Donnerstag, 4. Oktober 2012

Dirk Bach ist tot.




Das Leben ist eine durch Geschlechtsverkehr 
übertragene Krankheit mit 100% Mortalität.


Das mit dem Tod ist eine erstaunliche Sache. 
Er ist die einzige absolute Gewissheit unseres Seins und gleichzeitig geben wir kleinen Homo Sapiens-Ameisen uns solche Mühe das Thema zu verdrängen.
Ich finde es immer wieder faszinierend die Reaktionen zu erleben, wenn ich von meinen vertraglich fixierten Vorbereitungen für den Fall meines Todes erzähle.
90% der Leute sind entsetzt und begreifen nicht, wie man sich damit beschäftigen kann. 

Wie ich unpraktischerweise in den letzten Jahren unmittelbar erfahren habe, kann der Sterbeprozess sehr unerfreulich und unerquicklich verlaufen. 
Selten ist das keineswegs. Der weit überwiegende Teil der Deutschen stirbt im Krankenhaus an Strippen hängend - also genauso so, wie es ebenfalls die meisten ablehnen.

Mit dem Tod hat der Sterbende es hinter sich.
 Für die Hinterbliebenen wird es dann noch mal richtig beschissen. 
So ist der Mensch: Auch wenn man es vorher wußte, den Tod erwartete oder gar herbeisehnte, ist es doch ein Schocker, wenn es so weit ist.

Für den Toten ist es nach meiner tiefsten Überzeugung ein echtes Glück, wenn es plötzlich kommt. Ohne Vorwarnung.
Und zwar möglichst lange bevor man in die malade Phase des Lebens eintritt.
Wer tot ist, hat es hinter sich.
 Glückwunsch.

Unglücklicherweise kollidiert die Idealvorstellung eines frühen überraschenden Todes mit den Interessen derjenigen, die emotional mit dem Toten verbunden waren.
Sie können schwer getroffen werden und sich unter Umständen nie mehr erholen.

Nun ist Dirk Bach tot und mir scheint die Trauer um ihn ehrlich zu sein. 
Abgesehen von den üblich-dümmlichen Kommentaren à la Oliver Pocher („ mein herzliches Beileid“) gibt es eine große Menge Stellungnahmen von Personen, die ganz offensichtlich mehr als das übliche Blabla ablassen, weil sie ernsthaft emotional angegriffen sind. 

Viele scheinen Bach persönlich gemocht zu haben.
Das kann ich nicht beurteilen, weil ich ihn natürlich nicht persönlich kannte.

Darüber hinaus wird er als „Komiker“, bzw „Comedian“  geschätzt.
Das kann ich schon gar nicht beurteilen, weil ich das Genre generell ablehne und niemals (deutsche) Comedy-Sendungen sehe.

Ich habe lediglich am Rande mitbekommen, daß Bach politisch aktiv war, für die Grünen arbeitete und sich für allerlei bürgerrechtliche Belange einsetzte.
 Dabei war Bach im Gegensatz zur übergroßen Mehrheit seiner Kollegen recht gut informiert und hielt sich mit seinen Meinungen nicht zurück.
Das finde ich gut.

Aber, er hat es hinter sich.

Was anlässlich des überraschenden Todes eines sehr prominenten Schwulen zu erwarten war, passierte natürlich auch:
Im Internet gibt es Häme und unappetitliches Nachtreten auf Seiten der Ultrareligiösen verschiedener Religionen. 
Also genau den Leuten, vor denen weite Teile des Bundestagsparteienspektrums nun beim Beschneidungsgesetz mit einem „kläglichen Gesetzentwurf“ (Prof. Reinhard Merkel) einen Kotau machen.

Bei den strammen Islamisten freut man sich („die fette Schwuchtel ist verreckt!“) und so sicher wie das Amen in der Kirche feuerte auch Hakenkreuznet seine homophobe Hetze ab.

Stilistisch greifen die Ultrakatholiken erwartungsgemäß in so tiefe Kellergeschosse, daß dagegen noch die Salafisten höflich wirken. 


„Bach ist am 1. Oktober zur Hölle gefahren.“


Was ich an  Kreuznet so schätze:

1.)      Die absolut wertneutrale, sachliche Ausdrucksweise:
(„seine niederträchtige Kotstecherei“)

2.)      Die fundierte Recherche, welche nur die seriösesten Quellen berücksichtig:
(„geht aus einem Artikel hervor, der gestern in der deutschen Dreckzeitung ‘bild.de’ publiziert wurde“)

3.)      Das scharfsinnige Herstellen von Zusammenhängen:
(„Um seine Gewissenlosigkeit zu vertuschen wurde er Tierschützer.“)

4.)      Die von Liebe erfüllte Achtung, die den Nächsten gegenüber praktiziert wird.
(„Dirk Bach (51) war in vieler Hinsicht verkommen.  Bach starb am 1. Oktober den einsamen Tod eines reuelosen und deshalb gottverlassenen Homo-Gestörten.“)

5.)    Die medizinische Aufklärung.
(„Beobachter gehen davon aus, daß Bachs Gesundheit durch die Einnahme sogenannter Poppers gelitten hat.  Es handelt sich um flüssige und kurzzeitig wirksame Drogen, die fast immer von Homo-Gestörten genommen werden, um ihr entartetes Verhalten erträglich zu machen.   Diesen Rauschgiften werden schmerzhemmende Wirkungen zugeschrieben, weshalb sie Homos vor der Sodomisierung verwenden.    In Zusammenhang mit der gleichzeitigen Verwendung blutdrucksenkender Mittel können Poppers einen lebensgefährlichen Abfall des Blutdrucks bewirken.  Es ist bekannt, daß der schwer übergewichtige Bach an Bluthochdruck litt.“)

[Anmerkung: Inzwischen sind drei Bach-verhetzende Artikel auf Kreuznet erschienen. 
Ich verlinke die absichtlich nicht. Wer das selbst lesen will, wird keine Mühe haben sie zu finden. Hakenkreuznetseite aufrufen und dann "Dirk Bach" ins Suchfenster eingeben.]

Für Kreuznet-Kenner ist das bestenfalls das Übliche. 
Die Katholiban hetzen und lügen schließlich jeden Tag in so abartiger Weise, daß dagegen Fred Phelps von der Westboro Baptist Church wie ein echter Philanthrop wirkt.

Das Erstaunliche ist nun, daß ausgerechnet der Tod eines Comedians scheinbar das Fass zum Überlaufen bringt.

Was die Kreuznet-Hetze gegen Frauen, Atheisten, Protestanten, Juden, Israel, Grüne, Linke, SPD, CDU, Freimaurer, Homosexuelle generell, David Berger, Volker Beck, Claudia Roth, Stoiber, Merkel und Obama nicht bewirkt hat, gelingt bei Dirk Bach.

Die Menschen werden offenbar so wütend, daß sie massiv wie nie gegen Kreuznet vorgehen. 
Der Druck auf die Deutsche Bischofskonferenz war so enorm, daß die mit zwei Millionen Euro finanzierte Seite „Katholisch.de“ nach acht Jahren Kreuznet-Rassismus endlich eine scharfe Distanzierung veröffentlicht.


Die Deutsche Bischofskonferenz stellt sich gegen das Internetportal kreuz.net. […] "Der Begriff des Katholischen wird von dieser Internetseite grob missbraucht", sagte der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Matthias Kopp, gegenüber katholisch.de. Die Deutsche Bischofskonferenz habe sich schon immer deutlich von kreuz.net distanziert, so Kopp weiter.
[…] Vor allem in den sozialen Netzwerken hatte der Artikel über Dirk Bach zahlreiche und teils heftige Reaktionen hervorgerufen. Viele Menschen brachten beispielsweise über Facebook und Twitter ihre Verachtung für die Macher von kreuz.net zum Ausdruck. Zugleich forderten andere die katholische Kirche in Deutschland auf, gegen die Seite und die dort verbreiteten Aussagen vorzugehen.
[…] Dem Verfassungsschutz zufolge zeichnet sich kreuz.net "durch homophobe, muslimfeindliche und antisemitische Äußerungen" aus. Etliche Beiträge seien nicht vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt und überschritten "die Grenzen zur Strafbarkeit".
Jenseits eines möglichen juristischen Vorgehens gegen die Seite stellt DBK-Pressesprecher Matthias Kopp fest: "Die Seite hat mit der katholischen Kirche in Deutschland nichts zu tun."


In der Tat, als Administrator einer gar frommen „Kreuznet-Fanseite“ auf Facebook, kann ich bestätigen, daß uns heute plötzlich die Leute die Tür einrennen. 
So viel Interesse an Hakenkreuznet war nie. An keinem anderen Tag bekamen wir so viele neue Anträge auf Gruppenmitgliedschaft.
Allein drei „Neue“ haben den Satirischen Charakter gar nicht erst verstanden und in ihrer Wut auf Kreuz.net die Administratoren denunziert.

Das klingt dann zum Beispiel so:
……dabei ist mir aufgefallen, dass ihre ideologische Verblendung derart ausgeartet zu sein scheint, dass Ihnen nicht mehr bewusst ist, dass Sie sich strafbar machen, mit dem, was Sie hier posten und kommentieren.
Sie machen sich gemäß §§ 130, 166, 185, 186 StGB strafbar!
Ich verlange nun von Ihnen, dass Sie sich öffentlich bei allen Sozialgruppierungen, die Sie auf Facebook beleidigt haben, entschuldigen. Sollte dies nicht der Fall sein, werde ich Sie umgehend anzeigen…..

Das monierte Marcel Reich-Ranicki schon vor 20 Jahren im „Literarischen Quartett“: 
Ironie wird in Deutschland in der geschriebenen Form nicht verstanden...
Er hatte sogar angeregt "Ironiezeichen; ähnlich wie Gänsefüßchen" einzuführen.

Inzwischen ziehen auch die großen „herkömmlichen“ Medien nach.

In einem Beitrag auf der Website kreuz.net wird der verstorbene Komiker Dirk Bach als "pervers" und "gestört" beschimpft. Das Portal sorgt seit Jahren mit antisemitischen und homophoben Beiträgen für Aufregung - jetzt könnte das Maß allerdings voll sein.   […] Jetzt sorgt ein Schmäh-Beitrag auf der Internetseite kreuz.net, die sich einen katholischen Anstrich gibt, für Empörung. Darin wird der bekennende Homosexuelle postum als "pervers" und "gestört" beschimpft. "Es ist davon auszugehen, daß [sic!] seine Unzucht ihn so früh ins Grab bracht", heißt es in dem anonymen Artikel weiter.
"Es ist empörend, dass die Hetzer von kreuz.net selbst angesichts des Todes jeglichen menschlichen Respekt vermissen lassen", teilt Günter Dworek, Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes dazu mit. Auch auf Twitter zeigen sich viele Nutzer angesichts des Beitrags entsetzt. "Wie kann der Verfasser dieses Textes eigentlich noch ruhig schlafen?", fragt ein User. Mehrere geben an, bereits Strafanzeige gegen kreuz.net gestellt zu haben. Die Betreiber der Seite haben auf Nachfrage von Süddeutsche.de bislang nicht reagiert.
  […] Die erneute Entgleisung könnte jetzt ein juristisches Nachspiel für die Betreiber haben. Diese "Schmährede auf einen gerade Verstorbenen" sei "selten heftig", sagt Rechtsanwalt Udo Vetter. Damit seien die Kriterien der "Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener" erfüllt, eine Verurteilung kann bis zu zwei Jahren Gefängnis nach sich ziehen. Die Tatsache, dass der Server nicht in Deutschland steht, sollte die Ermittlungen seiner Meinung nach nicht hindern: "Das ist normale Polizeiarbeit, den Betreiber eines Servers ausfindig zu machen", sagt Vetter. "Da gibt es Experten, die knacken das."

Das wäre ein Treppenwitz der Geschichte, wenn ausgerechnet Dirk Bach mit seinem Tod Kreuznet zu Fall brächte.

Mit der Schmähung Bachs solle „das Maß voll sein“?

So, so - und die bisherigen täglichen schwer rechtsextremen, revisionistischen, holocaustleugnenden, rassistischen, antisemitischen, homophoben, misogynen Attacken gingen wohl gerade noch so, oder wie?

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Wenn einem die Argumente ausgehen.





Im US-Wahlkampf haben die Profi-Spin-Doktoren schon längst die inhaltliche Ebene verlassen.
 Es kommt nicht auf die Wahrheit an und es kommt schon gar nicht auf Konzepte an.
Wichtig ist, daß die Wähler den eigenen Kandidaten mögen. 
Und falls das nicht gelingt, weil der eigene Spitzenmann ein Charisma wie Fußpilz hat, genügt es immer noch, wenn der Gegenkandidat noch unsympathischer da steht.

Negative campaigning ("mudslinging") hat immer mehr Konjunktur, seit dem die Medien so aufgespalten sind, daß jeder ohnehin nur noch seine einseitig gefärbten Berichte sieht und die wenigen neutralen und seriösen Nachrichtenquellen immer mehr verdrängt werden.

Daß Obama zum Beispiel schon vor langer Zeit seine Geburtsurkunde vorgelegt hat, interessiert die „birthers“, die hartnäckig behaupten der Präsident sei in Kenia geboren und somit illegal im Amt, gar nicht.
 Daß bei einem zwei Milliarden Dollar schweren Wahlkampf inzwischen erhebliche Anteile der Amerikaner denken Obama sei Muslim, Atheist, Kommunist, Faschist, Sozialist, Antiamerikaner oder mehreres davon erstaunt mich nicht.

Manchmal gibt es allerdings doch eine Umdrehung mehr, die selbst mich verblüfft. 
So wurden dieser Tage in den wahlentscheidenden Swing-States, insbesondere in Ohio über eine Million DVDs verschickt, in der eine wie Obama klingende Stimme aus der Kindheit des Präsidenten plaudert und dabei anhand diverser anrüchiger Bilder „enthüllt“, daß seine Mutter als Prostituierte gearbeitet hätte. 


Obamas Mutter ein „porn-star“ - und weil das noch nicht reicht, werden auch Bilder mitgeliefert, die „beweisen“, daß Mrs. Obama Lesben-Pornos gedreht hätte.

Da ich einen guten Freund in Ohio habe, fragte ich gleich mal nach, ob er auch schon so eine DVD bekommen hätte. Sein Kommentar:

„Their desperation is complete to the point of hilarity!
Their moral is the same as it's always been - despicable and vile!”

Kann sein. Aber wenn solche Gerüchte, solche Bilder erst mal im Umlauf sind, die auch noch eindringlich mit Obamas Stimme gesprochen werden, bleibt eben doch immer ein bißchen hängen.

In Deutschland klappt es auf diese extrem plumpe Art noch nicht so recht.

Gerüchte über Merkel, daß sie eine FDJ-Agentin oder lesbisch wäre, kursieren nur bei den total Verwirrten von Kreuznet und Co.
 So gut wie kein Wähler dürfte das ernst nehmen.
Daß jemand Enthüllungs-DVDs pressen würde, auf denen behauptet würde Peer Steinbrücks Mutter sei eine Lesbenhure gewesen, halte ich für nahezu ausgeschlossen. 
Womöglich gibt es Menschen, die irre genug und reich genug sind, um so etwas anzuzetteln. Nützen würde es aber nichts, weil sich alle Medien unisono dagegen erheben würden und sich die Wähler ob solcher Angriffe eher mit Steinbrück solidarisierten.

Es ist aber nicht so, daß niemand versuchen würde Steinbrück etwas anzuhängen.

Die heftigsten Attacken kommen dabei interessanterweise alle aus dem ganz linken Lager.

Großblogger Jens Berger, der einzige Mann in Deutschland, der sich noch nie geirrt hat und das Weltfinanzsystem schon immer vollkommen durchschaut hat, schießt mit grober Munition.

In einem langen taz-Artikel wirft Berger dem SPD-Kanzlerkandidaten vor schon immer ein bankenhöriger Deregulierer gewesen zu sein, der bis heute nicht lernfähig wäre.
Das ist plump, einseitig und ungerecht.
Das sind Vergleiche, die ich mit „das tut man nicht“ ablehne.

Schmidt selbst ist „Vierteljude“ und entging nur durch Glück dem KZ und Steinbrücks Mutter war auch ganz klar eine Gegnerin des Nationalsozialismus.

Peer Steinbrücks Mutter, 1919 als Ilse Schaper geboren, entstammt einer Hamburger Kaufmannsfamilie mit dänischen Wurzeln. Mitte der 1930er-Jahre verbrachte sie eine längere Zeit bei Verwandten in Dänemark und Schweden, wo sie sich dem »Bund Deutscher Mädel« entziehen konnte. Ilse Schaper hörte Jazz, ging tanzen und erlebte ein ungezwungenes Zusammenleben von Frau und Mann. Sie ließ sich zur Hutmacherin und Schneiderin ausbilden und empfand es als völlig normal, dass eine Frau einen Beruf ergriff. Anfang 1939 kam sie nach Hamburg zurück – in ein anderes, ihr fremdes Land. Niemand durfte hier sagen, was er denkt, und Jazz zu hören war politisch gefährlich. Unter dem Datum ihrer Rückkehr von Kopenhagen nach Hamburg vermerkte sie in ihrem kleinen Kalender: »Jetzt kehre ich in diese Diktatur zurück.« Als Peer Steinbrück mehr als 70 Jahre später die Hinterlassenschaften seiner Mutter sortiert, liest er diese Worte. Ilse Schaper hatte jüdische Freunde, denen es gelungen war, Deutschland früh zu verlassen. Zu ihrer dänischen Verwandtschaft zählte ein Arzt, den die Nazis nachts per Telefon aus dem Haus riefen. Sie un- terstellten ihm, dem Widerstand anzugehören. Am nächsten Morgen wurde der Arzt erschossen aufgefunden.
»Meine Mutter«, sagt Peer Steinbrück, »hat in ihrem Freundeskreis sehr früh die Judenverfolgung mitbekommen und nach dem Krieg darunter gelitten, dass Hamburger Bürger, die wie sie die Transporte am Hamburger Hauptbahnhof gesehen hatten, noch in den 1960er-Jahren so taten, als ob das alles nicht stattgefunden habe. Diese Verleugnung wollte sie nicht akzeptieren. Diese Haltung hat die Erziehung von mir und meinem Bruder geprägt.«

Ähnlich plump läuft das deutsche Negative campaigning über die Neidreflexe.

Hat Steinbrück nicht ganz schön viel Geld mit Vorträgen verdient?
Der Oberbayer Seehofer gibt sich große Mühe etwas Anrüchiges draus zu konstruieren und verlangt der Sozi müsse das alles offen legen.
Daß Steinbrück genau das, vollkommen korrekt und rechtzeitig stets getan hat, verschweigt der Ministerpräsident.
Daß ein ehemaliger Minister in der freien Wirtschaft, bei Unternehmen, die Gewinne machen und nicht vom Staat abhängen mit Vorträgen Geld verdienen darf, halte ich für absolut selbstverständlich.
  Man muß Banker nicht mögen.
 Aber es ist ihnen doch zuzugestehen, daß sie sich auch gerne mal eine kritische Meinung anhören. 
Sahra Wagenknecht hält Lesungen aus ihrem Anti-Kapitalismus-Buch auf Sylt, der reichsten Insel Europas, wo die Millionäre unter sich sind.
Freies sozialistisches Sylt nannte es die SZ.
Und wer würde Steinbrück nicht zubilligen, daß seine Vorträge meinungsfreudig, kurzweilig und lehrreich sind.
Vielleicht möchten ehemalige CDU-Minister auch gerne so viel Geld mit Vorträgen über ihre Ansichten verdienen. 
Das scheitert aber zumeist daran, daß sie miserable Redner sind, nichts zu sagen haben und mit ihrer Minderrhetorik außer einschläfernder Wirkung keinen Effekt erzielen.
Es würde kaum einer dafür bezahlen um vom Franz-Josef Jung, Anette Schavan oder Michl Glos in Koma gelabert zu werden.

Insgesamt umfasst die Liste [der] Kunden [Steinbrücks] 41 Namen, in den meisten Fällen hat er jeweils mehr als 7000 Euro pro Auftritt genommen. Ohne jede Ironie: schön für ihn. [….]
Weil Steinbrück gerade von der SPD auf den Thron gehoben wurde, haben jetzt auch all diejenigen ihren Dienst aufgenommen, die unter Beinfreiheit verstehen, anderen ans Bein zu pinkeln. In diesem Fall gehören dazu etliche Medien, die von "Riesenwirbel" und "Dauerkritik" schwadronieren, ein bayerischer Ministerpräsident, der Doppelzüngigkeit insinuiert und ein Fraktionsvize der Linken, der eine "Steinbrück-Klausel" fürs Abgeordnetengesetz verlangt. Pinkeln aus Prinzip, so läuft das in Politik und Publizistik leider oft.
[….]   Er ist schon deshalb kaum zu korrumpieren, weil er seit Jahren Abgeordneter der Opposition ist. Steinbrück hat eine Leistung erbracht und einen Wert geschaffen, der zum Beispiel darin bestand, dass eine Volksbank zu einem Abend einladen konnte, um etwas für die Kundenbindung zu tun.
Dafür darf er gerne Geld nehmen. Es gibt nicht die geringsten Indizien für einen Interessenkonflikt. Die gäbe es bei einem Kanzlerkandidaten - weshalb Steinbrück nach seiner Ausrufung sogleich erklärt hat, seine Vorträge (sowie den Sitz im Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp) aufzugeben.
Horst Seehofer hat gesagt, wer Transparenz von den Banken einfordere, dürfe sich nicht wundern, wenn sie auch von ihm persönlich eingefordert werde. Der Vorhalt ist ungefähr so dringend, als forderte man Seehofer auf, doch endlich in die CSU einzutreten. Steinbrück muss der Forderung nicht nachkommen, weil er sie längst und ohne besondere Aufforderung erfüllt hat. Wen's im Einzelnen interessiert: Er hat all seine Kunden und Einnahmen so auf der Website des Bundestags aufgelistet, wie es das Gesetz verlangt.
(Detlef Esslinger 02.10.2012)

Dienstag, 2. Oktober 2012

Vor- und Nachbilder.


Die Politmoral Amerikas ist genauso verkommen, wie Infrastruktur, Kriegsführung, Essgewohnheiten und Talkradio.

A nation in decline. 
Alles geht bergab und alles schwappt anschließend rüber nach Europa.

Ganz so manichäisch ist es aber doch nicht. 
Es gibt die positiven Eigenschaften Amerikas und in einiger Hinsicht sollten wir von Amerika lernen.

Viele können es schon singen; aber damit meine ich zum Beispiel die hervorragend produzierten Dramaserien, die auf hohem Sprachniveau und perfekter Ausstattung basieren (Breaking Bad, Six Feet Under, Sopranos, u.v.a.m.)

Eine amerikanische Entwicklung, die wir dringend übernehmen sollten, sind die erst seit ein paar Jahren existierenden „Fact-Checkers.“
Büros, die sich möglichst unabhängig finanzieren und die Aussagen der Polit-Größen auf Wahrheitsgehalt untersuchen. 



Im April hielt Mitt Romney, der amerikanische Präsidentschaftskandidat der Republikaner, eine Rede bei der Jahrestagung der American Association of News Editors in Washington. Vor 1500 Journalisten attackierte Romney den amtierenden Präsidenten: Barack Obama habe sein Versprechen gebrochen, die Arbeitslosenquote unter acht Prozent zu bringen, entschuldige sich im Ausland ständig für Amerika und habe mehr Schulden angehäuft als alle anderen 43 US-Präsidenten zusammen.
Die Anschuldigungen gehören zum konservativen Standardrepertoire im Wahlkampf. Dennoch verblüffte Romneys Auftritt: Obwohl seine Aussagen von Fakten-Prüfern als 'unberechtigt', 'dreiste Lüge' und 'übertrieben' eingestuft worden waren, wiederholte sie der 65-Jährige bei seinem Auftritt vor den Redakteuren. In der anschließenden Fragerunde seien Romneys Lügen nicht thematisiert worden, kritisierte das liberale Magazin Mother Jones. Solche Vorwürfe sind nicht neu: Demnach lassen sich US-Medien zu sehr vom Nachrichtenzyklus treiben, geben nur die Politikeraussagen wieder und stellen Falschaussagen nicht als solche dar.


Es ließe sich darüber diskutieren wie wirksam es ist die Wahlkämpfer der Lügen zu überführen.
 Es hindert sie offensichtlich nicht daran weiterhin zu lügen - BISHER.
Schon in der morgen stattfindenden ersten „presidential debate“ könnte es eine Rolle spielen, daß der GOPer stets noch sehr viel mehr lügt als Obama.
Dass [Ryan] dem Präsidenten die Schließung einer General-Motors-Niederlassung vorhielt, die schon zumachte, als Obama noch gar nicht Präsident war, fiel da kaum noch ins Gewicht. Ebenso wenig, dass entgegen seiner Beteuerungen Ryans eigener Haushaltsplan nach Ansicht von Experten keineswegs Amerikas Schulden reduzieren würde, weil dieser neben massiven Sozialkürzungen auch radikale Steuersenkungen vorsieht.
 Das Lügen hat Methode, auf beiden Seiten.  […] Doch die Republikaner wirken weit skrupelloser. Jede zehnte Aussage von Romney und Co. sei komplett falsch, hat das Online-Portal PolitiFact vorgerechnet. Bei Obama lasse sich das nur über eine von 50 sagen.

Bisher wandte sich der Moron-Mormone mit den Millionen hauptsächlich an die eigenen Anhänger. Das sind in erster Linie ideologisch so Verwirrte, daß sie ohnehin nicht von der Wahrheit zu überzeugen wären.
Nun aber, in den letzten fünf Wochen muß es auch um die gemäßigten Wähler gehen, die es womöglich eben doch als leicht störend empfinden könnten, daß Romney lügt wie gedruckt.

 [PolitiFact.com-Betreiber Bill] Adairs Instrument ist das Truth-O-Meter, mit dem er die Politiker-Aussagen bewertet. Die Kategorien reichen von 'wahr', 'überwiegend wahr' über 'teilweise wahr', 'überwiegend falsch' bis hin zu 'falsch'. Bei extrem dreisten Lügen geht die Skala in Flammen auf. Sechs Mal hat der amtierende Präsident das Label 'Pants on Fire' (brennende Hosen) bisher kassiert, sein Herausforderer sogar neun Mal. Laut PolitiFact sind 42 Prozent von Romneys Statements falsch, Obamas Quote beträgt 28 Prozent.
Entstanden, sagt Adair […] sei das  […] Projekt aus - Schuldbewusstsein: 'Ich habe 2004 für die Tampa Bay Times über das Duell Bush gegen Kerry berichtet und oft das Gefühl gehabt, deren Aussagen zu selten geprüft zu haben'. […]
Wenn Kandidaten lügen und Medien die Lügen verbreiten, leidet nicht nur das Ansehen der Politiker, sondern auch das der Medien. Fact-Checking muss auch als Versuch verstanden werden, das Vertrauen der Leser wiederzugewinnen.
[Glenn] Kessler [Washington Post] sagt, die Verleger hätten den Fehler nicht vergessen, den sie vor dem Irak-Krieg begangen hatten, als sie die von der Bush-Regierung präsentierten Beweise über angebliche Massenvernichtungswaffen zu selten hinterfragten. [….] Kessler [ist]  weder frustriert noch empört: 'Wenn ein Kandidat aus Umfragen oder Interviews mit Wählergruppen weiß, dass ein Slogan gut wirkt, dann wird er ihn den Bürgern einhämmern.' So ist wohl auch der Romney-Berater Neil Newhouse zu verstehen, der im August verkündete, man werde sich 'die Kampagne nicht von Fact-Checkern kaputt machen' lassen.
Meinungsforscher wissen, dass viele Leute einfach ihre Vorurteile erfüllt sehen wollen. Obama gilt den Konservativen als Sozialist, weshalb ein Clip in Dauerschleife läuft, der ihm vorwirft, die Regeln für die Vergabe von Sozialhilfe gelockert zu haben - obwohl man dafür schon ein 'Pants on fire' kassiert hat.

In Deutschland herrscht dringenden Nachholbedarf. 

Wir haben genügend Politiker, die wie von der Leyen, Guttenberg, Friedrich, Wulff, Merkel und Westerwelle geradezu auf Kriegsfuß mit der Wahrheit stehen und ungeniert in den Talkshows vor sich hin lügen.
Jauch, Will und Beckmann sitzen allerdings immer nur desinteressiert daneben und lesen ihre vorgefertigten Fragen ab, statt ihre Gäste mal auf offensichtliche Lügen festzunageln.

Einige (wenige) Politmagazine sind da weniger nachsichtig. Panorama und Monitor sind Fakten-orientiert, recherchieren und lassen die Politgrößen in Interviews nicht mit Geschwafel davon kommen.
Als Konsequenz bekommen die Politmagazine fast nur noch Absagen bei Interviewanfragen.
 Keiner will sich so einer Situation stellen. 
Warum sollten sie auch riskieren gegrillt zu werden, wenn sie in den locker-flauschig-seichten Abend-Talks vor sich hinplappern können, ohne daß ein Moderator interveniert?

Schuldlos an dieser katastrophalen Entwicklung sind natürlich auch die TV-Zuschauer nicht.

Sie sollten über die Quoten erzwingen nicht mehr länger verarscht zu werden.

Das ginge ganz leicht.
Einschaltquote NULL bei Jauch, Will und Co. Und dafür sollten bei ZAPP und den anderen guten Magazinen die Geräte immer angestellt werden.

Natürlich tut das der Urnenpöbel nicht, weil er dazu zu verblödet ist.

Umso dringender ist es notwendig in Deutschland „factchecking“ einzuführen, damit wenigstens die paar Interessierten z.B. nach Bundestagsreden nachsehen können.

Vielleicht würden dann die enormen Merkel-Zustimmungsraten doch mal langsam sinken, wenn sie pro Rede ein Dutzend Pinocchios verpasst bekommt.

Montag, 1. Oktober 2012

Langsam reicht es - Teil V





Das ist auch lästig!
Mindestens einmal pro Woche fallen mir aus irgendwelchen Zeitungen Briefe mit Giovanni di Lorenzo-Konterfeis entgegen.
Plump getarnt als „Die große Umfrage der ZEIT“ will er mir natürlich ein Abo aufschwatzen.

 Vier Wochen „ZEIT“ gratis und  - schwupps, wenn man dann nicht rechtzeitig schriftlich interveniert, hat man ein Jahres-Abo an der Backe.

Das Abo will ich natürlich schon deswegen nicht, weil ich diese Art der Abonnentenwerbung für Leserverdummung halte.
Wer ist denn so bekloppt anzunehmen es gehe um eine „Umfrage“ oder gar ein „Gratis-Geschenk“?
Ich würde eine ehrliche Anmache viel mehr schätzen.
 In etwa: „Tach auch, wir vom Holtzbrinck-Verlag wollen Dein Geld. Wir geben dir das Abo einen Tick billiger, weil es für unsere Werbeerlöse wichtig ist auf eine möglichst hohe Zahl Stammleser verweisen zu können, statt auf den Kiosk-Verkauf angewiesen zu sein“
Aber so läuft es bei der ZEIT schon deswegen nicht, weil di Lorenzo der schönste Journalist Deutschlands ist - jedenfalls nach SEINER MEINUNG - und keine Gelegenheit verstreichen läßt sein Bild drucken zu lassen.

Statt die Werbung gleich in den Papierkorb zu werfen, habe ich dämlicherweise schon mindestens ein Dutzend dieser Bettelbriefe beantwortet.

 Nein, ein Abo will ich natürlich nicht - was vor allem damit zusammenhängt, daß ich schon seit tausend Jahren Zeit-Abonnent bin! 
Die Gelegenheit nutze ich aber immer, um höflich aber bestimmt darauf hin zu weisen, daß die ZEIT auf dem besten Wege ist, statt einen neuen Abonnenten zu gewinnen, einen Alten zu verlieren, wenn sie weiterhin den stramm religiotischen pro-Kirchenkurs fährt.

 Stets erwähne ich dann die wirklich miserabel von Evelyn Finger geführte Rubrik „Glauben und Zweifeln“, die zu ca. 95% eine pure Kirchenwerbung ist. 
Ich spreche die ZEIT-Kooperation mit dem pathologischen Lügner und Religioten Bischof Huber, der in der „ZEIT-Akademie“ mit einem Ethik-Vortrag auf DVD beworben wird.
 Der dickste Hund ist natürlich die Übernahme der stramm katholischen Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“, der nun als ZEIT-Beilage „Christ und Welt“ von di Lorenzo weiter geführt wird und ebenfalls stramme Kirchen-PR betreibt.

Der nette di Lorenzo scheint mir seit seinem Totalreinfall mit dem Guttenberg-Propaganda-Buch mehr und mehr auf die schiefe Bahn zu geraten.

Zu seinem Katholentum verkündete der ZEIT-Chef erst kürzlich in der eigenen Beilage.
Kirche ist allerdings von meinem Leben nicht zu trennen, zu stark ist meine christliche, genauer gesagt: meine katholische Prägung gewesen. Insofern fühle ich mich durch ein Wort von Heinrich Böll, das er einst an seine Kollegin Christa Wolf richtete, besonders gut getroffen: „Wer einmal Katholik war und wer einmal Kommunist war, der wird das nie wieder los.“  […]  Vor knapp zwei Jahren habe ich mit meinem Freund und Kollegen Axel Hacke ein Buch über die Werte unseres Lebens veröffentlicht; es trägt den Titel „Wofür stehst Du?“. Besonders eine Passage daraus hat eine Flut von Zuschriften und Kommentaren ausgelöst. Es geht darin nicht etwa um ein sexuelles Bekenntnis, sondern um ein religiöses. Ich schreibe da, dass wir seit einigen Jahren zu Hause wieder etwas haben aufleben lassen, was lange verschüttgegangen war: Vor dem Essen wird still gebetet, auch wenn Gäste da sind. Ich habe den Satz hinzugefügt: „Sehr oft ist es der schönste Moment des Tages.“
[…]
Ein ähnlich emotionales Bedürfnis spürte ich an dem Tag, als Johannes Paul II. starb. Diese Szene schildere ich ebenfalls in unserem Buch: „Wenige Stunden vor (dem Tod des Papstes) machte ich mich mit meiner späteren Frau auf den Weg zur St.-Hedwigs-Kathedrale in der Nähe des Berliner Gendarmenmarkts. Es war schon spät, und in der Kirche waren viele junge Leute, die nicht so aussahen, als seien sie geübte Besucher von Gottesdiensten. In diesem Moment fühlte ich mich ganz und gar eins mit meiner Kirche. Das Gefühl war: Nicht wir waren ihm, dem Papst, im Sterben nahe, sondern der Papst war sterbend bei uns. Er hatte am Ende vorgelebt, was fast jeder Mensch früher oder später erfährt: Dass es nichts Wichtigeres gibt, als in der Stunde des Leids für einen anderen Menschen da zu sein – oder selbst nicht allein zu bleiben.“
[…]  Natürlich ist die Kirche nicht verstummt. Aber bisweilen wünsche ich mir, dass ihre Stimme lauter wäre, dass sie sich auch Themen widmete, die nicht zu ihrem traditionellen Kanon gehören. [….Es] könnte sich in der katholischen Kirche in Deutschland womöglich ein neues Kräftezentrum ausbilden: eine undogmatische neue Mitte, deren Vertreter sich in einzelnen Sachfragen positionieren könnten, ohne von einer kirchenpolitischen Lagerzugehörigkeit bestimmt zu werden. Ein solches Szenario hielte ich für eine positive Entwicklung. Denn das würde ich der Kirche wünschen: Dass sie sich nicht in Richtungsdebatten verheddert, sondern sich der Probleme der Menschen annimmt. Ganz so, wie es Kardinal Hengsbach vorgelebt hat.
(Giovanni die Lorenzo in Christ und Welt 18/12)
In der aktuellen Ausgabe ist es mal wieder so weit. 
Redaktionsleiterin Finger läßt „Glauben und Zweifeln“ vollständig von einer überzeugten Katholikin füllen.
Esther Maria Magnis darf aus ihrem neuen Buch zitieren.

Die redaktionelle „Arbeit“ der Evelyn-Finger-Truppe beschränkt sich auf die folgenden 50 Worte:
„Esther Maria Magnis Jahrgang 1980, katholisch, ist in Ostwestfalen aufgewachsen. Sie hat Vergleichende Religionswissenschaft und Geschichte studiert. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin, hat mit »Gott braucht dich nicht. Eine Bekehrung« gerade ihr erstes Buch geschrieben (aus dem dieser Vorabdruck stammt), und erwartet in wenigen Wochen ihr erstes Kind.“
(ZEIT, 27.09.12., s.70.)
(Das Spannendste ist eigentlich der Druckfehler beim Datum. Dort steht nämlich in der Druckversion „20. September 2012 DIE ZEIT No 40“, obwohl es korrekt  „27. September 2012 DIE ZEIT No 40“ heißen müßte. Alle anderen Seiten der ZEIT haben das richtige Datum.)

Der Magnis-Auszug ist also nichts anderes als eine Werbung für den Rowohlt-Verlag, der allerdings ein 15-Seiten-Exposee des religiösen Geschwurbels ohnehin online gestellt hat.

Warum macht die ZEIT sowas?

Vielleicht gibt ein Blick auf die Eigentümerverhältnisse Aufschluss:

Seit 1982 gehören die Rowohlt Verlage zur Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, der - SO EIN ZUFALL - auch „DIE ZEIT“ gehört.

Soll ich noch was zu dem Inhalt des Buches etwas sagen?

Es kann sich jeder selbst mit einem Klick auf diesen Link ein Urteil bilden.

Zusammengefasst:
Magnis ist ultrakatholisch erzogen worden, fand das aber als Kind alles grottig langweilig. Dann folgen schwere Schicksalsschläge - Vater stirbt, Bruder stirbt - und Magnus hadert irgendwie mit ihrer Kirche.
Die Schilderungen der Gottesdienste sind ermüdend, die Kinder tun einem Leid. Insbesondere, als die Eltern sie auch noch zu einem ökumenischen Gottesdienst schleppen.
Ich wäre aber auch niemals freiwillig in die Messe gegangen, um diese Combo zu hören, nein, sie war, glaube ich, nur etwas für die Kinder, die eh schon da sitzen mussten. […]  Meine Schwester schrie sofort laut auf, als sie das Wort hörte, ich sagte leise »Scheiß-Ökumene«, und meine Mutter wurde sauer.  […]  »Ökumene dauert zehn Stunden. Bitte nicht, können wir bitte zu Hause bleiben? Das ist so schrecklich.« Meine Eltern hatten irgendwann Mitleid und ließen uns daheim. Der ökumenische Gottesdienst, den wir mitgemacht hatten, hatte zwei Stunden gedauert. Zuerst laberte der evangelische Pfarrer darüber, wie toll Ökumene sei, und dann, als man gerade dankbar seufzend beobachtet hatte, wie er die Kanzel verließ, kam ein katholischer Pfarrer und sagte noch mal das Gleiche: »Es ist gut, dass wir hier sind« und so Zeug. Alle fanden es gut, dass man da war. Nur wir Kinder nicht. Man stand nicht auf, nur zum Vaterunser, das schleppend im Chor gesprochen wurde und nur an einer Stelle holperte, wenn manche Katholiken, einschließlich wir drei Kinder, nach alter Gewohnheit sagten: »Ich glaube an die heilige katholische  Kirche« anstatt »heilige christliche Kirche«. Man kniete sich nicht hin, man tat eigentlich überhaupt gar nichts und war an die Bank gefesselt. Stundenlang. Ich habe es als körperliche Qual in Erinnerung. Wir gingen zwar meistens in die katholische Sonntagsmesse, waren aber auch oft in evangelischen Kirchen, weil mein Vater evangelisch war. Ich bemerkte bei meinen Eltern jedoch schon als Kind, dass sie teilweise ganz schön befreit und erleichtert in die Autositze plumpsten, wenn der Gottesdienst rum war. Einmal, das vergesse ich nie, jauchzte meine Mutter laut, als wir zu Hause ankamen. Sie warf sich in den Ledersessel, schwang ihre Beine über die Lehne, nachdem sie einen alten Schwarzweißfilm in den Videorekorder geschoben hatte, und sagte etwas wie: «Gell, Kinder, manchmal ist es doch schön, wenn man etwas geschafft hat.» Ich mochte Gott. In der Kirche war er mir oft langweilig, aber ich fand ihn grundsätzlich sehr interessant. Er schien etwas Wahnsinniges zu haben und etwas sehr Zartes.


Gottesdienste sind also öde?
Ach was?

Von einem Menschen zum Beispiel, der deswegen zum Atheisten wurde.

Gottesdienste sind eine todernste Sache, bei der man sich bei Vergegenwärtigung „der Leiden Jesu“ zumindest ganz heftig die Knie kaputt machen soll, indem man dauernd auf den harten Kirchenbänken niederfällt.
Gottesdienst ist harte psychische Arbeit - wie schon Jürgen Becker über seine Erfahrungen als Kind beim lateinischen Hochamt sagte -


 „das war so ungeheuer öde! Wer das überstanden hat, langweilt sich nie wieder im Leben. Ich kann jetzt stundenlang eine weiße Wand ansehen und finde es spannend!“


Magnis‘ Stil erinnert  ein bißchen an Agota-Kristof für Arme. Blutleer und trocken.
nur daß dadurch kein Effekt erzielt wird - es ist einfach banal:
Auf meinem Tier- und Naturkalender entdeckte ich in giftgrünen Blättern einen roten Frosch. Ich konnte nicht glauben, dass er echt war. Ich fragte Mama, und sie sagte ja. Es gäbe tolle Farben in der Natur, und sie las mir vor, was da hinten auf dem Kalenderblatt stand, und erzählte mir von den Krebsen in Afrika, die in roten Panzerkolonien über die Straßen wanderten, als sie meinen Vater kennenlernte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es große rote Dinge in der Natur gibt. Blutbäder, wenn Wale im Wasser mit weißen Bäuchen oben schwimmen, aber das will ich nicht Natur nennen. Es ist aber wohl doch vielleicht Natur, ich weiß es nicht. Kommt drauf an, wie man den Menschen sieht mit dem, was er tut. Wir hatten zuerst die Welpen gestreichelt, mein kleiner Bruder und ich. Die Eltern unserer Babysitterin hatten einen Bauernhof, und in dem unbenutzten, grün gekachelten Badezimmer hatte der Hund vor drei Wochen geworfen. Seit wir Kinder davon wussten, bettelten wir jeden Tag, die Hundebabys sehen zu dürfen. 

Man versteht es als Leser sehr gut; Gott im real existierenden Kirchismus ist eine Qual für die Kinder.

Als ich in die Pubertät kam, bestanden sie hauptsächlich aus Rumsülzen. Na ja, nicht nur. Vor Mathe-, Chemie-, Physik-, Latein-, Französisch- und Englischklausuren habe ich sehr intensiv gebettelt. Wenn ich dann eine Vier plus hatte, habe ich gejubelt und »Geil! Danke« gesagt, wenn ich eine Fünf hatte, war ich stumm und hatte dieses ätzende Gefühl, das jeder kennt, der schon mal gebetet und sich das dazu nötige Vertrauen abgerungen hat und der dann vor dem gegenteiligen Ergebnis seiner Bitte saß. Es war in diesem Alter, so mit dreizehn, vierzehn, als ich begann, mich leise von Gott zu trennen. […] Je mehr Predigten ich hörte, umso mehr bekam ich das Gefühl, dass ich nicht in seinem Sinn handeln und bestehen konnte, dass wir nicht viel miteinander zu tun hatten. Dieses Gefühl wurde durch den durchgeknallten Anspruch mancher Predigten erzeugt. […] »Der Mensch ist der Zerstörer, weg mit Tetrapack!«, konnte man in den Predigten genau das Gleiche lernen. Das nehme ich der Kirche übel. Dass sie mir das Gefühl gab, das Leben eines engagierten, durchschnittsgrünen Gymnasiallehrers führen zu müssen oder das eines adretten Backfischs aus den siebziger Jahren, der anfängt zu kichern, wenn er das Wort »schmusen« hört, und dessen einzige gerngesehene rebellische Jugendlichkeit darin besteht, Kumbaya, my Lord an Lagerfeuern zu singen.
(ZEIT, 27.09.12., s.70.)

Tja, die Kirche macht alles falsch, schreckt die jungen Leute durch Langweile ab und Religionswissenschaftlerin Esther M. erklärt uns nun, daß Gott doch ganz super ist.

Man findet Empfehlungen für dieses Holtzbrinck-Rowohlt-Zeit-Werk auf beinahe allen christlichen Webseiten.  

 Und zwar in genau der Sprache, die es mir a priori unmöglich macht die Autorin ernst zu nehmen:

Doch dieser schweigende Gott, den sie nicht kennen wollte, dieser Gott "kennt auch dich". Diese drei Wörter veränderten ihr Leben und waren der Beginn eines neuen Glaubens. Sie musste für sich feststellen: Gott ist weit weg, und oft verstehe ich ihn nicht. Genau wie der biblische Hiob erkannte sie aber: Gott ist Gott, er ist Wirklichkeit und Wahrheit. Nicht wir, sondern er habe das Recht zu schweigen. Doch dieser Gott als die einzig wahre Realität wurde Mensch in Jesus. Am Ende dieser Wende stand für Magnis das Ergebnis fest: "Der einzige Grund, sich davor zu fürchten, Gott das eigene Leben zu geben, ist, wenn man glaubt, man habe einen besseren Plan. Man habe die Wahrheit und wisse, warum man hier ist. Ich weiß es nicht. Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihm zu folgen." "Gott braucht dich nicht" ist ein packender Roman, in dem die Autorin unzensiert ihren Weg mit Gott schildert und auf emotionale Weise die großen Fragen des Lebens beantwortet.

Weswegen ich für mein ZEIT-Abo bezahle ist mir allerdings noch ein Stück unklarer geworden.