Donnerstag, 25. Oktober 2018

Wirrwarr-Wählerwille


Die Amis wählen das House tatsächlich alle zwei Jahre. Eine absurd kurze Legislaturperiode, die quasi zu einem Dauerwahlkampf führt. Kaum hat man sich ein bißchen an die neue Mannschaft im Weißen Haus gewöhnt, begibt sich die Administration schon wieder in die Wahlschlacht um die Midterms.
Es passt nur zu gut, daß der gegenwärtige Präsident, an den man sich gar nicht gewöhnen kann, nie mit dem Wahlkampf aufhörte und auch jetzt noch die immer gleichen Rallys vor einem rassistischen Mob hält, bei denen er gegen seine Gegnerin von 2016 wettert.
Klug ist immerhin, daß alle möglichen Wahlen am Midterm-Datum zusammengefasst werden. Da werden ein Drittel der Senatoren neu gewählt, jede Menge Gouverneure neu bestimmt, alle Kongressabgeordneten gewählt und auch noch haufenweise Volksabstimmungen durchgeführt.
Wenigstens also alles in einem Abwasch.
Vollkommen idiotisch hingegen das deutsche System, in dem die Bundesländer zwar (neuerdings) nur alle fünf Jahre neu wählen, aber diese 16 Landtagswahlen PLUS Europawahlen PLUS 16 Kommunalwahlen PLUS Bundestagswahlen maximal verstreut werden.
Die eitlen MPs wollen alle möglichst ihre eigene Wahl. Nachdem schon im September bis Mitte Oktober kaum noch regiert werden konnte, weil alle Parteigrößen im bayerischen Wahlkampf engagiert waren und hysterisch auf die Umfragen glotzten, ging das Affentheater anschließend nahtlos weiter, weil die Hessen genau zwei Wochen später wählen. Hauptsache unökonomisch und kompliziert, damit jedes Bundesland sich einbilden kann ganz allein die bundesweite Aufmerksamkeit auf sich zu zerren.
Statt Bayern am 14.10. und Hessen am 28.10., hätten sich Söder und Bouffier zum Wohle der Demokratie auch auf eine gemeinsame Wahl am 21.10. einigen können, aber dafür waren ihre Egos zu groß.

Im Moment sind die Politiker der Regierungsparteien in einem schlimmeren Hühnerhaufenmodus denn je, da selbst in dem Bundesland, in dem seit 500 Jahren immer nur die Regierungspartei gewählt wird die CSU wegbrach.
Was kann da erst in Hessen passieren, wo es traditionell viel knapper zugeht?


Durch den unsäglichen Dauerwahlkampf schaffen es die Parteien offenbar kaum noch ihrer eigentlichen Aufgabe nachzukommen – an der politischen Willensbildung im Volke mitzuarbeiten.
In der Theorie treffen sich in einer Partei Personen mit grundsätzlich ähnlichen Grundüberzeugungen. Die diskutieren miteinander, entwickeln konkrete Konzepte und Absichten, von denen sie in den nächsten Jahren möglichst viele im Volk durch sachliche Argumentation und viele Gespräche an der Basis überzeugen. Diese für richtig und wichtig erachteten Konzepte manifestieren sich dann in Form von Mehrheiten für die entsprechenden Parteien bei den Wahlen.
Das funktionierte bis inklusive Gerd Schröder, der mit deutlichen klaren Konzepten (Ökosteuerreform, Nein zum Irakkrieg, Homoehe, Agenda 2010, Zwangsarbeiterentschädigung, drastische Senkung der Lohnnebenkosten, dritte Säule der Rentenversicherung, Ausstieg aus der Atomenergie) an die Wähler trat und diese mal mehr, mal weniger davon überzeugte.

Das klappt jetzt aber nicht mehr, weil die Welt zu kompliziert für einfache Konzepte ist, die Wähler viel zu indolent dazu sind sich inhaltlich mit Wahlprogrammen zu beschäftigen und die Parteien auch gar nicht mehr wissen welche Überzeugungen ihnen am wichtigsten sind.
Angela Merkel machte aus der Not eine Tugend, indem sie das ganze System auf den Kopf stellte.
Sie wirbt a priori um einen Vertrauensvorschuss ganz ohne Konzeption und lässt das Kanzleramt eine Armada von Meinungsforschern delegieren, die der Kanzlerin zweimal in der Woche sagen, welche Konzepte gerade populär sind, womit man am wenigsten aneckt und das vertritt sie dann eben auch.
Alle anderen Parteien machen es nun genauso. Überzeugungen sind erst mal zweitrangig, Hauptsache man setzt sich immer auf Themen, die am meisten Zuspruch versprechen.

Damit ließen sich die Wähler 12 Jahre einlullen. Merkels Versprechen war es dem verwirrten Volk keine Brachial-Reformen wie ihr Vorgänger zuzumuten, möglichst gar nichts zu ändern und wohligen Mehltau auf die Gesellschaft zu legen.
Bis heute kann keiner sagen was Merkel eigentlich will, aber immer noch mögen viele das „es bleibt alles wie es ist“-Gefühl und hadern dementsprechend nur dann mit ihrer Regierungschefin, wenn sie sich wie im Jahr 2015 mal unvorhersehbar benimmt.

Das hat den kleinen Durchschnittsurnenmichel so nachhaltig verwirrt, daß er selbst auch nicht mehr weiß was er will. Endlich mal was Neues, weil der Merkel-Kurs nicht so weiter gehen kann? Oder doch lieber keine Experimente und bei der CDU das Kreuz machen, wie alles ökonomisch so rosig aussieht?
Sollen es lieber Politikertypen mit Ecken und Kanten sein, die reden wie ihnen der Schnabel gewachsen ist und die sich damit vom Partei-Mainstream abheben?
Oder sind gerade das die Querschüsse, die so furchtbar chaotisch wirken, daß man sich über das Regierungschaos ärgern muss und diszipliniertere Parteien wünscht?

Schwierig.

Die SPD versuchte es im Bundestag mit ultraseriöser Sacharbeit, schluckte um des Koalitionsfriedens willen eine Kröte nach der nächsten, erreichte dafür in ihren Ministerien deutliche Fortschritte und Verbesserungen für das Volk.
Damit fiel sie gründlich auf die Nase, wurde gerade in Bayern brutal abgestraft, weil man die SPD für viel zu angepasst hält. Das Totschlagargument ist die angeblich zunehmende Ununterscheidbarkeit der Koalitionsparteien.

Die CSU setzte auf die diametral gegenteilige Strategie, war stets Sand statt Öl im Groko-Getriebe.
Immer wieder versuchte sie brachial ihre Ansinnen durchzudrücken, nahm fahrlässig ein Ende der Groko in Kauf. Ununterscheidbarkeit mit dem politischen Gegner in der Koalition kann man der CSU wahrlich nicht vorwerfen; sie sagt brutal klar was sie will. Die CSU verhält sich so wie es alle ehemaligen SPD-Wähler und die jetzigen SPD-Linken wünschen: Nicht in erster Linie an das Wohl des Gesamtvolkes denken, sich nicht verbiegen und immer klare Kante zeigen.
Trotz gegenteiliger Strategie erzielte die CSU aber das gleiche Ergebnis wie die SPD: Rekordverluste.

Na logisch, sagten nun fast alle Politanalysten: Die Deutschen mögen keinen Parteienstreit. Sie wollen sachliche, unprätentiöse Regierungspolitik, keine Ego-Shows und weniger Schwanzvergleich.

Diesem Ansinnen passte sich wiederum der Hessische Ministerpräsident an, der einst als schlimmer Wadenbeißer dem radikalsten Rechts-CDUler Roland Koch diente und nun als biederer Landesvater zum Anfassen gilt.
Prognostiziert werden rund 12%-Punkte Minus für die Landes-CDU.

August 2018

Weil das offensichtlich doch zu oberflächlich und nichtssagend war, wie Bouffier auf Hühner-Kinderbimmelbahnen ritt setzte die SPD seit zehn Jahren mit dem strebsamen, fleißigen stets nur sachorientierten Schweigermuttertraum Schäfer-Gümbel dagegen.
TSG war seit 2008 so viel in Hessen unterwegs, daß er nun jeden Grashalm persönlich kennt und zu jedem auch noch so speziellen Thema erschöpfend informiert ist.
Ergebnis: Seriöse Sacharbeit ohne Aufmerksamkeits-Tourette der Stufen Morbus Söderus und Morbus Spahnus wird vom Wähler abgelehnt. Mindestens 10%-Punkte Minus sind der SPD am Sonntag sicher.

Die Grünen hingegen imitieren und übertreffen die SPD im Bund, indem sie sich bis zur absoluten Unkenntlichkeit verbiegen, jedes Grüne Kernanliegen verraten und einer völlig geräuschlosem Liebeskoalition mit der traditionell gefürchteten stramm rechten Hessen-CDU frönen.

[….] Schwarz-Grün regiert so geräuschlos, dass nichts haften bleibt. Die Grünen haben überhaupt kein erkennbares Profil mehr, wie man am Beispiel des Flughafenausbaus sieht. Das wurde einfach ausgeklammert. Oder auch die Rolle, die der Verfassungsschutz bei dem NSU-Mord in Kassel gespielt hat: Das wollte die Landesregierung nicht aufklären. Da ging Ruhe vor Aufklärung. [….]

Das wäre der sichere demoskopische Tod für die SPD.
Die Grünen-Wähler hingegen lieben es offensichtlich und boosten die Partei für genau das Verhalten auf Rekordwerte von gut 20%, das Minimalwerte für die SPD bedeutet.

Mittwoch, 24. Oktober 2018

Dass sowas von sowas kommt – Teil III

Noch 13 Tage bis zu den Midterms. Da gerät #45 noch mehr in den beast-mode als ohnehin schon.
Völlig befreit von der lästigen Realität lügt er unter den Augen der Weltpresse seine Millionen-Anhängerschaft in Rage und zerfetzt dabei die letzten internationalen Verbindungen der USA.


[…..] Something eerily similar is unfolding with Trump’s rhetoric about a $110 billion arms deal with Saudi Arabia, which, in reality, is not real. And yet, despite the fact that the deal does not really exist, the American president continues to ascribe new job totals to the imagined agreement.

Mar. 20, 2018: “We’re talking about over 40,000 jobs in the United States.”
Oct. 13, 2018: “It’s 450,000 jobs.”
Oct. 17, 2018: “It’s 500,000 jobs.”
Oct. 19, 2018: “I’d prefer that we not cancel $110 billion worth of work, which means 600,000 jobs.”
Oct. 19, 2018 (a few hours later): “600,000 jobs, maybe more than that.”
Oct. 19, 2018 (a few hours later after that): “So now if you’re talking about – that was $110 billion – you know, you’re talking about over a million jobs.”
I half expect him to start making up gibberish numbers just to see what he can get away with. (“This arms deal will create 18 gajillion jobs….”) [….]

Ganz unverblümt hetzt der US-Präsident seine rasende Meute auf, befürwortet Gewalt.


Das hat Folgen. Davon kommt sowas.
Gewalt in Form von Rassismus, Sexismus und Homophobie breitet sich aus.
Immer ungenierter und ruchloser agieren die Trumpisten.

Ein Trump-Fan befummelte mehrfach auf dem Flug von Houston, Texas nach Albuquerque, New Mexico eine vor ihm sitzende Frau an den Brüsten.

[…..] Ein Mann hat in einem Flugzeug in den USA eine Frau offenbar begrapscht - und sich nach seiner Festnahme auf sexistische Äußerungen des US-Präsidenten berufen. Donald Trump habe gesagt, "dass es okay ist, Frauen an ihren intimen Stellen anzufassen", sagte der Mann laut Gerichtsunterlagen der Polizei. [….]

Eine naheliegende Verteidigung. Schließlich wurde der Mann, der Dutzende Frauen belästigte und damit prahlte er dürfe Frau an der Vagina befummeln zum US-Präsidenten gewählt und beförderte kürzlich einen Vergewaltiger zum obersten Richter der USA.

Andrew Gillum, der Bürgermeister von Tallahassee tritt für die Demokraten als Gouverneurskandidat für Florida gegen Ron DeSantis an.
Ein schwarzer als Gouverneur? Trumpmerica will das nicht

[…] A racist robocall that refers to Andrew Gillum as a "negro" and a "monkey" is making the rounds in Florida, prompting a furious response from the Democratic gubernatorial candidate's campaign.
Florida voters who receive the call — audio of which was obtained by NBC News — hear a man impersonating the African-American politician.
"Well hello there. I is the negro Andrew Gillum and I'll be askin’ you to make me governor of this here state of Florida," the voice says.
“My state opponent, who done call me monkey, is doin' a lot of hollerin’ about how ‘spensive my plans for health care be,” the voice says. A chimpanzee noise is played during the word “monkey.” […..]

Der Trump-Hass wirkt auf ganzer Linie.
Seit Jahren peitscht er die Massen mit „Lock her up! LOCK HER UP!“ auf, nennt Demokraten Mob.
Der GOP-Mob folgt ihm.

Gestern erhielt der von Orbán, Trump, allen rechten Verschwörungstheoretikern und besonders von David Bergers Pipi-Blog gehasste jüdische Philantrop George Soros einen Sprengstoffbrief.

[…..] Im Briefkasten des US-Milliardärs George Soros ist am Montag ein Sprengsatz entdeckt worden. Ein Angestellter habe das verdächtige Päckchen auf dem Anwesen in Westchester County im US-Bundesstaat New York gefunden, teilte die Polizei mit.
Er habe es in ein Waldstück in die Nähe gebracht. Dort wurde es nach Angaben der "New York Times" von Bombenspezialisten gesprengt. [….]

Trump wirkt. David Berger wirkt. Heute bekamen die Obamas, die Clintons und das CNN-Studio in New York Paketbomben geschickt.

[….] Nachdem mehrere verdächtige Pakete zwei Wochen vor den Kongresswahlen an Demokraten geschickt wurden, hat in New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio die Vorfälle als Terrorakt bezeichnet. Es sei eindeutig ein Terrorakt, der darauf abziele, die freie Presse und Politiker einzuschüchtern, sagte er auf einer Pressekonferenz. Ziel einer solchen Aktion sei, die Gesellschaft zu terrorisieren.
Blasio sprach von "schmerzhaften Zeit für unsere Nation". Es liege "eine Menge Hass in der Luft". [….]


Ich bin keine Sekunde verwundert über solche Vorfälle. Das Verhalten des US-Präsidenten, der rechten Medien und des radikal-bösartigen Republikaner-Senats zielt genau auf solche Taten ab.

[….] The offices of Rep. Debbie Wasserman Schultz (D-FL) were evacuated Wednesday, following reports of a suspicious package, reports Local 10 News.
As city workers filed out of the building, authorities began investigating whether the threat was legitimate. It’s not clear if Wasserman Schultz was in the office.
The evacuation Wednesday morning came after explosive devices addressed to Barack Obama and Hillary Clinton were intercepted by the Secret Service. CNN was evacuated after the discovery of a suspicious package addressed to former CIA director John Brennan, who has been critical of president Trump.
According to CNN, the package was sent to former Attorney General Eric Holder but was not delivered because it had the wrong address. The package had a return label indicating it came from Schultz’s office, and was sent there. [….]

Dienstag, 23. Oktober 2018

Dass sowas von sowas kommt – Teil II


Jahre voller Salvinis, Orbáns, Trumps, Höckes, Gaulands, Haiders, Farages, Le Pens, Weidels, von Storchs, Straches bleiben nicht folgenlos.
Natürlich gab es in den vorherigen Jahrzehnten auch Menschen, die so dachten.
Antisemitismus, Homophobie und klarer Rassismus existierte auch schon zuvor in den Köpfen.
So zu denken ist zwar übel, aber nicht so übel, wie das Aussprechen solcher Ansichten.
Spricht man es aus, gibt man diesen braun-destruktiven Input in die Multiplikatoren unserer Medienwelt, rotten sich Arschlöcher mit so einer Gedankenwelt zusammen. Waren sie vorher nur diffus und kolloidal als Grundrauschen vernehmbar, bilden sie nun immer dunklere Klumpen. Hatespeaches von so mächtigen Lautsprechern wie dem eines US-Präsidenten wirken als gewaltige Kristallisationskeime.
Rassisten und andere Menschenhasser in geballter Form werden zu schwarzbraunen Löchern, die immer mehr Kanaillen ihrer Couleur anziehen.

Ein rechtsextremer Selbstdarsteller mit schwerem Hang zur Verschwörungstheorie wie David Berger, wäre in früheren Jahrzehnten zeitlebens ein ausgesonderter armer Irrer geblieben.
Durch das Internet und seine sozialen Plattformen kann er nun aber rund um die Uhr weltweit seine klebrigen Hass-Tentakeln auswerfen, findet bald Follower.
Aber erst durch das Eindringen der professionellen Minderheitenhasser in Parlamente und Regierungen konzentrierte sich der Gehalt der sprungbereiten Mit-Hasser so sehr, daß auch ein offensichtlich Wahnsinniger wie Berger mühelos Millionen von ihnen einsammeln konnte und zu einer großen Nummer in der rechtsradikalen Szene wurde.

Es ist ein sich selbst verstärkendes Prinzip. Je mehr Aufmerksamkeit sie bekommen, desto radikaler werden auch Typen wie Trump und umso größer wird ihr Einfluss. Im nächsten Schritt sind sich dann dessen Follower darüber im Klaren zu einer großen Gruppe zu gehören. Das stärkt die Bösartigkeit und destruktive Energie soweit, daß auch der einzelne meint sich nicht an Regeln halten zu müssen, sondern seine Eigenen machen zu dürfen.
Vereinfacht gesagt:
Vor 20 Jahren hätte ein einzelner Rassist in Sachsen oder Alabama beim Anblick eines Schwarzen gedacht „verdammter Neger!“ und wäre weiter gezogen.
Vor zehn Jahren  begann er sich zu trauen „verdammter Bimbo!“ auch laut aussprechen, weil er wußte, daß noch viele andere ähnlich denken und die Gefahr sozialer Ächtung minimal ist.
Inzwischen, nach zwei, drei Jahren Trump, Berger und Co, bleibt es nicht mehr bei rassistischen Pöbeleien, sondern es kommt täglich zu Übergriffen.
Selbst ganz kleine private Hobby-Nazis haben nun die Traute sich öffentlich als solche zu inszenieren.

Weiße Studenten rufen schon mal die Campus-Polizei, wenn sie eine schwarze Kommilitonin in der Bibliothek sehen.

Musikproduzent Emmit Eclass Walker erlebte das, als im Dezember 2017 in Washington in ein Flugzeug steigen wollte, um seinen 37. Geburtstag in der Dominikanischen Republik und Jamaika zu verbringen. Er stellte sich beim 1.Klasse-Schalter an. Da er schwarz ist, befand eine andere Passagierin, er müsse da falsch stehen.

[….]    Sie: "Entschuldigen Sie, ich glaube, Sie stehen in der falschen Reihe, Sie müssen uns durchlassen. Diese Schlange ist für Priority Boarding."
    Ich: "Priority Boarding bedeutet Erste Klasse, richtig?"
    Sie: "Ja...jetzt entschuldigen Sie mich, die werden euch rufen, nachdem wir eingestiegen sind."
    Ich: *drücke ihr das Erste-Klasse-Ticket ins Gesicht* "Sie können sich entspannen, Ma'am. Ich bin am richtigen Platz, schon länger als Sie, also können sie nach mir boarden."
    Sie: *kann es immer noch nicht lassen* "Er muss beim Militär sein, oder so. Aber wir haben für unsere Sitze bezahlt, also müsste er trotzdem warten."
    Ich: "Nein, ich bin viel zu dick fürs Militär. Ich bin einfach ein Nigga mit Geld." [….]

Ungemütlicher wurde es für die 77-Jährige Britin Delsie Gayle auf dem Rückflug von Barcelona nach London.
An Bord der Ryanairmaschine saß einer dieser Trump-Berger-AfD-Aufgeputschten und beließ es ebenfalls nicht dabei „blöde Negerin“ zu denken, sondern pöbelte sofort los.


Trotz des Einsatzes anderer Passagiere, entfernten die Ryanair-Mitarbeiter die alte Lady von ihrem Platz und ließen den fiesen Rassisten sitzen.
Immerhin, soetwas gibt heutzutage sehr schlechte Presse für die Fluggesellschaft. Mal wieder.


Eine weiße Bewohnerin eines Apartmenthauses in St. Louis, Missouri, hielt den schwarzen Nachbarn D'Arreion Nuriyah Toles davon ab, das Haus zu betreten, weil sie nicht glauben konnte daß „ein Neger“ in so einem guten Haus leben könnte.


Sie werden lauter. Überall.
Und gefährlicher.

Montag, 22. Oktober 2018

Gutmenschenmob


So ist das als Flüchtlingsmädchen, das nicht den üblichen Klischees entspricht, das gebildet ist, Karriere machen möchte und womöglich auch noch einen Charakter mit Ecken und Kanten hat:
Irgendwann sitzt man zwischen allen Stühlen, wird in der Mehrheits- und der Minderheitsgesellschaft skeptisch betrachtet.
Und wenn das Mädchen Erfolg hat, sich schließlich nicht mehr jeder Erwartungshaltung beugt, einen wirklich eigenen Kopf entwickelt, wird es noch schwerer.

Sawsan Chebli, 40, geboren in Berlin, ist dafür ein Paradebeispiel.
Sie ist Tochter palästinensischer Flüchtlinge, die lange Zeit in Deutschland nur geduldet wurden und sich als Staatenlose vieler Rechte beraubt durchschlugen. Erst mit 15 Jahren bekam Chebli ihren ersten Pass – und damit die deutsche Staatsbürgerschaft. Mit zehn Geschwistern hauste sie in einem Moabiter Zimmer; insgesamt waren sie 12 arme, ungebildete Kinder. Erst in der Schule hörte sie das erste mal deutsch. Die Chancen standen katastrophal schlecht.
Aber sie ist schlau.
 Was dann folgte ist nicht das typische Flüchtlingsschicksal:

1999 Abitur am Lessing-Gymnasium.
2004 Abschluss an der FU Berlin als Diplom-Politologin und Expertin für internationale Beziehungen.
2010 bis 2014 war sie Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten in der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport
2014 bis 2016 stellvertretende Sprecherin des Auswärtigen Amts.
2016 ist sie Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund.
2016 Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales.

Man ahnt schon, Chebli passt nicht gut in Schubladen. Sie ist überzeugte Muslimin, aber säkular, trägt kein Kopftuch, macht Karriere als deutsche Beamtin. Sie engagiert sich in der SPD, tritt für Frauenrechte ein, hält aber ihr Privatleben radikal aus der Öffentlichkeit fern.
Im Vergleich zu vor Selbstbewußtsein platzenden Politikern des Schlages Spahn, Söder oder Altmaier ist sie scheu und unauffällig.
Aber im Gegensatz zu vielen deutschen Karrierepolitikerinnen ist sie nicht auf den Mund gefallen, vertritt ihre Meinungen auch dort wo es wehtut und inszeniert ganz gern mal ihren Erfolg.
Meiner Ansicht nach ist es das Normalste der Welt, daß eine Frau mit dem Hintergrund zwischen Zurückhaltung und Vorlautheit mäandert.

Ihre Kollegen sehen das scheinbar nicht so; sie wird leidenschaftlich gehasst dafür, daß man sie so schlecht einordnen kann.

[….] Viele ehemalige Kollegen verdrehen bei Erwähnung ihres Namens mindestens die Augen. Chebli erregt Misstrauen, Abneigung, Wut, Neid. Als sie vor eineinhalb Jahren als Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement ins Berliner Rote Rathaus wechselte, gingen bei ihr Morddrohungen ein. Im Netz wurde sie als "trojanisches Pferd der Muslimbrüder" bezeichnet und als "Migranten-Aschenputtel" beschimpft. [….]

Zu allem Übel ist die zierliche Staatssekretärin auch noch attraktiv und zieht sich gern sehr schick an.
Weißhaarige Alpha-Männer mit Testosteronüberschuss verwirrt das. Sowas kennt Seehofer nicht aus Bayern.

[….] Sawsan Chebli wartet. Es ist ein kalter Abend im März, Hauptstadtparty im Berliner SPIEGEL-Büro. Sie trinkt keinen Alkohol. Chebli will noch etwas loswerden. Aber der Innenminister lässt sich Zeit. "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", das hatte Horst Seehofer gerade im Interview erklärt. Chebli stürmt auf ihn zu, als sich der Minister endlich durch die Gänge schiebt: "Sie wissen schon, dass Sie mit Ihrem Satz auch Leute wie mich ausgrenzen?" Seehofer guckt verdutzt. Da steht also diese Frau vor ihm. Sie sieht nicht unbedingt so aus, wie man sich eine gläubige Muslimin vorstellt. Sie trägt kein Kopftuch, dafür roten Lippenstift.
"Ich habe ja nicht gesagt: die Muslime", sagt Seehofer.
"Das können Sie aber nicht trennen", sagt Chebli, "das ist meine Religion."
"Lassen Sie uns das Gespräch doch wann anders fortführen", sagt Seehofer und geht weiter. [….]

Vor einigen Jahren beging die Karriere-Muslimin aber einen schweren Fehler, sie tappte in die Kleinfeld-2005-Falle.
Der damalige Siemenschef hatte sich bei der Vorstellung eines Rekordergebnisses mit einer teuren Rolex am Arm ablichten lassen.
Ein Megashitstorm brach los und so sah sich Siemens veranlasst das offizielle Bild ihres Vorstandschefs zu photoshoppen.


Nun entdeckte ein Gutmensch ein vier Jahre altes Bild, auf dem die Staatssekretärin eine Stahl-Rolex trägt, die angeblich über 7.000 Euro kostet.
Es toben sowohl die ganz Linken, die jeden Luxus ablehnen, als auch die ganz Rechten, die jeden Muslim ablehnen.


Myriaden Hass-Trolle fielen über sie her, der Hass eskalierte derartig, daß Sawsan Chebli ihre Profile in den sozialen Netzen löschen musste.

[…..] Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli hat ihren Facebook-Account wegen einer Vielzahl von Hass-Nachrichten deaktiviert. "Mein Facebook-Account hat sich zu einem Tummelplatz für Nazis und Extremisten aller Couleur entwickelt", sagte die SPD-Politikerin der "Bild"-Zeitung. "Hunderte, manchmal waren es sogar Tausende Hassbotschaften unter einem Post. Und zwar unabhängig vom Inhalt. Egal, was ich gepostet habe, es wurde mit Hass und Hetze reagiert."
Solchen Leuten wolle sie mit ihrem Account keine Plattform mehr bieten, so Chebli. "Deshalb habe ich mich entschieden, vorerst meinen Facebook-Account zu deaktivieren. Ob und wann ich wieder online gehe, kann ich Stand heute nicht sagen." [….]

Ein unter vielen Aspekten abscheulicher und abstruser Vorgang.
Es ist rassistisch und misogyn einer jungen muslimischen Frau einen kleinen Luxusgegenstand zu missgönnen, den die alten Herren der CDU und FDP jeden Tag tragen.
Noch absurder sind aber die Vorwürfe aus der linken Ecke, die ausgerechnet ihr vorwerfen die SPD verraten zu haben, weil sie nicht mehr wisse was Armut ist und sich somit als Sozi-Repräsentantin von den Wählern entfernt habe.

Oktober 2018

Heute bin ich auch von Linken enttäuscht, die ich sonst sehr schätze.

[…..] Über Sawsan Chebli, Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales und leidenschaftliches SPD-Mitglied, rollt gerade auf Twitter eine Shitlawine: Jemand hat ein Porträtfoto von ihr entdeckt, auf dem sie ziemlich offensiv mit ihrer „Rolex Datejust 36“ posiert (Wert beim Juwelier: ca. 7500 Euro, Wert am Strand von Arenal, Mallorca: ca. 35 Euro).
Ich bitte darum, die arme Sawsan in Ruhe zu lassen! Wer es nötig hat, sich so eine blöde Zuhälter-Zwiebel ums Handgelenk zu binden und einen auf Brioni-Schröder zu machen, ist bereits gestraft genug. [….]

Die Sache mit den hochwertigen mechanischen Uhren werde ich nie verstehen.
Wieso ausgerechnet diese kleinen mechanischen Zeitnehmer wohl so viel Hass- und Neidgefühle triggern?

Es handelt sich dabei nämlich um Luxus und jeder Luxus ist dadurch definiert, daß es sich um irgendeine Art des Überflusses handelt. Luxus ist gerade das was man nicht unbedingt braucht.
Aber Luxus ist eben nicht exklusiv. Jeder genehmigt sich selbst in irgendeiner Weise Luxus.
Es gibt den Luxus, den man nur aus persönlicher Vorliebe schätzt, den Luxus, der nur dafür da ist andere zu beeindrucken, Luxus, der irgendetwas überkompensiert und natürlich auch alle Mischformen.

Montblanc Exo Tourbillon Rattrapante
  Kaum einer lebt von neutraler Astronautennahrung, sondern bevorzugt Lebensmittel, die ihm persönlich gut schmecken. Auch das ist Luxus, da er unnötig ist.
Luxus sind Markenklamotten, überteuerte Apple-Produkte, Autos, Wohnungen, Reisen, Friseurbesuche, Musik, Kunst. Aber auch Puffbesuche, Drogen oder Restaurants. Mountainbikes, Gleitsichtbrillen, Kreuzfahrten, Flachbildfernseher oder Spielekonsolen.
All das ist überflüssig. Und natürlich braucht auch niemand eine Uhr, die 10.000,- oder 100.000,- oder 1.000.000,- Euro kostet.

Aber wenn ich mir die verschiedenen Formen des Luxus unter ökologischen und sozialen Aspekten ansehe, stechen hochwertige mechanische Armbandchronometer dadurch hervor, daß sie nachhaltig sind und keinen Schaden anrichten.
Fast alle anderen Formen des Luxus sind eine Pest für die Umwelt, verbrauchen unnötig Ressourcen und Energie und beuten zudem auch noch meistens irgendwo Menschen aus.
Jeder Flug ruiniert das Klima, jedes Auto stößt Schadstoffe aus, für iPhones werden Billigarbeiter ausgebeutet, für fast alle Kleidungsstücke gibt es am anderen Ende der Welt Menschen im Elend. Für einen Strauß Rosen aus Kenia, werden landwirtschaftliche Flächen ausgetrocknet und jeweils ein Liter Kerosin in die Atmosphäre geblasen. Jeder Computer und jede Spielekonsole hinterlässt Plastikmüll. Auf Reisen werden Tiere gequält, wird Fleisch gefressen.
Yachten sind durch ihren Schwerölverbrauch abartig, Großwildjagden sind amoralisch, PS-Protz-Autos sind Klimasünden.

Mir fallen tatsächlich nur mechanische Uhren als positives Luxusbeispiel ein. Sie sind absolut nachhaltig, werden quasi gar nicht weggeworfen, weil sie nicht nur ihren Wert behalten, sondern meistens sogar wertvoller werden. Sie verursachen kaum Müll und verschwenden so gut wie keine Rohstoffe, außer einer winzigen Menge Stahl und Edelmetall.
Der enorme Wert eines Chronometers mit vielen Komplikationen entsteht durch die viele kostbare Handarbeit, die hinein gesteckt wird.
Es werden also gut bezahlte Facharbeiterjobs geschaffen. Die Kunst eines Uhrmachers ist nicht durch Computer oder Roboter zu ersetzen.
Vor allem aber verbrauchen Uhren nichts. Sie brauchen weder Strom noch Benzin, es fließt kein Blut dafür, niemand muss leiden, kein Gewässer wird geschädigt, niemand wird ausgebeutet.

Mechanische Uhren, die leicht über 100.000,- Euro kosten, wenn sie auf einem Tourbillon basieren sind eben keine blöden Zuhälter-Zwiebeln ums Handgelenk wie oben so hämisch angemerkt wurde.
Zuhälter wollen protzen, jeder soll sehen wie teuer die Uhr ist. Dafür sollte sie Gold und Edelstein-besetzt sein.

Chebli trug aber eine mechanische Stahluhr, deren Charakteristikum das Understatement ist. Sie sehen für den Laien tatsächlich aus wie die Fälschung aus Hongkong für 30 Euro.

Girard-Perregaux, Tri-Axial Tourbillon

 [….] Es war vermutlich im Jahre 1795, als der Uhrmacher Abraham-Louis Breguet eine Erfindung machen sollte, die noch 200 Jahre später zu den Höhepunkten der Feinuhrmacherei zählt: Beim Tourbillon, zu Deutsch „Wirbelwind“, ist das komplette Schwing- und Hemmungssystem in einem - möglichst leichten - Käfig untergebracht. Dieser dreht sich innerhalb einer bestimmten Zeitspanne einmal um seine Achse. Dadurch werden die Schwerpunktfehler im Schwingsystem einer mechanischen Uhr kompensiert, da
nun die Schwerkraft von allen Seiten gleichzeitig den Schwung von Unruh und Unruh- spirale beeinflusst. Dieser uhrmacherische Kunstgriff erhöht die Ganggenauigkeit vor allem bei Taschenuhren, die üblicher- weise immer in der gleichen Position getragen werden. [….]

Für mich sind mechanische Uhren daher kein shitstormwürdiger Luxus, sondern im diametralen Gegenteil empfehlenswerter Luxus.
Als Sozi gönne ich der Genossin Chabli diesen Luxus und beglückwünsche sie zu so einer umweltfreundlichen, nachhaltigen und bescheidenen Form des Luxus gegriffen zu haben.
Alle anderen Formen des Luxus wären schlechter gewesen.

Abgesehen davon wundere ich mich, wieso überhaupt 7.000,- so viel Aufmerksamkeit erregen. Da flüchte ich mich sogar in Whataboutism.

Man möge bewußt auf einer beliebigen deutschen Straße spazieren und sich überlegen welchen Neupreis jedes einzelne Auto hat, welchen Wert jede einzelne Wohnung hat.
Selbst einfache Autos – das meistgefahrene Modell in Deutschland ist mit vier Millionen Exemplaren der VW Golf – kosten ab 25.000,- Euro aufwärts. Wohnungen kosten durchschnittlich mehrere Hunderttausend Euro.
Da steckt der abartige Luxus drin, der das Klima ruiniert und Mieter ausbeutet.
Wäre das Geld doch besser in mechanischen Stahlarmbanduhren angelegt.

[….] Deutschland ist, wenn windige Anwälte, Broker und Banker den deutschen Steuerzahler (also auch DICH!) um 33.000.000.000 Euro hintergehen, und es niemanden schert, weil „versteh ich eh nicht“.
33.000.000.000 Euro, die für Dein Lieblingsthema zur Verfügung gestanden hätten:
- Omas und Opas, die Pfandflaschen sammeln müssen
- Bezahlbarer Wohnraum
- Schöne, glatte Straßenbelage
- Sanierung der Decke in Maries Schule, damit sie nicht bald von dieser erschlagen wird
Aber nein. Lasst uns lieber darüber diskutieren, ob irgendeine Staatssekretärin eine 7.000 Euro Rolex tragen darf. Von ihrem eigenen Geld bezahlt. Wie? Ich höre Sie ist eine Frau? Und Migrantin? EIN FLÜCHTLING?!?!?!? Na, dann natürlich nicht!!! Meine Meinung. [….]