Unfassbar, bald bin ich 35 Jahre Mitglied der SPD und wie es sich für einen echten Sozi gehört, hadere ich stets mit meiner Partei, leide an Funktionären und Basis.
Regelmäßig gibt es Momente, in denen ich vor Ärger in die Schreibtischplatte beißen möchte, weil einer meiner roten Anführer etwas unfassbar Dämliches gesagt oder getan hat. Unübertroffen in dieser Hinsicht waren die drei Aggro-Religioten Thierse, Nahles und Griese, die so viele säkulare Mitglieder aus der Partei vertrieben.
Nahles zur Generalsekretärin und Parteichefin zu machen, musste ganz fürchterlich schief gehen, wie ich von Beginn an prophezeite.
Diese Typen, für die ich seit Dekaden brav meine Mitgliedsbeiträge überweise, haben mir viele weiße Haare verursacht. Zum Glück hat Gott die Haarfarbe erfunden.
Meiner Erfahrung nach, ächzen und stöhnen die meisten SPD-Mitglieder immer wieder wegen ihrer Partei, blicken sehnsüchtig auf „die guten alten Zeiten“, als man stärkste Fraktion im Bundestag war und stolz auf die charismatischen Minister, Kanzler und Parlamentarier war, die schon das Richtige tun würden, auch wenn man selbst nicht alles im Detail überblickte. Brandt, Schmidt, Bahr, Matthäus-Maier, Wehner, Struck, Däubler-Gmelin, Freimut Duve, Klose, Ben Wisch, Vogel, Gansel, Stiegler, Schröder, Scholz.
358.000 Mitglieder hat meine so stolze Partei noch; Mitte der 1970er waren es allein in Westdeutschland über eine Million.
Anders als so viele hadernde Mitglieder, war ein Parteiaustritt für mich nie eine Option. Über 30 Jahre meiner Parteimitgliedschaft waren davon geprägt, kein Wahlrecht in Deutschland zu haben, weil mir durch das alte Nazi-Blutrecht die deutsche Staatsbürgerschaft verwehrt blieb. In Deutschland geboren zu sein und eine deutsche Mutter zu haben, war die längste Zeit meines Lebens rechtlich irrelevant. Es zählte nur das väterliche Blut. Dies zu ändern, bedurfte es des hartnäckigen Bemühens der SPD, die mich auch als Ausländer akzeptierte.
Nach wie vor, bin ich fest überzeigt: Es braucht starke Parteien mit einer großen und aktiven Mitgliederschaft, um den demokratischen Pluralismus zu erhalten. Die Flucht der Bürger aus den Parteien, ist ein Alarmsignal für Deutschland. Ich sehe es als Form des Eskapismus; der Rückzug in die Hygge-Welt ohne die böse Politik. Es ist so viel leichter, gegen „die da Oben“, gegen „DIE Politiker“ zu schimpfen, als selbst zu gestalten, selbst um Überzeugungen und Mehrheiten zu ringen, seine private Zeit ehrenamtlich für die Demokratie einzusetzen.
Es gilt drei große Missverständnisse auszuräumen:
Erstens:
Eine Partei, die eine Koalitionsregierung bildet, kann und soll nicht 100% ihres Wahlprogrammes umsetzen. Der Souverän lehnte dies ab und erzwang Kompromisse. Wäre es gewünscht, 100% des Wahlprogrammes umzusetzen, müsste der Wähler die Partei mit über 50% der Sitze des Bundestages ausstatten. Das erreichte die SPD aber nie im Bundestag. „Verrat“ zu brüllen, wenn die SPD in der Regierung etwas anderes umsetzt, als auf dem Parteitag beschlossen, bedeutet, daß man das Grundgesetz und den Parlamentarismus nicht begriffen hat.
Zweitens:
Es ist naiv von einer Partei mit vielen 100.000 Mitgliedern zu erwarten, sie vertrete 100% der eigenen Überzeugungen. Eine Partei ist ein pluraler Verein, insbesondere die linkeren Parteien. Man sucht sich die Partei aus, deren Grundüberzeugungen man teilt und mit deren Programmatik man die größte Schnittmenge hat. Meinen Einstellungen kommt von allen Parteien das SPD-Grundsatzprogramm am nächsten. Deutlich mehr als 50% der Inhalte unterschreibe ich gern. Alle anderen akzeptiere ich als persönlichen Kompromiss, oder aber streite innerhalb der Partei für eine Änderung.
Drittens:
Die Topvertreter der Partei; Minister, Fraktionsvorsitzende, Kanzler, Parteichefs; müssen nach den Parteigrundsätzen handeln und dadurch ihre Mitglieder vertreten. Parteimitglieder haben aber keinen Anspruch auf einen völlig fehlerlose Führung und erst Recht keinen Anspruch auf Führungsfiguren, die sie allesamt attraktiv, sexy und sympathisch finden.
Eine 16%-SPD ist eine Neuheit. Über Jahrzehnte hätte ich mir nicht vorstellen können, mit so einem mickrigen Ergebnis in die Regierung zu kommen.
Der große Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau erklärte, nach neun Jahren an der Regierungsspitze, noch am Wahlabend der Bürgerschaftswahl 1997, zu der er als Spitzenkandidat antrat, mit 36,2 % der Stimmen sei seine „Schmerzgrenze unterschritten“. Er wertete es als Abwahl und trat zurück.
Heute wären 36% für die SPD in jedem Bundesland ein sensationell gutes Ergebnis. Schon das zeigt, wie sehr sich die Parteienlandschaft verändert hat, wie wenig realistisch der Anspruch ist, „SPD pur“ in der Regierung umzusetzen.
Zumal die Kleiko eine Regierung ist, die man wegen der katastrophalen Rechtsdrift der Gesellschaft, de facto ohnehin nicht verlassen kann. Sie ist alternativlos. Und niemand bedauert das mehr als ich.
(….) Merz erweist sich jetzt schon als schlechtester Bundeskanzler der deutschen Gesichte. Jeder vernünftige Mensch muss sich seinen sofortigen Rücktritt zum Wohle der Nation wünschen. Aber noch nicht einmal das geht, weil das Wahlvolk derartig nach rechts gedriftet ist, daß Vernunftmehrheiten links von Schwarzbraun ausgeschlossen sind. Das Desaster, das sich jetzt gerade coram publico im Kanzleramt entfaltet, ist leider das Beste, das Deutschland noch zu bieten hat.
Die AfD ist bundesweit stärkste Partei. Linke, Grüne und SPD krebsen jeder um die 10%-Marke. Würde die „Kleiko“ nun zerbrechen, wäre das ein gewaltiger PR-Boost für die Nazis, die höhnisch über das Scheitern „der Altparteien“ herfielen. Möglicherweise bräche in CDU und SPD Chaos aus, weil es Schwarze und Rote gibt, die ihren eigenen Parteiführungen vorwerfen, viel zu kompromissbereit gewesen zu sein. Der Streit würde ihren Wahlchancen noch mehr zusetzen, als die erneut vorzeitig gescheiterte Regierungskoalition. CDU, CSU und SPD müssten bei Neuwahlen mit erheblichen Verlusten rechnen. In ihrer Verzweiflung könnte die CDUCSU auf Spahn setzen, der im bestehenden Bundestag eine Koalition mit den Nazis verhandeln würde, um sich selbst ins Kanzleramt zu bringen.
Allerdings müssten die Schwarzen dann ihre eigene Außenpolitik fressen, sich gegen Brüssel, gegen Kiew und für Moskau entscheiden.
Ich mutmaße, Spahn könnte das
etwas zwei Dritteln seiner Fraktion schmackhaft machen. Aber die Jürgen Hardts,
Roderich Kiesewetters und Wadephuls würden nicht mitmachen. Prien würde
protestieren. Damit wäre die Kanzlermehrheit sehr fraglich und die AfD ließe
mit Hinblick auf die Umfragen, laut denen sie bei Neuwahlen noch wesentlich
besser abschnitte, die Muskeln spielen lassen.
Daher tippe ich in dem Fall eher auf vorzeitige Neuwahlen: AfD 35%, CDUCSU 20%,
SPD 10%, Grüne 8%, Linke 15%. Deutschland wäre unregierbar. Unter dem Druck
fände sich aber vermutlich ein CDU-Schleicher, der bereit wäre unter einer
Nazi-Kanzlerin als Mehrheitsbeschafferratte zu kriechen.
In jeder Hinsicht ein Alptraum. (…)
(Alternativlos in den Orkus, 31.10.2025)
Innerhalb der SPD mit ihren berühmt-berüchtigten drei Flügeln, hielt ich mich immer für einen Linken, plädiere seit 30 Jahren für rotrote und rotrotgrüne Bündnisse, die CDU-Koalitionsregerungen vorzuziehen sind. Einige Jahre verhinderten die rechtspopulistischen Wagenknecht und Lafontaine so ein Bündnis. Glücklicherweise haben beide Quälgeister die LINKE verlassen.
In einer Gesellschaft, in der sich die Vermögen grotesk vergrößern und immer mehr Menschen in Armut fallen, bin ich immer für Großzügigkeit bei Sozialleistungen. Ich trete für das bedingungslose Grundeinkommen ein und halte das auch für ökonomisch klug, da dieses Geld zu nahezu 100% in den Konsum fließt und die Nachfrage stärkt, während die Milliardensteuergeschenke für die Superreichen, aus dem Land, in Steueroasen fließen und somit gar nicht helfen.
Für Großzügigkeit gegenüber Migranten und finanziell Schwachen gab es aber nicht nur keine Mehrheit bei der Bundestagswahl 2025, sondern im Gegenteil; in allen Bundesländern (außer Bremen und Hamburg) zeigen die Umfragen riesige rechts-rechtsextreme Mehrheiten; teilweise über 75% (in Bayern und bei den Ossis).
Die SPD hat längst ihre klassische Arbeiter-Klientel an die AfD verloren. Härte gegen Migranten und Grundsicherungsempfänger ist - LEIDER – extrem populär. Deswegen machen CDUCDU das.
Die SPD-Mitglieder befinden sich daher völlig auf dem Holzweg, wenn sie glauben, mit Sozial-Wohltaten an alte Größe anknüpfen zu können.
[…..] SPD-Basis initiiert Mitgliederbegehren gegen Bürgergeldreform
Mitglieder der SPD sprechen sich gegen die geplanten strengeren Sanktionen beim Bürgergeld aus. Die Partei dürfe keine Politik mittragen, "die Armut bestraft". [….]
(ZEIT, 28. Oktober 2025)
Natürlich wehre ich mich auch dagegen „Armut zu bestrafen“, aber jetzt der eigenen Partei, mit einer bei 80% des Volkes unpopulären Forderung in den Rücken zu fallen, könnte dümmer nicht sein.
Die verunsicherte SPD wird längst zwischen Rechts und Links zerrieben, wird auf Social Media mit Hass überzogen, der so massiv daherkommt, daß sie noch nicht mal in der Lage ist, die Anwürfe zu moderieren.
Das Mitgliederbegehren streichelt die Soziseele, entzieht aber der Bundestags-SPD das Vertrauen, schwächt die schwachen Bas und Klingbeil und Miersch noch mehr. Das können wir uns in der nach Rechtsaußen wegkippenden Demokratie wirklich nicht leisten.
[….] Neulich bei einem SPD-Treffen, die geplanten Verschärfungen beim Bürgergeld wühlen die Genossen auf. Ein Bundestagsabgeordneter, der das ganze sozialdemokratische Projekt der vergangenen Jahre, das „Überwinden“ der Arbeitsmarktreform Hartz IV, im Nachhinein für fatal hält, fragt, so wird es berichtet: Wer hier denn jemanden im privaten Kreis kenne, der Bürgergeld beziehe? Keine Hand geht hoch.
Das illustriert gut das Dilemma dieser Partei, zumindest die Haltung vieler linker Funktionäre und Abgeordneter, heute meist Akademiker statt Arbeiter. Es wird zu oft moral- und ideologiegetrieben Politik gemacht, aber im luftleeren Raum. So wollen viele Funktionäre nicht verstehen, dass zwar eine klare Mehrheit im Land für eine gerechte Unterstützung von Kindern, Alleinerziehenden und jenen ist, die nicht arbeiten können.
Aber gerade die einstige Kernklientel, Bezieher unterer Einkommen, etwa Arbeiter am Fließband oder Paketboten, finden es höchst ungerecht, wenn es bei den von ihnen mitfinanzierten Leistungen kaum Kürzungen gibt, wenn junge Leute eine Arbeit nicht annehmen und das Bürgergeld samt Kosten der Unterkunft als bedingungsloses Grundeinkommen ansehen. Oder wenn zugewanderte Bürger, die nie selbst eingezahlt haben, es für Sozialmissbrauch ausnutzen.
Dass nun ein Mitgliederbegehren die geplanten Verschärfungen stoppen soll, unterstreicht die innere Zerrissenheit der Partei. Es folgt gerade manches dem Song von Ton, Steine, Scherben: „Macht kaputt, was euch kaputt macht.“ [….] in einer Phase hoher politischer Fragilität ist das ständige Opponieren gegen die eigene Koalition kein Ausdruck von Verantwortung. Zudem werden so die Vorsitzenden Lars Klingbeil und Bärbel Bas beschädigt, die schon mit dem Regierungsgeschäft überfordert zu sein scheinen [….] Der größte Denkfehler: Die SPD stellt sich kaum die Frage, ob 25 Prozent Zustimmung für die AfD auch an der eigenen Politik im Bund liegen könnte? Sie hat bei der Bundestagswahl vor allem an die Union und die AfD verloren. Eine Mehrheit wählte Mitte-Rechts, aber mit der AfD will die Union aus guten Gründen nicht koalieren. Sicher ist aber: Eine linke Mehrheit gibt es gewiss nicht. So bitter es für viele Sozialdemokraten ist, aber einige haben längst erkannt, dass die Antwort daher nicht noch linkere Politik sein kann. Sondern eine pragmatische [….]
Als Linker tut mir diese Erkenntnis weh. Ich wünsche mir linkere Politik.
Aber eine 16%-SPD in einem rechtsradikalen antihumanen Meer auch noch von links zu attackieren, ist leider selbstmörderisch. Wir können entweder gleich den AfD-Nazis das Feld überlassen, oder unsere Minister in der Merz-Kleiko, unsere SPD-Bundestagsfraktion, nach Kräften unterstützen. Wir werfen ihnen keine Knüppel zwischen die Beine.


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