Sonntag, 1. September 2013

Impudenz des Monats August 2013



Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.


Das kann heute natürlich nur der Bundestagswahlkampf sein.
So eine Verblödungsveranstaltung, die in dreifacher Weise deprimiert.

1.)

Die Bundestagsparteien, die es für unzumutbar halten das Volk mit Fakten zu konfrontieren, stattdessen austauschbare Wohlfühlbildchen inszenieren und versuchen jedes kritische Denken im Keim zu ersticken.
Steinbrück ist diesbezüglich zwar eine löbliche Ausnahme, indem er tatsächlich konkret wird; hat aber gegen die Schlafwagen-Kampagne der katholisch-religiotischen Nahles keine Chance sich durchzusetzen.
Gabriel, der teilweise während des Wahlkampfes urlaubt und dann auch noch den eigenen Kandidaten mehrfach ohne Not durch Widersprüche behindert, hat sich als Parteiführer dieser Form disqualifiziert. Das ist umso bedauerlicher, weil er eigentlich blitzgescheit ist und durchaus brillieren kann.
Im CDU-Kanzlerwahlverein ist die Lage naturgemäß einfacher. Daß ein Gros der Minister als notorische Lügner überführt wurde und quasi nicht ein einziges Projekt aus dem Koalitionsvertrag von 2009 umgesetzt wurde, schadet kaum, weil alles sowieso nur auf die deutsche Präsidentin Merkel guckt.
Noch mal zur Erinnerung ein kleines Beispiel: Im schwarzgelben Koalitionsvertrag steht, daß man das Mehrwertsteuerchaos mit den absolut nicht mehr nachvollziehbaren verschiedenen Steuersätzen vereinheitlichen will und dazu eine Kommission einsetzen werde. In vier Jahren hat diese Kommission nicht ein einziges Mal getagt. Stattdessen hat die Koalition das Mehrwertsteuerrecht mit einer weiteren Ausnahme („Mövenpicksteuer“) weiter chaotisiert. Der Finanzminister betreibt glatte Arbeitsverweigerung. Das muß man mit der Schulnote „Ungenügend“ bewerten. Aber der Wähler findet ihn trotzdem toll.

2.)

Das Wahlvolk bemüht sich die von Parteien unterstellte Dummheit noch zu übertreffen und belohnt die inhaltslosesten Gaga-Kampagnen mit den größten Zustimmungswerten. Spricht Steinbrück in einem Satz drei Konkrete Punkte an, wird das sofort als „abgehoben“, „unverständlich“, „schwierig“ und „arrogant“ gebrandmarkt. Und dann kommt er auch noch mit Zahlen und spricht so schnell…
Das mag der Urnenpöbel gar nicht. Mit der Realität konfrontiert zu werden, empfindet der gemeine Teutone als Zumutung.
Zinspolitik, Konjunktur-Stimulantien, internationale Verpflichtungen und Verflechtungen – all das, was tatsächlich auf der Agenda steht, wird als zu kompliziert angesehen.
Der Wähler reagiert offenbar nur auf kleine Summen. Er will mehr Geld und seine Ausgaben sollen sinken, weil Benzin, Strom, Lebensmittel und Mieten möglichst billig zu sein haben. Ansonsten gerät der gesättigte Ankreuz-Phlegmatiker höchstens noch in Wallung, wenn man ihn mit etwas Xenophobie füttert. NUR DIE AUSLÄNDER sollen Maut zahlen, fordert Seehofer und bringt damit seine CSU an die 50% - wohlwissend, daß so eine Regelung aus EU-rechtlichen Gründen schlicht unmöglich ist. Und dann dieses „Asylmissbrauch!“ Da hört man gerne hetzerische Worte von Innenminister Friedrich gegen Roma und bulgarische Wanderarbeiter.
Auch hier spricht die Realität eine ganz andere Sprache. Die Zahl der Asylanträge liegt derzeit etwa bei einem Fünftel dies Niveaus der 1990er Jahre und sowohl Rumänen, als auch Bulgaren sind ohnehin keine Asylanten, sondern ganz normale EU-Bürger, die das Recht haben innerhalb der EU dahin zu reisen, wohin sie wollen. Genauso ist es jedem Deutschen erlaubt an die schöne Schwarzmeerküste zu ziehen.
3.)

Die sogenannten Journalisten, die sich einst mit Viagra-Begriffen wie „vierte Gewalt im Staate“ oder „Sturmgeschütz der Demokratie“ priesen, haben sich kollektiv vom Merkel-Mehltau einlullen lassen.
Sie beklagen zwar die inhaltliche Leere des Wahlkampfes, tun aber nichts dafür, um Spannung aufkommen zu lassen. Sie stellen die Kandidaten nicht, nehmen Parteiverlautbarungen lustlos zur Kenntnis und fühlen sich schon als ungeheuer aufmüpfig, wenn sie in einer 500.000-Mitgliederpartei eine Stimme finden, die dem Gesagten der Person im Rampenlicht widerspricht.
Daß vier Jahre überhaupt nicht regiert wurde, daß sich Schwarzgelb für jeden wachen Beobachter klar ersichtlich disqualifiziert hat, wird zwar gelegentlich rekapituliert*, aber nicht als Argument in den Wahlkampf eingebracht.
Ein schlimmes Zeichen ist die Besetzung der Frager-Bank des großen TV-Duells, das wir heute Abend ertragen mußten.
Da sind Klöppel und Illner, weil die eben immer dabei sind und schon bei den letzten Duellen strikt vermieden Spannung aufkommen zu lassen. Neu war Anne Will, deren Unfähigkeit Antworten zu bekommen (weil sie nur stur ihren Fragenzettel abarbeitet) schon dafür sorgte, daß man ihr ihre grottige Sonntags-Talkshow wegnehmen mußte. Und als Vierter in der Runde wird konsequenterweise gleich ein Kasper aus den drittklassigen Privatsender-Trash-Shows geladen, der sich ansonsten im Adamskostüm bei Bauchplatschern oder mit dem Hintern in einem Wok sitzend auf einer Eisbahn filmen läßt. Wieso hat man diesen Jacketkronenunfall engagiert? Lothar Matthäus hätte doch sicher auch Zeit gehabt!
A priori und a posteriori durfte Quiz-Moderator Jauch, der sich vor Monaten schon mit einem vollkommen devoten Stichwortgeber-Interview mit der Kanzlerin als politisch unfähig erwiesen hatte, mit weiteren Gästen plappern.
Hierzu lud er die unvermeidliche Alice Schwarzer und den genialen Propheten Hans-Ulrich Jörges ein. Letzterer hatte von 1998 bis 2002 so heftig gegen Rotgrün agitiert und so massiv für die FDP geworben, daß er sich während des Wahlkampfes 2002 (Schröder gegen Stoiber) weigerte überhaupt in Betracht zu ziehen, daß Schröder gewinnen könnte – so sicher sei es, daß im Herbst Stoiber Kanzler werde.
Außerdem in der Runde ein bärtiger bayerischer Fussballer, der offenbar eingeladen war, weil Lothar Matthäus doch andere Verpflichtungen hatte.
CDU-Mann Jörg Schönborn, der für die ARD mit Zahlen jonglieren darf, fragte entsprechend der neuen politischen Selbstkastrierung der ARD die Zuschauer nur nach schwammigen Gefühlen.
Wen fanden sie sympathischer? Bloß keine Politik, keine Fakten, nichts Greifbares.
Der Erkenntnisgewinn war entsprechend.

Duell, Zweikampf, es waren große Worte, mit denen die TV-Debatte zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück angekündigt wurde. Aber, ganz ehrlich, ein TV-Duell sieht anders aus. Da geht es um Emotionen, echten Streit, da wird auch mal richtig attackiert, geholzt.
Nichts davon war bei diesem freundlichen Geplauder zu sehen oder zu hören.
Stattdessen: gepflegte Langeweile, Herunterbeten von Parteiprogrammen. Keine Leidenschaft, nirgends. Ein Null zu Null zwischen den Kontrahenten ist das Ergebnis. Das war's. Dieses TV-Duell war kein Beispiel für lebendige Demokratie, sondern eine Enttäuschung.
Angela Merkel hat das getan, was sie immer tut: Sie hat das Statistische Bundesamt zitiert. Sie hat schöne Worthülsen mit wenig Inhalt von sich gegeben. Kalendersprüche: "Jeder Mensch muss in Würde altern können." Oder: "Jeder Mensch bekommt die Gesundheitsversorgung, die er braucht." Ja, wer will da widersprechen?
Merkel merkelte, umarmte den Gegner, wich unangenehmen Fragen aus.

Eine erfolgreiche Methode. RTL und ZDF sehen sie als „Siegerin“ des TV-Duells.
Die Fragenden taten ihr den Gefallen Steinbrück mit dümmlichen persönlichen Anspielungen schlecht aussehen zu lassen.
Verdienen Politiker ihrer Meinung nach genug?
Sind sie privat versichert?
Lächerlich.
Die strittigen Punkte, die Merkel schlecht aussehen lassen hätten, wurden natürlich von allen vier Fragern devot unter den Tisch fallen gelassen.
Keine Fragen zu Waffenexporten in den Nahen Osten, keine Frage zur Doppelten Staatsbürgerschaft, keine Frage wieso die CDU den Homosexuellen Rechte verweigern will, etc.


*
Nichts weniger als „die geistig-politische Wende“ wurde damals vom Vizekanzler ausgerufen.
Nicht gerade originell die Regierung an ihren eigenen Worten zu messen.
Aber notwendig.
Der neutrale dpa-Text, der so in jeder Zeitung von taz bis FAZ erscheinen könnte, ist ein
Dokument des Totalversagens von CDU/CSU und FDP.

Licht und Schatten in schwarz-gelber Bilanz
Der Koalitionsvertrag von Union und FDP enthält viele Großprojekte, die nicht realisiert wurden. […]
Steuern: Die angekündigte Steuerentlastung um bis zu 24 Milliarden Euro im Jahr blieb aus. Eine Minireform, durch den Umbau des Einkommensteuersystems die "kalte Progression" zu mindern, scheiterte am Widerstand der Länder. Vom Tisch ist ein Stufentarif. Gescheitert sind eine Reform der Gewerbesteuer und eine Neuregelung der Kommunalfinanzen. Die Reform des Mehrwertsteuersystems wurde verfehlt. Das Steuerabkommen mit der Schweiz trat wegen des Länderwiderstands ebenfalls nicht in Kraft. Pläne zur breiten Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung wurden aus Kostengründen aufgegeben. […]
Banken: Die Neuordnung der Bankenaufsicht wurde nicht so umgesetzt wie geplant. […]
Energie: Zunächst hatte die Regierung 2010 eine deutliche Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke beschlossen. Dann sorgte sie 2011 nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima mit einer 180-Grad-Wende für den Atomausstieg bis 2022. […] Eine Kostenreform scheiterte an der Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern. […]
Justiz: Das Dauerstreitthema Vorratsdatenspeicherung wird wohl bis zum Ende der Legislaturperiode ungelöst bleiben. […]
Rente: Das gegen Altersarmut vereinbarte Konzept einer Lebensleistungsrente wurde auf die Zeit nach der Wahl verschoben. […]. Auch die Besserstellung älterer Mütter bei der Rente muss noch warten. Nicht umgesetzt wurde die im Koalitionsvertrag versprochene Rentenangleichung in Ost- und Westdeutschland.
Gesundheit: Das seit Jahren geplante Gesetz zur Gesundheitsvorsorge ist in der letzten Sitzungswoche von der Koalition im Bundestag beschlossen worden. Angesichts der ablehnenden Haltung von SPD und Grünen ist aber sehr fraglich, ob das Gesetz noch durch den Bundesrat kommt. […]
Pflege: "Wir wollen eine neue, differenziertere Definition der Pflegebedürftigkeit", verabredeten Union und FDP 2009. Die Demenzkranken sollen verstärkt in die Pflegeversicherung eingruppiert werden. Noch Ende Juni legte ein Expertenbeirat Vorschläge vor – eine entsprechende Reform in dieser Wahlperiode ist aber nicht mehr möglich. […]
Verteidigung: Hier haben Union und FDP gegen ihren Vertrag verstoßen. Sie wollten den Wehrdienst von neun auf sechs Monate verkürzen, aber die Wehrpflicht erhalten. […]

Wo, zum Teufel, wurde hier denn überhaupt mal „Licht“ gesehen?

Ich finde das durchgehend schattig. 
Ich sehe da nur schwarz, und zwar dunkelschwarz!

Das dürften auch konservative Journalisten ruhig so nennen.
Schließlich handelt es sich dabei um Tatsachen.

Diese Lobbyisten-Erfüllungstruppe hat kein moralisches Recht wiedergewählt zu werden.

Und das ist das Mindeste, das ich von den Hauptstadtschreiberlingen erwarte.