Es schleichen sich gern mal Narrative im Journalismus ein, die jeder unkritisch repetiert und schließlich auch alle glauben, weil es so oft gelesen und gehört wurde.
Die Grünen sind eine Verbotspartei, Merz ist der Mann mit der enormen Wirtschaftskompetenz, die Griechen sind alle faul, Wolfgang Bosbach ist ein ehrlicher Klartextmann, etc pp.
Sieht man sich diese Konnotationen genauer an, sind sie aber falsch.
Manche Figuren werden aber auch richtig geframt. Donald Trump ist meines Erachtens tatsächlich extrem ungebildet, denkfaul und nur an seinem eigenen Wohl interessiert.
Ich glaube auch an das bekannte Putin-Narrativ; er teste kontinuierlich, wie weit er gehen könne, überschreite systematisch Grenzen und verstehe nur Stärke.
Daß er seinen Handlungsspielraum täglich misst, scheint mir offensichtlich. Nicht hundertprozentig sicher bin ich in der Frage, ob er sich von (militärischer) Stärke einschüchtern lässt. Könnte er womöglich von einem direkteren Eingreifen der NATO oder Angriffen auf russisches Staatsgebiet so gereizt werden, daß er zu ABC-Waffen greift? Dieser Gedanke, der offenkundig in vielen EU-Regierungen kursiert, läßt sich nicht beweisen oder widerlegen.
Wir erinnern uns aber an den 24. November 2015, als zwei russische Kampfjets von Syrien aus, in den Luftraum des NATO-Staats Türkei eindrangen. Ankara ließ sofort F-16s aufsteigen, warnte die russischen Piloten mehrfach und schoss eine Suchoi Su-24 ab. Die Besatzung, bestehend aus dem Piloten Oleg Peschkow und Waffensystemoffizier Konstantin Murahtin, konnte sich zwar zunächst mit Schleudersitzen retten, wurde aber am Boden von einer syrischen Miliz aufgegriffen und umgebracht. Putin war not amused, überzog die Türkei mit Sanktionen. Aber nachdem alle verbalen Dampf abgelassen hatten und die Türkei die Leiche Peschkows ehrenvoll nach Russland überführt wurde, näherte man sich schnell wieder an. Heute sind Putin und der fast gleichaltrige Erdoğan beste Kumpels. Das russische Militär verletzte nie wieder türkischen Luftraum und beim Umgehen lästiger EU-Sanktionen, steht Ankara Moskau hilfreich zur Seite.
Zehn Jahre später fliegen russische Aufklärungsdrohnen Drohnen täglich über sensibler deutscher Infrastruktur, sogar über Kasernen. Es gibt kontinuierlich russische Cyberangriffe auf die NATO, die russische Schattenflotte verschifft munter Gas und Öl über die Ostsee in die EU und Kampfjets dringen in den Estnischen und polnischen Luftraum ein.
[…] Wladimir Putin testet die Grenzen: Zwei russische Kampfflugzeuge sind nach Angaben des polnischen Grenzschutzes in die Sicherheitszone einer Bohrplattform in der Ostsee eingedrungen. Die polnischen Streitkräfte seien informiert worden, teilt die Behörde auf X mit. Die Jets seien im Tiefflug über die Bohrplattform Petrobaltic geflogen. Dabei sei die Sicherheitszone der Plattform verletzt worden. […] Kurz zuvor hatte bereits Estland mitgeteilt, dass russische Kampfjets vom Typ MiG-31 in den Luftraum des baltischen Landes und Nato-Mitglieds eingedrungen seien. Die drei Maschinen seien zwölf Minuten lang unerlaubt im estnischen Luftraum gewesen, sagte Außenminister Margus Tsahkna. Die MiG-31 sind Abfangjäger, also Jagdflugzeuge, die feindliche Luftfahrzeuge abfangen und vernichten sollen. Sie sind das kampfstärkste Jagdflugzeug der russischen Armee, erreichen eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 3000 Kilometer pro Stunde und besitzen Waffen mit großer Reichweite. Für die Kampfflugzeuge der Nato ist der MiG-31 ein ernst zu nehmender Gegner. Die Jets kommen regelmäßig in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zum Einsatz. [….]
Anders als das Nato-Land Türkei, wagen es Balten, Polen und Deutsche aber nicht, sich gegen die russischen Sticheleien zu wehren. Sie machen das, was Putin erwiesenermaßen überhaupt nicht beeindruckt: Empörte Pressemittteilungen, Beschwerden und die EU bereitet nach 18 völlig wirkungslosen antirussischen Sanktionspaketen, nun Nummer 19 vor! Darüber hinaus scheißen sich alle EU-Regierungschefs kräftig in die Hosen und blicken bange nach Washington: Was wird Trump sagen? Wird er Putin verurteilen? Beschützt Trump uns? Hilft er den schwächelnden Europäern im Baltikum?
Diese Europäische Hasenfüßigkeit sendet zwei Signale aus:
Erstens versteht Putin das als Einladung, weiter seine Muskeln spielen zu lassen. Die EU-Heulsusen werden es nicht wagen, sich ihm in den Weg zu stellen.
Zweitens wird Trump in seinem Misstrauen gegenüber Brüssel bestätigt. Wenn die schon nichts tun, muss die USA schon gar nicht militärisch gegen Russland aktiv werden.
Im gestrigen Presseclub/internationaler Frühschoppen herrschte diesbezüglich völlige Einigkeit: Merz führt nicht, Brüssel nässt sich ein, Putin fühlt sich gestärkt und insbesondere das deutsche Volk versteht überhaupt noch nicht, welcher enormen Bedrohung es ausgesetzt ist, sondern steckt den Kopf in den Sand: Einfach keine Waffen mehr an die Ukraine liefern, devot gegenüber dem Kreml auftreten und dann wird schon alles gut.
Nein, ich weiß auch nicht, wie es in Putins Kopf aussieht und habe kein sicheres Rezept dafür, wie man Frieden in Europa schafft und russische Expansionspläne eindämmt.
Aber so sicher ich vor einem halben Jahrhundert war, daß die EU Putin die Hand reichen sollte, um gemeinsam Politik zu machen (was auch beispielsweise 2003 gegenüber GWB sehr gut funktionierte), so sicher bin ich mir heute, daß es mit Putin keine Gemeinsamkeiten mehr gibt und daß er das Lavieren der EU seit 2014 immer nur als Aufforderung versteht, noch weiter zu gehen. Das 97. Sanktionspaket, an das wir uns noch nicht mal selbst halten und für Milliarden weiter Gas aus Russland einkaufen, kann offenkundig nicht die Lösung sein. Wenn wir Mig-31s ungehindert über uns rumfliegen lassen und wir uns noch nicht mal trauen, russische Drohnen über Bundeswehrkasernen abzuschießen, senden wir natürlich ein klares Signal nach Moskau: „Wir sind willige Opfer und wollen von dir missbraucht werden!
Ich kann es kaum glauben und erinnere mich an keinen Präzedenzfall, aber beim Thema „russische Jets“ stehe ich eher auf der Seite der CDU, als bei der taz, die vor Eskalation warnt:
[…] Die estnische Insel Vaindloo, seit wenigen Tagen europaweit bekannt, hat wenig zu bieten. […] Ist es deswegen harmlos, dass das russische Militär nach estnischen Angaben den Luftraum um die Insel verletzt hat? Nein. Hoheitsgebiet ist Hoheitsgebiet und erfahrungsgemäß lügt die russische Regierung, wenn sie den Überflug leugnet. Sollte die Nato aber im Wiederholungsfall russische Kampfjets abschießen, wie es in den letzten Tagen mehrere CDU-Politiker und implizit auch ein Kommentar in der taz gefordert haben? Ebenfalls nein. Legitim wäre ein solcher Schritt zwar. Unter Mitwirkung des Westens würde damit aber eine neue Eskalationsstufe erreicht – ohne großen Nutzen.
Für den russischen Überflug und vergleichbare Vorfälle der letzten Wochen sind mehrere Motive denkbar. Erstens: Russland will testen, wie gut die europäische Verteidigung funktioniert. Unter Vorbehalt – keiner von uns war vor Ort – kann man sagen: Sie hat funktioniert. Nato-Jets waren zur Stelle und hätten wohl eingreifen können, wenn die Gefahr eines Angriffs konkret geworden wäre. Zweitens: Russland wollte die europäische Bevölkerung verunsichern. Ein Stück weit ist das gelungen: Wem wurde ob der ersten Eilmeldungen aus Estland nicht mulmig? […]
Allerdings gibt es in der taz auch andere Stimmen; Redaktionskollege Dominic Johnson beschrieb es 24 Stunden zuvor ganz anders.
[….] Warum also reagiert die Nato nicht, wenn Russland Spähdrohnen nach Polen schickt, Kampfdrohnen über Rumänien leitet und zuletzt sogar drei Kampfjets zwölf Minuten lang ohne Kommunikation durch den Luftraum Estlands fliegen lässt? Die Türkei hat es vorgemacht: Man muss sich Respekt verschaffen. Klar, die russischen Jets wurden, wie es heißt, aus dem estnischen Luftraum „eskortiert“. Und man weiß nicht, wie Russland reagieren würde, wenn man auf eine russische Provokation Taten und nicht nur Worte folgen ließe. Aber man weiß, wie Russland reagiert, wenn man bei Worten bleibt: mit der nächsten Provokation, immer eine kleine Stufe höher. Je untätiger die Nato gegenüber Vorstößen aus Russland bleibt, desto mehr ermutigt sie russische Aggression. [….]
Der Kanzler hört aber offenkundig nicht auf Jürgen Hardt und Roderich Kiesewetter. Seine Möchtegern-Führungsrolle in der EU gibt Merz auf.
Schluss mit Außenkanzler. Deutschland isoliert sich in der EU und legt Brüssels Außenpolitik lahm. Ein katastrophale Fehlleistung des Kanzlers. Zur UN-Generalversammlung fliegt er erst gar nicht. Er lässt Macron im Stich.
[….] Kurz bevor am Dienstag bei den Vereinten Nationen in New York die diesjährige Generaldebatte beginnt, machen Frankreich und Saudi-Arabien am Vorabend der Uno-Generalversammlung einen spektakulären diplomatischen Aufschlag. Präsident Emmanuel Macron und der zugeschaltete saudische Kronprinz Mohammed bin Salman möchten bei einem Gipfeltreffen mit Dutzenden Staats- und Regierungschefs für eine Zweistaatenlösung im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern werben. Um den Druck auf Israel zu erhöhen, werden weitere westliche Staaten einen palästinensischen Staat anerkennen, darunter Frankreich. Am Sonntag hatten als erste der wirtschaftsstarken westlichen G7-Staaten Großbritannien und Kanada Palästina als Staat anerkannt, auch Australien und Portugal schlossen sich an.
Die Bundesregierung verfolgt einen zunehmend einsamen Kurs in der Nahostpolitik. [….] Die Bundesregierung weigert sich, einen Staat Palästina offiziell anzuerkennen. [….][….] Bundeskanzler Friedrich Merz betonte zuletzt, dass die Anerkennung eines palästinensischen Staates »gegenwärtig« nicht zur Debatte stehe. [….] Weltweit haben bereits rund 150 Staaten die palästinensischen Gebiete als Staat anerkannt. [….] Die vier Parteichefs von CDU, CSU und SPD vereinbarten am Sonntag in München, dass Deutschland vorerst keinen EU-Handelssanktionen gegen Israel zustimmen wird. Einen entsprechenden Vorstoß von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sehen die Koalitionsspitzen kritisch [….] Fest steht: Solange Deutschland blockiert, gibt es auf EU-Ebene nicht die benötigte Mehrheit für Sanktionen.
In weiten Teilen der EU stößt die Idee von Handelsbeschränkungen gegen Jerusalem auf Zustimmung. [….] Besonders die CSU steht bei Sanktionen auf der Bremse. »Wir weisen immer wieder darauf hin, dass wir aus unserer historischen Verantwortung ein historisch gewachsenes Freundschaftsverhältnis zu Israel haben«, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann am Montag. Und da gelte: »Dass man Freunde kritisieren kann, aber eben nicht sanktionieren«.[….] Jedes Jahr im September findet die Uno-Generalversammlung im New Yorker Hauptquartier der Vereinten Nationen statt. Es ist das wichtigste Diplomatie-Event des Jahres. Für Präsidenten und Regierungschefs ist das die Gelegenheit, sich der Weltöffentlichkeit zu präsentieren und ihre Vision von einer globalen Weltordnung vorzustellen. Und sie haben die Chance, am Rande der Konferenz wichtige Absprachen zu treffen und neue Kontakte zu knüpfen. Donald Trump, Benjamin Netanyahu, Chinas Premier Li Qiang – sie alle werden da sein. Doch der Bundeskanzler fehlt. [….] Für den Kanzler hat das den vielleicht ja nicht ganz unwillkommenen Nebeneffekt, dass er sich und die deutsche Israelpolitik nicht gegenüber ausländischen Partnern rechtfertigen muss. In New York dürfte sich dieser Tage zeigen, dass Deutschland mit seiner Nahostpolitik zunehmend allein dasteht. Dass es um Merz einsam wird. […]
Wieder ein Signal der Unterwürfigkeit aus dem Kanzleramt zum Kreml: Mit uns kannst du es machen!
Einmal mehr erweist sich Fritze Merz als internationales Desaster.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Feedback an Tammox