Samstag, 29. Dezember 2018

Grundrechenarten.


Nicht jeder ist ein Mathegenie.
Nicht jeder hat Volkswirtschaft studiert; nicht jeder ist Experte für Finanzökonomie.

Ich gebe gern zu, daß auch ich akademisch betrachtet aus einer ganz anderen Ecke komme. Den „Wiwi-Bunker“ der Hamburger Uni kenne ich nur vom Vorbeigehen auf meinen gelegentlichen Wegen zur Mensa. Ich habe nie einen Schritt hineingesetzt.
Das einzige, womit ich akademisch-ökonomisch glänzen kann, ist ein gewisses Wiwi-dar: Ein sechster Sinn für BWL- und VWL-Studenten.
Das sind die, die immer so aussehen und sich so benahmen, daß man wirklich nichts mit ihnen zu tun haben wollte.
Klar, bei uns Naturwissenschaftlern gab es auch diese sozial inkompatiblen Nerds, aber die waren wenigstens auch dementsprechend zurückhalten und irgendwie schräg. BWLer setzten immer noch einen drauf, kleideten sich in Lacoste und Anzug, wedelten mit ihrem BMW-Schlüsselanhänger und zeigten ihre Rolex. Alternativ auch ein Golfsäckchen oder Tennisschläger.
Die hatten keine mir-ist-alles-egal-Nerdfrisuren, sondern perfekt frisierte Blondschopfe, makellose Haut und waren nahtlos braungebrannt.
Typen, die man einfach nur verachten wollte, aber bei denen sich zusätzlich das ungute Gefühl einschlich, daß sie später mal diejenigen mit Geld und Einfluss sein werden, während unsereins natürlich beruflich und sozial versagen würde.
Und das kam ja auch so.
Ich weiß nicht was solche Studenten eigentlich lernen und wozu sie geprüft werden.
Ob da auch irgendwas mit Zahlen dabei ist? Sowas wie Mathematik gar?

Ich belegte damals auch einige Semester Mathematik. Für Nebenfächler, Differentialgleichungen und sowas. Endlose Kurvendiskussionen also.
Vielleicht qualifiziert mich das nicht für das Verstehen ökonomischer Zusammenhänge, für Etatpolitik.
Schließlich bin ich auch kein kaufmännisches Genie wie mein geliebter Präsident Donald Trump.

Mit der primitiven Mathematik, die ich kenne, hatte ich allerdings schon erwartet, daß es ein Problem gibt, wenn all die radikalen DEFICIT-HAWKS der Republikaner zusammen mit Trump die Zahlungen der Multimillionäre und Milliardäre Amerikas in den Etat-Topf radikal schrumpfen und gleichzeitig die Ausgaben für Militär aufblasen.
Das verstehe ich eben als Nicht-Ökonom nicht: Wie soll ein Defizit schrumpfen, wenn man weniger in den Topf reintut und mehr rausnimmt?

[….] The federal government is running up its credit bill again.
The deficit rose to $779 billion in fiscal year 2018, up 17% from last year, according to final figures released Monday by the Treasury Department. That's the largest number since 2012, when the country was still spending massively to stimulate an economy struggling to recover.
Government receipts were flat this year from last year. Corporate tax collections fell $76 billion, or 22%, due to the Republican-backed tax cut. But that drop was more than offset by increased revenues from individual and self-employment taxes. The fiscal year ended September 30. 
Spending rose 3% over the previous year, fueled in part by increases to the defense budget agreed upon in September 2017 as part of a deal between Republicans and Democrats to head off a government shutdown. [….] The Committee for a Responsible Federal Budget, a think tank that warns of the dangers of rising debt levels, said the deficit could reach $1 trillion as soon as next year. That would still be below a high of $1.4 trillion reached in 2009, but in a vastly different economy. [….] "People are going to want to say the deficit is because of the tax cuts. That's not the real story," Mnuchin told CNN. "The real story is we made a significant investment in the military which is very, very important, and to get that done we had to increase non-military spending." [….]

Finanzminister Mnuchin hat nun nicht nur ein Vokal-Defizit, sondern auch ein Dollar-Defizit. Sehr eigenartig. Als ehemaliger Top-Banker müsste er sich doch besser mit Mathematik auskennen als ich.

Aber die deutsche Finanzpolitik der Konservativen, also mutmaßlich der Typen, die mich vor 30 Jahren in ihren Anzügen aus dem Wiwi-Bunker kommend schon nervten, verstehe ich auch nicht.
Die wollen den Geringverdiener und den Mittelstand entlasten. Dafür wollen CDU, CSU und FDP den „Soli“ abschaffen. Also eine Steuer, die prozentual das Einkommen belastet und somit umso mehr gezahlt wird, desto reicher man ist.

Wird der Soli ganz abgeschafft, bekommt ein Mensch, der eine Million im Jahr verdient wie der neue alte CDU-Held Friedrich Merz, der das natürlich auch fordert, rund 24.000 Euro vom Staat dazu. Ein Geringverdiener mit 15.000 Euro Jahreseinkommen wird hingegen um 44 Euro entlastet.

Wie gesagt, meine Mathematik in den Uniseminaren war vielleicht zu elementar.
Ich wäre glatt davon ausgegangen, daß 24.000 Euro mehr als 44 Euro sind und daß man mit solchen Schritten überproportional die Superreichen entlastet.
Aber ich bin ja auch nicht so genial, daß ich mich wie Merz großzügig als qualifiziert für jeden Kabinettsposten anbiete.

[…..] Es könnte eine der wichtigsten innenpolitischen Streitfragen des kommenden Jahres werden: Wie weiter verfahren mit dem Soli? Auf dem Parteitag der CDU haben die Delegierten beschlossen, dass der Zuschlag auf die Einkommensteuer noch in dieser Legislaturperiode vollständig abgeschafft werden soll. Ein großer Schritt "hin zu mehr Glaubwürdigkeit" sei das, sagt Carsten Linnemann, der Chef der Mittelstandsvereinigung in der Union. […..] Es gibt aber ein Problem: Im Koalitionsvertrag steht etwas anderes. Union und SPD haben zwar beschlossen, dass der Soli wegfallen soll. Allerdings nur für die unteren 90 Prozent der Soli-Zahler. […..]  Vom Koalitionsbeschluss würden vor allem Menschen mit niedrigen, mittleren und gehobenen Einkünften profitieren, der Unionsvorschlag entlastet vor allem Spitzenverdiener.
[…..] Die Koalition will nun Steuerzahler bis zu einem zu versteuernden Einkommen von 61.000 Euro komplett vom Soli befreien. […..] Umgerechnet auf die Bruttoverdienste, bedeutet das: Singles mit einem Bruttoeinkommen von maximal rund 72.000 Euro müssen künftig überhaupt keinen Soli mehr zahlen. […..] Die Union möchte nun darüber hinaus auch Steuerzahler komplett vom Soli befreien[…..] Der Vorstandschef eines Dax-Konzerns (Durchschnittsgehalt 7,4 Millionen Euro) würde jährlich mehr als 100.000 Euro an Steuern sparen. […..]

Die unteren 70 % der Verdiener zahlen nur 12% des Soliaufkommens, wenn sich Union und FDP durchsetzen, würden davon ausschließlich die 4% der Superreichen in Deutschland profitieren.
Es würde also statt der vorgesehenen Entlastung der unteren und mittleren Einkommen, genau wie in den USA massiv nur die Superreichen profitieren.

Die Person, die das fordert, die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, ist übrigens der ganz große Aufsteiger im SPIEGEL-Politiker-Ranking.
Sie macht einen 16-Prozentpunkte-Sprung nach oben, liegt nun an der Spitze der Parteipolitiker, zehn Punkte vor der nächstpatzierten Merkel.

Deutsche Demokratie. Da kommt eine homophobe konservative Katholikin, die gegen Frauenrechte kämpft (Stichwort §219) und die Superreichen noch superreicher machen will, auf die Polit-Bühne und wird sofort in den demoskopischen Himmel gehoben.
Darauf stehen die Wähler also.
Aber die SPD ist die Böse.

Freitag, 28. Dezember 2018

Dumme sterben nie.


Was war das für ein Desaster als im September 2017 der Trottelkandidat Schulz bei der Bundestagswahl mit gerade mal gut 20% einlief.
Nicht, daß es sehr überraschend war; spätestens mit der Benennung Hubertus Heils zum Generalsekretär wußte ich; mit dem debilen Duo wird das wieder nichts.

  20,5%. Nun sind wir ganz unten angekommen. So ungefähr dachte ich nach der Bundestagswahl und hatte offensichtlich immer noch unterschätzt wie dämlich Martin Schulz wirklich ist.
Aber dann legte er eine legendäre Kette von Fehlentscheidungen hin, die nicht nur ihn selbst aus dem Amt katapultierten, sondern mit der ungebildeten ultrakatholische Schreihälsin aus der Pfälzer Provinz die einzige Person an die SPD-Spitze brachte, die noch viel ungeeigneter als Schulz selbst ist.
Mit ihr folgte natürlich Peinlichkeit auf Peinlichkeit. Purer Dilettantismus brachte die SPD immer wieder ohne Not in größte Schwierigkeiten (Maaßen-Beförderung, §219a-Desaster, Dieselpleite, deutsche klimapolitische Totalblockade in Brüssel), so daß die Sozis in Umfragen hinter die AfD abglitten. Weit abgeschlagen hinter den Grünen.

Der einzig positive Aspekt ist, daß man den schütter behaarten Kugelkopp des ehemaligen SPD-Kanzlerkandidaten nicht mehr so oft sehen muss.
Der arme Irre wähnte sich ja schon wieder als EU-Spitzenkandidat („mein Freund Macron!“) und konnte nur mühsam an seinem Berliner Bundestagsstuhl fixiert werden.
Wenn Schulz etwas ausposaunt, ist es immer Blödsinn.

Darin liegt der große Unterschied zu seinem Vorgänger Gabriel, der auch schwer unter Politentzug leidet und sich immer wieder zu Wort meldet.
Sigmar Gabriel produziert zwar auch Schnapsideen, ist sprunghaft und schießt über das Ziel hinaus. Aber er ist auch schlau und liegt gelegentlich ganz richtig. Legt wenn nötig den Finger in die Wunde und kann zum Nachdenken anregen.

Der Abgeordnete aus Würselen hingegen schwelgt immer noch in seinem 100-Wahlergebnis zum SPD-Vorsitzenden, während Andrea Nahles im Frühjahr bei mageren 66% eintrudelte.
Daher glaubt Schulz immer noch, er wäre der heimliche Held der Basis, der Politfuchs, der alles durchschaut.

[…..] Der frühere SPD-Chef will, dass der nächste Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten in einer Urwahl bestimmt wird. Dafür gibt es in der Partei Unterstützung. […..]

Dabei hatte doch gerade der Liebling der Basis, 100%-Martin, gezeigt wie verblödet das Fußvolk ist und wie leicht die sich manipulieren lassen.
Die Basis ist so einfach für die größten Blender zu entfachen.
Man denke nur an Karl-Theodor zu Guttenberg, den das einfache Volk so großartig fand, daß er kurz davor war per Akklamation zum deutschen Kaiser gekrönt zu werden.
Für nichts und wieder nichts, wie man schon damals hätte wissen können. Der Mann war ein einziger Show-Politiker, der nicht eine richtige Sachentscheidung traf, rechts-populistisch blinkte und seine ganze berufliche Existenz auf Lügen, Plagiaten und Betrug aufgebaut hatte.


Kaum wird AKK in den Umfragen nach oben gespült, will Schulz sich das Modell offener Wettkampf um Parteiposten von der CDU abgucken.
Diesem Kanzlerwahlverein, in dem seit 18 Jahren niemand wagte Merkel zu widersprechen. Natürlich waren die belebt, als mal durchgelüftet wurde und bei einem Bundesparteitag tatsächlich nach Dekaden mal eine Entscheidung getroffen werden konnte, die nicht vorher schon von der Parteitagsregie bestimmt werden konnte.
Wir Sozis hingegen leiden überhaupt nicht an einem Parteiführung-Kritik-Defizit. Das gehört zur Sozi-DNA andauernd über die im Willy-Brandt-Haus zu klagen und den eigenen Leuten auf Parteitagen in die Suppe zu spucken.

Wenn wir urwählen geht das wie bei allen linkeren Parteien schief.

War die nicht schon mal etwas, das bisher immer so schön gründlich schief gegangen ist?
Ach ja! Wenn die Parteiführung im Mimimi-Modus ist, kann man ja die Mitglieder zur Urwahl aufrufen.
Dann muss niemand in der Parteiführung sein Visier herunternehmen und sich niemand vorwagen. Und wenn es schiefgeht, hat auch niemand Schuld, weil es ja die Basis war.
So macht man sich einen schlanken Fuß, wenn man keinen Mumm hat.
Dann also Diktatur der Inkompetenz.

(….) Urwahl des SPD-Parteivorsitzenden 1993: Zur Auswahl standen der kraftstrotzende Macher Schröder, die linke Wieczorek-Zeul und der unfassbar langsame Mann ohne Eigenschaften Scharping. Der Pfälzer Scharping war die Garantie dafür die Bundestagswahl 1994 zu verlieren, weil er nur eine schlechte Kopie des drögen Pfälzers Kohls war; wer auf sowas steht, wählt das Original.
Genauso wählten die SPD-Mitglieder 1993 und entsprechend kam es 1994.
Urwahl 2013 über den GroKo-Vertrag, will man mit Linken und Grünen in die Opposition, oder lieber dem Beispiel früherer Koalitionspartner Merkels folgen und sich an ihrer Seite marginalisieren und massakrieren lassen?
Berliner Urwahl 2014: Soll die Inkarnation der Ödnis, Michael Müller, 51, der fromme Evangele und Mann ohne Eigenschaften neuer Regierender Bürgermeister werden oder wagt man etwas und setzt auf den äußerst quirligen und dynamischen 37-Jährigen Fraktionschef Raed Saleh?
Klar, daß Müller mit fast 60% gewann. (…..)

Auch die Grünen fielen damit schon richtig auf die Nase und läuteten damit unter anderem den schwarzgelben Wahlsieg in NRW ein.

(…..)  Die Grünen-Mitglieder bestimmten per Urwahl die Bundestagsspitzenkandidaten.

Das ist ja mal gründlich schiefgegangen.

Die ostdeutsche Merkel-Bewunderin Kathrin Göring-Kirchentag hatte die Grünen bei der letzten Bundestagswahl zielstrebig zur kleinsten Oppositionskraft hinter der LINKEn verzwergt.
(…..)
Mit konsequenter Umschiffung jeder inhaltlichen Politik brachten es Göring-Eckardt und Hofreiter fertig die Wähler eine volle Legislaturperiode so einzunebeln, daß niemand auch nur einen Schimmer von grünen Politikvorstellungen hat. Man kennt keine Konzepte, keine Pläne, noch nicht mal Meinungen zu den Bereichen Flüchtlinge oder Finanzpolitik.
Es ist noch nicht mal ansatzweise möglich auch nur die grobe politische Richtung der Grünen zu erahnen. (……)
Peter, Özdemir, Hofreiter und Göring-Eckardt hassen sich alle gegenseitig.
 Es gibt nur die eine Gemeinsamkeit; nämlich den Wunsch, den einzig guten Spitzenkandidaten, Minister Habeck zu verhindern.
Das gelang bei der Urwahl – wenn auch denkbar knapp.

[……] Parteichef Cem Özdemir schnitt bei den Männern mit 35,96 Prozent extrem knapp am besten ab. Robert Habeck, Umweltminister in Schleswig-Holstein, holte nur 75 Stimmen weniger und kam auf 35,74 Prozent. Fraktionschef Anton Hofreiter vom linken Flügel der Partei bekam 26,19 Prozent. [….]
(dpa, 18.01.2017)

Urwahl ohne zweiten Durchgang. Das erinnert natürlich an die fatale Scharping-Urwahl von 1993, die direkt in die Opposition führte. (…..)
(Jeder kommt mal dran, 19.01.2017)

Dank des abstrusen Wahlmodus‘ (ohne Stichwahl) und der ausgebliebenen Sachauseinandersetzung, stehen nun an der Grünen-Spitze zwei ausgesprochene CDU-Fans mit direktem Kurs auf das Abstellgleis.

Standen die Grünen noch Mitte 2016 bei 13 bis 14%, haben sie sich jetzt auf 7% halbiert. INSA misst sogar nur 6,5%; die 5%-Hürde rückt nah. (…..)

Ende 2018 wird offensichtlich wie man vorankommt: Die Urwahl-Ergebnisse einkassieren, die Urgewählten auf den Müllhaufen der Parteigeschichte werfen und sich unter sane people für einen Besseren entscheiden.
Seit Habeck und Baerbock Parteichefs bei den Grünen sind, geht es steil bergauf. Bundesweit 20% in den Umfragen – ganz klar die stärkste Kraft hinter CDU/CSU – weit vor AfD, Linken und SPD.
Einzige echte grüne Schwachstelle bleibt die farblose und ineffektive Bundestagsfraktionsführung, in der Urwahl-Göring-Kirchentag die Partei blamiert.

Nicht ganz so doof wie Andrea Nahles zu sein, lieber Martin Schulz, bedeutet noch lange nicht, daß man schlaue Ideen ausbrütet.

[….]  Zu Risiken und Nebenwirkungen einer Urwahl fragen Sie - zum Beispiel Rudolf Scharping. Der wurde 1993 per Urwahl zum SPD-Chef bestimmt, Gerhard Schröder unterlag. Befriedet war nichts; die Personalquerelen waren nicht bereinigt, sie gingen erst richtig los. Zu den Risiken und Nebenwirkungen einer Urwahl kann man auch Günther Oettinger befragen. 2004 entschieden die CDU-Mitglieder in Baden-Württemberg, er solle dem Ministerpräsidenten Erwin Teufel nachfolgen; Annette Schavan unterlag. Vom Sieg Oettingers hat sich die Südwest-CDU bis heute noch nicht erholt. [….]  Eine Mitgliederabstimmung kann [….]  der Partei [….]  schaden, weil sie womöglich zu Verletzungen führt, die schwären. [….]


Donnerstag, 27. Dezember 2018

Solche und Solche


Eine meiner amerikanischen Tanten stammt ebenfalls aus Hamburg. Sie ist in den 1950er Jahren nach New York ausgewandert und wie so viele amerikanische Einwanderer total assimiliert.
Keins ihrer Kinder oder Enkel spricht ein Wort Deutsch, sie wurde religiös und lebt wie sich das klein Fritzchen so vorstellt inzwischen behütet weit außerhalb der City auf Long Island in einer Senioren-Community, wo niemand die Türen abschließt und man zu Weihnachten und Thanksgiving 300 bis 500 Karten verschickt.
Das sind Bilderbuch-Amerikaner.

Ein Typ, den ich nur über Emails kenne verbrachte just ein Jahr an der Uni Yale in New Haven, CT. Als mir auffiel, daß das schräg gegenüber von Longs Island liegt, dachte ich ein Kontakt vor Ort könne hilfreich sein, habe eine kurze Nachricht geschickt und sofort wurde er von der ganzen Familie eingeladen, inklusive Übernachtung.
Amis können so nett sein.
(Ich wäre nicht so nett auf eine Email einen Unbekannten gleich bei mir aufzunehmen.)
Meine Tante, inzwischen 80+ und Witwe spricht neuerdings ganz gern mal wieder deutsch. Während der letzten 60 Jahre hatte sie das fast ganz eingestellt, aber das scheint eine typische Alterserscheinung zu sein, daß man sich irgendwann wieder an diese Dinge aus der Jugend erinnert.
Auf Long Island gibt es keine Gelegenheit deutsch zu reden.
Am liebsten würde sie noch mal nach Hamburg fliegen, aber leider lässt ihre Gesundheit das nicht mehr zu.
Einem der Kinder fiel inzwischen ein, daß in Manhattan ein Wempe-Geschäft existiert. Das ist ein aus Hamburg stammender Juwelier, bei dem meine Tante in den 50ern eine Ausbildung begonnen hatte, aber dort nicht arbeitete, weil sie dann aus privaten Gründen in die USA auswanderte.
Ein Besuch bei Wempe-NY wäre quasi das „next best thing Hamburg“, wenn man nicht mehr selbst rüber fliegen könnte.
Das Geschäft liegt weit außerhalb der Price-Range meiner Tante und so trauten sie sich nicht einfach reinzumarschieren.
Da kam ich ins Spiel, weil ich über drei Ecken jemand kenne, der hier bei Wempe arbeitet. Ich schickte eine Mail, erklärte meine Familiengeschichte, woraufhin offensichtlich eine Mail nach Manhattan ging, um mein Anliegen weiter zu leiten.
Gestern starteten mein Ami-Verwandten ihren Familienausflug nach Manhattan, klopften bei Wempe an und was passierte? Der Geschäftsführer persönlich hatte sie erwartet, freute sich über die Geschichte, bewirtete alle mit Champagner und führte sie herum.

Meine Cousine mailt mir heute überglücklich:

„She truly had the best time. He treated her like royalty. I have not seen her that happy in a long time. She was so surprised. She thought we were just going to the theatre. Then she pointed out the Wempe store. I pulled over and told her let’s get a picture and they took her in for coffee. It was so nice. She said it was the best day of her life. Rudy made us feel very comfortable! It was the most beautiful day today in the city. Seeing my mom’s face light up as we were greeted with champagne and a tour of the jewelry store.”

Das ist eben auch so typisch amerikanisch. Die Amis können so nett sein und so unkompliziert. Der Geschäftsführer stellt sich gleich mit dem Vornamen vor und nun sind sie alle Freunde.
Solche Geschichten kennt jeder, der ab und zu mal in den Staaten ist oder dort Verwandte hat.
Insbesondere in Notsituationen, zB nach Naturkatastrophen, kann man nur staunen wie wenig gejammert wird und mit welch ungeheuren Hilfsbereitschaft sich sofort alle in Gang setzen, um den Betroffenen in der Not beizustehen.
Meine Ami-Verwandten wunderten sich auch dementsprechend als meine Eltern länger im Krankenhaus lagen, daß ich immer noch in deren Wohnungen fahren musste, um Blumen zu gießen.
In ihrer Gegend springen ganz automatisch die Nachbarn ein, gehen mal rüber (die Türen sind ja ohnehin nicht abgeschlossen), räumen auf, kochen etwas für einen, wenn man wieder kommt.

Aber dann gibt es in unmittelbarer Nähe von Wempe-New York den Trump-Tower mit den Menschen, die das diametrale Gegenteil dieser netten Amis sind.
Donald Trump ist selbstverständlich ein besonders extremes Arschloch, das völlig unfähig ist Mitleid zu empfinden, Hilfsbereitschaft zu zeigen oder überhaupt Empathie aufzubringen.
Im Gegenteil, er lebt einen ausgesprochen egomanischen und sadistischen Charakter aus, frönt Rassismus und Bösartigkeit.
Und so singulär kann das auch nicht sein, da es eine hohe zweistellige Millionenzahl von Amerikanern gibt, die ihn großartig finden und hingebungsvoll unterstützen.

Es fällt schwer die beiden Amerika-Bilder unter einen Hut zu bekommen.
Trump steht für das durch und durch verrottete, unmenschliche Amerika, in dem zur Belustigung seiner FOX-Fanschar kleine Immigranten-Kinder an der Grenze umgebracht werden.

[…..] Ein achtjähriger Junge aus Guatemala ist in US-Gewahrsam ums Leben gekommen. Damit ist bereits zum zweiten Mal innerhalb eines Monats ein Kind nach seiner Festnahme durch US-Grenzbehörden gestorben. [….]

Das miese Stück Dreck Trump ist noch nicht mal in der Lage für ein paar Stunden die US-Truppen, die im Irak im Dreck hocken zu besuchen, ohne sich selbst maßlos zu loben und in Szene zu setzen, statt zumindest für das TV die Soldaten in den Vordergrund zu stellen.

[……] So gaben Soldaten Trump rote Kappen zum Unterschreiben - Kappen aus dem Wahlkampf mit der Aufschrift "Make America Great Again". Militärische Regeln verbieten eigentlich eine solche Parteinahme. Kritik gab es auch an seiner Ansprache: "Wir sind nicht mehr die Trottel der Welt. Ich mag euch, weil ihr nickt - wir werden als Nation wieder respektiert."
Trump behauptete, er habe den Soldaten die erste Solderhöhung seit zehn Jahren verschafft - was die Faktenchecker der US-Medien sofort widerlegten. Außerdem kritisierte er vor den Soldaten die oppositionellen Demokraten im Streit um eine Mauer an der Grenze zu Mexiko. Der Demokrat Jimmy Panetta gab sich deswegen enttäuscht: "Das ist eine Chance für ihn, zuzuhören, zu lernen und nicht zu belehren und eine politische Kundgebung abzuhalten. Leider kennt dieser Präsident nur ein Tempo, er kann nur diese politischen Kundgebungen abhalten - und das haben wir auch im Irak gesehen." [….]

G.I. Bone Spur bringt es fertig sich selbst weiter zu desavouieren, während er gerade auf einem PR-Trip ist, um von seinen gesammelten Peinlichkeiten abzulenken.

[….] Truppenbesuche von Präsidenten in Kampfgebieten, auch und gerade an Feiertagen, sind eigentlich üblich und in der Öffentlichkeit in den USA gern gesehen - als moralische Unterstützung für die Soldaten im Einsatz. Anders als seine Amtsvorgänger hatte Trump bisher in seiner Präsidentschaft aber noch nie US-Kampftruppen im Ausland besucht. [….] Im Irak kam es offenbar zu einem peinlichen Fauxpas. Trump hat wohl unbeabsichtigt den Stationierungsort eines Teams der US-Spezialeinheit Navy Seals öffentlich gemacht. Der Präsident veröffentlichte bei Twitter ein Video, das ihn zeigt, wie er mit US-Soldaten posiert, Hände schüttelt und Autogramme gibt. [….]

Auf dem Rückweg stoppte Präsident Peinlich auch noch in Ramstein, aber auch das gefiel ihm gar nicht.

[….] Trump enttäuscht von Ramstein-Besuch: "Ich dachte, da gibt es harte Musik und eine krasse Pyro-Show!"
Was für eine Debakel! US-Präsident Donald Trump hat seinen Blitzbesuch in Deutschland enttäuscht abgebrochen, nachdem er nicht wie erwartet von harter Rockmusik und Pyrotechnik, sondern lediglich von langweiligen Soldaten begrüßt wurde. Aus dem Umfeld Trumps heißt es, der Präsident sei außer sich.
Dabei soll die Zwischenlandung in Deutschland sogar Trumps Idee gewesen sein. Als ein Angehöriger seines Stabs einen möglichen Zwischenstopp in der Ramstein Airbase vorschlug, soll der Präsident sofort Feuer und Flamme gewesen sein. "Aber natürlich! Ich wollte schon immer mal Ramstein sehen", soll er ausgerufen haben. "Ich habe schon so viel darüber gehört."
Während des mehrstündigen Flugs vom Irak nach Deutschland habe Trump sich dann zurückgezogen und sich auf seinem iPod eigenen Angaben zufolge "erstmal wieder ein bisschen reingehört". […..]

Mittwoch, 26. Dezember 2018

Die Trump-Sekte.


An mein Posting von gestern anschließend:

Herr Trump muss ungeheuer verzweifelt sein, daß er nun so ein Feuerwerk abbrennt, um bei seiner Basis zu punkten.
Nun also der heldenhafte Weihnachtsbesuch im Irak, um von seinem gewaltigen Problemberg in Washington abzulenken.
Ein Problemberg, den er freilich selbst aufgehäuft hat.
Die Regierung steht still, die Aktienkurse brechen ein wegen Trump.
Aussicht auf Besserung besteht nicht. Die außenpolitischen Probleme dürften sich durch Trumps Geschenke an die Türkei, Russland und den Iran gewaltig verschärfen.
Wie soll die US-Administration das managen, wenn der Chef noch nicht mal in der Lage ist nach zwei Jahren im Amt all die vakanten Stellen zu besetzen?
Es herrscht Chaos in der US-Regierung; trump-Chaos.

[…..]  The Plum Line
When the new year begins next week, President Trump will have an acting chief of staff, an acting secretary of defense, an acting attorney general, an acting EPA administrator, no interior secretary, and no ambassador to the United Nations. The officials originally in all those positions have either been fired or have quit in various measures of disgust or scandal. His former campaign chairman, deputy campaign chairman, national security adviser and personal lawyer have all pleaded guilty to crimes. His campaign, his transition, his foundation and his business are all under investigation. The United States’ allies are horrified at the chaos Trump has brought to our foreign policy. The stock market is experiencing wild swings as investors are gripped with fear over what might be coming and what Trump might do to make it worse — a situation alarming enough that the treasury secretary felt the need to call up the CEOs of major banks to assure them that everything is under control.
And, oh yeah, the government is shut down.
This, my friends, is exactly what we were afraid of when Trump somehow managed to get elected president two years ago. This is what we warned you about. [….]

Das sind keine Auflösungserscheinungen, sondern das ist full turmoil. #45 reißt gerade alles in den Abgrund.
Über die Hälfte der Amerikaner lehnt nicht nur den Kurs der eigenen Regierung ab, sondern sie schämt sich in Grund und Boden für die peinliche Gestalt im Weißen Haus.

Aber was ist mit den anderen? Seiner core base, dem harten Kern aus etwa 40 Millionen rechtsradikalen FOX-verseuchten Amis, die ihren orangenen Erlöser immer noch frenetisch feiern, verteidigen und bejubeln?
Was ist los mit denen, daß sie sich ebenso hartnäckig wie ihr Führer der Realität widersetzen?

Es gibt einige Hauptgründe. Einerseits gibt es keinen amerikanischen Top-Politiker, der so klar rassistisch agiert und andererseits ist Trump kein politischer Anführer, sondern vielmehr ein Religiöser.


Religionen sind das Mittel der Wahl, wenn man irrealen Unsinn verkaufen will.

Was könnte unsinniger als das Christentum sein? Schlangen, die sprechen, Frauen, die ohne Sex schwanger werden und leibhaftig zum Himmel hinauffliegen, Männer, die 900 Jahre alt werden und dann auch noch der langhaarige Gammler, der übers Wasser gehen kann und nach dem Tod wieder lebendig wird.

Das widerspricht alles eindeutig der Realität, aber indem man es zum Glaubensgrundsatz erklärt und dann möglichst viele Menschen zusammenbringt, die sich alle demselben Wahn verschreiben, bildet man eine zusammengeschweißte Gemeinschaft, die dem Cult-leader schon deswegen nicht widerspricht, weil man damit ausgestoßen wäre.
Je offensiver man sich zu der von ihm verkündeten Fiktion bekennt, desto enger ist das Band der Epigonen, die ihm folgen untereinander.

[…..] Beim US-Prä­si­den­ten Do­nald Trump ist un­ter­des­sen der Lü­gen­zäh­ler der »Wa­shing­ton Post« – Stand vom 30. Ok­to­ber – auf 6420 nach­weis­lich fal­sche oder ir­re­füh­ren­de Be­haup­tun­gen ge­klet­tert. Trump lügt sich fast schon wahl­los durch den Tag. Als nach den US-Zwi­schen­wah­len in Flo­ri­da nach­ge­zählt wer­den muss­te, be­haup­te­te er, Be­trü­ger hät­ten sich ver­klei­det, um mehr­mals ab­zu­stim­men und sei­ner Par­tei den Wahl­sieg zu rau­ben.
Und den­noch: Die Zu­stim­mungs­wer­te für Trumps Kar­ne­val der po­li­ti­schen Ver­wahr­lo­sung sind un­ter den ame­ri­ka­ni­schen Re­pu­bli­ka­nern sta­bil. Sei­ne Ge­folgs­leu­te er­klä­ren je­den aus der Luft ge­grif­fe­nen Aber­witz im Nach­hin­ein ve­he­ment für wahr.
[….]
(SPIEGEL Nr. 50, 08.12.2018, s.108 ff)

Die unzähligen Menschen, die abstruser Hass-Propaganda à la Trump, Berger, AfD, PI frönen, die Verschwörungstheorien anhängen, Merkel für eine Reptiloidin halten, annehmen eine „jüdische Verschwörung zur Umvolkung Deutschlands“ existiere und sinistere Mächte übten Einfluss durch Chemtrails aus, tun das nicht aufgrund wissenschaftlicher, politischer oder journalistischer Überzeugung.
Dahinter stecken vielmehr religiöse, psychologische und metaphysische Aspekte.
Deswegen funktionieren ganz offensichtlich unsinnige PP/PI/AfD-Lü­gen ge­gen den recht­lich nicht bin­den­den Uno-Mi­gra­ti­ons­pakt.
Trump lügt ohne sich Mühe zu geben, widerspricht sich wahllos selbst und versucht gar nicht erst den hanebüchenen Quatsch irgendwie plausibel aussehen zu lassen. Seine Jünger halten das für mutig und erfrischend. Sie fühlen sich endlich von den lästigen Fakten befreit und überziehen die armen irdischen Wesen, die auf der Realität beharren mit Hass und durchaus realen Drohungen.

[…..] Für eine Spe­zi­es, die sich in ei­ner kom­pli­zier­ten Welt zu­recht­fin­den muss, ist kol­lek­ti­ver Rea­li­täts­ver­lust ei­gent­lich kein gu­tes Re­zept. Aber Men­schen ha­ben schon im­mer von ge­mein­sa­men Fik­tio­nen pro­fi­tiert. Das zeigt die Ge­schich­te der Re­li­gio­nen. An­thro­po­lo­gen ha­ben her­aus­ge­fun­den: Ge­ra­de der Glau­be an Un­glaub­li­ches war es, der mäch­ti­ge Ge­mein­we­sen her­vor­brach­te.
Und war­um ist die­se Stra­te­gie so er­folg­reich? Weil das Be­kennt­nis zur Fik­ti­on Über­win­dung kos­tet. Es fällt nicht leicht, un­er­schro­cken Wi­der­sin­ni­ges zu be­haup­ten. Gott­lo­se und An­ders­gläu­bi­ge krin­geln sich: Wie kann man nur! Ste­he ich trotz­dem zu mei­ner Über­zeu­gung, ist das ein star­kes Si­gnal an die Mit­gläu­bi­gen: Sie se­hen, dass auf mich Ver­lass ist. Als Be­weis mei­ner Loya­li­tät brin­ge ich das Op­fer mei­nes Ver­stands.
Re­li­gi­ons­for­scher spre­chen von »kost­spie­li­ger Hin­ga­be«. Der Glau­be er­weist sich als umso stär­ker, je mehr er den Sei­nen ab­ver­langt. Der ame­ri­ka­ni­sche An­thro­po­lo­ge Ri­chard So­sis hat nach­ge­wie­sen, dass stren­ge, for­dern­de Glau­bens­ge­mein­schaf­ten be­son­ders lang­le­big und so­mit er­folg­reich sind. Auf die Art des Op­fers kommt es da­bei kaum an. Ob die Mit­glie­der sich um­ständ­li­chen Fas­ten­re­geln un­ter­zie­hen oder, wie die Ka­tho­li­ken im Mit­tel­al­ter, mehr­stün­di­ge la­tei­ni­sche Mes­sen durch­ste­hen – es dient al­les dem glei­chen Zweck: Die Men­schen zei­gen öf­fent­lich, wie weit sie zu ge­hen be­reit sind, nur um ih­rer Ge­mein­schaft wil­len.
[…..]
 (SPIEGEL Nr. 50, 08.12.2018, s.108 ff)

Es macht keinen Sinn sich wie die Anhänger des Opus Dei selbst zu geißeln, sich die Neunschwänzige zum Gefallen Gottes auf den Rücken zu knallen, einen Bußgürtel mit nach innen gerichteten rostigen Stacheln zu tragen, auf Knien tagelang zur Fatima in Portugal zu rutschen, oder auf Knien die unzähligen Stufen zur Schwarzen Madonna von Częstochowa (Tschenstochau) hochzukraxeln. Vier Millionen Katholiken tun es aber dennoch jedes Jahr, weil sie damit in ihrer Gemeinschaft beweisen welche Strapazen sie für den Glauben auf sich nehmen.
In Manila lassen sich Katholiken sogar mit echten Nägeln zu Ostern an ein Kreuz nageln, um Jesus zu ehren.
Derlei Leidensbeweise gibt es in allen Religionen.

Schiiten fügen sich blutige Verletzungen durch Peitschen und Säbel zu, um ihre Zugehörigkeit zum Kult zu demonstrieren. Erst wenn alle blutig sind hören sie auf.


Trumps aberwitzige Lügen zu glauben, ihn kollektiv anzufeuern, auf seinen Rallys in einen Massenwahn zu geraten folgt dem gleichen psychologischen Prinzip.

[…..] Das Si­gnal der kost­spie­li­gen Hin­ga­be schafft ei­nen star­ken Zu­sam­men­halt. Es er­mög­licht Frem­den der glei­chen Fik­ti­ons­ge­mein­schaft, ein­an­der mit Ver­trau­en zu be­geg­nen; und es hält Tritt­brett­fah­rer fern, die nichts bei­tra­gen und im Zwei­fels­fall schnell wie­der weg sind. Un­ter güns­ti­gen Um­stän­den kön­nen auf die­se Wei­se gro­ße ver­schwo­re­ne Grup­pen her­an­wach­sen – und die ge­teil­te Fik­ti­on wird zur his­to­ri­schen Macht.
Da­von pro­fi­tie­ren nicht nur Re­li­gio­nen, son­dern in glei­chem Maß po­li­ti­sche Sek­ten. Denn auch die Be­reit­schaft, ge­gen jede Evi­denz zu lü­gen, ist ein fäl­schungs­si­che­res Si­gnal der Hin­ga­be – je kras­ser, des­to bes­ser.
Ab­sur­de Ge­schich­ten sind in der An­hän­ger­schaft im­mer ge­fragt, und sie ver­brei­ten sich auch noch be­son­ders gut. Das ist kein Zu­fall. Das Un­glaub­li­che er­staunt, es bleibt leicht hän­gen – bes­ter Er­zähl­stoff, so­lan­ge es noch ir­gend­wie stim­mig scheint.
[…..]
(SPIEGEL Nr. 50, 08.12.2018, s.108 ff)

So wenig man einen überzeugten Christen/Juden/Muslimen mit wissenschaftlichen Fakten und klaren Beweisen dazu bringen kann sich aus seiner andere extrem exkludierenden Fiktionsgemeinschaft zu lösen, so sehr ist es auch zum Scheitern verurteilt Impfgegner, Homöopathie-Anhänger, Aldebaraner-Jünger, Soros-Verteuflern, Gauland-Fans oder Trump-Wählern von ihrem offensichtlichen Irrsinn abzubringen. Wer sich die „Beweise“ für eine gefakte Mondlandung oder eine Unterwanderung durch extra-terrestrische Reptilien einmal als Beitrittsgeschenk zu einer Hassgruppe verinnerlicht hat, bleibt auch dabei, weil er die Sphäre des Realen für seinen Glauben verlassen hat.

 […..]  Nicht min­der ein­präg­sam ist die Fa­bel, dass in Deutsch­land die Flücht­lin­ge in Lu­xus­her­ber­gen schwel­gen und zum Dank sich auch noch Zie­gen aus dem Strei­chel­zoo gril­len. Auf sol­che Mi­ra­kel ist die Hass­re­li­gi­on des rech­ten Ran­des fi­xiert; Ge­gen­be­le­ge tut sie als Blend­werk ab. Sie ver­teu­felt die Mi­gra­ti­on als Mut­ter al­ler Pro­ble­me – der bös­ar­ti­ge Son­der­fall ei­nes Glau­bens. Sei­nen An­hän­gern ist kei­ne hö­he­re Se­lig­keit ver­hei­ßen, nur das häss­li­che Ver­gnü­gen, Schwä­che­re zu mal­trä­tie­ren.
Auf über­zeug­te Rechts­ex­tre­me mag spe­zi­ell die­se Aus­sicht eu­pho­ri­sie­rend wir­ken. Mit­läu­fer ge­nie­ßen wohl ein­fach nur die Frei­heit zum Kra­kee­len. Denn sei­en wir ehr­lich: Lü­gen macht frei. Es ist be­flü­gelnd, sich an Fak­ten nicht mehr ge­bun­den zu füh­len.
[….]
(SPIEGEL Nr. 50, 08.12.2018, s.108 ff)

Die vielen Trump-Epigonen im Weißen Haus haben sich für alle anderen späteren Jobs außerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft verbrannt.
Sarah Sanders und Kellyanne Conway sind so schlimme, amoralische Lügnerinnen, daß kein seriöser Politiker sie jemals wieder einstellen wird. Wer sich im Dezember 2018 noch von Trump anheuern lässt, verspielt seine bürgerliche Reputation. Daher sind viele Stellen unbesetzt; Menschen, die noch mit Fakten leben, können nicht für ihn arbeiten.
Aber diejenigen, die sich ihm völlig hingeben, die Abermillionen Rednecks, Hillbillies, Fox-Hörer und Rassisten sind schon so weit in den Sog der Trump-Sekte geraten, daß sie nicht mehr zu erreichen sind für die Außenwelt der Ungläubigen.

[….] Do­nald Trump bie­tet den An­hän­gern be­son­ders reich­lich Ge­le­gen­heit zur Un­ter­wer­fung, wenn er bei­spiels­wei­se das Ge­gen­teil ei­ner Be­haup­tung vom Vor­tag zur neu­en Wahr­heit er­klärt. Trump hat die Rea­li­täts­ver­leug­nung nicht er­fun­den, aber zur Se­ri­en­rei­fe ge­führt. Lü­gen bringt er qua­si schon voll­au­to­ma­tisch her­vor, die Fak­ten­che­cker kom­men kaum noch hin­ter­her. Sei­ne bis­he­ri­ge Best­leis­tung er­reich­te der US-Prä­si­dent am 7. Sep­tem­ber mit ei­nem Aus­stoß von 125 fal­schen oder ir­re­füh­ren­den Be­haup­tun­gen.
Den­noch ist Trump kein po­li­ti­scher Lüg­ner neu­en Typs, er kennt nur kei­ner­lei Scham. Er hat nie ei­nen Zwei­fel dar­an ge­las­sen, wor­um sein Den­ken kreist: um die Fik­ti­on sei­ner Un­be­sieg­bar­keit. Jede Wahl, die er nicht ge­won­nen hat, müs­se dem­nach ir­gend­wie ge­fälscht sein.
[….]
(SPIEGEL Nr. 50, 08.12.2018, s.108 ff)

Man stellt seinen Gott nicht in Frage, so wie man sich nicht von Jesus abwendet, weil er (=Gott=HeiGei) bei der Sintflut nahezu die gesamte Erdbevölkerung killte.