Montag, 18. November 2019

Unerträglich träge


Es ist über zehn Jahre her; da sah ich zum ersten mal eine ausführliche anderthalbstündige Dokumentation darüber wie eine englisch-finnische Familie mit zwei kleinen Kindern ihr Leben plastikfrei gestaltete.  Fertiggestellt wurde der Film im Jahr 2007.
Sie wurde Anfang 2009 im deutschen TV ausgestrahlt und blieb mir auch deswegen in Erinnerung, weil das Paar ausgesprochen sympathisch und wenig fanatisch war. Üblicherweise sind Reality-ähnliche TV-Formate von eitlen Selbstdarstellern bevölkert, denen man nicht begegnen möchte.
Ganz anders bei den Websters.

[….] The witty, thought-provoking film portrays Webster's awakening concern over global warming and his decision to put his family on a carbon diet. Not surprisingly, his wife Anu and two young sons are not so enthusiastic about his plans for them to get rid of their car and stop buying anything made of -- or packed in -- plastic. Life in the suburbs of Espoo without petroleum products is no picnic, they find.
The resulting tale veers from comedy to sermon, from reality TV to deadly-serious documentation of the causes and results of climate change. Along the way, there also revealing peeks into multi-cultural family life in Finland.
Webster is the 41-year-old son of two British academics who settled in Finland. He and his sister attended Swedish-language Steiner schools. Reflecting his background, the film is mostly in English with dialogue in Finnish and a bit of Swedish.
Completed in late 2007 and premiered last August, the film was a co-production by three small film companies in Finland and Denmark, with backing from YLE, Channel 4, CANAL+ and public broadcasters in Denmark, Norway, Canada and Israel. [….]

Vor zehn Jahren war ich längst soweit mich über die vielen Plastikverpackungen zu ärgern – schließlich gab es die Horrordokumentationen über in Plastikschnüren verendete Meerestiere, Wale mit Mägen voller Plastik und regelrechten Kunststoffdünen an den Stränden der Welt schon lange.
Greenpeace und anderen Umweltschutzorganisationen schlugen schon lange vor 2007 Alarm.
Außerdem kannte ich von meiner Studienzeit das an meiner Universität beheimatete „Sonderforschungsprojekt ZISCH“ (Zentrale Immission Schwermetalle in die Nordsee.)
Das war noch in den 1980ern. Es ging nicht nur um die berüchtigte Dünnsäureverklappung, sondern natürlich um alle Schadstoffe, die ins Meer gekippt werden.

Bis vor zehn Jahren hatte ich zwar allgemein versucht im Zweifelsfall kein Plastik zu benutzen – also lieber das Pulverwaschmittel in der Pappverpackung kaufen, statt des Flüssigen in der dicken Plastikflasche, lieber ein Stück in Papier eingeschlagene Seife, statt Flüssigseife im Plastikpack, Plastiktüten hatte ich schon längst aus meinem Haushalt verbannt – aber so richtig packte mich 2009 die Familie Webster.
A posteriori verstehe ich gar nicht, wieso ich nicht schon vorher viel konsequenter war, aber irgendeinen emotionalen Zugang benötigt man vielleicht.
Es war jedenfalls klar: Plastikmüll ist kein abstraktes Problem ist, sondern man muss bei sich selbst im Alltag anfangen und aufhören diese Kunststoffe zu kaufen.

Scheinbar ging es nicht nur mir so.
Weltweit nahmen sich Familien die Websters als Vorbild.
Überall luden Familien ihren plastikfreien Alltag in die sozialen Netze hoch, begannen Zeitungsredakteure die „ein Monat ohne Plastik-Challenge“ und dazu erschienen jede Menge Ratgeber-Bücher zum Thema.

Die österreichische Familie Krautwaschel wurde ebenfalls schon vor zehn Jahren mit dem Thema populär.

[…..] In a new book published in German, titled "Plastikfreie Zone," or "Plastic-Free Zone," Sandra Krautwaschl details how her family of five got rid of many of their plastic items and now rarely buys anything made of the petroleum-based material.
It began as a month-long experiment, but has since turned into a way of life, says Krautwaschl. During a 2009 vacation to Croatia, the 40-year-old physical therapist was struck by how often her three children asked where all of the trash on the beach came from. The experience led her to consider her own responsibility for the problem.
"Though we recycle in Austria, it doesn't work around the world. The fact that we still buy these things contributes to the continuation of their production," she told SPIEGEL ONLINE.
Shortly after the family vacation, Krautwaschl also saw the 2009 film "Plastic Planet," a documentary by Austrian filmmaker Werner Boote on how the glut of plastic produced around the world has become toxic to the environment. […..]

In Kalifornien ist es die Familie Jasper and Vjera Watts, die ihre „pastic-free journey“ erklärt.

Die Bewegung bekam so viel Zuspruch, daß es immer leichter wird plastikfrei einzukaufen.

[….] Bettina Maidment hasn’t emptied the kitchen bin since the beginning of November. The time before that was in August. “You can reduce your rubbish a lot,” she insists, pointing to her recycling and food compost bins. “I have two kids and they’re pretty anti-plastic – I am their mother after all – but it is do-able.”
Maidment, 38, is the founder of Plastic Free Hackney, a campaign to rid the east London borough of single-use plastic and has been serious about committing her family to plastic-free, zero-waste living for two years now. First to go was milk cartons. “That was an easy switch, we got a milkman.”
Then came bamboo toothbrushes, swapping out supermarket shopping for the local greengrocer, and making deodorant, cleanser, moisturiser and handsoap at home. [….]

Das ZERO WASTE MOVEMENT ist rund um den Globus eine große Sache.


Inzwischen klärt schon die Sendung mit der Maus Kleinkinder über das Thema auf.
Plastic-free-shops sprießen aus dem Boden, Friendsoftheearth erklärt wo man sie findet.


Vor drei, vier Jahren kam in weiterer weltweiter Megatrend hinzu: Müll sammeln.
Auch da gibt es seit Jahrzehnten Pioniere, zu denen zum Beispiel der großartige Schriftsteller David Sedaris gehört, der seit vielen Jahren praktisch seine gesamte Freizeit damit zubringt mit einem Piekser durch die Landschaft zu laufen, um menschlichen Plastikmüll einzusammeln.
Nun ist das zur Touristenattraktion geworden.
Überall an den Stränden dieser Erde finden sich Urlauber zusammen, die die kontemplative Kraft des Müllsammelns entdecken.

(….)Was ich lange Jahre nur von als sehr verschroben geltenden Sonderlingen kannte, daß sie sich wie David Sedaris privat daran machen Wald und Watt aufzuräumen, wird neuerdings zum echten „Movement“.
Mehrere Jahre später sprang sogar die Hamburger CDU auf den Trend auf und inszenierte sich für ihre hinter dem Mond lebende Anhängerschaft als moderne Großstadtpartei mit Ökogewissen.

[…..] Plogging heißt der Trend aus Schweden, mit dem die CDU den Elbstrand sauberer machen will. [….]

Etwas erbärmlich natürlich, wenn die Mitglieder der Partei, die am hartnäckigsten ökologische Politik in Deutschland behindert in ihrem Habitat, dem teuersten Stadtteil Hamburgs, am Blankeneser Strand, vor der Kamera einer konservativen Zeitung posierend diese offensichtliche Inszenierung abzieht, aber immerhin.

Auch das deutsche Mülltrennen bringt nicht viel, wenn wir weiterhin Europameister im Müllproduzieren sind, aber es ist dennoch wichtig das geschaffene Problembewußtsein der Menschen zu erhalten.[…..]

Was bringen nun diese weltweiten Megatrends in Deutschland ein?
Wir müssten doch eigentlich schon nahezu plastikfrei leben, oder?

Aber da verkennen wir die völlig phlegmatische Natur der Deutschen und die Beharrungskräfte der Regierung Merkel, die tief im Hintern der Verpackungsindustrie sitzend gar nicht daran denkt einzuschreiten.

Das erbärmlich träge Teutonenvolk produziert mehr Verpackungsmüll als je zuvor. So viele Aktivisten es auch geben mag, der großen Majorität ist Klimaschutz genauso egal wie die Umwelt.
Sie kaufen Billigfleisch, fliegen mehr denn je mit dem Flugzeug und interessieren sich offenbar kein bißchen für Nachhaltigkeit.

Nach uns die Sintflut, lautet das Motto Merkels und ihres Volkes.

[….] Deutsche produzieren so viel Verpackungsmüll wie nie zuvor
[….] Die Menge an Verpackungsmüll in Deutschland ist erneut auf ein Rekordhoch gestiegen. Im Jahr 2017 fielen insgesamt 18,7 Millionen Tonnen davon an, wie das Umweltbundesamt am Montag mitteilte. Das entspricht drei Prozent mehr als noch im Vorjahr. Insgesamt ergibt sich aus der Müllmenge ein Verpackungsaufkommen von 226,5 Kilogramm pro Person - private Verbraucher haben daran einen Anteil von 107 Kilogramm pro Kopf. 47 Prozent aller Verpackungsabfälle fallen also unmittelbar im Haushalt an.
Gründe für das steigende Müllaufkommen sind dem Umweltbundesamt zufolge unter anderem der anhaltende Trend, sich Produkte aller Art vor die Haustür liefern zu lassen. Hinzu komme, dass sich Verbraucher trotz aller Sensibilisierung weiterhin kleine Portionen Essen und Trinken in Einwegboxen und -bechern aushändigen ließen, statt auf langlebigere Mehrwegbehälter zurückzugreifen. Die Umweltbehörde macht außerdem gewisse Konsumgewohnheiten für die Zunahme verantwortlich, beispielsweise den Wunsch nach zusätzlichen Funktionen der Verpackungen wie Wiederverschließbarkeit oder Dosierhilfen. Diese seien häufig unnötig aufwendig ausgeführt, was wiederum den Materialverbrauch erhöhe und das Recycling schwieriger mache. [….]  

Menschen im Allgemeinen sind offenbar unbelehrbar und borniert.

Sonntag, 17. November 2019

Andrea Nahles der CDU


Es gibt doch tatsächlich so Verblödete, die behaupten, wenn die SPD aus der Groko ausstiege und die Grünen ihren Platz einnähmen, wäre das besser für „die kleinen Leute“, weil die Grünen mehr Rückgrat zeigten.

Das ist in vielerlei Hinsicht Unsinn. Erstens zeigten die Grünen bei den Jamaika-Gesprächen Ende 2017 so wenig Rückgrat, daß sie sogar als erstes freiwillig die Klimapolitik, also ihr ureigenes Thema opferten und sich so geschmeidig an die xenophobe CSU anpassten, daß eher noch die FDP ausstieg.
Zweitens gibt es gar keine Mehrheit von Grün und Schwarz.
Drittens wären die Grünen als derzeit schwächste Bundestagsfraktion mit läppischen 8,9% niemals so verrückt bei aktuellen Umfrageergebnissen um die 20% eine Koalition einzugehen.
Viertens gäbe es aber genau deswegen keine Neuwahlen.
Merkel wird einfach Bundeskanzlerin bleiben bis 2021, weil eine andere Kanzlermehrheit ausgeschlossen ist.

Kein anderes CDUCSU-Mitglied kann vor 2021 zum Kanzler gewählt werden.

(….)Sie könnten im gegenwärtigen Bundestag unter keinen Umständen eine Kanzlermehrheit erringen.
Auch wenn die SPD gelegentlich sehr sehr dumme Dinge tut; sie kann nicht so verrückt sein einem zukünftigen CDU-Konkurrenten den gewaltigen Vorteil eines Amtsbonus zuzuschieben. Zumal auf den amtierenden deutschen Kanzler 2020 eine gewaltige Gelegenheit zukommt international zu glänzen und Sympathiepunkte abseits der schnöden Innenpolitik zu sammeln.

[….] Im zweiten Halbjahr 2020 übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Gleichzeitig bildet Deutschland bis Ende 2021 mit Portugal und Slowenien die sogenannte Trio-Präsidentschaft. Diese Länder formulieren gemeinsame Ziele und erarbeiten ein konkretes Programm, mit dem sich der Rat während der drei Präsidentschaften befassen wird. [….]

Merz oder AKK würden die Rolle nur zu gerne im Jahr 2020 ausfüllen und genau deswegen wird die SPD ihnen das ohne Neuwahlen nie als Geschenk präsentieren. Neuwahlen sind aber auch für die CDU/CSU ein enormes Risiko. Alle Umfragen sehen sie deutlich unter dem Ergebnis von 2017 und da war immerhin eine sehr beliebte Merkel Kanzlerkandidatin.
Alle vier genannten Möchtegern-Merkel-Nachfolger in der Union stehen demoskopisch ohnehin viel schlechter da als die ewige Kanzlerin; aber wie mies wäre erst ihr Image als „Mutti-Möderin“? Als Ehrgeizlinge, die ohne Not die international adorierte Kanzlerin wegmobben? (….)

Selbst wenn die SPD wäre so irre wäre freiwillig aus der Groko zu gehen, ist eine Jamaika-Kanzlermehrheit so gut wie ausgeschlossen, da die 8,9%-Grünen AKK oder Merz nie so einen Vorteil verschafften, wenn sie selbst ins Kanzleramt einziehen könnten.

Die Groko wird also bis 2021 bleiben. Unter anderem auch deswegen, weil Merkel so gern Kanzlerin ist und sich erinnert, wie sie selbst im Jahr 2002 nach zwei Jahren als CDU-Vorsitzende noch so schwach war, daß sie sich von Stoiber wegmobben ließ, daß sie selbst 2005 noch von den alten Männerseilschaften ihrer Partei als „Zonenwachtel“ verspottet wurde. Erst nach neun Jahren als Parteivorsitzende, bei ihrer Wiederwahl zur Kanzlerin 2009 hatte sie sich innerhalb ihrer Partei Respekt erworben.
Kramp-Karrenbauers Autoritätsprobleme nach elf Monaten machen Merkel sicher nicht nervös. Da macht sie noch gemütlich die 16 Jahre voll.

Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wird Olaf Scholz in einigen Wochen mit deutlichem Vorsprung neuer SPD-Vorsitzender, stabilisiert angesichts der torkelnden AKK seine Partei in den Umfragen, so daß es bei den regulären Bundestagswahlen 2021 am besten zu einer SPD-Grünen Koalition unter Bundeskanzler Scholz reicht. Oder aber in einer Dreierkonstellation mit der LINKEN, die ohne Lafontaine und Wagenknecht hoffentlich weniger AfD-artig blinkt und verlässlicher wird.

Ich gebe zu; aus heutiger Perspektive ist dieses Szenario nicht sehr wahrscheinlich.
Es liegt aber durchaus im Bereich des Möglichen, daß eine GR2-Koalition unter Bundeskanzlerin Baerbock oder Bundeskanzler Habeck eine Kanzlermehrheit zusammenbekommt. Dann bliebe möglicherweise Olaf Scholz Finanzminister und Vizekanzler.
Auch mit so einer Regierung wäre ich glücklich, weil mir am wichtigsten ist die C-Minister in die Opposition zu schicken.

Wie unwahrscheinlich ist aber GR2 im Jahr 2021?
Ich meine, das ist eine durchaus vorstellbare Option.
Angela Merkel ist zwar immer noch sehr beliebt, wird aber als CDU-Zugpferd nicht mehr taugen, da sie 2021 nicht mehr antritt und schon seit einem Jahr keinen Finger mehr für ihre Partei krumm macht.



Alles geht schief und nun setzt sie ihre ganze Hoffnung auf das Projekt „deutsche Militäreinsätze im Nahen Osten und Zentralafrika.“
Dabei wird sie Myriaden Gelegenheiten für Blamage und Kardinalfehler haben.
Aber selbst wenn sie unwahrscheinlicherweise mit dieser Bundeswehr solche Einsätze hinbekommt, bleibt es in Deutschland sehr unpopuläre Politik.
Deutsche Soldaten, die in Zinksärgen aus Mail zurückkommen, werden AKK nicht zur erhofften Popularität verhelfen.

Wenn sie die nächsten beiden Jahre so weiter debakuliert und die Wähler 2021 vor der Frage stehen „Bundeskanzler Scholz oder Bundeskanzlerin AKK?“ sollte man die SPD noch nicht abschreiben.
Auch die Grünen haben bis dahin noch viel Zeit Fehler zu machen.
Nach Fukushima und dem Theater um Stuttgart 21 schickten sie sich schon einmal an bundesweit stärkste Partei zu werden.
Bis an die 30% wurden im ersten Halbjahr 2011 für die Grünen bundesweit ermittelt.

Forsa: CDU - SPD - GRÜNE - FDP -LINKE

Der Aufschlag bei den Bundestagswahlen am 22.09.2013 mit 8,4% - TROTZ sensationell abgestrafter SPD und sehr schwachen LINKEN war hart. 2017 schafften sie 8,9%.
Man kann noch nicht fest mit einem Kanzler Habeck 2021 rechnen.

[…..] Das Ren­nen ums Kanz­ler­amt ist wie­der völ­lig of­fen. Denn die Kon­ser­va­ti­ven zer­le­gen sich, die Wirt­schaft schwä­chelt, das po­li­ti­sche Sys­tem zer­franst. Weil in­zwi­schen sie­ben Par­tei­en im Bun­des­tag sit­zen, könn­ten in ei­nem Drei­er­bünd­nis wie der Am­pel- oder der Links­ko­ali­ti­on künf­tig so­gar gut 20 Pro­zent ge­nü­gen, um den Kanz­ler zu stel­len. Ja, der SPD geht es schlecht. Aber in die­sem Kli­ma soll­ten 20 Pro­zent selbst für sie noch drin sein.
Ab Diens­tag dür­fen die SPD-Mit­glie­der ab­stim­men, wel­ches der zwei Fi­nal­teams sie als Vor­sit­zen­de ha­ben möch­ten. Olaf Scholz und sei­ne Part­ne­rin Kla­ra Gey­witz ha­ben Chan­cen auf den Sieg. […..] Scholz hin­ge­gen ist die­ser Tage um­trie­bi­ger denn je. Er bringt die Ban­ken­uni­on vor­an, boxt die Grund­ren­te durch. Für ihn, den männ­li­chen Mer­kel, der Volk und Par­tei­freun­de schon so oft nar­ko­ti­siert hat, ist der Of­fen­siv­drang be­mer­kens­wert. […..] Aus­ge­rech­net die SPD, in der sel­ten et­was ge­klärt ist, steht also kurz da­vor, als ers­te Par­tei mit ge­lös­ter Füh­rungs­fra­ge auf die nächs­te Wahl zu steu­ern. Da­mit hat sie der Kon­kur­renz et­was vor­aus, vor al­lem der CDU. […..]
(Veit Medick, SPIEGEL-Leitartikel, 15.11.20199

Samstag, 16. November 2019

Santorums Echokammer


Es ist völlig unverständlich wie man nachts etwas anderes machen kann als nach den Impeachment-Hearings CNN-Panels anzugucken.
Immerhin erleben wir da gerade etwas, das man sich in 200 Jahren nicht vorstellen konnte: Ein zutiefst krimineller und korrupter US-Präsident, der sich intensiv darum bemüht die US-Verfassung auszuhebeln, der bösartige Diktatoren umschmeichelt, die eigenen Diplomaten, Geheimdienste und Parlamentarier bedroht und dabei von einer knappen Hälfte des Landes begeistert unterstützt wird.

[…..] Im demokratischen Spektrum ist das US-Präsidentenamt in seiner Machtfülle nahezu einzigartig. Der Präsident ist oberster Regierungsbeamter, Oberbefehlshaber und nimmt über die Auswahl der Bundesrichter auch Einfluss auf die künftige Rechtsprechung. Nur der Kongress kann ihm Widerstand leisten. Legislative gegen Exekutive - das ist die Uraltformel, aus der diese Demokratie ihre explosive Kraft bezieht.
[…..] Trump behauptet in vollendeter Plumpheit, er stünde über dem Gesetz. Schließlich mache der Präsident die Gesetze, wie also könne er sich ihnen unterwerfen. Das ist natürlich provokativer Humbug. […..] Nun wandert das Thema vor ein Gericht, das Trump bereits nach seinen Vorstellungen besetzt hat. Dieser Mann testet die Verfassung wie noch keiner seiner 44 Vorgänger. [….]

Kein Mensch, der auch nur über rudimentären Verstand verfügt, kann bestreiten, daß Trump abgesetzt und ins Gefängnis gehört.
Das passiert einzig und allein deswegen nicht, weil die republikanische Partei ethisch so verkommen ist, daß sich auch Mafiosi angewidert abwenden.
Abgrundtiefe Bösartigkeit in Kombination mit noch größerer Feigheit der GOP-Parlamentarier halten Trump im Oval Office.

[…..] Jeder kennt die Wahrheit. Jeder weiß, was Donald Trump getan hat. Selbst der notorische Lügner Trump kann nicht genug lügen, um die Wahrheit zu verdecken. Und die Wahrheit ist: Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika hat sein Amt und seine Macht missbraucht, um sich einen persönlichen politischen Vorteil zu verschaffen. Er hat die ukrainische Regierung erpresst, damit diese ihre Staatsanwälte gegen einen innenpolitischen Gegner Trumps ermitteln lässt, den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Joe Biden.
Das sind die Fakten. Wer sie kennen will, der kennt sie, dazu braucht es die öffentlichen Anhörungen eigentlich nicht, mit denen die Demokraten jetzt im Kongress beginnen. Und es gibt in Washington außer Trump auch praktisch niemanden mehr, der sich die Blöße geben will, diese Fakten ernsthaft zu bestreiten. […..]
Was es hingegen in beliebiger Anzahl gibt, sind republikanische Abgeordnete und Senatoren, die diese Fakten ignorieren, entschuldigen oder herunterspielen; die auf den Demokraten herumhacken, weil diese die Fakten ans Licht gebracht haben; oder, und das ist die jüngste Variante, die die Fakten zwar anerkennen, sie aber gleichzeitig dadurch wegzuerklären versuchen, dass sie sagen, Donald Trump - immerhin der Mann, den sie ansonsten als einen ganz großartigen Präsidenten loben - sei einfach intellektuell zu beschränkt und emotional zu instabil, um dafür verantwortlich gemacht werden zu können, was er getan hat.
[…..] Der Präsident [rechnet] damit, dass die blanke Angst ihn rettet: die Angst der republikanischen Parlamentarier, dass die eigenen Parteianhänger revoltieren und sie rauswerfen, wenn sie sich gegen Trump stellen; und die Angst der Partei, dass die Präsidentschaftswahl nächstes Jahr verloren geht, wenn sie sich jetzt per Impeachment ihres Kandidaten entledigt.
Die Angst, dass Amerikas Demokratie vielleicht irreparablen Schaden nimmt, wenn Trump weiterregiert, wiegt die Angst der Republikaner vor dem Absturz in die Opposition nicht auf. Auch das gehört zur Wahrheit: Trump tut, was er tut. Aber es ist die Feigheit der Republikaner, die ihn damit davonkommen lässt. [….]

Unglaublich, aber während Marie Yovanovitch vor dem Kongress aussagt von Trump bedroht worden zu sein, bedroht er sie erneut öffentlich live auf Twitter.


Ein schwarzer Tag – mal wieder – für Trump.
Nicht nur stellt sich Marie Yovanovitch als großartige Expertin heraus…..

[…..] Yovanovitch ist für die Demokraten im Kongress die perfekte Zeugin gegen Trump: Sie bleibt stets besonnen, ernst und spricht mit ruhiger Stimme. Die Absolventin der Spitzenuniversität Princeton dient seit 33 Jahren im US-Außenministerium, sie hat für ihr Land in brandgefährlichen, wenig glamourösen Ländern wie Somalia gearbeitet; sie wurde von dem Republikaner George W. Bush und von dem Demokraten Barack Obama auf drei unterschiedliche Botschafterposten berufen. Mehrfach hat sie für ihren Dienst im Außenamt Auszeichnungen erhalten.
Mit ihrer Biografie erscheint Marie Yovanovitch geradezu wie der Prototyp der unbestechlichen, unparteiischen Beamtin. […..]

….. sondern es tauchte mit Außenministeriumsmitarbeiter David Holmes ein weiterer Ohrenzeuge auf, der aussagte wie Trumps Millionenspender und EU-Botschafter Sondland sich über Rudy Giuliani äußerte - “Dammit Rudy. Every time Rudy gets involved he goes and fucks everything up.” -  und zudem die Proletensprache Trumps zitierte: President Trump did not “give a shit” about Ukraine; assured Trump that Zelenskiy “loves your ass”.


Was sich hier als größtes Skandalon der amerikanischen Geschichte darstellt – Nixon und McCarthy waren damit verglichen Waisenknaben – stößt in den USA selbst auf vergleichsweise geringes Interesse. Die öffentlichen Hearings diese Woche hatten miese Einschaltquoten.
Die von FOX und den Evangelikalen in die totale Verblödung getriebene Majorität der Amis läßt ihre Demokratie achselzuckend untergehen.
Daß der US-Präsident die US-amerikanische Diplomatie systematisch zerstört, ist ihnen offensichtlich egal.


Trump verachtet die Verfassung und den eigenen Regierungsapparat; seine Partei unterstützt ihn dabei Amerika systematisch zu schwächen, das Außenamt auszuhöhlen. Sogar der Herr der Diplomaten, Außenminister Pompeo, dessen oberste Aufgabe es ist seine Botschafter zu schützen, steckt so tief in Trumps Hintern, daß er mit keinem Satz Yovanovitch in Schutz nimmt und debil zusieht wie IQ45 die Elite des State Departments bedroht und bepöbelt.
In Trumpmerica werden qualifizierte und gut ausgebildete Diplomaten rausgeworfen.
Die ehrwürdigen Posten werden nun je nach Spendenhöhe an das Trump-Wahlkampfteam vergeben.

[….] Der Niedergang der US-Außenpolitik ist atemberaubend. Präsident Trump marginalisiert die Diplomatie, machte Spendenzahler zu Botschaftern oder besetzt wichtige Posten gar nicht mehr. [….]
Pompeo ist ein Herr ohne Haus. Das State Department ist unter Trump ausgeblutet. Das Budget soll um ein Viertel gekürzt werden, schon jetzt ist jeder vierte politische Posten, der vom Senat bestätigt werden muss, unbesetzt. Auch die Zahl der Karrierebeamten ist geschrumpft, immer mehr schmeißen hin, weil der Loyalitätsdruck wächst. Neulich warnte der US-Rechnungshof GAO, dass die "chronischen" Vakanzen nicht nur außenpolitische Initiativen gefährdeten, sondern auch die nationale Sicherheit.
"Keiner weiß, wie viele gegangen sind", schrieb die Ex-Konsularbeamtin Beth Milton in der "New York Times". Ihre Kündigung im August begründete Milton mit Trumps "Weltsicht", die "von Engstirnigkeit, Angst und kleingeistigem Chauvinismus geprägt" sei: "Wie kann man das im Ausland noch verteidigen?" [….] Einer Studie des Juraprofessors Ryan Scoville zufolge haben nur 60 Prozent der von Trump bestallten Botschafter Auslandserfahrung. 36 Prozent sprechen nicht mal die Landessprache. Mehr als die Hälfte von ihnen soll allerdings in Trumps Wahlkampfkasse gespendet haben, im Schnitt Summen von knapp 100.000 Dollar.
    Der Milliardär Woody Johnson spendete mehr als 450.000 Dollar, er ist seit 2017 Botschafter in London.
    Der Hotelier Gordon Sondland spendete eine Million Dollar für Trumps Inauguration, wurde dafür EU-Botschafter und ist als solcher nun tief in die Ukraineaffäre verwickelt.
    David Friedman, Botschafter in Israel, war Trumps vielbeschäftigter Konkursanwalt.
    Georgette Mosbacher, die Botschafterin in Warschau, galt vorher als "exzentrische Salondame" ("Washington Post").
    David Cornstein, ein Ex-Juwelier, der nun US-Botschafter in Budapest ist, nutzte seine Freundschaft mit Trump, um eine umstrittene Visite des ungarischen Premiers Viktor Orbán im Oval Office zu arrangieren. [….] Kronzeugen werden. [….]

Es ist unnütz sich weiter über Trump, seine korrupt-debile Sippe und seine Regierung zu echauffieren. Dazu kann es keine zwei Meinungen mehr geben.
Aber die tätige Mithilfe der Republikaner, großer Teile der Presse, sowieso die stoische Indolenz des Volkes, das mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar Trump wiederwählen wird, lässt einen immer noch verzweifeln.


Man kann die destruktive Kraft der Religionen und insbesondere der evangelikalen Christen gar nicht unterschätzen.
Sie machen den Niedergang der einst so stolzen USA möglich.


Rick Santorum, ultrakonservativer, erzkatholischer, extrem homophober ehemaliger US-Senator, mehrfacher US-Präsidentschaftsbewerber, der 1996 die Leiche seines tot geborenen Embryos Gabriel Michael aus dem Krankenhaus nach Hause zerrte, um sie dort seinen sieben Kindern zu präsentieren, galt einige Jahre für mich als debilster und moralisch kaputtester Politiker überhaupt.
2019 ist er bloß ein durchschnittlicher Republikaner, der als bezahlter Pundit in CNN-Runden sitzt, erklärt wieso er Trump liebt und zuverlässig Demokraten bepöbelt.
Letzte Nacht entgegnete er den allesamt von den Aussagen Holmes‘ und Yovanovitch‘ zutiefst geschockten Experten, er fühle sich wie in einer „echo-chamber“, immer hieße es, heute wäre Trump noch tiefer gesunken. Dabei drücke sich Trump nur etwas unglücklich aus. Er möge auch nur 20% dessen was Trump sage, aber sei begeistert von 90% der Trump-Taten.
„Mit einem Wisch ist alles weg“.
Zutiefst kriminell, verlogen, verfassungswidrig, schon sechs Mitarbeiter aus Trumps innerstem Kreis sitzen im Gefängnis – gestern kam Roger Stone dazu – aber der erzmoralische Santorum findet alles prima.

Illegal? Highcrimes? Kein Problem für den Moralexperten.

[…..] “I see a couple of potential crimes here,” Honig said. “First of all, bribery. If a public official seeks a personal benefit in exchange for an official act, that is bribery. I think that’s exactly what we have here. And second of all, forget about any exchange. It’s a federal crime to solicit foreign election aid.”
“The Supreme Court said BS on information of being political value,” Santorum said.
“The Supreme Court did not say — no, no, no,” Honig shot back. “William Barr said BS, not the court, big difference.”
“You have to look at whether there was personal gain. And just because there was direct political gain for the president is irrelevant,” Santorum responded, arguing that all requests of foreign governments have potential political gain for the White House.
Honig debunked this spin with a simple question: “If Donald Trump asked Ukraine to give him a used van that he could use with his campaign, would that be a thing of value for his campaign?” [….]

Das ist jetzt der neue Kurs der GOP: Trump ist so kriminell, daß man sich die Demokraten gefälligst daran gewöhnen sollten.

Nach 45 drastischen Lügen Trumps allein zu der Angelegenheit des High-Crime-Telefonates dürften die Demokraten Santorum nicht immer noch damit langweilen, das als „not normal“ zu bezeichnen.
Sonst käme er sich vor wie in einer Echokammer.

[….]  President Donald Trump is dishonest about a whole lot of things. But he is rarely as comprehensively dishonest as he has been about his dealings with Ukraine and the impeachment inquiry they have triggered. [….]
The President is dissembling about so many different topics at once that it can be difficult to keep track of what is true and what isn't. To help you fight Trump-induced dizziness, here are brief fact checks of 45 separate false claims Trump has made on the subject of Ukraine or impeachment. [….]

Freitag, 15. November 2019

Sozialdemokratische Handschrift

Radikal liberale Wirtschaftspolitik à la Trump ist für das obere Drittel der Bevölkerung eine feine Sache.
Die Bankkonten der Millionäre schwellen quasi von allein immer mehr an, die Gewinne der Unternehmer sprudeln, weil es keine einschränkenden Regeln gibt und man sowohl die Angestellten und Konsumenten, als auch die Umwelt ausbeuten kann wie man möchte.
Niedere Arbeiten muss man nie wieder selbst verrichten, weil ein Heer aus Einwanderern, Illegalen, Verschuldeten, Ungebildeten bereit steht, um für einen Hungerlohn zu putzen, den Wagen zu waschen, den Garten zu pflegen, den Müll abzuholen. Da es gute Bildung nur gegen Geld gibt, fällt es dem durch private Eliteschulen geschleusten Nachwuchs immer leichter auch zukünftig all die Unterprivilegierten auszusaugen, die nur auf einer maroden staatlichen Schule waren.
So ein System generiert mittel- bis langfristig immer mehr Nachteile.
Öl-, Chemie- oder Fischerei-Industrie können Land und Wasser nicht für immer ungeregelt ausbeuten, weil sonst die Ressourcen eines Tages erschöpft, die Flüsse vergiftet und die Erde überhitzt ist.
Ohne Krankenversicherung und mit der durch Mangelbildung verursachten Fehlernährung sterben die Amerikaner allerdings auch ein paar Jahre eher. Die Lebenserwartung beträgt 78 Jahre: Franzosen leben vier Jahre länger.

[….] In den USA, das Trump wieder groß machen will, setzt sich der Trend fort, dass die Lebenserwartung sinkt. Nach Angaben der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und dem eben veröffentlichten Jahresbericht des National Center for Health Statistics für das Jahr 2017 verschlechtert sich der Gesundheitszustand der Amerikaner und steigen die Todesraten bei jungen und mittelalten Amerikanern an. [….] Seit 2015 sinkt die Lebenserwartung der Amerikaner und steigt demgemäß die Mortalität. 2015 wurde eine Lebenserwartung bei Geburt bei Frauen und Männern von 78,8 Jahren ermittelt, 0,1 Jahre weniger als 2014. Bei den Männern war der Rückgang mit 0,2 auf 76,3 Jahre höher als bei den Frauen, wo die Lebenserwartung um 0,1 auf 81,2 Jahre fiel. Dabei gibt es die bekannte Kluft nicht nur zwischen Frauen und Männern, sondern vor allem zwischen besser Gebildeten und den Reicheren gegenüber schlechter Gebildeten und Ärmeren. Wer reicher ist, kann statistisch mit einer um bis zu einem Jahrzehnt höheren Lebenserwartung rechnen [….] Aber der gesundheitliche Zustand hängt nicht zuletzt vom Einkommen bzw. der fehlenden Krankenversicherung ab. [….] Zum Vergleich: In Deutschland blieb die Lebenserwartung nach dem Statistischen Bundesamt etwa gleich und lag 2017 bei neugeborenen Jungen bei 78,4 Jahren und bei neugeborenen Mädchen bei 83,2 [….]

Durch Trumps Steuergeschenke an die Superreichen wurden zwei Trillionen Dollar neue Schulden angehäuft; die staatlichen Kassen sind so leer, daß die US-Infrastruktur vollkommen marode ist.
Ausgerechnet in dem Hightech-Land schlechthin, dem kalifornischen Silicone Valley, ist die Stromversorgung wie in einem Dritte-Welt-Staat. Immer wieder steht bei den Techfirmen alles still, weil kein Strom aus der Steckdose kommt.

[….]  Blackout in Kalifornien Beim Strom auf Dritte-Welt-Niveau
[….] Wegen der Brandgefahr durch marode Leitungen schaltete PG&E auch im Silicon Valley und anderen Teilen Kaliforniens tagelang den Strom ab. [….] Die Aktion des Stromversorgers PG&E, für mehr als 800.000 Haushalte wegen drohender Brände vorsorglich über mehrere Tage den Strom abzuschalten, wird in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert.
[….] Im Radiosender NPR platzte Hill der Kragen. "Unser Bundesstaat ist die fünfgrößte Wirtschaftsnation der Welt. Doch wir agieren wir ein Land der Dritten Welt", sagte er. "Der Energieversorger hat in den vergangenen 20, 30 Jahren nichts in seine Infrastruktur investiert, obwohl wir die Ressourcen zur Verfügung gestellt haben." [….] In den vergangenen drei Tagen seien zwei Milliarden Dollar an Steuereinnahmen zunichte gemacht worden, sagt Hill. Ganz zu schweigen vom persönlichen Leid vieler Menschen, die zum Beispiel auf medizinische Geräte angewiesen sind.
[….] Die Infrastruktur im reichsten Bundesstaat der USA ist extrem marode. Autobahnen und Brücken sind häufig Holperpisten und mit Schläglöchern übersät. Auch Stromleitungen werden in den meisten Gemeinden noch immer oberirdisch verlegt. Der Grund dafür ist einfach: Eine Verlegung in den Boden wäre zu teuer. 1,5 Kilometer unterirdisch verlegte Stromleitungen kosten im Schnitt mehr als eine Million Euro. [….]

Aber nicht nur kranke, früher sterbende Menschen und kollabierende Infrastruktur sägen an dem Ast der libertären Wirtschaft, die in Deutschland zum Beispiel von Friedrich Merz, Carsten Linnemann und Tilman Kuban eingefordert wird.
Wenn die Majorität der Bürger zu sehr ausgebeutet und von der Wertschöpfung separiert wird, bricht die Nachfrage zusammen und es drohen die berüchtigten sozialen Unruhen, die ein Land völlig lahmlegen können. Man blicke nur nach Venezuela oder Chile.
Die US-Politik ist jetzt schon so libertär, daß nicht nur die Chance auf sozialen Aufstieg so gering wie nie ist, sondern sie hat bereits großflächig zur Verelendung geführt.
Vermutlich mehrere Millionen Bürger sind obdachlos; ganz genau weiß man es nicht, da es keine Meldepflicht gibt und die meisten Obdachlosen ihr Schicksal vertuschen.

[….] Das US-Bildungsministerium hat aber bereits rund 1,4 Millionen obdachlose Schüler im Schuljahr 2016/17 verzeichnet. Hilfsorganisationen sprechen von noch höheren Dunkelziffern.
Aus Angst, von ihren Kindern getrennt zu werden, bemühen sich die Betroffenen nach außen hin um Normalität, bringen die Kinder unverändert zur Schule, gehen selbst zur Arbeit. Nur, dass sie sich trotzdem streckenweise keine Wohnung leisten können. [….]

Zig Millionen Amerikaner sind nicht krankenversichert, können sich keine Behandlungen leisten, so daß ihnen nur Schwarzmarkt-Opioide bleiben. Jedes vierte Kind in den USA lebt in Armut, 18 Millionen Kinder hungern.
Insgesamt hungert jeder sechste US-Amerikaner gelegentlich.

Das sind schon etwas veraltete Zahlen vom Anfang des Jahrzehnts, als beispielsweise 2011 die in Los Angelas lebende Jana Simon ihre Umgebung beschrieb. Durch die Trumpnomics, die Millionen Menschen den Versicherungsschutz nimmt, Sozialstandards und Mindestlöhne senkt, dürften sich die Zustände mittlerweile deutlich verschärft haben.

[….]Wenn ich hinter unserem Haus zum Parkplatz gehe, kann ich kaum atmen, so überwältigend ist der Gestank, die Hunde unserer Nachbarn und die Obdachlosen nutzen die Gasse als Toilette. Ich kann Menschen dabei beobachten, wie sie auf die Straße kacken, halb nackt von Sinnen durch die Gegend tanzen und in verrosteten Rollstühlen umherfahren. Nachts dringen die irren Stimmen bis in den neunten Stock, einmal ruft jemand eine Stunde lang immer wieder: "God, help me!" Dazu kommen die Sirenen und das Rattern der Helikopter. Das menschliche Elend zu sehen trifft mich jeden Tag wie ein Schlag. Meine Tochter nennt jeden älteren Herrn nun: "armer alter Mann".


Zwei Blocks von unserem Haus entfernt beginnt homeless country, das Land der Obdachlosen. Hunderte, Tausende Menschen in allen Stadien des Verfalls leben auf der Straße in Zelten. Sie sind krank, verrückt, auf Drogen oder anderweitig nicht mehr in der Lage, ein normales Leben zu führen. Als wir einmal morgens durch das Viertel fahren, können wir beobachten, wie sich eine Stadt buchstäblich aus dem Asphalt erhebt. Manchmal liegen Menschen auch auf dem Bürgersteig, und es ist nicht klar, ob sie überhaupt noch leben. Aber niemand wählt 911.
Ich war oft in den USA und in vielen armen Ländern dieser Erde. Diesmal ist es anders, existenzieller. Immer wenn ich amerikanischen Bekannten erzähle, wie geschockt ich von der Armut in einem der reichsten Länder der Welt bin, in dem es als fast selbstverständlich gilt, dass Familien zwei riesige Autos zu fahren, schauen sie mich an, als erzählte ich etwas Unanständiges. Das Thema ist unangenehm, nicht Small-Talk-geeignet. Oft antworten sie, es liege an unserem Wohnort Downtown. Anderswo würden wir die Obdachlosen nicht so wahrnehmen. […..]

Multimillionäre in ihren Postkarten-artigen Gated Communities mögen nicht viel vom Elend in den USA wissen, aber wenn durch den republikanischen Trickle-Down-Wahn immer größere Teile der Bevölkerung ins Elend gestürzt werden, wird das Elend irgendwann auch an den 50-Millionen-Dollar-Villen anklopfen.

Die Verachter der Merkel-Scholz-Groko streben offenbar auch in Deutschland solche Zustände an.
Ohne die SPD in der Bundesregierung würde die CDU den Sozialstaat nur zu gerne nach dem US-Vorbild stutzen und dafür Blackrock-Millionäre wie Friedrich Merz mit Geld überschütten. Die entsprechenden Beschlüsse und Anträge der CDUCSU-Gliederungen liegen vor. Ginge die SPD aus der Groko könnten die sozialen Grausamkeiten auch leicht mit Hilfe der FDP und AfD durchgesetzt werden.




Diese angebliche „Sozialpolitik aus der Gießkanne“ wird nicht nur von Spahn, Merz und AKK verdammt, sondern möglicherweise noch effektiver von den Lobbyisten in den Reihen der CDU-MdBs wie Hans Georg Michelbach (18 Jahre lang bis 2018 Vorsitzender der Mittelstands-Union), Carsten Linnemann (Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) der CDU/CSU), Michael Fuchs (Senior Advisor bei der Lobbyagentur WMP Eurocom),  Peter Clever, ehemaliger Pressesprecher in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ministerialdirektor a. D. und seit 2003 Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

Freundlicherweise erteilt die CDU-Bundestagsfraktion Hausausweise für den deutschen Bundestag an superreiche Unternehmeslobbyisten, die rein zufällig auch an die CDU spenden – aber das hat sicher rein gar nichts mit der Verteilung der Ausweise zu tun.

     Allianz SE: 30.000 € an die CDU, 5 Hausausweise
    Evonik Industries AG: 70.000 € an die CDU, 5 Hausausweise
    Daimler AG: 100.000 € an die CDU, 3 Hausausweise
    EADS Deutschland GmbH: 20.000 € an die CDU, 3 Hausausweise
    Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG: 28.500 € an die CDU, 2 Hausausweise
    Rheinmetall AG: 33.000 € an die CDU, 2 Hausausweise
Groko-Hasser sollten sich überlegen, ob man diesen Leuten das Feld überlässt.
Oder ob man nicht lieber einen SPD-Finanzminister und einen SPD-Sozialminister im Kabinett hat, damit dagegen gehalten wird.

[….] Die Wirtschaft klagt gern über teure soziale Geschenke der GroKo. Dabei haben genau diese "Wohltaten" der Wirtschaft dieses Jahr eine Rezession erspart. Da kann man auch mal Danke sagen.
Es gehört zu den Ritualen dieser Zeit: Immer, wenn die GroKo mal wieder etwas für Rentner, Mütter oder Kombinationen aus beidem beschließt, schwindet in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft der Frohsinn. So wie diese Woche bei der Grundrente. Schon wieder nichts für uns - kein Pralinchen für die Bosse. Keine Steuersenkung. Kein Abbau lästiger Regelungen für den Kündigungsschutz oder so. Wie das unter früheren Kanzlern mal üblich war. Stattdessen wieder einmal "Wohltaten" für die "Klientel" verschüttgegangener Parteien.
Tenor: schlecht für die Wirtschaft. Also schlecht fürs Land. Der Wind blase den Unternehmen ohnehin gerade mit "voller Wucht ins Gesicht", befand diese Woche Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Das kann niemand wollen. 
Das Kuriose daran könnte nur sein: Wenn in diesen Monaten die deutsche Wirtschaft von einer Rezession (bisher) verschont blieb, wie das Statistikamt am Donnerstag mitteilte, scheint das nach allen Künsten, die uns Adam Riese hinterlassen hat, daran zu liegen, dass die Konsumenten in Deutschland schön weiter Geld ausgegeben und die Konjunktur damit gestützt haben. Das wäre nicht der Fall gewesen, hätte es nicht dieses Jahr so viele Wohltaten für Rentner, Mütter und andere gegeben.
[….] Im Laufe allein der vergangenen beiden Jahre bekamen:

    Pflegeheime mehr Geld, um Personal aufzustocken und Pfleger ein bisschen besser zu bezahlen;
    ältere Menschen zwei Mal hintereinander drei Prozent mehr Rente;
    Eltern mehr Kindergeld;
    bedürftige Studis mehr Bafög;
    Bauwillige schönes Baukindergeld;
    ältere Mütter noch mal etwas mehr Rente,
    ebenso wie - geschlechtsunabhängig - Leute, die aus gesundheitlichen Gründen irgendwann nicht mehr arbeiten konnten;
    Ost-Rentner kriegten mehr, um nicht mehr so viel weniger zu kriegen wie West-Rentner;
    Krankenhäuser bekamen mehr Geld, um, wer weiß, Patienten auch mal weniger lang auf den Gängen rumstehen zu lassen;
    Schulen mehr Budget fürs Digitale;
    Einkommensteuerzahler höhere Grundfreibeträge;
    Beitragszahler weniger Abzüge für die Krankenversicherung, weil da jetzt auch die Arbeitgeber wieder mitmachen.

Ganz schön viel. Die Frage ist nur, ob das alles automatisch schlecht für die Wirtschaft ist. [….]
Nimmt man alles zusammen, was die GroKo da so eingeschenkt hat, ergibt das nach Schätzung der Konjunkturexperten mehr als 20 Milliarden Euro, die allein dieses Jahr vom Fiskus auf die Konten der Leute im Land umgelenkt wurden. [….] Diese 20 Milliarden entsprechen 0,6 Prozent der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung 2019. Was bei einem derzeit gerade noch erwarteten Anstieg dieser Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent bedeutet, dass es dieses Jahr ohne diesen fiskalpolitischen Geschenkekorb mit Sicherheit ein Minus gegeben hätte, eine Rezession eben. [….] (Thomas Fricke, 15.11.19)