Mittwoch, 17. Juli 2013

Trostpflaster



CDU und CSU sind offensichtlich immun gegen Realität und moralische Ansprüche.
Für mich ist das natürlich extrem frustrierend. Zeigt sich doch an den Wahlabsichten der Deutschen, daß Aufdeckung und Entlarvung der Machenschaften des rechten politischen Lagers nutzlose Unterfangen sind.

Glücklicherweise funktioniert Aufklärung auf einem anderen Schauplatz deutlich besser.
Nämlich bei den Religiösen.
Ihre Führer sind genauso doppelmoralisch wie die CDU-Führer, aber den Kirchen nimmt man es durchaus noch übel, wenn sie beim Mauscheln mit Geldern oder dem Vertuschen von Kinderfickerfällen ertappt werden.

Zum Beispiel im Bistum Augsburg, Mixas ehemaliger Großdiözese.
Im Juni 2013 hatte Bischof Konrad Zdarsa still und heimlich Pfarrer Thomas Schilling von der Pfarreiengemeinschaft Unterthürheim auf dessen Wunsch „beurlaubt.“
Daß Schilling sich an Messdienerchen vergriffen haben soll, führt mal wieder zu Solidarisierungen mit ihm. Wie immer steht die Kirchenleitung voller Empathie zu dem Täter; hat aber für die Opfer kein Wort des Bedauerns übrig.
Der Pfarrgemeinderatsvorsitzender von Maria Hilf (Unterthürheim), Karl-Heinz Deisenhofer, will dem beurlaubten Pfarrer Unterstützung anbieten, damit der Geistliche „nicht alleine dastehe“. Mit der Sache sei er nicht glücklich. „Ein Mensch, der einem solchen Vorwurf ausgesetzt ist, ist schnell abgestempelt.“

Für Anna Cordes, Pfarrgemeinderatsvorsitzende in Oberthürheim, ist die Situation „extrem überraschend“. „Wir, in Oberthürheim, können nur sagen, dass wir uns diesen Vorwurf nicht in Verbindung mit der Persönlichkeit unseres Pfarrers vorstellen können“, erklärt sie. „Es passt unserer Meinung nach einfach nicht zu ihm.“
Für den Bischof offenbart sich aber mit jedem abgängigen Pfaff die Schwäche seiner Kirche. Sowohl Kirchgänger, als auch Pastoren sind absolute Mangelware. Selbst im frommen Bayern haben mehr und mehr Bürger die Nase voll von den organisierten Religioten.
Es werden systematisch eigenständige Kirchengemeinden geschlossen und zu großen Bet-Konglomeraten zusammengefasst, welche dann mit einem Mietpfaff aus Osteuropa, Asien oder Afrika besetzt werden.
Ab September legt das Bistum Augsburg die beiden [Pfarreiengemeinschaften Unterthürheim und Buttenwiesen…] zusammen. Sie firmieren fortan unter der Bezeichnung Pfarreiengemeinschaft Buttenwiesen. Sie beinhaltet dann die Pfarreien Buttenwiesen, Frauenstetten mit Vorder- und Hinterried, Lauterbach, Wortelstetten mit Neuweiler, Ober- und Unterthürheim sowie Pfaffenhofen. Bischof Konrad Zdarsa reagiert mit der Pastoralen Raumordnung auf den bestehenden Priestermangel, den Glaubensschwund und den vermehrten Kirchenaustritt der Gläubigen. […]   Der Wegfall des Wortgottesdienstes am Sonntag und an Feiertagen wird dort heftig moniert. Er sei ein wichtiges und identitätsstiftendes Element vor allem der Kirchen auf dem Land. Die Hoffnung, dass sich auch ältere und gebrechliche Menschen problemlos an einen zentralen Ort zur Eucharistiefeier begeben, widerspreche eindeutig die bisherige Erfahrung, so das Urteil der Hinterfrager der Diözese. […] Pater Soni Abraham Plathottam setzt, wie zu hören ist, auf Gemeinsamkeit und Teamgeist. Der Karmelitenpater ist für die neugeordnete Pfarreiengemeinschaft Buttenwiesen ab 1. September zuständig. Der aus Indien stammende Geistliche kam 1999 nach Deutschland, leitete ab 2004 in Kenia eine Pfarrei und kehrte 2008 wieder in unser Land zurück. […]
Die Pfarreien Ober- und Unterthürheim haben in diesem Kontext bereits Konsequenzen gezogen. Sie verzichten heuer auf ihre Pfarrfeste. Die Vorsitzende des Pfarrgemeinderats in Oberthürheim, Anna Cordes, meinte gegenüber unserer Zeitung, dass zum Feiern derzeit die Motivation fehle.
In Berlin, wo die frommen Merkel, Nahles, Thierse und Schavan wirken, schreckt ihre Religiosität massiv ab.
Den Glaubensgemeinschaften in Berlin laufen offenbar massenhaft die Schäfchen davon.

In diesem Jahr sind allein in den ersten drei Monaten 4046 Berliner aus der Kirche ausgetreten. 2012 waren es laut Senat 12.206. Experten rechnen damit, dass 2013 so viele Berliner wie nie ihrer Religionsgemeinschaft den Rücken kehren.

Die meisten Austritte zählt die evangelische Kirche (2382) vor der römisch-katholischen (1617). Vor allem in den Amtsgerichten Tempelhof-Kreuzberg (738), Mitte (617) und Schöneberg (588) gehen Anträge ein. Für den Anstieg bei den Kirchenaustritten machen Gerichtsmitarbeiter die geplanten Gebühren für Kirchenaustritte verantwortlich.

Künftig sind 30 Euro fällig. Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt im Abgeordnetenhaus.
In Finnland jagt eine ultrafundamentalistische Ministerin die Gläubigen aus der Kirche.
Hardcore-Protestanten in Finnland.

Päivi Räsänen zieht wieder gegen Homos, Abtreibungen und „lustbetonten“ Lebensstil zu Felde. […] Päivi Räsänen dürfte das teuerste Mitglied der finnischen protestantischen Kirche sein. Die 53-jährige Innenministerin, zuständig auch für Kirchenfragen, hat in der vergangenen Woche für eine neue Welle von Kirchenaustritten gesorgt. Und damit jährliche Kirchensteuerverluste für die evangelisch-lutherische Kirche in Höhe von mehreren hunderttausend Euro verursacht.

Schon vor drei Jahren führten Räsänens Äußerungen in einer Talkshow dazu, dass binnen zehn Tagen so viel FinnInnen ihren Kirchenaustritt erklärten wie sonst in einem ganzen Jahr: 34.000. Der Verlust der Kirchensteuereinnahmen pro Jahr beläuft sich auf 8 Millionen Euro. Räsänen hatte damals Homosexualität als Sünde und gleichgeschlechtliche Paare als „schlechtere Eltern“ bezeichnet; jetzt proklamierte sie, die Lehren der Bibel stünden über der weltlichen Gesetzgebung.
 (R. Wolff, taz, 14.07.13)
Viele finnische Kirchenmitglieder traten aus der Kirche aus. Allein am vergangenen Donnerstag waren es rund 2.500 Personen. Laut der Internetseite eroakirkosta.fi treten im Juli normalerweise täglich rund 70 Mitglieder aus.

[…] Räsänen sagte, sie werde aber zur ihrem Wort stehen, und weiterhin die Ministerverantwortungen für Kirchenfragen behalten, für die sie als Innenministerin zuständig ist. […]  Die Kirche selbst distanzierte sich von Räsänens Äußerungen. […] Die Bischöfin in Helsinki, Irja Askola, sei „traurig und etwas verärgert“: „Es ist uns nicht gelungen, die Botschaft rüber zubringen, dass die Kirche etwas anderes ist als diese einzelnen Aussagen.“
(pro 16.07.13)

Dienstag, 16. Juli 2013

Tiefer graben, wenn man schon im Loch sitzt.


Gerhard Stoltenberg war vor gut 20 Jahren einer der CDU-Bundesminister, der besonders frech auf eine No-Win-Verteidigung setzte, als er in einem Affärenstrudel unterzugehen drohte.
Erst waren unter seiner Aufsicht ehemalige NVA-Panzer nach Israel geliefert worden und nachdem der Haushaltsausschuss des Bundestages ausdrücklich die Weitergabe von Bundesswehrpanzern an die Türkei verboten hatte, wurde im März 1992 genau das bekannt.
15 Panzer hatten Stoltenbergs Leute heimlich nach Ankara bringen lassen.
Der empörten Opposition erklärte der Minister dann, er wäre keineswegs politisch verantwortlich, denn er habe von den Vorgängen rein gar nichts gewußt.
Damit hatte er für jeden klar zu verstehen gegeben, daß er entweder gerade das Parlament anlügt, oder aber als Minister vollkommen versagt hat, weil er die wichtigsten Vorgänge seines eigenen Ministeriums nicht kennt.
Selbst unter dem Schwarzgeld- und Mauschel-König Kohl blieb so eine Dummdreistheit nicht ungestraft. Der Kabinettskollege einer jungen Ministerin namens Angela Merkel, flog im hohen Bogen.

Stoltenbergs Nachnachfolger de Maizière sitzt in einer noch größeren Patsche. Gleich bei mehreren Rüstungsprojekten versuchte er es mit der Stoltenberg’schen No-Win-Verteidigung.
 Es ist allerdings noch schlimmer; denn es ist anders als 1992 ein gigantischer finanzieller Schaden für den Steuerzahler entstanden (rund 600 Millionen Euro wurden für die fluguntauglichen Superdrohnen verplempert) und zudem werden täglich neue Belege dafür bekannt, daß de Maizière gelogen hat und in Wahrheit viel früher über das Drohnendesaster informiert war.


Wenn ein Ministerrücktritt fällig ist, dann der von Merkels aktuellem Verteidigungsminister. Daß das nicht geschieht, liegt an Merkels systematischer ethisch-moralischen Desensibilisierung.
Ihre Minister dürfen sich bestechen lassen, das Volk anlügen oder auch die Arbeit komplett verweigern.
Sie stört es nicht.

Selbst für Merkels Kabinett ist das Ausmaß des Totalversagens des Innenministers Friedrich allerdings rekordverdächtig. 

Vermutlich würde sie ihn auch ganz gerne à la Röttgen über die Klinge springen lassen, aber es sprechen drei gewichtige Gründe gegen eine Friedrich-Entlassung. 1.) Er ist in der CSU. 2.) Er war ohnehin nur dritte Wahl für den Job und kam nur ins Amt. Weil sich partout niemand anderer bereits erklärte das zu machen. 3.) Wir sind zehn Wochen vor der Bundestagswahl.
Sei’s drum. So bleibt uns der debakulierende Innenminister noch als Witzfigur erhalten.
Bankrotterklärung des Innenministers.

Als Konsequenz aus der Spähaffäre hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Bürger zum Verschlüsseln ihrer Onlinekommunikation aufgerufen. „Wir werden dafür sorgen, dass noch mehr Menschen in Deutschland ihre eigene Kommunikation noch sicherer machen“, sagte Friedrich nach einer Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums zur Überwachung der Geheimdienste (PKGr). […]

Die Opposition warf der Regierung nach der vierten geheimen Sondersitzung des PKGr zur Spähaffäre der USA vor, die entscheidenden Fragen nicht geklärt zu haben. Friedrich sei „mit leeren Händen“ aus den USA zurückgekommen, sagte der SPD-Innenpolitiker Thomas Oppermann. Merkel müsse die Angelegenheit deshalb nun zur Chefsache machen: „Die Bundeskanzlerin muss sich selbst vor die Bürgerinnen und Bürger stellen und ihre Grundrechte schützen“, sagte Oppermann.
(Astrid Geisler 16.07.13)
Den rumänophoben Hobbypolitiker Friedrich als „der Depp vom Dienst“ (taz) zu bezeichnen, halte ich noch für vergleichsweise mild.
Pressesplitter:
Es war eines der Argumente, das Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) von seiner USA-Reise mitgebracht hatte: Durch die großangelegte Internet-Überwachung um Prism seien 45 Terroranschläge vereitelt worden, davon allein fünf in Deutschland, sagte er. Auf der Regierungspressekonferenz am Montag schien nun durch, dass offenbar nicht ausschließlich konkrete Anschläge verhindert, sondern teilweise auch nur "Überlegungen" dazu durchkreuzt wurden.

Innenminister Friedrich erklärt sich für ahnungslos.

Innenminister Friedrich hat zugegeben, das US-Spähprogramm "Prism" nicht zu kennen. Über den Umfang wisse man bis heute nicht Bescheid.
 (Die Welt 16.07.13)

Der Tanzbär.

Hans-Peter Friedrich tapst auch nach fast zweieinhalb Jahren noch staunend durch die Welt der Polizei und Geheimdienste. Die Ministeriumsbeamten lassen den Politiker nach ihrer Pfeife tanzen. […] Hans-Peter Friedrich ist der am meisten überforderte Ressortchef im Kabinett von Angela Merkel.

Das zeigt sich einmal mehr durch sein Agieren in der Abhöraffäre, die der frühere NSA-Techniker Edward Snowden ausgelöst hatte. Am Anfang schimpfte Friedrich nicht etwa auf die US-Lauschbehörde NSA, sondern auf deren Kritiker, denen er „Antiamerikanismus gepaart mit Naivität“ vorwarf. Dann, als die Lauschoperationen gegen die EU und europäische Botschaften bekannt wurden, reagierte der CSU-Politiker schon kleinlauter: Das gehe natürlich nicht, sagte er und forderte eine Entschuldigung aus Washington, wenn denn die Vorwürfe zuträfen. Im Übrigen würden deutsche Geheimdienste so etwas wie die NSA nicht tun.

Jetzt, nachdem der Spiegel über die Abhörkumpanei zwischen NSA und BND berichtet hat, ist Friedrich ganz verstummt. Dafür fliegt er in dieser Woche nach Washington […] ,

Die Amerikaner werden sich auf die Schenkel klopfen. Sie wissen, gut informierte Unterabteilungsleiter sind weit unangenehmere Gesprächspartner als ein Minister, der auch nach fast zweieinhalb Jahren im Amt noch mit staunenden Augen durch die Welt der Geheimdienste und Polizeibehörden tapst. […] Der CSU-Politiker, der sich als Abgeordneter jahrelang mit Wirtschafts- und Verkehrspolitik befasste, hatte nie einen Plan, ein Konzept für sein Ressort. Es scheint so, als wolle der 56-Jährige nur sein Amt überstehen. Schließlich habe er ja kein Innenminister werden wollen, wie er selbst einräumt.

[…] Nach dem Auffliegen der rechten Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ und dem offenbar gewordenen Versagen der Sicherheitsbehörden hätte es ein starker Minister nicht bei personellen Bauernopfern belassen, sondern strukturelle Konsequenzen gezogen. Friedrich aber kapitulierte vor dem Widerstand aus den Ländern und gab sich statt der 2012 noch vollmundig angekündigten Reform des Verfassungsschutzes mit kosmetischen Korrekturen weniger Arbeitsabläufe zufrieden.

[…] Wie sehr der Minister in seinem Amt ein Getriebener ist, machen auch seine Volten im Fall des NPD-Verbotsantrags deutlich. Im vergangenen Dezember redete er noch den 16 Landesinnenministern ins Gewissen und versuchte, sie von seinen Zweifeln an einem erfolgreichen Verfahren in Karlsruhe zu überzeugen. Vergeblich, die Minister votierten einstimmig für einen Verbotsantrag des Bundesrats.

Drei Monate später verblüffte der CSU-Politiker im Bundestag mit der Aussage, nun müssten auch Bundesregierung und Bundestag den Antrag der Länder unterstützen. Kanzlerin Merkel war not amused über den plötzlichen Sinneswandel ihres Ministers, hatte sie sich doch von ihm Rückhalt in ihrer skeptischen Haltung zum NPD-Verbot versprochen. Friedrich bekam eine Privataudienz bei Merkel und ruderte prompt zurück. Jetzt war auch er wieder gegen den Verbotsantrag.

[…] Ungeschickt und unsensibel agiert er auch in der Deutschen Islamkonferenz.

Nach dem US-Besuch von Innenminister Hans-Peter Friedrich durchforsten mehrere NSA-Mitarbeiter die Datenbanken und Archive des Geheimdienstes, um zu überprüfen, ob der CSU-Politiker auf der Gehaltsliste der NSA steht. Immerhin wäre dies die einzige plausible Erklärung dafür, warum sich der deutsche Innenminister seit Wochen so verhält, als sei er der offizielle Pressesprecher der NSA.

"Bis vor Kurzem dachten wir, dieser Friedrich wäre ein ganz normaler deutscher Politiker, der nichts mit uns zu tun hat", so NSA-Rekrutierungsoffizier Jeff Haberly gegenüber dem Postillon. "Doch seit seinem Besuch sind wir überzeugt, dass er einer unserer Geheimagenten oder eine Art V-Mann in unseren Diensten sein muss. Kein Politiker eines fremden Landes würde jemals ein Abhörprogramm wie das unsere freiwillig verteidigen."

Und was denkt der Wähler über eine Partei, die solche Minister stellt? UngeAignert, die Landwirtschaftslobbyerfüllungsgehilfin, Ramsauer, der konzeptionslose Killer der deutschen Infrastruktur und eben Friedrich?
CSU stärker als alle anderen Parteien zusammen.

Die CSU wäre nach einer neuen Umfrage derzeit bei einer Landtagswahl stärker als alle anderen Landtagsfraktionen zusammen - einschließlich der FDP. Die CSU würde demnach auf 47 Prozent kommen, ein eventuelles Bündnis von SPD, Grünen und Freien Wählern dagegen nur 39 Prozent holen. Die FDP liegt bei fünf Prozent.
Analtauchen zahlt sich aus.

Montag, 15. Juli 2013

Kommt jetzt die Wende?



Daß Merkel keinerlei Rückgrat hat und aus Furcht irgendwo anzuecken jede Entscheidung so lange wie irgend möglich hinaus zögert, wurde unter anderem in diesem Blog 27.000 mal dargelegt.
Üblicherweise ist diese Methode im Lande des deutschen Urnenpöbels eine gute Strategie, weil Merkel eher als eine über den Dingen schwebende Kanzlerpräsidentin wahrgenommen wird. Je mehr sich die niederen Parteikader oder die Koalitionskasper zanken, desto wohlwollender wird die eine betrachtet, die sich nicht die Hände schmutzig macht.
Daß endlose Debatten und das völlige Ausbleiben von Resultaten oft ursächlich im präsidialen Regierungsstil der Kanzlerin liegen, ist den Wählern schon zu weit gedacht.
Wenn die Kabinettschefin ein inhaltliches Vakuum darstellt, ist es wenig verwunderlich, daß viele antagonistische Meinungen danach trachten, es zu füllen.
Eigentlich ein genialer PR-Kreislauf.
Merkel verursacht durch ihre Entscheidungsabstinenz Chaos und Streit. Von Chaos und Streit sind die Wähler so sehr genervt, daß sie sich nach einem Ruhepol sehnen. Dieser Ruhepol Merkel wird dann mit gigantischen Zustimmungsraten überschüttet und somit in seiner Lethargie bestärkt. Und genau diese Regierungslethargie löst dann wieder den Streit und das Chaos aus.
Für die Kanzlerin ist das bequem. 
Sie muß nur abwarten, welche Meinung sich durchsetzt, oder, was ihr noch wichtiger ist, welche Meinung am populärsten ist. Und genau diese Position besetzt sie am Ende auch.
Die soeben beschriebene Methode Merkel hat sich vielfach bewährt. 
Aber sie stößt auch an Grenzen. 
Manchmal klaffen der richtige und der populäre Weg zu weit auseinander, oder der populäre Weg verursacht in der Folge noch viel massivere Probleme.
Das Paradebeispiel dafür ist die sogenannte „Eurokrise“, die womöglich schon vor drei Jahren gestoppt worden wäre, wenn Merkel es nicht so lange laufen lassen hätte und die erforderlichen Garantien für Griechenland und Co gleich gegeben hätte, bevor „die Märkte“ richtig Blut geleckt hatten und begannen auf Pleiten von Staaten zu wetten.

In der Causa Prism/Snowden erleben wir zudem den interessanten Fall, daß keine Entscheidung eben auch eine Entscheidung ist und zwar genau die, welche das Volk gar nicht will.
Gucke ich mir die Meinungsartikel, Leserbriefe und die Reaktionen in den sozialen Medien an, scheint es mir ziemlich offensichtlich, daß sich eine große Mehrheit der Bevölkerung gewünscht hätte, Merkel riefe den Kollegen in Washington an und lasse es mal richtig krachen. Außerdem scheint mir die Idee Herrn Snowden in Deutschland „Asyl“ zu geben ebenfalls extrem populär zu sein.
Jakob Augstein zitierte dazu vor einer Woche den ARD-Deutschlandtrend.
Eine überwältigende Mehrheit der Deutschen will endlich klare Worte von Angela Merkel hören: Laut ARD-Deutschlandtrend finden 78 Prozent, dass die Kanzlerin deutlicher gegenüber den USA und Großbritannien protestieren soll. Aber die Bundesregierung lässt die Deutschen in der angelsächsischen Kälte stehen.
Diese 78% würde ich nicht für bare Münze nehmen. Was der jeweilige Wähler unter „klare Worte“ versteht dürfte sehr verschieden sein. Das Fehlen dieser „klaren Worte“ wird für viele trotz Bauchgrimmen auch noch klein Grund sein NICHT Merkel zu wählen.
ABER wenn die Opposition das Thema geschickt am Kochen hält, wäre es durchaus die Gelegenheit Merkels Methoden dem Wähler bewußt zu machen.
Bisher lebte Merkel nämlich immer von dem (meines Erachtens völlig ungerechtfertigten) Vertrauen, daß sie schon im Sinne der Deutschen handeln werde.
Wenn sich jetzt mehr und mehr herauskristallisiert, daß ihr das Wohl der Deutschen im Grunde gar nicht wichtig ist, jedenfalls nicht so wichtig, um in diesem Sinne bei Obama vorzusprechen, könnte ihr das bei den Wahlen durchaus schwer schaden.

Die Leserbriefe im heutigen SPIEGEL geben einen Eindruck davon, wie wenig man Merkel glaubt. Sie hat sich in eine No-Win-Situation manövriert. Das Bild verdüstert sich noch durch den katastrophalen Eindruck, den Innenminister Friedrich in der Causa Prism macht.
Wenn die deutschen Dienste nichts gewusst haben, sind sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen und damit überflüssig. Wenn doch, drängt sich die Frage auf: Haben Sie uns belogen, Frau Merkel?

DR. RUDOLF B. HOLZAPFEL, AUGSBURG



Ihr Bericht traf leider voll ins Schwarze. „Deutschland ist ein Land, das sich nichts traut“ – das ist die bittere Erkenntnis, die sich aus 64 Jahren deutscher Außen- und Europapolitik ergibt. Das hat uns dieser Artikel in aller Deutlichkeit klargemacht. Kein maßgeblicher deutscher Politiker – mit Ausnahme von Gerhard Schröder – hat es in dieser Zeit je vermocht, legitime deutsche Interessen gegen energischen äußeren Widerstand durchzusetzen, wenn nicht der Hegemon USA Rückendeckung gab.

 ALFRED NAHRMANN, BREMEN



Der Auftrag einer Regierung ist nicht, absolute Sicherheit zu schaffen, sondern die Einhaltung des Rechts zu gewährleisten, um unsere Freiheit zu erhalten. Wir Bürgerinnen und Bürger müssen unser Augenmerk auf die Regierung richten, nicht umgekehrt. Wir sollten Menschen wie dem früheren Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden und seinen Helfern in den Medien dafür dankbar sein, dass sie hohe persönliche Risiken auf sich nehmen, damit wir wissen, was unsere Regierungen tun.

ANDRÉ BESSLER, BREMEN



Ich erinnere daran, dass Gerhard Schröder nein sagte, als George W. Bush im Irak auch deutsche Soldaten sterben lassen wollte. Diese Entscheidung wog tausendmal schwerer, als Asyl für Snowden zu gewähren, und erforderte hundertmal mehr Mut. Bush hat sie nicht geahndet. Demgegenüber verhält sich Merkel weich wie eine verrottende Pflaume.

DR. DIETER EHRHARDT, ZELL AM MAIN



Deutschland, der getreue Hund an der Leine der Amerikaner, zieht den Schwanz ein und leckt seinem Herrchen die Hand. Das wundert mich nicht. Denn wenn BND und Regierung von der totalen Überwachung der Amerikaner nichts gewusst hätten, wäre dies ein totaler Offenbarungseid. Das echauffierte Pro-forma- Gekläff des Regierungssprechers Seibert wirkt da eher wie das eines Schoßhündchens. Ausspionieren, sagt er, „geht gar nicht“ – aber Whistleblower wie Edward Snowden, die der Demokratie einen großen Dienst erweisen, gehen offensichtlich erst recht nicht. Obama kann sich sehr sicher sein, dass ihm Fiffi nicht ans Bein pinkeln wird.

BERND CIERPIOL, DÜSSELDORF



Man kann sich nur schämen für diese Bundesregierung, die nicht den Mut hat, einem Mann politisches Asyl zu gewähren, der öffentlich Missstände aufdeckt, also das tut, was in einer demokratischen Wertegemeinschaft selbstverständlich sein müsste. Eher als Obama hätte wohl Snowden für seine Zivilcourage den Friedensnobelpreis verdient.

WERNER MÜLLER-REDLICH, BERLIN



Erfreulicherweise hat sich der SPIEGEL wieder einmal als Meister in Sachen Zivilcourage erwiesen, indem er konkret-konstruktiv dafür plädierte, Edward Snowden nach Deutschland zu holen.

JÜRGEN PREUSS, RATINGEN
(Der SPIEGEL 15.07.13)
Nein, ich glaube nicht, daß all diejenigen, die sich über Merkel ärgern jetzt alle Steinbrück wählen. Aber es könnte etwas in Rutschen geraten.
Auch der jüngste Augstein legt noch einmal nach.
Merkel lässt die Deutschen im Stich! Im größten Spionageskandal der Geschichte kommen unglaubliche Enthüllungen ans Licht - und was tut die Bundesregierung? Erst hat die Kanzlerin lange geschwiegen, dann sagt sie nichts. Peer Steinbrück hat recht: Angela Merkel verletzt ihren Amtseid.

[…] Es geht nicht darum, wie wir zu Amerika stehen. Oder zum internationalen Terrorismus. Oder zur Rolle der Geheimdienste. Da hat jeder seine Meinung. Es geht darum, dass man unsere Rechte verletzt, ohne dass wir Einspruch erheben können. Wir hören auf, Bürger zu sein, und werden zu Untertanen.

Das ist eine fundamentale Erfahrung der deutschen Geschichte, die wir nie wieder machen wollten. An wen wenden wir uns jetzt? Wer kommt uns zu Hilfe?

Auf die Bundesregierung können wir offenbar nicht zählen. Angela Merkel hat zum größten Spionageskandal der Geschichte erst wochenlang geschwiegen - und dann nichts gesagt. Das Interview, das sie der "Zeit" gegeben hat, war desinteressiert, gleichgültig, belanglos, beinahe surreal. Edward Snowden hat bekanntgemacht, dass unsere "Verbündeten" jeden Monat 500 Millionen Datenverbindungen in Deutschland abgreifen und dabei einen Kranz von deutschen Gesetzen brechen - vom Vertrauen unter politischen Freunden ganz abgesehen - und die Kanzlerin redet in gelangweilten Stanzen, als ginge sie das alles nichts an. [….]

Da überkommt einen jenes unheimliche Gefühl der Ohnmacht, das man aus surrealen Träumen kennt: Der deutsche Innenminister reist nach Washington, um sich über die Bespitzelung der Deutschen durch US-Dienste zu beschweren, und man erklärt ihm, über die Tätigkeit der US-Geheimdienste könne nicht gesprochen werden, da sie geheim sei.

Aber Hans Peter Friedrich fühlte sich in Washington nicht gedemütigt. Er war froh, dass man ihn überhaupt empfangen hatte. Und ein paar Zahlen hat er ja doch mitbekommen: Wieder daheim in Deutschland verkündete Friedrich, es seien weltweit 45 Anschläge durch Informationen des US-Geheimdienstes verhindert worden, 25 davon in Europa und fünf in Deutschland. Da blieb eigentlich nur die Frage offen, was die größere Beleidigung für die deutsche Öffentlichkeit war: die Tatsache, dass die Amerikaner es nicht einmal für nötig hielten, ihre Bespitzelung der Deutschen zu rechtfertigen? Oder die Micky-Maus-Zahlen des Innenministers, für die es keine Belege gibt und die vielleicht zutreffen oder eben auch nicht?

[…]  Merkel ist nicht ohnmächtig. Sie ist gleichgültig. Sie arbeitet seit jeher ohne nennenswerte Überzeugungen. Und wo keine Überzeugungen sind, entsteht auch keine Empörung.
Zwei seiner Kollegen von SPON, Florian Gathmann und Veit Medick, wittern sogar „Steinbrücks große Chance
 Wenn die SPD nicht dieses gottgegebene Megatalent hätte Chancen verstreichen zu lassen und sich stattdessen selbst ein Bein zu stellen, würde ich glatt hoffnungsfroher auf den 22.09.2013 blicken.