Sonntag, 20. März 2016

Judentum ist verdammt anstrengend



Mein Gemüsemann versucht mir jetzt wieder ständig Granatäpfel zu verkaufen.
Ich mag die sogar, aber kaufe sie so gut wie nie, weil ich die Frucht übermäßig umständlich finde. Das spritzt immer so und anschließend klebt alles.
Er gibt mir natürlich die besten Tipps. Er selbst pult die Kerne in einer Schüssel unter Wasser ab und gießt es dann in ein Sieb.
OK, das könnte ich natürlich auch mal probieren.

Aber bei Granatäpfeln muß ich auch immer an die armen Juden denken.
Angeblich hat jeder Granatapfel genau 613 Kerne und diese Anzahl entspricht genau den 613 Lebensregeln der Mitzwot, die bekanntlich Gott auf dem Berg Sinai Mose übergab.
Hätte Gott sich nicht bei der Regelanzahl nach Apfel- oder Mandarinenkernen richten können? Das wäre in der Praxis wesentlich einfacher für strenggläubige Juden.
(Nein, es stimmt übrigens nicht, daß alle Granatäpfel genau 613 Kerne haben.)

Aber die Juden machen ihrem Ruf besonders intelligent zu sein alle Ehre, indem sie die Vielzahl der Regeln nutzen, um eine mit der anderen abzuschwächen.
Freitags darf man nur Fisch essen. Und eben auch Hühnersuppe. Denn beim Kochen schwimmt das Huhn ja im Wasser und alles was schwimmt, gilt laut einer anderen Regel als Fisch.

Das ist offenbar das gleiche Prinzip wie bei der deutschen Steuergesetzgebung. Es gibt dermaßen viele Paragraphen zu Präzisierung, daß ein findiger Steuerberater sie auch benutzen kann, um einige Sachverhalte unpräzise zu machen.

Das Judentum ist eine eigenartige Religion.

·        Als einziger abrahamitischer Zweig missioniert sie nicht und bekommt dafür von mir extra Sympathiepunkte. Mission ist für mich das Hauptübel der Religionen.

·        Nur das Judentum bringt neben Orthodoxen auch noch Ultra-Orthodoxe und Ultra-Ultra-Orthodoxe hervor, obwohl mehr als orthodox gar nicht geht; denn die Thora gilt im orthodoxen Judentum als autoritatives Wort Gottes und darf daher nicht uminterpretiert werden.

·        Das Judentum zählt ausdrücklich auch Nicht-Religiöse zu ihrer Religion.

Marcel Reich-Ranicki verstand sich stets als 100%iger Jude, obwohl er durch und durch Atheist war und kein bißchen an irgendeinen Gott glaubte.

Ich bin jüdisch aufgewachsen. Aber wie die meisten Israelis bin ich völlig säkular. Atheist trifft es am ehesten, ich mag Religion eigentlich nicht. Was ich sehr mag, ist die jüdische Kultur, das ist etwas anderes, und mir liegt eine Menge daran, dem verschlossenen, exklusiven, orthodoxen Judentum, das in Israel leider bedenklich an Macht gewinnt, einen humanistischen, weltoffenen liberalen Umgang mit dieser Kultur entgegenzusetzen. Zum Beispiel mag ich es sehr, mit meiner kleinen Familie in Berlin das Schabbat-Abendessen zu feiern.

Bei 613 Regeln gibt es natürlich mehr oder weniger schwer einzuhaltende.
In jeder erfolgreichen Religion werden nicht einzuhaltende Forderungen postuliert, denn nur ein Gläubiger mit schlechtem Gewissen ist für die Obrigkeit leicht zu gängeln. Daher ist das christliche Konzept generell die Sexualität zu verdammen – vom Gedanken über Masturbation bis zum Geschlechtsverkehr - auch so genial.
Jeder verstößt irgendwann dagegen und bedarf dann der Kirche, um nicht in der Hölle zu landen.

Der Islam hatte aber auch eine brillante Kernidee, indem er ausgerechnet dort wo in der Spätantike die besten und kostbarsten Weine gekeltert wurden mit einem totalen Alkoholverbot Furore machte. Das war ungefähr so als ob man mit einem sexlosen Puff Werbung macht.

Arabien in der Spätantike, das ist kein Ort der Askese, Syrien und Palästina gelten zu dieser Zeit als die Weinländer schlechthin. Ägypten, Mesopotamien - selbst das trockenere Jemen hält sich auf seine hochwertigen Weine etwas zugute, 78 Rebsorten zählt der Geograf Ibn Rusta dort allein in der Region der heutigen Hauptstadt Sanaa. Die Riojas und Merlots ihrer Zeit heißen al-Schamsi ("der Sonnige", dessen Gärung man durch Sonneneinstrahlung verstärkt hat), al-Schamul ("vom Nordwind gekühlt") oder al-Qarqaf ("der einen erbeben lässt").
Orient-Wein ist ein kostbares Handelsgut. Er wird per Karawane exportiert, die syrische Stadt Palmyra dient dabei als internationales Wein-Drehkreuz, wie in den islamischen Überlieferungen, den Hadi-then, nachzulesen ist.

Aber auch der Koran ist interpretierbar, weil es sich widersprechende Suren gibt – und das obwohl Allah den Koran bekanntlich selbst diktiert hat.
So dauerte es bis ins 19. Jahrhundert, um das heutige strenge Alkoholverbot im Islam durchzusetzen.
Weit über tausend Jahre zechten die Muslime weiter.

Das Christentum ist eigentlich eine Säuferreligion, oder wie soll man sonst eins der bekanntesten Wunder Jesu interpretieren?

Bei der Hochzeit zu Kana war der Alk ausgegangen (Joh 2,1-12) und Jesus von Nazareth als Gast ist schon so angepisst, daß er seine Mami Maria wütend an grölt, als sie ihn bittet zu helfen.
Schließlich verwandelt er aber den Inhalt der Wasserfässer für die rituelle Waschung in besten Stoff, so daß alle weiterzechen können.

Auch im Christentum wurde man mit den Jahrhunderten strenger, führte das Gebot der Mäßigung ein. Ganz aufhören mit dem Alkohol wie zum Beispiel die Mormonen, kann man aber nicht, weil man im Gottesdienst Messwein verwendet, um dem bizarren Kannibalen-Kult um Jesu Körper zu huldigen.
Aber eben nur einen Schluck.
Nor oinen wönzigen Schlock.

Das Judentum als die älteste der drei Religionen ist entsprechend noch die Trinkfreudigste.
Selbst die Säkularen, wie der Berliner DJ Cobretti, schätzen die Saufgelage, wie sie beim Purim-Fest sogar Pflicht sind.

Purim, ein freudiger Gedenktag, dessen Beachtung nicht biblisch vorgeschrieben ist, wird am 14. Adar (bzw. Adar II) zur Erinnerung an die Errettung der Juden in Persien gefeiert, die im Buch Esther beschrieben ist. [….] Purim ist als freudiger Gedenktag ein Arbeitstag. Als Besonderheit des synagogalen Rituals ist vor allem zu erwähnen, daß sowohl nach dem Abendgebet als auch morgens nach der Toravorlesung das Buch Esther gelesen wird. [….]  Bereits im Buch Esther wird von der Festlegung berichtet, daß der Freude über die Rettung durch ein Festmahl, durch gegenseitiges Beschenken mit Speisen und durch Spenden für die Armen Ausdruck verliehen werden soll. An Purim ist es erlaubt, viel zu trinken, sogar sich zu betrinken, denn im Buch Esther ist das Mahl, das man zur Erinnerung an das Ereignis einnehmen soll, als Trinkgelage bezeichnet.
[….][….]

Tja, das ist die offizielle Beschreibung.
In der Praxis heißt es eher Komasaufen.

Die Geschwister meines Vaters kamen einst als bettelarme Einwanderer aus Libyen nach Israel, als orientalische Juden. Es gibt eine Redensart in Israel: Als diese Gruppe kam, waren alle Türen schon verschlossen. Nur nicht die Tür zur Synagoge. So sind sie orthodox geworden, ernste, ergriffene Leute. Als Kind in Israel war ich fasziniert davon, wie sie zum Purim-Fest trotzdem völlig ausflippen können. Da sah ich die Verwandten plötzlich betrunken, sie sangen Lieder, alberten herum wie kleine Kinder, weil der Talmud einen dazu ermuntert, bei dieser Gelegenheit einen draufzumachen.

Daß orthodoxe Juden alle Hemmungen verlieren, überrascht wenig, wenn man die entsprechenden Regelungen streng einhält.
Auch bei anderen Festen müssen sie sich ordentlich einen hinter die Binde gießen und so entwickelt sich die Leber eines Strengreligiösen entsprechend kräftig.

Wenn mit dem Pessach-Abendessen des Auszugs der Juden aus Ägypten gedacht wird, dann stehen für jeden Erwachsenen vier Gläser Wein auf dem Speiseplan. Wenn mit dem jüdischen Tu-bi-Schwat-Fest im Frühjahr die wiedererwachende Natur begrüßt wird, sollen die Gäste ihre vier Gläser sogar in wechselnden Farben trinken: Es beginnt mit Weißwein, dann folgt eine Rotwein-Weißwein-Mischung, die mit jedem Becher dunkler wird. Das soll die Natur ehren für ihren Wandel von Winter (weiß) zu Sommer (rot).

Juden sind also geübte Trinker und müssen den üblichen Weinkonsum gelegentlich auch gottgewollt bis zum Exzess treiben.

Interessanterweise beschäftigen sich Koran und Talmud schon mit Promillegrenzen.
Was ist angemessener Alkoholkonsum, ab wann beginnt der Vollrausch?

Aus den widersprüchlichen Koran-Stellen destillieren die anfangs vorherrschenden Koran-Exegeten kein strenges, sondern nur ein abgestuftes Alkohol-Verbot. Ein Mittelweg. Geistige Getränke seien zulässig - solange man nicht betrunken werde. Dem Gedanken nach führen die Gelehrten damit eine Art Promillegrenze ein. Wann beginnt Trunkenheit? In dem Moment, da man zwischen Himmel und Erde nicht mehr unterscheiden könne, so lautet eine gängige Definition dieser Zeit; womit die Schwelle durchaus recht hoch liegt, recht liberal.
 (Die jüdische Lehre definiert den Vollrausch übrigens auf ähnliche Weise: als den Zustand, in dem man nicht mehr unterscheiden kann zwischen einem Fluch und einem Lob; bloß dass diese Definition nicht eine Sünde umschreibt, sondern die Zielmarke beim Purim-Fest.)

Holla, die Waldfee. Vollrausch als von Gott befohlene Zielmarke.
Wieso gibt es im Vergleich zum prüden Christentum und zum abstinenten Islam nur so wenig Juden?


Samstag, 19. März 2016

Politik und Persönlichkeit



Deutsche Politiker der allerersten Reihe, also Kanzler und Präsidenten, können ihre Familie nicht ganz aus der Öffentlichkeit halten.
Man erfährt von ihren Partnern, auch ihre Familie wird in die Öffentlichkeit gezerrt.
Das ist der Preis für ein so hohes Staatsamt.

Eine Reihe weiter hinten, auf der Ebene der Bundesminister und Ministerpräsidenten, ist man immer noch sehr prominent, hat aber durchaus die Wahl wie man mit der Presse umgeht.
Selbst so ein Kamera-affiner Mann wie Horst Seehofer zeigt seine vier Kinder wenig hervor.
Eine Extremform von Politkern dieser Ebene ist Jürgen Trittin, der sieben Jahre Bundesminister, jahrelang Landesminister und Parteichef war und dennoch überhaupt gar keine privaten Dinge preisgibt. Man weiß lediglich, daß er als Hobby-DJ auftritt. Über seine Frau und Kinder ist so gut wie nichts bekannt. Sie kommen nie in die Öffentlichkeit, sie werden nicht erkannt und niemals würde Trittin die BUNTE zu einer Homestory ins Haus lassen.
Am anderen Ende der Skala stehen Blender-Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg oder Ursula von der Leyen, die regelrecht die Yellow-Press suchen, sich immer wieder mit irgendwelchen persönlichen Geschichten beliebt machen wollen.

Das kommt zwar meistens gut an, weil sie die Majorität des Wahlvolkes ohnehin nicht für Politik interessiert, sich aber mit Familienmenschen solidarisieren.
Aber es kann auch schief gehen. Das mußte Christoph Ahlhaus 2010 erleben, als er sich kaum daß er ein paar Tage im Amt des Bürgermeisters befand mit seiner grinsenden Frau in der BUNTEn als glamouröses First-Couple in einem Schloss inszenieren ließ und der Presse entgegen flötete, er nenne seine Simone privat immer „Fila – von First Lady“.
Das im hanseatischen Understatement-Hamburg führte zum Amtsverlust in Rekordzeit mit einem CDU-Rekordverlust.

In der dritten Politebene, Landesminister, bekanntere Bundestagsabgeordnete, ebbt das natürliche Interesse der Medien schon ab. Die Präsenz-Süchtigen wie Erika Steinbach, Wolfgang Bosbach oder Katja Suding müssen da schon einiges unternehmen, um im Gespräch zu bleiben.
Sie bombardieren die Medien regelrecht mit Kommentaren zu allem; stets in der Hoffnung Aufmerksamkeit zu erregen.
Es gibt Kollegen, die erheblich wichtigere Arbeit leisten und dennoch öffentlich nahezu unbekannt sind.

Ganz am Rande bemerkt: Bei TV-Journalisten gibt es ähnliche Extreme. So vergeht keine Woche, in der ich nicht in einer der Hamburger Zeitungen die Tagesschau-Sprecherin Judith Rakers vorfinde, die offenbar manisch von Klatsch-Event zu Klatsch-Event rast.
Es gibt Kollegen von ihr, Susanne Daubner zum Beispiel, die das niemals tun.

Wenn einer so bekannt ist wie die Politiker der ersten Kategorie, kann sich auch der Polit-Konsument nicht dem Sog entziehen eine persönliche Sympathie oder Antipathie zu entwickeln.
Natürlich sickern immer mal wieder Details aus dem persönlichen Umfeld durch, die zwar politisch völlig irrelevant sind, die man aber unbewußt doch mitbewertet.

So war mir Helmut Schmidt schon deswegen immer etwas sympathischer als üblich, weil er so unprätentiös war. Luxus interessierte ihn nicht. Er ließ sich nie mit Titeln anreden und behandelte die Zeitungsverkäuferin genauso höflich wie einen Staatspräsidenten. Seine Ehefrau sah er ganz offensichtlich als geistig ebenbürtige Diskussionspartnerin an.
Was man über seinen Nachfolger im Amt aus dem persönlichen Umfeld weiß, ist so ziemlich das Gegenteil. Kohl behandelte seine ganze Familie mies, entwickelte im Umgang mit Untergebenen eine sadistische Freude an der Demütigung, beharrte energisch auf förmlichen Ehren. Noch als er schon lange in Schimpf und Schande im Spendensumpf versunken war, reagierte er demonstrativ nicht auf die Anrede „Herr Kohl“ und belehrte lang vertraute Journalisten er kenne keinen „Herrn Kohl“, sondern lediglich einen „Herrn Bundeskanzler Kohl und einen Herrn DOKTOR Kohl“.

Streng genommen sagt auch das wenig bis nichts über die politische Eignung aus, aber es fällt mir schwer auszublenden, daß ich eins sehr viel sympathischer als das andere finde.

Im Umgang mit der Presse war der gestern gestorbene Guido Westerwelle sicher einer von der Sorte Guttenberg/Leyen, der geradezu exzessiv nach Aufmerksamkeit gierte.
Die BUNTE war jahrelang Westerwelles einziger Maßstab.

Das Fachblatt für Seichtes, Sachfremdes und Verblödung, die BUNTE aus dem Hause Burda, ist das erfolgreichste Klatschmagazin Deutschlands.
Mit einer Reichweite von über vier Millionen Lesern kann Chefradakteurin und Markwort-Lebensgefährtin Patrizia Riekel mit ihren oftmals fernab der Wahrheit angesiedelten Berichten durchaus politisch relevant sein.

Nur mit ihrer maßgeblicher Hilfe konnte Lügenbaron von und zu Guttenberg (Kunduz!) zum beliebtesten Politiker Deutschlands aufsteigen.
Die stets perfekt in Szene gesetzten Brüste seiner Ehefrau Stefanie - eine geborene Gräfin von Bismarck-Schönhausen wie BUNTE nie vergisst demütig zu erwähnen - kompensieren die fehlenden politischen Erfolge ihres Mannes.

Eine endlose Folge von Hochglanzphotos des adeligen Promi-Paars dürfte auch den konservativen Verleger und CDU-Bundespräsidentenwahlmann Hubert Burda erfreut haben, der seinen Parteien stets eine große Hilfe ist.

Frau Riekel geht nicht unkreativ vor.
Eine ihrer besten Ideen war das vor einigen Jahren eingeführte „Promi-Register“, das in jeder Ausgabe des Yellowpress-Flaggschiffs alle erwähnten Möchtegern-Wichtigen alphabetisch aufzählt.
So muß ein Pressesüchtiger nicht erst umständlich das ganze Heft durchblättern, sondern kann auf einen Blick erkennen, ob er wieder „drinsteht“!

König dieser Disziplin ist zweifelllos Guido Westerwelle, der seit Jahren in keiner einzigen BUNTE-Ausgabe fehlt.
Mögen seine Kollegen auch noch so viel Akten studiert und Hintergrunddiskussionen geführt haben - Guido raste wie besessen von einem Ball zur nächsten Eröffnung.
Kein Boulevardevent, keine Friseursalon-Einweihung, keine Gala, die ohne den FDP-Chef stattfand.
Erst nachdem er Außenminister wurde, kam es einmal zu einem Register-Novum: unter dem Buchstaben „W“ kein Guido!
Es blieb aber bei einer Ausnahme.
Auch in der aktuellen Ausgabe ist wieder ein Westerwelle-Bild.

Das Eventleben des Guido W. war die logische Entsprechung seiner politischen Konzeptionslosigkeit. Außer „Steuern runter“ hatte er rein gar nichts anzubieten. Dafür war er aber privat immer presse-präsent.
Die Antipode Trittin hielt sich privat aus den Medien fern, grübelte stattdessen über politischen Lösungen.
So gibt es von Trittin ein wegweisendes und kluges Buch „Stillstand made in Germany“, so wie sich auch sein Kollege Joschka Fischer mehrere Jahre vor 1998 intensiv in die Außenpolitik eingearbeitet hatte und seine Erkenntnisse in Buchform Für einen neuen Gesellschaftsvertrag. Eine politische Antwort auf die globale Revolution vor der Bundestagswahl vorgelegt.
Inzwischen veröffentlichte Fischer weit über ein Dutzend politische Bücher.

Westerwelle tat nichts dergleichen. Er war so von sich überzeugt, daß er im höchsten Maße ahnungslos ins Außenamt stolperte und dort zu allem Übel auch noch verkündete er werde sich nicht darauf beschränken sich ein paar schöne Jahre im Außenamt zu machen, sondern auch Innenpolitik betreiben. Westerwelle hielt Außenpolitik also offensichtlich für ein minderwichtiges Hobby, das man nebenher betreiben könne.

Nachdem mein gestrigen Posting auf FB hart kritisiert wurde, habe ich noch mal intensiv nachgedacht, ob er eigentlich IRGENDETWAS GUTES POLITISCH bewirkt hat.
Aber mir will nichts eingefallen. Westerwelle hatte keinen positiven Einfluss auf die deutsche Politik.

Er kann natürlich theoretisch dennoch ein ganz lieber freundlicher Ehemann gewesen sein.

Erstaunlich viele der Nachrufe beschwören seine menschliche Güte, daß er privat so anders gewesen wäre.

Aber die Privatperson G.W. kenne ich nicht und es steht mir nicht zu sie zu beurteilen.
Für mich ist nur der Politiker relevant.
Und ich halte es für positiv den Politiker Westerwelle nicht mehr als relevante Kraft in der Bundespolitik zu haben.

Freitag, 18. März 2016

Politik und Pietät



"Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der die Sache regelt - und das bin ich."
(G.W. 4. Mai 2001)

Heute Nachmittag, ich war immer noch ohne Internet, mußte ich mir aus dem schrecklichen „NTV“ aktuelle Nachrichten besorgen und geriet in eine Sondersendung zum Tode Guido Westerwelles.

Übermäßig überrascht war ich nicht, denn schon vorletzte Woche hatte ich mehrfach gelesen, daß Westerwelle zurück ins Krankenhaus mußte und auf der Intensivstation läge. Das ist, auch ohne irgendwelche medizinischen Details zu wissen, ein ganz schlechtes Zeichen für einen Menschen mit Leukämie.

Der NTV-Moderator (Michael Weber? Ich kenne mich nicht so aus bei den privaten deutschen Nachrichtensendern) telefonierte mit Westerwelles Vorvorgänger, dem Ex-Außenminister und Ex-FDP-Parteichef Klaus Kinkel.
Eine Frage zielte darauf, ob der heute Verstorbene ein guter Außenminister gewesen sei oder ob er nicht eher das Amt geschrumpft hätte. Er hätte doch lieber Finanzminister werden sollen 2009.
Kinkel, wahrlich kein diplomatischer Mensch, der in seiner Amtszeit mit Tobsuchtsanfällen in Jerusalem oder der peinlichen Schal-Verweigerung mit dem Dalai Lama aufgefallen war, ließ sich immerhin nicht auf das Niveau herab.
Er kritisiere seinen Nachfolger nicht an dessen Todestag und im Übrigen habe er selbst zusammen mit Genscher 2009 Westerwelle geraten das Außenamt zu beanspruchen.
Faire Geste Kinkels.

So viel Pietät muß schon sein, daß man nicht im Fernsehen wenige Stunden nach so einer Todesnachricht heftig nachtritt.
Und klar ist es für den hinterbliebenen Ehemann Mronz großer Mist.
(Mist ist es übrigens auch, wenn einige Politkollegen immer noch peinlich das Wort „Ehemann“ vermeiden und stattdessen betont nur von „Lebensgefährten“ sprechen.)

Die Karriere Westerwelles endete tatsächlich tragisch. Vom größten Wahlerfolg der FDP aller Zeiten (2009 fast 15% bei der Bundestagswahl) durch die erste Regierungsamtsübernahme die eigene Partei erstmals aus dem Parlament zu kegeln (2013 waren es nur noch 4,8% bei der Bundestagswahl), dann eine fiese Krebsdiagnose zu bekommen und während man zusieht wie ausnahmslos alle FDP-Ministerkollegen als Lobbyisten richtig Kasse machen, langsam zu sterben, ist schon brutal.

In den TV-Rückblicken wurden zwar Westerwelles Peinlichkeiten aufgelistet – Guidomobil, Spaßwahlkampf 2002, BigBrother-Trash-TV, Projekt 18 auf den Schuhsohlen, Weigerung englisch zu sprechen, etc – aber dann folgte gebetsmühlenartig das Preisen seiner Talente. Ausnahmepolitiker, größtes Talent der letzten 20 Jahre, bester Bundestagsredner, professionellster Wahlkämpfer.

Einer der begabtesten, umstrittensten, erfolgreichsten Politiker der letzten zwei Jahrzehnte ist tot.

Ja, man soll nicht schlecht über Tote reden.
Das bedeutet aber nicht, daß man völlig frei Belobigungen erfinden muß.

Die Lobhudeleien von heute machen vielmehr klar wie es überhaupt dazu kommen konnte, daß ein Mann mit einer Partei ganz ohne Programm, ohne seriöse Strategie, deren einziges Ziel es war gegen Millionen-Spenden Lobbyforderungen durchzusetzen, zum Vizekanzler Deutschlands werden konnte.
Die Journaille war um die Jahrtausendwende so extrem dem Neoliberalismus verfallen, daß damals auch STERN und SPIEGEL geradezu manisch gegen die vermeidlich viel zu linken und zu staatsgläubigen Schröder und Fischer anschrieben.

"Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein"
(G.W. 11. Februar 2010 zur Hartz IV-Debatte)

Alle wollten wie heute die US-Republikaner den Staat abschaffen, alle öffentlichen Betriebe privatisieren, kommunale Versorger verkaufen, Spekulanten und Börsianer ins Land holen.

"Hier steht die Freiheitsstatue dieser Republik."
(G.W. 15. Juni 2007 auf dem Stuttgarter Bundesparteitag zur Einschwörung seiner Partei auf den Liberalismus)

Das Kundengeschäft der deutschen Banken wurde geschliffen, Service und Kleinsparer wurden durch Filialschließungen vergrault und dafür gab sich nicht nur die Deutsche Bank voll und ganz dem Investmentbanking hin.
Staatliche Rentenversicherung war out, jeder sollte privat vorsorgen. Im großen Maßstab wurden dem deutschen Michel geraten Telekom-Aktien zu kaufen, sich Maschmeyers AWD-Finanzprodukte zuzulegen.
Immer dramatischer warnten Gabor Steingart (SPIEGEL) und Hans-Ulrich Jörges (STERN) vor dem Untergang Deutschlands, wenn nicht bald Merkel und Westerwelle die Regierung übernähmen und die totale Marktliberalisierung in Gang setzten.

Ich bin fest davon überzeugt, daß kein Politiker Deutschland im letzten Vierteljahrhundert so massiv geschadet hat wie Guido Westerwelle.
Die radikale Chancenungleichheit, das stetige Auseinanderdriften von arm und reich, die gewaltige Vermögenskonzentration, der Verfall der Infrastruktur, die katastrophale Unterversorgung der Schulen und kommunalen Sozialeinrichtungen, die falsche Weichenstellung in der Energiepolitik, Forcierung der Rüstungsexporte, die generelle Lobby- und Beraterhörigkeit – all das was zu den Hauptproblemen unserer Zeit führte, geht zurück auf die Westerwelle-Ideologie.

In diesem Blog habe ich hundertfach das katastrophale Versagen Westerwelles als Außenminister und Vizekanzler beschrieben, das will ich aus Pietätsgründen nicht ausführlich in Erinnerung rufen.

Es ist in Ordnung Westerwelle heute in einem günstigen Licht darzustellen, mitfühlend zu sein und zu versuchen seine positiven Seiten herauszuarbeiten.

Aber das sollte schon so einigermaßen an der Realität orientiert sein.
Der völlig frei drehende  Ulf Poschardt liefert mal wieder ein Meisterstück der Parallel-Realität ab:

Der ewig Unterschätzte veränderte die Republik!
Er polarisierte immer: Guido Westerwelle erfand die FDP neu, war einer der besten Oppositionsführer und ein wegweisender Außenpolitiker.
[….]  Als offen schwuler Vizekanzler war er Teil des wohl progressivsten Kabinetts der Bundesrepublik: mit einer Frau als Kanzlerin (Tochter eines Kommunisten, kinderlos, Naturwissenschaftlerin), einem Schatzkanzler im Rollstuhl, einem Vietnamesen als Youngster.
[….]  Am Höhepunkt seines Wirkens hatte er bei der Bundestagswahl unglaubliche 14,6 Prozent für die FDP erkämpft. Das war die Rendite für seine Jahre als Oppositionsführer, virtuos, rhetorisch brillant, bei Regierung wie der Konkurrenz gefürchtet.
[….] Wir Deutschen werden ihn vermissen. Er hat viel für dieses Land getan.
(Die WELT, 18.03.2016)

Aber ein Wort noch zu Westerwelles Homosexualität.
Ihn jetzt auch a posteriori zu einem Vorkämpfer für Schwulenrechte zu machen, schlägt dem Fass den Boden aus.

Westerwelle stimmte im Bundestag stets gegen Homorechte, ließ die geouteten Politiker von Beust und Wowereit demonstrativ im Regen stehen und entdeckte das Thema „Schwulsein“ erst als er es als Keule gegen seine Kritiker benutzen konnte, denen er Homophobie unterstellte.

 Bevor sich Guido Westerwelle offiziell geoutet hatte, wußte „man“ schon lange, daß er schwul ist.
Das war insofern relevant, als die FDP und Guido selbst - übrigens bis heute - im Bundestag gegen gleiche Rechte für Homosexuelle stimmten.
Als Rot/Grün vor 12 Jahren die sogenannte „Homoehe“ erlaubte, sagte der Abgeordnete Westerwelle „Nein“.
Er sitzt auch jetzt einträchtig in einer Koalition, die gegen Ehegattensplitting und Adoptionen bei gleichgeschlechtlichen Paaren stimmt.
Nur outen kann man ihn nicht mehr, um seine Glaubwürdigkeit zu unterminieren. Es kennt sowieso jeder „Herrn Mronz“ und die Glaubwürdigkeit der Liberalen wurde schon vor Jahren restlos entsorgt.


Geradezu ätzend polemisch wird Broder bei der Bewertung von Guidos Entschluß künftig seinen Herrn Mronz nicht mehr in Länder mitzunehmen, die homophobe Gesetze haben.
Denn:

"Wir wollen den Gedanken der Toleranz in der Welt befördern. Aber wir wollen auch nicht das Gegenteil erreichen, indem wir uns unüberlegt verhalten." Man muss diesen Satz nicht zweimal lesen, um zu begreifen, was in ihm steckt: Toleranz ist eine feine Sache, aber wir sollten es mit ihr nicht zu weit treiben. Das ist mehr als eine der üblichen Politiker-Sprechblasen, es ist moralisches Harakiri in Zeitlupe, eine Schande.
(H.M. Broder am Freitag, den 13. August)

Recht hat er, der Broder.

Das Schlimme an Guido Westerwelle ist nämlich nicht nur seine Politik, seine Arroganz, sein beständiges Mäandern zwischen beleidigen und beleidigt sein.
Nein, ganz übel ist es auch, daß er eine Sache, die glücklicherweise KEIN Thema ist, nämlich ob er lieber mit Männlein oder Weiblein unter der Bettdeckle liegt, mutwillig wieder zum Popanz aufbaut.

Broder hat Recht - wieso nimmt Guido auf einmal übergroße Rücksicht auf Leute, die Homosexuelle gerne an Baukränen aufhängen?

Auch das Thema Homo-Toleranz, das man in einem einigermaßen liberalen Umfeld eigentlich klar bewerten können sollte, verhunzt Guido.
Westerwelle war es selbst der die „Homophobie-Keule“ rausholte, als er ZU RECHT dafür kritisiert wurde, daß er auf Dienstreisen ständig seine engsten Geschäftsfreunde und Familie mitnahm.
Vorbehalte gegen Schwule hatten mit der Kritik an Guidos Nepotismus-Eskapaden gar nichts zu tun.
Also sollte der Mövenpickmann das auch nicht da hinein mischen.
Das ist so wie eine Frau, die fälschlich einen Mann der Vergewaltigung bezichtigt, echten Vergewaltigungsopfern ins Gesicht schlägt, weil sie potentiell dafür sorgt, daß ihnen nicht geglaubt wird.

Es war immerhin Guido selbst, der 2008 (!) damit herausplatzte, wie er das Thema Homophobie auf die Agenda als AA-Chef setzen würde:

"Wenn ich mir ein solches Amt nicht zutrauen würde, hätte ich nicht Vorsitzender der FDP werden dürfen," sagte er in einem Gespräch mit dem stern. Westerwelle wäre der erste bekennende Schwule, der das Außenamt leiten würde. Ein Hindernis sieht der FDP-Chef darin nicht: "Die ganz große Mehrheit der Bevölkerung hat überhaupt kein Problem mit meinem Privatleben. Es würde unserer Außenpolitik übrigens gut anstehen, wenn sie diesen Geist der deutschen Toleranz in andere Länder tragen würde".
Im stern-Interview sprach Westerwelle sich explizit dafür aus, jenen Staaten die Entwicklungshilfe zu streichen, die Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelten "oder wo Männer und Frauen hingerichtet werden, nur weil sie homosexuell sind". Deutsche Außen- und Entwicklungspolitik müsse "immer auch die Vermittlung von freiheitlichen Werten sein".

(STERN-Interview 9. Dezember 2008)

Tja, selbst Schuld Herr Außenminister - nun müssen Sie sich auch mal an den Worten messen lassen.
Wie eigentlich alle FDP-Versprechen, außer der Milliarden-Beglückung des Barons von Fincks und reicher Erben, ist auch die homophile AA-Politik nur Makulatur.

Das ist eben nur Guido Westerwelle, ein zufällig schwuler Typ, der fast immer lügt, wenn er seinen Mund aufmacht und eine geradezu abstoßende Persönlichkeit hat.

Wenn Guido Homophobie wittert, sollte er sich vielleicht erst einmal an seine Wunschkoalitionspartner von CDU und CSU wenden.

Westerwelle gibt vor für Schwulenrechte einzutreten,
dabei hat er im Bundestag gegen das rot/grüne Lebenspartnerschaftsgesetz gestimmt.

Nun sitzt er als Vizekanzler an der Seite einer Kanzlerin, die seinerzeit vor das Bundesverfassungsgericht zog, um gegen die sogenannte „Homoehe“ (rot/grüne Lebenspartnerschaftsgesetz) zu klagen.
Noch heute sperrt Merkel sich gegen die „Homo-Adoption“.
Guido sitzt also im Kabinett mit Leuten zusammen, die ihm nicht die gleichen Rechte zugestehen, wie ihnen selbst.

Anders als in Riad oder Teheran, müßte er aber in Berlin nicht fürchten gehängt zu werden, wenn er dagegen protestierte.

Am 23. Oktober 2009 erklärte die bayerische Justizministerin Beate Merk voller Empörung, daß es auch Grenzen geben müsse!

"Es kann nicht sein, dass ein homosexuelles Paar ein Kind adoptiert.
Da ist der Rubikon überschritten!"

Das bizarre Alpenvolk hat nämlich noch im Jahr 2009 eine Regierung, die ein Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht anzettelte, um die böse Homoehe zu verhindern.
"Insbesondere eine Volladoption durch Lebenspartner wird es mit mir nicht geben", kündigte Merk an.

Homos sind nämlich bähbäh weiß die CSU.
In eine Koalition mit der FDP gezwungen, mußte Justizchefin Merk die in Karlsruhe anhängige Klage zwar widerstrebend zurückziehen, aber die Christsozialen vergaßen nicht klarzustellen, wie sie die Causa sehen:

“Ich glaube, dass die Ehe zwischen Vater und Mutter, dass die Familie mit Vater und Mutter die Zukunft ist, nicht etwas anderes, das ist die Moderne, und nicht eine Fehlentwicklung, die sich hoffentlich bald wieder legen wird.”
(Unions-Bundestags-Fraktionsjustizexperte Norbert Geis)

Schwule und Lesben sind eine „Fehlentwicklung“, also unnatürlich - soweit der K.O.alitionspartner von Guido Westerwelle.

Kein Problem für den obersten Diplomaten Deutschlands, der nun auch im Ausland nicht mehr „provozieren“ will.


Mittwoch, 16. März 2016

Anybody but Bush, anybody but Trump

Vorbemerkung:

Seit vorgestern fällt bei meinem Internetanbieter ständig das Netz aus.
Es ist eine erstaunlich schwierige Aufgabe heraus zu finden, an wen man sich wenden kann, wenn der Anbieter, mit dem man damals den Vertrag schloss längst von einem aufgekauft wurde, der wieder aufgekauft wurde und die Service-Hotlines nicht mehr existieren. Probleme soll man jetzt offenbar alle online melden. Das ist aber gar nicht so leicht, wenn das Problem ist, offline zu sein.
Inzwischen ist es mir immerhin gelungen herauszufinden, daß in Hamburg einige Tausend Haushalte betroffen sind und Techniker daran arbeiten.
Schön, es liegt also nicht an mir, aber sehr groß scheint der Elan nicht zu sein, das Problem zu beheben.
Bloggen ohne Internet ist jedenfalls schwierig.
Ich kann nur offline darüber schreiben, was ich aus TV und Zeitung weiß und durch ständige Versuche hoffen irgendwann doch ein paar Minuten online gehen zu können, um das hier in den Blog einzuspeisen.

Es ist so ähnlich, wie beim Stromausfall, den man erst selbst erleben muß, um sich wirklich vorstellen zu können wie ungeheuer lästig es ist, wenn kein elektrisches Gerät mehr geht.
Ich bin noch nicht in dem hospitalistischen Stadium, das sofort bei Teenagern eintritt, wenn man ihnen ihr Klugtelefon wegnimmt, aber mir dieser Internet-Abhängigkeit bewußt zu werden, deprimiert mich durchaus.


Gestern fanden in Amerika fünf sehr wichtige Vorwahlen statt, die dazu führten, daß Marco Rubio das Rennen aufgab und Bernie Sanders es noch schwerer hat Hillary Clinton zu schlagen.

Trump hat ordentlich abgeräumt, gewann Florida (99/99), Illinois (38/69), North Carolina (29/72), vermutlich Missouri (da wird noch gezählt) und verlor lediglich Ohio, wo der Gouverneur Kasich seinen ersten Sieg holte.

Die republikanische Partei hatte alles versucht, um diesen Trump’schen Durchmarsch zu stoppen, Zig Millionen Dollar hatten die Super-PACs in Negative Campaigning gesteckt und dennoch landete Rubio, der US-Senator in seinem eigenem Heimatstaat mit 27% ganz weit hinter Trump (47%).

Allein in Florida investierten diverse Gruppen laut Washington Post mehr als 15 Millionen Dollar, um den Wählern klarzumachen, dass Trump "unwählbar" sei. Das Ergebnis? Trump siegt mit knapp 20 Punkten Vorsprung.

Ein Desaster für alle, die in der GOP Donald Trump verhindern wollten, denn mit Rubios Aufgabe ist ihre letzte Hoffnung dahin.
Der Wunsch der Parteiführung, das Feld möge sich so verkleinern, daß sich Trumps Kontrahenten nicht mehr gegenseitig die Stimmen wegnehmen, kommt nun, da nur noch ein Wählbarer, nämlich John Kasich, übrig ist. Und Kasich liegt so weit zurück, daß er keine Chance mehr hat.
Wer Trump verhindern will, müßte mathematisch betrachtet, ganz im Gegenteil darauf hoffen, daß viele Gegner im Rennen bleiben, so daß keiner vor der Republican National Convention (18.-21. Juli 2016) in Cleveland, Ohio eine absolute Mehrheit der Delegierten mitbringt.
Dann würde Trump nicht mehr im ersten Wahlgang gewählt werden können und im zweiten Wahlgang wären alle Stimmberechtigten von ihren Personenbindungen befreit.

Nun aber steigen Trumps Chancen durch Rubios Ausscheiden. Auch die Chancen des Ted Cruz steigen dadurch, denn er könnte bis Juli mehr Evangelikale an sich binden.
Cruz ist aber unter den ehemals 17 Kandidaten der einzige, der noch rechtsextremer, fantaischer und religiöser als Trump ist. Er wird in der GOP leidenschaftlich gehasst.

Insofern ist die Situation keineswegs mit der Anybody-but-Bush-Kampagne von 2004 zu vergleichen. Damals reichte unsere Phantasie einfach noch nicht aus, um sich vorzustellen, daß jemand eine noch verheerendere US-Regierung abgeben könnte als die GWB-Administration.
Inzwischen mußten wir aber sehr schmerzlich erfahren, daß diese aggressiv-faschistoide GOP, die einen „war on Washington“ führt, auch Typen wie Cain, Fiorina, Bachmann, Palin, Carson und eben Cruz aufbietet.

Ich glaube nach wie vor, daß Cruz noch gefährlicher für den Weltfrieden ist, weil er ein fanatischer Ideologe ist.
 Mich stört weniger, daß er noch mehr lügt als Trump. Schlimm ist seine Verbohrtheit, mit der er zum Scheitern verurteilte Überzeugungen vertritt.
Zudem führt seine eleminatroische Religiosität zu noch weit brutalerem Minderheitenhass als bei Trump, dem er vermutlich persönlich recht egal ist, ob Schwule heiraten oder irgendjemand abtreibt.

Die Republikaner-Chefs wollen Trump aufhalten, weil sie ihn nicht einschätzen können und sich fürchten was er anrichten könnte.
Aber sie haben sich inzwischen selbst abgewickelt und einen bösartigen Mob an ihrer Basis entfacht, den sie nicht mehr kontrollieren können.

Vielleicht können die Republikaner noch aus eigener Kraft verhindern, dass Trump in ihrem Namen antritt. Allerdings ist das nicht sicher. Die einst große, rational konservative Republikanische Partei mit ihrem Übervater Abraham Lincoln ist in den vergangenen zwanzig Jahren zu einer nach innen gewandten, gegen das vermeintliche Monster Washington gerichteten rechtspopulistischen Bewegung mutiert.
Deswegen ist Donald Trump auch so etwas wie die logische Folge aus all den Jahren, in denen Leute wie Newt Gingrich und Donald Rumsfeld, Sarah Palin und Paul Ryan der neuen, aggressiven, eher fundamentalistischen Republikanischen Partei Gesicht und Stimme gegeben haben.

Traditionelle GOPer sehen sich mit ein paar sehr widersprüchlichen Fakten konfrontiert.
Trump bringt einerseits jede Menge neuer GOP-Fans an die Vorwahlurnen und stärkt so die Partei. Andererseits sind diese Trumplinge nicht rational beeinflussbar und fanatische Anhänger.
Würde Trump nicht der offiziell nominierte GOP-Präsidentschaftskandidat, würden sie auch nicht automatisch für einen anderen GOP-Kandidaten stimmen.
Würde Trump aber Kandidat, gäbe es unter den klassischen GOP-Anhängern bis zu 25%, die ihn so stark ablehnen, daß sie womöglich sogar den demokratischen Opponenten wählen.
Reince Priebus, Chairman of the Republican National Committee, kann es also nur noch verkehrt machen, denn in beiden Fällen wird er bei der general election Anhänger verlieren.

Neben dem Trump-Wirbel steht aber ein weiteres Problem ins Haus.
Im November 2016 wird auch das gesamte House neu gewählt. Dort könnten die GOPer vermutlich zwar die Mehrheit behalten, da die Wahlkreise so absurd geschnitten sind, daß sie fast nie die Farbe wechseln. Aber es wird auch ein Drittel des extrem mächtigen Senats neu gewählt. Das sind 34 Senatoren; davon 24 Republikaner.
Diese müssen dann immerhin mitten in der mutmaßlichen Trump-Polarisierung die Mehrheit eines ganzen Staates gewinnen.
Wenn nur fünf von ihnen verlieren, ist die republikanische Mehrheit im Senat dahin und damit im Falle eines demokratischen Präsidenten auch die Blockade-Möglichkeit für die Ernennungen im Supreme Court.

Aus GOP-Sicht ist das außerordentlich riskant, denn mit einem auf liberal gedrehten obersten Gericht könnte auf Jahrzehnte die politische Agenda gegen sie bestimmt werden.

Es könnte aber auch sein, daß Trump tatsächlich Präsident wird.
Dann Gute Nacht, Amerika.
Für den Rest der Welt wäre es allerdings nur die zweitschlimmste Option – nach einem Präsidenten Ted Cruz.