Mittwoch, 21. Dezember 2016

Nur so eine Idee.



In einer kleinen Stadt an der ostfriesischen Küste gibt es ein sagenhaft gut sortiertes Wollgeschäft, welches seit Jahrzehnten von einer Spanierin geführt wird.
In der Gegend gibt es eine riesengroße iberische Gemeinde, da die Fischfabriken in und um Cuxhaven fast nur spanische und portugiesische Arbeiter beschäftigen. (Einer dieser Jobs, für die sich Deutsche zu fein sind.)
Man eröffnet nicht unbedingt in der niedersächsischen Provinz einen Wollladen, wenn man plant irgendwann Multimilliardär zu werden und die Weltherrschaft zu übernehmen.
Häkeln und Stricken ist aber kontemplativ. Auch wenn man nicht reich wird, hat man vielleicht mit so einem Laden sein finanzielles Auskommen und führt ein zufriedenes Leben.
Seit einigen Jahren ist Stricken wieder extrem in Mode gekommen.
Man strickt nun nicht mehr, weil gekaufte Pullover zu teuer sind, sondern betrachtet es als reine Entspannungsmethode. In der hektischen Smombi-Welt ist das der Megatrend: Offline sein und dann irgendetwas mit den Händen machen: Ausmalbücher kolorieren, Handarbeiten oder Sudokus lösen.
Wie schön für die Spanierin; auf ihre alten Tage kommt noch mal eine ordentliche Belebung ins Geschäft.
Dachte ich zumindest.
In Wahrheit verliert sie so massiv Kunden, daß der Laden bald schließen muß.
Dabei ist die Bude immer voll; weil jeder weiß wie gut sie sich mit Strickmustern und komplizierten Häkelabläufen auskennt.
Die Leute kommen mehr denn je zu ihr und fragen sie um Rat. Nur kaufen sie nichts mehr, weil sie erstaunlicherweise zufällig alle gerade größere Mengen Wolle von jemand geschenkt bekommen haben.

In Hamburg gab es diesen Effekt schon vor vielen Jahren.
Als es in der Stadt noch diverse Elektronik-Fachgeschäfte gab, erzählte mir mein Friseur eines Tages voller Stolz; er sei über eine Stunde bei Brinkmann gewesen, um sich ausführlich über Waschmaschinen beraten zu lassen und dann sei er rausgegangen und habe das Wunschobjekt im Internet bestellt; da habe es viel weniger gekostet. Mir schoss die Zornesröte ins Gesicht.
Die Ernst Brinkmann KG meldete 2001 Insolvenz an.

Selbstverständlich sind diese vielen kleinen Geschäfte, die Service und Beratung boten inzwischen alle tot. Nun gibt es nur noch Saturn und Mediamarkt, die beide dem METRO-Konzern gehören.
Hauptsache billig. Und wenn der Fernseher, das Notebook, der Föhn oder die Kaffeemaschine kaputt geht, schmeißt man das Gelumpe weg und kauft gleich was Neues. Es gibt ohnehin niemand, der ins Haus käme, um so etwas zu reparieren. Und wer will schon einen großen TV oder einen Staubsauger zurück zu SATURN schleppen, um in der Reparaturabteilung eine Nummer zu ziehen, drei Stunden zu warten, um dann zu erfahren, das müsse jetzt erst mal eingeschickt werden und man solle schon mal den Kostenvoranschlag zur Reparatur in Höhe von EUR 170,00 bezahlen?

Jeder beklagt das Sterben der inhabergeführten Geschäfte, in denen es Bratung und Service gibt. Jeder kann abendfüllend die abstrusesten Erlebnisse mit Paketlieferdiensten erzählen, sich über Paketboten ärgern, die gar nicht erst klingeln. Es jammert auch jeder über die verstopften Straßen, weil an jedem zweiten Haus gerade ein DHL-, GLS-, DPD-, Hermes- oder UPS-Wagen in zweiter Reihe hält.
Es will nur keiner den Zusammenhang mit dem eigenen Konsumverhalten erkennen.

Gerade diese Woche erlebte ich wieder eine absolut haarsträubende Geschichte mit einer Paketlieferung, die mich zehn Jahre altern ließ.
Man kann noch nicht mal einen gesunden Hass auf die Paketboten entwickeln, weil klar ist, daß sie arme unterbezahlte Schweine sind, die jeden Tag 12 Stunden racken und am Ende des Monats ungefähr auf HARTZ-Niveau rauskommen.

Könnte man nicht wenigstens die Beschäftigten in der Lieferbranche anständig bezahlen, wenn die deutsche Bundesregierung schon nicht in der Lage ist die ganz großen Versender dazu zu bringen Steuern zu zahlen?
IKEA und AMAZON haben sich bekanntlich in Steueroasen abgesetzt und zahlen auf ihre gewaltigen Milliardengewinne quasi keine Steuern.

Wären die Konsumenten tatsächlich an Nachhaltigkeit interessiert und verhielten sich klug, dann könnten sie wenigstens die schlimmsten Ausbeuterkonzerne meiden.
Aber das ist hoffnungslos. Hauptsache billig.

Da der Verbraucher zu doof ist, sollte der Gesetzgeber aktiv werden.
Mir schwebt ein von Großversendern zu zahlendes Mindestporto von 15 Euro vor. Oder 17, oder 20 Euro.
Es muß so wehtun, daß die Paketlieferanten erheblich besser bezahlt werden und daß sich Kunden genau überlegen, ob sie nicht doch lieber die Wolle im Laden nebenan kaufen, statt das 19 Cent billigere Knäul bei Amazon zu schießen.

So ein Mindestpaketporto beträfe natürlich nur Geschäftskunden, so daß Oma Kowalski ihrem Enkel weiterhin die selbstgebackenen Kekse sehr günstig schicken kann.

Dienstag, 20. Dezember 2016

Im Spin-Room



Gut möglich, daß ich die Vergangenheit idealisiere.
Aber gab es nicht mal Zeiten, in denen bei Katastrophen aller Art zunächst neutral berichtet, anschließend von Experten analysiert und schließlich von Klugen kommentiert wurde?

Inzwischen sind aber die Reaktionen auf die Nachricht die eigentliche Nachricht.
In TV-Nachrichtenstrecken unterläßt man es eigene journalistische Kompetenz zu zeigen und blendet stattdessen Tweets relevanter und noch mehr irrelevanter Personen ein.

Beispielsweise auf sueddeutsche.de gibt es zwar noch einen Artikel „Was wir über die Tat wissen und was nicht“, aber ich muß das eigentlich gar nicht mehr anklicken. Mir reicht das, was ich in den Überschriften aufgeschnappt hatte: Berlin, Weihnachtsmarkt, LKW in Menge, 12 Tote.

Mehr Fakten braucht niemand. Während die Einsatzkräfte noch zwischen den Leichen und Verletzen knien, fährt die „wie schlage ich daraus Kapital?“-Maschine blitzschnell auf 100% Leistung.

Ja, natürlich haben die paar Extrarationalen vollkommen Recht, die 12 Tote durch einen mutmaßlichen Anschlag in Relation zu anderen, größeren Todeszahlen setzen. So viele Menschen sterben jeden Tag im deutschen Straßenverkehr; es sterben sogar weit mehr Menschen in Deutschland täglich durch Ärztepfusch und noch mehr durch Hygienemängel in Krankenhäusern, weil die Politik vor der Lobby eingeknickt ist. Bekanntlich kann man MRSA-Infektionen, also das myriadenfache Sterben durch multiresistente Krankenhauskeime auch verhindern – das zeigt Holland. Aber das würde Geld kosten, mehr Personal erfordern und somit die Milliardengewinne von Typen wie Bernd große Broermann schmälern.
Die Oma von nebenan, die nach einer Knie-OP an Wundinfektionen stirbt, weil im Asklepios-Krankenhaus siffiges OP-Besteck benutzt wurde, ist aber politisch schlecht auszunutzen.

Terrortote in Berlin (Hauptstadt! Merkel!) zur Weihnachtszeit (Christlich! Friedlich!) in Zusammenhang mit einem Flüchtling (Muslim! Asylantenflut!) sind wesentlich wertvollere Leichen. Damit kann man etwas anfangen.

Lange Partynacht: Anwohner von AfD-Parteizentrale beschweren sich über Ruhestörung
Berlin (dpo) - Was war da denn los? Die Berliner Polizei hat in der Nacht von Montag auf Dienstag um kurz nach 22 Uhr mehrere Anrufe wütender Anwohner erhalten, die sich über lauten Partylärm aus der AfD-Parteizentrale in der Schillstraße beschwerten. Die Polizei musste mehrfach anrücken und löste die Feierlichkeiten schließlich in den frühen Morgenstunden auf.
"Ich wollte mich gerade schlafen legen, da höre ich plötzlich diesen Krach, als wenn einer mit einem Maschinengewehr rumballert", erzählt uns ein Anwohner. "Nach einer kurzen Schrecksekunde wurde mir bewusst: Das sind Sektkorken! Dann wurde Musik laut aufgedreht und herumgegrölt. Ich habe dann die Polizei alarmiert."
Im Laufe des Abends erhielt die Polizei weitere Anrufe von Anwohnern, die sich über Jubelgeschrei, lautstarkes Gelächter und ohrenbetäubende Musik aus der AfD-Parteizentrale beschwerten. Die Beamten müssen mehrfach ausrücken und die Feierwütigen dazu ermahnen, die Musik leiser zu stellen – vergeblich. [….]

Die üblichen Verdächtigen recken ihre kotbraunen Twitterfingerchen und legen los.


Längst sind es nicht mehr nur oppositionelle Fascho-Populisten, die genüsslich ihre demagogischen Werbesprüche in die Welt ballern.

Der zukünftige US-Präsident handelt genauso, ist für diese Methoden sogar gewählt worden.

Zehn Etagen unter dem menschlichen Mindestanstand agitieren aber auch Politiker der in Bayern mit absoluter Mehrheit gewählten CSU.


Deutsche Profipolitiker anderer Parteien versagen aber auch bei ihren öffentlichen Reaktionen. Bis auf wenige.

Ulrich Schulte: Auf eine solche Tat haben die Rechtsextremen gewartet?

Konstantin von Notz: Diejenigen, die unsere liberale und offene Gesellschaft spalten und den Rechtsstaat beschädigen wollen, werden versuchen, den Anschlag zu instrumentalisieren. Sie versuchen es jetzt schon. Islamisten und Rechtsextreme kochen dabei übrigens dieselbe Suppe. Sie versuchen, aus Angst Profit zu schlagen.

Ulrich Schulte: Der nordrhein-westfälische AfD-Landeschef Marcus Pretzell twitterte kurz nach dem Attentat, dies seien „Merkels Tote“. Sollte man solche Provokationen ignorieren – oder verurteilen?

Konstantin von Notz: Politische Widerlichkeit ist wählbar und heißt AfD. Pretzell macht nicht mal den Versuch, seine abgründigen Interessen zu kaschieren. Das spricht für sich selbst. Demokratische Parteien dürfen sich die Debatten nicht von der AfD aufzwingen lassen, aber eben auch nicht schweigen, wenn sich Rechtsextreme im Leid der Opfer und der Angst der Menschen suhlen.

Lügenminister de Maizière, der schon seit anderthalb Jahren Flüchtlingen genauso pauschal wie faktenwidrig alles Negative unterstellt, verkündete zunächst einmal, er bete für die Opfer.


Das ist an Schwachsinnigkeit kaum zu unterbieten. Schließlich ist Religion mit ihrer rechthaberischen und jenseitsgläubigen „wir sind besser als die“-Haltung die Ursache der Gewalt.
Der deutsche Innenminister will nun also das Übel mit mehr Übel bekämpfen.
Mit Beterei, also der Ausrede von Menschen, die nicht tatsächlich helfen wollen.






Einen Tag später schrieb de Maizière doch tatsächlich "Herr, gib ihnen die Kraft..." in das Kondolenzbuch. Dem Mann ist nicht mehr zu helfen.

Mein nachbarlicher SPD-Ortverein Eppendorf verbreitete auf Facebook schwarzen Trauerfloor mit dem Hashtag #PRAYFORBERLIN.
Auch bei denen also intellektuelle Schlichtheit. Sie preisen das Gift als Medizin, welches den Schaden angerichtet hat. Wir brauchen nicht mehr Gebete, sondern weniger.


Eigentlich unnötig zu erwähnen, aber da sie nun mal die deutsche Regierungschefin ist: Merkel blamiert sich selbstverständlich, wenn sie es menscheln lassen soll.
Von ihr kommen kryptische Sätze, auch wenn man gutmeinend ahnen könnte, daß sie es eben nicht so mies und populistisch wie Kollege Seehofer machen wollte:

Sollte sich bestätigen, dass es sich bei dem Täter um einen Flüchtling gehandelt habe, wäre es nach Merkels Worten "für uns alle besonders schwer zu ertragen". "Dies wäre besonders widerwärtig gegenüber den vielen Deutschen, die tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind", sagte Merkel, "und gegenüber den vielen Menschen, die unseren Schutz tatsächlich brauchen und sich um Integration in unser Land bemühen."

Gilt das auch für die Verletzten und Angehörigen der Opfer?
Wären die fröhlich und erleichtert, wenn sich herausstellen sollte, daß sie nur von einem normalen Irren und keinem Muslim massakriert wurden?
Das dachte sich vermutlich auch die in Berlin die U-Bahntreppe heruntergetretene Frau mit dem gebrochenen Arm, als sie erfuhr von einem CHRISTEN attackiert worden zu sein: „Habe ich ein Glück gehabt!“

Fairerweise will ich nicht verschweigen, daß es auch kluge und besonnene Reaktionen gibt.
Aber das sind weitgehend wieder nur die paar offiziell bekannten Atheisten, die nur in sehr wenigen FACEBOOK-Bubbles wahrgenommen werden. Michael Schmidt-Salomon passiert die meisten Facebook-Filter gar nicht erst.

 [….] Die Nachricht von der Tragödie auf dem Berliner Weihnachtsmarkt war gerade erst über die Ticker gelaufen, da wusste der Landeschef der AfD in Nordrhein-Westfalen Marcus Pretzell bereits, wer die Schuld daran trägt. Via Twitter verkündete Pretzell zu einem Zeitpunkt, als nicht einmal ansatzweise klar war, ob es sich bei den dramatischen Ereignissen an der Gedächtniskirche um einen Unfall, einen apolitischen Amoklauf oder einen terroristischen Anschlag gehandelt hatte: "Wann schlägt der deutsche Rechtsstaat zurück? Wann hört diese verfluchte Heuchelei endlich auf? Es sind Merkels Tote!" Dabei übersah der AfD-Politiker allerdings, dass gerade er und seinesgleichen den Terroristen in die Hände spielen. Denn Rechtspopulisten zählen – wenn auch unfreiwillig – zu den wichtigsten Verbündeten der Islamisten im globalen Dschihad.
Die islamischen Gotteskrieger verfolgen eine perfide und bislang sehr wirkungsvolle Strategie, die in zahlreichen, u.a. im Internet verbreiteten Schriften nachzulesen ist: Da sie nicht die Mittel besitzen, die westlichen Demokratien militärisch ernsthaft zu gefährden, sollen viele terroristische Einzelaktionen die Bürgerinnen und Bürger in Angst und Schrecken versetzen und entsprechende Aversionen gegen "die Muslime" wecken, was wiederum zu einer weiteren Radikalisierung unter Muslimen führen soll.
Den Masterplan für diese Strategie hat der einflussreiche Islamist Abu Musab al-Suri in seiner 1.600-seitigen Propagandaschrift "Aufruf zum weltweiten islamischen Widerstand" dargelegt. Darin heißt es: "Wenn wir zwölf Angriffsteams in der gesamten islamischen Welt bilden könnten und jedes dieser Teams würde eine Operation im Jahr ausführen, dann gäbe es jeden Monat einen Angriff. Wenn sie zwei Operationen schaffen, wäre das alle fünfzehn Tage ein Angriff." [….][….][….]



Montag, 19. Dezember 2016

Im Spiegelglück



Es ist ein ewiger und nicht zu gewinnender Kampf gegen die tägliche Flut der Zeitungen/Nachrichten. Es sammelt sich und stapelt sich wie von selbst herum um mich.
Da ist es ein unerwarteter Zeitgewinn, wenn DER SPIEGEL gleich zweimal nacheinander mit einer für mich vollkommen uninteressanten Titelgeschichte kommt, für die ich keine Sekunde Zeit aufwenden muß.
So geschehen am 03.12.2016 „Football Leaks – die Geldmeister. Enthüllt: Die schmutzigen Geschäfte der Fußball-Superstars“ und am 10.12.2016 „Bundesliga intern. Football Leaks: Die geheimen Verträge der Profis.
Perfekt. Es gibt ohnehin nichts uninteressanteres und proletigeres als Fußball.
Daß die tausendfach überbezahlten, wehleidigen Deppen mit ihrem Small-Penis-Superluxussportwagen und den immer gleichen operierten Model-Freundinnen nicht mit ihren Einnahmen mauscheln, wäre eine Meldung gewesen.
Kann so weitergehen mit dem Spiegel.
Die Überraschung aber in der nächsten Ausgabe vom 17.12.2016.
Titelthema Asklepios-Konzern.


Der Hauptartikel beschäftigt sich zudem auch noch fast ausschließlich mit dem AK St. Georg, das ich sehr viel besser kenne, als mir lieb ist.
Was haben wir in dem Ding schon erlebt.
Und wie heftig habe ich mit meinem Anwalt gestritten, weil er unbedingt wollte, daß ich Klage gegen die Klinik und den Chefarzt einreiche; Klagen mit hoher Gewinnchance.
Ich habe mich aber immer dagegen entschieden, weil die Erfahrungen dort über Monate schon in jeder Hinsicht so extrem unerfreulich waren, daß ich mich psychisch nicht in der Lage sah, das alles noch mal aufzurollen.

Immerhin habe ich in diesem Blog seit zehn Jahren regelmäßig immer wieder Horrorgeschichten über Asklepios geschrieben, mich an der grausamen Behandlung der Patienten abgearbeitet, die abartige Bereicherung des Besitzers Bernd große Broermanns beklagt und voller Empörung auf die politischen Verantwortlichen Peiner und Beust gezeigt.

DER SPIEGEL fasst dazu recht eindrucksvoll die Methoden zusammen, wie der Asklepios-Konzern seine Mitarbeiter mit zweifelhaften Methoden dazu drängt mehr Geld aus den Patienten zu quetschen und nicht bei der eher nebensächlichen Heilung von Kranken Zeit zu verschwenden.
Broermannwohl vor Patientenwohl heißt die oberste Regel in den Asklepios-Krankenhäusern.
Ein lesenswerter Artikel. Jeder sollte sich diese Woche den SPIEGEL kaufen.
Erfreulich klar auch die Auskünfte darüber was für einen geradezu grotesk schlechten Deal der damalige CDU-Senat für den Busenfreund des Finanzsenators ausgehandelt hatte.

[….] Der Ver­kauf der Ham­bur­ger Kran­ken­häu­ser an As­kle­pios ist ein Lehr­stück miss­lun­ge­ner Pri­va­ti­sie­rung. Es zeigt, wie sich die Stadt Ham­burg von ei­nem pri­va­ten Kon­zern den Schneid ab­kau­fen ließ, nur um dem ei­ge­nen Ver­sa­gen zu ent­rin­nen. Und wie sie es dem Un­ter­neh­mer Ber­nard gro­ße Bro­er­mann er­mög­lich­te, sich mit Geld aus dem so­li­da­risch fi­nan­zier­ten Ge­sund­heits­sys­tem ei­nen mil­li­ar­den­schwe­ren Kli­nik­kon­zern zu bau­en.

Ob­wohl die Mehr­heit der Ham­bur­ger 2004 in ei­nem Volks­ent­scheid ge­gen die Pri­va­ti­sie­rung ge­stimmt hat, ent­schied der Se­nat um CDU-Bür­ger­meis­ter Ole von Beust, As­kle­pios die Mehr­heit von 74,9 Pro­zent am Lan­des­be­trieb Kran­ken­häu­ser zu ver­kau­fen. Der mit 565 Mil­lio­nen Euro chro­nisch ver­schul­de­te Lan­des­be­trieb sei ein „Fass ohne Bo­den“.
Was die Stadt­vä­ter als not­wen­di­gen und lu­kra­ti­ven Ver­kauf be­war­ben, en­de­te in ei­nem fi­nan­zi­el­len De­ba­kel. Die 318 Mil­lio­nen Euro Kauf­preis fei­er­te der Se­nat als gro­ßen Er­folg. Da­bei über­nahm Ham­burg mehr als die Hälf­te der LBK-Schul­den, also über 300 Mil­lio­nen Euro. 75 Mil­lio­nen Euro des Kauf­prei­ses muss­te As­kle­pios gar nicht erst über­wei­sen: Sie wä­ren nur fäl­lig ge­we­sen, wenn die Kli­ni­ken in den ers­ten fünf Jah­ren in Sum­me gut 408 Mil­lio­nen Euro ope­ra­ti­ven Ge­winn (Ebit­da) ab­ge­wor­fen hät­ten, ein Ding der Un­mög­lich­keit. Für den Rest der Sum­me gab die Stadt As­kle­pios noch ein Dar­le­hen.
Den Groß­teil des Kauf­prei­ses press­te der Kon­zern sei­nen neu er­wor­be­nen Kran­ken­häu­sern ab. Sie be­gli­chen gut 180 Mil­lio­nen Euro der Rech­nung – mit Schul­den, die sie selbst ab­ar­bei­ten muss­ten. As­kle­pios zahl­te nur 19 Mil­lio­nen Euro aus vor­han­de­nem Ver­mö­gen, für Kli­ni­ken, die heu­te rund eine Mil­li­ar­de Euro wert sein dürf­ten.
Als wenn das nicht rei­chen wür­de, über­nahm Ham­burg die Pen­si­ons­las­ten aus­ge­schie­de­ner Mit­ar­bei­ter. Die Grund­stü­cke, auf de­nen die Kran­ken­häu­ser ste­hen, über­ließ die Stadt dem Kon­zern für min­des­tens 60 Jah­re – pacht- und miet­frei. Mit­ar­bei­ter, die bei As­kle­pios nicht blei­ben woll­ten, hat­ten ein Rück­kehr­recht zur Stadt. Für je­den An­ge­stell­ten, den sie zu­rück­nahm, muss­te As­kle­pios der Stadt 25 000 Euro zah­len, ins­ge­samt aber höchs­tens 15 Mil­lio­nen Euro, so steht es im Kauf­ver­trag vom De­zem­ber 2004. Weil fast 1500 Mit­ar­bei­ter vor dem neu­en Ei­gen­tü­mer flo­hen, kos­te­ten die Rück­keh­rer die Stadt­kas­se am Ende über 150 Mil­lio­nen Euro.
An­ge­sichts all des­sen mu­tet es gro­tesk an, wel­che Mit­spra­che­rech­te sich die Stadt Ham­burg trotz ih­res An­teils von 25,1 Pro­zent ab­kau­fen ließ. Der ge­hei­me Be­tei­li­gungs­ver­trag zwi­schen der Stadt und As­kle­pios, der dem SPIEGEL vor­liegt, de­gra­diert die städ­ti­schen Ver­tre­ter in Ge­sell­schaf­ter­ver­samm­lung und Auf­sichts­rat zu Ma­rio­net­ten. [….]
(DER SPIEGEL, 17.12.2016)

Wie gesagt, ein interessanter und lehrreicher Artikel – wenn mir auch das Meiste schon vorher bekannt war.
In Hamburg ist der Ruf der Asklepioshäuser ohnehin ruiniert. Jeder kennt jemand, der als Patient schlechte Erfahrungen dort gemacht hat.
Wer es irgendwie verhindern kann, vermeidet die Broermannhäuser.
Wichtig ist es aber via SPIEGEL das Thema überregional zu puschen, um auch entsprechenden Druck auf die Gesetzgeber zu machen.

Im Geiste hatte ich schon einen Leserbrief formuliert.
Zunächst dachte ich daran dem SPIEGEL meine eigene haarsträubende Horrorgeschichte aus dem Asklepios St. Georg zu schildern und die wesentlich besseren Erfahrungen aus einem Nicht-Asklepios-Krankenhaus dagegen zu stellen.
Da ich mir aber sicher bin, daß jede Menge bestätigende Fallbeispiele beim SPIEGEL eintrudeln werden, wollte ich lieber den falschen Adressaten des Artikels monieren.
Broermann wird kritisiert, die untätigen Landesgesundheitspolitiker pauschal angegriffen und auch allgemein „die Hamburger Politik“ benannt, die diesen Deal eingegangen ist.

Das reicht aber nicht.
Denn diese totale Fehlentscheidung des offensichtlich korrupten CDU-Senates war über ¾ der Hamburger schon vorher klar.
SPD, Grüne und Linke hatten das entsprechend angeprangert. Alles war öffentlich diskutiert worden.
Aber es war die Hamburger CDU, die gegen ale Vernunft und gegen die überwältigende Mehrheit der Wähler entschloss zum Schaden der Gesundheit der Hamburger den Freund des Finanzsenators zum Milliardär zu machen.

Im September 2001 übernahm eine Koalition aus CDU, Schill-Partei und FDP nach 44 Jahren SPD-Herrschaft die Regierungsgeschäfte in Hamburg.
Im Dezember 2003 beschloss der neue Senat nach einer internationalen Ausschreibung, dem privaten hessischen Klinikbetreiber Asklepios Anteile am LBK zu verkaufen. Drahtzieher war der damalige Finanzsenator Wolfgang Peiner. Da Asklepios-Inhaber Bernard gr. Broermann zum Verwaltungsrat einer Versicherung gehörte, als Peiner dort im Vorstand saß, warf die SPD dem Senat Vetternwirtschaft vor.
Am 29. Februar 2004 beteiligten sich 788.563 Hamburger Bürger an einem Volksentscheid, den Gewerkschaften und soziale Gruppen unter den Slogan "Gesundheit ist keine Ware" organisiert hatten. 593.497 stimmten gegen den Verkauf, das waren 76,8 Prozent der Stimmen. Da die mittlerweile allein regierende CDU um Bürgermeister Ole von Beust den Volksentscheid als nicht bindend einstufte, zogen dessen Initiatoren vor das Hamburger Verfassungsgericht.
Am 15. Dezember 2004 bestätigte das Gericht die Sichtweise der CDU. Einen Tag später beschloss die Bürgerschaft, den LBK zu 74,9 Prozent an die Asklepios-Kliniken GmbH zu verkaufen. Als Kaufpreis wurden knapp 320 Millionen Euro vereinbart, wovon 75 Millionen ertragsabhängig waren und nicht bezahlt werden mussten, da der erwartete Ertrag ausblieb.

2004 hatte Hamburg den LBK privatisiert, obwohl eine Mehrheit der Hamburger Wahlberechtigten sich in einem Volksentscheid dagegen ausgesprochen hatten. Die Opposition aus GAL und SPD hat schon bei Abschluss des Kaufvertrages 2004 kritisiert, dass die Stadt bei dem Geschäft draufzahle. Nach Lektüre der Verkaufsunterlagen hatten sie den Vorwurf erhoben, Peiner habe bei dem Deal kräftig manipuliert. Er habe sich, entgegen seiner eigenen Darstellung, aktiv in die Verhandlungen eingemischt und strittige Details mit Asklepios-Chef Bernard Broermann persönlich verhandelt - einem alten Geschäftspartner aus Peiners Zeit bei der Gothaer-Versicherung. So sei das Angebot der Asklepios-Klinikgruppe mehrfach geschönt worden.

Inzwischen wird das aber schicksalhaft als gegeben hingenommen. Ist ja auch so lange her.

Und genau das ist falsch!
Tausende Patienten leiden heute jeden Tag unter den Verhältnissen in den Asklepios-Kliniken, während der Besitzer in rasendem Tempo immer reicher wird.

Bernd Broermanns Vermögen wuchs in den letzten 12 Monaten von 2,95 Milliarden auf 3,10 Milliarden Euro (BILANZ Magazin September 2016).
150 Millionen Euro Zuwachs in einem Jahr beutet, daß der Mann alle zwei bis drei Tage eine Million Euro mehr hat, die er aus seinen Patienten herauspresst. (…..)
(Staatsverachtung, 26.11.2016)

Menschen wie Ole von Beust und Wolfgang Peiner gehören zur Rechenschaft gezogen. Ich bin kein Jurist; aber kann man da nicht irgendwas machen? Untreue? Die Hamburger CDU sollte sich vor dem Richter rechtfertigen und natürlich müssen die Pensionen der Protagonisten gekürzt, bzw gepfändet werden.

Es ist wichtig für den nicht eben hellen Urnenpöbel nicht nur zu ahnen/wissen, daß etwas schiefläuft, sondern daß auch klar die Zusammenhänge aufgezeigt werden. Daß deutlich wird, welchen Personen und Parteien sie das Desaster zu verdanken haben.

Es sind nicht allgemein „die Politik“ oder „die Politiker“ Schuld, sondern es muß außerordentlich präzise aufgezeigt werden, welcher einzelne Politiker, welche Partei verantwortlich ist.

Unerwartet deutlich und klar schlägt zwei Tage nach der SPIEGEL-Titelgeschichte heute die kleine Boulevard-MOPO in dieser Kerbe.
Holla, daß ich dieses Blatt mal so loben würde. Hätte ich nicht gedacht.

Asklepios, HSH, Elphi Ole von Beust ist der teuerste Bürgermeister aller Zeiten
[…..]  Diese Riege erfolgreicher und verdienstvoller Bürgermeister ließe sich noch fortsetzen. Einer aber gehört wohl nicht drauf: Ole von Beust (CDU). Dabei haben sie ihn alle anfangs so gern gehabt. Smart sah er aus. Und freundlich, fast ein bisschen schüchtern kam er rüber. Als er Schill rauswarf, den koksenden und erpresserischen Innensenator, regierte er zeitweise mit absoluter Mehrheit. Am Ende stiegen sogar die Grünen zu ihm ins Bett.
[…..] Tja, wer aber heute mit etwas Abstand darüber nachdenkt, was in neun Jahren Ole eigentlich gut war, der kommt nach einigem Grübeln zu dem erschreckenden Ergebnis: Viel fällt einem da nicht ein...
Seine Fehler aber werden noch in Generationen zu spüren sein: Nehmen wir die Wohnungsnot: von Beust hat sie hervorgerufen durch eine völlig verfehlte Baupolitik.
Der Verkauf der Krankenhäuser: Schlau war der jedenfalls nicht. Dann die Elbphilharmonie: Ein wunderschönes Projekt, miserabel gemanagt. Ganz zu schweigen von den Milliarden, die im Zusammenhang mit der HSH-Nordbank verpulvert wurden!
Vieles deutet darauf hin, dass Ole von Beust einer der schlechtesten  Bürgermeister war, den die Stadt je hatte. Der teuerste ist er auf jeden Fall. […..]

In diesem Blog habe ich in zehn Jahren immer wieder die geradezu absurden Fehlleistungen Ole von Beusts aufgezählt und mich bitterlich über die zu 99% ultrafreundliche Presse für ihn beklagt.
Den Medien gefiel die Story dieses vermeidlich neuen liberalen Großstadt-CDU’lers, der angeblich so gut mit Merkel konnte.
Nur weil Beust schwul ist, kann man ihm nicht verzeihen Schill zum Bürgermeister gemacht zu haben und der Stadt einen zweistelligen Milliardenschaden aufgebrummt zu haben.
"Schlechtester Bpürgermeister aller Zeiten" - wohl wahr. Den Schuh muss sich von Beust anziehen. Wäre nur schön gewesen, wenn die Hamburger das 15 Jahre früher erkannt hätten.
In meinem Blog stand es von Anfang an.
(Ein "I told you so" muß ich mir auch mal gönnen.)