Samstag, 25. November 2017

Er sie es



Vanja hat sich nicht ausgesucht welches Geschlecht er/sie hat.
Er/sie wurde wie etwa 100.000 weitere Menschen in Deutschland weder als Mann noch als Frau geboren.
Nicht in die biblischen Schablonen zu passen bedeutete über Jahrtausende entweder gleich getötet zu werden oder später gequält zu werden. In den letzten 100 Jahren wurden schon Säuglinge rücksichtslos so operiert, daß sie zwangsweise häufig sterilisiert und immer äußerlich in ein (meist falsches) Geschlecht gezwungen werden.
Das ist zutiefst menschlich, denn Menschen sind abartige, grausame und vorurteilsbeladene Wesen, die das töten und quälen, was sie nicht kennen.
Auch ich erfasste erst vor etwa 20 Jahren bei der Lektüre von und über Del Lagrace Volcano welche unfassbare Grausamkeit heimlich, still und leise an tausenden Kindern jährlich begangen wird.

Immerhin erfreulich, daß es im Jahr 2017 kurz nach der „Ehe für fast alle“ (einige bleiben weiterhin ausgeschlossen) nicht mehr erneut Jahrhunderte dauerte, bis Intersexuelle auch rechtlich ein eigenes Geschlecht bekamen.

[….] Bei Frauen ist es XX, bei Männern XY. Vanja hatte nur ein X, mehr nicht. Die Ärztin war geschockt.
Vanjas Reaktion? Verwirrt. Erschreckt. Aber auch einen Schritt näher bei sich selbst. "Irgendetwas in mir hat ja gewusst, dass sich da keine Weiblichkeit entwickelt." Nur: Wer oder was war Vanja nun? Die ärztliche Diagnose klang nach Frau mit Defekt, sie könne eben keine Kinder kriegen: "45,X0, numerisch pathologischer Karyotyp mit Monosomie X/Ullrich-Turner-Syndrom". Das ist nur eine der diversen Varianten medizinisch unklarer Geschlechtszuordnung; mal sind es die Gene, mal fehlende Enzyme oder hormonelle Fehlsteuerungen.
 […..]  Die Mediziner empfahlen, Östrogen zu geben, das weibliche Sexualhormon. Vanja sollte doch noch die Kurve zur Frau kriegen.
Letztlich entsprach das einer rigiden Haltung, die sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hatte. Davor, etwa im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794, hatten Betroffene bis zum 18. Lebensjahr das Recht, einen Irrtum der Eltern bei der Geschlechtszuordnung zu korrigieren - das Recht also, das eigene Geschlecht zu wählen, wenn auch nur zwischen zwei Möglichkeiten. Hundert Jahre später wurde aus dem Wahlrecht eine behördliche Zuweisung: Einzutragen war das "wahre Geschlecht" - im Zweifelsfall mussten die Mediziner entscheiden.    Aus diesem Zwang zur Eindeutigkeit sollte sich eine mitunter barbarische Praxis entwickeln. […..]

Woher kommt diese extreme menschliche Bösartigkeit gegenüber völlig unschuldigen Artgenossen?
Offensichtlich aus der tiefen Borniertheit des Denkens.
Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht.
Es kann nicht sein, was sein darf.
Mensch ist zu denkfaul, um die gewohnten sprachlichen maskulin-feminin-Pfade zu verlassen.

Dabei wußte schon Marcel Reich-Ranicki wie eigenartig deutsche Grammatik ist.

In Deutschland heißt es
die Männlichkeit
der Feminismus und
das Weib.

Und wer hat noch nicht die verblüffte Reaktion eines Italieners erlebt, wenn man ihm erzählt bei uns hieße es der Mond und die Sonne, der Südländer aber „il sole“ als männlich und „la luna“ natürlich als weiblich kennt?

Und was ist mit den verrückten Engländern und Amerikaner ganz ohne geschlechtliche Artikel auskommen. Ihnen genügt „the“, bzw „a“. Was ist denn das für eine Gleichmacherei?
Aber die duzen ja auch jeden. Unverschämtheit.

Ist man deutschsprachig aufgewachsen, wirkt es ausgesprochen absurd statt „er“ und „sie“ nur noch „es“ zu sagen.

Die Gewöhnung ist der Schlüssel. Mensch ist zu träge und tumb, um sich an einen anderen Sprachgebrauch anzupassen.

Insofern bin ich auch nicht sehr optimistisch, daß die frommen Schweden es schaffen die liebe Göttin zukünftig als Intersexuelle(n) anzusehen.
Anders als bei Vanja kam man dem wahren Geschlecht Gottes allerdings nicht durch eine Genanalyse auf die Spur, sondern durch Recherchen der Erzbischöfin Antje Jackelén, der Chefin der Schwedischen Kirche. Es waren offensichtlich mal wieder die verrückten 80er Jahre, als sich Männer schminkten und die Haare hochtoupierten. Da fiel Gott glatt der Penis ab.

 "Die Idee, dass wir eine inklusivere Sprache brauchen, existierte bereits während der Arbeit zum Handbuch 1986. Theologisch wissen wir, dass Gott jenseits unserer Geschlechtsbestimmungen ist. Gott ist kein Mensch."
(Antje Jackelén)

In Deutschland kommen solche Pläne gar nicht gut an.
Vor einigen Jahren hatten die theologische Blitzbirne Margot Käßmann und ausgerechnet die ultrakonservative Familienministerin Kristina Schröder eroiert, ob der deutsche, protestantische Gott ebenfalls eine Transe sein könne.
Das ging ihren Kabinettskolleginnen allerdings gewaltig auf die Eierstöcke.

[…..]  Kristina Schröder brachte einst als Familienministerin das religiöse Weltbild einiger Mitmenschen ins Wanken. Auf die Frage, warum man eigentlich zu "dem lieben Gott" bete und nicht "zu der Gott", sagte sie in der Zeit: "Ganz einfach: Für eins musste man sich entscheiden. Aber der Artikel hat nichts zu sagen. Man könnte auch sagen: das liebe Gott."
Diese Aussage der CDU-Politikerin sorgte rund um Weihnachten 2012 für einigen Wirbel. Christine Haderthauer von der CSU schimpfte, dass sie "dieser verkopfte Quatsch sprachlos" mache. CDU-Kollegin Katharina Reiche beschloss: "Der liebe Gott bleibt der liebe Gott!" Sogar die Bundeskanzlerin wurde aufgefordert, sich zum göttlichen Artikel zu äußern. Ihr Sprecher Steffen Seibert erklärte also: "Wer an Gott glaubt, dem sind die Artikel egal." Der Ausdruck "der liebe Gott" habe in den Herzen vieler Menschen seit Jahrhunderten einen Platz. [……]

Es ist eben, wie immer eine Frage der Gewöhnung.
Wer 2.000 Jahre lang den Gott als „Vater“ ansprach, seine nackten männlichen Körper am Kreuz betrachtete und schließlich auch all die Bilder vom ihm mit wallendem Vollbart kannte, tut sich schwer damit eine grammatikalisch-angleichende Operation vorzunehmen.

Und zu was eigentlich? Ist Gott/Göttin nun ein Hermaphrodit, oder eher so was wie ein Eunuch?
Papst Ratzi schreibt seiner Biografie Jesus von Nazareth, Band eins, Seite 174, "Natürlich ist Gott weder Mann noch Frau“ – und dachte womöglich dazu sondern eine zölibatäre Frauenverachterin mit einem Faible für bunte Kleiderso wie ich.
Endgültig geklärt ist der Sachverhalt leider immer noch nicht, weil Gott sich so selten auf der Erde blicken lässt, seit Fotoapparate erfunden wurde.
Und auf Facebook oder Twitter ist er auch nicht. So lange er uns kein Dickpick schickt, müssen wir also weiterrätseln.

[…..][…..]  In Uppsala entschied das 251-köpfige Entscheidungsgremium der evangelisch-lutherischen Kirche mit großer Mehrheit, künftig darauf hinzuwirken, geschlechtsneutrale Begriffe für Gott zu verwenden. […..] Die Vorsitzende des Gottesdienst-Ausschusses der Kirche, Sofija Pedersen Videke, sagte: "Gott ist viel größer als das Geschlecht. Wir Menschen haben ein Geschlecht, aber Gott ist jenseits davon. Egal, welche Bilder wir verwenden, wir können niemals alles abdecken, was Gott ist." […..] Einig sind sich die Theologen darin, dass Gott keinesfalls ein Neutrum sei. Sich Gott als Sache vorzustellen oder unpersönliches Wesen widerspreche der Lehre und der Auffassung von Gott als Person. Insofern beschwerte sich die Schwedische Kirche auch bei einigen dänischen Zeitungen, die berichteten, dass in Gottesdiensten nun das geschlechtsneutrale Personalpronomen "hen" für Gott eingesetzt werden solle. Das Wort wurde erst 2015 ins Standardwörterbuch der schwedischen Sprache übernommen, als Ergänzung zum männlichen "han" und weiblichen "hon".
[……]

Freitag, 24. November 2017

Sorry Schulz, Du hast versagt.



Da hat der Eskapist Christian Lindner ja was angerichtet.
Nicht nur, daß die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt und wichtigste Macht in Europa nun weiterhin ausfällt, nicht nur, daß sich Xi, Erdoğan und Putin jetzt heimlich ins Fäustchen lachen, weil Merkel noch nicht mal einen eitlen Gecken einer Klientelpartei unter Kontrolle bekommt, nicht nur, daß wegen Lindners Kein-Bock-auf-gar-nichts-Attitüde noch mal 100 Millionen Euro für Wahlen verprasst werden.
Nein zu allem Übel muss man sich auch noch bei jeder Gelegenheit den selten dummen Spruch „Lieber nicht regieren als falsch regieren“ anhören.
Die SPD-Linken hauen einem das um die Ohren, wenn das Wort „GroKo“ fällt.


Die Alternative „falsch oder gar nicht“ ist keine Alternative, sondern Popanz.
Lindner und die SPD-Linken haben offensichtlich noch nicht verstanden, daß man mit 10% oder 20% Wahlergebnis nicht 100% der Regierungspolitik umsetzen kann, daß man in Koalitionen immer Dinge mittragen muss, die man falsch findet, da sie von einer Konkurrenzpartei durchgedrückt wurden.
Lautete die Frage, ob Martin Schulz absoluter Monarch von Deutschland werde, könnte man erwarten, daß er in dem Fall Sozialdemokratische Politik pur durchsetzt.
Ob es einem gefällt oder nicht; wir haben hier ein anderes System. Parlamentarische Demokratie, deren Wesen es ist von Vertretern des Volkes Kompromisse aushandeln zu lassen.
Der verzweifelt um sein Amt kämpfende Schulz ist nun ein Getriebener und hilft im Moment weder der Partei noch dem Land. Schulz muss jetzt verbissen um seine Glaubwürdigkeit kämpfen, weil das das einzige ist, was er noch hat.
Bloß nicht nachgeben, bloß keine Fehler zugeben, bloß keine Meinungsänderung.

Wie sehr er sich selbst widerspricht, merkt er scheinbar nicht. Indem er betonte, die SPD habe "aus unserer Sicht 2013-2017 sehr gute Arbeit geleistet" und dann aber schloss, daß wir das keinesfalls wieder tun wollen.
Also was nun? Haben die SPD-Minister Gutes geleistet und etwas für das Volk und die SPD-Wähler erreicht?
Wenn ja, dann spricht einiges dafür das weiter zu tun.
Oder haben wir 2013-2017 ganz schlechte Arbeit geleistet, so daß sich das nicht wiederholen darf?

Der Tölpel-Taktiker agierte kurzsichtig als er am 24.09 und 25.09. mutig lospolterte „soll Merkel doch sehen wie sie allein zu Recht kommt; wir machen nicht mehr mit.“
Der Reflex, die Enttäuschung, die Wut machen das Diktum verständlich.
Es hat aber nichts mit Weitsicht zu tun, wenn man eine Möglichkeit - nämlich das Scheitern von Jamaika - offensichtlich überhaupt nicht kommen sieht. In der Berliner Runde am Wahlabend des 24.09. blies sich Schulz groß auf und "garantierte", daß Jamaika komme, Lindner solle sich keine Sorgen machen, weil ihm die Kanzlerin sowieso alles durchgehen lassen werde.

Ein intelligenterer Parteichef hätte sich die Grube nicht gegraben.
Ungern packe ich das „I told you so“ aus, aber I told you so schon am Wahlabend.

(…..) Und nun? Bleibt nur Jamaika?
Manuela Schwesig gab schon um 18.01 Uhr die Wortwahl vor, an die sich auch alle anderen Sozis hielten: Ein Wahlergebnis gegen die GroKo, wir nehmen die Oppositionsrolle an.
[….]
In drei Wochen ist Landtagswahl in Niedersachsen. Bis dahin wird kein Sozi das Wort „Groko“ in den Mund nehmen.
Aber die SPD muss nur abwarten, da die Koalitionsverhandlungen mit CSU und FDP extrem schwer werden. Schon früher waren es Seehofer und Lindner in den jeweiligen Parteien, die sich 2009-2013 wie die Pest hassten (Gurkentruppe, Wildsäue).
[….]

Mit den Orban-umarmenden Obergrenze-Bayern wollen nun Özedemir und Göring-Kirchentag ins Bettchen?

[….] Der schleswig-holsteinische Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz ist ebenfalls skeptisch: "Der Weg nach Jamaika ist viel weiter noch als in Schleswig-Holstein, weil er über München geht", sagte Notz, der zuletzt Vizefraktionschef der Grünen im Bundestag war. [….]
(dpa, 24.09.17)

Das wird lange dauern und sehr unerfreulich sein. Währenddessen bleibt die GroKo im Amt, möglicherweise viele Monate, in denen die Kanzlerin täglich mit SPD-Ministern im Kabinett zusammentrifft.
Ich halte es für möglich, daß Merkel die sozialdemokratischen Minister dabei doch noch weichkocht, möglicherweise aufgrund des miesen CDU-Ergebnisses einen zusätzlichen Ministerposten oder sogar den Finanzministerjob anbietet.
In der Berliner Runde sprach die Kanzlerin ausdrücklich von „meiner Staatsministerin“ Aydan Özoğuz, nahm also die SPD-Vizechefin gegen die AfD in Schutz. Zudem verwies sie auf die ganz großen Krisenherde der Welt, nannte die Türkei, Russland und Nordkorea. Wäre es da nicht besser einen SPD-Außenminister im Amt zu haben, statt eines FDP-Windeis?
Insbesondere Armin Laschet wirbt heute schon intensiv um die SPD.

Während die alte Groko noch im Amt ist,  erlebt aber die SPD schon wie es sich mit den Opposition-Partnern Linke und AfD lebt, die insbesondere mit einer derart schlechten Rednerin wie Nahles leichtes Spiel haben werden jede SPD-Forderung populistisch von links und rechts zu übertrumpfen.

Merkel wird in der Zeit jeden Tag Außenminister Gabriel und Co ausmalen wie gefährdet die EU mit Lindner und seinen Greenhorns ist – wer soll eigentlich Ministersessel in der FDP übernehmen? (….)

Wenn ich das erneute kategorische Nein von Schulz kritisiere, bedeutet das noch lange nicht, daß ich ein Fan der GroKo bin. Im Gegenteil.
Ich finde es nur strategisch unheimlich ungeschickt als Parteichef mit Ausschließeritis zu argumentieren. Das kann einem böse auf die Füße fallen, wenn sich die Umstände ändern und genau das ist jetzt passiert.

Die SPD-Linken sehen nun wieder eine Verschwörung der Seeheimer gegen ihren geliebten standhaften Martin. Sie vergessen darüber zu welcher Gruppe Schulz gehört – nämlich ebenfalls zu den  Seeheimern.
Johannes Kahrs‘ Gruppe ist gutvernetzt und bestgehasst, scheint sich erstaunlich übermächtig bei Personalentscheidungen durchzusetzen.
Das sind aber immer noch Sozialdemokraten, die sich leidenschaftlich gegen die CDU engagieren.
Kahrs verhält sich gegenüber Frau Merkel außerordentlich biestig, wenn sie anderer Meinung ist.


Kein Seeheimer geht GERN in eine Groko. Niemand in der SPD wählt frohen Mutes noch mal Merkel zur Kanzlerin - wohlwissend, daß es dann 2021 vermutlich noch weiter bergab geht beim Wahlergebnis.

Es gibt aber Gründe, das womöglich dennoch tun zu müssen, zumindest darüber zu diskutieren. Insbesondere auch, weil Deutschland international sehr geschwächt ist, wenn die Bundesregierung zu Hause keine eigene Mehrheit hat.

Die SPD könnte sich jetzt extrem teuer verkaufen, enorme Zugeständnisse der Union gegenüber den Ärmsten in unserer Gesellschaft herausholen und Reputation als selbstloser Staatsretter erwerben. Stattdessen heißt es bei den Jusos und Parteilinken „Partei zuerst, Land zuletzt!“.

Wäre Schulz nicht in Hauruck-Ausschließeritis verfallen ohne vorher nachzudenken, säße er auch nicht in dem Loch, das er sich selbst gegraben hat.
Self inflicted wounds nennt man das bei Trump.

Die SPD-Linken feiern Schulz jetzt dafür, daß er zu seinem Wort steht.
Ich würde lieber jemand feiern, bei dem das ohnehin nicht in Frage steht und der weitsichtig und strategisch genug gehandelt hätte, um gar nicht in so eine selten blöde Lage wie jetzt zu kommen.

Schon am 24.09. abends in der Berliner Runde schoss er einen zweiten Bock als er großspurig prophezeite wie schlecht für Deutschland Jamaika werden würde und damit jedem auf die Nase band, daß die SPD lieber Deutschland vier Jahre leiden sieht, weil ihm das Wohl der Partei wichtiger ist.

Schulz hat nun schon so viele Kardinalfehler angerichtet, daß ich mir gar nicht vorstellen möchte wie die SPD wohl 2021 aussieht, wenn Schulz bis dahin Vorsitzender bleibt. Der tölpelt uns noch auf 5% runter.
Und ich will auch nicht mehr hören, wie ein 61-Jähriger, der seit 20 Jahren in der Parteiführung ist, mit Unerfahrenheit entschuldigt wird.
Wenn er jetzt noch nicht führen kann, lernt er das auch nicht mehr mit 81 oder mit 101.

Weil Martin Schulz inzwischen das Wasser bis zum Hals steht, er aber nicht die Kraft hat zuzugeben, daß er einen Fehler gemacht hat, versucht er sich nun einen schlanken Fuß zu machen, indem er einfach gar nichts mehr entscheidet und die Basis befragen will.

Wofür sind wir denn in einer Partei, wählen Delegierte und haben Gremien, wenn diese bei Entscheidungen anfangen zu heulen?

Bei Basisbefragungen ist noch nie was Sinnvolles rausgekommen:

Scharping soll Vorsitzender werden 1993
SPD soll in eine Groko unter Merkel 2013
Michael Müller gewinnt gegen Raed Saleh 2014
Özdemir schlägt Habeck 2017

Viermal Basisentscheid, viermal die falsche Entscheidung, wie man kurz danach feststellte.

Donnerstag, 23. November 2017

Worte finden.

Oh Schreck, es ist mir schon wieder passiert.
Da falle ich todmüde mit glasigen Augen, schweren Gliedern und mieser Laune ins Bett, bin ohnehin deprimiert, weil ich am nächsten Morgen früh raus muss und dann schalte ich doch noch mal eben kurz CNN ein und bleibe hängen.
Beide Hosts meiner bevorzugten Sendungen auf CNN, „AC360°“ und „Tonight with Don Lemon“ urlauben, Amerika bereitet sich auf die Feiertage vor, aber dann kommt so ein interessantes Special darüber wie die ehemals reinen Comedy-Shows durch die Jon Stewart-Initialzündung zu Late-Night-Shows auf höchstem journalistischen Niveau mutieren.



Die Ikonen der letzten Jahrzehnte, Letterman und Carson, wirken in der Rückschau wieder bieder-oberflächliche Konsenskomiker.
Wer sich politisch akkurat informieren will tut das am besten bei Sam Bee, Trevor Noah, John Oliver, Stephen Colbert und Co.
Da lernt man wirklich etwas und wird nicht mit dubiosen Verschwörungstheorien gefüttert, die man in reinen  News-Sendungen auf FOX oder Breitbart um die Ohren geschlagen bekommt.

Wenn schon hochbezahlte Profi-Journalisten daran scheitern das Trump-Desaster in Worte zu fassen, wie soll ich Mini-Bloggerchen adäquat verbalisieren was ich sehe?

Angesichts der unfassbar peinlichen Twitter-Attacke Trumps auf LeVar Ball, fand allerdings Bakari Sellers (der jetzt blöderweise neuerdings so einen Hipsterbart trägt) bei John Berman (Coopers Urlaubsvertretung) einen passenden Satz: „Trump is such a small man“.
 Das war nett, allerdings muss man sich dafür auch den unterirdischen Trump-Speichellecker Paris Dennard anhören, den Don Lemon noch vor einigen Wochen aus seiner Show warf, weil er immerfort CNN als „fake news“ bezeichnete.

Jeden Tag liest man diese gestörten Trump-Tweets, aber die Mangelbildung, Borniertheit und Naivität des Mega-Egomanen schockiert immer wieder auf‘ Neue.
Man weiß wie Trump ist und ist dennoch aus der Bahn geworfen vor Entsetzen, wenn er es jeden Tag neu unter Beweis stellt.



Diese beiden recht neutral gehaltenen CNN Special Reports sind starker Tobak; daher versuche ich erst gar nicht das mit meiner Privatmeinung zu über-tobaken.

Heute lasse ich Trumps engste Mitarbeiter, seine Fans und Parteifreunde sprechen.

 [….] Former RNC Chairman Calls Trump “Beyond Stupid” [….] GOP members can’t flee Donald Trump’s side fast enough. [….]  When asked for his thoughts on the matter, former RNC chairman, Michael Steele said, “This is beyond stupid. And there’s irreparable harm that’s being done to this party and to this country. Someone needs to take control here and it’s certainly not the president.”  Donald Trump, Roy Moore and people like them need to realize that they WILL pay for their criminal wrongdoings. [……]

[…..] President Donald Trump's national security advisor H.R. McMaster reportedly called the president an 'idiot' with a kindergartener's intelligence at a dinner, according to a report.
McMaster made the comments during a July dinner with Oracle CEO Safra Catz, BuzzFeed reported.
According to the report, which cited five anonymous sources, McMaster, a three star Marine General, called Trump a 'dope,' as well as an 'idiot' with the intelligence of a 'Kindergartener.' [….]

[….] Back in July, Secretary of State Rex Tillerson reportedly called Trump a "fucking moron" in front of a few members of the president's Cabinet and national security team. [….]


Mittwoch, 22. November 2017

So kuschelig



Gestern nannte ich in einer SPD-Diskussion die kategorische Groko-Ausschließeritis der Jusos „infantil.“
Es wurde anschließend weniger darum gestritten, ob es Umstände geben könne, die ein Abrücken vom „Nein zur Groko“ notwendig machten, sondern die Jugend-Snowflakes beschwerten sich bitterlich über meine Wortwahl. Es sei verletzend jemand als „infantil“ zu kritisieren, ich solle darüber nachdenken, ob das eine „sozialdemokratische Ausdrucksweise“ sei und im Übrigen möge ich bitte die Jusos mehr respektieren.
Ich brachte noch das Peer Steinbrück-Zitat von den „sozialdemokratischen Heulsusen“ und dann liefen sie offensichtlich weinend weg.
Bill Mahers berühmte Rant über die demokratische political correctness scheint auch in Deutschland zuzutreffen.


Diese Filterblasen scheinen auch auf der linken Seite dazu zu führen, daß wir uns alle stets an den Händen halten sollen und jeden lieb haben.
Nehmt mich da raus.
Ich erwarte von den Politikern, die ich unterstütze keineswegs, daß sie jeden wie Herr Juncker umarmen und abküssen.
Kanzler und Minister und Parteivorstände sollen nicht Inkarnationen des Altruismus und der Bescheidenheit sein, sondern sie sollen sich durchsetzen können.
Ich wünsche mir keine Trumps, die mit aggressiven miesen Methoden alle anderen wegboxen, aber im Mimimi-Modus dazustehen und bei jedem Satz darauf bedacht sein bloß niemand auf die Füße zu treten funktioniert in der echten Welt genauso wenig.
Es ist genauso absurd sich darüber zu wundern, daß Schauspieler das Rampenlicht suchen und in die Medien streben. Das gehört nun einmal zu den Grundvoraussetzungen für ihren Beruf. Sie müssen es mögen fotografiert und angeglotzt zu werden, im Rampenlicht zu stehen, sich zu exponieren und exhibitionieren.
Das sind Eigenschaften, die ich in meinem persönlichen Freundeskreis nicht gerade sympathisch finde, aber darunter befinden sich auch keine Weltklasse-Bühnenstars.
Politiker brauchen ebenfalls eher unsympathische Charaktermerkmale. Ellenbogenmentalität, Netzwerken, Schmeicheln, berechnend mit Menschen umgehen.
Das legendäre Trio Brandt, Wehner und Schmidt bestand aus charakterlich völlig unterschiedlichen Alphatieren, die sich gegenseitig in Schach hielten und phasenweise sogar verachteten.
Aber sie respektierten einander, verließen sich auf einander. Helmut Schmidt trat zwar in seinen vielen posthum veröffentlichten Briefen gegenüber Willy Brandt erstaunlich devot und ehrerbietend auf, weil sein Bundeskanzler-Vorgänger eine besondere moralische Ikone war. Aber ansonsten war er mit einem derartig robusten Selbstbewußtsein ausgestattet, daß er nicht weinend zu Mami lief, wenn unter Sozialdemokraten böse Worte über ihn fielen.
Bei Merkel und Schröder ist es ähnlich; die sind schwer umzuwerfen und verfallen nicht in Depressionen, wenn untere Parteichargen sie kritisieren, weil sie von sich selbst überzeugt sind.
Irgendwie bähbäh, wenn man so wenig selbstkritisch ist, aber als Kanzler ist diese Stabilität vermutlich notwendig, um nicht dauernd den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Helmut Kohl war deswegen ein schlechter Kanzler, weil seine demonstrativ zur Schau gestellte joviale Selbstzufriedenheit nur Fassade war.
Er litt wie gar fürchterlich darunter von Intellektuellen nicht anerkannt zu werden, über Jahre von maßgeblichen Journalisten nur als tumbe Birne aus der Provinz verspottet zu werden.
Er sehnte sich verzweifelt nach Anerkennung und reagierte bösartig, wenn ihm diese verweigert wurde. Trump nicht unähnlich, nahm er Respektlosigkeiten persönlich, war zutiefst davon ergriffen, sann auf Rache und agierte außerordentlich nachtragend.
Merkel oder Schmidt oder Schröder sind nicht auf diese Weise empfänglich für Beleidigungen und daher auch nicht Getriebene ihrer Emotionen.
Das sind für Kanzler positive Eigenschaften.
Man verwechsele das nicht mit Sensibilität oder Streitlust. Hierin unterschieden sich die drei Genannten nämlich erheblich.
Schröder und Schmidt konnten echte Raufbolde sein und sich voller Enthusiasmus einer Sache verschreiben.
Merkel hingegen zeigt gar keine Gefühle, gar kein Temperament.

Unsichere Politiker, die wie Guido Westerwelle stets zwischen beleidigen und beleidigt sein oszillieren, sind viel problematischer, da sie von Sachpolitik abgelenkt erratisch agieren.
Christian Lindner, der FDP-Eskapist, ist ein Getriebener seiner Vergangenheit.
Voller Rachedurst und Sucht nach Anerkennung und Bewunderung, die ein Helmut Schmidt nie nötig gehabt hätte, weil er sich selbst fabelhaft fand, gibt Lindner derzeit in Berlin den Hobby-Trump-Kohl.
Er hasst Merkel und die Grünen wie die Pest, kann sich über diese Gefühle nicht hinwegsetzen.

[…..] Auch Lindner ist ein Vertreter der liberalen Lesart, dass es vor allem die Kanzlerin war, die den Koalitionspartner FDP so schrumpfte, dass er 2013 aus dem Bundestag flog. In jener Nacht, so berichtete Lindner später, habe er geweint. Im Fernsehen habe er Merkel am Wahlabend sagen hören, sie bedauere das Ausscheiden der Liberalen, aber in der Parteizentrale der CDU, im Konrad-Adenauer-Haus grölten ihre Leute den Toten-Hosen-Hit: "Tage wie diese". Seither schleppt die FDP ein Trauma mit sich herum. Ein Merkel-Trauma. [….] Lindner hatte Spaß daran, Merkel und der CDU ein ums andere Mal eins auszuwischen - dass jeder der möglichen Koalitionäre das Finanzministerium haben dürfe, nur Merkels CDU nicht, gehörte zu einer dieser Episoden im Gegeneinander. Als die Sondierungen schon fortgeschritten waren, als sich abzeichnete, dass Merkel mit den grünen Spitzenleuten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir gut auskam, warf Lindner den Grünen vor, mit ihrer Flüchtlingspolitik ein Konjunkturprogramm für die AfD zu betreiben.
Die Grünen waren schon immer Lindners Lieblingsgegner. Früher holte er in Reden gerne einen Zettel aus seinem Sakko, auf dem er alle möglichen Projekte und Erfindungen aufgelistet hatte, die es angeblich nie gegeben hätte, wenn die Grünen sich mit ihrem Widerstand dagegen durchgesetzt hätten. Computer zum Beispiel. Aber Lindners größtes Problem heißt Merkel. [….] Lindner soll immer wieder mal recht aggressiv aufgetreten sein, nicht laut, aber bissig, mit scharfen Bemerkungen gegen andere Verhandler. Jede Annäherung zwischen Grünen und der Union war ihm suspekt. […..]

Als derjenige, der immer wegläuft, wenn es ernst wird, haftet auch etwas Neroeskes an ihm.
So großartig er sich in den Medien inszeniert, so wichtig ist es für seine Eitelkeit auch von allen anderen als der große Zampano anerkannt zu werden.

[….]  Ein Mann hat einen Traum. Er will Emmanuel Macron sein oder wenigstens Sebastian Kurz. Er ist aber nur Christian Lindner.
Nein, man soll den Einfluss von Personen auf politische Vorgänge nicht überbewerten. Wenn aber in einem sehr kleinen Kreis von Parteioberen entscheidende Gespräche geführt werden, und die Vertreter einer Partei sind beide narzisstisch veranlagte Rollenspieler, dann hat dies Auswirkungen. Der eine, Wolfgang Kubicki, ist als Held der Talkshows hinlänglich bekannt. Der andere, Lindner, inszeniert die Flucht aus der Verantwortung gerne als mutigen Opfergang. So hat er es 2011 gemacht, als er, damals FDP-Generalsekretär, seinem Chef Philipp Rösler die Brocken hinwarf; so hat er es in der Nacht zum Montag wieder getan. [….]

Ich bin so altmodisch. So gefühllos.

Diese Psycho-Politiker wie Westerwelle, Lindner, Lafontaine, Seehofer und Trump, die getrieben davon sind ihre Eitelkeit zu befriedigen und ihre Destruktivität auszuleben, halte ich für völlig ungeeignet als Regierungsmitglieder.

Aber genauso wenig gefallen mir die Kuschelpolitiker des Typs Juso2017, die zwischen den Zeilen nach Beleidigungen fahnden und stets political correcntess einfordern, statt verbal zurück zu hauen und sich trotzdem inhaltlich auseinander zu setzen.
Ich lehne Koalitionsmetaphern wie „Bett“, „Ehe“, „Wunschpartner“ oder „Liebesheirat“ ab. Das ist ein verkehrter Konnotationsbereich. Regierungspartner müssen sich nicht lieben, sich herzen und küssen. Sie sollen sich nicht am Kabinettstisch gegenseitig die Zehennägel lackieren, sondern zusammen arbeiten. Das kann man sogar ohne sich zu mögen.

Daher ist mir die übertriebene Kuscheligkeit zwischen CSU und Grünen höchst suspekt.
Das führt zu Enttäuschungen auf persönlicher Ebene und ist für mich eher ekelig.
Die Szene, die sich nach Kubickis und Lindners Schmoll-Show Sonntagnacht abspielten, erinnern eher an ein Aschram oder eine Fummelparty, als an seriöse Politik.

[….] Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann steht wie erschüttert da, in sich versunken, er hält sich das Kinn, als könne er es nicht fassen. Seine Parteifreundin Claudia Roth sieht wütend aus, sie nimmt erst Kretschmann in den Arm, dann Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der die Umarmung so herzlich erwidert, als seien Unionisten und Grüne immer beste Freunde gewesen.
Überhaupt bricht in dieser Nacht bei den Zurückgelassenen eine nie gekannte schwarz-grüne Harmonie aus. Grünen-Chef Cem Özdemir stößt mit Thomas Strobl an, dem baden-württembergischen CDU-Innenminister. Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Robert Habeck, dessen Gesichtsfarbe nach nächtelangem Sondieren nicht gesund aussieht, bietet CDU-Generalsekretär Peter Tauber an, ihm ein Bier zu holen. Kanzleramtsminister Peter Altmaier steuert mit ausgestreckter Hand auf Claudia Roth zu. Tage und Nächte hat die Grüne versucht, beim Konfliktthema Flucht Lösungen zu finden. Vergebens. "Liebe Frau Roth, Sie waren großartig!", ruft Altmaier und reicht ihr die Hand über den Tisch. Roth kämpft jetzt gegen die Tränen. […..]
(Sueddeutsche Zeitung, Seite 3, 21.11.2017)

Ich gehöre zur Minderheit der Menschen, die Claudia Roth wirklich mögen und immer verteidigen, aber Rudelbumsen mit de Maizière und Altmaier?
Too much information!


Und wie geht das weiter?
Am Ende gibt es nur noch einerseits eine große Kuschelfraktion aus Linken, SPD, Grünen, CDU und CSU und auf der anderen Seite die beiden inhaltlich kaum unterscheidbaren Harter-Hund-Parteien AfD und FDP, die nach dem Vorbild von FPÖ und ÖVP alles „Linksgrünversiffte“ in die Opposition verdrängen?