Seit 100 Jahren lernen wir, was nicht funktioniert: Nazis einhegen.
Sie mäßigen sich nicht durch Verhandlungen. Werden nicht durch Zureden milde gestimmt. Verzichten nicht auf Radikalität, wenn man ihren Forderungen nachgibt. Ziehen sich nicht zurück, wenn ihr Hass übernommen wird. Erlernen keinen Pragmatismus, wenn man mit ihnen koaliert.
Es nützt nichts, mit Hitler zu verhandeln.
Seither ist kein faschistischer Diktator verschwunden, indem die Opposition, die Presse oder das Ausland ihm bescheinigten, berechtigte Thesen zu vertreten.
Demokratien überleben nicht, indem sie sich an Autokraten anpassen und sich gefallen lassen, demokratische Werte zu stutzen. Appeasement und Chamberlainismus sind Irrwege.
Kaum zu glauben, aber wahr: Dennoch schmiegen sich europaweit Konservative an die Nazis an, plappern ihre Thesen nach, umwerben ihre Wähler, schmeicheln ihren Egos. Immer mit den gleichen Effekten: Die Nazis werden stärker, die Konservativen schwächer, die Demokratie wackeliger.
Selbstverständlich führt die von Söder, Merz, Reiche, Spahn, Dobrindt betriebene Politik zum Schrumpfen der Union und boostet die AfD auf Rekordhöhe.
Das schändliche Verhalten einiger Teile des ÖRR – ein Tiefpunkt war sicherlich Spahns vorgestriger Auftritt bei Miosga – treibt die AfD in immer neue Höhen.
Man gibt als Disney nicht Trump den kleinen Finger und hofft, deswegen fürderhin von ihm in Ruhe gelassen zu werden.
Man lässt als NATO-Staat nicht russische Kampfjets ohne Konsequenzen über sich kreisen und erwartet für seine Milde, auch von Putin mit Milde bedacht zu werden.
Man zieht nicht den Kopf ein vor Rechtspopulisten, damit diese sich von allein besinnen.
Man gibt nicht in vorauseilendem Gehorsam die Redefreiheit auf.
Man duldet keine „national befreiten Zonen“.
Man findet sich niemals damit ab, wenn Queere, People Of Color oder Menschen mit Kippa, auf der Straße nicht mehr sicher sind.
[….] Warum Michel Friedman nicht in Mecklenburg lesen darf
[….] Der jüdische Autor sollte eigentlich im Literaturhaus der kleinen Ostseestadt Klütz auftreten. Jetzt wurde die Einladung zurückgenommen – offenbar auf Druck des Bürgermeisters. [….] [Der Chef des Uwe-Johnson-Literaturhaus] Oliver Hintz war es auch, der den jüdischen Schriftsteller Michel Friedman bat, zur Eröffnung der Hannah-Arendt-Woche aus seinem Buch „Mensch! Liebeserklärung eines verzweifelten Demokraten“ zu lesen, und Friedman sagte zu. Was dann passierte, scheint dem Buch selbst entnommen zu sein. Hintz schildert es heute so: Eine Mitarbeiterin des Literaturhauses, deren Gesinnung schon zuvor kein Geheimnis war, drohte offen, die Lesung von Michel Friedman zu verhindern oder aber sich mindestens der Organisation der Veranstaltung komplett zu verweigern. Im Anschluss wandte sie sich an die Stadt, wenig später wurde Oliver Hintz zum Gespräch gebeten. Er solle, hieß es dort, die Einladung an Friedman zurücknehmen [….] Den Klützer Bürgern, erklärte man Hintz, sei ein solcher Auftritt nicht zuzumuten. Die Belastung der Steuerzahler wurde angeführt, obwohl die Kosten für Friedmans Auftritt von den Unterstützern der Hannah-Arendt-Woche getragen worden wären – und Friedman selbst angeboten hatte, im Zweifel auf Honorar zu verzichten. Beides war schon zu diesem Zeitpunkt kein Geheimnis mehr.
Als Oliver Hintz, der in Lübeck aufgewachsen ist, die Stelle angetreten hat, wusste er von dem Ruf des sogenannten Klützer Winkels. Es ist allgemein bekannt, dass es dort eine sehr ausgeprägte, selbstbewusste rechtsextreme Szene gibt, aber so dramatisch hatte er es sich doch nicht vorgestellt. Nicht weit von Klütz liegt die völkische Siedlung Jamel, über die immer wieder auch bundesweit berichtet wird. Und als neulich in Grevesmühlen, einem Nachbarort von Klütz, der erste Christopher-Street-Day stattfand, marschierten 350 Neonazis dagegen auf. Auf die AfD entfallen in der Gegend an die 40 Prozent der Wählerstimmen. [….] Bürgermeister Jürgen Mevius gehört der Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWG) an. [….] Die Schweriner Kulturministerin Bettina Martin (SPD) bezeichnet die Ausladung als „verheerendes Zeichen“. Sie beobachte, schreibt sie in einem Statement, die Einschüchterungsversuche rechtsextremer Kräfte gegen Kulturschaffende mit großer Sorge. [….]
Was für eine Schande! Merz heult auf in München Krokodilstränen bei der Wiedereröffnung der Synagoge und ein paar Tage später zeigt sich der deutsche Staat von seiner gräßlichsten antisemitischen Seite. Es geht hier nicht nur gegen Michel Friedmann. Nein, Deutschland wirft damit die wichtigsten demokratischen Werte über den Haufen. Mevius und Klütz sind die Inkarnationen all dessen, das schief läuft.
[….] Friedman kritisiert „peinliche Heuchelei“
Friedman kritisierte in einem Interview mit dem NDR Mevius scharf und sprach von einer „peinlichen Heuchelei“. Der Publizist und Jurist argumentierte, der Bürgermeister hätte im Sinne einer wehrhaften Demokratie zeigen müssen: „Der Staat lässt sich von Antidemokraten nicht erpressen.“
„Dieser Bürgermeister antizipiert, dass bei einer Veranstaltung, die im Oktober 2026 stattfindet, also in über einem Jahr, anscheinend die Rechtsextremen so stark sind, dass er seine Stadt nicht schützen kann, wenn Michel Friedman zu Besuch kommt“, sagte Friedman. Die Kunst-, Kultur- und Meinungsfreiheit dürfe nicht gefährdet sein, weil eine vorweggenommene Einschüchterung durch Rechtsextreme angenommen werde. [….]
Mevius, an Peinlichkeit und Erbärmlichkeit nicht zu übertreffen, jammert nun, die Stadt habe sich den Schutz Friedmans nicht leisten können: Das Honorar Friedmans sei deutlich höher als bei Lesungen von Schriftstellern dort üblich. Eine ungeheuerliche Lüge, denn Friedman hatte auf das Honorar verzichtet und die Sicherheitskosten wurden von einem anderen Träger des Vereins übernommen.
Wieso ist Mevius noch im Amt? Wo sind Merz und Dobrindt?
Ach, ja, die hatten ja erst im Januar Friedman mit ihrem profaschistischen Kurs selbst aus der CDU getrieben.
[….] Die Ausladung von Michel Friedman ist eine Einladung an Neonazis
Ausgerechnet bei einer Veranstaltung zu Ehren der jüdischen Philosophin Hannah Arendt darf der Publizist nun doch nicht auftreten. Angeblich, weil der Auftritt zu teuer wäre. [….] Friedman [….] hat das Buch „Mensch! Liebeserklärung eines verzweifelten Demokraten“ veröffentlicht, in dem er, der Sohn von Holocaust-Überlebenden, vor rechtsextremer Gewalt und Gleichgültigkeit warnt. In Klütz, einem Örtchen im Mecklenburger Nordwesten, sollte er anlässlich des 120. Geburtstags von Hannah Arendt über Demokratie sprechen. Doch der Leiter des örtlichen Literaturhauses sah sich auf Drängen der Stadtvertretung gezwungen, Friedman wieder auszuladen. Im Ort habe man Angst vor rechten Protesten, hieß es. Nach zwei Tagen Stille widersprach der Bürgermeister: Friedmans Gage sei zu hoch, das Vorhaben vor allem zu teuer.
Auch wenn über die Gründe gestritten wird: Diese Ausladung ist eine Einladung. An Neonazis, die in Nordwestmecklenburg seit den Neunzigern ihren Traum von „Blut und Boden“ leben, in den Gemeinderäten sitzen, in Facebook-Videos Spanferkel drehen und politische Gegner markieren. Sie können erneut den Eindruck gewinnen, dass sie nicht in der Mehrheit sein müssen, sondern nur da. Schon wird in ihrem Sinne gehandelt, in vorauseilendem Gehorsam, im Namen der Ruhe.
Man bekämpft Rechtsextreme nicht, indem man ihnen gibt, was sie wollen. Man schützt niemanden, indem man sagt: Bleib weg. Es ist gut, dass der Fall so ein breites Echo findet, die Politik zu solidarischem Handeln zwingt. [….]
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