Mittwoch, 28. August 2019

Die Dosis macht’s


Da staunten meine Mitschüler im Chemieunterricht der 9. Klasse, als uns erklärt wurde, man könne sich durch Trinken reinen Wassers umbringen.

Es platzen zwar nicht sofort die Zellen, wie jeder denkt, der das Wort „Osmose“ kennt, weil das Wasser im Magen und Darm wieder remineralisiert wird, aber dennoch kann zum Beispiel eine Hyponatriämie bei Hyperhydration auftreten. Das bedeutet, im Blut sinkt der Natriumwert auf unter 135 mmol/l (bei Erwachsenen). Das ist nicht selten, da Millionen Menschen mit Bluthochdruck oder Herzschwäche aufgrund ihrer Medikamentierung ihre Elektrolytwerte durcheinanderbringen.
Auch das schwemmt Natrium aus dem Körper und bei einem Natriumwert von unter 110 mmol/l muß man langsam den Bestatter rufen. Für Ärzte ist das heikel, da man nicht einfach einen Teelöffel Kochsalz (Natriumchlorid) essen kann, ohne Hirnblutungen zu riskieren.
Ja, liebe Freunde der salzlosen Ernährung: Zu viel Salz ist tödlich.
Zu wenig Salz aber auch!

 Kochsalz ist also giftig. Wasser auch. Ein Blick auf die LD50-Tabelle lässt staunen. (LD= Letale Dosis, 50= Menge, bei der 50% der Probanden sterben)

Wasser: 90 g/kg
Zucker: 29,7 g/kg
Kochsalz: 3.000 mg/kg
Paracetamol: 1.944 mg/kg
Aspirin: 200 mg/kg
Koffein: 192 mg/kg
Senfgas: 100 mg/kg        
LSD: 16,5 mg/kg
Nicotin: 6,5–13,0 mg/kg  
Taipan-Schlangengift: 25 μg/kg
Ricin: 22 μg/kg
Batrachotoxin (aus Pfeilgiftfröschen):   2–7 μg/kg   
Polonium-210: 10 ng/kg
Botulinumtoxin (Botox): 1 ng/kg

Das sind keine modernen Entdeckungen meines Chemie-Lehrers; es handelt sich vielmehr um eine uralte Erkenntnis, die schon der berühmte Paracelsus 1538 wie folgt definierte:

„Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.“

Auf das richtige Gleichgewicht zu achten scheint dabei eine universelle Wohlfühl-Regel zu sein, die mehr und mehr Anklang findet.
Als sich vor 50 Jahren Alkoholiker in „AA“-Gruppen zusammenfanden, um (erstaunlich erfolgreich) „trocken“ zu werden, lautete das Prinzip radikale Abstinenz.
Wer nach zehn Jahren ohne Alkohol auch nur einmal versehentlich in eine Rumpraline biss, war sofort rückfällig und musste bei Null wieder anfangen.

Inzwischen glaubt man aber, daß dadurch ein zu extremer Druck aufgebaut wird, an dem die Menschen scheitern müssen.
Leberkranken Alkis versucht man eher eine deutliche Reduzierung ihres Konsums zu empfehlen. Nicht mehr die zwei Pullen Wodka am Tag, aber dafür dürfen es mittags und abends ein halbes Glas Wein sein.

Auch für Übergewichtige gilt nicht mehr eine radikale Nulldiät als Maß aller Dinge. Die psychischen Folgen können kontraproduktiv sein.
Lieber ab und an mal ein Stück Sahnetorte oder Schokolade, weil dadurch Endorphine und Wohlfühlhormone freigesetzt werden. Ganz ohne Serotonin im Körper geht es nicht.

Auch im Bereich der sozialen Medien gilt es das gesunde Mittelmaß zu finden.
Twitter, Facebook und Instagram pauschal zu verdammen ist Unsinn. Natürlich sind diese Kommunikationsplattformen wichtige Informationsquellen, wie das gesamte Internet: Man kann sehr viel damit anfangen, lernen und recherchieren.
Man kann sich amüsieren und unterhalten. Man kann sein soziales Leben reicher und interessanter machen, indem man ganz neue Kontakte knüpft und intensive Beziehungen zu verschiedenen Kommunikationspartnern aufbaut.

Schon Marcel Reich-Ranicki wußte „das Fernsehen macht kluge Klüger und Dumme dümmer.“
Das gilt selbstverständlich auch für das Internet insgesamt: Intelligente wissen es intelligent zu nutzen, wägen die verwendeten Quellen ab, bewahren sich ihre Kontrolle.

In den sogenannten „sozialen Medien“ ist eine sinnvolle Nutzung eingeschränkt durchaus auch möglich. Man muss bewußt entsprechende Untergruppen auswählen, die Wirkungsweise der Algorithmen erahnen und natürlich vorsichtig sein bei dem was man preisgibt.
Das kann klappen.
Ich habe noch nie ein Selfie gemacht und gebe selbstverständlich so weit wie möglich keine persönlichen Informationen preis – wohlwissen, daß ich als Käufer und Konsument dennoch gescored und analysiert bin.
Ich verbuche das als „modernes allgemeines Lebensrisiko“ und ärgere mich nur schwach, wenn ich beim gezielten Suchen einer bestimmten Information doch eine Stunde in der Zeitklau-Maschine Internet feststecke, über fünf sinnlose Memes lachte und drei überflüssige Chatverläufe kommentierte.
Man muss es aber unbedingt schaffen sich irgendwann doch zu lösen, sich nicht aufsaugen zu lassen.
Dann können soziale Medien hilfreich und informativ sein.
Aber Achtung, zu viel Facebook macht blöd, wie auch just wieder eine Studie des Marketing Center Münster (MCM) an der Universität Münster zeigte.
Man lasse sich nicht zu tief in den Sumpf ziehen, sonst wird man mit Verschwörungstheorien infiziert, gegen die kein Antibiotikum wirkt.

Die LD50 für das Absterben des menschlichen Verstandes des Zuckerberg-Pathogens muss noch bestimmt werden.

[….] Für die Angabe der letalen Dosis oder der letalen Konzentration existieren verschiedene Messgrößen bezüglich der Dosisabhängigkeit der Letalität eines Toxins oder Pathogens, die ein Maß für die Toxizität des Stoffs bzw. der eingesetzten Strahlung darstellen. Da Toxizitätsbestimmungen vielen verschiedenen Faktoren wie beispielsweise dem allgemeinen Gesundheits- und dem Ernährungszustand des Versuchstiers unterliegen, zeigt sich oftmals eine sigmoidale Dosis-Wirkungs-Kurve. Daher wird meistens jene Dosis angegeben, deren letaler Effekt sich auf 50 Prozent der beobachteten Population bezieht: die mittlere letale Dosis LD50 oder auch die mittlere letale Konzentration LC50. Die mittlere Dosis bzw. Konzentration ist ein beliebtes Maß, weil in einer Versuchsreihe die Dosis, bei der alle oder keine Individuen sterben, sehr groß bzw. sehr klein ist.
Andere Größen sind LD75 (tödliche Dosis), LD99 (sicher tödliche Dosis) und LD100 (absolut tödliche Dosis). Werte wie LD0, LD1, LD99 oder LD100 sind kaum aussagekräftig, da sie bloß vom empfindlichsten bzw. widerstandsfähigsten Individuum innerhalb der Versuchsreihe abhängig sind.  […..]
(Wikipedia)

Während also einige Individuen ohne Hirnschäden zehn Stunden Facebook pro Tag wegstecken, kann ein AfD-affiner Sachse womöglich schon nach 30 Min/Tag schon in die völlige Verblödung abgleiten. Wer erst mal anfängt George Soros für die treibende Kraft des Bösen zu halten, sich gegen Masern-Impfungen wehrt und manischen Hass auf „Klima-Gretel“ verspürt, ist schon unheilbar.
Dagegen hilft kein Antibiotikum mehr.

[…..]  Menschen, die Social Media wie Facebook, Instagram, WhatsApp, YouTube oder Twitter sehr intensiv nutzen, sind unzufriedener, aggressiver und radikaler und glauben öfter an Verschwörungstheorien als moderate Nutzer. Das ist das Ergebnis einer umfassenden Studie, für die Forscher der Universität Hamburg und der Universität Münster mehr als 2000 repräsentativ ausgewählte Deutsche befragt haben.
Demnach ist die Social-Media-Abstinenz allerdings auch keine Lösung – aus zwei Gründen. Erstens seien Facebook und Co. heute so wichtig für die Gesellschaft, dass es kaum anzuraten sei, sich ihnen zu entziehen. Für junge Menschen etwa seien die Onlineplattformen oft die einzige Quelle für Nachrichten. Und zweitens sind Menschen, die sich gar nicht über Internetplattformen vernetzen, nach der Studie ebenso unzufrieden wie Menschen, die dort zu viel Zeit verbringen. […..] Angeraten ist nach den Ergebnissen der Wissenschaftler daher eine moderate Nutzung sozialer Medien von bis zu einer Stunde pro Tag. Wer sich viel länger auf den einschlägigen Plattformen tummelt oder mit nie endenden Whats-App-Debatten befasst, der wird gestresster und unzufriedener mit seinem Leben – und droht sich zu radikalisieren. „Das Ausmaß an abseitigen Gedanken in Deutschland ist enorm und erschreckend: Über ein Drittel der Menschen stellt fundamentale Sachverhalte zumindest infrage“, so Sattler. Die Daten der Studie zeigten, dass Social Media selbst abseitigsten Gedanken eine Plattform gäben. „Der Glaube an Verschwörungstheorien ist eine nahezu lineare Funktion der Nutzungsdauer von Social Media“, so Hennig-Thurau. […..]

Dienstag, 27. August 2019

Wird die SPD nun etwa ernst genommen?

Das können vermutlich nur die Sozis; an der Basis gehen sie dermaßen brutal mit den eigenen Führungsfiguren um, daß die Präsidialen sich vermutlich heimlich wünschen einmal so glimpflich und wohlwollend wie das Personal von Grünen, Linken oder CDU behandelt zu werden.

Um SPD-Mandats- oder Funktionsträger zu werden, braucht man ein außerordentlich dickes Fell, muss bereit sein, sich unablässig den tobenden Basis-Besserwissern zu stellen.
Das ist der Preis für die grundsätzlich fehlende Obrigkeitshörigkeit der Parteimitglieder.
Die wollen immer selbst denken und mitentscheiden, statt wie brave CDU/CSU/FDP-Delegierte tumb das abzunicken, das ihnen die Führung vorgibt.
Das „neue Frauenproblem“ der SPD spricht Bände.
Die Parteiführung möchte gern erneut eine Chefin, oder zumindest eine Doppelspitze mit einer Frau, aber alle Bundesministerinnen, stellvertretenden Vorsitzende und Ministerpräsidentinnen laufend schreiend davon, wenn man ihnen entsprechende Unterstützungen anbietet.
An eine Doppelspitze mit zwei Frauen ist gar nicht zu denken.

[….] Auch er habe überlegt, ob er für den Parteivorsitz kandidiere, sagte Klingbeil in seiner Videobotschaft an die Parteimitglieder. Er habe Gespräche geführt und nach einer Partnerin gesucht. Nur habe er feststellen müssen, dass es eine passende "Konstellation" nicht gebe. Und so habe er sich entschieden, nicht ins Rennen um den SPD-Chefposten einzusteigen.
Was Klingbeil in seiner Botschaft etwas umständlich umschrieb, lässt sich in einen einfachen Satz kleiden: Er fand keine Frau.
So ging es auch anderen. Noch läuft die Frist, bis zum 1. September können sich Bewerberinnen und Bewerber melden, doch frauenpolitisch war die Kandidatensuche bislang ein ziemlicher Rückschlag.
Es gibt, erstens, zu wenige Frauen, die zu einer Kandidatur bereit sind. Und es gibt, zweitens, eine gute Woche vor Ablauf der Bewerbungsfrist noch keine Kandidatin aus der ersten Reihe der Partei. […..]
(DER SPIEGEL Nr. 35, 24.08.2019)

Frauenfeindlichkeit kann man der SPD nicht vorwerfen; im Gegenteil, Schwesig, Dreyer, Giffey oder Barley hätten sich nur leise räuspern müssen und wären zu gerne zu Vorsitzenden erkoren worden.
Wir sind keine Altherrenpartei wie die CSU, in der man Frauen ohnehin keine Führungsämter zutraut. Nein, sie werden so ernst genommen wie Männer und daher auch genauso (schlecht) behandelt.

Den SPD-Parteivorsitz aber wie Sauerbier anbieten zu müssen, das gemäß Müntefering „schönste Amt der Welt nach Papst“ zu verramschen und immer flehentlicher zu hoffen, es möge sich wenigstens irgendeine Frau der dritten oder vierten Reihe erbarmen, wurde selbst zum parteischädigenden Prozess. Wer soll eine Partei wählen, wenn noch nicht mal die eigenen Mitglieder sich dafür einsetzen?

Ich halte es für glaubwürdig, daß auch Olaf Scholz das Amt nicht wollte. Er wollte sich auf sein immanent wichtiges Amt als Bundesfinanzminister konzentrieren und hat offenbar seiner in Brandenburg als Bildungsministerin fungierenden Ehefrau Britta Ernst versprochen nicht noch mehr Zeit der Partei zu opfern.
Er steht in ihrer Schuld, da Ernst womöglich das noch größere politische Talent ist, 14 Jahre in der Hamburger SPD-Fraktion beeindruckte, aber 2011 nach der absoluten SPD-Mehrheit in Hamburg ohne Regierungsposten blieb, da das Ehepaar Ernst-Scholz in vorbildlicher Weise den geringsten Hauch von Vetternwirtschaft vermied und es für beide nicht in Frage kam, daß der Regierungschef Familienmitglieder ins Kabinett beruft.
Mit dem Aufstieg von Scholz war die Hamburger Ernst-Karriere vorbei. Sie musste gehen; folgte einem der zahlreichen Rufe in andere Landesregierungen.
Drei Jahren als Ministerin in Kiel folgte nach der dortigen Jamaika-Koalition der Ministerjob in Potsdam.

Angesichts der schlimmen Lage der SPD musste Scholz seiner Frau erneut etwas zumuten. Seine Kandidatur um den Bundesvorsitz war notwendig geworden, nachdem unbedingt endlich ein Schwergewicht einsteigen musste.
Alle weiblichen Bundesminister hatten abgesagt, aber auch Maas und Heil trauten sich nicht recht. Es war schließlich zu erwarten wie giftig Teile der Sozi-Basis auf jedes Groko-Kabinettsmitglied reagieren würden.

Genauso kam es auch. Die Missbilligungen, die in linken SPD-Gruppen der sozialen Medien über dem Vizekanzler ausgekübelt wird, ist erschreckend.
Damit zeigen die linken Basis-Genossen unfreiwillig wieso sich keine einzige Frau das antun wollte.
Offenbar stimmt es doch noch, daß (einige) Männer ein dickeres Fell haben.

Inzwischen trudeln erste repräsentative Umfragen unter SPD-Mitgliedern herein.
Diese bringen die linken Sozis noch viel mehr in Rage, weil ihnen das Ergebnis nicht passt: Olaf führt deutlich.

[….] Kurz vor Ende der Bewerbungsfrist für den SPD-Vorsitz liegt einer Umfrage zufolge das Duo aus Bundesfinanzminister Olaf Scholz und der Brandenburger Landespolitikerin Klara Geywitz in der Gunst der Parteimitglieder vorn. Für die beiden würde sich derzeit gut ein Viertel der Mitglieder (26 Prozent) entscheiden, wie eine am Montag veröffentlichte Forsa-Umfrage im Auftrag des Fernsehsenders RTL ergab.
Danach folgten mit Abstand die Duos Nina Scheer und Karl Lauterbach (14 Prozent), Gesine Schwan und Ralf Stegner (13 Prozent) sowie Petra Köpping und Boris Pistorius (zwölf Prozent). Jeweils sieben Prozent würden für Simone Lange und Alexander Ahrens sowie Christina Kampmann und Michael Roth stimmen. […..]

Die Basis-Linken toben nun noch mehr. Es darf nicht sein, was nicht sein soll.
Bestimmt wäre die Umfrage gefälscht, RTL stehe auf der Payroll der CDU, Scholz stecke mit Forsa-Chef Güllner unter einer Decke.
Die Verschwörungstheorien schießen ins Kraut, wenn die Realität sich anders darstellt als man es in seiner kleinen linken Echokammer gern hätte.

Mit der Scholz-Bewerbung hat sich das Blatt gewendet. Entschuldigung, Klara Geywitz, auch wenn es jeder offiziell bestreitet, natürlich sind Sie tatsächlich nur schmückendes Beiwerk.

Auch die anderen Parteien wissen, daß mit Scholz ein Schwergewicht die Bühne bestritt, das sich in Koalitionsrunden nicht zur Seite schieben lassen wird und garantiert nicht wie einst Frau Nahles bei der peinlichen Maaßen-Versetzung übertölpelt werden kann.

Seit einigen Tagen stehen zwei sozialpolitische große Forderungen aus SPD-Richtung im politischen Großraum.

1.)
Die radikalen Mietdeckel-Vorstellungen der SPD-Regierung Müller aus Berlin.

[…..] Nicht mehr als 7,97 Euro pro Quadratmeter
Angesichts des angespannten Wohnungsmarktes in Berlin will der rot-rot-grüne Senat die Mieten ab 2020 für fünf Jahre per Gesetz einfrieren. Am Sonntag waren Ideen aus dem Ressort von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) bekanntgeworden, wonach Wohnungen je nach Alter und Ausstattung künftig nicht mehr als 3,42 bis 7,97 Euro Kaltmiete je Quadratmeter kosten dürfen. Ein Gesetzesentwurf liegt allerdings noch nicht vor.
Die Wohnungswirtschaft zeigt sich entsetzt über die Ideen und erwartet, dass diese Neubau und Modernisierungen quasi abwürgten. [….]

2.)
Die SPD-Bundestagsfraktion bereitet eine Vermögenssteuer vor, beginnt dazu bereits Online-Kampagnen.

[…. ] Vermögensteuer wieder einführen!
Wohlstand für viele, nicht nur Reichtum für wenige. Um die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen und die Spaltung unserer Gesellschaft zu stoppen, brauchen wir eine vernünftige Besteuerung sehr großer Vermögen. Es geht um Multimillionäre und Milliardäre. Sie sollen einen größeren Anteil für die nötigen Investitionen beitragen - für die Infrastruktur, für bezahlbares Wohnen und für den Klimaschutz und damit Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen weniger Steuern zahlen müssen. Damit alle, die sich anstrengen, ihren Anteil am Wohlstand haben. Und damit wir die unterstützen können, die es brauchen.
Es ist Zeit für eine moderne Vermögensteuer
Das private Vermögen in Deutschland konzentriert sich in sehr wenigen Händen. Das reichste Prozent der privaten Haushalte in Deutschland verfügt laut Internationalem Währungsfonds (IWF) über fast ein Viertel des gesamten Netto-Vermögens. Bei einer Berücksichtigung ergänzender Datensätze liegt der Anteil sogar bei bis zu einem Drittel.
Diese starke Vermögenskonzentration gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die wirtschaftliche Dynamik: Neuere Studien zeigen, dass starke soziale Ungleichheit nicht nur den sozialen Frieden und das Vertrauen in die Gesellschaft und den demokratischen Staat gefährdet – sondern auch schlecht für das Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft ist. Vermögen bedeutet auch Macht. Und mehr Macht bedeutet mehr Einfluss. Wenn dieser Einfluss auf Vermögen beruht und nicht auf inhaltlichen und demokratischen Verhältnismäßigkeiten, dann rüttelt das an den Fundamenten einer demokratischen Struktur. […. ] Eine Revitalisierung der Vermögensteuer würde dem weiteren Anwachsen der Vermögenskonzentration entgegenwirken – sie betrifft ausschließlich die ein bis zwei Prozent der größten Vermögen in Deutschland. Auch steht sie nicht für sich allein, sondern ist einzubetten in einen größeren Kontext: in ein gerechteres Steuersystem mit der Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen, mit einer Besteuerung von Finanztransaktionen und einer Mindestbesteuerung für global agierende (Digital-)Konzerne, um Steuerflucht und Gewinnverlagerung zu beenden. Zusätzlich geht es um Überlegungen, wie Vermögensbildung für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen erleichtert werden kann. [….]

Anders als unter einer Nahles-Führung muss man solche Konzeptionen angesichts eines möglichen neuen Vorsitzenden Scholz ernst nehmen.
Und genau das tun konservative Presse, Lobbyisten, INSM, Wohnungswirtschaft, SPRINGER, CDU, CSU, FDP.
Sie schießen aus allen Rohren gegen diese Pläne, malen den Untergang Deutschlands an die Wand.
Eine Scholz-SPD kann eben nicht mehr ausgelacht werden.
Da fürchten einige Milliardäre und Spekulanten zu Recht, daß es ihnen an den Kragen geht.
Hier decken sich ihre Interessen mit den Linken und SPD-Linken, die so gern die Groko verlassen möchten und sich für eine wie auch immer geartete CDUCSUAFDFDPGRÜNE-Konstellation aussprechen: Da wird es keine Vermögenssteuer und drastischen Mietendeckel geben. Das funktioniert nur mit der SPD. Einer SPD, die von einem starken Scholz angeführt wird.

Montag, 26. August 2019

Die Ossis.


Pauschalurteile werden nie jedem einzelnen gerecht und sind insofern immer falsch.
Pauschal eine ganze Volksgruppe aus Millionen Individuen zu beurteilen ist verallgemeinernd und undifferenziert.
Zu behaupten die Amerikaner wählten alle Trump, ist ein unterkomplexes Stereotyp.
Aber im allgemeinen Sprachgebrauch kann man einerseits nicht auf jeden einzelnen der 330 Millionen US-Amerikaner eingehen und andererseits versteht es sich von selbst, daß so viele Menschen keine homogene Masse bilden und einzelne ganz anders sind.
Trump verkörpert als US-Präsident „die Amerikaner“ und daher ist es erlaubt sich in Unterhaltungen abwertend über die Amerikaner zu äußern. Die Amerikaner, die fanatisch an ihren Waffen hängen, sich stets zu grell schminken, zu laut reden, zu ungebildet sind und immer Fast Food fressen.
Die Verwendung solcher Stereotype bedeutet bei halbwegs gebildeten Menschen, die korrekte Rechtschreibung beherrschen keineswegs, daß sie wirklich jeden so abqualifizieren.
Tatsächlich bilden die US-Amerikaner selbst auch die stärkste Opposition gegen Trump, sind abgestoßen von dem NRA-Waffenwahn und setzen sich vehement für Klimaschutz ein.

Meines Erachtens kann man daher auch nie Opfer von Pauschalurteilen sein.
Wer stereotype, abfällige Klischees über Gruppen verbreitet, zu denen ich zufällig gehöre – Amerikaner, Hamburger, Sozi, weiße Männer, digital imigrants – kann mich nie persönlich treffen, da diese negativen Assoziationen immer auf einige Mitglieder der Gruppe zutreffen. Nur ein total Verblödeter kann aber behaupten alle, also jeder einzelne Hamburger liefe den ganzen Tag im Maßanzug rum und esse Fisch. Nur ein total Verblödeter kann behaupten jeder weiße Mann wäre ein frauenfeindlicher Sexist.
Man muss aber total Verblödete nicht ernst nehmen.

Das Spannende an negativen Stereotypen ist natürlich der wahre Kern in ihnen.
Sie sind üblicherweise nicht total aus der Luft gegriffen und es lässt sich trefflich streiten wie viel tatsächlich zutrifft.
Psychologie spielt insofern eine Rolle, weil man Erlebnisse, welche die eigenen Vorurteile bestätigen viel bewußter und deutlicher in Erinnerung behält.
Ich zum Beispiel verachte Trumpmerikaner und tummele mich in den sozialen Netzwerken mit lauter liberalen US-Amis, die das ähnlich sehen. Mich mit ihnen zu unterhalten ist für mich üblich und wird nicht als Besonderheit in meinem Hirn abgespeichert.
Begegne ich aber nach zehn solchen „netten Amerikanern“ auf Facebook einem Trump-Fan, der mir erklärt nur Waffen machten das Leben sicher und Trump wäre ein Genie, denke ich sofort „typisch Ami! Mit denen kann man ja nicht reden!“

So wird es auch einem deutschen Rassisten ergehen, der in Berlin oder Hamburg dauernd auf türkische Ärzte, Gemüsehöker, Taxifahrer und Hausmeister trifft.
100 ganz normale türkische Ärzte, Gemüsehöker, Taxifahrer und Hausmeister wird er nicht besonders wahrnehmen, aber wenn der 101. von ihnen eine Knoblauchfahne hat oder kein deutsch spricht, wird er sich diesen genau merken, weil er seinem Türkenklischee entspricht.
Es dürfte unmöglich sein die Menschen davon abzuhalten ihre Vorurteile zu pflegen, zumal sie in einer zunehmend komplexeren Welt bei immer weniger informierten Bürgern wichtiger zur Orientierung werden.

Ein gangbarer Ausweg ist Humor. Es entspannt sagenhaft, wenn ein anwesender Deutsch-Koreaner schallend über eine Pointe mit Asiaten und kleinen Penissen lacht. Sofern ich in einer Runde als US-Amerikaner identifiziert bin, versichere ich sogleich grundsätzlich nie zu lesen und mich ausschließlich bei FOX zu informieren.

Solche Klischees sind heikel. Ein Opfer einer Vergewaltigung kann nicht unbedingt gut Witze in dieser Richtung vertragen. Noch heute schaudere ich über die gern von Henryk M. Broder erzählte Geschichte, daß er bei seinem Besuch in Auschwitz lauter Postkarten an ihm nicht wohlgesonnene Kollegen schickt mit dem Text „I wish you were here“.
Mir geht das zu weit. Er nutzt da seine Position aus, als jemand, der seine halbe Familie im Holokaust verloren hat.
Aber das ist wiederum das Wesen des Humors: Dafür gibt es keine allgemeingültigen Regeln.
In der WDR-Sendung „Das Lachen der Anderen“ erarbeiteten Oliver Polak und Micky Beisenherz Witze über Randgruppen, traten nach einer Woche vor MS-Patienten, Behinderten, Kleinwüchsigen, Alten oder HIV-Positiven mit einer Stand-Up-Nummer voller Gags auf deren Kosten auf.
Meistens hielt das Publikum die Witze am Ende der Show für eher zu harmlos.

Etwas, das im humoresken Bereich, im Privatgespräch, auf Instagram oder in einem Blogeintrag funktioniert, muss nicht unbedingt aus seriöser und politischer Ebene nachgeahmt werden.

Daher ist auch die Titelgeschichte des aktuellen SPIEGELs heikel: „So isser, der Ossi!“


Der Spiegel erreichte, was er wollte: Ein großes Bohei. Shitstormartige Twitter-Tiraden.

[….] Jetzt natürlich große Aufregung. Die wenigen Stimmen, die darauf hinweisen, dass der Titel das Klischee in ironischer Stammtischsprache nur deshalb aufnimmt, um es, worauf bereits die Unterzeile hinweist, im Inneren zu dekonstruieren und zu widerlegen, verhallen praktisch ungehört. "Einfach mal was Plattes hinauskrähen und sich dann die Schenkel klopfen, wenn eine Debatte zündet. Heute: Auf Kosten von Ostdeutschland. So isser, der #Spiegel", kritisiert der Twitter-Nutzer @fernseh_heini.
Ein anderer Twitterer hat sich sogar die Mühe gemacht, das Cover mit einer Rasta-Strickmütze nachzubauen und die Zeile mit dem N-Wort abzuwandeln, um dessen vermeintlich diskriminierenden Charakter augenfällig zu machen. Ein rechtes Blog konstatiert "die Geschichte einer Radikalisierung", und der Medienjournalist Stefan Niggemeier stellt fest: "Alle reden über das missratene Cover, nur @DerSpiegel hat auch im Jahr 2019 noch keine Möglichkeit gefunden, sich an dieser Konversation zu beteiligen." [….]

Als ich die Ausgabe vor zwei Tagen aus meinem Briefkasten fischte, dachte ich zuerst: „Oh, zum Glück nach der Titelstory der letzten Woche über Faltencremes schon wieder reiner Schwachsinn, mit dem ich nicht meine Zeit verplempern muss. Ich habe genügend andere Artikel, die ich dringender lesen muss.“
Ist das nicht viel zu offensichtlich auf Provokation ausgelegt? Springen die Menschen immer noch auf so simple Methoden an?

Die nächsten 48 Stunden belehrten mich eines Besseren. Ja, so funktioniert die leicht erregbare Medienwelt immer noch.
Der Spin drehte sich mehrfach und so bestätigten „die Ossis“, die sich über das verallgemeinernde, despektierliche Klischee-Titelbild echauffierten, unbewußt einige der stärksten Vorurteile: Erstens „Jammerossi“ und zweitens „völlig humorlos“.
Und ja, in diesen Vorurteilen steckt offenbar ein erheblicher wahrer Kern.
Der SPIEGEL provoziert dauernd mit seinen Titelbildern. Das ist schließlich der Sinn eines Heftes, das verkauft werden soll. Immer wieder gab es sehr despektierliche Schlagzeilen, die sich gegen den Vatikan, die Kirche oder zum Beispiel auch gegen Hamburg richteten.


Aber niemand ist so schnell und so radikal beleidigt wie „die Ossis“.
Was Hamburg einfach an sich abtropfen lässt, führt in Ossiland gleich zu kollektiver Depression.
Dieser Befund rechtfertigt womöglich auch eine neuerliche elfseitige Titelgeschichte zur Befindlichkeit „der Ossis“; geschrieben von, natürlich, einem Ossi.
Steffen Winter, Dresdener Korrespondent des SPIEGEL, geboren 1969 in Thüringen ist der Autor und wird nun besonders angefeindet.
Ähnlich wie Frau Merkel wird er nicht nur als „Ossi-Kritiker“ wahrgenommen, sondern darüber hinaus auch noch als „Verräter“. Als einer der Ihren, der sie im Stich ließ.
Da ist es nicht weit zum „Volksverräter“.

Nur kurz erwähnt er die Kennzahlen, die „uns Wessis“ so ärgern und zu dem Klischee der „Jammerossis“ beitragen.

 [….]  2015 wur­den 70 000 Asyl­su­chen­de in Sach­sen re­gis­triert, ver­gan­ge­nes Jahr wa­ren es le­dig­lich noch 8800.
[….] Ei­ner­seits ist die deut­sche Ein­heit eine bei­spiel­lo­se Er­folgs­ge­schich­te. Mehr als zwei Bil­lio­nen Euro flos­sen in das ge­schicht­lich ein­ma­li­ge Pro­jekt. 65 Pro­zent der Sum­me wa­ren So­zi­al­leis­tun­gen, 300 Mil­li­ar­den in­ves­tier­te die Bun­des­re­pu­blik in die ost­deut­sche In­fra­struk­tur. In wei­ten Tei­len sind die ver­fal­le­nen Städ­te tat­säch­lich auf­ge­blüht, die holp­ri­gen Au­to­bah­nen ge­glät­tet, ha­ben sich die all­ge­gen­wär­ti­gen Braun­koh­le­schwa­den ver­zo­gen.
Die Ar­beits­lo­sig­keit, über Jahr­zehn­te die größ­te Sor­ge der Ost­deut­schen, ist seit Jah­ren stark rück­läu­fig. Auf ih­rem Ze­nit, 2005, lag sie in den neu­en Län­dern bei 20,6 Pro­zent. Im Mo­ment sind es noch 7. [….] Die Ge­häl­ter sind im Os­ten nied­ri­ger, ja, aber auch die Mie­ten und die Im­mo­bi­li­en­prei­se. Fa­mi­li­en fin­den leich­ter eine Kita. Die durch­schnitt­li­chen Ren­ten von Män­nern und Frau­en sind im Os­ten so­gar leicht hö­her. Die Agen­tur Pro­gnos hat die Le­bens­qua­li­tät in den 16 deut­schen Bun­des­län­dern un­ter­sucht: Bis auf Sach­sen-An­halt lie­gen alle ost­deut­schen Län­der im Bun­des­schnitt oder dar­über.

Meck­len­burg-Vor­pom­mern hat Bay­ern als be­lieb­tes­tes Som­mer­ur­laubs­land der Deut­schen ab­ge­löst. [….]
(DER SPIEGEL Nr. 35, 24.08.2019)

Wieso beklagen sich die Sachsen, Thüringer, Meckpommer und Brandenburger also 30 Jahre nach dem Beitritt der DDR zu BRD immer noch so massiv, fragt sich nun unwillkürlich jeder Hamburger, Kölner, Bayer oder Hesse.

Winter wird nun sehr psychologisch und soziologisch, erklärt wieder einmal, die großen Brüche in den DDR-Biographien und fordert ein, die spezifisch ostischen Ängste, Unsicherheiten und Bedenken ernster zu nehmen.

[…..] Im Sep­tem­ber und Ok­to­ber wer­den ver­mut­lich vie­le frü­he­re Nicht­wäh­ler zur Wahl ge­hen. Et­li­che von ih­nen wer­den AfD wäh­len, aber die Par­tei muss nicht der Ge­win­ner blei­ben. Der Wunsch nach An­er­ken­nung könn­te die an­de­ren Par­tei­en mo­ti­vie­ren, ihre po­ten­zi­el­len Wäh­ler zwi­schen Prenz­lau und Leip­zig, Sprem­berg und Bit­ter­feld trotz all ih­rer Ängs­te und Neu­ro­sen ernst zu neh­men. Oder ge­ra­de des­we­gen. […..]
(DER SPIEGEL Nr. 35, 24.08.2019)

An dieser Stelle oute ich mich als Klischee-Wessi, der auch gerne despektierliche Witze über „die Ossis“ macht.
Und ja, auch in diesem Blog tauchte schon das fiese Akronym „DDR = Der Doofe Rest“ auf.
Niemand stört sich schließlich an den 3,7 Millionen ehemaligen DDR-Bürgern, die seit 1989 nach Westdeutschland übergesiedelt sind.
Es ist eher kurios und lehrreich. Ein mittlerweile angeheiratetes Familienmitglied aus MeckPomm fragte beispielsweise einst ganz verwirrt ihre zukünftige Schwiegermutter was denn „Hausfrau“ wäre, nachdem die sich als solche vorstellte.
Offenbar gab es den Begriff gar nicht in der ehemaligen DDR mit ihrer Vollbeschäftigung.
Es war ein willkommener Anlass für mich anachronistische Denkweisen zu hinterfragen. Ist es nicht in der Tat sehr befremdlich immer noch mit großer Selbstverständlichkeit im 21. Jahrhundert der Ehefrau einer westdeutschen Familie schon begrifflich ihre dienende Rolle am Herd und als Putzfrau zuzuweisen?

Bezüglich der Verantwortung der Parteien gegenüber der speziellen Befindlichkeiten in Prenz­lau und Leip­zig, Sprem­berg und Bit­ter­feld gibt es aber offenbar diametral unterschiedliche Wahrnehmungen.
Ich kann es nicht mehr hören. Nach meinem Empfinden höre ich seit 30 Jahren nichts anderes, als genau das: Man müsse endlich die DDR-Biographien ernst nehmen. Schon 1990 mahnte die großartige Hildegard Hamm-Brücher prophetisch die „Besserwessis“ sensibler zu sein.
Wie ist es nur möglich, daß umgekehrt immer noch so viele Ossis denken, dieses werde viel zu wenig getan?

Insofern waren die psychologischen Exkurse der Winter-Titelgeschichte durchaus lehrreich: Das was mir alles einleuchtet, mich aber zutiefst anödet, weil ich es schon gefühlte 37.000 Mal gelesen habe, ist scheinbar das, was einige Ossis endlich auch mal lesen möchten?

Zwei weitere Aspekte des ausführlichen Artikels empfinde ich als ausgesprochen ärgerlich:

1.)

Keine Angst, kein Minderwertigkeitsgefühl, keine Verunsicherung rechtfertigt es den völkischen AfD-Schreihälsen nachzurennen.

[….] Neid hätten viele erst im vereinten Deutschland kennengelernt, sagt sie. Plötzlich hätten die einen mehr gehabt als die anderen. Berndt verbindet ihre Unzufriedenheit umstandslos mit dem Thema "Einwanderer". "Sogar die Ausländer" hätten "mehr in der Tasche als wir". Mit "wir" meint sie "die Ossis". Sie müsse bei Kik Kleidung kaufen, doch Ausländer kauften angeblich in den teuersten Läden ein. […..]
(DER SPIEGEL Nr. 35, 24.08.2019)

Die schockierende Unmenschlichkeit, mit der Ossis auf Menschen in viel größerer Not als sie selbst reagieren, die barbarische Freunde großer Mobs bei abbrennenden Asylunterkünften, die schulterzuckende Indolenz der Dresdener bei den rechtsradikalen Pegida-Märschen, ist unentschuldbar und widerlich.
Die atemberaubende Vulgarität, mit der große Pulks von Merkel-Hassern aus heiserer Kehle „FOTZE“ und „HAU AB“ grölen, ist nicht durch den großen sozialen Umbruch vor drei Dekaden zu rechtfertigen.
Hamburg hat einen zehnmal höheren Migrantenanteil als Sachsen und gleichzeitig die niedrigsten AfD-Ergebnisse aller Bundesländer.
Ich bestreite also vehement, daß Flüchtlinge geradezu automatisch zur Wahl von rechtsradikalen Parteien nötigen.
Auch in den fünf neuen Bundesländern wäre es möglich sich seriös zu informieren, bevor man den AfD-Parolen nachrennt.

Das aber führt zu einem noch größeren Kritikpunkt an der SPIEGEL-Titelgeschichte:

2.)

Ja, schockierenderweise werden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg die Braunen – und Herr Kalbitz ist sehr sehr braun – mutmaßlich über 20% der Stimmen bekommen.
Das heißt aber umgekehrt natürlich auch, daß 70, 75 oder 80% der Ostdeutschen eben nicht automatisch rechtsradikal wählen.
Wäre es nicht angebrachter für die Parteien sich um diese Menschen zu kümmern, statt dem Viertel oder Fünftel der Widerlinge nachzurennen?

Es liegt mir eigentlich fern „die Ossis“ zu verteidigen, aber die große Mehrheit wählt nicht AfD und daher sehe ich keinen Anlass, daß Talkshows und Politmagazine immer nur auf das Thema Flüchtlinge/Ossis/AfD starren und so tun, als ob es ganz natürlich wäre, wenn sich dort aus Gram über Merkels Asylpolitik alles den Nazis zuwendet.






Sonntag, 25. August 2019

Das postamerikanische Vakuum.


Auch die rassistischen, misogynen, homophoben Vereinigten Staaten von Amerika  vor 50, 70 oder 100 Jahren waren unterm Strich eher ein Segen für den Rest der Welt.
Einerseits sperrten sie ausschließlich rassistisch begründet asiatisch-stämmige US-Amerikaner in KZ-artige Internierungslager, warfen zwei Atombomben über zivilen Städten ab und rückten mit einer Apartheits-Armee in Europa ein.
Tatsächlich haben gerade die Deutschen immer noch Grund zur Dankbarkeit.
Deutschland konnte weder allein das bestialische Nazi-Regime loswerden, noch die Demokratie oder Pressefreiheit einführen. All das musste von den drei Westalliierten mit Gewalt installiert werden.
Tatsächlich hätten die Deutschen wie 1944 von Hannelore und Helmut Schmidt prognostiziert eine Zukunft auf primitivsten Jäger- und Sammler-Niveau mit Behausungen in Erdhöhlen vor sich gehabt, wenn sie US-Sieger nicht so sehr viel großzügiger als die Deutschen in den Jahren zuvor gewesen wären, mit Marshall-Plan, Berliner Luftbrücke und Care-Paketen geholfen hätten.
Eine undemokratische Rassisten-Armee schaffte das.

[….] Ausgerechnet die US-Armee, die Westeuropa vom Nazi-Rassenwahn befreite, gehorchte im Inneren dem Prinzip der Rassentrennung. [….] Ihre meist nur aus Afroamerikanern bestehenden Einheiten wurden getrennt von den Weißen untergebracht, sie galten in jeder Hinsicht als Kameraden zweiter Klasse. [….]  Noch in den späten Fünfzigern durfte Leutnant Colin Powell, später einmal oberster Soldat und danach Außenminister der USA, seinen Stützpunkt in Georgia nicht verlassen - wegen der Rassentrennung. [….]

Schwarze US-Amerikaner durften keine Offiziere werden und mussten getrennt von den weißen GIs essen.
100.000 schwarze Soldaten kämpften auf US-Seite für die Befreiung vom Nationalsozialismus in einer Armee mit strikter Rassentrennung.

Washington bestand sogar kategorisch darauf, daß Schwarze keinen Anteil am Siegesruhm haben durften.

[….] Bevor am 26. August 1944 die Befreiung von Paris von den Alliierten mit einer großen Parade über die Champs-Élysées gefeiert wurde, stellten die Amerikaner eine Bedingung. Für die Geste, an der Spitze des Zuges französische Soldaten marschieren zu lassen, sollten Charles de Gaulles Forces françaises libres sicherstellen, dass darunter keine schwarzen Soldaten sein würden. Keine leichte Aufgabe, denn die Truppen von Charles de Gaulle rekrutierten sich zu zwei Dritteln aus den französischen Kolonien. Aber die US-Führung blieb hart. Schließlich herrschte in ihrer Armee noch strikte Rassentrennung. […..]

Bis heute haben es Schwarze noch nicht in alle Top-Ränge geschafft.

[….] Zum ersten schwarzen General stieg 1975 der US-Luftwaffenoffizier Daniel „Chappie“ James, Jr. (1920–1978) auf; die US-Army zog 1982 mit der Beförderung von Roscoe Robinson Jr. (1928–1993) nach. Wieder folgte die US-Navy mit bemerkenswerter Verspätung: Erst 1996 gelangte mit J. (Joseph) Paul Reason (* 1941) ein Schwarzer in den Rang eines Full Admiral. Im Marine Corps steht die Beförderung eines Afro-Amerikaners zum Full General bis heute aus. [….]

Aber die USA der letzten 100 Jahre entwickelte sich. Bürgerrechte wurden erkämpft, Schwarzen stehen formal alle Karrierewege offen, es gibt die Ehe für alle und beinahe wäre sogar 2016 eine Frau US-Präsidentin geworden. Hillary Clinton bekam drei Millionen Stimmen mehr als Donald Trump.
Die USA konnten weiterhin immer wieder segensreich für den Rest der Welt wirken.
Heute kommen die besten Dramaserien von dort, herausragende Schriftsteller, Drehbuchautoren, Sänger, Wissenschaftler.
Nahezu unermessliche reiche amerikanische Stiftungen wirken überall in der Welt segensreich, indem sie Wasseraufbereitungsanlagen liefern, Impfkampagnen starten.
Ja, und manchmal ist sogar die US-Army ein Segen.
Wenn Kalifats-Fanatiker auf die Idee kommen alle Jesiden als „Ungläubige“ abzuschlachten, hat nur die USA die Power das zu verhindern.

Soziale Medien, ultrareiche Nazis wie die Koch-Brüder (David hat glücklicherweise vor wenigen Tagen den Löffel abgegeben), die Mercers, Murdoch oder Adelson trugen dazu bei die Vereinigten Staaten von Amerika auf einen neuen Kurs zu bringen. Kurs Mordor.



Schluß mit Menschenrechten. Schluß mit Rechtsstaat, Schluß mit Umweltschutz, Schluß mit Internationalität, Schluß mit Gewaltenteilung, Schluß mit Schwulenrechten, Schluß mit sozialem Gewissen, Schluß mit Nachhaltigkeit.
Willkommen Rassismus. Willkommen Autokratie, Willkommen Diktatur.

[….]  “I guess I’m going to have to re-evaluate my low opinion of prostate cancer. He was 79, but his family says they wish he could live longer, but at least he lived long enough to see the Amazon catch fire.
Condolences poured in from all the politicians he owned, and mourners have been asked in lieu of flowers to just leave their car engines running. As for his remains, he’s been asked to be cremated and have his ashes blown into a child’s lungs. Now, I know these may seem like harsh words and harsh jokes, and I’m sure I will be condemned for them on Fox News, which will portray Mr. Koch as a principled Libertarian who believed in the free market. He and his brother have done more than anybody to fund climate-science deniers for decades, so fuck him. The Amazon is burning. I’m glad he’s dead and I hope the end was painful.” [….]

Die USA haben aber nicht nur ihren politischen Kurs geändert.
Sie sind vor allem keine Meritokratie mehr.
Der sprichwörtliche Traum „vom Tellerwäscher zum Millionär“ ist vorbei für die meisten.
Was in den 40ern, 50ern, 60ern, 70ern noch selbstverständlich war, nämlich sich mit einem normalen Arbeitseinkommen eine Existenz aufzubauen, ein Haus zu kaufen und die Kinder zum College zu schicken, ist längst vorbei.



Wer sich so ein Vorstadt-Idyll-Leben im Jahr 2019 ermöglichen will, schafft das nicht mehr allein. Man muss schon DINK sein (Double Income No Kids) und wenn man doch Nachwuchs haben möchte, reicht nicht mehr ein Job pro Person, sondern es müssen Zweit- und Drittjobs her.
Die Kochs haben ganze Arbeit geleistet; Trump war ihr Vollstrecker.
Das Geld wird jetzt nur noch zu dem reichsten 1% der Amerikaner umgeleitet.
Man kann also immer noch sehr reich werden. Aber de facto nur noch mit einer Methode: Erben.


Dafür ist Trump das perfekte Beispiel. Geschäftlich vollkommen unfähig, stolperte er von Pleite zu Pleite, doch stets eilte sein Milliardär-Papi zur Hilfe.
Donald erbte Papas Reichtum und politisch erbte er Obamas gute Wirtschaft.
Genau wie bei seinen privaten geschäftlichen Aktivitäten der letzten Dekaden, fährt er nun offensichtlich auch die US-Wirtschaft gegen die Wand.





Die Welt braucht einen seriösen großen Global Player, der vorangeht, wenn alle anderen zu schwach sind oder finstere Ansichten haben.
So eine „Führungsnation“ muss nicht perfekt sein, wie wir am Beispiel der USA sahen.
Aber sie darf nicht so schlecht wie Trumpmerika sein.
Nach dem moralischen und intellektuellen Totalausfall Washingtons fragt sich, wer in die Lücke springt.
China?
Und wäre das wünschenswert?
Nach dem Ende des amerikanischen Zeitalters wäre es durchaus wünschenswert, wenn ein demokratisches, soziales EU-Zeitalter anbräche.
So eine EU könnte (wie die USA im Jahr 1945 mit Pressefreiheit und Demokratie) andere Nationen mit Menschenrechten und Umweltschutz nerven.

Aber wie soll das gehen mit Nationen wie Polen, Ungarn, Österreich, Italien und Großbritannien?
Wie soll das gehen, wenn die stärkste Macht Europas bräsig die Zukunft verschläft und mit einer alternden müden Merkel noch nicht einmal daran denkt die eigenen Hausaufgaben zu machen?
Keine Dynamik, nirgends. Außer in Paris. Aber Paris steht allein da.

[…] [Deutschland] ist seiner Selbstzufriedenheit zum Opfer gefallen. Und einer Politik, die eine historische Ausnahmesituation nur verwaltet hat, anstatt die Zukunft zu gestalten.
[…] Deutschland [sorgt] für globale Verzerrungen im Handel […], weil es sich vor lauter Exportstolz und "schwarzer Null" wenig dafür interessiert, die Binnennachfrage anzukurbeln - und damit das Wachstum in Europa. […] Es gab in der Merkel-Ära keine Projekte, die mit Entschiedenheit und Leidenschaft über lange Zeit verfolgt wurden. Das Land ist bräsig geworden. […] Zweitens muss sich die Bundesregierung auf eine neue wirtschaftliche Realität ausrichten, in der Exportstolz nicht mehr ausreicht. In vielen Teilen Deutschlands funktioniert das mobile Internet nur lückenhaft, weder der Mittelstand noch die großen Konzerne sind hinreichend auf die digitale Transformation und künftige vernetzte Produktionsmethoden ausgerichtet. Deutschland muss deshalb investieren in Technologien, Netze, es braucht ein neues Projekt, aus dem in den nächsten Jahren eine neue deutsche Wirtschaftswundergeschichte entstehen könnte, zum Beispiel eine wirkliche Energiewende.
Dafür braucht es Ideen, aber auch Geld. Deshalb gehört dazu auch ein Abschied von der Leitlinie der schwarzen Null. […]
(SPIEGEL LEITARTIKEL, 24.08.2019)

Weite Teile der Bundesregierung liegen durch ihre vollkommen unfähigen Unionspolitiker brach. Nicht auszudenken, in welche Abgründe wir stürzen würden, wenn die Träume der linken Sozis wahr würden und auch noch die sechs fähigen Bundesminister (von der SPD!) das Kabinett verließen und nur noch tumb-faule Lobbyhuren à la Klöcker, AKK, Seehofer, Spahn und Altmaier zu bestimmen hätten.

[….] Die Drei von der Baustelle
Das Verkehrsministerium könnte so viel bewegen. Doch es steht vor allem für Stillstand. Was sind die Gründe? Und was haben die Minister von der CSU damit zu tun? [….]

Ein Drama. Wo soll denn der Weiße Wal herkommen, wenn Tölpel Trump versehentlich die gesamte Weltwirtschaft hinabzieht?

[….]Trump könnte zum Initiator eines weltweiten Abschwungs werden
    Auf die neuen Zölle Pekings reagiert US-Präsident Trump seinerseits mit weiteren Strafabgaben - und einer Tirade auf Twitter, in der auch sein eigener Notenbankchef zur Zielscheibe wird.
    Jüngst hatte der US-Präsident indirekt eingestehen müssen, dass der von ihm angezettelte Handelsstreit immer mehr zur Belastung für die eigene Bevölkerung wird.
    Experten befürchten schon eine globale Rezession.
Donald Trump war außer sich - so sehr, dass er seinen eigenen Notenbankchef am Freitagmittag kurzerhand zum Staatsfeind erklärte und zugleich allen amerikanischen Unternehmen, die Waren in China fertigen, den "Befehl" erteilte, sich nach neuen Produktionsstätten umzuschauen. Was den US-Präsidenten so in Rage gebracht hatte, war die Ankündigung seines vermeintlichen "Freundes" Xi Jinping: Der chinesische Staatschef hatte zuvor mitteilen lassen, dass die Volksrepublik als Reaktion auf die jüngsten Zollankündigungen der Amerikaner ihrerseits weitere Strafabgaben auf US-Warenlieferungen im Gesamtwert von 75 Milliarden Dollar erheben werde. Sie sollen am 1. September und am 15. Dezember in Kraft treten. Mit einer solchen Verschärfung des laufenden Handelskonflikts hatte Trump offenkundig nicht gerechnet.
Noch vor Wochen hatte der US-Präsident einmal mehr erklärt, es sei für ihn ein Leichtes, Handelskriege zu gewinnen. Nun jedoch muss er feststellen, dass Xi offenbar nicht bereit ist, einzuknicken. […]

So wie die USA in den letzten 100 Jahren nie perfekt waren, ist auch Macron nicht perfekt.
Aber er ist um Welten besser als alles was wir sonst zu bieten haben.
Engagiert sich für internationale Zusammenarbeit, Klimaschutz und Konfliktlösungen.
Es gibt erhebliche Unterschiede verglichen mit den deutschen Interessen (Atomkraft, Rüstungsexporte, Russlandpolitik), aber doch genügend Gemeinsamkeiten, um sich nicht nur gegen Trump, Johnson und Salvini zu wehren, sondern international ein positives Beispiel zu setzen, Initiativen zu starten – WENN Merkel nicht so verdammt bräsig und total desinteressiert an allem wäre.
Wenn die Deutschen endlich mal wieder einen Kanzler wie Gerd Schröder hätten, der etwas von internationalen ökonomischen Zusammenhängen versteht.
Unter Merkel und Altmaier befindet sich die deutsche Wirtschaftspolitik leider aber auf schwäbischem Kindergartenniveau.

[….] Warum öffnet die Bundesrepublik nicht endlich die Geldschleusen? Warum legen die Deutschen jetzt kein großangelegtes Ausgabenprogramm auf, das die lahmende Konjunktur anschieben könnte? Fast täglich erheben internationale Institutionen, Ökonomen und Regierende solche Forderungen in Richtung Berlin. Die Argumentation geht in etwa so: Die Bundesrepublik habe enorme finanzpolitische Spielräume, aber die nutze sie nicht. Mit ihrer "Schuldenobsession" schade sie sich selbst und der Weltwirtschaft, schrieb Starökonom Paul Krugman dieser Tage in der "New York Times". Sein Fazit: "Die Welt hat ein Deutschland-Problem."
Tatsächlich gibt es unter den großen westlichen Volkswirtschaften keine andere, die derart niedrige Staatsschulden und einen laufenden Haushaltsüberschuss ausweist. Dabei ist die Bundesrepublik wahrscheinlich inzwischen in einer Rezession. [….]