Montag, 7. März 2022

Unsere Anführer.

Natürlich wiederhole ich mich, aber es bleibt nun mal richtig: Guter Journalismus kostet, muss etwas kosten, wenn man nicht nur aus Wikipedia und Presseagenturmeldungen zusammenkopierte Schnipsel lesen will, deren Inhalte nicht überprüft sind.

Wie viele andere auch, treibt mich die Frage um, ob Putin möglicherweise verrückt geworden ist, oder ob wir nur nicht nachvollziehen können, wie er aus einer eurasisch-religiösen Sicht vernünftig handelt.

Bisher halte ich die Erklärung, er wäre psychisch krank, für simplifizierend und plump.

Glücklicherweise habe ich die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG abonniert und finde in den Inhalten hinter den Bezahlschranken Erhellendes. Am liebsten würde ich seitenlange Putin-Analysen hierher kopieren, aber das wäre erstens illegal und zweitens möchte ich jeden dazu animieren, selbst ein bißchen Geld für Spitzenjournalismus zu zahlen. Also hier klicken, wenn man näheres wissen möchte.

Unterdessen feiert sich Deutschland, von Grünen bis CSU, für seine Vernunft, seinen Realitätssinn. Nun sei endlich Schluss mit träumerischer oder ideologischer Außenpolitik. Wir werden nun wehrhaft und schmeißen alles raus, das irgendwie nach Russenkultur aussieht.

[…] Populärer ist vielerorts der Jubel darüber, dass Deutschland endlich "in der Wirklichkeit" angekommen, das alles, was man Russland als Staat, bei manchen durchaus auch: den Russen als Volk, immer zugetraut hat, sich nun auf ganzer Linie bestätigt. Jahrelange Kooperationen mit russischen Kulturinstitutionen oder Unternehmen (Gasprom! Schalke!) werden mit einem Federstrich beendet. Niemand möchte sich mehr die Hände an staatsnahen Institutionen des putinistischen Imperialismus schmutzig machen.  Nein, das ist kein guter Tag für Europa. Es sind beklemmende Zeiten, wenn der alte und fast schon ausgeleierte Slogan "Frieden schaffen ohne Waffen" plötzlich nicht mehr nur als ein bisschen wohlfeil oder weltfremd kommentiert wird, sondern geradezu als unmoralisch.  [….]

(Sonja Zekri, SZ, 01.03.2022)

Dabei ist genau das eine westliche Hybris: Zu glauben, nur wir handelten vernünftig, während Araber, Muslimische Länder, China, Nordkorea, Russland, Belarus, Türkei alle irrational agierten. Alle irre, außer wir?

Aber so einfach ist es wirklich nicht. Auch wenn Putin nun „Aluhut trägt“ (Kister), sind wir noch lange nicht kühl analysierende Mächte, die schlaue und vertrauenswürdige Menschen in die Regierungen schicken.

[….]  Nun ist es, historisch gesehen, neu, dass in einigen Teilen der Welt metaphysische, also nicht rationale Begründungen für politisches Handeln für befremdlich, gar für "unverständlich" gehalten werden. "Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ...", hört man immer wieder seit Donnerstag im Zusammenhang mit Putins Krieg. Dabei ist das Irrationale auch im aufgeklärten Westen ja nach wie vor heimisch. Wer will, kann an ein paar US-Präsidenten der sehr jungen Vergangenheit denken, von denen der eine (Bush Jr.) einen "Kreuzzug" (crusade) im Mittleren Osten ausrief, der andere (Obama) mit seinem fatal überheblichen Gerede von der russischen "Regionalmacht" mehr als nur metaphysischen Schaden in Moskau anrichtete und der dritte (Trump) ohnehin in einer selbst zu möglichen Parallelwelten noch mal extraparallelen Welt lebte und lebt. Auch für den Westen gilt: Nicht die Vernunft ist auf dem Vormarsch, sondern die Unvernunft. In Deutschland ist der handlungsleitende Obskurantismus heute glücklicherweise nicht mehr so ausgeprägt. Aber man muss nur die jüngere deutsche Geschichte betrachten, um zu dem Schluss zu kommen, dass "wir" bis vor ein paar Jahrzehnten eindeutig zu den Weltmeistern metaphysischer Politik gehörten: Gottgesandte Monarchen des Hauses der Hohenzollern haben durch die deutsche Vereinigung unter Preußens Führung das Erbe Karls des Großen oder Friedrich Barbarossas erfüllt; deutsche Soldaten und Siedler haben Zivilisation und Kultur nach Afrika oder Asien gebracht; stets stand der verlotterte Erbfeind Frankreich bedrohlich im Westen; schließlich überfiel Deutschland dann nahezu alle überfallbaren Länder und brachte Abermillionen Menschen um, damit die kostbare deutsche Rasse Lebensraum und Gerechtigkeit erhalte. [….]

(Kurt Kister, 27.02.2022)

Metaphysisches Handeln ist für mich ein Zeichen von Gefährlichkeit, von eingeschränkter Ratio. Aber sich von metaphysischen Überlegungen leiten zu lassen, bedeutet nicht zwangsweise, dumm oder sadistisch zu sein.

Aus dieser Richtung lauert echte Gefahr: Daß die wirklich gefährlich Doofen von der Multimillionenmasse der Doofen, in mächtige Positionen geschubst werden.

Wir leben alle, auch im Westen, in einem System, das radikale Spinner mit destruktiven Charakteren an die Spitze befördert. Johnson, Bolsonaro, Trump, Erdoğan, Orbán, aber auch Typen wir Woelki oder Ratzi, Mixa oder TVE wären nicht möglich, wenn nicht 22 Millionen fromme Zahler Mitglied und damit Ermächtiger der RKK Deutschland wären.

Patriarch Kyrill I., der große Freund Putins, Herr über 150 Millionen russisch-orthodoxe Christen und Kriegsfan ist so ein gefährlicher Irrer.

Der Russen-Papst wirbt nicht nur für mehr Soldaten im Krieg gegen die Ukraine, sondern weiß auch wer schuld am Krieg ist: DIE SCHWULEN! Natürlich.

[….] Kyrill I. hat in einer Predigt am Sonntag in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau zum Krieg in der Ukraine Stellung genommen, ohne diesen als solchen näher zu benennen oder zu verurteilen. Vielmehr sprach das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche von der Notwendigkeit, den christlichen Glauben zu verteidigen, und nutze dabei angeblich vom Westen aufgezwungene Gay Prides als quasi Rechtfertigung für kriegerische Handlungen. [….] "Seit acht Jahren gibt es Versuche, das zu zerstören, was im Donbass existiert", so Kyrill. "Und im Donbass gibt es eine Ablehnung, eine grundsätzliche Ablehnung der sogenannten Werte, die heute von denen angeboten werden, die die Weltmacht beanspruchen."  Laut dem Kirchenoberhaupt gebe es "einen Test der Loyalität gegenüber dieser Macht", der Zutritt gewähre "in diese 'glückliche' Welt, eine Welt des übermäßigen Konsums, eine Welt der scheinbaren 'Freiheit'". Bei diesem "erschreckenden" Test handle es sich um CSDs: "Die Forderung vieler, eine Gay-Pride-Parade zu veranstalten, ist ein Test der Loyalität zu dieser sehr mächtigen Welt; und wir wissen, dass Menschen oder Länder, die diese Forderungen ablehnen, nicht Teil dieser Welt werden, sie werden zu Fremden in dieser Welt."  "Wir wissen, was diese Sünde ist", die durch CSDs gefördert würden, so Kyrill weiter. Sie werde von Gott im alten und neuen Testament verurteilt. "Und wenn Gott die Sünde verurteilt, verurteilt er nicht den Sünder. Er ruft ihn nur zur Umkehr auf – aber nicht, um die Sünde zu einer Lebensnorm, zu einer Variante des menschlichen Verhaltens, zu machen, die respektiert und akzeptiert wird".Wenn die Menschheit annehme, dass Sünde kein Verstoß gegen Gottes Gesetz sei, werde die menschliche Zivilisation enden, so Kyrill. [….]

(Queer.de, 06.03.2022)

Wer das für maximal irre hält, hat noch nicht gehört, wie sich der mögliche nächste US-Präsident und damit Herr der gewaltigsten Kriegsmaschine aller Zeiten, eine Lösung des Ukraine-Krieges vorstellt. Er fände es schön, einen dritten Weltkrieg auszulösen und zuzusehen, wie sich die Atom-Supermächte China und Russland gegenseitig auslöschen.

[….] Vor 250 Parteifreundinnen und -freunden sagte Donald Trump nun, die USA* sollten direkte Luftangriffe auf Russland beginnen. „Bomb the Shit out of Russia“, forderte Trump laut Informationen der Washington Post. Um zu verhindern, dass in Konsequenz der Dritte Weltkrieg ausbricht, hatte der abgewählte Würdenträger ebenfalls einen Plan parat: „Wir sagen einfach, China* war es. Dann fangen sie an, sich untereinander zu bekämpfen und wir lehnen uns zurück und schauen zu.“ US-Präsident Joe Biden* und seiner Regierung empfahl Trump, die F22-Kampfjets der US-Luftwaffe mit chinesischen Flaggen zu übertünchen. [….]

(Daniel Dillmann, FR, 07.03.2022)

75 Millionen Amerikaner finden das gut und wollen ihn wieder wählen.

[….] Nichts an diesem Szenario ist lustig. Nicht nur, weil sich solche Zynismen angesichts der apokalyptischen Bilder aus Mariupol und anderen ukrainischen Städten verbieten. Vor allem verrät die Bemerkung jenseits des kranken Humors mehr über den einstmals mächtigsten Mann der Welt, als diesem lieb sein kann: Trump ist ein selbstmitleidiger Narzisst mit perversen Gewaltfantasien. Er hat von der politischen Wirklichkeit keine Ahnung. Und er bewundert totalitäre Herrscher.

Noch vor knapp zwei Wochen, buchstäblich am Vorabend des Überfalls auf die Ukraine, hatte Trump den russischen Machthaber Wladimir Putin ein „Genie“ genannt und die angebliche Entsendung russischer Soldaten in zwei ostukrainische Provinzen „wunderbar“ genannt: „Das sind die stärksten Friedenstruppen, die wir je gesehen haben.“ Nun ergeht er sich in blutrünstigen Kraftmeiereien gegenüber Moskau und greift seinen Nachfolger Joe Biden als Schwächling an.  [….]

(Karl Doemens, RND, 06.03.2022)


Sonntag, 6. März 2022

Multikrisenwelt.

Streng religiöse Menschen nehmen sich heraus, Ungläubige schlecht zu behandeln, weil ihnen suggeriert wird, sie wären etwas Besseres.  Sich den strengen Regeln eines religiösen Ritus zu unterwerfen, hat aber auch einen psychologischen Effekt. Man glaubt, schon so viel geopfert zu haben, daß man, gewissermaßen als Belohnung, anderen gegenüber auch mal ekelig sein darf.

Das Gehirn konstruiert dabei einen nicht existierenden Zusammenhang. So trickst Mensch sich selbst immer wieder aus.

Wenn ich den ganzen Samstag mit Hausarbeit verbringe, nachmittags noch drei Stunden gebügelt habe, denke ich, nun habe ich aber wirklich genug getan für heute und muss nicht auch noch den Müll rausbringen.

Das ist natürlich Unsinn, weil der stinkende Müll raus muss, völlig unabhängig davon, ob die Hemden gebügelt oder krumpelig sind.

Etwas Ähnliches löst der Krieg in der Ukraine aus. Die Bilder sind so schrecklich, die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit so enorm, daß alles andere verblasst. Weltweit poppen Tragik-komische Memes auf; so habe man sich das Ende der Corona-Dominanz in den Medien nicht vorgestellt.

Letzte Woche erlebte ich in einem Pflegeheim, wie der Belegungschef höchstpersönlich verkündete, wie glücklich er sei, wenigstens Corona hinter sich zu haben. Die Zumutungen für die hochbetagten Bewohner wären auch keine Woche länger erträglich gewesen. Und nun der Krieg! Müsse denn immer was Neues kommen?

Eine mustergültige Selbsttäuschung. Weder sind Krieg, Raketenangriffe auf Städte, Massenflucht und millionenfaches Elend der Zivilbevölkerung neu, noch ist die Pandemie ausgestanden.

Täglich sterben 200 Menschen in Deutschland an Covid19, infizieren sich 200.000 Menschen mit Omikron. Die Inzidenz liegt stabil im vierstelligen Bereich, wird durch die von der FDP ultimativ verlangte Rücknahme der Pandemie-Maßnahmen wieder angefacht.

[….]  Die Karnevalsfeiern haben sich erkennbar auf das Infektionsgeschehen in Köln ausgewirkt. Eine Woche nach dem Ende des Karnevals verzeichnet die Stadt die höchste Coronainzidenz in ganz Nordrhein-Westfalen. Zudem hat das Landeszentrum (LGZ) am Sonntag einen Wert von 2.018,7 gemeldet. Zum Vergleich: Noch vor einer Woche lag der Wert bei 1.073,8. Während sich die Inzidenz in Köln nahezu verdoppelt hat, liegt sie in ganz Nordrhein-Westfalen auf etwa gleichem Niveau. [….]  Allein am Donnerstag waren laut LZG 6.648 neue laborbestätigte Fälle gemeldet – so viele wie an keinem anderen Tag zuvor. [….]

(SPON, 06.03.2022)

Ominöserweise ebben Impf- und Boosterzahlen kontinuierlich ab; der so lang ersehnte Tot-Impfstoff bleibt ein Ladenhüter.

[….] Geringe Nachfrage nach Alternativimpfstoff von Novavax

Das proteinbasierte Mittel war entwickelt worden, um diejenigen zu erreichen, die eine mRNA-Impfung ablehnen. Die FDP fordert ein Ende aller Maßnahmen. […]

(ZEIT, 06.03.2022)

Unglaublich, nachdem sich die Öffentlichkeit schon 2020 und 2021 fälschlich einbildete, nach dem Sommer wäre die Pandemie vorbei, verfällt sie nun das dritte mal diesem Trugschluss.

[….] In den Karnevalsregionen zeigt sich ein deutlicher Anstieg der Inzidenz: Die Inzidenz vor allem in der Gruppe der 20-29-Jährigen stieg laut Spiegel Online stark an. Sie liegt laut der nordrhein-westfälischen Landeszentrale für Gesundheit bei 4336,6, vor einer Woche hatte sie noch bei 1387,1 gelegen. Den Karnevalseffekt sieht auch Michael Hallek, Klinikdirektor an der Kölner Uniklinik: „Um das zu verstehen, muss man kein Wissenschaftler sein. Der Zusammenhang erscheint absolut eindeutig“, sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger.  Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte dem Blatt, man könne an dieser Entwicklung sehen, wie schnell die Zahlen bei vielen Kontakten stiegen. Und er warnte: „Nach wie vor haben wir 200 Todesfälle am Tag. Und wir haben viele Patienten, die für immer bleibende Schäden behalten werden. Es ist leider noch nicht vorbei. Ich warne vor einem komplett unvorsichtigen Verhalten.“ Lauterbach hatte zuletzt auch vor einer „Sommerwelle“ des Coronavirus* gewarnt. [….]

(Merkur, 06.03.2022)

Wir haben jetzt eine neue Zeit, hauen mal eben 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr raus – mehr als eine halbe Million Euro pro Soldat.

SZ 01.03.2022

Aber die Notwendigkeit des einen, heißt eben nicht, daß andere Aufgaben weniger notwendig sind.

Wir müssen Deutschland digitalisieren, wir müssen Corona bekämpfen und das Mega-Problem Klimakatastrophe ist dringender denn je.


Samstag, 5. März 2022

Rückgrat in Essen

Die Woche, die ZEIT, Ganske-Verlagsgruppe, Rowohlt, der SPIEGEL, Studio Hamburg, Jahreszeitenverlag, NDR, Gruner und Jahr, Bauer, Axel Springer, Hoffmann und Campe – Hamburg nennt sich zu Recht „die Medienstadt“ in Deutschland.

Umso peinlicher, daß ausgerechnet Hamburg über keine gute Tageszeitung verfügt. Die Süddeutsche Zeitung hatte einst einen Hamburg-Teil geplant, wie auch die „Berliner Seite“. Zu meinem größten Bedauern fiel der Plan aber dem Sparhammer zum Opfer, als alle Zeitungsverleger vom Internet gebeutelt wurden. Über Jahrzehnte gab es in Hamburg neben der in homöopathischer Auflage erscheinenden „taz Hamburg“ und der kleinen Boulevardzeitung „Hamburger Morgenpost“ (Auflage 24.000) nur drei Springer-Blätter: Die ultrakonservative WELT, das Hetzblatt BILD und das konservative Hamburger Abendblatt, so daß man als Hamburger, der an regionalen Informationen interessiert ist, bedauerlicherweise letzteres abonnieren muss.

Spätestens ab 2012 wurde es unerträglich, als auch Springer sparte, Redakteure feuerte und das „Abla“ seine überregionalen Artikel von WELT und Berliner Morgenpost übernahm.  Umso erstaunter (und erfreuter) war ich, als Springer-Großzampano Matthias Döpfner 2014 fast alle Print-Erzeugnisse rauswarf, nur seine geliebte BILD und WELT behielt und unter anderem das Abla für 920 Millionen Euro an die FUNKE-Mediengruppe verkaufte.

Der 2013 aus der WAZ-Gruppe (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) hervorgegangene Großverlag gilt zwar auch als eher konservativ, läßt aber bei seinen 13 Tageszeitungen und Dutzenden Zeitschriften/Wochenblättern traditionell Pluralismus walten, zwingt keine rechtsideologischen Vorgaben wie Friede Springer auf.

Es konnte also nur besser werden beim Abendblatt. Dachte ich. Immerhin, es wurde nicht schlechter. Die politische Ausrichtung ist immer noch kirchenfreundlich und rechts von der Mitte. Aber es geht niemals in den ultrarechten/völkischen Bereich, wie es bei WELT, BILD, aber auch gelegentlich in der FAZ durchaus vorkommen kann.

Innovationen sind den Essenern in den nunmehr acht Jahren Abla nicht eingefallen, die Auflage bröckelte von rund 200.000 im Jahr 2014 auf inzwischen nur noch 138.000 (2021). Die Abendblatt-Redakteure spielen überregional keine Rolle, werden nicht in den Pressclub oder zu Brennpunkten eingeladen.

Hätte ich eine bessere Alternative, würde ich sofort mein Abonnement kündigen. Aber wäre es immer noch Teil des SPRINGER-Imperiums, hätte ich inzwischen kündigen müssen. Deren „rote Gruppe“ mit der Cash-Cow BILD war immer der letzte Dreck und die „blaue Gruppe“ und die WELT mit ihrem rechts-völkisch abgedrehten Chef Ulf Poschardt, kann man keinesfalls tolerieren, auch wenn sie sich immer mal wieder einen Exoten leistet, der wie Alan Posner gegen die Kirche anschreibt oder wie der Pen-Präsident Denis Yücel die Türkeiberichterstattung prägt.

Die Vorgänge um die Entlassung des übergriffigen BILD-Chefs Julian Reichelt, der das Drecksblatt neben den üblichen Lügen und rechtsvölkischen Inhalten auch noch mit verschwörungstheoretischen Covidiotenmüll flutete, waren insofern erhellend, als wir jetzt wissen, daß sich Friede Springer und ihr Sohn/Liebhaber/Erbe Döpfner eben nicht für das üble Blatt schämen, es aber notgedrungen behalten, weil es so profitabel ist. Nein, sie sind offenbar ganz auf Linie. Matthias Döpfner orakelt gruselige verschwörungstheoretische Dinge in die Welt.

[….] Vor lauter Verschwörungsfantasien findet Döpfner keinen Umgang mit einem System des Machtmissbrauchs. Nach Lektüre des FT-Artikels erscheint auch die Whatsapp-Nachricht an den Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, in der Döpfner Reichelt als letzten aufrechten Journalisten bezeichnet, der gegen einen "neuen DDR-Obrigkeitsstaat" kämpft, in einem passenden Kontext. In seinem Video sagte Döpfner zwar entschuldigend: "Wenn man in einer privaten Unterhaltung aus dem Zusammenhang gerissen etwas zitiert, dann unterschlägt man Polemik, Ironie, Übertreibung". Doch die Nachricht an Stuckrad-Barre war keine Ironie, das zeigt sich spätestens jetzt, sie war offensichtlich so gemeint, wie es da steht.  Döpfner wollte an Reichelt festhalten, womöglich weil er ihn als Verbündeten im Kampf gegen eine empfundene linke Übermacht brauchte. Im Artikel der FT wird Döpfner so zitiert, dass er sich und Springer als letzte Bastion der Unabhängigkeit, der Kritik an der Regierung sieht, und dass es eine linke Blase gebe, die sie dafür bestrafen möchte. So passt alles zusammen.  […..]

(Nils Minkmar, 08.02.2022)

Poschardt, Reichelt und Milliardär Döpfner bewegen sich offenbar schon länger in einer rechten Wahnwelt, in der sie von Impfspritzen-werfenden linksgrünversifften Merkels daran gehindert werden sollen, ihren Machismo auszuleben.

[….] Im Fall „Reichelt, Döpfner und die deutschen Medien“ gibt es etliche homogene Umfelder. Zunächst einmal das von Axel Springer, wo das regierte, was man Bro Culture nennt: ein Patriarchat, bei dem Frauen schmückendes Beiwerk sind und, wie zu lesen ist, nach „Fuckability“ sortiert werden. Und natürlich gibt es ein „Wir gegen die“: Wir von Springer gegen den Rest der Welt, wir haben Recht und können uns alles erlauben – der Rest nicht. Aus dieser Kultur heraus wird dann eine imaginäre Gratiskultur im Internet angeprangert – und anderseits systematisch selbst raubkopiert.   [….]

(Thomas Knüwer, 19.10.2021)

Matthias Döpfner, als reichster und mächtigster Verleger, regiert aber nicht nur die Springer-Gruppe, sondern sitzt auch dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) vor.  Für alle Verlage, die sich noch an Fakten, Transparenz und Ehrlichkeit orientieren, ist das ein Problem. Döpfner ist eigentlich untragbar, kann aber mit seinen internationalen Kontakten und seinem Milliardenvermögen Türen öffnen. Auf so einen mächtigen Fürsprecher wollen Verlage nicht gern verzichten.

Umso erstaunlicher, daß es die behäbigen Essener sind, die den einzig möglichen Ausweg gehen. Sie sehen das Ansehen der gesamten Branche unter Präsidenten Döpfner als so schwer beschädigt an, daß sie den BDZV verlassen. Gut gemacht!

[….] Die Funke Mediengruppe, das große Verlagshaus aus dem Ruhrgebiet, hatte in den vergangenen Wochen klar Stellung gegen den Axel-Springer-Chef bezogen, der trotz seiner Rolle im Fall des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt weiterhin Präsident des BDZV ist - und damit oberster Repräsentant der deutschen Tageszeitungen. Döpfner war durch mehrere Recherchen schwer belastet worden. Die Londoner Financial Times kam zuletzt zu dem Schluss, er habe aktiv versucht, den Machtmissbrauch von Reichelt zu vertuschen und einen Anwalt damit beauftragt, Betroffene auszuforschen. [….] Kann dieser Mann mit diesen Ansichten noch als oberster Lobbyist die Anliegen der Verleger vertreten? An diese Frage wagte sich bei der Delegiertenversammlung Mitte Februar einzig Funke heran - und wurde dafür heftig kritisiert. Die Palastrevolte scheiterte. [….] Valdo Lehari, Verleger des Reutlinger General-Anzeigers und einer von Döpfners Vizepräsidenten im BDZV, hatte als Sitzungsleiter gar mahnend darauf verwiesen, "dass es gelebte Tradition ist, interne Angelegenheiten der Mitgliedsverlage nicht zum Gegenstand von Verbandsdiskussionen zu machen". Gemeint war: Was Mathias Döpfner bei Springer tut, soll die Verbandsmitglieder gefälligst nicht kümmern.   [….]

(SZ, 05.02.2022)

Die Kriecherei Leharis und der peinliche Rückzieher Dirk Ippens, der das Investigativ-Recherche-Team zum Thema Reichelt in seinem eigenen Verklag stoppte, zeigen, wie ungern eine Krähe der anderen ein Auge aushackt.

Umso beeindruckender, welch kräftiges Rückgrat Julia Beckers Funke-Gruppe an den Tag legt. Sie lässt sich nicht von den alten Männern kaufen.

[….] Vor wenigen Tagen traf dann ein ungewöhnlicher Brief am Jakob-Funke-Platz 1 in Essen ein: Döpfners drei noch verbliebene getreue Stellvertreter machten Funke-Verlegerin Julia Becker ein zweifelhaftes Angebot. Sie selbst könne doch den nunmehr frisch freigewordenen Vize-Posten unter Döpfner einnehmen, schrieben Christian DuMont Schütte (u.a. Kölner Stadt-Anzeiger), Jan Dirk Elstermann (Neue Osnabrücker Zeitung) und Valdo Lehari (Reutlinger General-Anzeiger). Der Brief war Machtspiel und Ausdruck des Spotts zugleich. Funke hatte in einem Strategiepapier Vorschläge für eine Reform des Verbands unterbreitet. Nun, so schrieben die drei Vizepräsidenten unverhohlen hämisch an Becker, "wäre es für Sie die beste Gelegenheit, den Worten nunmehr durch Ihre persönliche Mitwirkung konkrete Taten folgen zu lassen".  In Essen reagierte man entsprechend erzürnt. "Der letzte Antrag der Vize-Präsidenten war in seiner gönnerhaften Tonality zu viel", sagt ein Funke-Sprecher auf SZ-Nachfrage..   [….]

(SZ, 05.02.2022)

Freitag, 4. März 2022

Glück im Unglück – Teil II

Friedrich Merz verfügt über erstaunliche Fähigkeiten.

Obwohl er der geborene Verlierer ist und es nie vermochte in einer direkten politischen Konfrontation zu siegen, halten ihn seine rechten Unionsfreunde für einen Gewinnertypen. Er unterlag Merkel, er unterlag AKK, er unterlag Laschet und soll nun doch die nächste Bundestagswahl für die Union gewinnen.

Noch verblüffender ist sein zweites Talent. Obwohl er sich in Interviews und Talkshow immer wieder um Kopf und Kragen redet, eklatante ökonomische Wissenslücken offenbart, vermag er es, die Öffentlichkeit glauben zu lassen, er wäre ein wirtschaftliches Genie.

 Daher lautete Loser-Laschets Plan für seine Kanzlerkandidatur, Sexist ‚Friedrich Merz muss ins mein Team‘ und so stand der Mann mit den gesellschaftspolitischen Ansichten aus den 1950ern seinen notorischen ökonomischen Fehlaussagen für den Kanzlerkandidaten. Dabei mangelt es Merz nicht nur an wirtschaftspolitischen Instinkt, indem er seit 20 Jahren Dinge grundsätzlich falsch prognostiziert, sondern dem Juristen vom rechten Parteirand fehlen auch die simpelsten volkswirtschaftlichen Grundkenntnisse. Er ist eine Lachnummer.

[……] Der gefühlte Wirtschaftsexperte.  Friedrich Merz wähnt Deutschland und die EU in der "Liquiditätsfalle" - und erntet Widerspruch von Ökonomen.   Rüdiger Bachmann sagt von sich selbst, er sei jemand, den die CDU "im Prinzip" gewinnen könnte. Der Professor für Makroökonomie lehrt derzeit an der katholischen Privatuniversität Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana, die als konservativ gilt. Nur, am Sonntag hat die CDU alles andere als Werbung für sich gemacht. Der Grund? Ein Tweet des angeblichen Wirtschaftsexperten der Partei, Friedrich Merz.  [……] Deutschland und die EU sind mit ihrer Finanzpolitik angekommen, wo sie niemals hätten hinkommen dürfen: in der Liquiditätsfalle", twitterte er am Sonntag. Huch, fragt man sich da, sitzen die Deutschen in der Falle, weil die da in Berlin und Brüssel keine Ahnung haben?  Doch dann rauscht ein Shitstorm durchs Netz. Wirtschaftspolitiker, Ökonomen und Vertreter des Wahlvolkes sind entsetzt von mangelndem Sachverstand oder einfach empört. Er biete Merz "ein kurzes Briefing in Sachen Geldsystem und Staatsfinanzen" an, "sollte nicht länger als ein Jahr dauern, bis wir Sie so fit haben, dass Sie wieder mitreden können", twittert der Ökonom Maurice Höfgen, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag arbeitet. "Ist schon fast lustig, dass der 'Wirtschaftsexperte Merz' keine Ahnung von wirklich grundlegender Ökonomie zu haben scheint", ein anderer. "Die alte Nummer, den Menschen große Angst vor angeblichen Schulden machen", ärgert sich ein Nutzer.  "Ohgottohgott, dieser Mann tritt in meinem Wahlkreis an. @FriedrichMerz, kommen Sie doch mal rüber in die Altstadt, ich leih' Ihnen meinen Bofinger", bietet jemand an. Auf die "Grundzüge der Volkswirtschaftslehre" von Peter Bofinger verweist auch der Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi, er twittert ein Bild des Lehrbuchs. "Ist das die neue Wirtschaftskompetenz?", fragt er. Und, an Merz gerichtet: "Wissen Sie eigentlich, was eine Liquiditätsfalle ist? Sie scheinen da was verwechselt zu haben." - "Oh Lord Keynes!" [……]

(Cerstin Gammelin, 29.04.2021)

Friedrich Merz trägt nicht nur die Last mit sich, daß er sich in ökonomischen Fragen meistens irrt und groteske Fehlprognosen in die Welt setzt, daß er ein erstaunliches Talent an den Tag legt, alle Fettnäpfchen zu treffen und innerparteilich als Serienverlierer dasteht, sondern immer mehr als ewig-gestriger AfD-Opa gegen Schwule und Gendersternchen wettert.

Auch die Merz-typischen grotesken Fehlprognosen vermögen es nicht, seiner angeblichen Wirtschaftskompetenz zu schaden.

(….) Er sieht die Wirtschafts- und Sozialpolitik noch genauso durch die radikal neoliberale Brille wie vor 20 Jahren:
Sozialausgaben radikal kürzen, alle Regulierungen abschaffen, Steuerrecht ausmisten und massiv von unten nach oben umverteilen, damit die Unternehmer investieren.
  So steht es auch in seinen Prä-Finanzkrise-Büchern „Mut zur Zukunft. Wie Deutschland wieder an die Spitze kommt“ (2002), „Nur wer sich ändert, wird bestehen. Vom Ende der Wohlstandsillusion“ (2004), „Mehr Kapitalismus wagen – Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ (2008), in denen er Düsteres prognostizierte.

[…] Die Diagnose, die Merz in dem Buch [Vom Ende der Wohlstandsillusion] macht […]: Deutschland erlebe einen "historischen Niedergang"; die "Position der Exporteure auf den Weltmärkten verschlechtert sich ständig"; der Staat steckt in der "Schuldenfalle"; der Sozialstaat belohnt Faulheit; die "Überregulierung" des Arbeitsmarkts ist "schlicht eine Katastrophe", ebenso wie das böse Tarif- und Verbändekartell; die Lohnfindung ist "verkrustet"; dazu kommt, dass die Unternehmen ohnehin keinen einstellen, weil der Kündigungsschutz zu streng ist; unser Steuersystem ist schlechter als das von Gambia und Uganda; und überhaupt arbeiten wir zu kurz, und die Eliten verstehen nicht den Zusammenhang zwischen Leistung und Lohn; und die Gutmenschen haben uns zu bequem werden lassen. Was es braucht, schien für Merz ebenso klar: die Deutschen müssen (fast) alle irgendwie verzichten. Und "länger arbeiten". Und flexibler. Und im Normalfall ohne Wohltaten vom Staat auskommen. Und ihre Rente am Kapitalmarkt gefälligst selbst verdienen. Für über 50-Jährige sollte es am besten gar keinen Kündigungsschutz mehr geben. Die Leute müssen ihren "Konsum beschränken" (damit - angeblich dann - mehr Geld für die Unternehmen übrig bleibt). Abgesehen davon braucht es weniger teure Beamte. Und weil "die Marktwirtschaft ihre Überlegenheit längst bewiesen hat", muss natürlich irgendwie (fast) alles den Märkten überlassen werden. [….]

(Thomas Fricke, SPON, 30.11.2018)

Es gibt zwei Probleme an dieser hanebüchenen, einseitigen Sichtweise.

Zum einen hält Merz an diesen Rezepten und Prognosen bis heute fest und zeigt damit Starrsinn und Realitätsblindheit.

Zum anderen haben sich alle seine düsteren Unkenrufe als völlig falsch erwiesen. Nichts trat davon ein, obwohl Angela Merkel in 13 Jahren das Gegenteil einer Reformerin war und keine der radikalen Merz-Forderungen umsetze. Hätte Merz Recht behalten, wäre Deutschland inzwischen untergegangen. (….)

(Plädoyer für Friedrich Merz, 16.02.2020

Wir wissen bisher, wie hanebüchen falsch Merzsche Aussagen zur Wirtschafts- und Finanzpolitik sind, wir wissen, daß der Multimillionär sich nicht ansatzweise in die Nöte von Geringverdienern hineindenken kann (er empfahl den von Altersarmut bedrohten Menschen, sich Aktienvermögen anzuschaffen) und wir wissen, wie verletzend der Dampfplauderer agiert, wenn er beispielsweise bei einem Statement zur „Ehe für alle“ sofort Schwulsein mit Pädophilie verknüpft.

Merz ist also ein bißchen doof, unempathisch und hat sich nicht unter Kontrolle. Er ist ein Dampfplauderer, der während des Sprechens gar nicht begreift, welchen Schaden er anrichten kann.

In der gegenwärtigen todernsten Lage, im Ringen mit dem Krieg in Europa, haben wir aber auch Grund glücklich und dankbar zu sein.

Dankbar für den Wahlsieg Olaf Scholz‘, dankbar dafür, daß der Mann im Kanzleramt seine Worte genau abwägt und Dankbarkeit dafür, daß Merz stets in der Opposition sitzt. Merz hat sich nicht unter Kontrolle und merkt gar nicht was er anrichtet.

Besonders drastisch zeigt sich die Merzsche Gefährlichkeit in der Außenpolitik. Der Trump-Fan schaffte es innerhalb weniger Tage zweimal mit totalen Idiotien, die Deutschland schwer schaden, in die Schlagzeilen.

[….] Merz: Swift-Ausschluss Russlands wäre eine Atombombe für Kapitalmärkte!  Kommende Woche wird Außenministerin Baerbock Moskau und Kiew besuchen. Der designierte CDU-Chef warnt davor, Russland aus dem internationalen Zahlungsverkehr auszuschließen. […]

(Handelsblatt, 16.02.2022)

Ohne Not wollte Merz also die drastischste Sanktion gegen Russland abräumen. Putin wird sich die Hände gerieben haben.

Nachdem der Krieg der Drohungen, ein Heißer geworden ist, die SWIFT-Karte längst gespielt wurde und sich alle Welt vor einer Eskalation fürchtet, orakelt der Irre davon, die NATO gegen Russland einzusetzen.

[…] Ukraine-Einsatz der Nato? Merz bekommt harsche Kritik: „Provoziert Ausweitung zum dritten Weltkrieg“  CDU-Chef Friedrich Merz erntet Gegenwind für sein - vorerst rein hypothetisches - Gedankenspiel zu einem Nato-Einsatz in der Ukraine. Deutschland und die Nato dürfen sich militärisch keinesfalls in Russlands Krieg gegen die Ukraine ziehen lassen, sagte die Linke-Abgeordnete Sevim Dagdelen am Freitag. Merz rede eine Kriegsbeteiligung der Nato herbei, mache der Ukraine falsche Hoffnungen und provoziere eine „Ausweitung zum dritten Weltkrieg zwischen Nuklearmächten“, warnte sie. Zumindest indirekt warnte auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn vor entsprechenden Plänen. Ein militärisches Einwirken der Nato wäre „eine Weltkatastrophe“, erklärte er - allerdings bezogen auf ukrainische Forderungen nach einer Flugverbotszone über dem Land.  Eine solche No-Fly-Zone müsste von den Vereinten Nationen beschlossen werden und es stelle sich die Frage, wer diese Zone kontrollieren würde, sagte Asselborn vor einem EU-Außenminister-Treffen in Brüssel. Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) erteilte einer Nato-Beteiligung am Konflikt wiederholt eine Absage.  [….]

(Merkur, 04.03.2022)

Was für ein Glück, dass der Dampfplauderer erst zweimal NICHT Parteivorsitzender, dann NICHT Kanzlerkandidat und vor allem NICHT Kanzler geworden ist! Kanzler Merz hätte womöglich schon einen Atomkrieg herbei geredet.

Donnerstag, 3. März 2022

Lob der Feigheit.

Feigheit gilt in allen Kulturen als Makel, daher benutzen wir in Deutschland das Adjektiv „feige“, um unser stärkstes Missfallen auszudrücken.

Die von Max Goldt so beklagten Dekorationsadjektive haben Konjunktur wie eh und je:


15.09.01 Susan Sontag kritisiert neben manch anderem, dass sämtliche Kommentatoren die Anschläge als „feige“ bezeichnen. Da hat sie natürlich Recht. Schon Ladendiebstahl erfordert Mut. Wie viel Mut braucht es da erst, ein Flugzeug zu entführen und es gegen ein Gebäude zu steuern. Man kann froh sein, dass die meisten Menschen zu feige sind, um so etwas zu tun. Sicherlich gibt es für die Attentate bessere Dekorationsadjektive, wie zum Beispiel ruchlos oder schändlich, sogar anmaßend wäre treffender als feige. Es geht den Kommentatoren aber nicht um passende Adjektive, sondern um die Souveränität und Flüssigkeit ihres Vortrags. Um diese zu erlangen, sind in der Mediensprache viele Haupt- und Zeitwörter untrennbar an bestimmte Eigenschafts- und Umstandswörter gekettet. So wie Anschläge immer feige sind, werden Unfälle grundsätzlich als tragisch bezeichnet, obwohl es mit Tragik, also einer Verwicklung ins Schicksal oder in gegensätzliche Wertesysteme, überhaupt nichts zu tun hat, wenn jemand gegen einen Baum fährt. Ein solcher Vorgang ist banal – mithin ganz und gar untragisch. Vielleicht werden die Unfälle deshalb als tragisch bezeichnet, weil das Wort so ähnlich wie traurig klingt, und traurig ist ein Unfall immerhin für die Freunde und Angehörigen des zu Schaden Gekommenen. „Traurig“ ist den Medienleuten aber zu lasch, für sie ist Tragik wohl eine zackigere und grellere Form von Traurigkeit. Genauso unpassend ist das Adjektiv, welches unvermeidbar auftaucht, wenn nach einem Erdbeben oder einem ähnlichen Unglück nach Überlebenden gesucht wird. Wie geht die Suche vor sich? Natürlich „fieberhaft“. Dabei will man doch stark hoffen, dass es Fachleute und besonnene Helfer sind, die einigermaßen kühlen Kopfes und in Kenntnis der bergungslogistischen Notwendigkeiten die Menschen suchen, und nicht, dass da irgendwelche emotional aufgeweichten Gestalten wie im Fieberwahn in den Trümmern herumwühlen. Verzichten können die Medienleute auf Adjektive nicht, denn sie sind zur Erzielung eines vollmundigen Verlautbarungssingsangs notwendig. Könnte man aber nicht mal einen angemessenen Ausdruck benutzen? Ich glaube nicht. Wir werden niemals folgenden Satz im Radio hören: „Nach Überlebenden wird fleißig gesucht.“ Dabei wäre „fleißig“ inhaltlich wie stilistisch ideal. Es ist weder abgedroschen floskelhaft noch zu auserlesen und hat daher nicht den geringsten ironischen Beiklang. Schriebe jedoch ein Journalist diesen Satz, so wäre es vollkommen sicher, dass sein Redakteur das passende Wort „fleißig“ streichen und durch das vollkommen unpassende „fieberhaft“ ersetzen würde.
(Zitiert aus: Süddeutsche Zeitung, 13.07.2002)

Heldenmut hatte in der Geschichte der Menschheit sicher Überlebensvorteile, wenn es darum ging, die eigene Wohnhöhle gegen Wölfe zu verteidigen, dem wilden Bären etwas nahrhaftes Aas abzujagen, oder seinen Klan gegen die Keulen-schwingenden Eindringlinge aus dem Nachbartal zu verteidigen.

Bis ins Mittelalter war es eine gute Idee, mutig zu sein, sich entschlossen und kampfkräftig auf den Gegner zu stürzen, wenn man seiner Familie das Überleben sichern wollte. Zumal gerade christliche Eindringlinge im Heiligen Land, in Amerika oder in Afrika, die Angewohnheit hatten, Genozide zu veranstalten und ohnehin jeden überlebenden Gegner umzubringen.

Nach der Aufklärung setzte sich allerdings zumindest partiell der Gedanke durch, man könne die Zivilbevölkerung des Feindes auch leben lassen.

Parallel wurden so perfide Waffen entwickelt, daß sie sich mit „Mut“ nicht bekämpfen ließen.

Im ersten Weltkrieg stellten die frommen abrahamitischen Herrscher und Generäle Maschinengewehre auf und ließen ihre Soldaten gegen die Maschinengehrstellungen der anderen anrennen.

Auf der türkischen Halbinsel Gallipoli (europäische Seite der Dardanellen) hatten sich 1915 die kaiserlich-deutsche Marine und das verbündete osmanische Reich enorm verschanzt, Befestigungen gebaut, Kanonen aufgestellt und das umgebende Meer vermint. Der britische Kriegsminister Churchill ließ trotzdem von Seeseite angreifen, scheiterte damit so kläglich, daß er zurücktreten musste. Später griffen die Entente-Länder von der Landseite an, indem sie die naiven und unausgebildeten australischen und neuseeländischen Truppen nach Gallipoli schickten. Sehr sehr mutig rannten Briten, Franzosen, Australier und Neuseeländer in das türkisch-deutsche Feuer. Allein, es war völlig umsonst. Gallipolli fiel nicht, aber am Ende waren über 100.000 Menschen tot.

Opfer Gallipolli 1915

Heute gibt es unzählige Kriegsfilme, in denen dem Mut all der gestorbenen Kriegshelden gehuldigt wird. Allein im Ersten Weltkrieg starben Millionen Soldaten, die von ihren Generalstäben vielfach leicht geopfert werden konnten, weil die Soldaten mutig waren und immer wieder ins Maschinengewehrfeuer rannten.

[….] Alle Armeen verlangten von ihren Offizieren und Mannschaften täglich den Einsatz ihres Lebens. Wie Geschütze und Munition wurden Soldaten als einzusetzendes Material betrachtet. Der Tod als ständiger Begleiter der Frontsoldaten wurde zum "Heldentod für das Vaterland" verklärt. Im Ersten Weltkrieg starben mehr als neun Millionen Soldaten, darunter über zwei Millionen aus Deutschland, fast 1,5 Millionen aus Österreich-Ungarn, über 1,8 Millionen aus Russland, annähernd 460.000 aus Italien. Frankreich hatte über 1,3 Millionen, Großbritannien rund 750.000 militärische Todesfälle zu beklagen. Hinzu kamen etwa 78.000 Tote aus den französischen und 180.000 Tote aus den britischen Kolonien. Die USA verloren nach ihrem Kriegseintritt im April 1917 rund 117.000 Mann in Europa. […]

(Lemo)

Mut zahlt sich nicht aus, wenn man es modernen Waffen zu tun hat und unterlegen ist, es sei denn, man betrachtet den Wert menschlichen Lebens als so irrelevant, daß man wie in Vietnam gewillt ist, gegen die haushoch überlegene USA mit Luftwaffe und Napalm, fünf Millionen Menschen zu opfern.

Ja, die USA mussten 1975 nach 20 Jahren Krieg geschlagen abziehen, hatten 55.000 Tote zu beklagen. Die Vietnamesen beweinten aber 100 mal so viele Tote. Sehr mutige Freiheitskämpfer, aber eben auch sehr Tote.

Was taugt denn Mut noch, wenn man sich nicht in offener Feldschlacht, sondern in seiner zivilen Stadt befindet und der übermächtige Gegner mit thermobarischen Waffen, den schlimmsten nichtnuklearen Zerstörungsmaschinen überhaupt, anrückt?

Innerhalb von Sekunden werde 24 Gefechtsköpfe der Variante »Tos-1A« abgefeuert und verteilen am Kilometer entfernten  Einschlagsort  ein explosives Aerosol großflächig in der Luft.

[….] So kommt es auf einem relativ großen Areal zu einer heftigen und sehr heißen Explosion mit einer großen Druck- und Hitzewelle. Aber weil der Luftsauerstoff verbraucht wurde, entsteht ein Unterdruck – in der Folge kommt es zu einer zweiten, entgegengesetzten Druckwelle, die wie ein Sog den Sauerstoff akkumuliert und weiteren Schaden anrichtet.  Dadurch gibt es auch in Tunnels und Bunkern kaum ein Entkommen vor diesen thermobarischen Explosionen. »Das ist eine furchtbare und völkerrechtswidrige Waffe. Die Explosion kann den Menschen unter anderem die Lunge zerreißen«, sagt Neuneck.  [….]

(SPON, 02.03.2022)

Der Ukraine-Krieg geht nicht gut aus, weil für Putin nach seinem gewaltigen diplomatischen und politischen Einsatz, Verlieren keine Option ist.

Umso schlimmer, daß sich die russische Armee in der ersten Woche aufgrund des erbitterten Widerstands so schwer tat, denn Putin kann mit Atomwaffen, Hyperschallraketen und grausamen Vakuumbomben nachlegen.

Und er wird es tun, da die NATO-Staaten die einzigen sind, die ihn (womöglich) militärisch aufhalten könnten, dies aber mit guten Gründen ausgeschlossen haben. Russland muss also „nur“ die Ukrainer schlagen.

Das wird umso brutaler und blutiger, je mehr Waffen Kiew zur Verfügung gestellt werden und je mutiger sich die Ukrainische Führung geriert.

Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko, unterstützt von seinem ebenfalls in Kiew weilenden Bruder Wladimir und insbesondere Präsident Selenskyi sind bedauerlicherweise derartig mutig, daß sie weltweit für ihre Eier („balls“) gefeiert werden.

Das ist schlecht, denn Mut generiert Mut. Ukrainer werden ermutigt, tausende Freiwillige strömen in die Ukraine, um gegen die Russen zu kämpfen. Immer mehr europäische Länder schicken Waffen.

Gewinnen kann Selenskyj aber nicht, weil Putin nicht verlieren darf – sonst würde er womöglich doch noch den Atomknopf drücken.

Für den Ukraine-Krieg gibt es keine guten Lösungen mehr. Nur sehr Schlechte und Katastrophale.

Die für das Volk beste Option wäre es, wenn die Klitschkos und Selenskyjs nun so mutig wären, sich richtig feige zu verhalten. Aufgeben, sich ergeben, fliehen, abhauen, bei Biden unterkriechen oder sich Putin ergeben, die Kapitulation unterschreiben.

Nur so könnten die Waffen ruhen, nur so könnte sich Putin beruhigen, nur so könnte der Westen etwas aushandeln.  Nur so müssten ganz normale Bürger in der Ukraine nicht mehr fürchten von als Kollateralschäden ums Leben zu kommen. 


 

Mittwoch, 2. März 2022

Impudenz des Monats Februar 2022

Und inzwischen zeigt der Kalender eine „2“ – wirklich allerhöchste Zeit für mich, den Blödmann des Monats zu küren.

Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine vom 24.02.2022, der offensichtlichen Selbstüberschätzung der eigenen militärischen Kräfte, den hohen Verlusten der ersten Woche und der totalen ökonomischen, diplomatischen und politischen Isolierung des Kremls, kann natürlich nur einer den Titel bekommen.

Präsident Wladimir Putin.

Was für ein Abstieg. Handstreichartig führt er das größte Land der Erde mit 144 Millionen Einwohnern in die internationale Steinzeit, bringt Tod und Zerstörung, macht sich und seine Nation zum Paria der Welt.

Putins Entscheidungen der letzten Wochen bringen enormes zusätzliches Elend in die Welt, er schickt sich an, den Horror und das Elend, das beispielsweise unser Alliierter Saudi Arabien über den Jemen bringt, nach Europa zu holen.

Das ist das Neue seit dem Ende des zweiten Weltkrieges: Es gab immer wieder Kriege mit Millionen Toten, entsetzliches Leiden der Zivilbevölkerung. Jeden Tag verhungern 25.000 Kinder, die in der weltkapitalistischen Agrarpolitik durch die Maschen in den Tod rutschen. Wild gewordene afrikanische Diktatoren schlachten ihre Mitbürger ab, Scharia-begeisterte Golf-Monarchen versuchen sich an Genoziden – stets ausgerüstet mit deutschen Waffen. Die Opfer haben aber eine andere Augenform oder Hautfarbe als wir Europäer. Daher sind sie uns egal und werden gegebenenfalls auch wieder ins Meer geworfen, wenn sie zu fliehen wagen. Ukrainer sind weiß und christlich. Ihr Tod stört uns erheblich mehr.

Wenn Präsidenten, die echte Schwachköpfe sind, Bolsonaro oder Trump zum Beispiel, ihre Länder in so eine Katastrophe führen, ist das für die Betroffenen nicht weniger schlimm, aber für die Beobachter nicht überraschend.

Wladimir Putin umweht aber eine echte Tragik, weil er eben nicht so doof und unvorbereitet wie IQ45 ins Präsidentenamt stolperte. Der Mann ist gebildet, kennt sich bestens mit internationalen Beziehungen aus, war hochdekorierter KGB-Offizier.

Am Abend des Angriffs gab es eine informative Phönix-Runde mit Klaus von Dohnanyi (der mit bald 94 Jahren kein bißchen senil ist) und der Sicherheitsexpertin Agnieszka Brugger (B90/Grüne), die richtigerweise darauf hinwies, daß der Wladimir Putin, der 2001 im Deutschen Bundestag sprach und dem Westen, der EU und Deutschland die Hand zu einer echten Partnerschaft ausstreckte, nichts mehr mit dem Putin von 2022  zu tun hat. Das sind zwei völlig verschiedene Menschen.

Über Jahrhunderte nahm man an, der Charakter eines Menschen bilde sich in jungen Jahren, bevor man 30 werde und verändere sich anschließend nicht mehr.

Inzwischen wissen wir durch psychologische Forschung, wie falsch diese Annahme ist. Menschen können durchaus noch mit über 40, über 60 oder über 70 fundamentale Charakterveränderungen erfahren. Ich denke, genau das ist bei Putin passiert und habe in vielen Postings dargestellt, welche Fehler des Westens dazu beitrugen, den russischen Präsidenten so derartig zu radikalisieren.

Allerdings dienen die Versuche Russland (gemeint ist Putin; es ist absurd Russland mit 144 Millionen Menschen, dem Kreml oder der Person des Präsidenten gleichzusetzen) zu „verstehen“ immer dazu, die russische Regierung zu analysieren, die nächsten Schritte zu antizipieren und nach Möglichkeit, positiv zu beeinflussen.

Der Versuch Putin zu verstehen ist also notwendig, kann aber niemals als Rechtfertigung seiner Methoden oder gar Legitimierung des Krieges führen.

Natürlich gibt es nun Gerüchte, Putin leide an Demenz, nehme womöglich Drogen, wäre kognitiv eingeschränkt, verlöre den Überblick, weil er so isoliert sei. Das kann natürlich sein. Kann aber auch nicht sein. Wie sollen wir das überprüfen?
„Der ist doch krank!“ ist in der Regel der Ausdruck einer denkfaulen Abscheu-Reaktion. Dabei wäre gerade eine psychische Krankheit, eine Entschuldigung für eigentlich unentschuldbares Handeln.  Ich gehe also davon aus, daß Putin geistig voll zurechnungsfähig ist. Das macht aber sein Handeln nur noch schlimmer. Im Gegensatz zu Trump, ist Putins IQ hoch genug, um die militärischen und politischen Konsequenzen abzuschätzen, um sich das unermessliche Leid vorstellen zu können.

[…..]  Putin ist nicht verrückt – er handelt ideologisch konsequent

Um Putins Handeln zu verstehen, muss man wissen, welche Ideologie ihn antreibt. Russlands Präsident glaubt an einen Endkampf zwischen »Eurasiern« und »Atlantikern«. […..] Damit wurde er nicht nur zu einer Bedrohung der Ukraine und des Weltfriedens, sondern auch zur Leitfigur einer globalen völkisch-autoritären Bewegung.  Wer die innere Vernünftigkeit seiner wirr scheinenden Ideen begreifen möchte und wissen will, welche Ideen Putin antrieben, erneut in die Ukraine einzufallen, kann diese bei diversen Vordenkern nachlesen.   […..]

(Claus Leggewie, 02.03.2022)

In unseren westeuropäischen Social Media-Blasen mag Putin als irrer Kriegstreiber mit Untergangssehnsucht dastehen.

Aber er ist eben nicht total isoliert. Die mächtige russische-orthodoxe Kirche steht bedingungslos zu ihm, feuert ihn noch an.

Das Unbehagen gegen die als sehr heuchlerisch empfundenen Atlantiker ist aber auch in China und den islamischen Ländern groß.

Zudem zahlen sich die Allianzen mit den rechtspopulistischen Parteien Europas und den beiden Amerikas aus. Die US-Republikaner verehren Putin, weil Russland aus ihrer Sicht, das einzige „weiße Land“ ist, in dem Diversität abgeblockt wird.

Bill Maher beschrieb in einer seiner letzten Sendungen, wie er als junger Mann vor 40 Jahren nach Paris und London reiste.  Da sah man nur weiße, heterosexuell wirkende Menschen auf der Straße. So war es auch in den USA. Schwarze waren auf Quasi-Ghettos beschränkt, blieben zum Beispiel in Harlem, statt auch in andere New Yorker Stadtviertel zu ziehen. Queere Menschen gab es natürlich auch immer in den Weltstädten, aber sie zeigten sich nur in ganz wenigen bestimmten kleinen Quartieren offen, hatten in wenigen Nachtclubs ihre Refugien.

In den letzten 50 Jahren haben sich aber GLÜCKLICHERWEISE die Gesellschaften in den europäischen und nordamerikanischen Großstädten verändert. Wir sind jetzt divers, die Globalisierung und Liberalisierung wird auf der Straße sichtbar. Ganz normale Männer küssen sich im Supermarkt, die Hausärztin stammt aus Kenia und wenn man den Klempner ruft, kommt vielleicht auch eine Frau.

Selbstverständlich begrüße ich das; ich freue mich über jede kulturelle Bereicherung, die neuen Chancen, die sich ergeben, über die schrittweise Beendung von Diskriminierung.

Die Typen von der GOP, der AfD, der UKIP oder dem Vlaams Blok sehen das aber ganz anders. Die wollen keine Asiaten oder Dunkelhäutigen in ihrer Stadt, die wollen keine glücklichen akzeptierten Schwulenpaare, die wollen keine selbstbewußten Frauen, die es wagen zu widersprechen, wenn man ihnen an die „pussy grabbt“. Für diese rückwärtssüchtige Sicht gibt es aber in der westlichen Welt keine Mehrheiten mehr. Wien oder Chicago oder Hamburg oder Dallas werden ihre People of Color nicht mehr aus der Stadt jagen, werden ihre Queeren nicht einsperren.

Wer das will, hat nur noch ein Vorbild: Putins Russland. Eine rein weiße, heterosexuelle Gesellschaft mit starker Kirche, ohne die lästige Demokratie und Meinungsfreiheit. Polen und Ungarn tendieren auch dazu. Deren starke Männer wollen keine öffentlich-rechtlichen Sender, die widersprechen oder Richter, die sich an Menschenrechten orientieren.  Es ist aus Putins Sicht durchaus rational auf diese Kräfte in Europa und Amerika zu setzen. Es ist nicht abwegig anzunehmen, sie könnten eine global einheitliche antirussische Front aufweichen.

Im Moment sieht es so aus, als habe Putin „den Westen“ unterschätzt. NATO und EU stehen enger zusammen, denn je. Aber bald könnte wieder Trump im Weißen Haus sitzen und es wäre Schluß mit der Sanktionspolitik gegen Russland.

Und bei aller Sympathie für die Ukrainer; sie werden letztendlich nicht die russische Übermacht aufhalten können, sondern nur den Krieg verlängern, der viel mehr Zerstörungen mit sich bringt.  Putins Chancen stehen deshalb gut, weil er skrupelloser ist als die EU-Regierungschefs. Er wird auch gewaltige Verluste in Kauf nehmen.

Dienstag, 1. März 2022

Wie sich das Christentum disqualifiziert.

G*tt existiert nur in der Vorstellung einfältiger Menschen.

Und selbst die Frommsten wissen unterbewußt, daß sie einem Irrtum erliegen. Auch sie halten die Gestalt, an die sie glauben, nicht für g*ttlich, also allmächtig. Sie beten für die Dinge, die mit einer messbaren Wahrscheinlichkeit ohnehin eintreten: Den verlorenen Garagenschlüssel wiederfinden, klein Kevin soll das Seepferdchen bestehen, nicht in eine Kontrolle geraten, wenn man mit drei Bier noch Auto fährt, am Hochzeitstag möge die Sonne scheinen oder natürlich der Sieg der Lieblingsfußballmannschaft. Wenn diese erhofften Ereignisse eintreten, bestätigt es die Erwartungshaltung des Frommen und er verkündet voller Stolz, die Gebete wären erhört worden, auf Jesus sei Verlass.

Dinge, die nach den Naturgesetzen nicht eintreten können, wären für G*tt kein Problem. Das ist die Definition von Allmächtigkeit. Selbst die Frommsten beten aber nicht dafür, daß ein amputierter Arm über Nacht nachwächst, die verstorbene Ehefrau wieder lebendig wird oder der 90-Jährige Vater 30 Jahre jünger wird.

Das klappt nicht, Gott kann das nicht, weil er a) kein Gott, also nicht allmächtig ist und weil er b) nicht existiert.

Bei ganz großen Schwierigkeiten, Katastrophen, Genoziden, Kriegen hält sich der Allmächtige ohnehin zurück. Jesus fühlte sich kein bißchen bemüßigt einzuschreiten, von seiner Allmacht Gebrauch zu machen, als seine christlichen Anhänger mit dem „GOTT MIT UNS“ auf den Uniform-Koppelschloss sechs Millionen Juden, 500.000 Sinti und Roma, 10.000 Schwule, aber auch 25 Millionen sowjetische Soldaten und Zivilisten massakrierten.

 […]  Die Ukraine ist ein christliches Land. Die katholische Kirche und vor allem die orthodoxen Gemeinschaften bilden eine Mehrheit von rund 60 Prozent. Diese Gläubigen beten zu Gott, vermutlich flehen sie ihn seit dem Donnerstag förmlich an, sie zu schützen. […]  Die Bibel ist für Sonntagspredigten eine gute Quelle, doch die Realität zeigt, dass Gott gerade in existenziellen Notlagen durch Abwesenheit glänzt. […]  Zwar glauben besonders Fromme aus Freikirchen, Gott beschütze die Rechtgläubigen und greife konkret in die Welt ein, doch wenn es hart auf hart kommt, erweist sich das als Illusion.  [….]

(Hugo Stamm, 26.02.2022)

Dennoch ist das Christentum in einer Krise nicht überflüssig.

Denn die Mächtigen und Reichen können die Gläubigkeit ihrer Schäfchen nun noch besser ausnutzen, um sie finanziell auszubeuten und politisch auf Kurs zu bringen.

Kyrill I., *1946, seit 2009 Patriarch von Moskau und der ganzen Rus, Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche, ist damit quasi der Papst von 150 Millionen Christen. Kyrill liebt Prunk, kostbare Uhren und Edelsteine sogar noch mehr als Ratzi. Daher war ihm sein Deal mit Putin von 2010 stets besonders wichtig. Putin gab den Popen alle 1917 von den Bolschewisten enteigneten Vermögenswerte zurück, stattete sie mit üppigen Privilegien aus und begann systematisch schwulenfeindliche Gesetze zu lancieren, die den homophoben Popen so wichtig sind. Im Gegenzug sicherte Kyrill die bedingungslose Unterstützung von Putins Partei „Einiges Russland“ zu.  Und der Protz-Pope liefert nur zu gerne, gratulierte Putin enthusiastisch zu seinem Angriff auf die Ukraine

Tausende unschuldige Menschen abzumurxen gefällt dem russischen Chef-Christen richtig gut. Gern trägt er dazu bei noch mehr Soldaten für den Krieg zu begeistern.

[…]  Der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche nennt den Ukrainekrieg nicht Krieg, der Soldatenberuf ist für ihn tätige Nächstenliebe. […]  Vom Krieg und dessen Initiator Präsident Putin sprach Kirill bezeichnenderweise nicht.   Umso symptomatischer war es daher, dass der Patriarch am Vortag des Einmarsches in die Ukraine Putin zum „Tag des Vaterlandsverteidigers“ gratuliert hatte, der am 23. Februar begangen wird. […]   Am Vorabend der Invasion lobte der Patriarch gegenüber Putin die Kühnheit, den Mut und die Opferbereitschaft all jener, die die Wehrhaftigkeit und die nationale Sicherheit des Vaterlands durch ihren Dienst in der Truppe stärkten. Der Patriarch ließ wissen, dass die russisch-orthodoxe Kirche im Kriegsdienst eine Bekundung von „Nächstenliebe nach dem Evangelium“ erblicke und ein Beispiel der Treue zu den hohen sittlichen Idealen des Wahren und Guten. Dem Präsidenten wünschte Kirill Seelenfrieden und Gottes Hilfe bei seinem hohen Dienst am russischen Volk. [….]

(FAZ, 26.02.2022)

Als Papst oder Präsident nimmt man nicht selbst an den Kämpfen teil, schickt nicht seine eigenen Kinder an die Front.

Aber zur Unterstützung der Kriegsverbrecher und zur Waffen-Segnung sind Christen-Anführer besonders wertvoll.



Die Bösen sind natürlich immer nur die anderen. Gott steht offenbar stets auf Seiten derjenigen, die da gerade beten.

[…] In seiner Predigt bei einem Sonntagsgottesdienst in Moskau sprach Kyrill I. von äußeren „bösen Kräften“, die nicht nur Russland, sondern die ganze „Rus“ bedrohen würden. Der Patriarch verwendete mit „Rus“ einen Begriff, der auf die ethnokulturelle und kirchliche Einheit von Russland, Belarus und Ukraine anspielt.  Wörtlich sagte der Patriarch: „Gott bewahre, dass die gegenwärtige politische Situation in der uns nahen brüderlichen Ukraine darauf abzielt, dass die bösen Mächte, die immer gegen die Einheit der Rus und der russischen Kirche gekämpft haben, die Oberhand gewinnen.“ Das Unterpfand dieser Einheit der Rus sei die russisch-orthodoxe Kirche. „Möge der Herr unsere Kirche in Einheit bewahren“, so Kyrill, der darauf anspielte, dass es in der Ukraine zwei orthodoxe Kirchen gibt: die von Metropolit Onufrij (Berezovskij) geleitete Ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats (UOK-MP) und die eigenständige Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) mit Metropolit Epifanij (Dumenko) an der Spitze. [….]

(ORF, 28.02.2022)


Christen – bei einem Angriffskrieg wertvoller, denn je!