Mittwoch, 23. November 2016

Völlig tabulos.



Noch vor zehn Jahren war der öffentliche politische Tabu-Bruch etwas für rechtsradikale Spinner.
Man erinnere sich an den CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, der 2003 am Tag der Deutschen Einheit den Juden eine Mitschuld am Holocaust zuschob, sie gar als „Tätervolk“ bezeichnete.
Es war ein klarer Fall von „das tut man nicht!“
Wer nach einer Begründung für dieses Tabu fragt, verfügt über keinerlei Moral. Sechs Millionen europäische Juden wurden von Deutschen und Österreichischen Christen zwischen 1941 und 1945 ermordet. Das sind die ungeheuerlichen Fakten, die es anständigen Menschen unmöglich machen darüber zu sinnieren, ob es eine Schuld der Juden gäbe.

Es existier(t)en auch politische Tabus, die gar keine moralische Rechtfertigung hatten, sondern durch konservatives Kalkül postuliert wurden.
20 Jahre lang war eine Bundesregierungsbeteiligung der Grünen tabuisiert. CDU, CSU und FDP kreischten Zeter und Mordio, warnten immer wieder vor dem „rotgrünen Chaos“, in welches Deutschland nicht gestürzt werden dürfe. Ich bin heute noch verblüfft darüber, daß die Welt nach 1998 immer noch weiter existierte, obwohl die Sozis diesen Tabubruch gewagt hatten und ein leibhaftiger Grüner Vizekanzler wurde.
Nachdem Schwarz und Gelb den Charme der Grünen als Mehrheitsbeschaffer erkannten, fiel diese Tabu und beschränkt sich nun auf „Die Linke“, mit der man nicht regieren darf.

So ein Tabuisierungsversuch ist machttaktisch nachvollziehbar. Die Rechten möchten der SPD eine Mehrheitsoption nehmen, um selbst umso länger zu regieren.
Das funktioniert. Merkel wurde 2013 Kanzlerin trotz einer rotrotgrünen Mehrheit im Bundestag.
Wenig erstaunlich also, daß Unionsmitglieder alles dafür tun, um das Anti-LINKE-Tabu aufrecht zu erhalten.
CDU und CSU haben dabei in Sahra Wagenknecht eine große Wahlhelferin, die heute bei ihrer Hauptrede der Bundestagsgeneraldebatte alles dafür tat, um Merkel die Kanzlerschaft zu sichern, indem sie R2G de facto zerstörte.

Bizarr sind die vielen gesellschaftlichen Tabus, die oft aus kruden religiösen Vorzeiten stammen, keinerlei erkennbaren Sinn haben und zum Teil immer noch befolgt werden.
Masturbation, unehelicher Geschlechtsverkehr, Scheidung, Frauen in Hosen, Linkshändigkeit, Kriegsdienstverweigerung oder gemischtrassige Ehen waren über Jahrhunderte tabuisiert.

Menschen empfinden unterschiedlich, daher kann es sinnvoll sein gewisse Tätigkeiten in der Öffentlichkeit zu unterlassen: Zigarre-Rauchen, Nacktheit, lautes Telefonieren, Körpergeruch sind Beispiele dafür. Das sollte man unterlassen, wenn man sich unter Fremden befindet. Hierbei handelt es sich aber nicht um Tabus, sondern soziale Konventionen.
Ich möchte auch nicht in der U-Bahn neben einer Stinkerin sitzen oder jemand bei der Onanie zusehen. Gleichzeitig trete ich natürlich für eines jeden Rechtes ein im privaten Kreis zu transpirieren und masturbieren.

Wer diese Dinge tatsächlich tabuisiert, verlangt aber, daß man überhaupt nie nackt rumläuft oder ins Telefon brüllt.

Solche Tabus sind nicht nur sinnlos, sondern auch schädlich.

Die Zusammenarbeit mit dem politischen Rechtsextremismus und die Verbreitung rechtsradikaler Thesen sind aber völlig zu Recht tabuisiert, da die Enttabuisierung bereits der erste große Schritt zur Gewalt ist.


Das macht es so schwer erträglich AfD-Politiker zu beobachten, wie sie reihenweise Tabus brechen und jedes Mal anschließend grinsen wie ein Zweijähriger, der sein erstes Häufchen in den Nachttopf gedrückt hat.


Wer sich öffentlich vernehmbar über Behinderte mokiert, verächtlich über Homosexuelle spricht, ausländerfeindlich argumentiert, senkt jedes Mal die Hemmschwelle bei den moralisch Desparaten, die solche Hassgefühle in die Tat umsetzen.
Dieser Zusammenhang ist vielfach belegt, wie die rapide ansteigende Zahl der Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland, die schwulenfeindlichen Attacken in Frankreich nach dem Aufstand gegen die Homoehe oder die Hassangriffe auf Muslime in der USA nach der Wahl Trumps zeigen.


Amerika führt gerade eine Enttabuisierung des Nazitums à la Hitler vor, wie man es noch vor einem Jahr nie für möglich gehalten hätte.

Brutaler als KKK und andere White Supremacists setzen die „Alt-Rights“ auf Hitler pur.

[…..] After dinner, when most journalists had already departed, Spencer rose and delivered a speech to his followers dripping with anti-Semitism, and leaving no doubt as to what he actually seeks. He referred to the mainstream media as “Lügenpresse,” a term he said he was borrowing from “the original German”; the Nazis used the word to attack their critics in the press.
“America was until this past generation a white country designed for ourselves and our posterity,” Spencer said. “It is our creation, it is our inheritance, and it belongs to us.”  
The audience offered cheers, applause, and enthusiastic Nazi salutes. [….]



“Lugenpressa” – da verfällt auch Richard Spencer mit seiner Hitler-Frisur ins Deutsch.

Whoopi Goldberg hat Recht – das passiert; solche Typen kriechen nach oben, if you stir up the base


Alt-Right ist insofern höchst relevant, weil Trumps rassistischer Stabschef, der Breitbart-Mann Steve Bannon Vordenker dieser Nazibewegung ist.
Alt-Right hat also nicht nur einen Fuß im Weißen Haus, sondern sitzt mitten drin an der wichtigsten Schaltstelle.


[….] Bislang trat die rechte amerikanische Bewegung Alt-Right kaum in Erscheinung. Doch seit Trumps Sieg fühlen sich die Radikalen ermutigt wie nie. [….] Sie haben Trump gewählt, weil in ihm zum ersten Mal seit Jahrzehnten ein Kandidat zur Wahl stand, der sich ganz bewusst rechtsradikale Positionen zu eigen machte. Er diffamierte die Latinos als "Vergewaltiger", kündigte die Deportation illegaler Einwanderer an und die Aufrüstung der Grenze. Doch nicht nur das: Er distanzierte sich nur widerwillig vom Zuspruch vonseiten eines der Idole der weißen Suprematisten, des früheren Führers des Ku-Klux-Klan, David Duke. Und er spielte unbekümmert mit den Zeichen einer jungen Bewegung von ultrarechten weißen Suprematisten, die seit knapp zehn Jahren unter dem Label "Alternative Right", kurz "Alt-Right", im rechten Untergrund fermentiert.
Bisher kam Alt-Right über ein paar Tausende Anhänger nicht hinaus. [….]
Richard Spencer [….] deklamierte: "Weiß zu sein heißt, ein Kämpfer zu sein, ein Kreuzfahrer, ein Entdecker und ein Bezwinger." Am Ende rief er in den Saal: "Heil Trump! Heil unserem Volk! Heil unserem Sieg!" Spencer, 38, ist der Kopf der Alt-Right-Bewegung und ein Meister des politischen Brandings. Rechtsradikale Gruppen gab es immer in den USA, auch nachdem der Ku- Klux-Klan weitgehend verschwunden war. [….]  Spencer versteht sich als Intellektueller. Gerne erzählt er, wie sehr Friedrich Nietzsche ihn beeinflusst habe. Und wenn er über Napoleon liest, so gestand er dem Rolling Stone, kriege er "einen Steifen". Verheiratet ist er mit der Russin Nina Kouprianova, einer Putin-freundlichen Wissenschaftlerin und Übersetzerin.
[….]  Ein nicht geringer Teil der Amerikaner, die "birther", weigern sich bis heute, [Obama] als Präsidenten anzuerkennen, da er in Wahrheit in Kenia geboren sei. Doch während die Birther die Tatsache, dass sie einen schwarzen Präsidenten niemals anerkennen würden, noch mit der Frage nach dem Geburtsort kaschierten, bekennen sich die Alt-Right-Anhänger nun offen zu ihrem weißen Suprematismus. [….]

Mit der Berufung Bannons zum Stabschef des US-Präsidenten ist ein Tabu gefallen, das außerordentlich notwendig war und für immer hätte aufrechterhalten werden sollen.


Nun sind die Dämme gebrochen, nun kann sich eleminatorischer Menschenhass nicht nur ungehindert entfalten, sondern der Einpeitscher des Hasses ist zu einem der mächtigsten Männer der Supermacht Amerika reüssiert.

Trumps sehr schwache und 18 Monate zu späte Distanzierung kann auch nichts mehr retten. Die Nazikatze ist aus dem braunen Sack.


Wäre Amerika nicht moralisch nicht schon lange bankrott, hätte eine rassistische Breitbart-Lügenkampagne niemals zu einem „President elect“ führen können.

Die von Trump so verachteten „liberal media“ diskutieren diesen Vorgang, aber was gibt es da noch zu reden?
Es müßte Generalstreiks geben bis Trump zurücktritt.





Dienstag, 22. November 2016

Überflüssige Studien – Teil X



Nach wie vor gilt eben: Traue keiner Umfrage, die du nicht selbst gefälscht hast.

Zu diesem Schluß war ich gerade gestern mal wieder gekommen, als es um die windige Datenlage der YouGov-Studie ging, nach der die Deutschen nicht Populismus-anfällig sind.

Welchen Sinn hat es schon Ergebnisse von „Studien“ zu zitieren, wenn diese nicht repräsentativ und ausschließlich online in sozialen Netzwerken erstellt wurde?

Aber auch seriöse Untersuchungen rechtfertigen oftmals nicht den Aufwand ihrer Erhebung, wenn am Ende ein Ergebnis geliefert wird, das sich ohnehin jeder an drei Fingern abzählen konnte.

Wieder einmal eine sinnlose Befragung.

Jetzt habe ich schon so viele Simpel-Zusammenhänge dargestellt - Religiöse haben einen niedrigeren IQ als Atheisten, Dümmere sind auch konservativer und Konservative sind religiöser - und wieder einmal hat sich jemand die Mühe gemacht einen zu erwartenden Zusammenhang empirisch zu untermauern.

Heute wissen wir auch aus der Hirnforschung, daß religiöse Menschen einen signifikant niedrigeren IQ als Atheisten haben.

Je höher die Bildung, desto größer die Neigung kritisch zu hinterfragen, selbst zu denken und nicht einfach blind den Vorgaben eines Predigers zu folgen.


Diesen Beobachtungen schloss sich nun Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen an und veröffentlichte eine Sonderauswertung der Studie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ der Autoren Prof. Beate Küpper, Hochschule Niederrhein und Prof. Andreas Zick, Universität Bielefeld.

Die Ergebnisse sind wie immer:

Schwulenhass ist umso verbreiteter, je ungebildeter und religiöser man ist.

Ein Fünftel der Befragten in Nordrhein-Westfalen neigt zu homophoben Einstellungen.
Homophobie ist bei den Älteren, in der Tendenz auch bei den weniger Gebildeten, Männern, Befragten mit Migrationsgeschichte und auf dem Land verbreiteter.
Grundlegende Werthaltungen fördern oder schützen vor Homophobie: Mit zunehmender Religiosität, einer ablehnenden Haltung gegenüber kultureller und religiöser Vielfalt und einer autoritären Grundhaltung nehmen homophobe Einstellungen zu.
Mit der politischen Selbstpositionierung von Links über die Mitte nach Rechts nehmen homophobe Einstellungen zu. Wer sich politisch machtlos fühlt, neigt eher zu Homophobie. Darüber hinaus sind politische Einstellungen etwa zur Demokratie für Homophobie unbedeutend.
Eine gewisse Rolle spielt zudem die Abschätzung sozialer Beziehungen. Wer seine sozialen Beziehungen nach Kosten-Nutzen bewertet und wer über mangelnde soziale Unterstützung klagt, tendiert eher zu Homophobie.
Mit zunehmendem Einkommen sinken homophobe Einstellungen. Allerdings spielt die eigene finanzielle Lage verglichen mit anderen Einflussfaktoren insgesamt kaum eine Rolle für das individuelle Ausmaß von Homophobie. So ist beispielsweise die Angst vor der eigenen Arbeitslosigkeit unerheblich.
Homophobie ist mit anderen Vorurteilen signifikant verknüpft. Wer homosexuelle Menschen abwertet, wertet mit größerer Wahrscheinlichkeit insbesondere auch Frauen, aber auch Migrantinnen und Migranten im Allgemeinen, Juden und Muslime und in der Tendenz sogar Langzeitarbeitslose, Obdachlose und Menschen mit Behinderung stärker ab. 


In Auftrag gegeben werden sinnlose Studien gern von Landesregierungen oder der Bundesregierung. Königin dieser Disziplin ist Bundeskanzlerin Merkel, die permanent Umfragen erstellen lässt, so daß sie sich immer nach dem richten kann, was die meisten Wähler nett finden und nicht etwa danach was richtig ist.
Die von Regierungen beauftragten Studien haben zwei große Vorteile – sie helfen der regierenden Partei wiedergewählt zu werden, indem sie sich zielgenau beim Wähler anbiedern und vor allem werden sie von jemand anders bezahlt – nämlich vom Steuerzahler.

Zuletzt schlug die Landesregierung in Dresden zu und wollte etwas völlig verrücktes wissen:
Könnte es womöglich Indizien dafür geben, daß die Sachsen ein bißchen fremdenfeindlicher als andere Deutsche sind?

Dazu wurde heute der Sachsen-Monitor mit einem ganz und gar verblüffenden Ergebnis der Öffentlichkeit präsentiert.

[…..] Ressentiments gegen Personen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit sind in Teilen der sächsischen Bevölkerung verbreitet. So ist eine Mehrheit (58 Prozent) der Sachsen der Meinung, dass Deutschland in einem gefährlichen Maß »überfremdet« sei. Ein Indiz, dass der geringe Ausländeranteil im Freistaat wahrgenommen wird, liefert das Ergebnis, dass deutlich weniger Befragte (17 Prozent) der Auffassung sind, die persönliche Wohnumgebung sei in einem gefährlichen Maße »überfremdet«.
Auffallend ist, dass die 18-29-jährigen unkritischer gegenüber dem Nationalsozialismus eingestellt sind und auch ein Engagement zum Schutz der Demokratie im Schnitt als weniger wichtig einschätzen. Zudem teilen sie in hohem Maße etliche Ressentiments. Gleichzeitig ist in dieser Altersgruppe auch die Ablehnung menschenfeindlicher Einschätzungen überproportional ausgeprägt. [….]

Donnerschlach! Fremdenfeindlichkeit in Sachsen – wer hätte das gedacht?

Für dauerregierende Sachsen-CDU’ler wie Tillich und Ulbig muß das eine extreme Überraschung sein. In Dresden konnte man bisher nichts davon merken.

[…..] Die Sachsen sind deutlich fremdenfeindlicher als der Durchschnitt der Bevölkerung im Rest der Republik. Jeder Vierte im Freistaat will inzwischen die AfD wählen. […..]
"Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet" - sagen 18 Prozent der Deutschen und 58 Prozent der Sachsen. 16 Prozent bundesweit fordern: "Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden." In Sachsen meinen das 39 Prozent.
Und so setzt sich das fort, wenn es um Fragen zum Nationalismus geht. "Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen" - das erklären acht Prozent der Deutschen und 18 Prozent der Sachsen. Dem Satz "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert" stimmen 23 Prozent der Deutschen und 62 Prozent der Sachsen zu. Elf Prozent der Sachsen, aber nur vier Prozent der Deutschen halten eine Diktatur für eine "im nationalen Interesse unter Umständen bessere Staatsform". Und ein "hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland" fordern 20 Prozent der Deutschen, aber 53 Prozent der Sachsen. […..]

Montag, 21. November 2016

Widerstand gegen die AfD



Heute geistert eine Meldung durch die deutschen Zeitungen, nach der die Deutschen sehr viel weniger anfällig für populistische Thesen sind, als die anderen EU-Länder.

Das liest man ja irgendwie gern. Die Deutschen als geläutertes Volk, welches aus Erfahrung klug geworden Toleranz gelernt hat.
Deutschland, glücklich Bildungsstaat?

Das würde auch den Populismus der AfD-Führung erklären. Alexander Gauland ist offenbar total auf den Kopf gefallen und verfügt über keinerlei Allgemeinbildung.
So verkündete er am Wochenende, Österreich und Deutschland wären vor 1866 ein Land gewesen.
Da erinnere ich mich gleich an Evelyn Rolls Ratschläge und will bei solchen Thesen ausdrücklich dazu sagen: Das ist selbstverständlich blanker Unsinn, was der AfD-Geront da faselt.

Aber um auf die nette „Deutsche sind nicht populistisch“-Erkenntnis zurück zu kommen, sollte man genauer ansehen, wer das behauptet.
In diesem Fall ist es eine „YouGov“-Studie.
„YouGov“ ist ein von britischen Konservativen betriebenes Pseudoinstitut, welches sich nur auf nicht repräsentative Online-Befragungen stützt und diese dann willkürlichen Multiplikatoren versieht, um sie angeblich repräsentativ zu machen.

Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung dürfte deutlich seriöser sein und kommt auch zu anderen Zahlen.

[….] Mit einer ähnlichen Thematik beschäftigt sich auch eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die am Montag in Berlin vorgestellt wurde (zum Download). Mehr als ein Viertel der Deutschen teilt demnach sogenannte "neurechte" Einstellungen - ein Einstellungsmuster, das etwa eine vermeintliche Unterwanderung durch den Islam umfasst, ein "Meinungsdiktat" behauptet und eine nationale Rückbesinnung gegen die EU fordert. 84 Prozent der AfD-Wähler teilen solche Meinungen. Überhaupt sind die Anhänger der Partei im Vergleich zu 2014 deutlich nach rechts gerückt. Besonders gegenüber Flüchtlingen, Migranten und Muslimen sind sie der Studie zufolge menschenfeindlich eingestellt. [….]

Nach wie vor gilt eben: Traue keiner Umfrage, die du nicht selbst gefälscht hast.

Also wissen wir nicht wie Populismus-anfällig „die“ Deutschen sind und schon gar nicht wie genau es im Vergleich mit anderen Ländern aussieht.
Betrachte ich aber die Wahlergebnisse von Parteien, die sehr populistisch daherreden, also insbesondere die ständigen absoluten CSU-Mehrheiten in Bayern, meine ich, daß der Hang zum Populismus in Deutschland recht ausgeprägt ist.
Dafür steht insbesondere die Bundestagswahl von 1990, als die Kohl-Merkel-CDU im nationalen Rausch versprach, die deutsche Vereinigung könne man aus der Portokasse zahlen, dafür würde nie Steuern erhöht und schon bald gäbe es blühende Landschaften in der DDR.
Das war selbstverständlich populistischer Unsinn und nahezu jeder Fachkundige bescheinigte dem SPD-Kanzlerkandidaten Oscar Lafontaine das sehr viel realistischere Szenario.
Aber die CDU gewann groß, die SPD wurde für die nicht populistische, sondern ehrliche Wahlkampagne abgestraft.

Daher schlage ich dringend vor sich nicht gemütlich auf der Erkenntnis auszuruhen, die Deutschen folgten ohnehin keinen Populisten.

Wichtig ist, den gefährlichen Rechtspopulisten der immer radikaler und immer faschistischeren AfD konsequent entgegen zu treten, zu widersprechen, sichtbar zu sein.
Anders als in gewissen südöstlichen Bundesländern, gelang das am Wochenende in Hamburg recht gut. Die bedröppelte AfD bekam keine Hundert Leute zusammen und traute sich dann angesichts der gewaltigen Überzahl der AfD-Gegner gar nicht mehr überhaupt loszumarschieren.

[….] AfD sagt Protestzug ab – Demonstration friedlich beendet
[….] Gegen eine Demonstration der AfD sind am Sonnabend in der Hamburger Innenstadt Hunderte Menschen auf die Straße gegangen. Nach Polizeiangaben kamen rund 100 Teilnehmer zu der AfD-Kundgebung am Hachmannplatz vor dem Hauptbahnhof, zu der rund 500 erwartet worden waren. Die Zahl der Gegendemonstranten schätzten die Beamten auf 1000 bis 1500. Die knapp einstündige Veranstaltung sei ohne Zwischenfälle verlaufen, hieß es. Auf einen Demonstrationszug verzichteten die AfD-Anhänger überraschend.
[….] Die AfD hatte auf ihrer Facebook-Seite dazu aufgerufen, sich um 14.30 Uhr am Hachmannplatz zu versammeln. Das Motto der Demonstration lautete: "Die Opfer von Straftaten nicht vergessen – mehr Sicherheit für Hamburg. Polizei und Justiz müssen endlich durchgreifen." [….] Unterdessen riefen AfD-Gegner vor allem über die sozialen Netzwerke zu spontanen Gegenprotesten auf. Die Reaktionen auf die Aktion im Internet waren zahlreich. [….]
 (HH Abendblatt, 21.11.16)

Wo immer man auf AfD trifft, soll man ihnen vehement widersprechen.
 In Foren, auf Facebook, bei Demos und natürlich auch durch Zuschriften, wenn Storch und Co in den Talkshows sitzen.

Sonntag, 20. November 2016

Muss man lesen



Wieso ich überregionale, teure Zeitungen lese?

Wegen der Edelfedern.

Was ist eine Edelfeder?

Zum Beispiel Evelyn Roll aus Lüdenscheid.

Roll, 64, studierte Germanistik und Politische Wissenschaften, Journalistik und Öffentliches Recht und arbeitet inzwischen seit über 30 Jahren in verschiedenen Positionen bei der Süddeutschen Zeitung.
Evelyn Roll erstellte eine interessante ZDF-Dokumentation über Angela Merkel, verfasst Bücher über Golf, aber ich adoriere, verehre und liebe sie für ihre ausführlichen gesellschaftlichen Reportagen, die meines Erachtens zu den besten journalistischen Texten der Gegenwart gehören.

Glücklicherweise habe ich Rolls geniale dreiteilige Reportage über den „Patienten Deutschland“ aus dem Jahr 2004 (SZ Nr. 211/2004) aufgehoben und inzwischen immer mal wieder gelesen.
Dabei handelt es sich um die beste Analyse der "German Disease", also das angstgetriebene Wesen der Deutschen, welches zehn Jahre später maßgeblich für das Entstehen der PEGIDA-Pest werden sollte.

Faszinierend an der nationalen Angststörung ist die Kombination von Alarmismus und Analyse. Wir wissen ziemlich genau was mit Deutschland nicht stimmt, sind aber ganz und gar unfähig irgendetwas daran zu ändern, entsprechende Politiker zu wählen, unser Verhalten umzustellen.

[…..] Angst. Angst. Angst. 1281 Ratgeber- Titel, mit denen man sich in alle denkbaren Komplikationen des Kinderkriegens einarbeiten kann, wirft Amazon-Deutschland beim Stichwort "Geburt" aus. In deutschen Mutterpässen werden 70 Prozent aller Schwangeren einer Risikogruppe zugeordnet. […..]
Paul Nolte, Frank Schirrmacher oder auch Gabor Steingart, der Leiter des Berliner Spiegel-Büros, der mit "Deutschland. Der Abstieg eines Superstars" einen weiteren Bestseller über den Patienten Deutschland verfasst hat, beschreiben ja nichts wirklich Neues. Alles, was man über die Renten, die Arbeitslosigkeit, die Grenzen des Wachstums, die Unbeweglichkeit der Politiker, die Selbstblockade des Föderalismus, den biologischen Niedergang der deutschstämmigen Bevölkerung wissen kann, stand schon vor 20 Jahren in den Büchern und Aufsätzen, die Kurt Biedenkopf, Wilhelm Hennis, Burkart Lutz, Klaus von Dohnanyi, Peter Glotz, Heiner Geißler und Meinhard Miegel geschrieben haben. Der Abstand zwischen Erkenntnis und Umsetzung aber ist in diesen 25 Jahren immer gleich geblieben.
Dafür ist das Krisenpalaver zum Grundrauschen dieser TV-Demokratie geworden. "Lässt die Regierung die Deutsche Wirtschaft im Stich?" - "Steht der Osten auf der Kippe?"- "Kommt jetzt die ganz große Krise?" Das sind nicht die Talkshowtitel der kommenden Woche. Sondern die aus den Januartagen des Jahres 2001.
Der Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, Meinhard Miegel zum Beispiel, ein soignierter Herr, den wir bei Borchardts treffen, hat 1979 zusammen mit Kurt Biedenkopf "Die programmierte Krise" veröffentlicht. Da steht eigentlich schon alles drin. […..]
(Evelyn Roll, 2004)

Viele der Warner, Mahner und Profi-Angst-Analysten, die Roll damals erwähnte, sind inzwischen tot: Schirrmacher, Mißfelder, Glotz.
Der Dauerkrisenmodus Deutschlands lebt weiter.

An diesem Wochenende nun nimmt sich Frau Roll des Themas an, das mich in den letzten Monaten am meisten beschäftigte:
Die inzestuösen Internet-Informationsblasen, in denen alle nur das gleiche glauben und sich so immer mehr radikalisieren. Sie analysiert die destruktiven Algorithmen der sozialen Medien, listet selbstkritisch das Versagen der „Alt-Medien“ auf.
Vieles von dem habe ich in diesem Blog auch schon angesprochen, aber selbstverständlich gelingt Roll das besser und fundierter.

[…..] Eine Trump-Wählerin erzählte der Washington Post, wie "weit überdurchschnittlich" sie sich für Politik interessiert: Den ganzen Tag über informiert sie sich im Internet, außerdem schaut sie viele Stunden Cable News. Was sie deswegen, anders als weniger gut Informierte, sicher weiß, ist: Barack Obama ist ein schwuler Muslim aus Kenia. Michelle Obama war vor ihrer Geschlechtsumwandlung ein Mann namens Michael. Beide Obama-Töchter wurden entführt und zwangsadoptiert. Schließlich gibt es kein einziges Foto, das Michelle Obama schwanger zeigt, was ja auch klar ist, weil sie doch ein Mann war. Und Hillary Clinton hat etliche Männer von Prostituierten umbringen lassen, auch den konservativen Supreme-Court-Richter Antonin Scalia.
Vierundvierzig Prozent der Amerikaner konsumieren Nachrichten oder das, was sie dafür halten, nur noch auf Facebook. Sie wissen deswegen, dass Donald Trump sie niemals belügen wird, dass der Klimawandel nichts als eine üble Erfindung ist, die Evolution sowieso. Und demnächst ist die Erde dann eine Scheibe.
Viele Menschen, auch in Europa, wissen gar nicht, dass der Chefredakteur ihrer Nachrichten-Welt im Netz ein Algorithmus ist, der die zu ihren bisherigen Klick-Aktionen und Interessen jeweils passgenaue Realität für sie auswählt. Wer sich zum Beispiel ein bisschen durch die Videos und "wissenschaftlichen Beweise" klickt für die These, dass die Erde eine Scheibe ist, bekommt tagelang nur noch so ein Zeug. [….]

Roll regt sich nicht wie ich fürchterlich darüber auf, daß Fakten weitgehend irrelevant geworden sind, daß Rechts-Demagogen mit reinen Lügen ausgesprochen erfolgreich sind, sondern sie macht Vorschläge wie dies in Zukunft  verhindert werden könnte.

[….] Vielleicht müssen wir Journalisten neu lernen, dass man einen Text durchaus auch mal beginnen kann mit den drei Wörtern: Das ist falsch. Wenn einer den Klimawandel oder die Evolution leugnet oder mit Lügen gegen Minderheiten hetzt, darf man darüber nicht nur berichten, sondern muss dazu senden oder schreiben: Das ist eine Erfindung.
Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung, aber niemand hat das Recht auf eigene Fakten. Es wird überlebenswichtig sein für die Demokratie, eine Lüge wieder eine Lüge zu nennen. Wenn jemand behauptet, die Erde ist eine Scheibe, darf die Schlagzeile eben nicht sein: "Streit über die Form der Erde".
Wenn so schamlos und kalkuliert gelogen wird, könnte man auch über die beliebten "Er-sagt-Sie-sagt"-Formate im Fernsehen noch einmal nachdenken. Es ist nicht die Aufgabe von Journalismus, zu allem ausgewogen zwei Seiten zu präsentieren. Die Wahrheit liegt nicht immer in der Mitte. Lüge und Wahrheit, Fälschung und Original, Bullshit und Information, Sachaussagen und Beleidigungen dürfen nicht gleich behandelt werden. Nachrichtliche und kommentierende Formen, Unterhaltung und Ernsthaftes müssen in gefährlichen Zeiten wieder deutlich unterscheidbar gemacht, Quellen sorgfältig benannt werden. "Das Netz sagt" ist das Gegenteil einer Quellenangabe.
Jeder hat das Recht auf eine eigene Meinung - aber nicht auf eigene Fakten
Und dann, und natürlich und überhaupt, die Begrifflichkeit. Ein Politiker, der lügt oder Falsches behauptet, ist kein Populist. Er ist ein Lügner. Es gibt auch keine Altparteien, keine Traditionsmedien, keine liberale Umerziehungselite, keine Diktatur der Toleranz, was bitte sollte das alles sein? [….]

Meine Bitte an alle:
Rolls Artikel in Gänze lesen!