Freitag, 3. Oktober 2025

35 Jahre Volkstrauertag West

Der ZDF-Film „Einigkeit, Verdruss und Freiheit“ von Birgit Wärnke sollte „uns“ offensichtlich die Ossis näherbringen.

Ossis (Wärnke, geboren 1978 in Brandenburg) befragen Ossis (Petra Peterhänsel, Christiane Paul, Gregor Gysi, Steffen Mau, Christian Schwochow, Valerie Schönian) über Ossis.

Zweck der Übung: Wir „Besserwessis“ sollen endlich verstehen, wie doll die Ossis leiden müssen, so daß ihnen nichts anderes übrig bleibt, als im malerischen Thüringischen friedlichen Ort Niederbösa mit 60% die Nazis zu wählen.

Die Ossis mögen nämlich nicht ignoriert werden, sie wollen unbedingt, daß sich jemand um sie kümmert und hassen es, nicht genügend bedauert und für ihre „Lebensleistung“ bewundert zu werden. Wenn aber „die Presse“ zu ihnen kommt und Reporter nach ihrem Befinden fragen, mögen sie erst recht nicht. Dann brüllen sie „Lügenpresse!“ und „Haut ab!“, weigern sich mit Journalisten zu reden, werden gewalttätig.

Der Ausweg des ZDFs also: Machen wir einen reinen Ossi-Film, in dem gar keine Wessis als Akteure auftauchen, die Interviewten und Interviewer zu 100% aus Ossis bestehen.


Ab Minute 11:33 wird Dominik Würfel, der Organisator des Zwickauer Simson-Treffens ins Geschehen eingeführt. 

Der ursprüngliche Waffenhersteller Simson, 1856 von den beiden jüdischen Brüdern Löb und Moses Simson in der thüringischen Stadt Suhl gegründet, wurde in der DDR durch die etwa sechs Millionen Produzierten simplen Simson-Mofas berühmt, überlebte aber die Einheit nicht lange, wurde 2003 zwangsvollstreckt, weil niemand mehr die technisch hoffnungslos überholten Roller kaufen wollte.

Bei Würfels Simson-Tagen rotten sich 6.000 bis 7.000 weiße cis-hetero-Männer, meist im Alter zwischen 15 und 30 zusammen, die alle nach dem Ende der DDR geboren wurden, unter der DDR-Fahne bei Hammer und Sichel zusammen. Dort feiern sie ihre rechtsradikale Ideologie und erzählen Birgit Wärnke stolz-trunken in die Kamera, daß sich unter ihnen kein Homo befinde, man die Regenbogenfahne ablehne und zu 90% AfD wähle.

[…..] Im sächsischen Zwickau findet das größte Simson-Treffen Deutschlands statt. Tuner dort teilen die Liebe zu den Mopeds und zu rechten Ideologien.  […..] Das bundesweit größte ist der viertägige STZ, der Simsontreff Zwickau auf dem Zwickauer Flugplatz. […..] Am westlichen Stadtrand, auf dem Flugplatz, der groß genug für die 3.000 Camper und 6.000 Tagesgäste ist, findet das STZ statt. Was ein bisschen wie eine Mischung aus Mad Max und Dorffest daherkommt, ist ein Festival für Simson-Fans. […..]

Einer zeigt den Hitlergruß, vier grüßen mit demselben zurück, darunter eine Frau im Bikini-Oberteil. Erst schüchtern, aber dann macht sie doch mit, reckt den Arm in die Höhe, lacht, dreht sich weg. Mit Filzstift haben sie sich Hakenkreuze auf die nackten Oberkörper gemalt. Ein Mann aus der Gruppe trägt ein Shirt mit der Aufschrift „Kraft durch Freude“.  Ob das hier die ganze Zeit so sei, frage ich. „Na ja, nein, ja, die wollen nur provozieren, die wissen nicht, was sie machen.“ Ein junger Mann, Simson S 51, enzianblau, kommt vor unseren Füßen zum Stehen. Auf seinen Knien gut sichtbar gekritzelt: White Power. Auf die Frage, ob man die konfrontieren könnte, sagt der Eberswalder: „Auf gar keinen Fall. Schon gefährlich.“

Im letzten Jahr geriet das Treffen erstmals medial in Verruf. Der Grund: Hitlergrüße auf dem Gelände. Es gab vier Anzeigen. […..] Die AfD fährt selbst für sächsische Verhältnisse hier Rekordergebnisse ein. Und so steht inmitten des Zeltplatzes ein Bierzelt, regelrecht eine Burg. Über Eck hat man wohl nicht nur zum Sonnenschutz eine Plane gespannt: 2,5 mal 4 Meter, blauer Hintergrund, roter Pfeil, drei Buchstaben: ein riesiges AfD-Banner. Niemand stört sich daran. […..] Mit dem Thema konfrontiert, zeigt sich Würfel überrascht, gibt das an einen Security weiter. Was eine schwarze Sonne ist, wisse er allerdings nicht. Ich zeige sie ihm auf meinem Handy. So richtig kann man ihm das nicht glauben, angesichts der Schwarzen-Sonne-Tattoos, der Landser-, Kraft-durch-Freude-, Blut-und-Ehre- und „Good Night Left Side“-Shirts, der „Döp dödö döp“-Sylt-Sticker, der vielen Reichsadler und der Tattoos mit dem Emblem der Partei „Dritter Weg“, die einem binnen einer Stunde auf dem Zeltplatz begegnen.

Ob diese Träger der Symbole wissen, dass Simson vor der Arisierung durch die Nazis einst ein jüdisches Unternehmen war? Warum die Zeltplatzordnung jedenfalls, neben Waffen-, Rucksack- und Flaschenverbot, nicht auch auf ein Verbot rechter Symbole hinweist, weiß wohl nur Würfel selbst.

Das männerlastige Treiben lässt man seinen Gang gehen. Frauen findet man hier wenige. […..]

(Jessica Ramczik, 23.07.2024)

Sollte der edukative Zweck der Reportage, auf Westler wie mich, gewesen sein, Sympathien für die Abgehängten und Enttäuschten zu wecken, die sich so putzig feiernd treffen, um zusammen ihren Traditionen zu frönen und ihre Identität auszuleben, so misslang dieses Anliegen.

Diese Bilder, diese Inhalte, diese Sprüche bringen nur den ablehnenden Klischee-Wessi in mir hervor, der sich ganz sicher nicht über die fünf neuen Mitglieder im Bundesrat freut.

Sicher gibt es auch nette Ossis, wie es auch sympathische Bayern und intelligente Amerikaner gibt. Aber die Netten haben Ossistan verlassen, sind in den Westen geflohen. Zurückgeblieben ist Der Doofe Rest; DDR.

Als US-Amerikaner weiß ich nach neun Jahren Trump, daß es völlig aussichtslos ist, mit den rechtsradikalen Trumpanzees zu sprechen. 

„Der Niedergang der USA gehe schockierend schnell voran, sagt der Schriftsteller und Journalist George Packer. In Bibliotheken werde nur noch geflüstert, und eine neue Führungsfigur der Demokraten könnte zu spät kommen.“

[…..] SZ: Ist es überhaupt sinnvoll, diese Regierung wie jede andere zu behandeln und auf ihre Widersprüche hinzuweisen?

Packer: Wir befinden uns in einem anderen Spiel als jenem, das wir bisher kannten. Wir sind jenseits der Wahrheit, jenseits der Fakten. In unserer Gesellschaft besteht keinerlei Einigkeit mehr darüber, was real ist und was nicht oder was gut ist und was nicht. Natürlich gibt es immer noch Amerikaner, die in der Lage sind, die Wahrheit zu erkennen. Aber das sind nicht die Lautesten. Und sie sind erschöpft. Viele Menschen haben sich in ihre private Welt zurückgezogen. Gehört werden andere. Stephen Miller zum Beispiel. Haben Sie sich sein Gesicht bei der Zeremonie für Charlie Kirk angeschaut?

SZ: Was haben Sie im Gesicht von Trump-Berater Miller gesehen?

Packer: Das ist für mich das Gesicht des Autoritarismus. Ein Gesicht voller Hass. Miller kündigte Rache an. Er sprach davon, „das Böse“ zu bekämpfen und „die Feinde“ zu bestrafen. Als Feinde können viele gelten. Man bekommt das Gefühl: all jene, die sich gegen Trump stellen. Das ist purer Autoritarismus. […..]

(SZ-Interview, 30.09.2025)

Ganz ähnlich verhält es sich mit den überwiegend männlichen Ossi-AfDler, die sich vor Impfungen fürchten, den Klimawandel leugnen, Queeren Gewalt antun wollen und Putin umschwärmen.

Der Zug ist abgefahren. Ich will nicht mit ihnen reden und ich habe kein Verständnis für die enormen AfD-Wahlergebnisse, kein Verständnis für die unendliche AfD-Toleranz der Ossis, die anders wählen und schon gar kein Verständnis für die kollektive Jammerei, wenn es irgendjemand wagt, Ossis zu kritisieren. Dann verfallen alle Ossis, von links bis rechts, von klug bis doof, in den Opfermodus und beklagen sich über Ossi-Bashing.

Warum zum Teufel nehmen die das persönlich? Ich bin Wessi, alter Cis-Mann, US-Amerikaner. Natürlich werden diese Zuschreibungen tagtäglich pauschal abgewertet. Und zwar, weil es pauschal zutrifft. Ich könnte abendfüllend über DIE Deutschen, DIE Amerikaner und DIE alten weißen Männer herziehen. Das haben DIE wirklich verdient. Aber pauschal zu urteilen, bedeutet gerade eben nicht, persönlich den Einzelnen abzuwerten. Das ist gar nicht möglich bei 340 Millionen Amerikanern. Niemand kann jeden einzelnen persönlich kennen.

Also fühle ich mich als zufälliger Zugehöriger dieser Gruppen auch nie persönlich beleidigt. Nicht läge mir fernen, als die Opferrolle, wenn irgendjemand über „die Amis“ herzieht.

Die kollektive Weinerlichkeit, das sprungbereite Beleidigtsein ist originäres Ossi-Verhalten. Und ich mag es nicht. Nach 35 Jahren deutsche Einheit gibt es immerhin vereinzelt Stimmen, die davon abrücken, es sei erstrebenswert, die Lebensverhältnisse in Ost und West, Nord und Süd anzugleichen. Richtig so! Ich will kein homogenes Deutschland und befürworte stark heterogene Kultur. Die niederbayerische katholische Dorfbevölkerung soll nicht wie der säkulare Hamburger Großstandmensch leben, die rheinische Frohnatur nicht wie der Mecklenburger Maulfaule.

Man sollte aber miteinander reden und demokratisch verfahren können, weil man sich an dieselben Regeln und Gesetze hält, Fakten akzeptiert und die Menschenwürde achtet.

Viele jugendliche Ossis verlassen aber diesen Grundkonsens. Mit denen will ich nicht mehr reden und nichts zu tun haben.

[…..] Rechtsruck bei Jugendlichen: „Demokratie ist ein Schimpfwort geworden“ […..] Geht in Ostdeutschland gerade eine ganze Generation Jugendlicher an die Rechten verloren? Ein Gespräch mit vier Menschen, die das verhindern wollen.

Sechs Personen, ein runder Tisch in einem Konferenzraum der taz. Gekommen sind der ehemalige SPD-Politiker Karamba Diaby aus Halle (Saale), er war der erste in Afrika geborene Schwarze Bundestagsabgeordnete, wurde mehrfach attackiert und hat sich 2024 nicht wieder zur Wahl gestellt; daneben die Schriftstellerin Manja Präkels, die in den Neunzigern in Brandenburg die Baseballschlägerjahre erlebt und darüber geschrieben hat. Heute gibt sie politische Workshops an Schulen im Osten. Der Schüler Leopold Rosenow ist aus Dresden angereist, er ist dort aktiv bei der Initiative „Schülis gegen Rechts“. Juliane Leuschner, die unter diesem Pseudonym spricht, ist in der Jugendbildungsarbeit in Rostock tätig. […..]

taz: Die Zahl der rechtsextremen Straftaten ist im vergangenen Jahr massiv angestiegen, die Neonazi-Szene wächst, regelmäßig werden rechtsextreme Terrorgruppen festgenommen oder verboten. Was spüren sie davon in Ihrem Alltag?

Manja Präkels: Ich bin viel an Schulen unterwegs, gebe Workshops und lese aus meinen Büchern. Da beobachte ich seit etwa drei Jahren, dass die Kinder und Jugendlichen wieder genauso aussehen wie die, vor denen ich in den neunziger Jahren weggelaufen bin. Zum Teil sind es wohl deren Kinder. Die tragen Glatze und Bomberjacke wie ihre Väter. […..]

Leopold Rosenow: Was ich sehe, ist, dass junge Leute Nationalsozialismus und Rassismus teilweise extrem witzig finden. Bei uns an der Schule gab es den Fall, dass ein Achtklässler in einer Sport­umkleide stand und eine Wahlkampfrede von Hitler rezitiert hat. Und keiner hat etwas gesagt. Dazu kommen die Symbole: Hakenkreuze werden in Schultische geritzt, bei unseren Kitteln für den Chemieunterricht ist es normal, dass irgendwo jemand eine kleine 88 reingeschrieben hat. […..]

Juliane Leuschner: Ich bin wie Manja Präkels in den neunziger Jahren in Ostdeutschland groß geworden und damals als kleine Punkerin durch die Straßen gejagt worden. Ich kenne das Gefühl, dass der öffentliche Raum kein sicherer Ort ist. Und mein Eindruck ist, dass das gerade wiederkommt. Sei es durch Nazi-Aufkleber, die überall kleben, selbst am Strand, in den Touristenorten. Und auch dieser Stolz, den viele junge Neonazis vor sich hertragen. Ich mache seit 15 Jahren politische Bildung. Vor zehn Jahren haben die Leute noch gesagt: „Ich bin kein Rassist, aber“. Heute sagen sie: „Ja, ich bin Nazi, und das ist gut so!“ […..]

Präkels: Ich finde es skandalös, dass Sie hier nicht mit Ihrem Namen sprechen können, aus Angst, dass Ihnen dann das Geld gekürzt wird. Leute wie Sie machen so eine fundamentale Arbeit. Die müsste eigentlich längst fest im Bildungssystem verankert sein. Und Sie müssten ganz klar reden können, mit einer starken Institution hinter Ihnen. Stattdessen haben wir eine Bundesregierung, die dem rechten Rand oft nach dem Mund redet und Bündnisse für Demokratie des Linksextremismus verdächtigt. […..]  Was ich heute in Ostdeutschland wahrnehme, ist etwas Atmosphärisches: Da ist eine Sprachlosigkeit, es wird nicht mehr geredet, nicht gestritten. Auch die Lehrer:innen in den Schulen sagen mir, die Schüler würden nicht streiten, sie seien so unpolitisch. Das ist natürlich Quatsch. Was wir daran sehen, ist eher eine bizarre Idee von Neutralität. Als könne man gegenüber Faschismus und Gewalt neutral sein. Das kommt zwar aus den neunziger Jahren, ist heute aber zu einer Art Grundhaltung geworden – leider auch bei vielen Eltern und Lehrer:innen.

taz: Warum sind Nazis wieder cool?

Diaby: Weil die Rechtsextremen und besonders die AfD die sozialen Medien viel besser beherrschen als wir. Das Internet ist der zentrale Ort, […..] Leuschner: […..] Was in letzter Zeit extrem zugenommen hat, ist Holocaustleugnung. Da sitzen Schüler, 13-jährige zum Teil, und sagen mir ins Gesicht: „Das mit Auschwitz, das war doch gar nicht so schlimm. Die haben doch alle freiwillig da gearbeitet. Und wenn sie umgebracht wurden, dann haben sie wohl nicht gut gearbeitet.“ Die sagen das ganz locker und cool, das ist antrainiert. Die ersten Male hat mich das richtig geschockt. […..] […..] Probleme in Zahlen

Erschreckender Rekord: Das Bundeskriminalamt hat für 2024 einen Höchststand an rechtsextremistischen Straftaten gemessen: 42.788 Delikte wurden in Deutschland gezählt, 48 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch bei Gewaltstraftaten gab es eine Steigerung auf 1.488 Delikte (plus 17 Prozent). Opferberatungsstellen gehen davon aus, dass nicht alle Taten erfasst werden.

Mehr Rechtsextreme, mehr Gewaltbereite: Beim Potenzial rechtsextremistischer Personen hat der Verfassungsschutz für 2024 einen deutlichen Anstieg von 40.600 auf 50.250 Personen registriert, davon sind 25.000 in Parteien organisiert. 15.300 Personen ordnet der Verfassungsschutz als „gewaltorientiert“ ein, im Vorjahr waren es 14.500. […..] Leuschner: In den jugendlichen Subkulturen wird wieder ein heroisches Männlichkeitsideal propagiert, das auf manche Jungs sehr anziehend wirkt. In der Musikkultur, der Popkultur, der Fankultur. Auf diesen Feldern hat sich das Phänomen der Manosphere ausgebreitet, frauenverachtendes Verhalten erleben wir dort in einer Weise, wie wir es zuvor nicht erlebt haben.

taz: Man kann den Eindruck bekommen, da geht gerade eine ganze Generation an den Rechtsextremismus verloren. Sehen Sie das auch so?

Präkels: Wir können von Glück sagen, wenn es am Ende nur eine Generation ist. Die Zeitläufte sind gegen uns. Nicht nur in den USA, sondern auch bei unseren europäischen Nachbarn wird Antifaschismus zunehmend kriminalisiert. Nicht etwa Faschismus, nein, Antifaschismus. Das ist irre. […..]

(taz, 03.10.2025)

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