Donnerstag, 13. Februar 2025

Haltung und falsche Haltung

Die AfD, CDU und CSU im Glücksrausch, neun Tage vor der Bundestagswahl, über das schöne Wahlkampfgeschenk aus München, das sie nun genüsslich auswalzen: Einfach herrlich, wie man aus dem Leid anderer, seinen Honig saugen kann.

[….]  „Bild und Welt melden: Es war wieder ein Afghane. München. Wer die Grenzen nicht DICHT macht und diese Leute nicht abschiebt und weiter reinströmen lässt, an dessen Händen klebt das Blut der Opfer. [….] beten wir dafür, dass am 23.2. die Wende kommt! Wählt AfD. Setzt ein Zeichen: Es reicht!“ [….]

(Beatrix von Storch, Nazi-Enkelin, Nazi-Politikerin)

Einfach herrlich, wie man mit dem Leid anderer, von den größeren Problemen ablenken kann.

[…..]  „Deutschland erlebt einen widerwärtigen Anschlag nach dem nächsten und hat vor lauter Normalität die ganzen Messerangriffe, Gewaltdelikte & Sexualdelikte schon als „Tagesmeldung“ abgeheftet. Wieder war es vermutlich ein Mensch aus einem Asylhauptherkunftsland. Nach dem, was alleine ich die vergangene Woche an aggressiver Ignoranz, Diffamierung und Gleichgültigkeit beim Thema Migration & Kriminalität von Links erlebt habe, muss ich nochmal deutlich sagen. Deutschland kann sich keinen einzigen Tag mehr diese links-ideologische Politik leisten. Keinen einzigen Tag!“ [….]

(Manuel Ostermann, CDU, Polizeigewerkschaft)

Nun sind die Schleusen wieder offen, um noch xenophober und menschenfeindlicher zu reden. Friedrich Merz erregt die Vorstellung immer mehr, was er mit Alice und Tino treiben könnte. Nach verfassungs- und europarechtswidrigen Maßnahmen zu schreien, ist so viel einfacher, als dem Wahlvolk zu erklären, wieso bei dem neuerlichen Anschlag in Bayern, die Behörden des CSU-Staates wieder versagt haben. Vor neun Jahren kam der mutmaßliche Täter als 15-Jähriger unbegleiteter Flüchtling nach Bayern.

Aber wozu sich an die eigene Nase fassen, wenn man auch gegen Grüne und SPD hetzen kann? Wenn Wahlkampf ist und man ohnehin an keinerlei Lösungen, sondern nur Macht interessiert ist? Wenn man nun einmal rechtsextremen Überbietungswettkampf so exzellent beherrscht. Wenn man nichts lieber tut, als für die verfassungsfeindliche AfD zu werben.

[….] Was die Demonstrationen gegen den Rechtsruck zeigen, nennt man: Haltung [….] Auf den Straßen und Plätzen deutscher Städte konnte man in den vergangenen Wochen ein ganz anderes Bild von der Klugheit der Menschen gewinnen. Allein auf der Münchner Theresienwiese haben sich am Samstag 250 000 Menschen eingefunden. „Demokratie braucht dich!“ [….] Der Politikwissenschaftler Tarik Abou-Chadi, der in Oxford lehrt, hat jüngst im Fachportal Verfassungsblog über die viel diskutierte Frage geschrieben, ob die etablierten Parteien durch eine harte Migrationspolitik Stimmen von den Rechtspopulisten zurückgewinnen können. Indem sie also deren Themen kopieren. Sein Fazit: Die Forschung belege das genaue Gegenteil: „Jede Form der Zusammenarbeit führt zu einer stärkeren Normalisierung radikal rechter Parteien.“

Dass dies so ist, hat mit einem geradezu grotesken Mechanismus zu tun. Die Parteien der Mitte – beileibe nicht nur die CDU, sondern auch SPD und Grüne – fahren einen immer rigideren Kurs in Sachen Migration, in der Annahme, dass sie damit den Ängsten und Sorgen der Wählerschaft begegnen. Mehr Abschiebung, mehr Zurückweisung, mehr Grenzkontrollen – weil der Wähler es wolle.

Wissenschaftler haben jedoch herausgefunden, dass der Wille der Wähler maßgeblich von den Parteien mitbestimmt wird. „Das, was Parteien machen und sagen, hat einen starken Einfluss auf die Positionen und Prioritäten von Bürgern und Bürgerinnen“, schreibt Abou-Chadi. Dieser Mechanismus führt zu einer fatalen Rückkopplung: Die Politik macht, was die Wähler wollen. Und die Wähler wollen, was die Politik macht.

Eine Folge dieses Effekts ist: Je stärker die politische Mitte die Themen der radikalen Rechten aufgreift, desto mehr legitimiert sie deren Parteien. In Schweden fährt die liberalkonservative Partei Moderaterna gegenüber den rechtspopulistischen Schwedendemokraten einen Kurs der Kooperation. Einer Studie zufolge werden die schwedischen Populisten inzwischen von den Bürgern als deutlich „normaler“ wahrgenommen als die AfD in Deutschland, die, jedenfalls bisher, noch hinter der Brandmauer wohnt. Und nachdem die rechtsliberale VVD in den Niederlanden eine Zusammenarbeit mit der radikal rechten PVV von Geert Wilders nicht mehr ausgeschlossen hatte, wurde sie von dieser bei den Wahlen überholt. [….]

(Wolfgang Janisch, 12.02.2024)

Diese „Haltung“ wird man bei C-Politikern nicht mehr finden. Sie stirbt generell aus; findet sich aber noch gelegentlich in der Zivilgesellschaft. Zum Beispiel in Gestalt von Marina Weisband, der 1987 in Kiew geborenen jüdischen Ukrainerin, die 1994, als Siebenjährige mit ihren Eltern im Zuge der Regelung für jüdische Kontingentflüchtlinge nach Wuppertal zog und heute als Psychologin, Publizistin, Autorin und Grünen-Politikerin wirkt.

Sie wurde gestern von der Didacta zur Bildungsbotschafterin 2025 gekürt; eine große Ehre, die sie nicht annahm.

[….] Kaum eine Nachricht hat mich so sehr gefreut, wie hier als Bildungsbotschafterin ausgezeichnet zu werden. Ich arbeite seit über einem Jahrzehnt mit großer Leidenschaft für Demokratiebildung und werde dem auch den Rest meines Lebens widmen. Umso mehr enttäuscht mich, dass diese Auszeichnung überschattet wird davon, dass sie sich nun wie ein Deckmantel der Normalität anfühlt für einen ungeheuerlichen Vorgang.

Die Didacta hat sich unfreiwillig zum Brennglas für die Frage gemacht, ob demokratiefeindliche Akteure einen Platz haben auf einer Fachmesse mit dem Motto Demokratiebildung. Und ich kann nicht anders, als hier fest auf einer Seite zu stehen: Nein, haben sie nicht.   Ich kämpfe für eine Schulkultur der Selbstwirksamkeit. Für Inklusion, Vielfalt, Neugier, den Glauben an jedes einzelne Kind, an jeden einzelnen Menschen. Die AfD kämpft gegen Gesamtschulen, gegen Inklusion, gegen Lehrkräfte, die nicht auf Linie sind. Sie spricht Menschen je nach Geburt verschiedenen Anspruch auf Würde zu. Sie stellt Menschen vor existenzielle Fragen. Gehen oder bleiben? Sind wir hier noch willkommen? Schüler mit Migrationshintergrund. Mich! Und das müssen wir NICHT aushalten. Diese Partei will nämlich keine demokratische Debatte über diese Fragen. Sie will den Debattierclub anzünden.

Weil ich mich seit Jahren mit Demokratiebildung beschäftige, kann ich hier eine Erkenntnis teilen: Demokratie stirbt nicht plötzlich. Vielmehr werden ihre Feinde Schritt für Schritt normalisiert, bis ihr Ende wie der nächste kleine Schritt in einer logischen Kette erscheint. Heute kann ich hier nicht stehen und bei dieser Normalisierung mitspielen.

Es ist meine demokratische, meine verfassungsmäßige Pflicht, dagegen aufzubegehren. Darum lehne ich diesen Preis ab. Mit großem Bedauern. Das mir wichtig als Signal an alle, die planen, diese Partei als normale Partei zu behandeln. [….]

Noch gibt es Applaus für Haltung.

[….] Weisbands Rede wurde vom Publikum mit stehenden Ovationen gefeiert.

[….] Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) hatte sich bei der Eröffnung der Messe dafür ausgesprochen, der AfD nicht zu viel Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. »Wir brauchen diese Partei nicht«, sagte Schopper. Man müsse genau unter die Lupe nehmen, was die Partei fordere und sie inhaltlich »an den Hörnern packen«.

[….] Manche Aussteller sehen das anders. So blieben mehrere Stände aus Protest gegen die AfD-Teilnahme unbesetzt. An einem der Stände hing ein großes Poster. »Sie sind enttäuscht? Wir auch«, schreibt dort eine Ausstellerin und erläutert ihre Motivation, »durch meine Abwesenheit zu demonstrieren«. Auch Robert Reuther, Geschäftsführer des Dresdner Bildungs-Start-ups »45minuten«, das Unterrichtsmaterial von Lehrkräften für Lehrkräfte vermittelt, hatte bereits im Vorfeld klargemacht, dass sein Unternehmen in Stuttgart nicht dabei sein werde: »Wir zeigen Haltung – auch, wenn’s wehtut.« [….]

(SPON, 13.02.2025)

Aber Merz, Söder, Aiwanger, Wagenknecht, Lindner und die Nazis arbeiten eifrig an einem Agendasetting, welches den noch vorhandenen Rest-Anstand ausmerzt.

Mittwoch, 12. Februar 2025

Wenn Konservative zickig werden.

Mit dem römischen Kaiser Konstatin, dem Großen, gelang den Christen der Durchbruch. Während seiner Regierungszeit 306 bis 337 erfolgten die berühmte „Konstantinische Wende“ (Christenverfolgung -> Religionsfreiheit -> Christenbevorzugung). Als Jugendlicher war Konstantin Anhänger des Sonnengottes Sol Invictus, also schon auf dem Weg zum Monotheismus. Er ließ sich zunehmend von seinem Berater Bischof Ossius von Córdoba beeinflussen, wurde schließlich auf dem Sterbebett getauft. Ob er selbst als Christ regierte, oder eher zusätzlich Christ war, oder aus opportunistischen Gründen wegen des wachsenden Anzahl von Christen in seinem Reich kirchenfreundlicher wurde, kann heute niemand mehr sicher sagen, da es damals noch kein CNN gab. Historiker können nur spekulieren. Man muss sich unglücklicherweise auf Quellen der christlichen Geschichtsschreibung stützen und der Vatikan lügt.

Dafür steht exemplarisch die Konstantinische Schenkung (Constitutum Constantini), mit der der Kaiser im Jahr 315 Papst Silvester I. (Pontifex von 314–335) und seinen sämtlichen Nachfolgern usque in finem saeculi, d. h. bis ans Ende der Zeit, gewissermaßen die Weltherrschaft übertrug:

[….] Der kaiserliche Herrscher, Caesar Flavius Constantinus in Christus Jesus, dem einen Heiland, Herrn, unserem Gott aus ebendieser heiligen Dreifaltigkeit der treue, sanftmütige, größte, wohltätige, der fromme, erfolgreiche Sieger und Triumphator über Alemannen, Goten, Sarmaten, Germanen, Briten und Hunnen, der für immer kaiserlich Erhabene

dem heiligsten und seligsten Vater der Väter Silvester, Bischof der Stadt Rom und Papst, und allen seinen Nachfolgern, die auf dem Sitz des seligen Petrus bis zum Ende der Weltzeit thronen werden, den Priestern jedenfalls und allen höchst verehrungswürdigen und gottgeliebten katholischen Bischöfen, die ebendieser unantastbar-heiligen römischen Kirche durch diese unsere kaiserliche Verordnung untertan sind im gesamten Erdenrund, die jetzt und in allen folgenden und zurückliegenden Zeiten eingesetzt sind: [….]

(Constitutum Constantini, nach Horst Fuhrmann, Tübingen 1967)

Eine feine Sache für den Vatikan, der in den folgenden Jahrhundert nur zu gerne mit der Konstantin-Urkunde winkte, um seine Allmacht zu untermauern.

Geschrieben wurde die berühmte Urkunde gute 400 Jahre nach Konstatins Tod: Es ist eine Fälschung der Päpste! Das Christentum hatte gelernt: Als aufmüpfiger Rebellenhaufen, der sich um Arme und Kranke kümmert, kommt man nicht weit, wenn man der reichste und mächtigste Verein der Welt werden will. Viel effektiver ist es, sich an die Seite der Mächtigsten zu stellen und gemeinsam die Armen auszuquetschen und zu missbrauchen.

Daher findet man die christlichen Kirchen seit Konstatins Tagen fast immer an der Seite von Monarchen, Diktatoren, faschistischen Anführern. Je abscheulicher und absolutistischer der Herrscher, desto inniger die Unterstützung durch die Kirchen: Ob Ivan, der Schreckliche, Queen „bloody“ Mary I, Benito Mussolini, Augusto Pinochet, Mugabe, General Franco, Hitler, Orbán, Putin, Trump: Die christliche Kirche war immer die wichtigste Unterstützerin. Christentum und Tyrannei bilden eine perfekte Symbiose.

Staat zur Kirche über das Volk:

"Ich halte sie arm - Du hältst sie dumm!

Und morgen machen wir´s andersrum!"

 

Putin sichert den orthodoxen Popen die Privilegien und den Reichtum, dafür rufen sie zu seiner Wahl auf und rechtfertigen seine Verbrechen.

Nach dem Prinzip waren die christlichen Kirchen in Deutschland, nachdem sie damit fertig waren, für den Führer zu beten und die Menschen an die Front zu zitieren; nach 1945 wichtige Unterstützerin der CDUCDU. Die Pfaffen riefen zur Wahl der Unionskandidaten auf, wetterten in ihren Sonntagspredigten gegen Emanzipation, Schwule, Abtreibung, Mitbestimmung, Sozis. Dafür garantierten ihnen die Konservativen Kirchenprivilegien und Milliardenzahlungen aus dem Staatshaushalt.

Das funktioniert prinzipiell auch im Jahr 2025. Nur mit der Protektion der CDUCSU konnte es gelingen, als weltgrößte Kinderfi**erorganisation Myriaden Jungs und Mädchen zu vergewaltigen, ohne dabei eine einzige staatliche Untersuchung oder den Verlust der Gemeinnützigkeit zu riskieren.

Dummerweise schlagen aber Aufklärung und Bildung ganz schön ins Kontor.

Die Hälfte der Deutschen sind schon aus der Kirche ausgetreten, die nun unter Einflussverlust und Personalmangel leidet. Derart ausgezehrt, lassen die Kirchen vermehrt Frauen und zu allem Übel auch noch Grüne- oder Sozi-Frauen in ihre Gremien. Das stopft zwar Personallöcher, führt aber unausweichlich zu Konflikten mit der erzkonservativen Bischofsbruderschaft, die ihre politische Agenda am liebsten auf dem Stand der 1950er lassen würde:


Für das Recht Kinder zu schlagen.

Schwule ins Gefängnis.

Straffreie Vergewaltigung in der Ehe.

Verbot von Scheidung.

Verbot von Verhütungsmitteln.

Verbot von Schwangerschaftsabbruch.

Verbot von Masturbation.

Verbot von vorehelichem Sex.

Der Mann bestimmt über die Frau.

Linkshänder schlagen.

Uneheliche Kinder ihren Müttern wegnehmen.

Berufsverbot für Atheisten.

Das gefiel nicht nur der CDUCSU, sondern befand sich im schönen Einklang mit Bibel und dem Katechismus.

Heute müssen die Bischöfe ihr Programm etwas anpassen, um nicht noch schneller Mitglieder zu verlieren. Daher üben sie gelegentlich zarte Kritik an der brutal ausländerfeindlichen Politik der Christen-Parteien.

Die sind aber zutiefst empört, weil sie das Bündnis zwischen Christentum und C-Parteien immer noch als moralfreie Zweckgemeinschaft begreifen.

Ja, man betonte bei jeder Gelegenheit das christliche Menschenbild, inszenierte sich als bester Kirchenfreund, ging in Gottesdienste. Aber doch nur wegen des politischen Vorteils und nicht etwa, weil einer der C-Herren den Unsinn von den Kanzeln tatsächlich glaubte. Nach der Kirche, ging es erst mal in den Puff. Natürlich haben Söder und Seehofer Kinder mit ihren Sidekicks gezeugt, weil sie Ehebrecher sind. Darüber breiteten die Kirchen den Mantel des Schweigens und konnten sich dafür sicher sein, im Freistaat stets auf vollen Kassen zu sitzen und in luxuriösen Palais‘ zu residieren.

[….] Die CDU befindet sich nicht nur im Wahlkampf. Sie befindet sich im Stadium der Umwandlung. Friedrich Merz, der Parteichef, Fraktionschef und Kanzlerkandidat, verwandelt das „C“ im Parteinamen in ein „K“: Aus der Christlich Demokratischen Union wird eine KDU, eine Konservativ Demokratische Union. Und als Kern des konservativen Gemüts identifiziert Merz die Sehnsucht danach, Migranten abzuweisen und rauszuschmeißen – zumindest diejenigen, aus denen Deutschland keinen Mehrwert ziehen kann. In dieser Sehnsucht rumoren auch die Gespenster, die Seehofer und Söder, Spahn und Merz immer wieder rufen und gerufen haben. Merz gibt mit Tremolo den Lautsprecher für „Volkes Stimme“. Er liebt es, Ängste zu befeuern, die in den Geflüchteten vor allem Konkurrenten für Zahnarzttermine und Täter von Gruppenvergewaltigungen sehen. Damit rückt er maximal ab von dem, was die Kirchen als christliches Menschenbild beschreiben.

Merz macht sich zum Propagandisten der „Globalisierung der Gleichgültigkeit“, die Papst Franziskus seit dem Jahr 2013 in so vielen seiner Reden angeprangert hat. Die rigorose Abweisung aller Flüchtlinge an der deutschen Grenze ist das Zentrum der von Merz verfochtenen Migrationswende, für die er sich im Bundestag in zwei Abstimmungen gezielt der Stimmen der AfD bedient hat. Die AfD steht ihm dabei viel näher als die katholische und die evangelische Kirche.   […..]

(Heribert Prantl, 06.02.2025)

Was bilden die Pfaffen sich ein, nun die C-Parteien zu kritisieren? Man beißt doch nicht die Hand, die einen füttert, empört sich Markus Söder ausnahmsweise mal völlig ehrlich.

[….] CSU-Chef Markus Söder präsentiert sich gerne als gläubiger Christ. Mehrmals war er schon beim Papst, im Dienstwagen hat er eine Bibel, und auch bei politischen Entscheidungen gibt er sich kirchennah. [….] Die endet aber offenbar, wenn aus Kirchenkreisen allzu laute Kritik kommt an der Politik der Union. Auf dem CSU-Parteitag am Samstag in Nürnberg warnte Söder die Kirchen vor einem drohenden Ende seiner Zuneigung und legte diesen mehr Zurückhaltung in politischen Fragen nahe. Damit zeigt der bayerische Ministerpräsident, dass seine christliche Haltung doch Grenzen kennt. Sie hört offenbar auf, wenn es ungemütlich wird. [….] Im Austeilen ist Söder gut, das erlebt normalerweise die politische Konkurrenz. Nun trifft es die Kirchen. Deren unbequeme Kritik will er sich nicht anhören, und so verwies er in Nürnberg unverhohlen auf den Grundsatz: Wer zahlt, schafft an. „Bayern steht zu den Kirchen wie kaum ein anderes Bundesland. Wir sind wohl das kirchenfreundlichste Bundesland in Deutschland“, sagte Söder. Und übrigens bezahle der Freistaat die Gehälter der Kirchen, soll wohl heißen, dafür dürfe er bitteschön mit Wohlwollen rechnen. [….] Einen „Merkposten“ hatte Söder noch an die Adresse der Kirchen: „Nicht vergessen, wer am Ende noch an der Seite der Institution Kirche steht. Das sind nämlich wir. Nicht, dass man irgendwann ganz plötzlich allein steht. Denkt mal darüber nach.“ [….] Das klingt nicht nur nach einer unverhohlenen Drohung, sondern ist gleich doppelt unverschämt. Söder rät den Kirchen, sie sollten sich um „mehr christliche Themen“ kümmern, als Beispiel nennt er den Paragrafen 218, in dem die Strafbarkeit von Abtreibungen geregelt ist. Diese Kategorisierung ist interessant, denn welches Thema könnte urchristlicher sein als die Menschenwürde, die Nächstenliebe, der Schutz der Schwachen? [….]

(Katja Auer, 09.02.2025)

Das „C“ im Namen war immer ein Werbe-Schachzug und hatte nichts mit Glauben zu tun. Man sollte sich gegenseitig unterstützen und gemeinsam die Linken vom Leib halten.

An diesem Arrangement zu rütteln, empfinden Söder und seine rechtsradikalen AfD-Freunde der dumpfen Döpfner-Gruppe als unverschämt.

[….] Schafft die Kirchensteuer ab! Die Kirchen in Deutschland haben sich vom christlichen Glauben verabschiedet – und sich in ein rot-rot-grünes Bündnis für Umverteilung, Grenzöffnung und LGBTQ+-Aktivismus verwandelt. Der Angriff auf den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz zeigt: Es ist Zeit, Staat und Kirche radikal zu trennen. [….]

(„Politico“, „Business Insider“, Welt-Herausgeber Ulf Poschardt, 11.02.2025)

 

Wie schön, da lehne ich mich zurück und genieße.

Dienstag, 11. Februar 2025

Minus-Mann Merz

Nachdem meine Verärgerung über das miserabel geführte Kanzler-Duell im ZDF/ARD ein wenig abgeklungen ist, möchte ich drei Dinge a posteriori verdeutlichen.

1.)

Wenig überraschend, erkennen Medien den „Sieger“ des Duells entlang der Parteilinie. Die Blätter der rechten Verlage Burda und Springer feiern Merz. Die seriöseren Blätter sehen Vorteile bei Scholz. Meinungsforscher diagnostizieren ebenfalls dem SPD-Mann bessere Werte. Ich werde hier keinen Scholz-Hasser überzeugen. Natürlich gehen die Meinungen auseinander. Aber anders verhält es sich bei der Beurteilung von Fakten. Hier kann es keine zwei Meinungen geben: Scholz war ehrlicher, als Merz, der immer wieder hanebüchen log und seine Unkenntnis offenbarte.

[…..] Das war für den Blackrocker der Bundeskanzler werden möchte, schon extrem peinlich. Man mag sich überhaupt nicht vorstellen, was im umgekehrten Fall der Döpfner-Clan und die Dreckschleuder Nius, bei der sich CDU, CSU und FDP die Klinke in die Hand geben, daraus gemacht hätten.

(….) Dass diese Schlüsselstelle des Duells nicht mehr Aufmerksamkeit bekommt, wundert mich: Merz kündigt einen Nachtragshaushalt für 2024 an, was rechtlich ausgeschlossen ist. Und als Scholz ihn darauf hinweist, reagiert er nur mit einem spöttischen Seitenblick. Ich hätte jedenfalls angenommen, dass der Oppositionsführer das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023, das das Ende der Ampel-Koalition eingeleitet hat, zur Kenntnis genommen hat. Und das ist in dieser Frage absolut eindeutig. Und abgesehen von der rechtlichen Unzulässigkeit ergibt Merz' Aussage, dass durch einen Nachtragshaushalt "nochmal 50 Milliarden Euro zusätzliche Schulden für das Jahr 2024" möglich wären, auch inhaltlich keinen Sinn. Denn der Entwurf für den Nachtragshaushalt 2024 (der wegen des Ampelbruchs nicht mehr verabschiedet wurde) sah vor, die Neuverschuldung aufgrund der schlechteren Konjunktur um 11 Milliarden Euro zu erhöhen - und nicht etwa um 50 Milliarden.  (….)

(Malte Kreutzfeldt, 10.02.2025)  [….]

(Der Wäller, 10.02.2025)

Es gab zahlreiche Factchecks, die – Oh Heiliger Brandolini – in der politischen Diskussion aber kaum, Beachtung finden, nachdem Merz bereits die 10 Millionen Zuschauer gebullshittet hatte.

Ich empfehle die Richtigstellungen von Progressivelore.

Aber auch viele andere Outlets zeigen, wie Beispielsweise MONITOR, die Absurditäten der Merz-Aussagen auf.

Es nützt aber nichts, Fakten Tage später als Fußnoten auf Miniplattformen nachzuliefern! 


Gute Moderatoren hätten Merz an Ort und Zeit auf seine Lügen festgenagelt.

2.)
Gute Moderatoren hätten nicht, wie in ihren AfD-Werbungsshows, so ein abstruses Übergewicht auf Migration gelenkt und zu einem xenophoben Überbietungswettbewerb angestachelt, sondern die wichtigeren Themen angesprochen.



3.)

Wie perfide und amoralisch Merz agiert, verdeutlichte heute der ehemalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert bei seiner Abschiedsrede aus dem Bundestag. Er ist in jeder Hinsicht das leuchtende Gegenbeispiel zum Minus-Mann Merz.

[….] „Ich muss mich beeilen“, fängt Kühnert an, denn jedes einzelne Wort, das er sagen wolle, liege ihm sehr am Herzen. Dann folgt kein Wahlkampf, wie in der mehr als dreistündigen Debatte davor, auch keine flotten Sprüche kommen Kühnert über die Lippen. Es scheint ihm ernst zu sein mit seinem Anliegen, über „die Verantwortung vor unserer Geschichte“ zu reden.  Sehr präzise, ohne die Überzeichnungen vieler Parteikollegen, seziert er, was da ins Rutschen gerate. [….] Scharf kritisiert er Angriffe auf Wahlkämpfer und Geschäftsstellen, nachdem die Union hier für einen Antrag zu Verschärfungen in der Asylpolitik eine Mehrheit mithilfe der AfD in Kauf genommen hatte. Der richtige Konflikt dürfe nicht mit den falschen Argumenten ausgetragen werden. „Aber ausgetragen werden muss er sehr wohl.“ [….] Der jüdische Publizist Michel Friedman war aus Protest gegen eben jenes Verhalten im Parlament nach mehr als 40 Jahren aus der CDU ausgetreten. Auch aus Sorge vor einer AfD, die irgendwann der Bundesregierung angehören könnte. „Dann müsste ich dieses Land – mein Land – verlassen“, hatte Friedman gesagt. Kühnert konfrontiert die Union nun im Bundestag damit. Früher hätte so etwas die Union umgetrieben, sagte er, heute werde der „Störenfried“ angestrengt ignoriert. Selbst im TV-Duell mit Kanzler Olaf Scholz sei Merz der Frage nach Friedman schlicht ausgewichen. Dabei werde ein Muster erkennbar, so Kühnert: „Die Opportunität sticht die Integrität.“

Er erinnert die Union daran, dass sie als staatstragende Partei die Aufgabe habe, „einen gemeinsamen republikanischen Grundkonsens zu verteidigen“, zu dem die besondere Verantwortung für jüdisches Leben in Deutschland gehöre. Früher habe die Union das beherzigt und für ihre Überzeugungen gestritten, auch Konrad Adenauer oder Helmut Kohl, statt populären Stimmungen zu folgen. „Weil Sie das Volk ernst nahmen, redeten Sie ihm nicht nach dem Mund“, sagt er zu Merz. Er wirft ihm indirekt vor, in der Migrationsdebatte auf populistische Losungen zu vertrauen, statt das rechtlich und moralisch Gebotene zu tun. Ein Bundeskanzler aber, „dessen Mund nur wiedergibt, was sein Ohr aufnimmt, ist nicht mehr als eine Echokammer auf zwei Beinen“. Und Echokammern gebe es schon genug. Dann nimmt er das Papier und geht zurück zum Platz. [….]

(SZ, 11.02.2025)

Kühnert beschreibt brillant die politische und moralische Kapitulation des mutmaßlich nächsten deutschen Bundeskanzlers Merz.

Aber da es bereits um Faktenchecks ging, sei angefügt, daß Merz – selbstverständlich – auch im TV-Duell beim Friedman-Thema bezüglich der Eintrittszahlen log. Als ob CDU-Eintritte von rechts überhaupt die Austritte der letzten moralisch anständigen Mitglieder aus den Unionsparteien überkompensieren könnten: Die Argumentation ist schon an sich perfide. Aber eben auch erstunken und erlogen. Tatsächlich verzeichnen die linkeren Parteien massive Eintrittswellen. Das migrantenfeindliche BSW meldet eine Austrittswelle. Die CDU verliert ebenfalls Mitglieder.

[….] Die Linke erlebt nach eigenen Angaben derzeit eine Eintrittswelle. Die Gesamtzahl liegt demnach bei rund 81.200 Mitgliedern - laut der Partei so viele wie nie zuvor seit ihrer Gründung 2007. Der bisherige Höchststand lag 2009 bei 78.046 Mitgliedern. Ende 2022 waren es laut Rechenschaftsbericht des Bundestags 54.214 Mitglieder. [….] Allein seit der umstrittenen gemeinsamen Abstimmung von Union, FDP und AfD am 29. Januar seien 17.470 neue Mitglieder dazu gekommen, sagte ein Parteisprecher der Nachrichtenagentur dpa. Seit Jahresbeginn seien es knapp 23.500 gewesen. [….] Die Grünen zählen derzeit mehr als 166.000 Mitglieder. Wie eine Sprecherin mitteilte, erreichten die Partei seit dem 29. Januar 8.300 neue Mitgliedsanträge. Ende 2022 hatte Bündnis 90/Die Grünen noch 126.451 Mitglieder.

Ein Parteisprecher der SPD berichtet von mehreren tausend Online-Eintritten in den vergangenen Wochen. [….] Die AfD spricht von einer "nie dagewesenen Eintrittswelle". Derzeit seien es mehr als 52.000 Mitglieder, so Schatzmeister Carsten Hütter. [….] Die CDU verweist darauf, dass Neueintritte dezentral erfasst werden. Mit Stand Dezember 2024 habe die Partei aber eigenen Angaben nach 364.200 Mitglieder. Laut Rechenschaftsbericht des Bundestages waren es 371.976 Mitglieder am 31.12.2022. [….]

(Tagesschau, 11.02.2025)

Die Masse interessiert sich nicht für Fakten, weil auch die deutsche social media/Medienwelt viel zu stark trumpisiert ist. Auch hierzulande sind lügende Politiker, wie Söder, Merz und Weidel, erfolgreicher, als die Ehrlichen.

Es entspricht daher eher meinem Privatvergnügen, mich an anständigen Politikern, wie Heidi Reichinnek oder Kevin Kühnert zu erfreuen. Am Wahlergebnis wird es mutmaßlich kaum rütteln.

[….] Die Rede gipfelte in der Feststellung, dass Opportunität inzwischen Integrität aussteche. Aus dem Ausland sei dieses Muster bekannt, aus Deutschland weniger. Bislang gelte ein bundesrepublikanischer Grundkonsens, etwa zum Schutz jüdischen Lebens. Für seinen Verweis auf das Verantwortungsbewusstsein früherer Politiker lobte Kühnert unter anderem auch Konrad Adenauer und Helmut Kohl, Westbindung und Wiederbewaffnung. Die Rede überschritt die vorgesehene Zeit von drei Minuten. Aus den Reihen der SPD-Fraktion erhielt Kühnert für seine Worte lang anhaltenden Applaus, viele Parteifreunde standen für ihn demonstrativ auf. Auch Vertreter anderer Parteien, darunter die ebenfalls zurückgetretene Grünenchefin Ricarda Lang, verabschiedeten sich persönlich.  […..]

(SPON, 11.02.2025)

Montag, 10. Februar 2025

Sprachliche Dekonstruktion

CDUCSUAFD setzen stolz auf den Zwang zum männlich gendern. Menschen sollen nicht so schreiben dürfen, wie sie wollen. Der störrische Widerstand gegen die sich kontinuierlich verändernde Sprache – nein, wir sprechen nicht wie im mittelhochdeutschen Nibelungenlied vor 800 Jahren aufgeschrieben – bleibt ein beliebter, weil billiger, Topos. Damit lässt sich wunderbar ablenken, man braucht keine Gegenfinanzierung und kann bequem an dumpfe rechtspopulistische Emotionen appellieren. Man muss nur ein paarmal mit grimmigen Gesicht „Zigeunerschnitzel, Negerkuss, Winnetou, Weihnachtsengel“ sagen und schon sind die primitiveren Hirnrinden des rechten Packs genügend getriggert, um den Aussender dieser Worte zu wählen.

Sprache war immer dynamisch, ist dynamisch und wird auch immer dynamisch bleiben. Wer, wie der bayerische Innenminister suggeriert, Sprache müsse auf dem Stand, den er als Jugendlicher gewöhnt war, eingefroren werden und daher könne das Wort „Neger“ auch nicht diskriminierend sein, offenbart sich als echter Idiot.

Joachim Herrmann, CSU: „Roberto Blanco war immer so ein netter Neger!“

 

Würden Goethe, Schiller und Kleist heute immer noch leben, schrieben sie ganz sicher auch nicht mehr das Deutsch von vor 200 Jahren, sondern verwendeten Vokabeln, die in die Zeit passen. Alte Menschen machen sich lächerlich, wenn sie auf immer ein „Wording“ ihrer Kindheit konservieren wollen. Im Alter wird man unflexibler. Meine Wortwahl passt sich also auch noch partiell der Gegenwart an, aber nicht mehr so schnell, wie es Teenager tun.

Daher sprechen Jugendliche anders als ich und das ist auch gut so. Wie jede ältere Generation, rümpfe ich über einiges die Nase, das mir gar nicht gefällt.

Aber mein Mittel der Gegenwehr ist die Meidung. Beispielsweise geht mir eine bestimmte Form des Youtuber-denglisch, das fast ausschließlich germanisierte englische Verben verwendet, so auf die Nerven, daß ich keine Rezo-Videos gucken kann. Es geht einfach nicht. Obwohl ich den Typen durchaus sympathisch finde. Aber ich halte diese Sprache nicht aus.

Die linguistischen Veränderungen unterliegen nicht nur Moden und kulturellen Einflüssen, sondern selbstverständlich auch einer sozialen Weiterentwicklung.

Manchmal verändert sich die die Konnotation.

Zum meiner frühen Schulzeit war „schwul“ ein echtes Schimpfwort, das man höflicherweise vermied und mit „homosexuell“ umschrieb. Aber die „Betroffenen“ kaperten das Wort, machten es sich demonstrativ zu eigen, so daß es heute bei den meisten Erwachsenen wie eine neutrale Begriffsbeschreibung wirkt.

Das ursprünglich aus der Botanik stammende Wort „geil“ wurde in meiner frühen Jugend sexuell gekapert und schließlich aufgrund seiner Anrüchigkeit, als besonders drastisches Lob verwendet. „Geil“ war aber so derb, daß meine Mutter mir sofort drohte, mich zu enterben, sollte ich das schlimme Wort zu Hause verwenden.

Diese Konnotation wurde allerdings in den nächsten 40 Jahren fast ganz weggeschliffen. Zwar gelangte „geil“ nicht in den allgemeinen Sprachgebrauch, wird also von meiner Elterngeneration immer noch nicht verwendet, schreckt aber auch nicht mehr ab. Ähnlich drastisch wie „geil“, waren in meiner Schulzeit „ficken“ und „Fotze“. Ersteres schwächte sich in der Rezeption zwar auch ab, wurde aber im Deutschen nie so Allgemeingut, wie das englische „Fuck“. Letzteres hingegen blieb nahezu unverändert schmuddelig, sogar noch wesentlich tabuisierter, als das englische Pendant „cunt“, das zwar auch in Amerika deutlich derber als „fuck“ ist, aber durchaus in der Popkultur und Jugend verwendet wird.

Während wir „geil, schwul, ficken, scheiße“ nicht nur im vollen Bewußtsein ihrer Obszönität verwenden, sondern genau diesen Schockfaktor auch benutzen wollen, wirken andere Begriffe eher unbewußt diskriminierend.

In diesen Fällen sind wir als Gesellschaft gefordert, den Sprachgebrauch aktiv zu verändern. „Neger“ oder „polnische Wirtschaft“, „getürktes Ergebnis“, „bis zur Vergasung“, „durch den Rost fallen“, „Jude“ (für von Malern beim Streichen übersehene Stellen).

Es ist wichtig, sich eine aufmerksame und präzise Sprache zu bemühen. Nicht, um Markus Söder und die AfD zu ärgern, sondern um solidarisch mit den Diskriminierten zu sein.

[….] Fremdenfeindlichkeit wird in der deutschen Berichterstattung zu häufig synonymisch für rechtsextremistische und rassistische Gewalttaten verwendet. Durch die Verwendung des Begriffs wird Othering betrieben und Struktur wie auch Systematik solcher Taten verkannt. Es geht mehr als um die „Angst vor der Fremde“, sondern um die tief verwurzelte Vorstellung von über- und untergeordneten Menschen.“ – Tupoka Ogette.

„Der oft durch unpräzise Wortwahl in den Medien bestärkte Automatismus, alle rassistisch, fremdenfeindlich oder ausländer*innefeindlich motivierten Gewalttaten pauschal Rechtsextremen zuzuordnen, hat zur Folge, dass das Gros unserer Gesellschaft sich nicht mit den eigenen alltäglichen rassistischen Tendenzen auseinandersetzen muss, da diese Taten einzelnen sogenannten „Randgruppen“ zugeschoben und damit verbal aus der Mitte der Gesellschaft entfernt werden. Dass sich rechtsextremes und rassistisches Gedankengut aber sehr wohl quer durch die Gesellschaft zieht, belegen jüngere Studien und Phänomene eindeutig. Im Ergebnis gehen viele „gegen Nazis“ auf die Straße, reagieren jedoch weiterhin kaum, wenn rassistische Tendenzen jenseits eines organisierten politischen Rahmenprogramms auftauchen: im deutschen Alltag.“ (Sow 2018: S. 38).

Eine differenzierte Wortwahl, die verschiedenen Hintergründe genau benennt, ermöglicht so erst, die Wurzeln des Übels zu identifizieren und letztlich zu bekämpfen. Mit einer Art der Sprache, die ohne Vor-Ausgrenzung der von Rassismus unmittelbar Betroffenen und ohne Täter*innenschutz auskommt, und die stattdessen die Dinge, Hergänge und Menschen differenziert benennt, kann es gelingen, rassistischen Tendenzen aktiv entgegenzuwirken ( ebd. S. 42)  [….]

(Rassismus-kritisches Wörterbuch, Uni Kiel)

Manchmal braucht es für das einfachere Volk eben auch Reality-TV in Form des Berliner Schauspielers Pierre Sanoussi-Bliss, 62, der beim 2025er Dschungelcamp seinen Lager-Genossen stoisch erklärt, er käme aus Berlin, sei in der Charité geboren, wenn er mit offenkundigem Bezug auf seine Hautfarbe nach seiner Zugehörigkeit befragt wurde.

Jobangebote bekommt der Schauspieler in den letzten Jahren nicht mehr. Die Castingchefs sagen ihm, mit ehrlichem Bedauern, es gäbe halt keine Rollen für jemanden wir ihn – alt und schwarz und schwul. Worauf hin er entgegnet „ich habe doch bloß ein paar Pigmente mehr.“

Nein, wir, die weiße Mehrheitsgesellschaft merken es vielleicht nicht, wenn unsere Sprache verletzend wirkt, indem wir Menschen verbal in „schwarz“ und „weiß“ unterteilen, aber gleichzeitig alle Kofferworte mit „schwarz“ negative Bedeutungen haben: Schwarzfahren, Schwarzarbeit, schwarzsehen, schwarze Seele, Schwarzgeld.

Sanoussi-Bliss aber schon.

Joachim Herrmann, der CDU, CSU und AfD sind Rücksichtnahme und Anstand fremd. Daher würden sie „Schwarze“ am liebsten immer noch als „Neger“ bezeichnen. Aber hoffentlich gibt es genügend viel bessere Menschen, um die Sprache doch langsam zu verändern.

Sonntag, 9. Februar 2025

Presseversagen

Eine der größten Gefahren für Demokratie und Frieden in der Welt, besteht in der Meinungskontrolle durch rechtsextreme Oligarchen. Die klassischen Medienhäuser werden, wie auch Social Media von wenigen Milliardären dominiert.

Bezos, Musk, Thiel, Döpfner, Murdoch, Koch, Soon-Shiong, Zuckerberg gehören allesamt enteignet. Ihre Medienmacht radikalisiert die Menschen.

Ohne das kollektive Totalversagen der US-Medien, die vor knapp zehn Jahren für die Quote jede Moral opferten, indem sie die Lügen-Rants eines orange geschminkten rechtsradikalen New Yorker Reality-TV-Darstellers unnötigerweise in die ganze Welt multiplizierten, gäbe es keinen US-Präsidenten Trump.

Schon allein deswegen unterstütze ich aus voller Überzeugung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ÖRR. Er sollte die exorbitant teuren Sportrechte links liegen lassen und seine Ressourcen, ohne wie ein hypnotisiertes Kaninchen auf Quoten starren zu müssen, für Informations- und Dokumentationssendungen bündeln. Anderenfalls müsste der Rundfunkbeitrag angehoben werden, respektive die Finanzierung direkt aus dem Bundes- und den Landeshaushalten kommen. 

Der Erhalt unser Demokratie und der politischen Kultur sollte uns durchaus 18 Euro im Monat wert sein. Ein möglichst engmaschiges Netz aus Korrespondenten, die nicht wie Döpfner- oder Bezos-Schreiberlinge ständig mit der Angst leben, bei Missfallen ihren Job zu verlieren, erscheint mir essentiell für einen der größten Industriestaaten der Welt. Dabei muss ein klares Prinzip „Qualität vor Quantität“ gelten, in dem auch politische Unabhängigkeit garantiert sein muss. Parteien und Kirchen haben endlich aus den Rundfunkräten zu verschwinden.

Als überzeugter und enthusiastischer Verfechter des ÖRR, bin ich natürlich umso frustrierter, wenn ausgerechnet die politischen Aushängeschilde, nämlich die prominenten Abend-Talkshows im ZDF und bei Strobl-TV, so sehr bei ihrem Informationsauftrag versagen: Seit Jahren puschen sie rechtsradikale Narrative, lassen Hetzer und Covidioten, genau wie wissenschafts-antagonistische Ideologen von CDU, FDP und CSU unwidersprochen plappern.

Besonders perfide ist es, wenn Caren Miosga das Brandolini-Gesetz in Extremform nachspielt: Sie lässt Weidel unwidersprochen dreiste Lügen behaupten und reicht Tage später, wenn niemand mehr hinguckt und ihre giftigen Falschinformationen längst in den Hirnen abgespeichert sind, einen Faktencheck nach. Der erreicht dann aber niemanden mehr.

So funktionierte leider auch die heutige ARDZDF-Sendung „Das Duell“, in der schon der Titel eine Irreführung war, indem er Einmaligkeit suggerierte. Dabei treffen Merz und Scholz in diesen Tagen andauernd im TV aufeinander.

Der Erkenntnisgewinn ist mau, da seit 1951 stets Maischberger und Illner als müde Stichwortgeberinnen agieren, die achselzuckend jede noch so dreiste Merz-Lüge durchgehen lassen (bis aus eine Ausnahme, als Illner den Taurus-Eiertanz des Merz anzeigte). 

Aber er konnte beispielsweise behaupten „Es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen der CDU und der AfD“; eine besonders dreiste Lüge.

Es kam zu slapstickartiger Gesprächsführung, als Maischberger beispielsweise das DIW zitiert: Es entstünden 111 Mrd Euro Kosten, wenn man alle Merz-Vorschläge umsetze.

Der Sauerländer Ökonomie-Laie verkündete dazu voller Überzeugung, das Geld käme dann durch das enorme Wirtschaftswachstum wieder herein. Das ist völlig unstrittig blanker Unsinn. Dafür wären rund 10% Wirtschaftswachstum notwendig, die laut Merz also urplötzlich nach seinem Amtsantritt einsetzten – während eines mutmaßlichen Handelskrieges mit Trump. Das ist maximales Bullshitten, mit dem man aber den CDUCSU-Mann einfach durchkommen ließ.

Ebenso hanebüchen irrational und realitätswidrig antwortete Merz auf eine der Giga-Krisen Deutschlands: Die Pflegekatastrophe. Schon jetzt fehlen Hundertausende Arbeitskräfte in der Pflege, fehlen Heimplätze, leben Alte in menschenunwürdigsten Verhältnissen. 85% der Pflegedürftigen leben zu Hause und werden von einem Heer meist osteuropäischer 24/7-Helfer betreut, die nach deutschem Recht das Zehnfache verdienen müssten. Der Staat wagt aber nicht genauer hinzusehen und das geltenden Arbeitsrecht umzusetzen, weil dann 15.000 - 20.000 Euro Kosten pro Pflegefall notwendig würden. Niemand kann das bezahlen. 84,9% müssten in Pflegeheime wechseln, die aber keine Plätze und kein Personal haben.

Dazu Merz lapidar: „Eine verpflichtende private Pflege-Zusatzversicherung“ müsse kommen. Genau, weil die von Altersarmut betroffenen - 17,5 Prozent der Menschen ab 65 Jahren gelten in Deutschland als armutsgefährdet – alle locker so viel Geld übrig haben, um eine Versicherung abzuschließen, die 15.000 Euro im Monat einbringt. Maischberger und Illner akzeptieren das zufrieden.

[….] Ich sag mal so: Das TV-Duell ist eine einzige Farce. #Scholz wird ständig unterbrochen, #Merz darf ausreden und haut eine Lüge nach der anderen raus, etwa zu #Bürgergeld, #Asyl & Co. - Moderation: absolut schwach. #tvduell  […]

(Marc Raschke, 09.02.2025)

Auch zur harten Frage, wie man eigentlich nach einem theoretischen Waffenstillstand in der Ukraine, das Land vor weiteren Übergriffen aus Russland schützen wolle – also einer wirklich zentralen und garantiert im Raum stehenden Problematik – sagt Merz: „Das werden wir sehen!“ Und Maischberger lächelt dazu beseelt.

[…] Idee fürs TV-Duell: Nach fünf Minuten kommt Heidi Reichinnek ins Studio und darf Scholz und Merz eine Stunde lang zusammenfalten. [….]

(Moritz Hürtgen, 09.02.2025)

Samstag, 8. Februar 2025

Die Gelben in die Tonne

Seit Merz, Lindner, Dobrindt und Wagenknecht im Bundestag mit der AfD kooperieren und somit die Nazis ermächtigten, gingen 1,3 Millionen Menschen gegen Schwarzgelbbraun auf die Straße.

Die Umfragen werden davon kaum tangiert, weil die Rechten das Land so erfolgreich gespalten haben, daß sich jeder nur in seiner Position gestärkt sieht. Die massive Kritik der christlichen Kirchen und jüdischen Vereine an ihrem Kurs, verstehen CDUCSUFDP als Bestätigung und klopfen sich selbst auf die Schulter, weil sie den verhassten „Gutmenschen“ kollektiv in die Hintern treten. Keine Kritik an Merz in der CDU.

Kaum Bewegung in den Umfragedaten hat aber für AfD, CDUCSU, SPD und Grüne eine völlig andere Bedeutung, als für die Kleinen, die um die Fünfprozenthürde herum taxiert werden: Linke, FDP und BSW.

Lange sah es aus, als ob die Linke sich gen Ein-Prozent bewegt, Putinellas Fanclub nach der Zweistelligkeit greift und nur die FDP weiter auf der Kippe stünde.

Ich hatte ebenfalls schon die verbliebenen Linken-Bundestagsabgeordneten zum Übertritt in die SPD aufgefordert, weil ich keine Chance für einen Wiedereinzug in den Bundestag sah.

(…. ) Sie sind natürlich unrettbar verloren. Die Linken werden auch in ihren Stammbundesländern des Ostens einfach verschwinden, weil sie zwischen AfD und BSW zerquetscht werden. Es ist die Strafe dafür, die völkische Sahra-Schlange so viele Jahre an ihrem roten Busen genährt zu haben.

Äußerst bedauerlich, denn es gibt immer noch richtig gute Linke-Politiker, deren Stimmen in unser schauerlichen Rechts-Republik unbedingt gehört werden müssen. Martina Renner, Jan Korte, Heidi Reichinnek, Ates Gürpinar und Petra Pau zum Beispiel. Angesichts der Aussichtslosigkeit, nach der Bundestagswahl erneut für die Linke in den Bundestag einzuziehen, wünsche ich mir als Sozialdemokrat, die fünf Genannten und ihre Gleichgesinnten könnten sich einen Ruck geben und in die SPD-Fraktion übertreten. Bei den Bundestags-Sozis gibt es so viele gute junge, gegen Rechts engagierte Leute – Klüssendorf und Mesarosch zum Beispiel – daß Reichinnek und Co wunderbar mit denen zusammenarbeiten könnten. Sie beklatschen sich jetzt schon gegenseitig.

Heidi Reichinnek ist eine der ganz wenigen links von AfDBSW, die auf X und TikTok Reichweite mit politischen Themen erzielen. Da ich auf den beiden Plattformen nicht vertreten bin und das auch nicht will, folge ich ihr auf Instagram und lerne immer mal wieder etwas dazu.
So klärte sie vor einer Woche über die Firmen „European Homecare“ und „Serco“ auf.  (….)

(Vom Elend profitieren, 20.06.2024)

Knapp acht Monate später muss ich einräumen, mich vermutlich geirrt zu haben. Die Zukunft hält sich nicht immer; OK, genauer gesagt, eigentlich nie; an meine Ratschläge.

(….) Notwendig ist ein personeller Neustart, der bedauerlicherweise ausgerechnet bei den noch am meisten lösungsorientierten Grünen anfing. Esken, Klingbeil und Mützenich müssten auch in Rente gehen. Kühnert soll in den Parteivorsitz aufrücken und die Rest-Linken (Reichinnek, Korte, Gürpinar, Pau, Renner) endlich in die SPD aufnehmen. Die neue Bundestagsfraktionsführung sollte aus Jan Dieren, Metin Hakverdi, Tim Klüssendorf (als Vorsitzendem), Helge Lindh, Robin Mesarosch, Rasha Nasr und Gülistan Yüksel bestehen.  (….)

(Probleme, Verursacher, Blockierer, Abhilfe, 27.09.2024)

Die Sozis blieben also bei Schlafmützenich, Esken und 15%. Die Linken blieben selbstständig und obschon ich Heidi Reichinnek lange auf Schirm hatte und immer sehr lobte, sah ich nicht voraus, welche Wirkung sie online als Merz-Gegenpart entfalten würde. Der „Hype um Heidi“ könnte die Linke doch klar über die 5%-Hürde hieven, die Linke klettert.

Ausgerechnet das BSW, mit seiner megaprominenten Cult-Leaderin, geht im Kampf um die Aufmerksamkeit unter, seit es sich als williges Stimmvieh für AfD und CDU benutzen lässt.  Darin gleicht die neueste deutsche Bundestagspartei der uralten FDP, die sich mit dem formalen Ausschluss der Grünen als Koalitionspartner, selbst zu einem Merz-Appendix verzwergen. Auch sie folgen kultisch einem Messias, an dem es trotz einer seit drei Jahren anhaltenden Kaskade von Wahlniederlagen, keine Kritik gibt: Christian „Porsche“ Lindner.

Er galt lange als wichtiger Wahlkämpfer, der nicht nur seine beiden Ehefrauen aus dem rechtsschwurbeligen Lügen-Verlag Springer rekrutierte, sondern auch die uneingeschränkte Unterstützung des Alleinherrschers Döpfner genoss.


Angesichts der Massendemonstrationen gegen den Fascho-Kurs der schwarzgelben Front, erscheint die Lügen-Kampagne des SPRINGER-Konzerns zugunsten der Rechten, wichtiger denn je zu sein. Die Musk-Fans Linocchio und Döpfner halten zusammen.

[….]  Die Demonstration auf der Münchner Theresienwiese ist beeindruckend gewesen – nicht nur wegen ihrer Größe. Egal, ob es 250 000 Menschen waren, die zusammenströmten, wie die Polizei kalkulierte, oder mehr als 300 000, wie die Veranstalter schätzten: Es war eine Masse, die durchaus als kritisch gewertet werden darf.

Wenn zwei Wochen vor der Bundestagswahl so viele losziehen, um ihren politischen Standpunkt zu demonstrieren, dann sollte dies allen Parteien zu denken geben. Zuerst der AfD, gegen die sich der Aufzug direkt richtete. Aber auch den beiden Unionsparteien, deren Agieren im Bundestag die Veranstaltung in diese Dimensionen hatte anschwellen lassen. Die in Kauf genommene Zustimmung der AfD zu den Vorhaben, die Migrationspolitik mit den gröberen Werkzeugen des Parlamentarismus vor den Wahlen ad hoc zu verschärfen: Sie hallt immer noch nach. Die Zusammenkunft in München war ein kraftvolles Zeichen, wie viele Menschen sich aktuell um die Demokratie sorgen.  [….]

(René Hofmann, 08.02.2025)

Die FDP runter, die Linke rauf.

Lindner schlägt sich mit einem ähnlichen Doppel-Handicap wie sein Idol Merz herum: Er ist intellektuell zu verarmt, um zu begreifen, wie Wirtschaft funktioniert und hat sich zudem in seine parteistrategische Sackgasse manövriert.

Eine FDP knapp unter der Fünfprozentschallmauer ist aufgrund ihrer Inhaltsleere und moralischen Bankrotterklärung völlig sinnlos. So wirken die kritischen 5% immer unüberwindbarer.

[….] Die Obsession mit Umfragen ist allerdings für Parteien, die mit der Fünfprozenthürde kämpfen, höchst berechtigt. Denn auch kleinste demoskopische Unterschiede haben bei diesen Parteien einen Einfluss darauf, wie die Bürger abstimmen. Das zeigt eine neue Studie von Forschern der Universitäten Potsdam und Wien. Die Politikwissenschaftler haben Hunderte Umfragen und Wahlergebnisse aus 19 Ländern ausgewertet, von Island bis Neuseeland. Im Durchschnitt gilt demnach: Der Einfluss der letzten Umfrage auf das Wahlverhalten ist erheblich. Liegt eine Partei direkt vor der Wahl knapp über der Sperrklausel, schafft sie es in drei von vier Fällen auch ins Parlament. Liegt sie stattdessen knapp unter dieser Hürde, schafft nur noch eine von vier Parteien den Einzug.

Im Bundestagswahlkampf gibt es drei Parteien, die derzeit im Bereich der Fünfprozenthürde liegen, die bei der Bundestagswahl gilt: die FDP, das BSW und die Linkspartei. Die Linke hofft aber auch auf drei Direktmandate – die würden der Partei den Einzug in den Bundestag auch mit weniger als fünf Prozenten sichern.

Bei den Liberalen fürchten gerade viele, dass der Fluch der schlechten Umfragewerte sie treffen könnte. Bleiben die Umfragen so, könnten in der Wahlkabine Menschen von der FDP zur CDU flüchten – immerhin verspricht auch der Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz liberale Wirtschaftsreformen. Und anders als eine Vier-Prozent-Partei sitzt die Union sicher im künftigen Bundestag. Wäre es taktisch dann nicht besser, die FDP im Stich zu lassen und die sichere Bank zu wählen, die CDU? Für solches Wahlverhalten kennt die Politikwissenschaft das brutale Fachwort der „Fallbeil-Hypothese“: Wenn die Menschen denken, dass eine Partei abstürzt, geht es demnach besonders weit nach unten. [….]

(Bastian Brinkmann, 05.02.2025)

Das Momentum ist futsch. Selbst die größten Linderisten unter den mächtigen Chefredakteuren, streichen die Segel.

[….] Haider: Lieber Christoph, kann es sein, dass unter dem, was am Freitag vor einer Woche im Bundestag passiert ist, vor allem die FDP leidet beziehungsweise leiden wird? Wolfgang Kubicki räumt schon sein Büro, droht er.

 Schwennicke: Die FDP hat sich als komplette Umfallerpartei in alle Richtungen erwiesen. Da war überhaupt keine Linie mehr zu erkennen. Haider: Was bei der Bundestagswahl für die Liberalen nichts Gutes bedeutet. Schwennicke: Es wird sehr eng für die FDP. Sie hat jetzt versucht, sich als Brückenbauerin zu inszenieren, das ging schief. Vorher hat sie das Gelüge um das Koalitionsbruchpapier Glaubwürdigkeit gekostet. Und Lindners Machtschwund kann man am Abstimmungsverhalten im Bundestag ablesen. [….]

(HH Abla, 08.02.2025)

Der größte AfD-Fan der hepatisgelben Pest verliert ebenfalls die Nerven angesichts des drohenden endgültigen Aus seiner vielfach gescheiterten Trümmertruppe.

[….] Vielen Umfragen zufolge könnte die FDP bei der bevorstehenden Bundestagswahl an der Fünfprozenthürde scheitern. Parteivizechef Wolfgang Kubicki sieht im Fall eines Ausscheidens aus dem Bundestag die Existenz seiner Partei gefährdet. »Wenn die Freien Demokraten den nächsten Deutschen Bundestag nicht erreichen, wird die Partei des Liberalismus in Deutschland über kurz oder lang aufhören zu existieren«, sagte Kubicki der »Welt am Sonntag«.  Die FDP würde Strukturen, Persönlichkeiten und finanzielle Ressourcen verlieren, »die man braucht, um eine Parteiorganisation flächendeckend zu erhalten oder wieder aufzubauen«.[….]

(SPON, 08.02.2025)

Soweit sind wir also: Die Porsche-Lobbyisten führen einen Mitleidswahlkampf, weil sie inhaltlich längst gestorben sind.

Ich sehr schwarz, und zwar dunkelschwarz, für die deutsche Politik nach dem 23.02.2025. Aber wenn uns damit die zutiefst destruktive Milliardärslobby FDP für immer erspart bleibt, gibt es doch noch einen Grund zum Feiern. Mögen sich auch einige Gelbe Hoffnungen auf Lindners Posten machen; der Zug ist wohl abgefahren. Diese FDP braucht kein Mensch,

[….] Johannes Vogel, und [….] Konstantin Kuhle. [….] gelten als mögliche Anwärter für Lindners Nachfolge.  Sollte die FDP den Wiedereinzug in den Bundestag verpassen, könnte dieser Fall schneller eintreten als gedacht. Denn Lindner führt einen riskanten Wahlkampf, in dem er sich und die FDP an die Union gekettet hat. Schon Anfang des Jahres hatte der Parteichef die CDU aufgefordert, für ein schwarz-gelbes Bündnis einzustehen und den Wahlkampf gemeinsam zu bestreiten. Doch Friedrich Merz fährt einen anderen Kurs. Der CDU-Chef gönnt der FDP nicht einmal das schlechteste Umfrageergebnis: „Vier Prozent sind vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent zu wenig für die Union“, sagte Merz zuletzt den Funke-Medien.  [….]

(taz, 08.02.2025)

Freitag, 7. Februar 2025

Wieso so rechts

Der Wahl-o-mat ist eine ganz nette Spielerei, aber sicher kein seriöses Tool, weil der Geist einer Partei, die Persönlichkeiten der Kandidaten, gar nicht erfasst werden.

Die einzelnen Wahlprogrammpunkte werden außerdem nicht gleichermaßen mit Leben erfüllt. Wenn CDU und SPD beispielsweise beide in ihre Papiere schreiben, den Klimaschutzzielen von Paris verpflichtet zu sein, wertet der Wahlomat das als „gleich“, aber natürlich vertreten die beiden Partien das Klimaschutzziel NICHT mit der gleichen Verve.

Außerdem sind die verwendeten 38 Themen keinesfalls gleichwertig. Die militärische Unterstützung der Ukraine ist relevanter als Cannabis-Regeln. Der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes ist nicht so wichtig, wie das Ziel der Klimaneutralität. Die Frauenquote in DAX-Aufsichtsräten kann man im Vergleich zu den Spitzensteuersätzen vernachlässigen.

[….] Nicht selten erleben die Nutzenden eine Überraschung, wenn sie gerade mit kleineren Parteien viele Übereinstimmungen finden.  Das liegt vor allem daran, dass sich diese Parteien häufig bei den Fragen enthalten, wie Prof. Dr. Norbert Kersting von der Universität Münster erklärt. „Dabei stellen die Parteien sich häufig neutraler dar, als sie sind“, sagte Kersting der Berliner Morgenpost. Politikwissenschaftler Christian Stecker von der Technischen Universität Darmstadt erklärte tagesschau.de, dass Nutzende lieber eine Aussage überspringen sollten, als „neutral“ zu wählen.  Das ist nicht der einzige Kritikpunkt, den der Politikwissenschaftler Kersting zum Wahl-O-Mat hat. Der Professor hat zusammen mit einem Team den „Wahl-Kompass“ entwickelt. Ähnlich wie beim Wahl-O-Mat können die Nutzenden ihre Zustimmung oder Ablehnung zu insgesamt 31 Thesen abgeben. Die angegebenen Antworten werden dann mit den unterschiedlichen Positionen der Parteien verglichen. Allerdings werden nicht nur die Befragungen der Parteien bewertet – das Ergebnis des „Wahl-Kompass“ beinhaltet auch eine wissenschaftliche Einordnung durch deutsche Parteienforscherinnen und -forscher. [….]

(FR, 07.02.2025)

Zudem sind koalitionstaktische Überlegungen wesentlich für die Wahlentscheidung. Die Partei, die ich wählen werde, liegt in meinem persönlichen Wahl-o-mat-Ergebnis erst auf Platz 10. Aber die neun davor Liegenden haben entweder keine Chance, die 5%-Hürde zu überspringen, oder treten für etwas ein, das für mich ein Ausschlusskriterium ist. So matche ich beispielsweise, laut der BPB-App, hervorragend mit VOLT, die ich aber wegen ihrer zutiefst irrationalen, wissenschaftsantagonistischen Atomkraft-Vorliebe niemals wählen würde.

Amüsant bleibt der Wahl-o-mat aber dennoch, weil er beispielsweise zur großen Schande der CDU zeigt, wie deckungsgleich die Merz-Union mit den AfD-Nazis mittlerweile ist.

Weiterhin lache ich über die empörten Rechtsschwurbler, die schon wieder Weltverschwörungen wittern, weil ihre Wahlomat-Ergebnisse nicht wie erhofft, überragende AfD-Prozente ergeben. Dabei sind sie lediglich von der Xenophobie der AfD geblendet und haben, wie fast alle AfD-Fans, nicht in das (spärliche) AfD-Programm gesehen, welches extrem schädlich für fast die gesamte Bevölkerung wäre und einseitig Politik zu Gunsten der Superreichen macht.

Warum aber bleiben die AfD-Umfrageergebnisse stabil bei über 20%, obwohl die Partei gesichert faschistisch ist und eine Politik propagiert, die Deutschland garantiert in eine dramatische ökonomische Katastrophe führen wird?
Die Antwort der AfD-Co-Rechten von CDU/CSU/BDW lautet entweder „die Ampel ist schuld“ oder „die Grünen sind schuld“. Nach diesem Narrativ haben Scholz, Habeck und Co „alles falsch gemacht“. Insbesondere auf Humanität, Menschenrechte, Klimaschutz und Ukraine-Hilfe gesetzt. Das alles wären Irrwege, so wie Gendern, Kiffen oder Trans-Akzeptanz. Das empöre die Wähler so sehr, daß sie quasi aus Notwehr AfD wählten, obwohl die mit Nazi-Sprüchen leicht widerlich daher kämen und man besser Merz und Söder wählen sollte.

Leider gibt es ein Problem bei dieser Argumentation: Sie ist schlicht falsch.

Denn die AfD feierte schon zwischen 2017 und 2021 immer neue Rekordergebnisse, als es noch keine Ampel gab und die CDU im Kanzleramt saß. Außerdem zeigen die Erfolge rechtsradikaler Parteien in anderen Industriestaaten, daß es natürlich keinen Habeck braucht, damit die Faschisten erfolgreich sind. In den USA geschieht just vor unseren Augen ein Coup d’État, ohne daß Grüne jemals auch nur in die Nähe von Regierungsverantwortung gekommen wären.
Die tatsächlichen Gründe für den rechtsradikalen Durchmarsch liegen im medialen Versagen, allgemeiner Verblödung und der manipulativen Social-Media-Meinungsmacht.

Eine gute Hälfte der Bevölkerung wurde durch jahrelange Entfaktisierung auf Social Media und Fascho-Hofierung in den Talkshows, unrettbar xenophobisiert. Die bejubelt alles, das gegen Ausländer gerichtet ist und schreit stets nach mehr Härte der fremdenfeindlichen Politik.

(Auf der braunen Klippe)

Einen Schuh, den sich hauptsächlich Angela Merkel und ihre CDU-Minister, aber eben auch die Ampel-Regierung anziehen muss, ist die allgemeine Trägheit.

Deutschland leidet an einer Fülle von Problemen, die seit Jahren, oft seit Jahrzehnten, bekannt sind, für die es sogar Lösungskonzepte gibt. Aber in ihrer (berechtigten) Angst vor dem Wähler, der allergisch auf jede Veränderung reagiert und Politiker sofort abstraft, wenn die irgendetwas versuchen, das nicht sofort, wie am Schnürchen klappt, wird das meiste nur aufgeschoben und nie richtig angefasst.

Daher funktioniert so vieles in Krankenhäusern, in der Pflege, in der Schule, bei der Bahn, bei Behörden, vor Gericht, auf Ämtern, im Verkehr, nicht. Man findet keine günstigen Wohnungen, steht ewig im Stau, muss auf Termine warten.

Das wiederum erlebt der deutsche Michel in seinem täglichen Leben, ärgert sich, ärgert sich immer wieder. Das führt zu großem Frust, den sich die rechten und rechtsfaschistischen Populisten zu Nutze machen, indem sie Sündenböcke präsentieren, auf die all der Hass projiziert wird, der sich selbst verstärkt und schließlich zur Wahl von AfD, ÖVP, Farage, Le Pen führt.

[…..] In diesem Land haben etwa 25 Millionen Menschen das, was das Statistische Bundesamt einen Migrationshintergrund nennt: Entweder, weil sie selbst, oder ihre Eltern von anderswo eingewandert sind. Etwa die Hälfte von ihnen sind Deutsche. Unter den Kindern in diesem Land sind sie besonders gut vertreten: 43 Prozent der unter Fünfjährigen haben Wurzeln im Ausland.

Wenn derzeit öffentlich über „Migration“ und „Migranten“ gesprochen wird, geht es den Parteien vielleicht um Prozentpunkte. In der Sache aber geht es, auf die Gesamtbevölkerung gerechnet, um jeden dritten Menschen, der hier lebt, arbeitet, eine Schule oder Kita besucht, einkauft, Sport macht, krank wird, andere pflegt. Es geht um Menschen, von denen viele mit Vorurteilen, einem erhöhten Armutsrisiko und schlechteren Chancen im Bildungssystem leben müssen. […..] Die allermeisten aber führen ein normales Leben.

Wenn derzeit über Migration geredet und gestritten wird, dann fallen aber Begriffe wie „Zustrombegrenzung“, „Staatsversagen“, „Ausreisepflichtige“ und immer wieder „Sicherheit“. […..] Diese Deutung schwang schon in Horst Seehofers berüchtigter Metapher von der Migration als „Mutter aller politischen Probleme“ […..] erte Einwanderungsbürokratie, in der Anträge nicht monatelang vor sich hin modern, das hätte man in den vergangenen zehn Jahren schaffen können. Ein effizientes Gefährder-Management auch. Beides sind auch jetzt die Antworten, die ein handlungsfähiges Land liefern sollte. Klingt vielleicht nicht markig, würde aber den Menschen wirklich dienen, die in diesem Land leben, egal mit welchem Hintergrund.  [….]

(Meredith Haaf, SZ, 03.02.2025)

CDU und CSU und AfD haben keine Konzepte, um die dem Bürger auf den Nägeln brennenden Probleme zu lösen. Aber sie suggerieren bedauerlicherweise relativ erfolgreich, das alles löse sich von allein, wenn bloß erst die ganzen Migranten rausgeworfen wären, keine Ukrainer mehr Grundsicherung bekämen, kiffen verboten wäre und niemand mehr gendere.