Dem Blasendasein auf Social Media kann man sich nicht entziehen. Natürlich versuche ich, wann immer es möglich ist, zu argumentieren, auf Fakten zu verweisen, Links zu Quellen zu setzen. Aber der rechte Pöbel – ob von der AfD oder Trumpanzees – lebt so weit von der Realität entrückt, daß keine Gesprächsgrundlage mehr vorhanden ist. Man kann nicht mit Menschen kommunizieren, die Fakten bestreiten und kontinuierlich lügen. Es wäre wichtig, ihnen zu widersprechen, um den sogenannten „stillen Mitlesern“ der Nazi-Trolls zu signalisieren, daß deren Thesen zumindest nicht unumstritten sind. Wenn innerhalb der rechten Blasen alle derselben Meinung sind, schaukeln sie sich immer mehr auf, werden immer extremer und gehen zu realer Gewalt über. Das erleben wir derzeit auf der Straße. Eine drastische Zunahme der rechtsextremen und menschenfeindlichen Straftaten.
Andererseits darf man den Rechtsschwurblern auch keine zusätzliche Reichweite verschaffen und muss aufpassen, ihre Hassthesen nicht auch noch zu multiplizieren, indem man sich ihnen mit „Debunking“ und „Factcheck“ widmet.
Daher lösche und blockiere ich inzwischen deutlich mehr, als noch vor zehn Jahren.
Das hat unter anderem Folgen für meine eigene Blase, die immer linksgrünversiffter wird. Aber dadurch auch nicht angenehmer, weil viele Piraten/Grüne/Linke mit enormer Leidenschaft die SPD hassen. Das wird noch übertroffen von zutiefst bösartiger Hetze gegen „die Seeheimer“, die als Wurzel aller Übel gelten.
Die Entscheidung, das Bürgergeld in Grundsicherung umzubenennen, öffnete wieder einmal alle Schleusen.
Was dabei aber nicht kapiert wird, sind die die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, die vom Souverän bei der Bundestagswahl am 25.02.2025 herbei geführt wurden.
Die SPD trat, wie alle Parteien, mit ihrem eigenen Wahlprogramm an, das sie in der Regierung umsetzen könnte, wenn sie eine Kanzlermehrheit bekäme.
Das sind gegenwärtig 316 Stimmen im Bundestag.
Die SPD bekam aber 120 Sitze. Entsprechend der 16,4% ihres Wahlergebnisses.
120 < 316!
Es kann also keinesfalls das SPD-Wahlprogramm in der Regierung umgesetzt werden. Nicht, weil die SPD das nicht wollte, sondern weil der Wähler das so bestimmte. Der Urnenpöbel wollte eben gerade keine linke Regierung, sondern eine Rechte. Die Mehrheit in Deutschland, da hat der WDR-Chefredakteur einen Punkt, ist rechts.
Man darf deswegen nicht die News oder gar die Fakten anpassen;
das wäre Irrsinn.
Aber der Bundestag wählt einen Kanzler und der bildet den Mehrheitswillen ab.
Daß bei einer klaren absoluten Mehrheit aus CDUCSU und AfD, die sich in sozialen, migrantischen, kulturellen, sicherheitspolitischen, religiösen, steuerpolitischen und gesellschaftlichen Fragen viel näher stehen, als CDUCSU und SPD, dennoch die Kleiko bildete, ist ein großes Glück. Dadurch kommt die SPD zu unerwartetem Einfluß und kann viele soziale Abscheulichkeiten aufhalten. Trotz ihrer mickrigen 16,4%.
Wer links, oder linker von der SPD steht, müsste also mit seiner gesamten Energie die SPD unterstützen, ihr zureden, Werbung für sie machen.
Aus linker Perspektive ist es das Beste, was möglich ist.
Leider passiert das nicht.
Viele Linke und Grüne tun so, als ob die SPD nicht 16,4%, sondern 50,1% bei der Bundestagswahl geholt hätte und nun frei entscheiden könnte, wie der Sozialstaat zu gestalten ist.
Das Gegenteil ist der Fall.
[….] Die SPD muss nicht Politik für die einen oder für die anderen machen – sondern für beide
Jetzt heißt das Bürgergeld halt Grundsicherung, was soll’s – die Einigung mit der Union sollte auf keinen Fall zu Richtungsdebatten bei den Sozialdemokraten führen. Wer Volkspartei sein will, ist auf viele Gruppen angewiesen.
Ein Riss geht durch die SPD: Endlich sind wir wieder die Partei der Arbeiter und nicht mehr die der Sozialhilfekassierer, so freuen sich die einen. Diese Sozialdemokraten litten unter den Hunderten Begegnungen mit Bürgern, die wütend auf das Bürgergeld waren. Die anderen in der SPD hingegen sind sauer über den Kompromiss des Koalitionsausschusses, Sanktionen so zu verschärfen, dass sogar wieder das gesamte Geld und auch die Miete gestrichen werden können. Man verrate mal wieder linke Ideale und trete nach unten, man schicke Menschen in die Obdachlosigkeit, nur um der Hetze der Rechten nachzugeben.
Uff. Beide Seiten übertreiben es in der Debatte. Die Reform der Grundsicherung kommt rhetorisch schärfer daher, als sie es wirklich ist. Es geht auch viel um Symbolik und den Frieden in der Koalition mit der Union. Die muss auch ihre Erfolge haben, nachdem die SPD 500 Milliarden Sondervermögen, also Schulden, bekommen hat. Diese Erkenntnis sollte und kann sich auch bei SPD-Linken durchsetzen. Jetzt heißt das Ding halt Grundsicherung, was soll’s. Und vollständige Sanktionen bis hin zur Miete sind zwar drastisch, aber könnten in der Praxis etwa diejenigen treffen, die aus Deutschland wieder weggezogen sind. Das ist dann auch kein soziales Drama.
[….] Die beiden SPD-Gruppen, die sich in der Bürgergeldfrage gegenüberstehen, repräsentieren mehrere Milieus – und die Sozialdemokratie braucht alle. Da sind die Leute, die 2000 oder 3000 Euro im Monat verdienen und sich ärgern, dass bei ihnen morgens der Wecker klingelt, während der Bürgergeldempfänger im Verdacht steht, noch liegen bleiben zu dürfen. Da sind die linken Akademiker, die sich nicht mit Bürgergeldempfängern vergleichen. Gutverdiener ziehen keinen Statusgewinn daraus, beim Bürgergeld zu kürzen. Zusammen ergeben diese Menschen eine Allianz aus Handarbeitern und Kopfarbeitern, von der Pflegekraft auf dem Land bis zur Philharmonie-Intendantin in der Stadt. [….]
(Bastian Brinkmann, 10.10.2025)
Diejenigen in meiner linksrotgrünen Blase, die nun so sehr über die SPD herfallen, unterliegen, neben ihrer völlig falschen Einschätzung der Mehrheitsverhältnisse in der Kleiko, zwei weiteren Kapitalen Missverständnissen, wenn sie auf einen „Tod der SPD“ hoffen.
Erstens:
Ich halte die Bürgergeldsanktionen zwar auch falsch und habe vielfach auf die
Unverhältnismäßigkeit des Missbrauchs beim Bürgergeld und der
Steuerhinterziehung hingewiesen - hier 200 Millionen Euro – dort 100 Milliarden
Euro. Aber: Die rechte Hetze gegen das Bürgergeld war extrem erfolgreich. Der Urnenpöbel will den Empfängern an den
Kragen.
[….] Nur 12 Prozent finden Bürgergeldkürzungen zu streng
Die Diskussion um das Bürgergeld bleibt ein politisches Reizthema – insbesondere, wenn es um Sanktionen bei Arbeitsverweigerung geht. Laut einer Umfrage des ARD-DeutschlandTREND aus dem Juli 2025 halten die Hälfte der Befragten eine Kürzung des Bürgergeldes für Personen, die zumutbare Arbeit ablehnen, für angemessen. Einem Drittel (35 Prozent) geht die Maßnahme nicht weit genug, während nur 12 Prozent sie für überzogen halten.
Die Ergebnisse spiegeln eine breite gesellschaftliche Zustimmung zu Sanktionen im Bürgergeldsystem wider – auch über Parteigrenzen hinweg. Besonders hoch ist die Zustimmung unter Anhänger:innen von CDU/CSU und AfD, wo jeweils über 40 Prozent eine Verschärfung der Regelungen befürworten. [….]
Zweitens:
Wenn die SPD unterginge, oder die Kleiko scheiterte, weil sie zu bockig ist,
käme es für die ärmere Hälfte in Deutschland garantiert schlimmer. Entweder
gäbe es sofort eine Rechts-Rechtsradikale Kooperation aus Merz und der AfD,
oder es käme zu Neuwahlen, bei der nach dem Platzen der letzten Patrone der
Demokratie mit Sicherheit die Nazis die stärkste Fraktion bildeten.
Das ist keine Option für Demokraten. Ein linke Mehrheit ist womöglich nie mehr in Sicht. Mittelfristig schon mal gar nicht.
Die SPD in der Kleiko ist das beste, das es geben kann im Jahr 2025.
Und so schlecht macht sie es nicht.
[….] Es gibt Kritik an den Verschärfungen beim Bürgergeld, aber ein Aufstand der SPD-Linken ist nicht in Sicht. Das liegt auch an einem cleveren Zug der Arbeitsministerin.
Die CDU will das Bürgergeld loswerden, weil diese Forderung gut ankommt. Und die SPD will die Debatte über das Bürgergeld loswerden, weil sie mit dem Thema nichts gewinnen kann. Wie es sich für eine Koalition gehört, haben sich beide Partner mit ihren Forderungen nicht vollständig durchgesetzt. Die neue Grundsicherung enthält weiter viele Elemente aus dem Bürgergeld, das muss die Union akzeptieren. Und die SPD muss nun schon wieder eine Debatte über Sanktionen durchleiden. [….] Eingepreist war in der SPD-Spitze, dass die Jusos die Bürgergeldreform kritisieren. „Dass jetzt unter der Beteiligung der SPD wieder eine Rolle rückwärts gemacht wird, tut extrem weh und ist falsch“, sagte Juso-Chef Philipp Türmer. „Ich erwarte von den sozialdemokratischen Abgeordneten, dass sie diese schweren Fehler vermeiden.“ Türmer ist kein Abgeordneter, aber er müsste angesichts der schwachen Mehrheit von Schwarz-Rot auch nur etwa zwei Handvoll SPDler auf seine Seite ziehen, dann wäre das Gesetz blockiert. [….] Befürchtungen, dass es einen Aufstand der SPD-Linken geben könnte, waren den SPD-Verhandlern jedenfalls nicht anzusehen. [….] Das lag auch an einem ungewöhnlichen Vorgehen. Sozialministerin Bärbel Bas, die auch SPD-Chefin ist, hat ihrer Fraktion nicht einen fertigen Gesetzentwurf präsentiert. Stattdessen hat sie Dagmar Schmidt eingebunden in die Verhandlungen mit Kanzler Friedrich Merz und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Schmidt ist in der Fraktion Vizechefin und Sprecherin der Parlamentarischen Linken, eines wichtigen Flügels der SPD. So waren Entscheider in der Fraktion früh informiert, was auf sie zukommen wird – und konnten auch Dinge durchsetzen. [….] Unter den SPD-Linken, die grummelnd die Reform mittragen, wird außerdem auf einige Punkte verwiesen, die in der Grundsicherung sogar besser werden als im Bürgergeld. Alleinerziehende, bei denen ab und zu auch mal der Partner auf das Kind aufpasst, werden bessergestellt. Dafür wird es auch mehr Geld geben, was einer Gruppe zugutekommt, die der SPD-Linken am Herzen liegt. Des Weiteren sollen die Jobcenter-Mitarbeiter fortgebildet werden, um besser mit psychischen Erkrankungen umzugehen, was es den Betroffenen dann wiederum erleichtern soll, beispielsweise eine Reha zu bekommen. [….]
Ich ärgere mich oft über die Grünen; ich ärgere mich über die Linken und ich ärgere mich auch über die SPD.
Aber „wir drei“ sind hier die GUTEN. Wir müssen zusammenhalten. Wenn Linke gegen die SPD schießen und all ihre Kraft dafür verwenden, die Sozis klein zu bekommen, freuen sich darüber Merz, Söder und die AfD.
Einen größeren Gefallen könnten wir den Nazis nicht tun, als permanent im linken Lager zu streiten.
Unser Feuer sollte sich ausschließlich gegen Rechts richten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Feedback an Tammox