Montag, 28. Oktober 2019

Thüringer Trübsal – Teil II


Das Überraschende an der gestrigen Landtagswahl in Thüringen, war wie wenig überraschend die Resultate waren.
Seit Wochen war in der politischen Berichterstattung mit Begriffen wie „Unregierbarkeit“ und „Simbabwe“ (die Flagge Simbabwes zeigt sieben Balken in den Farben Grün, Gold, Rot, Schwarz, Rot, Gold, Grün) operiert worden.
Bernd Höckes rechtsextremer Kurs war seit geraumer Zeit Gegenstand journalistischer Aufmerksamkeit.


Studien über weit verbreiteten Antisemitismus und rechtsextreme Weltanschauungen der AfD-Wähler wurden diskutiert, so daß man allgemein davon ausging, daß viele Thüringer ihren Ober-Nazi nicht trotz sondern wegen seines ekelerregenden Weltbildes wählen würden.
Wie auf Bestellung pöbelten prominente AfD-Parlamentarier ihre faschistischen Ansichten in die Kamera.


Da die Rekordergebnisse für die Faschisten lange antizipiert waren, versammelten sich bei allen drei zurückliegenden Wahlen überproportional viele anständige Wähler hinter dem jeweils amtierenden Ministerpräsidenten, weil sie die wichtigste Konkurrenzpartei der AfD stärken wollten:

·        Am 01.09.19 wurde die SPD mit 26,2% stärkste Partei in Brandenburg, um damit den amtierenden SPD-Ministerpräsidenten Woidke vor die AfD zu schieben.

·        Am 01.09.19 wurde die CDU mit 32,1% stärkste Partei in Sachsen, um damit den amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Kretschmer vor die AfD zu schieben.

·        Am 27.10.19 wurde die LINKE mit 31,0% stärkste Partei in Thüringen, um damit den amtierenden LINKE-Ministerpräsidenten Ramelow vor die AfD zu schieben.

Das Muster ist offensichtlich. Man wählt diejenige Partei, die die größte Chance hat sich gegen die Nazis zu behaupten.
Ich halte das für ein Zeichen funktionierender Demokratie.

Unter diesen absehbaren Umständen war es nur logisch, daß die Juniorpartner der Regierungskoalition genau wie die anderen Oppositionsparteien Einbußen hinnehmen würden.
Grüne, Linke und SPD nahmen das hin, die FDP hatte es in Brandenburg und Sachsen gar nicht erst ins Parlament geschafft.
In Thüringen bekam die FDP aber denkbar knapp gerade mal fünf Stimmen über den Durst, zog mit 5,0005% ins Landesparlament ein und demonstrierte nur wenige Stunden nach der Auszählung wieso sechs Stimmen weniger besser gewesen wären.
Sie zeigte ihre demokratische Inkompetenz und gab den doppelten Lindner:
Keine R2G2-Koalition, keine R2G2–Tolerierung.
Die sogenannten Liberalen machen sich  - WIEDER – einen schlanken Fuß, wollen keine Verantwortung tragen, fürchten sich vor jedem Risiko und haben ganz offensichtlich rein gar nichts zum Allgemeinwohl beizutragen.

Verblüffender ist schon wie die ewige Thüringer Regierungspartei CDU angesichts des nur allzu erwartbaren Wahlergebnisses in den Hühnerhaufenmodus überging.
24 Jahre hatte die CDU mit den Ministerpräsidenten Josef Duchač, Bernhard Vogel, Dieter Althaus und Christine Lieberknecht ununterbrochen regiert und hat sich offenbar auch nach vier Jahren Rotrotgrün keinerlei Gedanken gemacht, was sie zukünftig beitragen will.

Mike Mohring mochte sich am Wahlabend gar nicht äußern, wurde dann vom Bundes-Generalsekretär Ziemiak regelrecht an die Wand genagelt: Kein Blinken nach links! bellte AKKS Wadenbeißer in jede Kamera.
Während andere Bundesparteien an jedem Wahlabend treuherzig bekunden wie demokratisch sie wären und daher keine Anweisung vom Bund erfolgten, sondern „die Freunde im Land selbstständig entscheiden“, bemühte sich Ziemiak erst gar nicht einen demokratischen Anschein zu bewahren, sondern trennte Mohring coram publico die Testikel ab: Das Konrad-Adenauer-Haus (KAH) entscheide, der frisch gewählte Kandidat in Erfurt habe sich zu fügen.

Nachdem er eine Nacht geschlafen hatte, dämmerte es Mohring, daß Abgeordnete eigentlich nicht an Weisungen der Partei gebunden sind, daß Kramp-Karrenbauer nicht mit diktatorischer Macht über ihn verfügen kann.

[…..] Das Wahlergebnis in Thüringen ist kompliziert, klare Bündnisse sind nicht zu erkennen - und entsprechend ratlos wirkte CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring am Wahlabend. Es seien jetzt neue Antworten nötig und seine Partei werde alles tun, um stabile Verhältnisse in Thüringen möglich zu machen, sagte er da.
Was genau er damit meint, konkretisierte Mohring am Tag nach der Wahl: Er werde ein Gespräch mit dem Wahlsieger, Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei, führen. CDU und Linke reden miteinander - das wäre ein Novum in Deutschland und für viele Konservative ein rotes Tuch. Vermutlich um seinen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, erklärte Mohring auch umgehend: Er werde aus staatspolitischer Verantwortung heraus nur mit Ramelow in seiner Funktion als Ministerpräsident reden - und nicht mit dem Vorsitzenden der Linken in Thüringen. [….]

Im KAH schäumten die Partei-Oberen! Demokratie ernst nehmen? Staatspolitische Verantwortung? Wählerwillen respektieren?
Das darf nicht sein und so pfiffen sie ihren Epigonen in der ostdeutschen Provinz zurück.
Mohring knickte sofort ein und fügte sich.

[….] In ihrer Pressemitteilung verwies die CDU nun wieder auf den Beschluss der CDU Deutschlands und Thüringens, nicht mit der AfD und der Linken zu koalieren. [….]

Nicht alle Thüringer CDUler sind so brav und folgsam.
Mohrings Vize Michael Heym hörte sich die nationalsozialistische Hetze, die Holokaustleugnenden Sprüche, den rabiaten Antisemitismus, den Hitler-Sprech, die stupide Menschenfeindlichkeit Höckes an und befand: Mensch, mit dem könnten wir Christen-Unionler doch auch prima regieren!

[….] Der stellvertretende thüringische CDU-Fraktionschef Michael Heym hat eine Zusammenarbeit mit der AfD und der FDP ins Gespräch gebracht. Heym sagte MDR Thüringen, alle Optionen müssten nach dem Wahlergebnis geprüft werden. Auch eine Koalition aus CDU, FDP und AfD könnte eine Mehrheit bilden. [….]

AKK hat offenbar vollkommen die Kontrolle verloren; man streitet sich munter in der CDU.
Offenbar ist es nicht nur eine Spezialität des Willy-Brandt-Hauses Chaos zu verbreiten und planlos-paralysiert auf politische Ereignisse zu reagieren.
Auf das KAH tappt desorientiert umher, hat keinerlei Pläne in der Schublade, kann keine Sprachregelungen ausgeben.
Dilettantismus überall.

Munter plappern sie alle durcheinander, ignorieren die Parteichefin.
Heyms „schwarzbraun-ist-die-Haselnuss“-Liebäugelei stört dabei offenbar niemand.
Mit Nazis paktieren? Halb so wild; das ist auf Gemeindeebene längst Usus bei der CDU.
Aber mit der LINKEN? Mit einem erfolgreichen Ministerpräsidenten, der als besonders frommer Christ durch Thüringens Kirchen tingelt?
Das darf nicht sein!

[….] Die Nervosität in der CDU wurde befeuert, weil sich Mike Mohring, ihr Landeschef in Thüringen, am Morgen scheinbar offen gezeigt hatte für ein Bündnis mit der Linken von Ministerpräsident Bodo Ramelow. Er schließe "keine Gespräche mit denen aus, die auf dem Boden der Verfassung stehen", sagte Mohring - und fügte hinzu: "Ich brauche ja nicht Berlin für die Frage, wie wir in Thüringen künftig Verantwortung für das Land übernehmen können."
Der Protest war umfänglich. "Wenn wir mit Linkspartei und AfD koalieren würden, dann braucht es uns nicht mehr", sagte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. "Wir müssen endlich Haltung zeigen statt Beliebigkeit", sagte der Chef der Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann. "Mir sträubt sich wirklich alles, wenn ich an eine Zusammenarbeit der CDU mit der Linken denke", sagte der baden-württembergische Landeschef Thomas Strobl. Sein Generalsekretär Manuel Hagel sagte: "Wer an dieser Stelle offen ist, ist womöglich nicht ganz dicht." [….]

Eine derartig intellektuell überforderte Kramp-Karrenbauer, die nun erst mal mit ihrer eigenen Partei streitet, ist eigentlich ein gutes Zeichen für die SPD und 2021.

Dem Land und insbesondere Thüringen hilft es natürlich nicht.

Sonntag, 27. Oktober 2019

Thüringer Trübsal


Wie vermisse ich die Zeiten als es noch richtig gute Kabarettisten gab, als man sich schon Tage vorher auf den „Scheibenwischer“ freute.
Ich glaube, es war der frühe Hagen Rether, der nach einer Wahl in Hessen darüber orakelte wie unsympathisch ihm Flächenbundesländer ohne Außengrenzen wären.
Was das mit der Bevölkerung mache, wenn man nur von Deutschland umgeben wäre.
Das trifft bekanntlich nur auf drei Länder zu – Hessen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – und tatsächlich sind die alle ziemlich seltsam.
Hessen hat durch den Frankfurter Flughafen und die Bankenansiedlungen immerhin so etwas wie einen internationalen Anknüpfungspunkt.
Aber wenn Dörfer wie Magdeburg oder Erfurt schon das Zentrum des Geschehens bilden, schmort man viel zu sehr im eigenen Saft.
In den AfD-Hochburgen Brandenburg und Sachsen gibt es mit Potsdam oder Leipzig immerhin urbane Orte, die Zuzug verzeichnen, wo junge Menschen hinmöchten, die nicht ganz close-minded sind. Daher gibt es in den Bundesländern auch Grüne Hochburgen.
In Thüringen hingegen nichts.
Die Höhenflug-Grünen, die auf Bundesebene schon davon träumen stärkste Partei zu werden und mit Robert Habeck den nächsten Bundeskanzler zu stellen, landeten bei der heutigen Landtagswahl bei gerade mal 5%.
Eigenartiges Volk, die Thüringer. Fast 60% sind mit der bestehenden rotrotgrünen Landesregierung „zufrieden“ oder gar „sehr zufrieden“. Aber wählen wollten sie die Leute, die seit vier Jahren zweifellos erfolgreiche Politik machen und das Land bei allen Kennzahlen nach vorn brachten, nicht.
Denn da gibt es noch den Faschisten Bernd Höcke, der Hitler nicht nur mit seiner Gestik imitiert, sondern so konsequent NS-Talking Points verwendet, daß noch nicht mal wohlmeinende Parteifreunde unterscheiden können, ob Sätze aus Hitlers „Mein Kampf“ oder der Höcke-Schrift "Nie zweimal in denselben Fluss“ kommen.
Dabei ist das Odo-Double keineswegs der Thüringische Rächer, als der er seinen Flügel-Figuren erscheint, sondern ist ein reines West-Gewächs:

Schon seine Geburt in Lünen (NRW) war ein Aprilscherz: *01.04.2019.
Die Familie siedelte nach Rheinland-Pfalz über, Klein Bernd besuchte die Braunsburg-Grundschule in Anhausen (Rheinland-Pfalz, 1.300 Einwohner) und das Gymnasium in Neuwied (Rheinland-Pfalz, 60.000 Einwohner). Bundeswehr, Lehramtsstudium (Sport und Geschichte) im Hessischen Marburg und bis 2014 dementsprechend Sport- und Geschichtslehrer in Bad Sooden-Allendorf (Hessen, 8.000 Einwohner).
Schon sein Vater hatte die Holocaust-leugnende und radikal antisemitische Zeitschrift Die Bauernschaft abonniert, der junge Provinzling Bernd/Landolf beschäftigte sich ausführlich mit geschichtsrevisionistischen Volksverhetzern.
Seine Schüler wußten um seine Vorliebe für die NSdAP.

[….] Er habe oft über Charisma gesprochen und von einem Treffen seines Großvaters mit Adolf Hitler erzählt. Dessen „unglaublich blaue Augen“ seien für Höcke zentrales Element des Führerkults gewesen. [….]
(Wiki)

Vom Binnen-Bundesland Hessen ins benachbarte Binnen-Bundesland Thüringen verschlug es den Hobby-Nazi, der unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ Hetzartikel für die NPD verfasste erst um 2013, als er dort die AfD mitgründete, für die er 2014 in den Landtag einzog.

[….] Sozialwissenschaftler, Historiker und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stellen in Höckes Positionen Rechtsextremismus bzw. Faschismus, Rassismus, Geschichtsrevisionismus, teilweise Antisemitismus und Übernahme von Sprache und Ideen des Nationalsozialismus fest. [….]

Bernd Höckes faschistische, rassistische und völkische Überzeugungen sind seit Jahren so wohldokumentiert, daß beim besten Willen niemand mehr behaupten kann nicht gewußt zu haben wen er heute am 27.10.19 mit Rekordergebnis ins Parlament schickte.
Es gibt einige interessante Parallelen zum Trumpismus.
Höcke lügt sehr viel, ist genau wie IQ45 unfassbar weinerlich, beklagt sich fast kontinuierlich darüber schlecht behandelt zu werden und wird von seinen Anhängern nicht trotz seiner rassistischen Nazi-Sprüche gewählt, sondern gerade deswegen.
100.000 Stimmen aus dem Nichtwählerlager zog Höcke heute zur AfD und laut ZDF-Analysedaten geben ¾ der AfD-Wähler an, Höcke eben nicht aus Protest, sondern wegen der politischen Inhalte gewählt zu haben.
Wie nicht anders zu erwarten, rekrutieren sich die meisten braunen Wähler aus den Dummen und den abgehängten, schrumpfenden Landesteilen, wo die Deutschen unter sich sind und niemand mehr hinziehen möchte.


 
Wie bei allen Landtagswahlen werden wir auch heute mit so vielen Analysedaten versorgt, daß sich auch die brutal abgestraften Parteien mit historisch schlechten Ergebnissen irgendetwas herauspicken können, um doch irgendwie gut dazustehen. Irgendeine Relation lässt sich immer finden, die das Licht rosiger erscheinen lässt.

Dennoch sind solche Perspektiven nicht falsch.
Die abgestürzten Grünen haben natürlich einen großen Nachteil in einem schrumpfenden Bundesland ohne urbane Milieus.
Und auch das von allen Verlierern bemühte Argument, es habe in der Endphase der Wahl eine solche Zuspitzung zwischen dem Ministerpräsidenten und den Rechtsradikalen gegeben, daß viele vernünftige Wähler von Grünen und SPD, aber sogar auch der CDU gegeben, die taktisch Ramelow wählten, damit bloß nicht die AfD stärkste Partei wird.
Das Kalkül ging auf; der konservative und gläubige Ramelow taugt ohnehin nicht mehr als Bürgerschreck und vereinte sagenhafte 31% auf die Linke.
Rekord. Stärkste Partei. Die CDU wurde mit zehn Prozentpunkten deutlich überholt.


(FDP 5,0005%! Hätten das nicht 4,9999% werden können?)

Am heutigen Wahlabend schockte die Dreistigkeit der AfD-Frontmänner wieder einmal.
Der Lacher des Abends war CSU-General Blume, der in der Berliner Runde behauptete die CSU sei der Stabilitätsanker und Motor der Groko. Die Scheuer- und Seehofer-Partei, die verfassungswidrige Gaga-Gesetze macht, Untersuchungsausschüsse provoziert, Milliardenschäden verursacht und darüber hinaus das größte deutsche Strukturproblem, nämlich das steinzeitliche Internet verantwortet!

Den größten Fehler machte Paul Ziemiak, der die weitgehend sozialdemokratische Linke Thüringens, geführt von einem sehr gläubigen Christen aus dem Westen, die von ihren eigenen Wählern als „Partei der Mitte“ angesehen wird und die sich 2/3 der CDU-Wähler als Koalitionspartner wünschen, hartnäckig mit den NS-Sprechern der AfD verglich.
AKKs Wadenbeißer vollführte einen regelrechten Exzess der Ausschließeritis.
Also genau das, was die Wähler wirklich nicht mehr ertragen können.

Unnötig zu erwähnen, daß Kanzlerin und CDU-Parteichefin wie üblich in der Versenkung abgetaucht sind.

Wie es jetzt weiter geht?
Der Thüringer MP hat durch die Verfassung eine sehr starke Position. Er kann einfach im Amt bleiben, wenn sich keine andere Mehrheit findet. Das dürfte Ramelow durch sein ultrastarkes Wahlergebnis und die enormen persönlichen Zustimmungswerte noch leichter fallen.

Rechnerisch bleiben nur zwei andere Möglichkeiten: Linke, SPD, Grüne und FDP (R2G2), bei der die FDP womöglich nur toleriert. Oder Herr Ziemiak muss seinen Schuh fressen und die CDU wird doch Juniorpartner der Linken.

All das sind Konstellationen, die sich niemand wünscht, aber Wahlen in Deutschland sind schon lange kein Wunschkonzert mehr. Insbesondere nicht in Bundesländern, in denen jeder vierte Wähler bei echten Nazis sein Kreuz macht.

Samstag, 26. Oktober 2019

Linke Lektion


Da ich bei der SPD-Mitgliederbefragung ebenfalls für das Team Klara Geywitz & Olaf Scholz gestimmt habe, bin ich natürlich froh über den Sieg im ersten Wahlgang.

Außerdem nehme ich die miesen Ergebnisse der linken „Raus-aus-der-Groko“-Paarungen (Lauterbach, Stegner) mit Genugtuung zur Kenntnis.
Ein Kritiker der Groko bin ich auch, oh ja, manchmal wirkt sie so erbärmlich, daß ich in die Schreibtischplatte beißen möchte.
Aber sie ist bei den gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen und den stabilen Wahlumfragen die am wenigsten schlechte Option.
Die CDU allein begeistert sich schon wieder für Kriegseinsätze und will auch garantiert keine sozialen Verbesserungen. Die CDU/CSU wehrt sich gegen die Grundrente, Schwarz und Gelb wollen Multimillionäre und Milliardäre steuerlich entlasten, Geringverdiener wie Paketboten würden ohne Sozis im Kabinett keinerlei Schutz erhalten.
Es wäre sehr schäbig die Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft im Stich zu lassen, indem man sie der schwarz-braun-gelben Willkür überließe.

Der durchsetzungsstärkste SPD-Politiker ist der deutsche Vizekanzler und insofern ist es gut, ihn in guter Startposition für den Parteivorsitz zu wissen.

[…..] Offenbar ist vielen Genossen die Sache mit dem Neuanfang aber auch gar nicht wichtig - das Ergebnis für Scholz zeigt auch einen Wunsch nach Kontinuität, nach ordentlichem Zu-Ende-Regieren in der GroKo und Machtperspektive für die Zeit danach.
Wenn es aber doch auf ein personelles "Weiter so" hinausläuft, hätte die SPD Zeit und Kraft nicht sinnvoller einsetzen können, etwa um Politik zu machen? Vielleicht, wenn der Nahles-Rückzug ein normaler Abtritt in einer in sich ruhenden Partei gewesen wäre. In einer existenziellen Krise ist aber nichts normal. Zumal der Umgang mit Andrea Nahles auch erschreckende Einblicke gab in tiefe Grabenkämpfe, Heckenschützentum, Intrigen und Misstrauen. [….]

Rosig ist die Lage aber nicht für das einzige Schwergewicht der Bewerber, denn Scholz kam nur auf 23%.
Das ist noch ein weiter Weg bis zu den 50%, die er beim zweiten Wahlgang braucht.

[….] Ja, Scholz mag mit seiner Tandempartnerin Klara Geywitz die erste Runde im Mitgliedervotum der Partei gewonnen haben, aber wer genau hinsieht, der erkennt: Das Ergebnis der beiden ist ernüchternd. Mit 23 Prozent liegen sie nicht einmal zwei Prozentpunkte vor den jenseits von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg weithin unbekannten Favoriten der Jusos, Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Und weil überhaupt nur die Hälfte der SPD-Mitglieder abgestimmt hat, hat faktisch nur jeder zehnte Sozialdemokrat für denjenigen gestimmt, der als Vizekanzler und Bundesfinanzminister eine weit größere Bühne hatte als jeder andere im Feld. Autsch. […..]

Aber was will man schon erwarten von einer teilweise fanatisiert ideologischen Parteilinken, die nahezu 20 Jahre nach der Agenda 2010, die ein großer Erfolg war, auf den man stolz sein sollte, immer noch besessen davon ist?
Sie ignorieren Trump, Brexit, Kriege, rechtsextreme Mordanschläge, AfD-Faschisten in den Parlamenten und eine schwere EU-Krise wegen einer sozialpolitischen Entscheidung aus vergangener Zeit.
Dabei war die Hartz-Gesetzgebung nicht nur richtig und daher auch maßgeblich von Gewerkschaftern und anderen Arbeitnehmervertretern mit ausgearbeitet, sondern sie ist auch populär. So populär immerhin, daß die einzige Partei, die immer noch dagegen ist, die Linke, trotz der Megakrise der SPD verkümmert.
Mit „Hartz abschaffen“ verliert man also offenbar massiv Wähler.
Die linke Anti-SPD-Verschwörung hat die Partei infiziert, die Stimmung vergiftet.

[…..] Fast ein Vierteljahrhundert ist es her, dass der frühere SPD-Chef Oskar Lafontaine seinen Amtsvorgänger Rudolf Scharping wegputschte: "Wenn wir selbst begeistert sind", lautete sein legendärer Ausruf auf dem Mannheimer Parteitag des Jahres 1995, "können wir auch andere begeistern."
In diesen Tagen suchen die Genossen wieder eine neue Führung. Diesmal aber folgen sie einer anderen Lösung, das haben die Auftritte ihrer Kandidatenpaare bei den sogenannten Regionalkonferenzen gezeigt. Die Sozialdemokraten wollen sich nicht begeistern, sondern von sich selbst distanzieren, genauer: von der Agenda 2010 ihres einstigen Kanzlers Gerhard Schröder. Dies habe "sozialdemokratisches Profil gekostet", klagt Ralf Stegner. Sie habe in die "neoliberale Pampa geführt", bemängelt Norbert Walter-Borjans. Und selbst Olaf Scholz, der die Reformen einst mitentworfen hat, findet heute kein freundliches Wort mehr für sie. Das Motto, mit dem das SPD-Spitzenpersonal den Neustart schaffen will, lautet offenbar: "Wer sich selbst beschimpft, braucht nicht mehr beschimpft zu werden."
Bei kaum einem anderen Thema tritt die Partei derzeit so geschlossen auf wie bei der Verurteilung ihrer eigenen Politik. Unsolidarisch, entwürdigend, schädlich: So hatte schon die Linkspartei die Agenda niedergemacht, nun verwenden die Genossen gedankenlos dieselben Begriffe. Es ist wie bei einem SED-Parteitag kurz nach dem Mauerfall: Erst mal müssen alle bekennen, wie schlecht es früher war. So verzwergt sich die Sozialdemokratie nicht nur selbst, es ist auch noch falsch. Die Agenda war keine neoliberale Verirrung, sie war eines der erfolgreichsten wirtschaftlichen Umbauprogramme der jüngeren Geschichte.
90 Prozent der deutschen Ökonomen, so zeigen Umfragen, sind überzeugt: Die Hartz-Gesetze haben wesentlich dazu beigetragen, aus dem "kranken Mann Europas" ("Economist") wieder eine bewunderte Exportmaschine zu machen. Die Arbeitslosigkeit, die jahrzehntelang gestiegen war, hat sich innerhalb weniger Jahre halbiert. Millionen Jobs wurden geschaffen, und zwar zum großen Teil sozialversicherungspflichtige Normalarbeitsverhältnisse. Kaum ein anderes Land hat die tiefe Rezession nach der Finanzkrise so rasch und nachhaltig überwunden wie Deutschland. Von einem "Beschäftigungswunder" sprechen globale Organisationen wie die OECD oder der Internationale Währungsfonds.
Weltweit gelten ihre Reformen als Erfolg, und wie reagiert die SPD? […..] (Michael Sauga, 24. Oktober 2019)

Freitag, 25. Oktober 2019

Wenn Politiker den Staat diskreditieren


Der Staat im Staat in der ersten Person
[….] Siehst du ihn jetzt, wie der sich windet?
Wie wenn ihr eure Augen verbindet
Der mit Ausdruck Eindruck schindet
Bombenkratergleich weil
Der reißt dich richtig auf
Dein Rucken ist dem eine weit're Tür
"Paß auf dein Rückgrat auf" sagt der
Und "Ich stehe hinter dir"
Das ist dein Pech der meint
Gib's mir
Jedes Bild ist wie ein Messer ein Gebrauchsgegenstand
Und Lesen meint hier Denken mit ander'm Verstand
Indem man liest und was begreift
Sich und den andern, sucht und findet (das ist Arbeit)
Das Gefundene mit-teilt und verbindet (das ist Technik)
Gemeinsam eine Welt erfindet (vielleicht Liebe)
[….][….] Und die Angst die du fühlst
Ist das Geld das dir fehlt
Für den Preis den du zahlst
Für etwas, das für dich zählt
Und dich sicher sein läßt
Daß du da (wo du hingehörst) bist
Ware Kunst ist ein Produkt der Phantasie
An der dafür vorgesehenen stelle
Erhebe ich meine Stimme:
Das ist soziale Marktwirtschaft
Langweilig wird sie nie. [….][….]
(Blumfeld: Sing Sing. Aus dem legendären L'état et moi von 1994)

Der Staat, das sind wir.
Der Staat steuert durch Steuern und kassiert nicht etwa aus Bosheit ab.
Selbst wenn er es täte, so käme es doch uns allen zu Gute.
Staaten mit hohem Steueraufkommen, insbesondere Dänemark und Schweden, haben die glücklichste Bevölkerung aller Nationen der Welt.
Steuern sind etwas Gutes.
Neoliberale Anti-Steuer-Apologeten wie Christian Lindner reden der Ungerechtigkeit das Wort, fördern den spaltenden Raubtierkapitalismus, in dem Macht und Wohlstand zu einer kleinen Oberschicht umgeleitet werden.
Der politische Einfluss geht dann über auf einige wenige Superreiche, die wie in der gegenwärtigen amerikanischen Administration ganz allein Ministerämter, Botschafterposten, Bundesrichterstellen untereinander aufteilen.
So werden die USA zu einem asozialen Land, in dem Millionen keine Krankenversicherung haben, Millionen Kinder hungern, Millionen obdachlos sind, 2,5 Millionen Menschen im Knast sitzen, das Bildungssystem marode ist, die Infrastruktur zerbröselt  und in dem die mit Abstand höchste Mordrate aller westlichen Länder grassiert.
Das ist die falsche Richtung. Es sollte nicht privatisiert, sondern verstaatlicht werden.
Die auf Druck der Gelben und Schwarzen in den 1990ern massenhaften Verkäufe städtischer und staatlicher Wohnungen haben Immobilien zu einem Spekulationsobjekt gemacht. Die Folgen sehen wir jetzt in allen Großstädten. Mietpreisexplosion und Wohnungsnot.

Versorger, medizinische Einrichtungen, Bahn, Bildung, ÖPNV, Sicherheit gehören in öffentliche Hand.
Regierung und Parlamentarier sollen den Staat stärken und durch hohes Steueraufkommen handlungsfähig machen.

Dabei sollten vorzugsweise keine Flattaxes und Kopfpauschalen erhoben werden, wie es sich die Konservativen wünschen.
Menschen mit Millioneneinkommen brauchen nicht den mit der Gießkanne verteilten gleichen Betrag Kindergeld wie eine Putzfrau.
Der Staat muss seine Steuern intelligent eintreiben, so daß nicht immer nur von „Lenkungswirkung“ gesprochen wird, sondern diese auch voll erzielt wird.
In der Praxis fürchten sich aber die meisten Politiker so sehr vor den nächsten Wahlen, daß sie dem mit einem Steuersatz in eine bestimmte Richtung gelenkten Bürger sofort auch eine Regelung bescheren, die in die diametral entgegengesetzte Richtung weist.
Mit der Kitafinanzierung sollen Eltern dazu animiert werden ihre Kinder in eine öffentliche Betreuung zu geben, weil man weiß daß durch diese frühkindliche Bildung sehr viel bessere schulische Leistungen erzielt werden, Sozialverhalten gefördert wird und spätere Probleme gar nicht erst auftauchen.
Kita-Finanzierung kostet viel Geld und weil die CSU total bescheuert ist, verlangte sie über Jahre eine Herdprämie, um gleichzeitig auch das Gegenteil zu erreichen: Mütter sollen ihre Kinder nicht in die Kita schicken, sondern lieber zu Hause isolieren.
Die Bildungsfernhalteprämie sollte dafür sorgen, daß insbesondere arme Kinder aus bildungsfernen Schichten von frühkindlicher Bildung ferngehalten werden, mit einem möglichst großen sprachlichen Nachteil in die Schullaufbahn starten.

Das armselige Klimapaket der Bundesregierung soll durch einen sehr sanften Aufschlag auf die Benzinpreise die Menschen auf umweltschonendere Fortbewegungsmittel umlenken. Eine sinnvolle Maßnahme.
Weil aber CDU und CSU die Mehrheit der Koalition stellen und am Tropf der Autolobby hängen, beinhaltet das Klimapaket auch eine Regelung, die in die gegenteilige Richtung lenkt: Mehr Pendlerpauschale, damit das Auto attraktiv bleibt.

(…..) Als Verteidiger der Großen Koalition habe ich es gerade sehr schwer. Zwei Tage musste ich nach Luft schnappen bevor ich einen Satz zum Klimapäckchen schreiben konnte.
Als Blogger pflegt man eine derbere, lockere Sprache als renommierte Printjournalisten; also, wie soll ich das übertreffen, wenn schon die biedere Tagesschau Mit Klimaschutz hat das nichts zu tun! schreibt, der SPIEGEL titelt Gute Nacht. Ein Desaster und Experten von „Klarem Politikversagen“ sprechen?

Ich schüttele so viel mit dem Kopf, daß ich dauernd Aspirin einwerfen muss.

[……] Niemand scheint mit den Plänen des sogenannten Klimakabinetts zufrieden zu sein. Umweltverbände und Wirtschaftswissenschaftler, Klimaforscher und Demonstranten , Kommentatoren nahezu quer durch die Medienlandschaft sind sich einig: Das war nichts.
Der Kern des Kompromisses ist, wie das bei Parteien, die um ihre Wiederwahl fürchten müssen, zu sein pflegt: Wir tun ein bisschen gegen unseren CO2-Ausstoß, aber keine Sorge, lieber Wähler: Du wirst davon gar nichts merken! Nur nicht den "kleinen Mann" verärgern. Auch, wenn man die eigenen Ziele so unmöglich wird einhalten können.
Angesichts von geschätzten eineinhalb Millionen Demonstranten allein in Deutschland und vielen Millionen rund um den Globus, von Bangladesch bis Uganda, von Tasmanien bis New York, erscheint das arg kümmerlich. [….]

Diese aberwitzige Hasenfüßigkeit bei einem Thema, das so viel Zustimmung erfährt. 88 Milliarden Euro betragen die jährlichen Subventionen für die KfZ-Industrie und wenn Autofahrer ein winziges bißchen belastet werden sollen für einen absolut Menschheits-überlebenswichtigen Zweck, knicken die Koalitionäre in vorauseilendem Gehorsam ein.

[…..] Der magere Preisanstieg an der Zapfsäule verbunden mit der höheren Pendlerpauschale führt bei spitzenverdienenden 50-km-Pendlern dazu, dass sie ihren großen SUV behalten können und - zumindest am Anfang - sogar noch daran verdienen! Wer für Mindestlohn pendelt, der zahlt drauf.
Das ist weder sinnvoll noch sozial. [….]

Die Inkarnation des Problems ist Angela Merkel, die völlig unverantwortlich handelt, indem sie nur ihre eigene Amtszeit im Blick, aber keinesfalls das Format zur Kanzlerin hat. (…..)

Es ist richtig Energie zu verteuern, so daß sich Otto Normalverbraucher überlegt, sich in seinem Haushalt von den schlimmsten Stromfressern zu trennen, sparsamere Geräte und Lampen anschafft.

Aber auch hier lenkt der Staat mit seinen Steuern gleichzeitig in die andere Richtung. Wer viel verbraucht und daher besonders dringend sparen sollte, wird von der Sparverpflichtung ausgenommen.
Auch in diesem Fall haben die arme Rentnerin, der Paketbote und die Altenpflegerin keine Möglichkeiten Einfluss auf das Parlament zu nehmen, um ihre Stromrechnungen zu senken.
Die Superreichen aber schon. Für sie gibt es die brutalen Lobbyisten von der Energieintensive Industrien in Deutschland (EID).
Der Bundeswirtschaftsminister sitzt tief im Mastdarm der EID und übernimmt deren Propaganda auf seiner Website.

[….] Energieintensive Industrien - Bedeutung für eine moderne Energiewirtschaft
[….] Die Energiewende kann in Deutschland nur mit einem starken Industriestandort gelingen. Dazu brauchen wir innovative und wettbewerbsstarke Unternehmen, die dazu beitragen eine zukunftsorientierte Energieerzeugung, -speicherung und -versorgung sicherzustellen.
Leistungsstarke und damit international wettbewerbsfähige energieintensive Industrien sind eine wichtige Voraussetzung für Wachstum und Beschäftigung in Deutschland. Sie sind regelmäßig der Grund für die Ansiedlung nachgelagerter Produktionsstandorte und damit auch indirekt für die Schaffung und Erhaltung weiterer Arbeitsplätze verantwortlich. Sie sind aber auch eine unverzichtbare Grundlage für die Wertschöpfungsketten, die wir für eine Umstellung unserer Energiewirtschaft brauchen. Denn die energieintensiven Industrien liefern unverzichtbare Grund- und Werkstoffe für wichtige Zukunftsbranchen in Deutschland. [….]
(BMWI)

Während also Oma Kalubke einen Weg finden muss ihre höheren Stromrechnungen zu bezahlen, brauchen die extremsten Stromverschwender gar nicht erst anfangen den Verbrauch zu reduzieren.
Die Umlage des Erneuerbare-Energie-Gesetzes müssen sie nicht zahlen.

[….] EEG-Umlage: Ausnahmen für energieintensive Betriebe
Über die EEG-Umlage werden die Kosten für den Ausbau der regenerativen Energien auf den Endverbraucher umgelegt. Diese Umlage ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen. Dieser Anstieg ist teilweise darauf zurückzuführen, dass Großverbraucher von der EEG-Umlage weitgehend befreit sind. Im Ergebnis führt dies dazu, dass die energieintensive Industrie zwar 18 Prozent des Stroms verbraucht, aber an der Finanzierung der Energiewende über die EEG-Umlage nur zu 0,3 Prozent beteiligt ist. […..]

[…..] Die "Besondere Ausgleichsregelung" sieht vor, dass stromkostenintensive Unternehmen nur eine reduzierte EEG-Umlage zahlen müssen. Diese Ausnahmeregelung gilt nur für stromkostenintensive Unternehmen aus Branchen, die im internationalen Wettbewerb stehen. Die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Arbeitsplätze der stromkostenintensiven Industrie, die im Vergleich zur internationalen Konkurrenz hohe Strompreise zahlt, dürfen nicht gefährdet werden. [….]
(BMWI)

In der Praxis führt diese politische Pervertierung des Staates dazu, daß man durch Stromsparen mehr Energiekosten hat.