Sonntag, 12. Februar 2017

Ewige Kanzler

In Angela Merkel haben wir nun schon die dritte CDU-Amtsinhaberin mit Überlänge.
Während Präsidenten in den USA, in Frankreich oder Russland maximal nur zwei Amtsperioden regieren dürfen, können deutsche Bundeskanzler theoretisch ewig amtieren.

Natürlich sammelt ein länger amtierender Regierungschef wertvolle Erfahrungen. Deswegen ist Queen Elisabeth II. so eine brillante Diplomatin. Nach 107 Jahren als Staatsoberhaupt kennt sie alle Fallstricke und läßt sich von keiner Situation mehr überraschen.
Allerdings ist ihr Amt repräsentativ. Sie muß sich nicht um ihre Wiederwahl sorgen und hält sich von der Tagespolitik fern.

Das Amt eines Kanzlers oder eines exekutiv regierenden Präsidenten wie in den USA ist ungleich anstrengender und erfordert mehr Flexibilität.
Da müssen regelmäßig frische Ideen her.

Die deutsche Regelung ausgerechnet das politisch schwache Bundespräsidentenamt auf zwei Amtszeiten zu begrenzen und die wahrhaft starke Position des Kanzlers auch 20 oder 30 Jahre in einer Hand zu lassen, ist demokratisch paradox.

Konrad Adenauer, der 14 Jahre regierte, wurde 1963 zur Hälfte der Legislaturperiode von seiner eigenen Partei im jugendlichen Alter von 87 Jahren aufs Abstellgleis geschoben. Die folgenden drei Jahre verbrachte Adenauer damit den von ihm zutiefst verabscheuten Nachfolger Ehrhardt zu sabotieren. Als dieser 1966 stürzte, knallten im Hause Adenauer die Korken.

Er ätz­te, die drei Jah­re wäh­ren­de Re­gie­rungs­zeit Er­hards hät­ten ihn „sechs Jah­re sei­nes Le­bens ge­kos­tet“.
(DER SPIEGEL, 11.02.17)

Helmut Kohl war inhaltlich bereits nach rund sechs Jahren, 1988/89 so am Ende, daß seine eigene Partei versuchte ihn loszuwerden. Der unerwartete DDR-Zusammenbruch rette ihm 1990 die Wiederwahl und im Einheitsrausch sorgten sie Ostdeutschen für eine Amtsverlängerung auf insgesamt 16 Jahre.
Kohl ist somit (durch extrem ungewöhnliche Umstände) Rekordhalter.
Gemeinsam mit Adenauer war ihm sein tiefsitzender Hass auf den Nachfolger Schäuble. Nur daß Ehrhardt 1963 Kanzler-Nachfolger, nicht aber CDU-Vorsitzender wurde, während das Kanzleramt 1998 für die Union verloren ging und Schäuble Kohl als Parteivorsitzender nachfolgte.
Helmut Kohl war im Jahr 1998 zutiefst davon überzeugt absolut unersetzlich zu sein. Alle seine CDU-Minister hielt er für unfähige Pfeifen, so daß er sie intensiv bekämpfte. Durchaus erfolgreich, der CDU-Fraktions- und Bundesvorsitzende Schäuble verlor im Jahr 2000 beide Ämter an Merz und Merkel.

Angela Merkel, die im Herbst 12 Jahre regiert haben wird, steht vor ähnlichen Problemen. Sie hinterläßt verbrannte Erde und eine inhaltlich komplett entleerte Union. Ein adäquater Nachfolger ist weit und breit nicht zu sehen.
Emotionslos, aschfahl und ohne irgendeine programmatische Erkennbarkeit schleppte sie sich in ihre vierte Kandidatur als Kanzlerin.
Die Schwesterpartei brauchte Monate, um sie offiziell zu unterstützen. In ihrer eigenen Partei überdeckt dicker Mehltau jede Regung.

Lange Kanzlerschaften schaden offensichtlich dem Land. Daher forderte Politikwissenschaftler Prof Peter Grottian von der FU Berlin auch in Deutschland endlich die Amtszeit des Regierungschefs zu begrenzen.

Schluss mit der ewigen Kanzlerschaft
[….] Wer zu lange im Amt bleibt, nutzt sich ab. [….]
Sichtlich unter dem Eindruck des politisch verfallenden Bundeskanzlers Helmut Kohl hatte Angela Merkel Ende der Neunzigerjahre noch gesagt: „Ich möchte kein halb totes Wrack sein, wenn ich aus der Politik aussteige.“ Ein halb totes Wrack ist sie sicher mit ihrem unermüdlichen und oft erfolgreichen Krisenmanagement nicht, aber angeschlagen und tief verunsichert ist sie inzwischen schon.
Was in der aktuellen Flüchtlingsdebatte irritiert, ist Merkels Verstocktheit, ihr Trotz und ihre mangelnde Souveränität. In ihren Klein-Canossa-Reden, die als Zugeständnisse an die Kritiker gedacht waren, konnte sie noch nicht einmal deren Realitätssinn loben oder Seehofer in Teilen ausdrücklich zustimmen. Sie wirkte überwiegend vergnatzt, rechthaberisch, entrückt, obwohl sie doch längst Seehofer-Politik macht.
Die mangelnde Souveränität zeigt sich insbesondere daran, dass Angela Merkel der Bevölkerung keine Gesamt-Erzählung für die Zukunftsperspektiven der Gesellschaft bieten kann. Das übernehmen andere wie zum Beispiel Wolfgang Schäuble, der sich mit ausführlichen Artikeln in der „FAZ“ und anderswo äußert.
Fast sprachlos ist die Kanzlerin zu wichtigen und die Menschen bewegenden Themen. Zu TTIP und Ceta oder zum völlig auf den Hund gekommenen Klimaschutzplan für die nächsten Jahrzehnte: kein erklärendes Wort. Zur EU: kein Hauch von einer pragmatischen Vision, die Europa zu mehr macht als einer ökonomischen Veranstaltung. Stattdessen hat Merkel bei der EU-Jugendarbeitslosigkeit selbst vorgeführt, wie man ein wichtiges europäisches Thema wie eine heiße Kartoffel fallen lassen kann. Schließlich zum Rechtsextremismus und der AfD: konzeptionslose Hilflosigkeit.
[….] Es ist also plausibel, dass Angela Merkel sich aus ihrer „bleiernen Zeit“ nur schwerlich noch wird befreien können. Deshalb ist jetzt eine Debatte über die Begrenzung der Amtszeit der Bundeskanzlerin beziehungsweise des Bundeskanzlers überfällig. [….]

Einige politische Beobachter, so auch die Autoren der aktuellsten SPIEGEL-Titelgeschichte über Martin Schulz‘ Chancen Kanzler zu werden, sorgen sich um die Postkanzlerzeit der Regierungschefs.
Adenauer und Kohl konnten sich gar nichts anderes vorstellen.
Merkel sagte vor langer Zeit sie habe eine Exit-Strategie, aber stimmt das noch?
Kiesinger und Erhardt gingen in Schande.
Nur Willy Brandt blieb nach seinem Amtsverzicht noch lange Zeit der Tagespolitik erhalten.
Gerd Schröder fand ein neues Betätigungsfeld in der Wirtschaft und Helmut Schmidt, der mit Sicherheit Intelligenteste aller deutschen Kanzler erfand sich sogar mehrfach neu, wurde kontinuierlich immer populärer.

Das ist schön für Schmidt, wie es nicht schön für Kohl ist zur verstummten persona non grata zu mutieren.

Relevant ist das persönliche Empfinden der Ex-Kanzler aber nicht für eine Begrenzung der Amtszeit.
Ich halte es für schwer vorstellbar, daß ein political animal, welches einmal die höchste Macht, die Deutschland zu vergeben hat, in der Hand hielt, niemals hadert diese verloren zu haben.
Aber das soll unsere Sorge nicht sein und liegt in der Natur der Sache.

Konrad Hermann Joseph Adenauer wurde 91 Jahre alt (*1876; †1967).
Als er 1963 sein Amt aufgeben mußte, blieben ihm noch vier Jahre vergönnt, in denen er zusammen mit seinem Sohn Paul, einem Priester, richtig fun hatte.
Er gab seiner grenzenlosen Rachsucht freien Lauf, warf seinem Nachfolger intensiv Knüppel zwischen die Beine und konnte seiner durchaus bösen Persönlichkeit freie Entfaltung bieten.

[….] Der Alte teil­te or­dent­lich aus. Er be­haup­te­te ernst­haft, un­ter Er­hard wer­de die Re­pu­blik zu­grun­de ge­hen. Und er schimpf­te über fast alle füh­ren­den Par­tei­freun­de. Der CDU/CSU-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de sei fei­ge, der Au­ßen­mi­nis­ter „irr­sin­nig“, der Bun­des­tags­prä­si­dent „ar­ro­gant“, Nach­fol­ger Er­hard „dumm“.

[….] Ade­nau­er war ein bos­haf­ter, hin­ter­lis­ti­ger, nach­tra­gen­der Mann. Po­li­tik ver­der­be den Cha­rak­ter, pfleg­te er sich zu ent­schul­di­gen. Und so ge­noss er die klei­nen Ge­mein­hei­ten, etwa wenn er Er­hard ein fie­ses Schrei­ben schi­cken las­sen konn­te: „Ich wür­de zu gern se­hen, wie der di­cke Er­hard den Brief be­kommt.“ […..]
(Klaus Wiegrefe, DER SPIEGEL PLUS, 11.02.2017)

Konrad Adenauer war auch im hohen Alter sehr fit und voller Elan.
Kein Wunder, denn er ballerte sich morgens gern wie sein Vorvorgänger Adolf H. Crystal Meth rein und orakelte über fröhliches Ficken.

Wer hätte gedacht, daß er so viele Gemeinsamkeiten mit Volker Beck hatte?

Ge­le­gent­lich nahm er eine Ta­blet­te Per­vi­tin ein, der Wirk­stoff ist der glei­che wie bei Crys­tal Meth. Die Auf­putsch­dro­ge war schon in der Wehr­macht ver­brei­tet ge­we­sen. [….]

Die wil­den Sech­zi­ger­jah­re und die se­xu­el­le Re­vo­lu­ti­on schei­nen auch Ein­druck auf den Köl­ner Kar­di­nal Jo­seph Frings, 78, und Ade­nau­er ge­macht zu ha­ben. Je­den­falls un­ter­hiel­ten sich die bei­den al­ten Män­ner über die schöns­te Haupt­sa­che der Welt. [….] Die bei­den Kon­ser­va­ti­ven hoff­ten auf eine Rück­kehr der gu­ten al­ten Zeit, in der die Men­schen „ein­fach Freu­de am spon­ta­nen Ver­kehr ha­ben, auch wenn dar­aus meh­re­re Kin­der her­vor­gin­gen“.
(Klaus Wiegrefe, DER SPIEGEL PLUS, 11.02.2017)