Dienstag, 19. August 2025

Handyverbot für Eltern

Neulich ließ ich mich einmal hinreißen. Tat etwas, das man als kinderloser Ü50-Mann niemals tun sollte. Ich kommentierte auf Bluesky einen Thread, in dem mehrere sächsische Jungmütter die Preise von Kita-Mahlzeiten und Schulkantinen beklagten. Es sei viel zu teuer, während sich „die Politiker“ in der Landtagskantine besseres Essen leisteten. Als Mütter fühlten sie sich nicht gewürdigt und „die Politiker“ dürften sich dann auch nicht über niedrige Geburtenraten wundern. Zahlreiche weitere Kindererzeuger posteten empört, die Summen, die ihre Brut in den Schulen für das Essen zahle. Ossi-Anspruchsdenken par excellence.

Mütter und Kinder sind ein heikles Thema in der Politik. Jede Partei inszeniert sich als besonders kinderfreundlich; es gibt hunderte verschiedene, sich teilweise widersprechende Familienleistungen in den Etats von Kommunen, Ländern und Bund. Aktuell bereitet die CSU-Mütterrente von 19 Euro dem Finanzminister Kopfzerbrechen.

Es dürfte unstrittig sein, daß es sich für den Staat lohnt, in die Jugend zu investieren, daß Bildung nicht vom Portemonnaie der Eltern abhängen darf, daß Kinder allein zu erziehen, ein enormes Armutsrisiko darstellt.

Ebenfalls unstrittig ist allerdings, daß die wenigsten der finanziellen Maßnahmen zielgerichtet sind; wie Kindergeld und Mütterrente nach dem Gießkannenprinzip auch an die ausgeschüttet werden, die es überhaupt nicht nötig haben. Von dem Ehegattensplitting profitiert man sogar, umso mehr, je reicher man ist, während bedürftige Mütter gar nichts davon haben.

Also, ja, liebe Mütter, die Ihr Euch über Kita-Kantinenpreise echauffiert: Ihr habt da einen validen Punkt; es geht sehr ungerecht zu. Außerdem ist es teurer, sich nicht um Kinder zu kümmern und sie bildungsfern in Prekariatsstrukturen aufwachsen zu lassen. So produziert man die Kriminellen und Transferleistungs-Abhängigen von morgen und nicht etwa, in die Rentenkasse einzahlende Gutverdiener.

Fast alle CDUCSUFDP-Politiker beklagen, es würde zu wenig gearbeitet in Deutschland. Die Bürger sind also faule Säcke, die es sich im Bürgergeld gemütlich machen?
Damit fehlinterpretieren Linnemannmerzspahn bewußt die Zahlen. Denn bei der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit, werden die Teilzeitler mit eingerechnet. Oft Frauen, die durchaus mehr arbeiten möchten, das aber nicht können, weil es insbesondere in Westdeutschland, Bayern!, viel zu wenig Kinderbetreuung gibt.

Also ist mindestens ein Elternteil gezwungen, maximal eine halbe Stelle anzunehmen.

Rentenpolitiker, die sich über den demographischen Wandel grämen und überlegen, wie man mehr Beitragszahler generiert, sprechen schon von der Frauen-Reserve. Es gäbe natürlich eine höhere Durchschnittswochenarbeitszeit, wenn es überall genügend Kita-Plätze gäbe. Außerordentlich perfide, wenn ausgerechnet die konservativen Herdprämien-Politiker, die Mütter zu Hausfrauen machen möchten, gleichzeitig über die ihrer Ansicht nach zu geringe Arbeitsleistung in Deutschland klagen.

Die Bluesky-Damen regte ich aber auf, indem ich auf die seit des Pillenknicks konstant niedrigere Geburtenrate verwies. Kita-Essen-Preise haben offenbar keinen Einfluss auf das Gebärverhalten.

Ich wurde nach der Erfindung der Antibabypille geboren und kann über Preise der Schulverpflegung gar nicht mitreden, weil es das zu meiner Schulzeit in den 1970ern und 1980ern selbst im reichen Hamburg schlicht gar nicht gab.

Ich war in keiner Kita und habe weder in der Grundschule, noch im Gymnasium jemals etwas zu essen bekommen. Viele meiner Mitschüler bekamen das typische „Pausenbrot“ mit in den Ranzen gestopft, das sie in den großen Pausen vertilgten. Ich allerdings nicht, weil ich schon damals vormittags ohnehin nie aß. Ab ca der 8. Klasse schlichen wir heimlich in den Pausen vom Schulgelände und liefen zu einem kleinen Supermarkt, der fünf Minuten entfernt war. Man musste schon sportlich sein bei 20 Minuten Pause: 5 Minuten hin, Schlange stehen an der Kasse, 5 Minuten zurück.

Aber der VS, der 11. Klasse, verlagerte sich das Problem. Der Lehrermangel war so enorm, daß die Oberstufe stets Nullte Stunde (Beginn 07.05 Uhr) gefolgt von vielen Freistunden und dann wieder Unterricht oft erst in der 7., 8. Stunde. Gern unterbrochen von einer einzelnen Stunde mittendrin, so daß es sich nicht lohnte, nach Hause zu fahren. Aber in den Freistunden blieb genügend Zeit mit dem Bus ins nächste Einkaufzentrum zu fahren und da sinnlos rumzulungern. Wir kannten natürlich ganz genau die Preise der Kaffeeautomaten in der schäbigen Horten- oder Kaufhofkantine, hockten uns dahin, wo es am billigsten war. Scheußlicher Kaffee, nebenbei bemerkt – kein Vergleich zu dem was die Jugendlichen heute alles bei ihren obligatorischen „Coffee to go“ geboten bekommen.

Mein Mutter arbeitete in meiner Oberstufenzeit nicht, die meisten Mütter meiner Freunde aber schon. Normale Jobs. Allein drei waren Verkäuferinnen in dem EKZ, in dem wir uns vormittags rumtrieben.

Wie kann es also sein, daß ich geboren wurde? Und nicht verhungerte?
Daß die Mütter meiner Elterngeneration arbeiteten, Kinder bekamen ganz ohne Kitas und nachmittägliche Betreuung, daß sie uns Pausenbrot einpackten und wir ganz ohne irgendwelche Zusatzleistung der Schulen den Tag durchhielten?
Es liegt an der mangelnden Zeit, die den Jungmüttern durch ihr ewiges Messen mit anderen Müttern in ihren Whatsappgruppen verloren geht. Mütter und Väter hängen unablässig am Handy. Deswegen lassen sie auch ihre Kinder in Freibädern ersaufen.

So berichtet es Marcus Gross, Bademeister im Hamburger Holthusenbad.

[…] »Ich arbeite seit 2009 für Bäderland. Leider hat sich seitdem an der Unachtsamkeit vieler Eltern nichts geändert. Sie kommen ins Bad, setzen ihre Kinder ab und beschäftigen sich ab da mit ihrem Handy, lesen Zeitung oder trinken Kaffee. Ich erkläre ihnen dann, dass sie bei ihren Kindern sein müssen. Wenn die nicht schwimmen können, haben die Eltern auch im Wasser zu sein, ganz einfach. […] Viele Eltern unterschätzen die Gefahren. Sie glauben, Ertrinken sei laut und auffällig, wie im Fernsehen. Dabei ist es oft ein leiser Tod – gerade bei Kindern. Es ist erschreckend, wie schnell das passieren kann. Deshalb sage ich immer: Behalten Sie Ihr Kind im Blick und in Griffnähe, wenn es noch nicht schwimmen kann.

Einmal ging ein Vater kurz auf die Toilette und ließ sein Kind ohne Schwimmflügel allein. Es lief ins Wasser und trieb kurz darauf mit dem Gesicht nach unten, bis mein Kollege es rettete. Zum Glück ging alles gut, aber solche Fälle beschäftigen uns. In der Regel erfahren wir nachher auch nicht, wie es den Kindern geht. Selten kommt ein Dankeschön. […]

(SPIEGEL, 19.08.2025)

Das Thema spielte in meiner Kindheit eine große Rolle, weil es neben unserem Garten Teiche gab, in dem angeblich mal ein Nachbarskind ertrank. Schon meine Oma achtete daher stets mir Argusaugen auf ihre Kinder und predigte, sie müssten als erstes schwimmen lernen.

Auch ich wurde schon mit drei Jahren in eine Schwimmschule geschleppt. Ich erinnere mich immer noch an den Abschlusstag, als ich dachte, ich könne wirklich ganz gut schwimmen und dann von dem Schwimmlehrer mit allen meinen Klamotten ins Becken geworfen wurde. Erstaunlich, wie enorm die Kleidung unter Wasser nach unten zieht.

Wie im Holthusenbad, beobachte ich es auf dem betreuten Abenteuerspielplatz gegenüber meiner Wohnung. Muttern und/oder Vatern rücken mit ihren SUVs an, geben ihren Blagen einen Tritt in den Hintern und hängen in ihr Klugtelefon vertieft abseits auf den Bänken. Interessieren sich nicht die Bohne für ihre Leibesfrüchte.

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