Mittwoch, 24. September 2025

Die Braunen von Hamburg

Ach ja, in der alten Bundesrepublik, meiner Gymnasial- und Unizeit, als immer der dicke bräsige Kohl regierte, war es noch so schön übersichtlich.

Man litt natürlich unter der provinziellen CDU, deren Vertreter sich so unglaublich peinlich, ohne irgendwelche Englisch-Kenntnisse in der Welt blamierten, aber man konnte sie auch einschätzen.

Da waren die Stahlhelm-Landesverbände Baden Württemberg und Hessen, in denen Altnazis und ewig gestrige Vertriebenen-Funktionäre den Ton angaben: Kiesinger, Filbinger, Dregger, Steinbach, Kanther, Koch. Kleinere Ableger der braunen CDU wucherten im Lummer-Berlin und im Stoltenberg/Barschel-Kiel. Aber Berliner Abgeordnete hatten im Bundestag kein Stimmrecht. Die CSUler hielten wir in Hamburg für eine urig-derbe, drastisch homophone und misogyne Rechtsaußen-Sonderform des Unionspolitiker. Alle fett, rotgesichtig, aufgedunsen, fast immer betrunken und kaum zu verstehen.

Der geistig schlichte, aber physisch umso mächtigere Helmut Kohl, galt in diesem Universum als Partei-Reformer, der mit seinen modernen Generälen Biedenkopf und Geißler Erstaunliches wagte: 56% Spitzensteuersatz, einen CDU-Umweltminister und zudem holte sogar Frauen in Ministerämter.

Er konnte sich 25 Jahre ununterbrochen als Parteivorsitzender halten, weil er einerseits reformierte, andererseits als Pfälzer Simpel für Provinz und Behäbigkeit stand. Zu seiner aktiven Zeit, erklärten wir uns seine unumstößliche Stellung mit seiner Telefonitis. Er soll angeblich ununterbrochen Parteifunktionäre bis auf die unterste Ebene persönlich angerufen und eingelullt haben. Man sagte ihm ein Elefanten-Gedächtnis nach; so daß praktisch mit jedem Parteimitglied vernetzt war. Nach 1999 erfuhren wir, daß dabei nicht nur sein Liebreiz und die einnehmende Persönlichkeit eine Rolle spielten. Nein, er war der Herr über den „Bimbes“, führte diverse illegale schwarze Kassen mit Millionenvermögen und schanzte ihm zugeneigten Ortsverbänden, an den Büchern vorbei, den Bimbes zu.

Ab 1990 wurde es aber unübersichtlich. Die katholische West-CDU fusionierte zwei kommunistische DDR-Blockparteien und ihr Vermögen ein. Es gab fünf neue CDU-Landesverbände, die sich zunächst als loyale Ultra-Kohlisten zeigten, allerdings recht schnell schwarzbraune Problemfälle wie Heitmann oder Krause hervorbrachten.

1998 kam Schröder und kurz danach der größte anzunehmende CDU-Parteiunfall Angela Merkel, die eigentlich nur kurz in der Spendenkrise als Platzhalterin dienen sollte. Bis der Andenpakt den eigentlichen langfristigen Kohl-Nachfolger ausklamüstert hätte. Einen Mann. Einen Katholiken. Einen verheirateten Familienvater. Einen Westler.

Das lief aber nicht so wie geplant. Die Parteivorsitzende und Kanzlerin saß Koch und Merz einfach aus. Scharte mit Kramp-Karrenbauer, Schavan, Kauder, Müller, von Klaeden, Gröhe, Altmaier, Braun, de Maizière eine neue Kaste von Loyalisten um sich, die nicht mehr nach der Pfeife der Andenpaktler tanzten.

Das Parteiensystem zerfranste, es regierte der Reformstau.

Ausgerechnet in den Rechtsaußen-Landesverbänden änderte sich das Klima. In Wiesbaden und Stuttgart regierten Schwarz-Grüne Koalitionen; die armen Leichname von Dregger und Filbinger rotieren immer noch in Lichtgeschwindigkeit in ihren Gruften. Schwarzgrün, der einstige liberale-Großstadt-Sonderfall von Hamburg 2008, harmoniert nun auch in NRW und Schleswig-Holstein.

Damit wurde der braune Flügel der CDU aber nicht etwa besiegt, sondern nur verlagert. Während der Merkel-Kanzlerjahre, entwickelten sich die Ost-CDU-Landesverbände und insbesondere Hamburg immer mehr zur Heimat des Rechtsaußen-Flügels.

[….] Die CDU gilt seit ihrer Gründung als Kanzlerwahlverein. 1949 war es noch eine sensationelle Notwendigkeit Nationalkonservative, Wirtschaftsfreunde und Vertreter beider Konfessionen zusammenzuführen, um gemeinsam einen starken anti-sozialen Block zu bilden.

Norddeutsche Protestanten, Wirtschaftsbosse, die NSDAP-Überbleibsel und ehemalige Zentrumspolitiker bildeten die Machtbasis Konrad Adenauers.

Es funktionierte wunderbar. Man blieb 20 Jahre ununterbrochen an der Macht und setzte eine USA-orientierte Politik durch.

Adenauer, der vielen bis heute als Ikone gilt, war privat ein ziemlicher Prolet, der von Demokratie nicht sehr viel hielt.
 Ungeniert setzte er Geheimdienste ein, um den politischen Gegner, aber auch innerparteiliche Widersacher auszuspionieren.

Gewaltenteilung bedeutete ihm nicht sehr viel. Als der aufmüpfige Rudolf Augstein es wagte kritisch über Strauß zu schreiben, ließ Adenauer wie ein früher Erdoğan die Staatsanwaltschaft los, sperrte den SPIEGEL-Chef ein und wollte kritischen Journalismus einfach verbieten.

Warum auch nicht? Hatte er doch wichtige NSDAP-Ideologen wie Hans Globke (1953-1963 Adenauers CDU-Kanzleramtsminister), Theodor Oberländer (CDU-Bundesminister 1953-1961) oder auch Hans Filbinger (12 Jahre CDU-Ministerpräsident Baden-Württembergs) an seiner Seite.

Diese ehemaligen Top-Nazis wußten wie man mit der SPD-Opposition umgeht.

Der braune Sumpf konnte auch nach Adenauers Tod unbehelligt in der CDU weiter existieren.  Bundeskanzler Helmut Kohl war ein Unterstützer der Waffen-SS.

[….] Als junger Politiker spendete Helmut Kohl Geld an ein Hilfswerk, das für inhaftierte NS-Verbrecher und deren Angehörige sammelte. Nach Informationen des SPIEGEL hielt er den Generaloberst der Waffen-SS Paul Hausser für einen "anständigen Mann". [….]

(SPON, 03.02.2018)

Insbesondere in den CDU-Landesverbänden Hessen („Dreggers Stahlhelmfraktion“, Martin Hohmann, Erika Steinbach, Kristina Schröder, Koch, Kanther) und Baden-Württemberg („Studienzentrum Weikersheim“) konnten sich Ultrakonservative bis in die jüngste Zeit austoben. Sie bildeten eine Allianz mit den revanchistischen Vertriebenenverbänden.

Seit dem Zusammenbruch der DDR kam mit dem CDU-Landesverband Sachsen ein weiterer nationalkonservativer Hotspot dazu. [….]

(Schwarze Löcher bei den Schwarzen, 17.02.2018)

  Die Union war immer mit den Braunen verbandelt und wer sich damit beschäftigt, wird sich wie der Autor und Journalist Wolfgang Brosche kaum darüber wundern, daß sich auch die 2019er CDU freudig zur AfD öffnet.

[….] Auf einmal wird aufgestöhnt, daß die CDU in Thüringen der Afd den rotbraunen Teppich ausrollt: „Unfaßbar!“
In welchem Feenreich hinter den 7 Bergen haben die Stöhnenden gelebt?
Ich habe meine Kindheit und Jugend im CDU-Paderborn verbringen müssen, wo es seit 1949 nichts anders gibt als katholisch durchwalkten Opportunismus und Wohlstandskorruption, Mißachtung von Minderheiten und Ausstoßung derer, die beim Korrumpieren nicht mitmachen wollen.
Die Kleinbürgerlichkeit der sognannten „Mitte“ ist der heilige Gral der Sofadeckchen-Konservativen – eine Hand wäscht die andere…
Opportunistische JU-Wichte wie Amthor habe ich schon in meiner Schulzeit gekannt, reaktionäre Lehrer die meinen Eltern erklärten, daß ich nur deshalb aufs Gymnasium dürfe, weil es keine Schulgebühren mehr gäbe, die hätten einmal die Spreu vom Weizen getrennt.
Ich habe den CDU-Bürgermeister erlebt, der sich bei seiner Sekretärin erkundigte ob er denn der ersten Grünen-Vize-Bürgermeisterin wirklich die Hand geben müsse…
Und Ratsherren, die sich wöchentlich die politischen Direktiven aus dem Generalvikariat abholten.
In meiner Kindheit lebten noch die ehemaligen Ortsgruppenleiter und Feuerwehrmänner, die in der Reichspogromnacht dafür sorgten, daß nur die Synagoge verbrannte und die umstehenden Bürgergebäude stehenblieben – aber von ihnen habe ich erst als erwachsener Student erfahren, als dich die Stadt verließ. DAS konnte unter dem Schutz der CDU passieren – die auch den Klerikalfaschisten Kardinal Jäger zum Ehrenbürger ernannte und erst Jahrzehnte nach dessen Tod bereit war, ihn aus der Liste dieser Ehrenbürger zu streichen.
Ja – das sind die CDU-Ehrenbürger – vom Schützen- übern Fußballverein bis zur Handwerkskammer wird mit allen geschachert und paktiert, die die kleinbürgerliche Hoch-Kauer-Mittehaltung stützen, damit die Geschäfte nicht gestört werden.
Die Konservativen sind immer die Steigbügelhalter der Faschisten, aus puren und bequemen Eigennutz – die glauben, sie hätten da prima Bluthunde, die ihnen die Drecksarbeit abnehmen, damit sie wieder ihre patriarchal-klebrigen Männerträume auf der Chaiselongue träumen können, muffig, frauen- und kinderfeindlich, mit bigotten Sexphantasien, die man dann bei der Beichte entschuldigt bekommt.
[…..]

(Wolfgang Brosche, Facebook, 05.11.2019)

Mit der Pfälzerin Klöcker und den NRWlern Linnemann/Spahn/Merz besitzt die CDU nun aber ein Rechtsaußen-Machtzentrum. Unter dem Vorsitzenden Merz wird den Nazis und Antisemiten schamlos die Hand gereicht.  Immer öfter stimmen sich AfD und CDU ab, bringen gemeinsam ihre völkischen Anliegen gegen die demokratischen Parteien durch.

Im Osten regiert man auf kommunaler Ebene in schwarzbrauner Eintracht. AfD/CDU-Landesregierungen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit bald folgen.

In Hamburg versucht die CDU ebenfalls diesen Weg, scheitert aber bisher glücklicherweise an den liberalen Hanseaten und den Mehrheiten.

[….] In der Harburger Bezirksversammlung ist es am Dienstagabend zu einem Eklat gekommen. Die CDU scheiterte mit dem Versuch, den amtierenden Vorsitzenden Holger Böhm (SPD) durch ihren eigenen Kandidaten Robert Timmann zu ersetzen. Trotz Unterstützung durch die AfD, Fraktionslose und die Volt-Abgeordneten verfehlte der CDU-Kandidat die notwendige Mehrheit.

Der Antrag der CDU, das Präsidium der Harburger Bezirksversammlung neu zu wählen, stieß bereits zu Beginn der Sitzung auf deutlichen Widerstand. Michael Sander, Co-Fraktionsvorsitzender der Grünen, beantragte, den Tagesordnungspunkt zu streichen. Er argumentierte, die Wahl des Präsidiums sei Teil der konstituierenden Sitzung und für die gesamte Legislaturperiode bindend. Unterstützung erhielt er von SPD-Fraktionschef Frank Richter: „Wenn Sie den Vorsitz stellen wollen, müssen Sie anfangen, Wahlen zu gewinnen“, so Richter in Richtung CDU. [….] CDU-Fraktionschef Rainer Bliefernicht widersprach und verwies auf eine veränderte Mehrheitslage: Die SPD habe einen erheblichen Teil ihrer Mitglieder verloren – dem müsse Rechnung getragen werden. Unterstützung erhielt er dabei auch von AfD-Fraktionschef Helge Ritscher. Die Zustimmung der AfD wurde von Bliefernicht mit einem zustimmenden Kopfnicken quittiert. [….] Letztlich stimmten CDU, AfD, die fraktionslosen Abgeordneten sowie Volt gegen die Absetzung des Tagesordnungspunkts. Grüne, SPD und Linke hielten dagegen – jedoch erfolglos.

Im weiteren Verlauf der Sitzung kündigten Grüne, SPD und Linke an, sich an der Wahl nicht zu beteiligen. Sie hielten den Vorgang für rechtswidrig. Grünen-Politiker Michael Sander richtete sich direkt an den CDU-Kandidaten Timmann: Sollte dieser auf 26 Stimmen kommen, müsse er sich bewusst sein, dass diese nur mit Hilfe der AfD möglich seien. Auch SPD-Fraktionschef Richter und Linken-Abgeordneter Jörn Lohmann erklärten den Boykott ihrer Fraktionen. [….]

(André Lenthe, 23.09.2025)

Die Ploß/Thering-CDU an der Elbe möchte schwarzbraune Mehrheiten. Die Merz/Linnemann-Parteiführung lässt sie.

Die meisten anderen Hamburger Parteien glücklicherweise nicht. Aber es war knapp.

[….] Dem Antrag auf Neuwahl stimmten CDU, AFD und alle Fraktionslosen zu, Volt enthielt sich. 25 Ja-Stimmen, 21 Nein, 2 Enthaltungen. Grüne, Linke und SPD verließen daraufhin (fast geschlossen) den Saal.

Es folgte die geheime Wahl mit diesem Ergebnis: Für Timman stimmten 25, Enthaltung gab es eine bei drei Nein-Stimmen. Eine absolute Mehrheit der Mitglieder (51) hätte es bedurft, um Timman zu wählen.

Holger Böhm blieb damit in seinem Amt als Vorsitzender der Versammlung und es bleibt die bittere Erkenntnis: Die Brandmauer ist von Seiten der CDU zerstört. [….]

(Niels Kreller, 23.09.2025)

Bemerkenswerterweise bekommt diese zwar regionale, aber in ihrer politischen Dimension doch immer noch ungeheuerliche Meldung, von der versuchten Nazi-CDU-Allianz keinerlei überregionale Aufmerksamkeit.

Harburg ist zwar „nur“ ein Bezirk, aber mit 180.000 Einwohner auch kein winziges Kaff in Sachsen, bei dem man die Hühneraugen zumachen könnte. Merz findet es scheinbar OK.

Dienstag, 23. September 2025

Wir sind so dumm

Seit 100 Jahren lernen wir, was nicht funktioniert: Nazis einhegen.

Sie mäßigen sich nicht durch Verhandlungen. Werden nicht durch Zureden milde gestimmt. Verzichten nicht auf Radikalität, wenn man ihren Forderungen nachgibt. Ziehen sich nicht zurück, wenn ihr Hass übernommen wird. Erlernen keinen Pragmatismus, wenn man mit ihnen koaliert.

Es nützt nichts, mit Hitler zu verhandeln.

Seither ist kein faschistischer Diktator verschwunden, indem die Opposition, die Presse oder das Ausland ihm bescheinigten, berechtigte Thesen zu vertreten.

Demokratien überleben nicht, indem sie sich an Autokraten anpassen und sich gefallen lassen, demokratische Werte zu stutzen. Appeasement und Chamberlainismus sind Irrwege.

Kaum zu glauben, aber wahr: Dennoch schmiegen sich europaweit Konservative an die Nazis an, plappern ihre Thesen nach, umwerben ihre Wähler, schmeicheln ihren Egos. Immer mit den gleichen Effekten: Die Nazis werden stärker, die Konservativen schwächer, die Demokratie wackeliger.

Selbstverständlich führt die von Söder, Merz, Reiche, Spahn, Dobrindt betriebene Politik zum Schrumpfen der Union und boostet die AfD auf Rekordhöhe.


Das schändliche Verhalten einiger Teile des ÖRR – ein Tiefpunkt war sicherlich Spahns vorgestriger Auftritt bei Miosga – treibt die AfD in immer neue Höhen.


Man gibt als Disney nicht Trump den kleinen Finger und hofft, deswegen fürderhin von ihm in Ruhe gelassen zu werden.

Man lässt als NATO-Staat nicht russische Kampfjets ohne Konsequenzen über sich kreisen und erwartet für seine Milde, auch von Putin mit Milde bedacht zu werden.

Man zieht nicht den Kopf ein vor Rechtspopulisten, damit diese sich von allein besinnen.

Man gibt nicht in vorauseilendem Gehorsam die Redefreiheit auf.

Man duldet keine „national befreiten Zonen“.

Man findet sich niemals damit ab, wenn Queere, People Of Color oder Menschen mit Kippa, auf der Straße nicht mehr sicher sind.

[….]  Warum Michel Friedman nicht in Mecklenburg lesen darf

[….]  Der jüdische Autor sollte eigentlich im Literaturhaus der kleinen Ostseestadt Klütz auftreten. Jetzt wurde die Einladung zurückgenommen – offenbar auf Druck des Bürgermeisters. [….] [Der Chef des Uwe-Johnson-Literaturhaus] Oliver Hintz war es auch, der den jüdischen Schriftsteller Michel Friedman bat, zur Eröffnung der Hannah-Arendt-Woche aus seinem Buch „Mensch! Liebeserklärung eines verzweifelten Demokraten“ zu lesen, und Friedman sagte zu. Was dann passierte, scheint dem Buch selbst entnommen zu sein. Hintz schildert es heute so: Eine Mitarbeiterin des Literaturhauses, deren Gesinnung schon zuvor kein Geheimnis war, drohte offen, die Lesung von Michel Friedman zu verhindern oder aber sich mindestens der Organisation der Veranstaltung komplett zu verweigern. Im Anschluss wandte sie sich an die Stadt, wenig später wurde Oliver Hintz zum Gespräch gebeten. Er solle, hieß es dort, die Einladung an Friedman zurücknehmen [….]  Den Klützer Bürgern, erklärte man Hintz, sei ein solcher Auftritt nicht zuzumuten. Die Belastung der Steuerzahler wurde angeführt, obwohl die Kosten für Friedmans Auftritt von den Unterstützern der Hannah-Arendt-Woche getragen worden wären – und Friedman selbst angeboten hatte, im Zweifel auf Honorar zu verzichten. Beides war schon zu diesem Zeitpunkt kein Geheimnis mehr.

Als Oliver Hintz, der in Lübeck aufgewachsen ist, die Stelle angetreten hat, wusste er von dem Ruf des sogenannten Klützer Winkels. Es ist allgemein bekannt, dass es dort eine sehr ausgeprägte, selbstbewusste rechtsextreme Szene gibt, aber so dramatisch hatte er es sich doch nicht vorgestellt. Nicht weit von Klütz liegt die völkische Siedlung Jamel, über die immer wieder auch bundesweit berichtet wird. Und als neulich in Grevesmühlen, einem Nachbarort von Klütz, der erste Christopher-Street-Day stattfand, marschierten 350 Neonazis dagegen auf. Auf die AfD entfallen in der Gegend an die 40 Prozent der Wählerstimmen. [….]  Bürgermeister Jürgen Mevius gehört der Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWG) an. [….] Die Schweriner Kulturministerin Bettina Martin (SPD) bezeichnet die Ausladung als „verheerendes Zeichen“. Sie beobachte, schreibt sie in einem Statement, die Einschüchterungsversuche rechtsextremer Kräfte gegen Kulturschaffende mit großer Sorge. [….]

(Felix Stephan, 22.09.2025)

Was für eine Schande! Merz heult auf in München Krokodilstränen bei der Wiedereröffnung der Synagoge und ein paar Tage später zeigt sich der deutsche Staat von seiner gräßlichsten antisemitischen Seite. Es geht hier nicht nur gegen Michel Friedmann.  Nein, Deutschland wirft damit die wichtigsten demokratischen Werte über den Haufen. Mevius und Klütz sind die Inkarnationen all dessen, das schief läuft.

[….] Friedman kritisiert „peinliche Heuchelei“

Friedman kritisierte in einem Interview mit dem NDR Mevius scharf und sprach von einer „peinlichen Heuchelei“. Der Publizist und Jurist argumentierte, der Bürgermeister hätte im Sinne einer wehrhaften Demokratie zeigen müssen: „Der Staat lässt sich von Antidemokraten nicht erpressen.“

„Dieser Bürgermeister antizipiert, dass bei einer Veranstaltung, die im Oktober 2026 stattfindet, also in über einem Jahr, anscheinend die Rechtsextremen so stark sind, dass er seine Stadt nicht schützen kann, wenn Michel Friedman zu Besuch kommt“, sagte Friedman. Die Kunst-, Kultur- und Meinungsfreiheit dürfe nicht gefährdet sein, weil eine vorweggenommene Einschüchterung durch Rechtsextreme angenommen werde.  [….]

(MoPo, 23.09.2025)

Mevius, an Peinlichkeit und Erbärmlichkeit nicht zu übertreffen, jammert nun, die Stadt habe sich den Schutz Friedmans nicht leisten können: Das Honorar Friedmans sei deutlich höher als bei Lesungen von Schriftstellern dort üblich. Eine ungeheuerliche Lüge, denn Friedman hatte auf das Honorar verzichtet und die Sicherheitskosten wurden von einem anderen Träger des Vereins übernommen.

Wieso ist Mevius noch im Amt? Wo sind Merz und Dobrindt?

Ach, ja, die hatten ja erst im Januar Friedman mit ihrem profaschistischen Kurs selbst aus der CDU getrieben.

[….]  Die Ausladung von Michel Friedman ist eine Einladung an Neonazis

Ausgerechnet bei einer Veranstaltung zu Ehren der jüdischen Philosophin Hannah Arendt darf der Publizist nun doch nicht auftreten. Angeblich, weil der Auftritt zu teuer wäre. [….] Friedman [….]  hat das Buch „Mensch! Liebeserklärung eines verzweifelten Demokraten“ veröffentlicht, in dem er, der Sohn von Holocaust-Überlebenden, vor rechtsextremer Gewalt und Gleichgültigkeit warnt. In Klütz, einem Örtchen im Mecklenburger Nordwesten, sollte er anlässlich des 120. Geburtstags von Hannah Arendt über Demokratie sprechen. Doch der Leiter des örtlichen Literaturhauses sah sich auf Drängen der Stadtvertretung gezwungen, Friedman wieder auszuladen. Im Ort habe man Angst vor rechten Protesten, hieß es. Nach zwei Tagen Stille widersprach der Bürgermeister: Friedmans Gage sei zu hoch, das Vorhaben vor allem zu teuer.

Auch wenn über die Gründe gestritten wird: Diese Ausladung ist eine Einladung. An Neonazis, die in Nordwestmecklenburg seit den Neunzigern ihren Traum von „Blut und Boden“ leben, in den Gemeinderäten sitzen, in Facebook-Videos Spanferkel drehen und politische Gegner markieren. Sie können erneut den Eindruck gewinnen, dass sie nicht in der Mehrheit sein müssen, sondern nur da. Schon wird in ihrem Sinne gehandelt, in vorauseilendem Gehorsam, im Namen der Ruhe.

Man bekämpft Rechtsextreme nicht, indem man ihnen gibt, was sie wollen. Man schützt niemanden, indem man sagt: Bleib weg. Es ist gut, dass der Fall so ein breites Echo findet, die Politik zu solidarischem Handeln zwingt. [….]

(Ulrike Nimz, 23.09.2025)

Montag, 22. September 2025

Russland und Europa

Es schleichen sich gern mal Narrative im Journalismus ein, die jeder unkritisch repetiert und schließlich auch alle glauben, weil es so oft gelesen und gehört wurde.

Die Grünen sind eine Verbotspartei, Merz ist der Mann mit der enormen Wirtschaftskompetenz, die Griechen sind alle faul, Wolfgang Bosbach ist ein ehrlicher Klartextmann, etc pp.

Sieht man sich diese Konnotationen genauer an, sind sie aber falsch.

Manche Figuren werden aber auch richtig geframt. Donald Trump ist meines Erachtens tatsächlich extrem ungebildet, denkfaul und nur an seinem eigenen Wohl interessiert.

Ich glaube auch an das bekannte Putin-Narrativ; er teste kontinuierlich, wie weit er gehen könne, überschreite systematisch Grenzen und verstehe nur Stärke.

Daß er seinen Handlungsspielraum täglich misst, scheint mir offensichtlich. Nicht hundertprozentig sicher bin ich in der Frage, ob er sich von (militärischer) Stärke einschüchtern lässt. Könnte er womöglich von einem direkteren Eingreifen der NATO oder Angriffen auf russisches Staatsgebiet so gereizt werden, daß er zu ABC-Waffen greift? Dieser Gedanke, der offenkundig in vielen EU-Regierungen kursiert, läßt sich nicht beweisen oder widerlegen.

Wir erinnern uns aber an den 24. November 2015, als zwei russische Kampfjets von Syrien aus, in den Luftraum des NATO-Staats Türkei eindrangen. Ankara ließ sofort F-16s aufsteigen, warnte die russischen Piloten mehrfach und schoss eine Suchoi Su-24 ab. Die Besatzung, bestehend aus dem Piloten Oleg Peschkow und Waffensystemoffizier Konstantin Murahtin, konnte sich zwar zunächst mit Schleudersitzen retten, wurde aber am Boden von einer syrischen Miliz aufgegriffen und umgebracht. Putin war not amused, überzog die Türkei mit Sanktionen. Aber nachdem alle verbalen Dampf abgelassen hatten und die Türkei die Leiche Peschkows ehrenvoll nach Russland überführt wurde, näherte man sich schnell wieder an. Heute sind Putin und der fast gleichaltrige Erdoğan beste Kumpels. Das russische Militär verletzte nie wieder türkischen Luftraum und beim Umgehen lästiger EU-Sanktionen, steht Ankara Moskau hilfreich zur Seite.

Zehn Jahre später fliegen russische Aufklärungsdrohnen Drohnen täglich über sensibler deutscher Infrastruktur, sogar über Kasernen. Es gibt kontinuierlich russische Cyberangriffe auf die NATO, die russische Schattenflotte verschifft munter Gas und Öl über die Ostsee in die EU und Kampfjets dringen in den Estnischen und polnischen Luftraum ein.

[…] Wladimir Putin testet die Grenzen: Zwei russische Kampfflugzeuge sind nach Angaben des polnischen Grenzschutzes in die Sicherheitszone einer Bohrplattform in der Ostsee eingedrungen. Die polnischen Streitkräfte seien informiert worden, teilt die Behörde auf X mit. Die Jets seien im Tiefflug über die Bohrplattform Petrobaltic geflogen. Dabei sei die Sicherheitszone der Plattform verletzt worden. […] Kurz zuvor hatte bereits Estland mitgeteilt, dass russische Kampfjets vom Typ MiG-31 in den Luftraum des baltischen Landes und Nato-Mitglieds eingedrungen seien. Die drei Maschinen seien zwölf Minuten lang unerlaubt im estnischen Luftraum gewesen, sagte Außenminister Margus Tsahkna.  Die MiG-31 sind Abfangjäger, also Jagdflugzeuge, die feindliche Luftfahrzeuge abfangen und vernichten sollen. Sie sind das kampfstärkste Jagdflugzeug der russischen Armee, erreichen eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 3000 Kilometer pro Stunde und besitzen Waffen mit großer Reichweite. Für die Kampfflugzeuge der Nato ist der MiG-31 ein ernst zu nehmender Gegner. Die Jets kommen regelmäßig in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zum Einsatz. [….]

(SPON, 19.09.2025)

Anders als das Nato-Land Türkei, wagen es Balten, Polen und Deutsche aber nicht, sich gegen die russischen Sticheleien zu wehren. Sie machen das, was Putin erwiesenermaßen überhaupt nicht beeindruckt: Empörte Pressemittteilungen, Beschwerden und die EU bereitet nach 18 völlig wirkungslosen antirussischen Sanktionspaketen, nun Nummer 19 vor! Darüber hinaus scheißen sich alle EU-Regierungschefs kräftig in die Hosen und blicken bange nach Washington: Was wird Trump sagen? Wird er Putin verurteilen? Beschützt Trump uns? Hilft er den schwächelnden Europäern im Baltikum?

Diese Europäische Hasenfüßigkeit sendet zwei Signale aus:

Erstens versteht Putin das als Einladung, weiter seine Muskeln spielen zu lassen. Die EU-Heulsusen werden es nicht wagen, sich ihm in den Weg zu stellen.

Zweitens wird Trump in seinem Misstrauen gegenüber Brüssel bestätigt. Wenn die schon nichts tun, muss die USA schon gar nicht militärisch gegen Russland aktiv werden.

Im gestrigen Presseclub/internationaler Frühschoppen herrschte diesbezüglich völlige Einigkeit: Merz führt nicht, Brüssel nässt sich ein, Putin fühlt sich gestärkt und insbesondere das deutsche Volk versteht überhaupt noch nicht, welcher enormen Bedrohung es ausgesetzt ist, sondern steckt den Kopf in den Sand: Einfach keine Waffen mehr an die Ukraine liefern, devot gegenüber dem Kreml auftreten und dann wird schon alles gut.


Nein, ich weiß auch nicht, wie es in Putins Kopf aussieht und habe kein sicheres Rezept dafür, wie man Frieden in Europa schafft und russische Expansionspläne eindämmt.

Aber so sicher ich vor einem halben Jahrhundert war, daß die EU Putin die Hand reichen sollte, um gemeinsam Politik zu machen (was auch beispielsweise 2003 gegenüber GWB sehr gut funktionierte), so sicher bin ich mir heute, daß es mit Putin keine Gemeinsamkeiten mehr gibt und daß er das Lavieren der EU seit 2014 immer nur als Aufforderung versteht, noch weiter zu gehen. Das 97. Sanktionspaket, an das wir uns noch nicht mal selbst halten und für Milliarden weiter Gas aus Russland einkaufen, kann offenkundig nicht die Lösung sein. Wenn wir Mig-31s ungehindert über uns rumfliegen lassen und wir uns noch nicht mal trauen, russische Drohnen über Bundeswehrkasernen abzuschießen, senden wir natürlich ein klares Signal nach Moskau: „Wir sind willige Opfer und wollen von dir missbraucht werden!

Ich kann es kaum glauben und erinnere mich an keinen Präzedenzfall, aber beim Thema „russische Jets“ stehe ich eher auf der Seite der CDU, als bei der taz, die vor Eskalation warnt:

[…] Die estnische Insel Vaindloo, seit wenigen Tagen europaweit bekannt, hat wenig zu bieten. […] Ist es deswegen harmlos, dass das russische Militär nach estnischen Angaben den Luftraum um die Insel verletzt hat? Nein. Hoheitsgebiet ist Hoheitsgebiet und erfahrungsgemäß lügt die russische Regierung, wenn sie den Überflug leugnet. Sollte die Nato aber im Wiederholungsfall russische Kampfjets abschießen, wie es in den letzten Tagen mehrere CDU-Politiker und implizit auch ein Kommentar in der taz gefordert haben? Ebenfalls nein. Legitim wäre ein solcher Schritt zwar. Unter Mitwirkung des Westens würde damit aber eine neue Eskalationsstufe erreicht – ohne großen Nutzen.

Für den russischen Überflug und vergleichbare Vorfälle der letzten Wochen sind mehrere Motive denkbar. Erstens: Russland will testen, wie gut die europäische Verteidigung funktioniert. Unter Vorbehalt – keiner von uns war vor Ort – kann man sagen: Sie hat funktioniert. Nato-Jets waren zur Stelle und hätten wohl eingreifen können, wenn die Gefahr eines Angriffs konkret geworden wäre. Zweitens: Russland wollte die europäische Bevölkerung verunsichern. Ein Stück weit ist das gelungen: Wem wurde ob der ersten Eilmeldungen aus Estland nicht mulmig?   […]

(Tobias Schulze, 22.09.2025)

Allerdings gibt es in der taz auch andere Stimmen; Redaktionskollege Dominic Johnson beschrieb es 24 Stunden zuvor ganz anders.

[….] Warum also reagiert die Nato nicht, wenn Russland Spähdrohnen nach Polen schickt, Kampfdrohnen über Rumänien leitet und zuletzt sogar drei Kampfjets zwölf Minuten lang ohne Kommunikation durch den Luftraum Estlands fliegen lässt? Die Türkei hat es vorgemacht: Man muss sich Respekt verschaffen. Klar, die russischen Jets wurden, wie es heißt, aus dem estnischen Luftraum „eskortiert“. Und man weiß nicht, wie Russland reagieren würde, wenn man auf eine russische Provokation Taten und nicht nur Worte folgen ließe. Aber man weiß, wie Russland reagiert, wenn man bei Worten bleibt: mit der nächsten Provokation, immer eine kleine Stufe höher. Je untätiger die Nato gegenüber Vorstößen aus Russland bleibt, desto mehr ermutigt sie russische Aggression.  [….]

(taz, 21.09.2025)

Der Kanzler hört aber offenkundig nicht auf Jürgen Hardt und Roderich Kiesewetter. Seine Möchtegern-Führungsrolle in der EU gibt Merz auf.

Schluss mit Außenkanzler. Deutschland isoliert sich in der EU und legt Brüssels Außenpolitik lahm. Ein katastrophale Fehlleistung des Kanzlers. Zur UN-Generalversammlung fliegt er erst gar nicht. Er lässt Macron im Stich.

[….] Kurz bevor am Dienstag bei den Vereinten Nationen in New York die diesjährige Generaldebatte beginnt, machen Frankreich und Saudi-Arabien am Vorabend der Uno-Generalversammlung einen spektakulären diplomatischen Aufschlag. Präsident Emmanuel Macron und der zugeschaltete saudische Kronprinz Mohammed bin Salman möchten bei einem Gipfeltreffen mit Dutzenden Staats- und Regierungschefs für eine Zweistaatenlösung im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern werben. Um den Druck auf Israel zu erhöhen, werden weitere westliche Staaten einen palästinensischen Staat anerkennen, darunter Frankreich. Am Sonntag hatten als erste der wirtschaftsstarken westlichen G7-Staaten Großbritannien und Kanada Palästina als Staat anerkannt, auch Australien und Portugal schlossen sich an.

Die Bundesregierung verfolgt einen zunehmend einsamen Kurs in der Nahostpolitik. [….] Die Bundesregierung weigert sich, einen Staat Palästina offiziell anzuerkennen. [….][….] Bundeskanzler Friedrich Merz betonte zuletzt, dass die Anerkennung eines palästinensischen Staates »gegenwärtig« nicht zur Debatte stehe. [….] Weltweit haben bereits rund 150 Staaten die palästinensischen Gebiete als Staat anerkannt. [….] Die vier Parteichefs von CDU, CSU und SPD vereinbarten am Sonntag in München, dass Deutschland vorerst keinen EU-Handelssanktionen gegen Israel zustimmen wird. Einen entsprechenden Vorstoß von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sehen die Koalitionsspitzen kritisch [….] Fest steht: Solange Deutschland blockiert, gibt es auf EU-Ebene nicht die benötigte Mehrheit für Sanktionen.

In weiten Teilen der EU stößt die Idee von Handelsbeschränkungen gegen Jerusalem auf Zustimmung. [….] Besonders die CSU steht bei Sanktionen auf der Bremse. »Wir weisen immer wieder darauf hin, dass wir aus unserer historischen Verantwortung ein historisch gewachsenes Freundschaftsverhältnis zu Israel haben«, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann am Montag. Und da gelte: »Dass man Freunde kritisieren kann, aber eben nicht sanktionieren«.[….] Jedes Jahr im September findet die Uno-Generalversammlung im New Yorker Hauptquartier der Vereinten Nationen statt. Es ist das wichtigste Diplomatie-Event des Jahres. Für Präsidenten und Regierungschefs ist das die Gelegenheit, sich der Weltöffentlichkeit zu präsentieren und ihre Vision von einer globalen Weltordnung vorzustellen. Und sie haben die Chance, am Rande der Konferenz wichtige Absprachen zu treffen und neue Kontakte zu knüpfen. Donald Trump, Benjamin Netanyahu, Chinas Premier Li Qiang – sie alle werden da sein. Doch der Bundeskanzler fehlt. [….] Für den Kanzler hat das den vielleicht ja nicht ganz unwillkommenen Nebeneffekt, dass er sich und die deutsche Israelpolitik nicht gegenüber ausländischen Partnern rechtfertigen muss. In New York dürfte sich dieser Tage zeigen, dass Deutschland mit seiner Nahostpolitik zunehmend allein dasteht. Dass es um Merz einsam wird.  […]

(SPON, 22.09.2025)

Wieder ein Signal der Unterwürfigkeit aus dem Kanzleramt zum Kreml: Mit uns kannst du es machen!

Einmal mehr erweist sich Fritze Merz als internationales Desaster.

Sonntag, 21. September 2025

Das geht böse aus – Teil II

Auf einer Skala von Optimismus bis Pessimismus, liegt der Realismus inzwischen nah bei Letzterem.

Das ist schon praktisch für mich, da ich habituell Misanthrop und Pessimist bin. Also muss ich meine Einstellungen nicht ändern.

Es gilt die alte Küchenweisheit, nach der man als Pessimist wenigstens nicht enttäuscht werden kann, sondern höchstens positive Überraschungen erlebt.

Der Realo in mir erwartet angesichts der politischen Großlage – Klima, Nahost, Russland, Rechtsradikalismus, Demokratiefeindlichkeit, Trump, Social Media, Merz/Reiche-Regierung, Kampf um die Ressourcen, Pandemien, allgemeine Verdummung – keine angenehmen Überraschungen mehr.

Im Gegenteil, wir wissen schon seit Jahrzehnten, welchen Katastrophen wir entgegenrasen, sind aber unfähig, uns entsprechend zu rüsten.

Aber obwohl ich pessimistisch denke, war noch ein Fünkchen zu viel Gutgläubigkeit in mir. Denn offensichtlich habe ich die Geschwindigkeit, mit der sich die westliche, demokratische Welt in den Abgrund bewegt, noch unterschätzt.

Bisher hatte ich recht hoffnungsfroh ausgerechnet, als semi-ältlicher Kinderloser meine Landung auf dieser Affenkugel perfekt getimt zu haben: Geboren zufällig zu einer Zeit des Wachstums, an einer friedlichen Stelle des Planeten und dann auch noch zufällig als Mann, Weißer und Demokrat.

Die Restlaufzeit für ein halbwegs gutes Leben in Nordeuropa; bevor Krieg, Hitze, ökonomischer Niedergang zu irgendeiner Art von Flucht zwingen; taxierte ich auf etwa 20 Jahre. Das fiele ungefähr mit meinem natürlichen biologischen Lebensende zusammen. Sorge um die Nachkommen müsste ich mir nicht machen und könnte erleichtert die Hühner satteln.

Inzwischen erscheinen mir zwei Dekaden Lebensrestlaufzeit aber doch als zu lang. Die Einschläge kommen näher und erfolgen immer schneller.

Sicher, es war zu erwarten, daß Merz und Söder die Weichen auf Vergangenheit stellen und auf diese Art nicht nur das Klima und Deutschlands Zukunft, sondern auch sehr konkret die Ökonomie abwürgen werden. Aber daß sie so eifrig daran arbeiten, die AfD zur stärksten Partei zu machen, hatte ich unterschätzt.

Schon jetzt sind die Nazis bestimmende Kraft in Deutschland. Eine schwarzbraune Regierung hatte ich erst ab 2029 erwartet. Auch das könnte zu optimistisch gewesen sein, weil Merz sich sogar noch dümmer anstellt, als ich dachte. Ein vorzeitiges Kleiko-Aus ist durchaus möglich. Passiert das, während die Nazis bereits Ministerpräsidenten und 40%-Fraktionen in Ossistan stellen, werden Spahn, Ploß und Amthor erklären, der Wähler wolle nun einmal keine Koalition mit RRG-Parteien mehr und 1933 erneut aufführen.

Die USA transformieren sich weitgehend widerstandslos zu einer faschistischen Autokratie. Dort geht es noch schneller.

[….] Trump drängt offenbar US-Justizministerium zu Verfahren gegen politische Gegner

»Jetzt muss Gerechtigkeit her«, schreibt der US-Präsident auf Truth Social. Er bezieht sich damit auf zwei demokratische Kritiker und fordert seine Justizministerin zu Ermittlungen auf – worum es in dem Fall geht.  [….]

(SPON, 21.09.2025)

 

Seit Jahren arbeitet die Mehrheit der US-Gouverneure immer dreister daran, die Wahlgesetze zu ihren Gunsten zu ändern. Obwohl schon jetzt ein Republikaner mit 10%-Stimmenminderheit US-Präsident werden kann. Die Midterms werden aber auf noch nie dagewesene Art die demokratische Stimmabgabe unterdrücken. Dachte ich. Auch das erscheint mir inzwischen als zu optimistisch. Nun rechne ich mit einer Absage der Wahlen, sofern sich Trump nicht ganz sicher ist, zu gewinnen.

Vorwände lassen sich leicht finden. Nach acht Monaten Trump 2.0, haben sich Justiz, Opposition, Presse und Bürger als klar zu schwach und phlegmatisch erwiesen, sich dem Trump-Faschismus entgegen zu stellen. Das ermutigt die Antidemokraten.

Justiz und Presse lassen sich sagenhaft leicht gleichschalten im Land Of The Free.

[….] US-Präsident Donald Trump will innerhalb seiner Regierung vor allem eins: Menschen, die ihm gehorchen. Diejenigen, die ihre Loyalität gegenüber der US-Verfassung sehen und nicht gegenüber ihm, haben es da schwer. Das aktuellste Opfer dieser Philosophie scheint Erik Siebert zu sein. Der amtierende US-Bundesstaatsanwalt trat am Freitag nach zunehmendem Druck aus dem Weißen Haus zurück. Er soll sich geweigert haben, gegen eine langjährige Gegnerin des Präsidenten Anklage zu erheben.

„Heute Abend habe ich meinen Rücktritt als Interimsstaatsanwalt für EDVA (östlichen Bezirk des US-Bundesstaates Virginia) eingereicht“, schrieb Siebert laut US-Medien in einer E-Mail an seine Kollegen am Freitagabend. Nur wenige Stunden zuvor hatte Trump seine Entlassung gefordert. „Ich will, dass er geht“, sagte Trump auf die Frage eines ABC-News-Journalisten im Oval Office.  [….]

(taz, 21.09.2025)


Wieso sollte Trump also noch Wahlen riskieren, wenn er so einfach mit schlichten Willensäußerungen durchkommt? Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika erklärt Kritik an ihm für illegal.

[…] President Donald Trump doubled down on his administration’s brazen attacks on free speech in a Friday afternoon press conference, telling reporters that publishing negative stories about him is “really illegal.” [….]

(Daily Beast, 20.09.2025)

Die amerikanische Öffentlichkeit schluckt das. Geht nicht in Generalstreik. Sie werden auch eine Absage künftiger Wahlen hinnehmen.

[…] Der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom gilt als möglicher Kandidat der Demokraten für die US-Präsidentschaftswahl 2028 – befürchtet aber offenbar, dass Amtsinhaber Donald Trump keine freie und faire Abstimmung mehr zulassen wird. »In meinen Augen gibt es null Zweifel daran, dass er keine weitere Wahl haben will«, sagte Newsom dem »Sydney Morning Herald« in einem Telefoninterview.  Falls es doch eine Wahl geben werde, so Newsom, werde diese im Stil des russischen Präsidenten Wladimir Putin stattfinden: »das Vortäuschen einer Wahl, aber nicht fair, nicht offen. Davon bin ich absolut überzeugt.«

Newsom bescheinigte Trump »außerordentliche Effizienz« bei der Durchsetzung seiner Pläne. »Es ist chirurgisch. Die Verwirklichung einer Vision.« In der aufgeheizten Stimmung nach dem tödlichen Attentat auf den rechtsextremen Aktivisten Charlie Kirk würden Trump und seine Getreuen mit ihrer »rachelüsternen« Rhetorik zusätzlich Öl ins Feuer gießen.

Das sollte »allen einen kalten Schauer über den Rücken jagen«, sagte Newsom der australischen Zeitung. »Ich bin zutiefst besorgt ob der kommenden Wochen und Monate. Das ist ein höllischer Moment für unser Land.« [….]

(SPON, 21.09.2025)


 

Samstag, 20. September 2025

Die AfD-Booster von der CDU

Auf der Titelseite der SZ-Wochenendausgabe befindet sich eine mittelrichtige dpa-Meldung. Die AfD habe erstmals mit der CDU gleichgezogen.

SZ, s.1, 20.09.2015

CDUCSU und AfD bei je 26%. Das stimmt, wenn man sich nur auf die Zahlen des ZDF-Politbarometers bezieht. Aber die Forschungsgruppe Wahlen ist traditionell eher der CDU zugeneigt. Andere Institute sehen Union und Nazis schon lange Kopf an Kopf, oder sogar die AfD auf Platz 1.

INSA sagt am 20.09.2025: CDUCSU 25% und AfD 26%.

FORSA sagt am 12.08.2025: CDUCSU 24% und AfD 26%.

YOUGOV sagt am 17.09.2025: CDUCSU 26% und AfD 27%.

IPSOS sagt am 10.09.2025: CDUCSU 24% und AfD 25%.

Die Abstände befinden sich noch im Bereich der Fehlertoleranz, aber wenn schon vier Institute die Nazis als stärkste Partei in Deutschland messen, kann man den Trend nicht verschweigen. Zahlen, die einem nicht gefallen, zu bezweifeln, liegt nahe, wenn sie der politischen Wahrnehmung widersprechen. In diesem Fall aber entsprechen die demoskopischen Messungen exakt meinen Erwartungen, weil die Merz/Söder-Union lehrbuchartig Politik zur Stärkung der AfD betreibt. Sogar die hauseigene Parteistiftung des Kanzlers schreibt es schwarz auf weiß: Die CDU-Regierungspolitik stärkt den Faschismusin Deutschland.

[….] Die CDU hat bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen zwar gerade vergleichsweise gut abgeschnitten. Aber die AfD hat ihr Ergebnis trotzdem beinahe verdreifacht. Und in den bundesweiten Umfragen liegt sie auf Augenhöhe mit der Union. In Sachsen-Anhalt, wo im kommenden Jahr gewählt wird, rangiert die AfD sogar bei 39 Prozent – und damit weit vor der CDU. In den ostdeutschen Landesverbänden gibt es bereits Christdemokraten, die die sogenannte Brandmauer angesichts dieser Entwicklung nicht mehr für der Weisheit letzten Schluss halten. Wie soll die Union damit umgehen? 

Vielleicht könne man ja von der Entwicklung in anderen Ländern etwas lernen, fand man bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Sie hat deshalb die Lage in Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Schweden, Spanien und der Tschechischen Republik untersucht. Die Strategien zum Umgang mit Rechtspopulisten unterscheiden sich in diesen zehn Staaten erheblich. Sie reichen von konsequenter Abgrenzung über Tolerierungsmodelle und den Versuch einer produktiven Auseinandersetzung bis hin zur Kooperation und Einbindung in Regierungsverantwortung. [….] [….] Ganz anders sei es aber bei der dritten Gruppe, den „autoritär-rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien“. Diese hätten eine systemoppositionelle Grundhaltung, lehnten zentrale Prinzipien liberaler Demokratie ab und würden häufig prorussische außenpolitische Positionen beziehen und der EU ablehnend gegenüberstehen. Hier kommt die Adenauer-Stiftung zu einer klaren Einschätzung. Erstens: Mit solchen Parteien darf man nicht kooperieren. Und zweitens: Die AfD ist ein Vertreter dieses Typs von Parteien. [….]  Es zeige sich, „dass in maßgeblichen Fällen eine ‚Zähmung‘ rechtspopulistischer oder gar rechtsextremer Parteien durch Kooperation nicht gelungen ist und eher zu einer Schwächung der EVP-Mitgliedsparteien geführt hat“. [….]

(Robert Roßmann, 17.09.2025)

Die KAS ist spät dran. Seit Jahren zeigen Studien eindeutig, wie die Nazi-Parteien gestärkt werden, indem Konservative den rechten Rand imitieren. Die Konservativen wissen das. Schon im Juni 2020 erklärte der damalige CSU-Generalsekretär Markus Blume, man könne ein Stinktier nicht überstinken.

Die CDUCSU robbte aber sowohl als Opposition, als auch als Regentin immer näher an die AfD ran. Spahn, Klöckner, Linnemann, Ploß, Merz, Dobrindt könnten auch als AfD-Sprecher arbeiten und setzen Deutschland grotesk schadende Politik um: Verbrenner für immer, Gaskraftwerke bauen, Windkraft ausbremsen, Sprachverbote, Grenzschließungen, Migranten verscheuchen. Die Nazis sind in genau den Bundesländern stärk, wo CDU-Ministerpräsidenten die rechteste Politik machen.

Es gibt nur zwei Erklärungen für diese völlig wahnsinnige, vaterlandszerstörende Politik:

A)   Unionspolitiker sind unfassbar dumm und haben trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnisse immer noch nicht begriffen, daß die Leute das Original wählen, wenn man die Nazi-Forderungen salonfähig macht.

B)   Unionspolitiker sind nicht so unfassbar dumm, die Zusammenhänge nicht zu kennen, sondern fördern ganz bewußt die faschistische Ideologie, weil sie damit sympathisieren oder auf eine Koalition als Höcke-Juniorpartner hinarbeiten.

Besonders drastisch zeigt die CDU derzeit bei den Themen Kirk, Hayali, Ruhs ihren Weg in den Trumpismus.

Wenn Dunja Hayali mit Todesdrohungen überzogen wird, stören sich die rechten CDU-Herren kein bißchen daran.

Aber einer rechtspopulistischen Hetzerin, die journalistische Standards nicht einhält, springen sie sofort bei.

Sie stellt sich hinter einen Vollblut-Nazi und Rassisten gegen die Demokraten.

Auf geradezu groteske Weise stellen sind Linnemann und Günther gegen die Fakten.

[….] Der NDR trennt sich von der umstrittenen Moderatorin Julia Ruhs. Das ist keine linke Agenda, wie Rechte fabulieren. Das ist Qualitätssicherung. [….] Hier sind wir wieder, in der nächsten Runde des ­„Cancel-Culture“-Karussells. Die Absetzung von Julia Ruhs durch den NDR hat eine neue Debatte über die Ausrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Gang gesetzt. Zuvor moderierte sie drei Folgen des Reportageformats „Klar“, das nicht zuletzt von anderen Journalist*innen hinsichtlich der Qualität stark kritisiert wurde. So eine Gelegenheit, gegen eine vermeintliche links-grüne Meinungshegemonie zu schießen, lassen führende Politiker*innen selten sausen.

Ein „Tiefpunkt deutscher Debattenkultur“, klagt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und fordert, die ÖRR-Gebühren einzufrieren, damit Druck entstehe und Reformen passierten. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) spricht von einem „extrem schlechten Signal“ und übergeht eine NDR-Veranstaltung zum Intendantenwechsel. Stattdessen besuchte er eine Veranstaltung in Kiel, auf der Ruhs’ neues Buch „Links-grüne Meinungsmacht – Die Spaltung unseres Landes“ vorgestellt wurde. Beides fand am Donnerstagabend statt. Offiziell sage Günther die NDR-Veranstaltung in Hamburg aus terminlichen Gründen ab. Er habe in Kiel bleiben müssen und deswegen spontan zugesagt. [….] 250 Mitarbeiter*innen des Norddeutschen Rundfunks sollen sich laut Welt in einem offenen Brief an ihre Vorgesetzten von „Klar“ distanziert haben. Darin äußern sie unter anderem Zweifel an der Einhaltung von im Medienstaatsvertrag festgeschriebenen journalistischen Standards. [….] Rechte Medien wittern in dieser Kritik durch Mitarbeitende des ÖRR eine Einseitigkeit des ÖRR; der Cicero etwa trauert der „einzigen konservativen Journalistin im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ nach. [….]

Aber von einer Cancel-Culture kann keine Rede sein. Wie der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) in einer Pressemitteilung schreibt, sei es Fakt, dass Ruhs nicht aus dem ÖRR rausgeschmissen werde, sondern weiterhin „Klar“ moderieren dürfe – fortan eben beim BR und im Wechsel mit anderen Kolleg*innen.

Nichts daran rechtfertige Aufgeregtheit bis in höchste politische Kreise. Besonders die Aussagen der CDU-Politiker kritisierte der Verband. Die Beiträge einzufrieren – wie von Linnemann gefordert –, sei „verfassungswidrig“. [….] Gecancelt wurde hier niemand. Es wurden nur die redaktionellen Vorschriften des NDR-Staatsvertrags beachtet, nämlich die Sorgfaltspflicht. [….]

(Wlada Froschgeiser und Jonas Kähler, 19.09.2025)

Der CDU-General ist entweder dumm, wie Bohnenstroh, oder er will ganz bewußt den Nazis noch ein paar Prozentpunkte mehr zuschieben.

Freitag, 19. September 2025

Katholischer Niedergang.

Wenn ein Papst die Hühner sattelt, um zu seinem Chef zu reisen, gerate ich stets in Sorge. Der Nachfolger könnte ein Sympath sein, der alte Zöpfe abschneidet und so den Katholizismus wieder attraktiv macht.

Außer bei Ratzinger, sah es seit dem letzten Atemzug Giovanni Montinis („Pillen-Paule“) am 06.08.1978, immer so aus.

Es gibt handfeste Hinweise, daß Nachfolger Luciani es mit Glasnost und Perestroika zu ernst meinte. Schon als Kardinal hatte er bei sich in Venedig die Tridentinische Messe untersagt und sich gegen das vatikanische Verbot von Verhütungsmitteln gestellt. Der eben noch kerngesunde 65-Jährige las sich im Papstpalast gründlich in die Finanzgebaren seiner Kurialen ein und wachte nach 33 Tagen nicht mehr auf. Fragen zur Todesursache konnten nicht geklärt werden, da der Vatikan eine Obduktion und damit die Klärung der Todesursache, verweigerte. Stattdessen wurde Luciani in Rekordzeit eingesargt.

Wojtyła und Bergoglio brachen ebenfalls stilistisch mit vielen Traditionen, gaben sich bescheiden und „lebensnah“. Theologisch waren sie aber ebenso stockkonservativ, wie der prunkaffine, totalitäre Ratzinger.  Der Peruaner Prevost wurde, wie seine genannten Vorgänger, nach seiner Wahl sofort als progressiv geframt. Aber nach gut 100 Tagen, zu seinem 70. Geburtstag, ließ auch der gegenwärtige Papst erklären, was er von Lockerungen des Zölibats, Homosexualität oder Frauenpriestertum hält: Nichts!

[….] Papst Leo XIV. kritisiert Segensfeiern für Homosexuelle[….] Was er über homosexuelle Paare und die Rolle der Frau in der Kirche zu sagen hat, wird die Reformer in der Kirche nicht erfreuen. [….] Erstmals äußert sich der neue Papst zu den in Deutschland und anderen Ländern Europas teilweise eingeführten kirchlichen Segensfeiern für homosexuelle Paare, und zwar klar ablehnend. Leo XIV. sagte, diese Segensfeiern verstießen „eindeutig gegen das von Papst Franziskus genehmigte Dokument ‚Fiducia supplicans‘“. Darin hatte Franziskus im Dezember 2023 die Segnung von Menschen in homosexuellen Partnerschaften, aber auch die Segnung von geschiedenen und wiederverheirateten Partnern erlaubt. Das Dokument sah allerdings den Segen nur als „spontane pastorale Geste“ vor, gewissermaßen als „Segen to go“. Eine eigene liturgische Form dürfe es nicht geben. [….] „Natürlich können wir alle Menschen segnen“, sagte Leo XIV. Das Dokument „Fiducia supplicans“ aber suche „nicht nach einem Weg, irgendeine Form des Segens zu ritualisieren, denn das entspricht nicht der Lehre der Kirche“. Er halte es für „hochgradig unwahrscheinlich, auf jeden Fall in der nahen Zukunft, dass sich die kirchliche Lehre in Bezug auf Sexualität und Ehe“ ändern werde. Außerdem sagte der Papst, LGBTQ-Themen führten zu einer Polarisierung in der Kirche, diese wolle er nicht vorantreiben. Die traditionelle Familie aus Vater, Mutter und Kindern müsse wieder anerkannt und gestärkt werden. Und er teile die Einschätzung eines Kardinals während der Weltsynode, dass westliche Gesellschaften „zu sehr fixiert seien auf Fragen der sexuellen Identität“. [….] Die konkrete Frage, ob Frauen auch die niedrigste Weihestufe, das Diakonat, erreichen könnten, nannte er aber ein „heißes Eisen“. „Ich habe im Moment nicht die Absicht, die Lehre der Kirche zu diesem Thema zu ändern“, sagte er in dem Interview. [….]

(Annette Zoch, 18.09.2025)

Die Überraschung ist wieder einmal ebenso groß, wie die Enttäuschung der braven Beitragszahler an der Basis. Aber auch dieser alte weiße Mann auf dem Papst-Thron scheint Katholik zu sein. Als Atheist hätte ich zwar lieber Burke, Dolan, Sarah, Müller, Erdö oder Woelki als Benedikt XVII. gesehen, aber Prevost scheint auch seine Funktion als Säkularisierungsbeschleuniger zu erfüllen. Die Europäer treten weiterhin in riesigen Strömen aus der Katholischen Kirche aus.

[…..] Er erklärte in seiner Predigt, dass ihm "der Glaubensverlust in der heutigen Zeit große Sorgen" bereite und dass dieser Mangel an Glauben oft "dramatische Begleiterscheinungen" mit sich bringe. Der Glaube, so der Papst, werde heutzutage als etwas "Absurdes" für "schwache und wenig intelligente Menschen" gesehen. Viele würden stattdessen Geld, Macht, Erfolg und Vergnügen vorziehen.

Ein Ausdruck dieses Glaubensverlustes ist die Entwicklung bei der Zahl der Kirchenmitglieder in Europa. [….] Überhaupt ist in zahlreichen europäischen Ländern die Zahl der Katholiken gesunken. In Deutschland etwa ist man 2024 erstmals in der Bundesrepublik unter die 20-Millionen-Marke gefallen (19,8), wie die Deutsche Bischofskonferenz Ende März bekanntgab. Anfang April hieß es zudem, dass Konfessionslose in Deutschlands Bevölkerung einen größeren Anteil ausmachten als Katholiken und Protestanten – auch das eine Premiere. Und 2024 wurden auch noch lediglich 29 neue Priester geweiht, was einen historischen Tiefstand bedeutet. [….] In Österreich ist die Mitgliederzahl der katholischen Kirchen in den vergangenen Jahrzehnten auch stark geschrumpft. Laut Bischofskonferenz gab es 2023 4,6 Millionen Katholiken und Katholikinnen, das entsprach 50,9 Prozent der Gesamtbevölkerung. 2003, also 20 Jahre zuvor, waren es noch 5,7 Millionen gewesen, damals mehr als 80 Prozent der Bevölkerung.

Selbst in Spanien, das durch und durch als katholisch gilt, sind die Zahlen rapide gesunken. Laut dem in Madrid ansässigen Zentrum für Soziologieforschung haben im April gerade einmal 18,8 Prozent der Befragten angegeben, praktizierende Katholiken zu sein. 36,6 Prozent sehen sich als nicht praktizierende Katholiken. Die zusammengerechnet rund 55 Prozent sind weit entfernt von den mehr als 90 Prozent, die noch 1978 gegenüber dieser Forschungseinrichtung angegeben wurden. [….] Ähnliches spielt sich in Ungarn ab. Laut der Volkszählung 2023 gaben rund 2,9 Millionen Menschen an, katholisch zu sein. Im Vergleich zur Volkszählung im Jahr 2011 bedeutete das einen Rückgang von rund 985.000 Menschen oder knapp neun Prozentpunkten. [….]  Auch in Frankreich werden die Katholiken und die Priester weniger, selbst wenn 2024 ein kleiner Boom an Erwachsenentaufen gemeldet wurde. Mehr als die Hälfte der Menschen in Frankreich zwischen 18 und 59 Jahren geben an, keiner Religion anzugehören, während der Islam und andere christliche Religionen wachsen. [….] Am Beispiel Litauen, das dem europäischen Trend folgt, lässt sich gut erklären, weshalb die katholische Kirche schrumpft. Dem litauischen Medium Delfi zufolge sind die Gründe für diesen Trend eine zunehmende Säkularisierung, ausgelöst unter anderem durch das Loslösen der Jugend von der Religion, Imageprobleme der katholischen Kirche durch diverse Skandale oder auch die Globalisierung. [….]

(Der Standard, 21.05.2025)

Als Demokrat und Humanist kann ich es nur von ganzem Herzen begrüßen, wenn so viele Menschen, wie möglich, eine homophobe, misogyne, transphobe Kinderfic**rvereinigung verlassen. Es ist ein untrügliches Zeichen der Hoffnung, wenn sich der gute Dr. Prantl in Mr. Anti-Heiden verwandelt.

[….] In jedem Dorf, in jeder Stadt gibt es eine Notre-Dame. Es gib dort die kleinen und die großen Kathedralen, ohne die sich die Bürger ihren Ort nicht vorstellen können – und um die sie trauern würden, sollten sie abbrennen. Pascal Mercier hat in seinem berühmten Roman „Nachtzug nach Lissabon“ über sie geschrieben: „Ich brauche ihre Schönheit und ihre Erhabenheit. Ich brauche sie gegen die Gewöhnlichkeit der Welt. (...) Ich will mich einhüllen lassen von der herben Kühle der Kirchen. Ich brauche ihr gebieterisches Schweigen. Ich brauche es gegen das geistlose Gebrüll des Kasernenhofs und das geistreiche Geschwätz der Mitläufer.“ Das Problem ist nur: Der Zug nach Lissabon hat immer weniger Haltestellen.

Deutschland zählt derzeit noch 42 000 protestantische und katholische Kirchen und Kapellen. Über kurz oder lang wird es nur noch gut die Hälfte geben. Die Zahl der Katholiken und Protestanten schrumpft rasant, immer mehr Kirchenräume und Kirchenbauten werden nicht mehr benötigt – sie werden geschlossen, entwidmet, entweiht, profanisiert, umgenutzt, umgebaut, abgerissen. Bisweilen zieht ein Restaurant dort ein, manchmal ein Hotel, eine Bibliothek oder ein Kletterpark. Aus der einen Kirche ist eine Art Gemeinschaftsbüro geworden, ein Co-Working-Space mit Arbeitstischen, Lounges und Ruhezonen; aus der anderen wurde ein Wohnhaus mit 17 Wohneinheiten, aus der von Olaf Andreas Gulbransson gebauten Lukaskirche in Kelheim, Niederbayern, wurden Ferienwohnungen. [….]  Was soll geschehen mit den überzähligen Kirchengebäuden? Es geht ja dabei nicht um leere Hallen am Stadtrand. Es geht um das Zentrum von Stadtvierteln, um den Mittelpunkt von Dörfern; es geht um einen Ort von Geschichte und Identität, um einen Kristallisationspunkt von Kultur und Gesellschaft. Von den ungefähr 6000 Kirchen in Nordrhein-Westfalen werden bis zu dreitausend aus der Nutzung fallen. [….]  Franz Kamphaus, der verstorbene Limburger Altbischof und Hochschullehrer für Pastoraltheologie, hat gesagt: Die Kirche gleiche einem abgemagerten alten Mann in viel zu großen Kleidern; einmal hätten sie ihm wohl gepasst, aber jetzt hingen sie an ihm herunter und hinderten ihn am Gehen. Zu den zu großen Kleidern gehören auch die Kirchenräume.

Aber auch wenn sie den Gemeinden zu groß sind: Es sind prachtvolle Kleider darunter, viele sind atemberaubend schön. Die entgrenzende Architektur der Kirchen ist darauf angelegt, Zeit und Ewigkeit zu verbinden. Kirchen sind nicht zum Wohnen, sie sind zum Staunen gebaut. Sie sind in ihrem gebieterischen Charakter eine Zumutung für das moderne Individuum und in ihrer unerbittlichen Stille ein Angriff auf das Geschnatter der Social-Media-Welt. Wer in eine Kirche geht, macht einen Ausflug in die Transzendenz. [….]

(Heribert Prantl, 18.09.2025)