Dienstag, 7. November 2017

Doubling Down à la SPD

In der SPD-Parteispitze amtieren neben Martin Schulz fünf Stellvertreter.

Aydan Özoğuz, Thorsten Schäfer-Gümbel, Manuela Schwesig, Oalf Scholz und Ralf Stegner.

Schwesig amtiert erst vier Monate als Ministerpräsidentin, fällt durch resolute Vertretung der Ostländerinteressen gegenüber dem Bund auf.

Aydan Özoğuz fungiert immer noch als Staatsministerin im Bundeskanzleramt, arbeitet mutig weiter als Integrationsbeauftragte.

Thorsten Schäfer-Gümbel tut das was er auch schon als Ministerpräsidentenkandidat in Hessen so hervorragend bewies: Unauffällig untertauchen, bloß nicht auffallen.

Ganz anders Scholz und Stegner, die in der Diskussion um die Neuausrichtung der SPD intensiv mitdiskutieren und die Partei mit einer Fülle konstruktiver Vorschläge bereichern.

 Der Chef erweist sich derweil als programmatischer Totalausfall. Er bemüht sich seinen Job zu retten, betont auffällig, nicht er allein habe die Bundestagswahl verloren, sondern die gesamte Partei.

„Die Niederlage ist auch ein Indiz für die europaweite Schwäche der sozialdemokratischen Bewegung“. […..] „Der Kanzlerkandidat und die gesamte SPD haben diese Wahl verloren.“
(Martin Schulz, 06.11.2017)

Es wirkt geradezu albern, wie Schulz sich selbst diminuiert. Offensichtlich aus Angst beim folgenden Parteitag als Verantwortlicher für das Wahldesaster abgestraft zu werden.

Hatte man am Wahlabend nach 18.00 Uhr auch für fünf Minuten das Gefühl Schulz habe nun doch den Mut gefunden inhaltlich und ehrlich voranzugehen, so muss man jetzt enttäuscht feststellen, daß der Bundesvorsitzende wieder in den abwiegelnden Hasenfuß-Modus zurückgefallen ist.
Bloß nicht festlegen, bloß niemand verprellen. Es jedem Recht machen, bei der Basis anbiedern.

[….] Parteichef Schulz sichert zwar seine Macht, setzt aber keine eigenen Akzente
Martin Schulz spielt auf Zeit. [….] Schulz versucht, die Basis als mächtigste Verbündete hinter sich zu bekommen. Den Parteichef will er möglicherweise per Urwahl bestimmen lassen.
Ein Jahr lang will Schulz durchs Land tingeln, Fragen stellen und zuhören. Das bedeutet auch: Ein Jahr lang wird der SPD-Vorsitzende keine Antworten geben. Er will der SPD in dieser Zeit nicht genau sagen, wohin er sie steuern will. [….] In weniger als zwölf Monaten wählen die Bayern einen neuen Landtag. Und auch zwischendurch würde man gern wissen, was der SPD-Chef zu aktuellen Fragen denkt. Bisher aber ist Schulz noch nicht einmal in der Lage, im Tagesgeschäft überzeugende Antworten zu geben. Bei Themen wie dem Mindestlohn oder internationalen Steueroasen ist er inhaltlich nicht sattelfest. In Fernsehinterviews hat er außer Floskeln wenig zu bieten. [….]

Man nenne mich altmodisch, aber ich hätte doch ganz gern einen Parteivorsitzenden, der sich für die sozialdemokratische Sache einsetzt und strategisch überlegt, wie man das umsetzen kann. Nun haben wir aber einen, der damit beschäftigt ist seine eigene Haut zu retten, sich nicht traute den Fraktionsvorsitz anzustreben und auch noch ein extrem unglückliches Händchen bei Personalfragen beweist.

Wenn man aber gezeigt hat, daß man Wahlkampf nicht kann und daß man Personalfragen nicht kann, dann ist es vermutlich ganz sinnvoll auch in bei anderen Aspekten vage und indifferent zu bleiben.

[….] In der SPD ist dieses unverbindliche Vorgehen nach ihrem Wahldebakel ein heikles Vorgehen.
Es erinnert an eine lange Phase seiner Kanzlerkandidatur, während der sich Schulz beharrlich weigerte, Positionen zu beziehen. Wiederholt er jetzt gewissermaßen seine – im März im internen Kreis – verkündete Parole? Die lautete: „Ich bleibe dabei: Nicht konkret werden! ... Ich werd nicht konkret!“
Wer Schulz so hört, wer aber vor allem den vom ihm vorgelegten Entwurf für den Leitantrag zum Parteitag liest, dem drängt sich dieser Eindruck auf. Der angeschlagene SPD-Vorsitzende hat in seinem 16-seitigen Papier allerhand unverfängliche Formeln verwendet, gipfelnd in dem Hinweis, die SPD brauche für ihren „Aufbruch“ eine „klare Orientierung, die auf unseren Werten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität basiert“. Alles klar? [….]

Üblicherweise bin ich kein Sturm-Fan, aber er sieht das in diesem Fall ganz richtig.
Sich wattig-weich durchzulavieren, nie festzulegen, kann durchaus ein Erfolgsmodell sein – wenn man CDU-Chef ist. CDU-Mitgliedern sind Inhalte weitgehend egal; Hauptsache man gewinnt Wahlen.
Sozis sind aber völlig anders gestrickt. Sie kritisieren und fragen und nerven.

Wenn ausgerechnet der eigene Vorsitzende in der eigenen Parteizeitung vehement jede Festlegung vermeidet, ist das keine Werbung für die SPD.

(….) Martin Schulz hingegen versteht es auf zwei Zeitungsseiten Text nicht einmal konkret zu werden und lediglich Floskeln aneinander zu reihen.
Die inzwischen so hohlen Sozi-Lieblingsworte „anpacken, zupacken, Neustart, Erneuerung, neu denken, Zukunft, Signale setzen, gemeinsam, ehrlich, wir, große Herausforderungen“ verwendet Schulz reichlich.
Was das konkret heißen soll, sagt er nicht.

[…..]Wir stehen vor einer der größten Herausforderungen unserer jüngeren Parteigeschichte: Eine fundamentale und tiefgreifende Erneuerung unserer Partei ist unabdingbar, wenn wir langfristig wieder erfolgreich sein wollen. Unser Neustart wird umfassend sein […..]  Wahlniederlagen senden deutliches Signal
[…..] dass wir vor einer der größten Herausforderungen unserer jüngeren Parteiengeschichte stehen. Das niederschmetternde Ergebnis bei der Bundestagswahl […..] sind ein sehr deutliches Signal an uns: Eine fundamentale und tiefgreifende Erneuerung unserer Partei ist unabdingbar, wenn wir langfristig wieder erfolgreich sein wollen.
[…..] 2017 muss symbolisch stehen […..] als Neuanfang für die SPD, den Start eines Prozesses, der uns besser macht, durch den wir uns neu aufstellen und der unsere Partei wieder mehrheitsfähig macht. […..] Unser Neustart wird umfassend sein – organisatorisch, strukturell, strategisch. […..]  Eines ist mir dabei wichtig: dass wir von der Vergangenheit lernen, aber dass wir uns vor allem auf die Zukunft konzentrieren.
[…..]  Genau darum muss es uns gehen: um unsere Erneuerung und Modernisierung.
[…..] Ich möchte, dass sich an diesem Erneuerungsprozess so viele Menschen wie möglich beteiligen […..] Ausgangspunkt muss die Analyse sein, wie sich unsere Welt in den vergangenen Jahren verändert hat und was unsere Vision einer besseren, gerechteren und zukunftsfähigen Gesellschaft ist. […..] Es geht um eine optimistische Vision der Zukunft. […..] wir müssen uns auch weiterentwickeln und mutig die Zukunft beschreiben. […..] In den nächsten Jahren geht es um die Zukunft der Sozialdemokratie – in Deutschland, aber auch in ganz Europa. […..]  Wenn uns der mutige Aufbruch gelingt, werden unserem großartigen Erfolg in Niedersachsen bald auch wieder Erfolge bei Bundestagswahlen folgen. Vor uns liegt viel Arbeit. Lasst sie uns gemeinsam anpacken! [….]

Soll das ein Witz sein? Nach der guten alten Regel „Fünf Euro ins Phrasenschwein“, wäre die Sozi-Sau aber schlachtreif.
Wer schreibt ihm so ein Nichts? Er wird das doch hoffentlich nicht selbst verfasst haben?

Das ist ein linguistisches Lehrbeispiel dafür wie man es nicht machen sollte.
Aneinandergereihte Phrasen aus einem billigen Management-Motivationsseminar, die gut klingen, aber alles und nichts bedeuten können. (…..)

Immerhin bei einer Sache funktioniert Martin Schulz' Riecher: 100% der Stimmen wird er nicht noch mal von den Parteitagsdelegierten bekommen.

Statt aber entweder kämpferisch in eine Abstimmung zu gehen oder einen anderen Vorsitzenden zu unterstützen, versucht Hasenfuß-Martin wieder einen Ausweg, der ihm die Peinlichkeit herber Verluste erspart.

War die nicht schon mal etwas, das bisher immer so schön gründlich schief gegangen ist?
Ach ja! Wenn die Parteiführung im Mimimi-Modus ist, kann man ja die Mitglieder zur Urwahl aufrufen.
Dann muss niemand in der Parteiführung sein Visier herunternehmen und sich niemand vorwagen. Und wenn es schiefgeht, hat auch niemand Schuld, weil es ja die Basis war.
So macht man sich einen schlanken Fuß, wenn man keinen Mumm hat.
Dann also Diktatur der Inkompetenz.

(….) Urwahl des SPD-Parteivorsitzenden 1993: Zur Auswahl standen der kraftstrotzende Macher Schröder, die linke Wieczorek-Zeul und der unfassbar langsame Mann ohne Eigenschaften Scharping. Der Pfälzer Scharping war die Garantie dafür die Bundestagswahl 1994 zu verlieren, weil er nur eine schlechte Kopie des drögen Pfälzers Kohls war; wer auf sowas steht, wählt das Original.
Genauso wählten die SPD-Mitglieder 1993 und entsprechend kam es 1994.
Urwahl 2013 über den GroKo-Vertrag, will man mit Linken und Grünen in die Opposition, oder lieber dem Beispiel früherer Koalitionspartner Merkels folgen und sich an ihrer Seite marginalisieren und massakrieren lassen?
Berliner Urwahl 2014: Soll die Inkarnation der Ödnis, Michael Müller, 51, der fromme Evangele und Mann ohne Eigenschaften neuer Regierender Bürgermeister werden oder wagt man etwas und setzt auf den äußerst quirligen und dynamischen 37-Jährigen Fraktionschef Raed Saleh?
Klar, daß Müller mit fast 60% gewann. (…..)

Auch die Grünen fielen damit schon richtig auf die Nase und läuteten damit unter anderem den schwarzgelben Wahlsieg in NRW ein.

(…..)  Die Grünen-Mitglieder bestimmten per Urwahl die Bundestagsspitzenkandidaten.

Das ist ja mal gründlich schiefgegangen.

Die ostdeutsche Merkel-Bewunderin Kathrin Göring-Kirchentag hatte die Grünen bei der letzten Bundestagswahl zielstrebig zur kleinsten Oppositionskraft hinter der LINKEn verzwergt.
(…..)
Mit konsequenter Umschiffung jeder inhaltlichen Politik brachten es Göring-Eckardt und Hofreiter fertig die Wähler eine volle Legislaturperiode so einzunebeln, daß niemand auch nur einen Schimmer von grünen Politikvorstellungen hat. Man kennt keine Konzepte, keine Pläne, noch nicht mal Meinungen zu den Bereichen Flüchtlinge oder Finanzpolitik.
Es ist noch nicht mal ansatzweise möglich auch nur die grobe politische Richtung der Grünen zu erahnen. (……)
Peter, Özdemir, Hofreiter und Göring-Eckardt hassen sich alle gegenseitig.
 Es gibt nur die eine Gemeinsamkeit; nämlich den Wunsch, den einzig guten Spitzenkandidaten, Minister Habeck zu verhindern.
Das gelang bei der Urwahl – wenn auch denkbar knapp.

[……] Parteichef Cem Özdemir schnitt bei den Männern mit 35,96 Prozent extrem knapp am besten ab. Robert Habeck, Umweltminister in Schleswig-Holstein, holte nur 75 Stimmen weniger und kam auf 35,74 Prozent. Fraktionschef Anton Hofreiter vom linken Flügel der Partei bekam 26,19 Prozent. [….]
(dpa, 18.01.2017)

Urwahl ohne zweiten Durchgang. Das erinnert natürlich an die fatale Scharping-Urwahl von 1993, die direkt in die Opposition führte. (…..)
(Jeder kommt mal dran, 19.01.2017)

Dank des abstrusen Wahlmodus‘ (ohne Stichwahl) und der ausgebliebenen Sachauseinandersetzung, stehen nun an der Grünen-Spitze zwei ausgesprochene CDU-Fans mit direktem Kurs auf das Abstellgleis.

Standen die Grünen noch Mitte 2016 bei 13 bis 14%, haben sie sich jetzt auf 7% halbiert. INSA misst sogar nur 6,5%; die 5%-Hürde rückt nah. (…..)

Der große Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung stimmt heute übrigens in meine seit Jahren erhobene Klage ein:

[…..] Eine Partei, die vor zehn Jahren noch so aussah wie die kommende Volkspartei, erleidet ein Suppenkaspar-Schicksal. Sie wird, in NRW jedenfalls, mit jeder Umfrage dünner. In Schleswig-Holstein, dem Bundesland, in dem eine Woche früher gewählt wird, ist das anders. Das liegt nicht zuletzt an Robert Habeck, Schriftsteller und Politiker, dem dortigen Vize-Ministerpräsidenten. Der Mann verkörpert noch die Frische, den Elan und die Eindeutigkeit, die die Grünen einmal hatten. Dem grünen Bundesspitzenduo Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt fehlt das. Es war ein grünes Unglück, dass Habeck beim Mitgliederentscheid über die Spitzenkandidaten im Bund dem altbekannten Özdemir unterlag. Den Effekt, den Schulz für die SPD hatte, hätte es als Habeck-Effekt für Grünen geben können. So aber gibt es einen Mehltau-Effekt. […..]

Die NRW-Wahl könnte für die Grünen zum Megadesaster werden.
Als RRG-Befürworter wäre das für mich ein Worst-case-Szenario. Das würde im Bundestagswahljahr im größten Bundesland unverdient wieder die CDU an die Macht bringen. Ein Alptraum.
Aber die Grünen haben es sich selbst mit dieser langweiligen Loser-Truppe in NRW eingebrockt. Jetzt ist Vize-Ministerpräsidentin Löhrmann ganz verwirrt, aber doll war das auch nicht, was sie in der Regierung leistete. (….)

Wenn etwas nicht funktioniert und nur den anderen Parteien hilft, dann greift Martin Schulz zu.

[….] "Eine verständliche Erzählung, wo wir mit dem Land hinwollen, fehlt - und damit eine wesentliche Voraussetzung für echte Zukunftskompetenz", schreibt [Schulz] in dem Papier, das dem SPIEGEL vorliegt. Seine darin formulierte Idee einer Urwahl des Parteichefs stößt jedoch nicht bei allen Sozialdemokraten auf Zustimmung.
Nach einer Präsidiumssitzung, in der Schulz seine Vorschläge für einen Neuanfang nach dem Wahldebakel vorstellte, räumte er am Montag ein, es gebe bei diesem Thema unterschiedliche Auffassungen in der Führung. So verwies unter anderem der scheidende Generalsekretär Hubertus Heil auf rechtlich sensible Fragen. [….]

Kaum zu glauben, sogar TSG ist angesichts dieses neuerlichen Schulz-Unsinns kurz aus seinem Phlegma gefallen. Natürlich traut er sich aber nicht die Hasenfüßigkeit seines Chefs anzusprechen oder die Schwarmdummheit der Basis zu thematisieren. Er redet sich mit „Legitimationsebenen“ heraus.

[…..] Schulz-Stellvertreter Thorsten Schäfer-Gümbel erklärte dazu im Interview mit dem „Deutschlandfunk“: „Mich persönlich überzeugt das nicht.“ Der Chef der Hessen-SPD begründete seine Position damit, dass mit Einführung des Urwahl-Prinzips für den Parteivorsitz in den Kollektivgremien Parteivorstand und -Präsidium „zwei unterschiedliche Legitimationsebenen“ eingeführt würden. „Das heißt, entweder die gesamte Führung wird in einer Urwahl gewählt, oder alle über das Delegiertenprinzip“, erklärte Schäfer-Gümbel und sagte weiter: „Wie man das am Ende löst, das werden wir jetzt in aller Ruhe besprechen. So haben wir uns verabredet.“ [….]

Eine Urwahl des Vorsitzenden bedeutete für mich den endgültigen Beweis, daß Martin Schulz ungeeignet ist. Es wäre eine völlig falsche Entscheidung.
Aber immerhin könnte ich dann auch ganz direkt mit „Nein“ stimmen; so wie bei der Urwahl zur Groko 2013 auch schon.

Montag, 6. November 2017

FDP-Gaganomics – Teil II



Sag‘ mal, Süddeutsche Zeitung, wisst Ihr eigentlich was Ihr für einen Zeitaufwand verursacht mit der exklusiven Berichterstattung über die „Paradise Papers“?
In der gedruckten Ausgabe sind das 12 volle Zeitungsseiten, s.11 bis s.22.

400 Topjournalisten weltweit haben sich ein Jahr lang durch eine gewaltige Datenmenge von 13,4 Millionen Dokumenten.
Allein die europäischen Superreichen bringen die EU mit ihren Steueroasen-Modellen um jährlich eine Billion Euro = Tausend Milliarden Euro = 1.000.000.000.000,00 Euro Steuereinnahmen.

Man kann der SZ nicht genug für diese Kärrnerarbeit danken diese ungeheuerlichen Machenschaften mit einem gewaltigen Arbeitsaufwand aufzubereiten.
Also, wer noch kein SZ-Abonnement hat; bitte jetzt nachholen, damit so ein Spitzenjournalismus weiter existieren kann.

[….] Erst kam "LuxLeaks", dann kamen die "Panama Papers". Beide Skandale hat das Europaparlament minutiös aufgearbeitet, manche Abgeordnete könnten inzwischen eigene Steuerberatungsfirmen eröffnen. Und als sie im Oktober den Abschlussbericht zu den "Panama Papers" verabschiedeten, stöhnten einige von ihnen bereits: Das wird nicht die letzte große Enthüllung gewesen sein. Sie sollten Recht behalten: Mit den "Paradise Papers" bekommen wir nun zum dritten Mal seit 2014 einen tiefen Einblick in das internationale Geschäft mit der Steuerflucht. Und manch einem mag es inzwischen zum Hals raushängen, wenn das Fazit wieder einmal lautet: Arme und Normalverdiener bezahlen Steuern, Reiche bezahlen Steuerberater - um dann fast nichts an den Fiskus abzuführen. Braucht es also wirklich noch so ein Leak zum Thema Steuerbetrug? Reicht's nicht langsam? Nein, tut es nicht! Tut es nie.
[….] Erstens, weil die "Paradise Papers" zeigen, dass nicht nur unsere Billigmöbel, unsere Karamell-Latte-Kaffeekreationen oder unsere Smartphones von Steuervermeidern kommen. Sondern auch unsere Laufschuhe, unsere Onlineglücksspiele, unsere Rock-Hymnen und sogar unsere Deko-Tassen aus königlichem Porzellan. [….] Während Finanzjongleure in Banken und Börsen Milliarden aufs Spiel setzen, um im Ernstfall vom Staat gerettet zu werden, mit Geld, das Steuerzahler zur Verfügung stellen. Dass diesem Ungleichgewicht zum Teil ein zutiefst unsoziales Verhalten einiger Firmen und Einzelpersonen zugrunde liegt, darf nicht in Vergessenheit geraten. [….]

Während die sprichwörtliche Krankenschwester gar keine Steuern hinterziehen kann, weil ihr der entsprechende Anteil automatisch vom Lohn abgezogen wird, können Multimillionäre und Milliardäre die durch ihren Lobbyeinfluss generierten Steuerschlupflöcher nutzen, um sich der Solidarität zu entziehen.

[….] Steuern zahlen nur Idioten und Arme.
Paradise Papers heißt der Datenschatz, den ein weltweites Investigativteam ausgewertet hat. Ein Glück, dass es solchen Journalismus gibt. Hier wird die Welt der Reichen enthüllt, in der die Menschen zwar arm sind an Moral, Solidarität und Pflichtgefühl - dafür aber ganz viel Geld und Macht besitzen. Im Vergleich zu dieser Welt ist das Leben der anderen, die sich mit Staat und Steuern herumschlagen, tatsächlich die Hölle. Es gibt noch etwas, das im Paradies fehlt: das schlechte Gewissen. Denn wer reich ist und nicht teilen will, der muss gar keine Gesetze brechen. Die Gesetze sind ja für ihn gemacht. [….]  Offshorefonds und Briefkastenfirmen, Trusts und Stiftungen - es dient alles vor allem einem Ziel: den Staat nicht an den eigenen Gewinnen teilhaben zu lassen.
Und das Schönste - jedenfalls aus der Sicht der Reichen: Sehr viele dieser Praktiken sind vollkommen legal. Darauf beharrt auch die auf den Bermudas gegründete Anwaltskanzlei Appleby, über die viele der infrage stehenden Geschäfte ablaufen: alles legal. Kein Wunder. Hier ist nämlich kein Gesetzesbruch der Skandal - sondern das Gesetz.
[….] Die Ungleichheit der Vermögensverteilung hat inzwischen groteske Züge angenommen: es gibt 1542 Dollar-Milliardäre auf der Welt  [….] Der Internationale Währungsfonds hat der Bundesregierung inzwischen empfohlen, ihre reichsten Bürger höher zu besteuern, um der Ungleichheit entgegenzuwirken. Aber auch die neue deutsche Regierung wird diesem Ruf nicht folgen. Keine Vermögensteuer, nirgends. [….] Das System ist zutiefst krank. Es ist unmoralisch und unanständig. Die Wut darauf wächst. Sie sucht sich nur die falschen Ziele. Der Hass der Betrogenen gilt eher dem Kriegs- als dem Steuerflüchtling. Unser Planet ist ein Paradies für Arschlöcher. [….]

Die Zeitungen sind heute voll, um sich in die Beispiele der unmoralischen Steuervermeider anzusehen.
Wie konnte es passieren, daß in Deutschland durch „Sharedeals“ ausgerechnet die Milliardäre bei Immobilienkäufen die Grunderwerbssteuer sparen?
Wieso wurde nach acht Jahren Schäuble Deutschland selbst zu einer Steueroase, die so gut wie nichts gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung tut?

Die Antwort ist, daß die Wähler genau solche Politiker in ihre Ämter wählen. Dafür hat der liebe Gott die FDP erfunden; die Partei mit der Gaga-Steuerpolitik zu Gunsten der Superreichen und zum Schaden Deutschlands.

[….] Auch deutsche Politiker tauchen in den "Paradise Papers" auf. Beispielsweise der langjährige Bundestagsabgeordnete Harald Leibrecht (FDP). Ausweislich der Daten ist Leibrecht unter anderem Mitbesitzer einer Briefkastenfirma, die ein Schloss südlich von London hält. Diese Beteiligung hat Leibrecht während seiner elfjährigen Zeit als Abgeordneter nicht öffentlich gemacht. Auf Nachfrage erklärte er, den Steuerbehörden sei die Konstruktion bekannt. Da er lediglich 25 Prozent an der Firma halte, habe er auch nicht gegen Offenlegungspflichten verstoßen. [….]

Paul Gauselmann, Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse und Finanzier der FDP hatte die Hepatitisgelben dazu gebracht maßgeschneidert für ihn Gesetze zu kreieren.

(…..) Jüngster Fall ist der Kauf einer für die Glücksspielmafia günstigen Regelung bei Wirtschaftsminister Rösler.


Die FDP ist in den letzten Jahren immer wieder willig und massiv für die Automatenspiel-Industrie eingetreten.
 Insbesondere in Schleswig-Holstein durch Wolfgang Kubicki. Im Dezember 2011 stellte sich die schwarzgelbe Regierung in Kiel sogar als einzige von 16 Landesregierungen gegen den neuen Glücksspielstaatsvertrag, weil Kubicki der Wettmafia zu Diensten sein wollte. 
Im Mai 2012 gab es dafür bei der Landtagswahl sensationelle 8,2% für die FDP. 
Dumm für die Automatenlobby, daß Schwarzgelb dennoch knapp abgewählt wurde. 
Aber zum Glück (noch) nicht im Bund.

Die Westfälische Familie Gauselmann von der Gauselmann-Gruppe,  Deutschlands größter Herstellerin von Geldspielautomaten ließ über verschlungene Wege der FDP mindestens 1,9 Millionen Euro zukommen.

Das war bitter nötig, denn immer wieder gibt es Versuche der Wett- und Glückspielmafia Fesseln anzulegen. Dank der Gauselmann-Zuwendung an die FDP ist damit aber erst mal Schluß.

"Und jetzt kommt’s. Im Entwurf für ein neues Geldwäschegesetz sollten eigentlich auch die Spielhallen stärker kontrolliert werden. Dagegen hatte die Automatenlobby Protest eingelegt. Mit Erfolg, der entsprechende Paragraph flog einfach raus aus dem Entwurf. An den Verhandlungen beteiligt: Das Wirtschaftsministerium von FDP-Chef Philip Rösler."
(Georg Restle, Monitor Nr. 639 vom 27.09.2012)

Zur Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage über die Umsetzung der Spielverordnung erklärt die Drogenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion Angelika Graf:
 Die Bundesregierung schließt nicht aus, die von ihr seit Jahren vollmundig angekündigte Novelle der Spielverordnung jetzt komplett scheitern zu lassen. 
Der Grund dafür: Der Bundesrat hat es gewagt, den vielen Worten der Bundesregierung Taten folgen zu lassen und ernsthafte Vorschläge für mehr Spielerschutz in die Novelle aufzunehmen.
In seinem Beschluss vom 5. Juli 2013 hat der Bundesrat eine Entschärfung der Geldspielautomaten beschlossen, die mit mehreren Maßnahmen erfolgen soll. Unter anderem sollen das Punktespiel und Autostarttasten verboten werden. Das Bundeswirtschaftsministerium dagegen wollte diese bisher nicht eindeutig geregelten Funktionen, vor denen alle Suchtexperten seit langem warnen, nachträglich legalisieren. Anders als das Bundeswirtschaftsministerium hat sich der Bundesrat zudem für eine deutliche Senkung der maximal möglichen Gewinne und Verluste an den Automaten ausgesprochen.
Das Bundeswirtschaftsministerium und Herr Rösler sind offenbar fest an der Leine der Glücksspielbranche. Nach den Enthüllungen über wirtschaftliche und finanzielle Beziehungen der FDP mit der Gauselmann AG im Herbst letzten Jahres kann das allerdings nicht überraschen. Offenbar kann man sich bei der FDP Gesetze erkaufen. Anders ist nicht zu erklären, warum Herr Rösler alle Forderungen der Suchtexperten, alle Vorschläge der Länder und sogar die Erkenntnisse aus dem vom Ministerium selbst veröffentlichten Evaluierungsbericht zur letzten Novelle der Spielverordnung so hartnäckig ignoriert. Vor allem, wenn das selbsterklärte Ziel der Novelle die Reduzierung der Suchtgefahr ist.
Wie die Bundesregierung in Antworten auf schriftliche Fragen einräumte, verhandelt das Bundeswirtschaftsministerium sogar offenbar lieber bevorzugt mit der Branche als mit den Ländern. So traf sich das Bundeswirtschaftsministerium bereits im April am Tag vor einer wichtigen Sitzung der Arbeitsgruppe Spielverordnung mit Branchenvertretern im Ministerium zum Austausch. Die Länder waren dagegen erst am Tag nach der Sitzung eingeladen.

Der Milliardär Gauselmann, der der FDP freundlicherweise 1,9 Millionen Euro für ihre Dienste bezahlte, findet sich auch in den Paradise Papers wieder, wurde also durch Steuervermeidung noch viel reicher.

[….] Paul Gauselmann konnte diese Entwicklung nicht ignorieren. Er war der Automatenkönig, der Pate des deutschen Glücksspiels, das sollte auch in Zukunft so bleiben. Anhand der internen Unterlagen aus der Kanzlei Appleby lässt sich nun erstmals nachvollziehen, was Gauselmann alles unternommen hat, um den Boom im Online-Geschäft nicht zu verpassen. Sein Vorgehen zeigt, wie einfach es mithilfe findiger Anwälte sein kann, die deutschen Glücksspielgesetze auszuhebeln.
Gauselmanns Vorstoß in die Online-Welt beginnt 2008, da kauft er einen Hamburger Spiele-Entwickler, die Edict Egaming. Kaum zwei Jahre später gründet er auf der Isle of Man einen Ableger der Firma namens Edict IoM. [….] Die Online-Zockerei ist auch für die Kanzlei ein wichtiger Geschäftszweig. Appleby wirbt gar damit, die Glücksspiel-Regulierung der Isle of Man mitgestaltet zu haben. In einem Handbuch fürs Online-GlücksspielgeschäftBuch mit dem Titel "You Can!", herausgegeben von Appleby, erfährt der Leser en détail, wie man eine Online-Glücksspielfirma auf der Isle of Man gründet, lizenziert und erfolgreich betreibt. […..]

Jamaika-Verhandler Wolfgang Kubicki, neben Lindner die einflussreichste FDP-Person der mutmaßlichen neuen Bundesregierung, springt gleich für die ultrawohlhabenden FDP-Gönner in die Bresche.

[…..] Rechtstreues Verhalten sollte nicht verunglimpft werden“
Nach der Vorstellung von FDP-Vize Wolfgang Kubicki sollen Steuerzahler nicht dafür verunglimpft werden, legale Ausweichmöglichkeiten zu nutzen. „Die sogenannten Steuerschlupflöcher sind vom Gesetzgeber geschaffen worden. Man sollte diejenigen, die sich rechtstreu verhalten, nicht diskreditieren“, sagte Kubicki dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). [….]  Solange es unterschiedliche Körperschaftssteuersätze innerhalb der EU gebe, werde es auch Firmenverlagerungen beispielsweise von Deutschland nach Irland geben. „Holland erhebt keine Steuern auf Lizenzzahlungen, Deutschland schon. Das geht so nicht weiter“, meinte Kubicki. [….]

Deutschland, you’ll get what you want.

Sonntag, 5. November 2017

FDP-Gaganomics



In den 1990ern wurde Deutschland unter der Kohl-Merkel-Regierung als „Europas kranker Mann“ angesehen, weil die Bundesrepublik in der Tat  durchreguliert war und hohe Steuern verlangte, ohne daß der Staat als mutiger und strategischer Investor agierte.

Das inzwischen extrem negativ konnotierte Wort „neoliberal“ klang damals noch verheißend. Wäre es nicht toll, wenn man auch einen Telefonapparat privat kaufen könnte, statt gezwungen zu sein wie in der DDR das Einheitsmodel von der Deutschen Post zu nehmen?
Meine Tante, damals Mitte 80, brachte zu der Zeit mal ein flaches schwarzes Telefon aus Amerika mit. Illegal!
Sie besorgte sich kleine Schraubenzieher und schaffte es das Gerät allein zu Hause anzuschließen. Ein eigenes privates Telefon! Das führte zu allgemeiner Besorgnis, da man gar nicht an den Post-eigenen Dosen rumschrauben durfte.
Was würde passieren, wenn einer das illegale Telefon entdeckt? Schaltet die Post dann den Telefonanschluss endgültig ab?

In Deutschland wurde kaum noch investiert, immer weniger Patente angemeldet.
Unternehmen wie Microsoft könnten gar nicht in Deutschland entstehen, weil man nie eine Genehmigung bekommen würde in einer Garage zu arbeiten – so stand es damals in jedem zweiten Zeitungsartikel.

Wenn die Unternehmer aber keine Gewinne mehr machen und zudem jede Investition vom Staat durch einen Wust von Verboten und behördlichen Vorgaben zunichte gemacht wird, muss es ja wirtschaftlich bergab gehen.
Das leuchtete auch Sozialdemokraten ein; und zwar nicht nur Schröder und Blair beim Papiere-Verfassen.
Die USA wirkten ökonomisch wie ein Freiheitsparadies. Da konnte man noch nach 18.00 Uhr seine Milch kaufen gehen und sich aussuchen von wem man Strom und Telefon beziehen will.
Reaganomics und Thatcherismus galten als überfälliger Schritt. Allerdings würde man unter der Führung von Labour (Blair) oder SPD (Schröder) nicht den manischen Hass auf Gewerkschaften ausleben und die Sozialsysteme erhalten; sogar stärken.

Die deutsche Antwort war in Gestalt der Agenda 2010 daher auch keine primitive Steuersenkung bei den Superreichen bei gleichzeitigen radikalen Einschnitten aller staatlichen Ausgaben.
Daß in den USA und England unter radikal neoliberaler Wirtschaftspolitik das Bildungssystem geschwächt und die gesamte Infrastruktur des Landes marodierte, wußten Schröder und die Seinen.
Es kam für sie nie in Frage auch in Deutschland Armut an fehlenden Zähnen erkennbar zu machen, Millionen Menschen hungern zu lassen, Massenobdachlosigkeit zu generieren. Allgemeine Krankenversicherung und eine finanzielle Grundversorgungen standen nie zur Debatte; im Gegenteil, Schröders Bestreben galt dem Erhalt deutscher Errungenschaften wie der Arbeitnehmer-Mitbestimmung, kostenloser Schulen und Sozialleistungen.

Die radikale Form des Neoliberalismus – alles erlauben; den Unternehmen überhaupt keine Grenzen setzen, Umweltschutzaspekte ignorieren und gewaltige Steuersenkungen – war unter dem Namen „Trickle Down“ umgesetzt worden. Ohne Sozialleistungen würden die Ärmsten gezwungen zu arbeiten um selbst für sich zu sorgen. Die reichsten Unternehmen würden mit ihren gewaltigen Gewinnen wieder investieren und damit Steuereinnahmen und Arbeitsplätze generieren. Der Erfolg der Erfolgreichsten würde kontinuierlich nach unten durchsickern. Wenn sich der Bewohner eines Eine-Million-Dollar-Penthouses mit fünf Zimmer eine zehn-Millionen-Villa mit neun Schlafzimmern und Pool bauen lässt, gibt er vielen Handwerkern Arbeit. In sein freiwerdendes Fünf-Zimmer-Penthouse könnte dann ein Bauunternehmer ziehen, der vorher in einer halb so großen Dreizimmer-Wohnung lebte. Und dessen Wohnung stünde dann für den vor arbeitslosen Bauarbeiter zur Verfügung, der zuvor noch bei seiner Mama lebte.

Eine schöne Theorie.
Eine Theorie, die leider von der Praxis widerlegt wurde.

(….) Daß Trickle Down nicht funktioniert wurde seit Jahrzehnten eindrucksvoll bewiesen.
Gegenwärtig haben Unternehmen sogar ein diametral entgegengesetztes Problem.
Sie haben derartig viele Gewinne, die sie dank freundlicher Steuergesetze und Steueroasen auch nicht schmälern müssen, daß sie diese schon verzweifelt in Billionenhöhe parken müssen, weil sie keine Ahnung haben was sie damit anfangen sollten. Wohin bloß mit all dem Geld?
Es wird wohl nicht bei den ehemaligen Stahlarbeitern im Rustbelt landen.

So kauft die deut­sche Bay­er AG für 66 Mil­li­ar­den Dol­lar den um­strit­te­nen Saat­gut­kon­zern Mons­an­to. […] Ein Ge­win­ner steht schon fest: Mons­an­to-Boss Hugh Grant hat sich eine so­ge­nann­te Chan­ge-of-Con­trol-Klau­sel in den Ver­trag schrei­ben las­sen. Er kann sich nach der Über­nah­me mit 135 Mil­lio­nen Dol­lar ver­ab­schie­den.
[…] Gleich­zei­tig wis­sen die Un­ter­neh­men mit dem vie­len Geld, das sie in der glo­ba­len Wirt­schaft ver­die­nen, nichts Pro­duk­ti­ves an­zu­fan­gen. War­um sonst soll­ten sie es in Steu­er­oa­sen bun­kern oder für den Rück­kauf ei­ge­ner Ak­ti­en aus­ge­ben (was de­ren Kurs treibt und so­mit den Ver­mö­gen­den zu­gu­te­kommt), statt es zu in­ves­tie­ren? Auch das spricht da­für, dass der Wett­be­werb im glo­ba­len und di­gi­ta­len Zeit­al­ter nicht wirk­lich funk­tio­niert.
(DER SPIEGEL, 46/2016, s. 57)

Von wegen Investitionen in Arbeitsplätze.

Allein 30 große US-Konzerne (darunter Apple, Pfizer, Microsoft, Google und IBM) haben derzeit 1.650 Milliarden Dollar in Niedrigsteuerländern wie Panama oder den Bermudas geparkt, weil sie vor lauter Geld gar nicht mehr wissen was sie damit tun sollen.

American Fortune 500 corporations are avoiding up to $695 billion in U.S. federal income taxes by holding $2.4 trillion of “permanently reinvested” profits offshore. In their latest annual financial reports, 27 of these corporations reveal that they have paid an income tax rate of 10 percent or less in countries where these profits are officially held, indicating that most of these monies are likely in offshore tax havens. [….]

Wenn besorgte und Wutbürger glauben mit der Wahl von antisozialen, antisolidarischen und stramm nationalistischen Steuersenkungskonzepten dagegen anzugehen, erreichen sie das Gegenteil. (…..)

Natürlich lag die Schröder-Fischer-Regierung richtig damit viele überflüssige Regularien zu lockern.
Tatsächlich zog auch die deutsche Wirtschaft in Folge der Agenda-Politik an.
Aber mit dem Gießkannenprinzip nach oben umzuverteilen ohne irgendwelche Vorgaben und Einschränkungen zu machen, führt eben nicht automatisch zu mehr Investitionen. Nichts spricht gegen Luxus und Reichtum.
Superreiche und internationale Konzerne nehmen aber nicht immer von allein Rücksicht auf Umwelt und Mitarbeiter. Sie denken auch nicht angesichts ihrer gewaltigen Gewinne automatisch an die Zukunft und planen langfristig. Im Gegenteil. Die Shareholder-Value-Ideologie führt dazu, daß wichtiges Kapital immer wieder aus gesunden Unternehmen abgezogen und in dubiosen Steueroasen geparkt wird.

[….] Rund 15 Jahre später kann von Gewinnmangel wahrlich keine Rede mehr sein. Der Befund scheint ein ganz anderer: Deutschlands Unternehmen nehmen heute stetig mehr ein, als sie ausgeben. So viel wie nie zuvor sogar. Nur dass sie deshalb nicht ebenso rekordverdächtig mehr investieren - anders als einst versprochen. Der Verdacht drängt sich sogar auf, dass so hohe Gewinne eher Symptom dafür sind, dass etwas schiefläuft, was dringend zu korrigieren ist. Auftrag an Jamaika.
Das Phänomen hat etwas so Umwerfendes, dass sich Deutschlands Wirtschaftsforschungsinstitute im jüngsten Herbstgutachten extra damit beschäftigten. Befund: Noch Ende der Neunzigerjahre gaben die Unternehmen im Land durchschnittlich mehr aus als sie einnahmen - im Schnitt in Höhe von zwei bis vier Prozent der Wirtschaftsleistung. Nach Start der Agenda-Arbeiten 2003 kamen erstmals durchschnittlich wieder Überschüsse heraus, die 2010 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts übertrafen - und seither auf enorme fast vier Prozent des BIP gewachsen sind.
Mehr noch: Der Anteil dieses verdienten Geldes, der wieder ausgeschüttet wird, nimmt seit Jahren stark ab. Ein großer Teil kommt sozusagen unters Kopfkissen. Oder in die Badewanne, wie bei Dagobert Duck. [….]

Hurra, die Unternehmen haben wieder Geld wie Heu.
Aber Trickle Down funktioniert trotzdem nicht. Der Wohlstand sickert eben nicht von oben nach unten durch.
Im Gegenteil; durch die gänzlich deregulierte Geldgier der Superreichen, werden die Ärmsten immer ärmer und die Verhältnisse prekärer.

(…..) Andere Superreiche denken stattdessen lieber an ihr eigenes Wohl und spenden für Konservative.
Für ihr intensives Däumchendrehen und konzentriertes Chillen wuchs beispielweise das Vermögen der Susanne Klatten, geborene Quandt, im vergangenen Jahr um zwei Milliarden Euro.

Susanne Klatten gewinnt zwei Milliarden Dollar hinzu
[….] Schwer genervt ist Susanne Klatten, 54, wenn sie immer nur als die reichste Frau Deutschlands tituliert wird. "Das beschreibt den Menschen nicht, das beschreibt nur einen Status", klagte die Multimilliardärin im vergangenen Sommer in der Zeit. [….] Umso besser läuft es bei BMW. Gemeinsam sind die Geschwister - ihre Mutter Johanna ist vor zwei Jahren gestorben - Großaktionär. Die Dividende wird erneut angehoben, und die Quandt-Erben bekommen alleine etwas mehr als eine Milliarde Euro ausgeschüttet. Auch viele andere Beteiligungen laufen gut, zur Freude Klattens. Gerade wurde wieder die Liste der reichsten Menschen der Welt veröffentlicht, berechnet von dem auf die Superreichen spezialisierten US-Magazin Forbes. Für Susanne Klatten reicht es in der Hitliste auf Platz 38, ihr Vermögen wird jetzt auf 20,4 Milliarden Dollar taxiert, immerhin knapp zwei Milliarden Dollar mehr als 2016. Der jüngere Bruder Stefan Quandt liegt mit 18,3 Milliarden Dollar auf Platz 47. [….]

Ich bin übrigens gar kein Linksradikaler, der Frau Klatten und Herrn Quandt alles wegnehmen will. Reichtum an sich stört mich nicht. Ich halte es durchaus für möglich, daß anständige Menschen, die sozial denken mit moralisch akzeptablen Methoden sehr reich werden.
Meinetwegen kann Frau Klatten gern Milliardärin bleiben.
Es stört mich nur, wenn Superreiche steuerlich besser gestellt werden als Normalverdiener, daß es offensichtlich möglich ist mit einem Heer von Anwälten und Steuerberatern die Abgabenlast gen Null zu drücken.
Für Einkommens-Multimillionäre sollte eine staatlich festgelegte Mindeststeuerquote gelten, von der nichts abziehbar ist.
 (Stichwort „Buffett-Steuer“)

Einfach das Geld nach oben zu schaufeln, nützt  nichts.

[….] Wenn die Unternehmen alles in allem schätzungsweise 110 Milliarden Euro mehr einnehmen als sie ausgeben, wie das derzeit jährlich der Fall ist, muss es (andere) Leute geben, die alles in allem 110 Milliarden weniger einnehmen als sie ausgeben (mal angenommen, das Geld kommt nicht vom Mars, was nach aktuellem Stand der Forschung nicht der Fall zu sein scheint). Heißt: die entsprechend viel Schulden machen. Anders geht's nicht. Dann muss entweder der Staat mehr ausgeben als einnehmen - was er bekanntlich in Schäubleland nicht mehr so gern tut. Oder wir Otto Normalbürger. Dazu käm's noch. Also auch nicht.  [….]

Erstaunlich ist nicht nur, daß die FDP noch 2009, NACH der Mega-Finanzkrise, die das Nichtfunktionieren und die tödliche Gefahr der unkontrollierten Finanzströme eindrucksvoll bewiesen war, vom deutschen Urnenpöbel mit 15% in die Regierung geschickt wurde.
Sofort machten sich Rösler, Lindner, Westerwelle und Co daran Milliardenwohltaten an ihre Spender aus der Pharmaindustrie, den Versicherungskonzernen und Hotelbesitzer zu verteilen.

Das hatte Folgen für Deutschland. Bröckelnde Infrastruktur, Dritte-Welt-Internet und eine deutliches Aufklaffen der sozialen Schere.

Erstaunlich, daß 30 Jahre nach den katastrophalen Reaganomics auch die US-Republikaner immer noch an der Trickle-Down-Ideologie kleben.
Oder auch nicht. Wer Trump als Kandidaten aufstellt, ist zu allem fähig.

Jetzt heißt es wieder das Geld einseitig an Billionaires und das Militär zu verteilen. Auf der Strecke bleiben Umwelt, Klima, Arme, Schwache, Kranke, Bildung und Wissenschaft.

[….]  Paul Ryan konnte sein Glück kaum fassen, als er, umringt von eigens einbestellten Claqueuren, im Kapitol vor die Mikrofone trat. "Ihr seid es, um die es hier geht", jauchzte der Sprecher des Repräsentantenhauses, die "amerikanische Mittelklasse verdient einen Kurswechsel." Seit 40 Jahren träumen die Republikaner davon, es ihrer Lichtgestalt Ronald Reagan nachzutun und die Steuern umfassend zu senken. Nun, nach monatelangem Gezerre, liegt tatsächlich ein Konzept auf dem Tisch. [….] Der Körperschaftsteuersatz sinkt von 35 auf 20 Prozent. Inhabergeführte Firmen, die das Gros der US-Wirtschaft ausmachen und heute bis zu 39,6 Prozent Einkommensteuer zahlen, brauchen einen Teil ihres Gewinns künftig nur noch mit einem neuen Spezialsatz von 25 Prozent versteuern. Dies könnte firmeninternen Gewinnverschiebungen Tür und Tor öffnen. [….] mit der Erbschaft- und der Mindeststeuer zwei reine Reichensteuern entfallen sollen. Die Erbschaftsteuer etwa kommt heute erst bei einem Nachlass von mehr als 5,6 Millionen Dollar zum Tragen, sie soll nun bis 2024 auslaufen. Man wird den Verdacht nicht los, dass der Präsident Trump bei der Abschaffung auch an den Unternehmer Trump gedacht hat, der sein Firmenimperium eines Tages in die Hände seiner fünf Kinder legen will - gerne steuerfrei. Das gleiche gilt für den Wegfall der Mindeststeuer, die verhindern soll, dass Ultrareiche ihre Abgabenlast durch die Nutzung von Schlupflöchern auf null reduzieren. [….]

Die USA sind leider verrückt geworden.
Allgemein grassierender Wahnsinn brachte den GOPern Mehrheiten im House, im Senat, unter den Gouverneuren und im Weißen Haus.

Aber was ist unsere Entschuldigung in Deutschland?
Wie konnte denn 10% für Christian Lindner passieren?
Wer war so irre die FDP wieder in die Bundesregierung zu schicken?

[….] Noch gefährlicher wäre aber, die Dagobert-Duckonomie fortzuschreiben. Oder Unternehmen auch noch zu entlasten, weil sie angeblich zu viel Steuern zahlen und daher (immer noch) nicht genug Geld haben. Das ist gaga, liebe Freunde von der FDP. Deutschlands Wirtschaft verdient so viel wie nie - und investiert trotzdem nicht ansatzweise so beeindruckend. Da werden auch noch so viele Steuergeschenke nicht viel helfen. [….]