Samstag, 21. Februar 2015

Doof und arm und faul.



Nun fragen sie mich wieder; wie konnte das denn bei euch passieren? Hamburg ist doch eine liberale Stadt und nun sitzen da die AfD im Parlament und zudem auch noch eine inhaltslose FDP, die wir endlich überwunden gehofft hatten.

Die Erklärung: Schuld ist der Urnenpöbel.
Damit meine ich aber nicht in erster Linie die wenigen Wähler, die tatsächlich bei der AfD ihr Kreuz gemacht haben. Jene zähle ich zu dem rechten Bodensatz, den es nun mal derzeit hier gibt – wie in vielen anderen Bundesländern; was die Sache keineswegs besser macht. Aber wir hatten schon vorher erstaunliche Erfolge von Schill, Statt-Partei und DVU.

Das ist aber eine überschaubare Zahl.
Wir hatten diesmal 1.299.411 Wahlberechtigte, die über die Landesliste mit je fünf Stimmen über die Zusammensetzung der Bürgerschaft bestimmten.
Es gab also 6.497.055 Stimmen zu vergeben. Davon erhielt die AfD 214.401 Stimmen. Absolut sind es also ~ 3% ~ 43.000 Menschen.
Ekelig, aber so ist das nun mal in einer Millionenstadt.
Diese gut 40.000 Blödmänner fielen aber sehr viel weniger ins Gewicht, wenn die knappe Hälfte der Hamburger nicht zu phlegmatisch wäre überhaupt zu wählen oder zu doof wäre das neue Wahlrecht zu verstehen.

Hamburgs Wahlrecht ist zu komplex. Erfahrene Fachpolitiker scheitern am Wahlrecht. Kompetenz wird nicht honoriert
[….] Zwei Stimmzettel, zehn Stimmen und 887 Kandidaten, dazu die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens und schließlich Wahlkreisbewerber, die sich am Ende gegen Kandidaten auf den Landeslisten durchsetzten – zu behaupten, dass vielen Hamburgern das Wahlrecht komplex erscheint, ist noch eine Untertreibung. Das schlägt sich nicht nur in der nochmals gesunkenen Wahlbeteiligung nieder. 21.981 Hamburger gaben am Sonntag ungültige Wahlzettel ab, dreimal so viele wie 2008 bei der letzten Wahl nach altem Recht.
Die Absicht ist löblich: Das neue Wahlrecht soll dem Volk mehr direkten Einfluss auf die Auswahl der Personen einräumen, die sie im Parlament vertreten. Das setzt aber voraus, dass sich die Bürger zumindest in Ansätzen mit den Kandidaten beschäftigen, die in ihrem Wahlkreis antreten, mit ihren Programmen und ihrer Leistungsbilanz. Und das scheint im wahren Leben nicht (immer) der Fall zu sein. Stattdessen machen viele Wähler bei demjenigen Kandidaten ihr Kreuz, den sie zumindest dem Namen nach kennen (Theatermacherin Isabella Vértes-Schütter bekam 9169 Stimmen), der einen Vertrauen einflößenden Beruf angibt ("Sanitäter" Hauke Wagner) oder schlicht mit einem Doktortitel beeindruckt.
[….]  Gedacht war das Wahlrecht, um den Einfluss der Parteien auf die Auswahl der Kandidaten einzuschränken. In der Praxis werden aber nicht nur die Parteien geschwächt. Das Wahlrecht schwächt das Parlament selbst, wenn statt kompetenter Fachpolitiker, die in die immer komplexer werdende Materie eingearbeitet sind, unerfahrene Neulinge in der Volksvertretung sitzen[….] Und schließlich dürften auch die Abgeordneten selbst ihre Lehre aus dem Wahlverhalten der Hamburger ziehen: Fleiß im Hintergrund zahlt sich nicht aus, das Ringen um Themen in langen Ausschusssitzungen bringt den Einzelnen nicht voran, eine noch so hohe Anerkennung in Fachkreisen verschafft nicht ausreichend Stimmen. Wer wiedergewählt werden will, muss sich bekannt machen, nach vorn drängen, schnell bei der Hand sein mit Einschätzungen und Forderungen – ins Rampenlicht, egal wie.

Das Wahlrecht ist nicht nur an sich eher gut gemeint als gut gemacht, sondern es hilft den Kaspern, den Hallodris und nicht unbedingt den seriösesten Parlamentariern.

Noch schlimmer ist aber die Betrachtung der Wahlbeteiligung, die sich in den einzelnen Stadtteilen ERHEBLICH unterscheidet.
Es gibt dabei eine klare Korrelation von Einkommen und Wahlfaulheit.
Je ärmer die Menschen, desto weniger gehen sie zur Wahl.
In den reichsten Stadtteilen stimmten über 70% der Menschen ab. Bei den ganz Armen und Abgehängten waren es teilweise nur 20%.
Damit hat dieses komplizierte Wahlrecht genau das bewirkt was es nicht sollte.
Es hat Wählen nicht etwa attraktiver gemacht, sondern im Gegenteil dazu geführt, daß die Bedürftigen sich selbst aus der Demokratie ausklinken und dafür die Mächtigen und Besitzenden weit überproportional ihren Willen durchsetzen.

Genau daran krankt auch der Irrweg der plebiszitär orientierten Piraten. Volksabstimmungen und Direktwahlen führen dazu, daß gut organisierte Reiche ihre Partikularinteressen gegen den Willen der Habenichtse durchsetzen.
Wir haben den Beweis bei den sogenannten „Gucci-Protesten“ erlebt, als  die Millionäre der Elbvororte gegen den Willen von Grünen, Linken, CDU und SPD die Stadtteilschulen zu Fall brachten, weil sie ihre begüterten Söhne und Töchter weiterhin von den armen Kindern isolieren wollten.
Möglich machten es die Eltern der Armen, die gar nicht begriffen worum es ging und daher nicht an der Abstimmung teilnahmen.

Daher also noch einmal mein dringender Appell den Unsinn mit den Volksbefragungen endlich sein zu lassen.
Der Urnenpöbel ist schon mit einem Kreuz für eine Partei überfordert. Macht es nicht noch schlimmer, indem die Diktatur der Inkompetenz den Walter Scheuerles dieser Welt ermöglicht mit einer Armee von Anwälten und PR-Beratern die Demokratie zu kaufen.

Leider sind die Reichen nicht nur motivierter zur Wahl zu gehen, sondern auch gesünder und langlebiger, weil sie auch besser gebildet sind.
Sie wissen ihren Einfluss besser zu nutzen.
Je mehr man das Wahlrecht diversifiziert, je mehr man Möglichkeiten zu panaschieren und kumulieren eröffnet, desto überproportional erhöht sich der Einfluss der Reichen und Mächtigen – schon allein, weil die HarzIV-Empfänger und Migranten gar nicht mehr wählen. LEIDER.
Man sehe sich die detaillierten Ergebnisse aus den einzelnen Wahllokalen an. FDP und CDU lagen in vielen armen Stadtteilen (Veddel, St Pauli, Altona Nord, Schanze,..) erbärmlich abgeschlagen. Auch die CDU hatte  Ergebnisse unter fünf Prozent (sic!) – aber das viel vergleichsweise wenig ins Gewicht, weil genau dort auch die Wahlbeteiligung niedrig war. Die besten Ergebnisse holten CDU und FDP in den reichen Stadtteilen, die auch die höchste Wahlbeteiligung hatten und somit besonders stark ins Gesamtergebnis einflossen.
Die Armen sind also nicht nur arm, sondern auch doof und faul.

Es ist ein Treppenwitz, daß gerade LINKE und Grüne für mehr direkte Demokratie werben. Damit erweisen sie AfD und FDP den größten Dienst und schaden den sozial Schwächsten. Nun, für die Grünen mag das ja erwünscht sein, aber Linke und SPD sollten aufhören nach plebiszitären Elementen zu verlangen.

[….]  Armes Hamburg, reiches Hamburg – das sind auch mit Blick auf die Bürgerschaftswahl zwei Welten. So lag die Wahlbeteiligung in den 20 Stadtteilen mit den niedrigsten Einkommen und den höchsten Anteilen an Hartz-IV-Empfängern nur bei 43,6 Prozent, in den Stadtteilen mit den höchsten Einkommen und dem niedrigsten Hartz-IV-Anteil hingegen bei 70,2 Prozent. Das geht aus der Analyse hervor, die das Landeswahlamt und das Statistikamt Nord am Dienstag vorstellten. [….] Das zeigt sich auch an den Ergebnissen der Parteien in diesen Stadtteilen, und hier besonders bei CDU, FDP und Linkspartei. So holte die CDU in den "besseren" Stadtteilen im Schnitt 18,2 bis 21,1 Prozent und damit deutlich mehr Stimmen als die 15,9 Prozent in Gesamt-Hamburg. [….] Noch krasser ist es bei der FDP: Sie holte in den Stadtteilen mit hohen Einkommen und wenig Hartz-IV-Empfängern im Schnitt 13,8 Prozent, in den "armen" Gegenden aber nur 4,4 Prozent – und untermauerte damit ihren Ruf als "Partei der Besserverdiener". Nimmt man alle Faktoren zusammen, bedeutet das: Wäre die Wahlbeteiligung in den ärmeren Gegenden Hamburgs so hoch wie in den reicheren, hätte die FDP den Einzug in die Bürgerschaft wohl verpasst, und die CDU hätte noch schlechter abgeschnitten.
Ganz anders ist es bei der Linkspartei: Sie holte in den besser situierten Gegenden nur 4,7 Prozent, aber dort, wo viele Geringverdiener und Leistungsempfänger wohnen, kommt sie auf durchschnittlich 13,8 Prozent – satte 3,8 Prozent mehr als 2011. [….] SPD und Grüne können hingegen von sich behaupten, in allen Teilen der Stadt etwa gleich stark zu sein. Die Sozialdemokraten waren in ihren klassischen Milieus mit durchschnittlich 45,4Prozent nur leicht stärker als in den "besseren" Gegenden mit 43,4 Prozent. [….]
Ungültige Stimmen: Der Anteil ungültiger Stimmzettel lag wie 2011 bei 3,0 Prozent, während er bis 2008 stets bei rund 1,0 Prozent gelegen hatte. Landeswahlleiter Willi Beiß sagte, dass 2011 das relativ komplizierte Wahlrecht, das es den Wählern ermöglicht, bis zu zehn Stimmen in zwei Heften zu vergeben, für etwa zwei Prozent der ungültigen Zettel verantwortlich war. [….] Scholz-Effekt: Vor allem SPD-Wähler haben die Möglichkeit genutzt, auf der Landesliste der Parteien direkt einen Kandidaten zu wählen. Von gut 1,6 Millionen Stimmen, die die SPD hier erhielt, gingen 929.000 oder 57,8 Prozent direkt an Personen. Davon wiederum erhielt allein Bürgermeister Olaf Scholz als Spitzenkandidat unglaubliche 735.737 Stimmen – damit wurden fast 21 Prozent aller 3,5 Millionen Kreuze direkt bei dem Namen "Olaf Scholz" gemacht. Das ist noch mehr als 2011, als Scholz 622.000 Personenstimmen bekommen hatte. Zum Vergleich: Sein Herausforderer Dietrich Wersich von der CDU kam auf 134.584 Direktstimmen.
[….] Stadtteile: In Billbrook war die Wahlbeteiligung mit 26,3 Prozent am niedrigsten, gleichzeitig holte die AfD hier mit 13,3 Prozent ihr bestes Ergebnis und die Grünen (4,1) ihr schlechtestes. In Nienstedten dagegen war die Wahlbeteiligung mit 75,6 Prozent am höchsten, außerdem errang die FDP hier ihr bestes Resultat und wurde mit 22,9 Prozent sogar zweitstärkste Kraft hinter der SPD (36,1) und noch vor der CDU (20,0).

Freitag, 20. Februar 2015

Grüne Quo Vadis?


Wenn Wahlforscher aus Umfragen und Nachwahlbefragungen die Zusammensetzung der Wählerschaft analysieren, gibt es doch signifikante Unterschiede.
CDU-Wähler haben den niedrigsten Bildungsstand, Linken-Wähler haben das niedrigste Einkommen, FDP-Wähler sind tatsächlich hauptsächlich Kleinselbstständige wie Apotheker und Makler. Das höchste Einkommen haben inzwischen die Grünenwähler.
Sie sind deutlich wohlhabender als die Anhänger der „großen“ Parteien.
Logisch. Sie wurden vor 30 Jahren als Studenten für die Grünen sozialisiert und leben heute weitgehend als promovierte Doppelverdiener in den Vorstädten.
Da lebt man in einem schönen Haus, mehreren Autos – darunter natürlich eins mit Hybridantrieb, kauft beim teureren Bioschlachter – auf Fleisch verzichten will man doch nicht, isoliert seine Bude, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren –verzichtet allerdings nicht auf die mindestens drei Flug-Urlaubsreisen pro Jahr, bei denen man auf einen Schlag 100 mal so viel CO2 durch verbranntes Kerosin in die Atmosphäre einbringt, wie der Hybridwagen in zehn Jahren spart, man fühlt leidenschaftlich mit den armen Bürgerkriegsflüchtlingen mit – will die aber im Zweifelsfall nicht unbedingt genau neben sich wohnen haben (wegen der Grundstückspreise und so), man lehnt immer noch das Spießertum ab, traut sich im Jack Wolfskin-Outfit zur Arbeit, aber als Ü40er klopft man wieder bei der Kirche an, die doch auch so viel Gutes tut und außerdem irgendwo vor vier Jahren schon ein lesbisches Paar gesegnet hat; leidenschaftlich frönt man den medizinischen Ratschlägen von Heilpraktikern, Homöopathen, Akupunkteuren und Kinesiologen – legt aber Wert auf seine private Krankenversicherung, weil man nicht unbedingt mit dem Plebs zusammen in einem Zimmer hocken möchte, wenn man wegen des eingewachsenen Zehennagels mit dem Chefarzt spricht; man bejaht Inklusion und frühkindliche Bildung, fürchtet aber immer stärker, die Abkehr vom Frontalunterricht, Sitzenbleiben und Noten bei 6-Jährigen könnte der eigenen Brut irgendwie schaden.

Es passt eigentlich, daß sich Grüne im Saarland, in Hamburg und in Hessen lieber an die CDU pressten, statt irgendwas Linkeres in die Regierung zu bringen.
Bei Schwarzgrün kann man das ökologische Fähnchen hochhalten, ohne daß die gesettleten Grünenwähler sich ernsthafte Sorgen machen müssen ihrem Lebensstil werde etwas zugemutet.
Da werden grüne Kerninhalte nicht nur bis zur Unkenntlichkeit verbogen, sondern in ihr diametrales Gegenteil verkehrt.
Schwarzgrün ist für die grünen Großväter mit Doktor-Titel und mit fünfstelligen Monatsgehalt sehr viel angenehmer, als die Thüringer Variante mit den quirligen Linken, bei denen sich noch echte Fundamentalpazifisten tummeln, die gar keine Waffenexporte, gar keine Kriegseinsätze akzeptieren und ernsthafte Umverteilung anpeilen.

[…] Die hessische Koalition mit der CDU ist für die Grünen ein Modell für die Bundestagswahl 2017 - Pannen und Fehler schweigen sie deshalb tot. […] Die Grünen? Das ist der Atomausstieg. Über Jahrzehnte hat die Partei dafür gekämpft, die deutschen Kernkraftwerke abzuschalten. […] Diese Glaubwürdigkeit setzen sie nun aufs Spiel.
In Hessen beweisen die Grünen seit einem Jahr, dass Schwarz-Grün funktionieren kann. So wollen sie sich eine Chance eröffnen, 2017 auch im Bund mit der Union regieren zu können. Doch bevor es mit Angela Merkel in Berlin etwas werden kann, muss es mit Volker Bouffier in Wiesbaden klappen. Die hessischen Grünen mit ihrem Vize-Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir an der Spitze haben dafür ein Rezept: Was stört, wird ignoriert.
Ministerpräsident Volker Bouffier hatte in der vergangenen Woche vor CDU-Kommunalpolitikern grundsätzliche Bedenken gegen den Verlauf der geplanten Stromtrasse "SuedLink" geäußert. Prompt kassierte er von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im SPIEGEL einen Rüffel, weil die Trasse zentraler Bestandteil der Energiewende ist. Und was machen die hessischen Grünen? Sie schweigen.
Auch die Bundes-Grünen sind nicht mutiger: Wer auf das Problem mit Bouffier und der Trasse angesprochen wird, gibt sich ahnungslos, verweist auf windelweich relativierende Sätze des hessischen Regierungssprechers oder darauf, dass sich doch auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer seit geraumer Zeit gegen den Leitungsausbau stelle. […] Noch im Landtagswahlkampf waren die Grünen hier vehement gegen ein drittes Terminal für den Frankfurter Flughafen eingetreten. Jetzt sitzen sie in der Regierung - dass das neue Terminal kommt, scheint inzwischen klar.
Mittlerweile wirkt die Politik grüner Minister in Hessen so wie die der Konkurrenz: Wie der SPIEGEL berichtet, hat Umweltministerin Priska Hinz Behörden-Warnungen vertuscht, wonach die Salzabwässer des Konzerns K+S eine größere Gefahr fürs Grundwasser bedeuten, als bisher bekannt. Wirtschaft vor Öko. […]

Grüne Parteitage, die im Chaos unterzugehen drohten, weil sich Fundis und Realos leidenschaftliche Debatten lieferten und nebenher noch die Weltrevolution planten sind lange vorbei. 

Obschon sie fünf Jahre lang Bundesvorstandssprecherin war, trat Jutta Dittfurth bereits vor 24 Jahren (sic!) bei den Grünen aus. Mit Angelika Beer kehrte eine weitere Grünen-Chefin der Partei den Rücken und sitzt heute für die Piraten im Kieler Landtag. Der ehemalige Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion Thomas Ebermann verließ die Partei 1990. Harald Wolf, prominentes Grünen-Mitglied der Berliner AL, sagte ebenfalls 1990 „Tschüß“ und war später, von 2002 bis 2011 Berliner Wirtschaftssenator und Bürgermeister für die LINKE.
Im Mai 1999 traten die fünf Bürgerschaftsabgeordneten Susanne Uhl, Heike Sudmann, Norbert Hackbusch, Lutz Jobs und Julia Koppke geschlossen aus Protest gegen den Kosovokrieg aus der Hamburger GAL-Fraktion aus.
Der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof und prominente Bundestagsabgeordnete Wolfgang Nešković trat 2005 bei den Grünen aus und wechselte zu den Linken.

Ein Dilemma, denn mit jedem Austritt haben es die neokonservativen Grünen-Führer Özdemir, Peters, Hajduk, Al-Wazir, Kerstan, Fegebank, Göring-Kirchentag, die russophoben Bellizistinnen Marie-Louise Beck und Rebecca Harms, sowie Hofreiter leichter sich an die CDU ranzurobben.

Generell muß man aber zugestehen, daß die Grünen bemerkenswert ruhig die Metamorphose ihrer Partei hinnehmen.
Die SPD mußte in der Zeit das Aufkommen der WASG aus ihrem Fleische ertragen und wird heute noch täglich für Hartz IV gescholten, während niemand den Grünen die Arbeitsmarktreformen verübelt – obwohl Rezzo Schlauch, Joschka Fischer, Corinna Scheel, Margaretha Wolf, Fritz Kuhn und Oswald Metzger sogar noch vehementer für die Arbeitsmarktreformen eingetreten waren, als SPD-Politiker.

Offensichtlich passte der Wandel und zunehmende Wohlstand der Grünen-Basis besser zur Veränderung ihrer Politik als das bei der SPD der Fall war.
Die Sozis leiden unter einer generellen Auflösung ihrer klassischen Milieus.
Die SPD-Wählerschaft ist heute womöglich die Heterogenste aller Parteien, so daß sie auch immer wieder den stärksten Widerstand aus ihren eigenen Reihen aushalten muß.

In der vierten Dekade ihres Bestehens geht es den Grünen demoskopisch besser denn je. Sie haben kaum jemals Probleme in einen Landtag einzuziehen, sind im Bund stabil zweistellig und stellen inzwischen sogar Großstadtbürgermeister und Ministerpräsidenten.

Erstaunlich, daß es doch noch so etwas wie ein kleines gallisches Dorf in der Grünen-Basis gibt.
Der vielgescholtene Trittin, den ich für einen der meistunterschätztesten Politiker Deutschlands und den besten Umweltminister in der Geschichte der Bundesrepublik halte, soll nun wieder aus dem Abklingbecken geholt werden.
Hört, hört!

[…] Bei den Grünen rumort es: In einem Brandbrief an die Partei- und Fraktionsführung mahnen Basisvertreter einen linkeren Kurs an. Sie verlangen mehr sozialpolitische Akzente, eine Absage an Ukraine-Waffenlieferungen - und ätzen gegen Schwarz-Grün.
[…] Das Schreiben von linken Basis-Grünen, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, und den Adressaten am Sonntagabend zugehen soll, mahnt die Partei- und Fraktionsführung zu einer deutlichen Kurskorrektur.
Inzwischen unterzeichneten das als "Offener Brief" deklarierte Papier mehr als 200 Mitglieder, darunter auch Mandatsträger wie Silke Gajek, Schweriner Landtagsabgeordnete und ehemalige Spitzenkandidatin in Mecklenburg-Vorpommern. […] Die Verfasser eint die Sorge, dass sich die Partei zu weit in die politische Mitte bewegt und sich damit von grünen Positionen verabschiedet. "Wir wenden uns an Euch, da wir mit sehr großer Sorge die Entwicklung unserer Partei betrachten und meinen, dass es dringend geboten ist, wieder mehr Visionen zu entwickeln", heißt es zu Beginn des Briefs. "Das Profil unserer Partei wird von einigen immer konservativer definiert und bewegt sich in der öffentlichen Wahrnehmung daher im Parteienspektrum immer weiter nach rechts."
[…] Fest gemacht wird die Befürchtung eines Rechtsrucks vor allem daran, dass die Grünen aus Sicht der Verfasser die Sozialpolitik vernachlässigten. Man werde inzwischen "nicht als soziale Partei wahrgenommen, und das ist ein sehr großes Problem", heißt es. "Es ist sehr wichtig, über Tierschutz oder gutes Essen zu sprechen, nur, arme Menschen haben ganz andere Probleme, auch diese müssen wir aufgreifen." Zuletzt hatte die Grünen-Führung einen großen Schwerpunkt auf das Thema "Gute Ernährung" gelegt.
Auch in der Friedenspolitik sehen die Verfasser Korrekturbedarf, was sie am Beispiel des Ukraine-Konflikts erläutern. Auf dem Bundesparteitag vergangenen November habe man "klar beschlossen, dass es eine Lösung ohne Waffen geben muss, und wir fragen uns, wozu sind Beschlüsse gut, wenn sie scheinbar niemanden interessieren." In der Ukraine-Debatte haben in den vergangenen Wochen auch Grünen-Politiker Sympathien für Waffenlieferungen erkennen lassen.[…]

Eine Spaltung der Grünen!
Das wäre doch mal was.
Kommt es womöglich zu einer Wiederbelebung des alten Dittfurth-Plans einer „ökosozialistischen Linken“, die bisher nie über den Status einer Splitterpartei hinauskam?
Für Frau Merkel wäre das wie Weihnachten und Geburtstag an einem Tag:
Eine weitere Zersplitterung im linken Parteienspektrum würde der SPD das Regieren noch einmal erheblich schwerer machen und sie hätte in den rundgelutschten christlichen konservativ tickenden Rudimentgrünen einen perfekten weiteren Mehrheitsbeschaffer.

Basis-Grüne warnen vor Rechtskurs
In einem offenen Brief sprechen sich Parteimitglieder gegen eine Koalition mit der Union aus
[…] »Wir werden spätestens in 15 bis 20 Jahren eine Welle von Rentnerinnen und Rentnern bekommen, die auf Grundsicherung angewiesen sein werden«, heißt es in dem Schreiben. Um dies zu verhindern, sollen die Grünen aus Sicht der Unterzeichner die soziale Frage wieder stärker in den Fokus ihrer Politik stellen. Doch der geforderte Kurswechsel ist derzeit nicht in Sicht. »Die Sozialpolitik wurde bei uns – zumindest in den öffentlichen Kampagnen, aber auch auf der letzten BDK – weitgehend ignoriert«, kritisieren die Basis-Grünen.
[…]  Eine Koalition mit der Union, wie sie derzeit in Hessen regiert, würde im Bund zum Untergang der Grünen führen. Das »überlebt diese Partei nicht«, heißt es in dem Brief.
Auch mit der Außenpolitik gibt es eine große Unzufriedenheit. Das beziehen die Basis-Grünen vor allem auf den Konflikt in der Ukraine. Nationalistische und rechte Kräfte seien dort indirekt von den Grünen unterstützt worden, indem ihre Rolle nicht ausreichend kritisiert und ihre Existenz zum Teil sogar als »russische Propaganda« abgetan worden sei. […]

Donnerstag, 19. Februar 2015

Schäbig, schäbiger, Schäuble.


15,9% für die CDU in Hamburg, AfD ante portas, da will Merkels CDU-Finanzminister seiner Partei was Gutes tun und gibt den harten Hund, den Griechenhasser, der nach der BILD-Schlagzeile „Ihr griecht nix“ handelt.
Hauptsache Profilierung am rechten Rand. Scheiß auf Europa, scheiß auf Griechenland.




Schäuble drückt seine Austeritätspolitik durch, ohne daß es irgendwelche Belege dafür gäbe, daß es jemals in der Geschichte der Menschheit funktioniert hätte eine bankrotte Wirtschaft durch radikales Sparen und Abwürgen jedes Konjunkturimpulses mitten in der Krise wieder in Gang zu bringen.

Ich wiederhole es immer wieder:
Auch Deutschland steht heute so gut da, weil die Bundesregierung im Krisenjahr 2008 durch den SPD-Finanzminister Steinbrück genau das diametrale Gegenteil dessen tat, was man heute von Athen verlangt:
Es wurden massive Konjunkturprogramme aufgelegt, zig Milliarden Euro geliehen, um die stotternde Nachfrage wieder anzukurbeln. Merkel und Steinbrück fluteten die heimische Wirtschaft geradezu mit Geld – Beispiel Abwrackprämie.
Das was damals offensichtlich funktionierte, will man nun gerade NICHT für Griechenland, sondern setzt auf ein Rezept, das noch nie funktionierte, das Millionen in Armut treibt, Tausende Kinder hungern läßt.

Ausgerechnet Merkel, die Frau mit dem vollen Hosenanzug, die ihren Wählern nicht die allergeringste Änderung zumuten mag, verlangt von den Griechen noch viel radikaler zu kürzen. Man stelle sich vor, was in Deutschland los wäre, wenn hier die Renten um 50% gekürzt würden und die Wähler daraufhin Obdach und Krankenversicherung verlören.
Ich wage sehr zu bezweifeln, daß sie bei der nächsten Wahl wieder CDU wählen würden, damit die noch grausamer spart.

Und nun, Potzblitz, Überraschung, haben die griechischen Wähler gesagt: ES REICHT. Sie wollen endlich eine andere Politik. Eine Politik, die nicht fremdbestimmt ist und offensichtlich seit Jahren die Lage immer nur verschlimmert.

In der Tat sitzt Griechenland deswegen mehr denn je in der Patsche, da es insbesondere von den Deutschen aufgezwungen jeden Cent an die ausländischen Gläubiger zahlen muß und für die eigene Wirtschaft keinerlei Impulse mehr setzen kann

[…]  Die Verhandlungen zwischen Griechenland und der Euro-Gruppe finden hinter verschlossenen Türen statt. Doch schon kurz nach dem letzten gescheiterten Treffen am Montag zirkulierten verschiedene Beschlussvorlagen im Internet. Nun hat das griechische Finanzministerium nachgelegt und zahlreiche Dokumente der letzten zwei Euro-Gruppen-Treffen veröffentlicht - auch die Reden von Finanzminister Giannis Varoufakis (die Sammlung finden Sie als Word-Dokument unter diesem Link).
Die Redetexte zeigen Varoufakis weitaus diplomatischer, als er in den Medien häufig dargestellt wurde. Zugleich neigt der Ökonomieprofessor allerdings zu weitschweifigen Ausführungen, die nur teilweise mit konkreten Zusagen verbunden sind.
"Ich verstehe Ihre Ermüdung", versicherte Varoufakis seinen Kollegen zu Beginn einer langen Begrüßungsrede am Mittwoch vergangener Woche. Er wisse, dass Europa genug von griechischen Dramen habe - seinen Landsleuten gehe es schließlich genauso.
Dann verspricht Varoufakis "die reformorientierteste Regierung in der modernen griechischen Geschichte" und macht auch sonst beachtliche Aussagen. So könnten Meldungen, seine Regierung wolle den Verkauf des Hafen von Piräus stoppen "nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein". Man sei in Fragen der Privatisierung "vollkommen undogmatisch" und werde jedes Projekt einzeln bewerten. Nur seien Verkäufe in Zeiten tief gefallener Preise, "nichts, was irgendjemand empfehlen würde".
Auch in anderen Punkten beklagte Varoufakis falsche oder überspitzte Darstellungen der Regierungspositionen. So würden Rentenkürzungen nur für Senioren auf dem oder unterhalb des Armutsniveaus rückgängig gemacht. Der Mindestlohn werde nur schrittweise und in Absprache mit Arbeitgebern und Gewerkschaften auf das Niveau von 2012 zurückgeführt. Und die Wiedereinstellung von insgesamt 2013 gefeuerten Staatsbediensteten sei nichts im Vergleich zu 15.000 Neueinstellungen, welche die Vorgängerregierung beschlossen habe. […]

Varoufakis ist Opfer seines schlechten Images in Deutschland.
Schäuble gibt sich alle Mühe das Bild vom häßlichen Deutschen wiederzubeleben.

Griechenland droht eine Staatspleite, doch noch immer ist keine Einigung im Schuldenstreit mit den europäischen Gläubigern in Sicht. Zwar stellte die Athener Regierung offiziell den von den Euro-Partnern gewünschten Antrag auf Verlängerung der Hilfskredite; doch während die EU-Kommission dies als positives Zeichen wertete, reagierte Deutschland mit Ablehnung.

Es gibt Solidarität in Europa.
Man könnte zusammenhalten und die Gemeinsamkeiten betonen.
Deutschland stört.

"Die Bundesregierung muss sich bewegen und ihre Starrköpfigkeit bei den Verhandlungen mit der neuen Regierung in Athen aufgeben", kommentiert Sahra Wagenknecht das Eintreffen des Antrags der griechischen Regierung auf eine sechsmonatige Verlängerung der sogenannten Hilfskredite bei der Eurogruppe. Die Erste Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE weiter:
"Die Bundesregierung muss die Realität zur Kenntnis nehmen, dass die Troika Geschichte ist. Das ist nicht nur das Ergebnis demokratischer Wahlen in Griechenland, sondern auch die Konsequenz der Stellungnahme des Generalanwalts vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Zusammenhang mit dem Anleiheaufkaufprogramm. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sich aus der politischen Auseinandersetzung um sogenannte Anpassungsprogramme herauszuhalten. Daher ist die Troika-Mafia unter Einbeziehung der EZB nicht durch EU-Recht gedeckt. Die Bundesregierung sollte sich davor hüten, von der griechischen Regierung die Fortführung von rechtlich zweifelhaften Programmen zu fordern. Außerdem hat die EZB kein Mandat dafür, ein Land aus der Eurozone zu schmeißen, wenn es finanzpolitische Vorgaben nicht einhält. [….]
 (PM Sahra Wagenknecht 19.02.2015)

Interessanterweise ist die Linken-Linke Wagenknecht zwar nicht im Tonfall, aber doch in der Sache recht einig mit dem konservativen Managermagazin.

Schäuble gibt den Imperator
[….] Griechenland knickt ein - und Deutschland sagt immer noch Nein. Mit der prompten Antwort auf den Athener Antrag übernimmt das Bundesfinanzministerium die Rolle des Bösewichts in der Euro-Gruppe. Es scheint, als sei ein Bruch der Währungsunion gewollt.
[….] Athen hat pariert, Dijsselbloem berief sofort eine neue Extrasitzung der Finanzminister für Freitag ein - doch schon zwei Stunden später teilte das Berliner Ministerium mit, "der Brief aus Athen ist kein substanzieller Lösungsvorschlag".
Da will wohl jemand das Rennen um die sturste Haltung um jeden Preis gewinnen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mag subjektiv gute Gründe für eine Ablehnung haben[….] Die Griechen stellen aber selbst keine Bedingungen und lehnen auch keine Verpflichtungen explizit ab. Die bloße Verlängerung des bisherigen "Master Financial Assistance Facility Agreement" ist aktuell die bestmögliche, pragmatische und elegante Lösung. Der Einwand "Wie erklär ich's dem Bundestag?" zieht nicht so richtig, wenn im Wesentlichen nur der bisherige Status Quo für sechs Monate fortgesetzt wird, um ein bisschen Spielraum und Zeit für eine Einigung zu gewinnen.
[….] Die eigentlich abgelehnte "Troika" aus EU, EZB und IWF hat Athen schon auf seiner Seite. Die "Institutionen", wie sie jetzt heißen, die mit der Aufsicht des griechischen Programms erfahren sind, halten allesamt mehr Flexibilität für sinnvoll. Die USA und andere Kräfte der Weltwirtschaft sehen es von der Seitenlinie genauso. [….] Nun hat sich Dijsselbloem auch auf diese Seite geschlagen. [….] Doch Schäuble hat den Niederländer, der bisher als sein Adlatus wahrgenommen wurde und ohnehin mit dem Job riskiert, als tragische Figur in die Geschichte Europas einzugehen, demontiert. Wenn Berlin den Athener Brief für indiskutabel hält, wozu sollen sich die Finanzminister noch treffen? [….]

Man versteht nicht, daß die deutsche Öffentlichkeit nicht versteht, daß die Griechen nicht verstehen, wieso diese gewaltigen Milliardensummen, die ihnen angeblich helfen sollen doch zu fast 80% direkt an den Finanzsektor abfließen – also unter anderem DEUTSCHEN BANKEN zu gewaltigen Gewinnen verhelfen.

Mindestens 77,12% der Programmmittel flossen direkt (über Bankenrekapitalisierung) oder indirekt (über Staatsanleihen) an den Finanzsektor.

Schäuble schiebt das Geld nach wie vor den raffgierigen Banken, die die Krise verursacht haben, in den Rachen und beklagt sich, wenn sich die Griechen beklagen.
Merkel, erbärmlich wie immer, sagt keinen Pieps und läßt ihren Finanzminister das europäische Porzellan zerschlagen.
Auch der lammfromme Sigmar Gabriel ärgert sich vernehmlich über das halsstarrige Agieren des Juristen Schäuble, der im Gegensatz zu dem renommierten Ökonomie-Professor Varoufakis über keinerlei Fachkenntnis in der Materie verfügt.

[…] Deutschland sagt „Nein“! Aber nicht alle sind damit einverstanden. Denn nachdem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Verlängerung der Finanzhilfen für Griechenland abgelehnt hat, gibt es Kritik aus der eigenen Bundesregierung.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat verstimmt auf Schäubles Ablehnung reagiert. „Das schriftliche Angebot der griechischen Regierung zu Verhandlungen über die Fortsetzung des Reformprogramms ist ein erster Schritt in die richtige Richtung“, hieß es in Ministeriumskreisen.
Man rate dazu, „dass wir diese neue Haltung der griechischen Regierung als Ausgangspunkt für Verhandlungen nutzen und nicht vorher bereits öffentlich ablehnen.“
Doch genau das hatte  der Sprecher des Bundesfinanzministeriums gemacht und erklärt: „Der Brief aus Athen ist kein substanzieller Lösungsvorschlag.“ […]

Schäuble glaubt offensichtlich die Angelegenheit Europa als kleinkrämerischer Rechtsanwalt betrachten zu können, ohne gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge zu berücksichtigen und möchte zudem den rechtsnationalen Wählern in Deutschland Zucker geben.
Man wünscht sich fast Helmut Kohl zurück.
Der als „europäisch denkende“ Historiker Gepriesene hatte allerdings in seinen 16 Regierungsjahren berechtigte griechische Klagen auf Wiedergutmachung für den deutschen NS-Terror ebenfalls abgelehnt.

[….] Die Nazis nahmen während der Besatzung griechische Kredite auf. Die heutige Bundesregierung will diese nicht zurückzahlen.
[….] Dass die Athener Reparationsansprüche nicht nur bei Bild-Lesern Empörung auslösen, zeugt auch von mangelnden Kenntnissen über ein höchst komplexes Thema. Wer wirklich verstehen will, welche Summen für Griechenland letztlich einklagbar wären, muss zunächst einige Dinge auseinanderhalten.
Erstens gibt es Klagen von individuellen Opfern des Nazi-Terrors. Die Überlebenden des Massakers von Distomo stehen hier stellvertretend für viele Überlebende. Die Kläger hatten in Griechenland ein Urteil letzter Instanz zugunsten ihrer Entschädigungsansprüche erwirkt, bei deutschen Gerichten wurde ihre Klage jedoch abgewiesen. [….] Für die Distomo-Kläger heißt das, dass sie ihre moralisch berechtigten Ansprüche juristisch nicht durchsetzen können. [….] Bekanntlich endete die Londoner Schuldenkonferenz mit dem Abkommen vom 27. Februar 1953, das eine Regelung der Reparationen für die von Nazi-Deutschland besetzten Länder bis zu einer „endgültigen Friedensregelung“ vertagte. Als diese 37 Jahre später in Form der deutschen Vereinigung erfolgte, tat die deutsche Regierung alles, um die Erinnerung an die Vereinbarung von London zu löschen. Die deutsche Einheit wurde mit dem 2+4-Vertrag besiegelt. Warum die Regierung Kohl/Genscher den Begriff „Friedensvertrag“ vermied, stand in der FAZ vom 12. Februar 1990: „Für Bonn gilt es, eine Form zu finden, die einen Friedensvertrag – der nach dem Londoner Schuldenabkommen gewaltige Schadenersatzzahlungen an zahlreiche Staaten der Welt zur Folge hätte – überflüssig macht.“
Wie wichtig dieses terminologische Tabu für die Bundesregierung war, hat mir ein Zeitzeuge erzählt, der 1990 im DDR-Außenministerium arbeitete. Der letzte Außenminister Meckel und sein Team hatten damals die naive Idee, das 2+4-Format zu erweitern und Nachbarländer wie Polen und die Niederlande einzubinden. Die Genscher-Leute reagierten panisch: Ihr seid wohl verrückt, das würde ja nach einem Friedensvertrag aussehen. Und dieses Wort sei ohnehin streng verboten.
[….]  Eine günstigere Rechtsposition hat Athen jedoch in einer anderen Frage. Die deutsche Besatzungsmacht hat bei der griechischen Zentralbank zinslose „Zwangsdarlehen“ aufgenommen. Dabei unterschrieb sie eine Verpflichtung auf Rückzahlung, die nach griechischer Auffassung bis heute gültig ist. Eine Klage, die auf unterschriebenen Kreditverträgen mit konkreten Summen basiert, ist viel aussichtsreicher als Reparationsforderungen, deren Höhe siebzig Jahre später schwer zu erfassen sind.
[….] Der endgültige Beweis: Mit der Kreditvereinbarung vom März 1942 wurden nicht nur die Abzahlungsmodalitäten unterschrieben, die Rückzahlung hatte bereits während der Besatzungszeit begonnen. Deshalb waren beim Abzug der Nazi-Wehrmacht im Oktober 1944 von der Darlehenssumme von 568 Millionen Reichsmark nur noch 476 Millionen zu begleichen.
Den heutigen Wert dieser Summe schätzen Experten auf 7 bis 11 Milliarden Euro. Einige griechische Autoren kommen auf eine hohe zweistellige Milliardensumme, indem sie Zinsen dazurechnen. Doch die Höhe der Summe ist im Grunde sekundär. Wichtiger ist ein anderer Befund: Während Nazideutschland die Pflicht zur Bedienung der Zwangsanleihe – durch Unterschrift und Rückzahlung – anerkannt hat, wird diese Verpflichtung von der heutigen Regierung geleugnet. Das irritiert sogar den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags.[….]

Und da wundert sich jemand, daß Merkel und Schäuble nicht so wahnsinnig beliebt sind in Athen?