Donnerstag, 30. Juli 2015

Aufmerksamkeitsfehleitung

Alle Achtung.
Das ist mal ein ordentlicher Shitstorm, den Walter Palmer, Dentist aus Minnesota entfacht hat.
Wollte nur mal einen netten kleinen touristischen Trip machen und steht nun als Welt-Buhmann auf den Titelseiten der Boulevardblätter in fünf Kontinenten.
Gibt man die Suchworte „Walter Palmer Dentist“ bei Google ein, bekommt man ungefähr 13.400.000 Ergebnisse.

Zahlreiche Prominente haben den Zahnarzt nicht nur kritisiert, sondern regelrecht dämonisiert. Er sei "Satan" (Rocker-Ehefrau Sharon Ozzbourne), die "armselige Version eines menschlichen Wesens" (Model Cara Delevingne) oder schlicht "krank" (Komiker Ricky Gervais). Von diesem Furor offenbar angestachelt, veröffentlichten unzählige Menschen auf Facebook und Twitter Gewaltphantasien und Morddrohungen.
Die Tierschutzorganisation Peta ging sogar so weit, eine offizielle Erklärung herauszugeben, in der sie die Todesstrafe für Palmer fordert: "Er muss ausgeliefert, angeklagt und, idealerweise, aufgehängt werden."

Ich frage mich schon, ob Palmer von Kim Jong Un oder Baschar al-Assad engagiert wurde, weil sie mal von sich selbst ablenken und jemand anderes zur Hassfigur des Planeten aufbauen wollten.

Die Geschichte dazu dürfte inzwischen jeder kennen; daher nur in Telegramstil:
Palmer, 55, lebt in  Eden Prairie im US-Bundesstaat Minnesota, verheiratet, zwei Kinder frönt seinem Hobby Großwildjagd.
Tiere zu erschießen ist sein Ding.
Beim Internationalen Safari-Klub (Was es alles gibt…) brüstet sich der Zahnarzt mit einer Trophäen-Liste von 43 Tieren, z.B. Büffel, Puma, Elch und Eisbär.
Um einen richtig großen Löwen abzuknallen, gab er rund 50.000 Dollar aus und heuerte Jagd-Organisator Theo Bronkhorst an, der den Löwen „Cecil“ aus dem Hwange-Nationalpark in Simbabwe lockte.
Gemeinsam verfolgte man das 13 Jahre alte Tier über anderthalb Tage bis es Palmer gelang ihn mit einer Armbrust (sic!) zu verwunden. Der Löwe war aber nicht tot, flüchtete weiterhin, wurde schließlich doch noch von Palmer mit einem Gewehr erschossen.

“They went hunting at night with a spotlight and they spotted Cecil,” Johnny Rodrigues, a spokesman for the Zimbabwe Conservation Task Force, told The Guardian. “They tied a dead animal to their vehicle to lure Cecil out of the park and they scented an area about half a kilometre from the park.”
Rodrigues said Palmer first shot Cecil with a crossbow, but it did not kill him. They then “tracked him down and found him 40 hours later” and shot him with a rifle, Rodrigues said.

Palmer posierte mit dem toten Körper, köpfte und häutete „Cecil“, ließ den Kadaver liegen, flog zurück in die USA und brüstete sich mit seiner Tat bei seinen Safari-Freunden, wie er es immer noch seinen „Heldentaten“ tut.

Mit seiner Mega-Armbrust, die besonders schmerzend und brutal tötet, posierte Palmer auch schon nach dem Killen anderer Tiere. 

Palmer mit Leopard

Nashörner zu töten ist angesichts ihrer de Facto-Ausrottung besonders verwerflich.

Palmer mit Nashorn

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen:
Ich halte den Shitstorm für verdient und kann kein Mitleid dafür aufbringen, daß der Mann jetzt wegen der wütenden Reaktionen seine Praxis schließen mußte.
(Seine Mitarbeiter, die ihren Job verloren haben, können freilich nichts dafür.)
Das Töten der Tiere wäre an sich schon den Shitstorm wert, aber daß diese elitären Großwildjäger sich selbst auch noch als edle Sportsmänner und Helden darstellen und von Ihresgleichen dafür bewundert werden, setzt dem Ganzen die Krone auf.

Wieso nun aber ausgerechnet Palmer den Zorn des gesamten Internets abbekommt, ist aber sehr fragwürdig.
Die Story läßt sich von BILD und Co besonders gut verkaufen, weil „Cecil“ angeblich der berühmteste und beliebteste Löwe Afrikas war.

Titelseite Mopo 30.07.2015
Palmer verteidigt sich inzwischen mit einer „Unwissenheit schützt vor Strafe-Strategie“:

I had no idea that the lion I took was a known, local favorite, was collared and part of a study until the end of the hunt. I relied on the expertise of my local professional guides to ensure a legal hunt. I have not been contacted by authorities in Zimbabwe or in the U.S. about this situation, but will assist them in any inquiries they may have. Again, I deeply regret that my pursuit of an activity I love and practice responsibly and legally resulted in the taking of this lion.
(Walter Palmer July 2015)

Und die Süddeutsche Zeitung gibt sich als seriöses Rechercheblatt, indem sie bezweifelt, daß “Cecil” wirklich so berühmt war. Das sei womöglich gewaltig aufgebauscht von westlichen Medien. Die Münchner verweisen auf Alex Magaisa, einen früheren Regierungsberater Simbabwes und Jura-Dozenten der Kent Law School in England, der erklärte weder er, noch seine Bekannten hätten jemals von „Cecil“ gehört.

Hier wird es nun allerdings wirklich unerträglich.
Ja, selbstverständlich bauschen BILD und MOPO und ihre 27.000 Schwester-Boulevardmedien in aller Welt so eine Story auf. Die ist Gold wert, weil sie jeden interessiert. Da wird natürlich ordentlich ausgeschmückt.
So funktioniert die Medienwelt, weil die Konsumenten genauso doof sind, daß sie auf solche Details anspringen.
Hat das Vieh einen Namen, sieht besonders süß oder majestätisch aus, sprudeln die Neurotransmitter in den Synapsen.

Nüchtern betrachtet ist es natürlich von keinerlei moralischer Bedeutung, ob Cecil „Cecil“ oder irgendein Löwe war.
In keinem Fall wäre Palmers Tat weniger schlimm.
Es hat auch keine Bedeutung welches Tier er tötet.
Einen Leoparden, ein Gnu oder eine Hyäne aus purem Vergnügen abzuknallen ist genauso verwerflich.

Gerade beim Tierschutz zeigt sich die ganze Janusköpfigkeit der Menschen.

Homo Sapiens wird völlig willkürlich für andere Tiere aktiv.

Die Greenpeace-Kampagne gegen das Niederknüppeln von Robbenbabys war deswegen weltweit so erfolgreich, weil die weißen Heuler so ein niedliches Kindchenschema und süße Knopfaugen haben.
Daß ein paar Kilometer weiter Rentiere oder Wölfe abgeschossen werden interessiert niemand.
Es gab einen weltweiten Thunfischboykott, als Tierschützer darauf verwiesen, daß in den Thunnetzen auch arme süße Delfine verenden.
Jeder liebt Delfine wegen der TV-Serie „Flipper“ und weil sie diese netten Mundwinkel haben, die Menschen als Lächeln interpretieren.
Für Define werfen wir uns ins Zeug. Daß jährlich Millionen Haie durch das extrem grausamen Finnen bestialisch gefoltert zu Tode kommen, interessiert kaum einen.

Wer weiß was „finning“ ist?

Dabei handelt es sich um eine besonders perfide Grausamkeit des Homo Sapiens. Ob des Irrglaubens Haifischflossen steigerten die Potenz, werden in allen Weltmeeren Haie mit Langleinen gefischt, kurz raufgezogen und dann schneidet man den armen Viechern während sie noch an der Leine hängen bei lebendigem Leibe die Finne (Rückenflosse) und anderen Flossen ab und entsorgt sie im Meer. Der Hai lebt dann immer noch, ist danach jedoch logischerweise schwimmunfähig und sinkt erstickend im Todeskampf zu Boden, wo er qualvoll verendet.
Da ein Kilo Haifischflossen an die 1000 Dollar bringt werden jährlich zwischen 100 und 200 Millionen Haie gefinnt. Fast alle Bestände der größeren Arten sind um mindestens 90% geschrumpft.
Das alles juckt uns nicht, weil Haie nun mal kein süßes Kindchenschema zu bieten haben.
Dank Spielberg hält man Haie immer noch für furchtbar gefährlich und berichtet über jeden Haibiss weltweit.
Pro Jahr werden ungefähr fünf Menschen durch Haie getötet.
Damit sind sie im Vergleich zu Löwen sehr harmlos.
Löwen töten 50-100 Menschen im Jahr.
Aber Löwen haben ein gutes Image.
Bei ihnen akzeptiert jeder Mensch voller Verständnis, daß sie die Top-Prädatoren des Landes sind und geht ihnen aus dem Weg. Nicht einmal der Dümmste würde sich zu einem Löwenrudel fahren lassen und vor ihren Nasen rumhopsen.

Haie sind die Top-Prädatoren des Wassers, aber ihnen springt man vors Maul, plantscht umher und ist zutiefst schockiert, wenn so ein Hai mal zuschnappt.
Homo sapiens hat großes Glück, daß Haie viel vorsichtiger und friedlicher als Löwen sind.
 Noch viel gefährlicher sind Nilpferde, die bei ihren nächtlichen Landausflügen doppelt so viele Menschen killen wie Löwen.
Und selbst Nilpferde sind noch harmlos im Vergleich zu Kokospalmen.
Das sind erst Mistdinger.

 Es werden weltweit im Jahr unter zehn Menschen von Haien getötet, während über hundert Sonnenbadende dadurch sterben, daß ihnen am Strand eine Kokosnuss auf den Kopf fällt.

Nach dem Blauflossen-Thunfisch, der mit einer Maximallänge von 4,5 Metern und einem Maximalgewicht von über 650 Kilogramm ein unglaublich beindruckender spezialisierter Fisch ist, fragt ohnehin keiner.

Jahrzehnte kämpften Tierschützer für ein Verbot Hunde oder Katzen zu essen.
Wenn heute bekannt wird, daß irgendwo im tiefsten Bayern oder der Schweiz nach alter Tradition der alte Hofhund gekocht wird, sind alle entsetzt.
Völlig absurderweise wird das Töten eines Hundes nicht akzeptiert – ausgerechnet auf Bauernhöfen, die vom Tiere-Töten leben und sogar mit großzügiger staatlicher Förderung Kühe, Schweine oder Gänse umbringen.

Schon gar nicht nimmt es jemand Frau Merkel übel, daß sie seelenruhig weiterhin zulässt, daß jeden Tag Millionen süße flauschige Küken lebendig geschreddert werden – aus reiner Profitgier.

Ein Shitstorm des Palmerischen Ausmaßes gegen nationale Regierungen, die das Kükenschreddern zulassen, wäre angebrachter.