EU-Wahlen erbärmliche Funktionäre wie Juncker aussucht, die dann in so grotesker Weise Lobbyinteressen gegen die kleinen Wähler durchsetzen, daß man die Funktionsfähigkeit der Demokratie wirklich bezweifeln muß.

Man sollte doch annehmen, daß der Urnenpöbel in den letzten sechs Jahren ein Gefühl dafür entwickelt haben müßte, daß Investmentbanker und Derivatehändler die ganze Welt in den Abgrund stoßen.
Es sind Banker, die halb Europa ruiniert haben. Dafür bluten nun Griechen und Spanier. Der Steuerzahler ist so doof, daß er die Verluste der Banker verstaatlichen läßt und die Gewinne privatisiert.
Und damit es schön so weitergeht, wird die Brüsseler Finanzpolitik gleich direkt von einem korrupten Bankenlobbyisten gesteuert.
Möglichen machen es Juncker und die EVP, die vom EU-Pöbel zur größten Macht im Parlament aufgeblasen wurde. Jetzt gibt es inkarniert von Jonathan Hill die Strafe für so viel Wählerdoofheit.

[….] Am Donnerstag hat Jean-Claude Juncker die neue Kommission vorgestellt. Die Namen waren im Vorfeld bekannt, die Dossierzuteilungen überraschten dann sogar manchen Experten.
So verantwortet künftig ein gemäßigter Euroskeptiker den Bereich Finanzen in der EU-Kommission. Der Brite Jonathan Hill war Camerons erste Wahl, wohl weil er als treuer Konservativer gilt. [….] Parlamentspräsident Martin Schulz nannte den britischen Kommissar einen "radikalen Anti-Europäer".  Vor seiner Tätigkeit im Oberhaus, war der 54-jährige Lord Hill Lobbyist und PR-Manager. In Brüssel ist er nun für die Banken zuständig. Und das, obwohl gerade aus Großbritannien Widerstand gegen mehr Regeln für den Finanzsektor kommt. Nirgendwo kann ein britischer Kommissar also die Interessen seiner Heimat besser vertreten als auf diesem Posten. [….] Ebenso als "Fehlgriff" wird der ungarische Kandidat, der FIDESZ-Politiker Tibor Navracsics, von Lunacek bezeichnet. Er soll künftig für Bildung, Kultur und Jugend zuständig sein. Dabei ist besonders die FIDESZ-Regierung in der Vergangenheit immer wieder für Medienzensur und fragwürdige Kulturpolitik angeprangert worden.  Auch der spanische Kandidat, Miguel Arias Cañete, fiel Anfang des Jahres unangenehm auf. Mit Frauen könne man keine gleichberechtigte Diskussion führen, soll der konservative Politiker und künftige Energiekommissar vermeldet haben. Würde ein Mann außerdem seine intellektuelle Überlegenheit demonstrieren, gelte das gleich als sexistisch, ärgerte sich Arias Cañete laut Medienberichten. [….]

[….] Der konservative Brite und ehemalige Finanzlobbyist Jonathan Hill soll in Zukunft ausgerechnet für die Finanzmarkt- und Bankenregulierung zuständig sein. Eine Fehlbesetzung, wie sie im Buche steht.  Jonathan Hill gehört zu den Mitbegründern der britischen Lobbyberatungsfirma Quiller Consulting. Quiller Consulting hat unter anderem die global agierende HSBC Bank und viele andere Finanzmarktakteure beraten. Somit ist Hill bestens in der Londoner Finanzbranche vernetzt. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Londoner Finanzbranche Hills Nominierung begrüßt und feiert. [….]


[….] Nach dem monatelangen Poker um die wichtigsten Ressorts in der neuen EU-Kommission bleibt für Deutschland nur ein Platz in der zweiten Reihe. Merkels CDU-Parteigenosse Günther Oettinger hat in der Behörde keinen der sieben machtvollen Vizepräsidenten-Posten ergattert - und verantwortet auch keines der Schlüsselressorts.
[….] Künftig aber wird er sich um das Mini-Ressort Digitales kümmern, also Telekommunikation, Netzausbau oder Urheberrechte. Und wird auch noch von dem Esten Andrus Ansip als Vizepräsident überwacht. [….] Nichtsdestotrotz regnete es prompt Häme. Der FDP-Fraktionschef im EU-Parlament, Alexander Graf Lambsdorff, nannte die Personalie eine »schallende Ohrfeige für die Bundesregierung«. Der grüne Europa-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht sprach von der »größten Fehlbesetzung« der neuen Kommission unter Jean-Claude Juncker. Das EU-Parlament muss dem Personalpaket noch zustimmen.
[….] Am meisten überraschte Juncker mit der Berufung des konservativen britischen Europaskeptikers Jonathan Hill zum Finanzkommissar. Ausgerechnet Großbritannien: Die Briten wollen ihre Bankenmetropole London schützen und bremsen regelmäßig bei EU-Vorstößen. Laut EU-Diplomaten ist dies ein großes Zugeständnis an Premier David Cameron, damit das Land in der EU bleibt. Cameron will sein Volk 2017 über einen EU-Austritt abstimmen lassen. Nun könnte Hill die von Cameron geforderten Reformen der EU im Londoner Sinne vorantreiben. [….]

Da wird es in den nächsten Jahren wieder viele Gründe geben, sich gegen „die da oben“ zu empören.


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