Dienstag, 30. Mai 2017

Kann nur besser werden.



Gerade schäme ich mich ein bißchen, weil ich in letzter Zeit sehr viel auf die SPD, aber auch auf die anderen beiden Parteien aus der R2G-Gang eingedroschen habe.

Dabei ist die SPD keine Partei, in der ich nur zähneknirschend Mitglied bin.
Die haben auch gute Leute. Erwin Sellering, der aus dem Rheinland zugewanderte MeckPomm-Chef ist so einer.
Ein Netter, der genau richtig für seinen Job ist.
Lymphdrüsenkrebs ist natürlich scheiße. Verständlicherweise muß Sellering jetzt sein Amt als Ministerpräsident aufgeben.

Die Bundes-SPD reagiert auf diese Nachricht mit einer Rochade. Schwesig auf Sellerings Posten, Barley af Schwesigs Posten und Heil auf Barleys Posten.
Zwei Fliegen mit einer Klappe. Die dritte Fliege ist leider wieder entwischt.

Die SPD vollzieht damit einen Generationswechsel, bekommt eine junge Frau als Ministerpräsidentin und Landesvorsitzende. Das ist ein positives Signal, zumal Schwesig zweifellos qualifiziert ist und jedes Bundesland mal ein neues Gesicht an der Spitze benötigt.

[….] Der richtige Job zur falschen Zeit und unter höchst unerfreulichen Umständen - so könnte man aus Schwesigs Sicht den Sprung von Berlin nach Schwerin zusammenfassen. Die 43-Jährige, die sich als Bundesfamilienministerin den Ruf erworben hat, nie lockerzulassen in ihren Kämpfen um Chancengleichheit in Beruf und Familie, nie nachzugeben ohne Not und selbst über der Weihnachtgans im Restaurant noch ausdauernd über Lohngerechtigkeit zu referieren, war lange vorbereitet auf einen Stabwechsel in Schwerin - nur eben zu einem viel späteren Zeitpunkt. […]

Bei Katarina Barley plagen mich Beißhemmungen, weil ich sie wirklich sympathisch finde und ihre politischen Ansichten schätze.
Ich werde ihr ewig dankbar sein, daß sie sich als neue Generalsekretärin den Zorn von SPRINGER und Co zuzog, als sie sich zunächst mit der atheistischen Giordano-Bruno-Stiftung traf.

Die letzten drei Landtagswahlen und das das thematische Vakuum im Willy Brandt-Haus haben aber gezeigt, daß sie offensichtlich keine begnadete Wahlkampforganisatorin ist. Außerdem ist Barley eindeutig ein Gewächs Sigmar Gabriels. Eine nicht optimale Situation unter dem neuen Parteichef Schulz, da es traditionell die ureigene Aufgabe des Vorsitzenden ist, sich einen General auszusuchen.
Barley ins Kabinett  zu schicken stellt daher eine elegante Lösung dar, um sie nicht zu feuern und dennoch die SPD-Zentrale in eine kampfkräftige Wahlmaschine zu transformieren.
Bis hierhin also zwei von drei für die SPD.
Nun noch ein guter neuer Generalsekretär.
Hier verließ die Genossen leider das Händchen. Ausgerechnet während ihr „Schulzzug“ auf das Abstellgleis rattert, holt sich Herr Schulz dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl den denkbar ödesten Kandidaten, der zudem auch noch bewiesenermaßen Wahlkampf nicht kann.
Hubertus Heil, der niedersächsische Phlegmat, der schon für die trüben Bärtigen (Beck und Platzeck) Wahlen verlor, wird jetzt die neue Barely.

[….] Als Generalsekretär kehrt Heil zurück ins Willy-Brandt-Haus. In die Parteizentrale hatte ihn 2005 der SPD-Chef Matthias Platzeck schon einmal geholt. [….]  Die Aufregung war bis zum Parteitag nicht verflogen: Heil hielt eine denkwürdig schlechte Rede und fuhr mit 61,7 Prozent ein ebenso denkwürdig mieses Ergebnis ein.
[….] Nach Gabriels Wechsel ins Auswärtige Amt wäre Heil ein möglicher Nachfolger im Wirtschaftsministerium gewesen - und wurde wieder nichts.
[….] Immerhin ist jetzt überhaupt mal jemand an führender Stelle in der SPD, der Erfahrung mit einem Bundestagswahlkampf hat. Auch wenn es bei Heil der von 2009 war. An dessen Ende landete die SPD bei 23 Prozent. […]

23% also. Offensichtlich ist das die Zielmarke, die #Chulz anstrebt.
So ist das als SPD-Mitglied. Kaum macht die Partei mal etwas halbwegs Vernünftiges, haut irgendein Spitzengenosse was richtig Kontraproduktives raus.

Sogar Herr Schulz nimmt sich meine Kritik zu Herzen und entdeckt jetzt schon mal ein zweites Thema.

[….] Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel hatten vorgelegt, nun hat auch Martin Schulz in die Kritik an US-Präsident Donald Trump eingestimmt. Europa sei der beste Schutz für die Demokratie, für die Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt: "Deshalb ist das Gebot der Stunde, sich diesem Mann mit allem, was wir vertreten, in den Weg zu stellen, übrigens auch seiner fatalen Aufrüstungslogik, die er uns aufzwingen will", sagte der SPD-Kanzlerkandidat bei einer Veranstaltung seiner Partei in Berlin. […]

Wenn er jetzt noch ein bißchen am Timing arbeitet, könnte das noch was werden.
Als Kanzlerkandidat sollte Schulz natürlich selbst die Themen setzt und der erste sein, statt gemächlich hinter Merkel und Gabriel hinterher zu trotten.
Merkel gibt so gut wie nie irgendwo die Richtung vor. Da sagt sie einmal einen Satz von inhaltlicher Substanz, aber ist immer noch schneller als Schulz.

Montag, 29. Mai 2017

Trumpologiefolgenabschätzung – Teil VIII



Das war schwer für Trump. Neun Tage Ausland. Sowas mag er gar nicht. Da war alles voller Ausländer, die komische Sprachen sprechen und außerdem gab es da gar nicht Trumps geliebtes Fastfood. Und Melania, die sonst in einer anderen Stadt als er lebt, hatte er auch noch die ganze Zeit an der Backe. Gezickt hat sie auch noch, wollte seine Hand nicht halten.

Endlich zurück in Amerika, verkündete er das Ergebnis:


In der Tat; eins hat Trump erreicht, das selbst ich ihm nicht zugetraut hätte.
Der größte Amerika-Fan der Welt, Angela Merkel, die es stoisch grinsend hinnimmt, wenn Washington ihr Handy abhört, hat die Nase voll von Amerika.

[….] "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen." [….]

[….] This is an enormous change in political rhetoric. While the public is more familiar with the “special relationship” between Britain and the United States, the German-U.S. relationship has arguably been more important. One of the key purposes of NATO was to embed Germany in an international framework that would prevent it from becoming a threat to European peace as it had been in World War I and World War II. In the words of NATO’s first secretary general, NATO was supposed “to keep the Russians out, the Americans in, and the Germans down.” Now, Merkel is suggesting that the Americans aren’t really in, and, by extension, Germany and Europe are likely to take on a much more substantial and independent role than they have in the past 70 years.
Merkel’s comment about what she has experienced in the past few days is a clear reference to President Trump’s disastrous European tour. Her belief that the United States is no longer a reliable partner is a direct result of Trump’s words and actions. [….]

Heftige Amerika-Kritik von der Frau, die 2003 als Oppositionschefin noch devot zu George W. Bush geeilt war, um zu versichern, daß Deutschland unter ihrer Führung immer an der Seite der USA stünde und in den Irakkrieg folgen würde.

Alle Achtung, Trump. Es gehört schon einiges dazu die dreifach dankbaren Deutschen zu vergrätzen.

 [….]  Deutschlands Außenminister sprach den USA unter Präsident Donald Trump eine Führungsrolle in der westlichen Wertegemeinschaft ab. Es handele sich um einen "Ausfall der Vereinigten Staaten als wichtige Nation", sagte Gabriel am Montag. Es habe sich am Wochenende nicht nur um einen missglückten G7-Gipfel gehandelt. "Das ist leider ein Signal für die Veränderung im Kräfteverhältnis der Welt", sagte Gabriel. "Der Westen wird gerade etwas kleiner."
Der Außenminister hatte am Montag in seinem Amtssitz an einem Runden Tisch zu Flüchtlingen und Migration teilgenommen. Anschließend übte er ungewöhnlich scharfe Kritik an der US-Haltung. "Die Herausforderungen der Migration werden durch die Abkehr der neuen Regierung der Vereinigten Staaten vom westlichen Politik-Konsens nur größer", sagte er nach dem Wortlaut einer Presseerklärung des Auswärtigen Amtes. [….] Die Europäer müssten für mehr Klimaschutz, weniger Waffen und religiöse Aufklärung kämpfen, sonst werde sich der Nahe Osten und Afrika weiter destabilisieren. "Mit antiquierten Rezepten wie Grenzschließung und Mauerbau wird kein einziges Problem gelöst," so der Außenminister weiter.
 [….]

Anders als beim G20-Treffen in fünf Wochen bei mir um die Ecke, sind beim G7 und NATO-Treffen eigentlich nur Verbündete zusammen. Der Konsens ist so groß, daß man darauf aufbauend neue Impulse setzen kann.
Mit Trump fand ein Rückstoß um 70 Jahre statt.
Nun heißt es wieder ‚wir gegen die‘ und 'gewinnen auf Kosten der anderen', statt gemeinsam zu profitieren.

Der G7 war ein totaler Reinfall, dank Trump. Ein ergebnisloses Rumpoltern.
Der Klimaschutz wird aufgegeben und die als Gäste geladenen Afrikaner bekamen lediglich einen Tritt in den Hintern.
Flüchtlinge und verhungernde Kinder sind der ultrafrommen christlichen Delegation aus Amerika vollkommen egal – es gab ja auch so schöne Bilder mit dem Papst.

[…..] Die Staats- und Regierungschefs kamen am letzten Tag des zweitägigen Gipfels mit Vertretern aus Äthiopien, Kenia, Niger, Nigeria, Tunesien und Guinea zusammen, um über Flüchtlinge und Hungersnöte in Afrika zu sprechen.
Entwicklungsorganisationen appellierten eindringlich an die G7, mehr Finanzmittel für den aktuellen Kampf gegen Hunger bereit zu stellen. „Die Kinder sterben jetzt“, sagte Silvia Holten von World Vision. Die großen Industrienationen könnten nicht länger warten. „Es ist ein Desaster.“ [….] Aktivisten kritisierten die G7 wegen Untätigkeit in der Flüchtlingskrise. „Der Skandal des Gipfels ist, dass die G7-Führer direkt hier nach Sizilien ans Meer kommen, wo 1.400 Menschen allein seit Jahresanfang ertrunken sind, und nichts ernsthaft dagegen tun“, sagte Edmund Cairns von Oxfam. [….]

Es bleibt das Geheimnis der amerikanischen Presse wie man dieses totale Desaster als Erfolg verkaufen kann.

[….] President Donald Trump's first presidential foray onto the international stage should be judged as a success. His visits to Saudi Arabia, Israel, the Vatican, Belgium and Italy were well managed by the White House and effectively advanced some key foreign policy goals for the new administration. [….]

Trumps ‘success’ hat ein Gesicht.
Während sich Trump auf Taormina amüsierte, trieben die Kinderleichen um ihn herum im Friedhof Mittelmeer.
100.000.000.000,00 Dollar aus Saudi Arabien in der Tasche und dennoch weigerten sich die USA kategorisch auch nur das kleinste Hilfsangebot für die Hungernden und Sterbenden in Afrika zu machen. Kinder, verreckt doch, so das Motto des successful reisenden Trump.

[….] Ein Flüchtlingsboot mit zahlreichen Kindern an Bord ist auf dem Mittelmeer gekentert. Bisher wurden 34 Leichen geborgen, die meisten davon kleine Kinder. Nach Angaben einer Sprecherin der Hilfsorganisation MOAS waren drei Holzschiffe mit rund 1500 Menschen vor der libyschen Küste unterwegs.
Eines der Boote sei gekentert. Rund 200 Menschen seien ins Wasser gefallen, darunter zahlreiche Kinder und Frauen. "Das ist keine Szene aus einem Horrorfilm, das ist die Wirklichkeit vor den Toren Europas", erklärte der Gründer der Hilfsorganisation MOAS, Chris Catrambone. Auf Bildern sieht man, wie viele Menschen im Wasser treiben. Die italienischen Küstenwache ging nach Angaben der Nachrichtenagentur Ansa auch von 34 Toten aus; das Unglück sei vor der westlibyschen Hafenstadt Suwara geschehen. [….]


Sonntag, 28. Mai 2017

Drauf hauen.



Ging ja schnell, ich bin auch schon Schulz-überfüttert. Dabei sind sich doch die Kommentatoren relativ einig, daß seine Medien-Abstinenz das Loser-Triple bei den Landtagswahlen verursacht hat.

Mir ist es ein Rätsel wie so ein belesener Mann eine derart öde Sprache an den Tag legt.
Die Heute Show schnitt seine Kommentare zu den verlorenen Landtagswahlen zusammen – eine einzige Abfolge von Sportmetaphern.
Ist das nicht ein bißchen sehr billig, um sich beim leicht minderbemittelten Wähler einzuschleimen?
Mal abgesehen davon, daß es auch Menschen (wie mich) gibt, die sich nicht für Fußball interessieren, müßte es doch auch Fußball-Freunde geben, die begreifen, daß Politik etwas anderen Regeln als ein Bundesligaspiel unterliegt.

Fast noch schlimmer ist der Terminus „die hart arbeitenden Menschen“, den Schulz in Endlos-Wiederholung auftischt, um sein Gerechtigkeitsthema zu pushen.
Für meinen Geschmack spricht das etwas sehr platt die Neidinstinkte des deutschen Michels an, der natürlich immer findet, er komme zu kurz und andere hätten mehr. Zum anderen ist es eine seltsam altmodische Formulierung. Als ob nur alle hart arbeiten müßten und dann lösten sich die Probleme in Luft auf.
Und was ist eigentlich mit den Millionen Menschen, die eben nicht hart arbeiten können, weil sie krank sind, unter psychischen Problemen leiden, Pflegefälle sind oder aber zu alt zum Arbeiten sind?

Was ist das eigentlich für eine sozi-mäßige Selbstverzwergung?
Weil wir die SPD sind, können wir nur soziale Gerechtigkeit und überlassen die große Außenpolitik der Union?
Merkel gilt als die Gipfel-Königin weltweit, weil sie schon länger als alle anderen Regierungschefs bei den Dingern mitmacht und es durch ihre Vagheit und Ziellosigkeit erreichte irgendwie mit allen ganz gut auszukommen.

Sie ist aber nicht die große Gipfel-Politikerin, weil sie dabei irgendetwas erreicht hätte. Im Gegenteil. Ihr konsequentes Umschiffen der Probleme, das ständige Ausweichen und Nichtfestlegen hat die Welt doch offensichtlich in den 12 Jahren ihrer Regierungszeit oredentlich in die Scheiße geritten.
Es gab hunderte NATO-, EU, G7-, G8-, G20- und sonstige große internationale Summits mit Merkel, Dutzende unter ihrem Vorsitz.
Im Ergebnis haben wir mehr Kriege, mehr Flüchtlinge, mehr Terror, mehr Hunger, mehr Bürgerkrieg, mehr Krise, mehr Klimakatastrophe, mehr Rüstung, mehr EU-Probleme, mehr Rechtsradikalismus, mehr Europafeindlichkeit.

Merkels Lavieren auf internationaler Ebene funktioniert gar nicht.
Die EU fällt fast schon auseinander wegen Merkels Austerität-Diktates.
Merkel ließ lahm den Brexit geschehen, ließ Recep Tayyip Erdoğan immer mehr auftrumpfen und ergibt sich nun auch devot dem Trumpschen Unsinn aus Washington.

Huhu, Deutschland ist so ungerecht. Stimmt zwar, ist aber nur ein mittelguter SPD-Wahlslogan, wenn die SPD in 15 der letzten 19 Jahre den Bundessozialminister gestellt hat.
Ich wünsche mir eine SPD, die sich pointiert der Scharfmacherei de Maizières entgegenstellt, die keine Grausamkeiten wider die Flüchtlinge toleriert, die frontal die Versäumnisse bei der Bundeswehrreform angeht, die Deutschlands krasses Versagen in der Entwicklungspolitik anprangert, die für eine andere Europapolitik steht und Merkel auf internationaler Bühne kritisiert.

Ganz zarte Anfänge gibt es.

 […..] Ist das noch Außenpolitik - oder schon Wahlkampf? Die SPD hält Angela Merkels Kurs gegenüber Donald Trump für fehlgeschlagen. Die CDU kontert. […..] Die Außen- und Europapolitik wird auch zu einem Thema im Bundestagswahlkampf. Vor allem die SPD glaubt, sich gegenüber Merkel abgrenzen zu können, insbesondere mit Blick auf ihre Politik gegenüber Trump.
Nach ihrem Auftritt bei der CSU in München sagt der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Niels Annen, zum SPIEGEL: "Merkels Erkenntnis kommt spät und ist auch ein Eingeständnis, dass ihre Strategie, Trump zu umarmen, gescheitert ist." Jetzt müsse sich erweisen, ob "ihrer Rede auch Taten folgen".
Bereits nach dem Wahlsieg Macrons hatte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) den außenpolitischen Wahlkampf verstärkt. Er legte sogar ein eigenes Konzept vor, in dem er dafür plädiert, an der Seite des Franzosen die Eurozone und die EU zu vertiefen. Seit Wochen intoniert auch er - ähnlich wie Merkel - die Botschaft, dass die EU-Mitgliedstaaten zusammenhalten müssten, "wenn wir ernst genommen werden wollen - nicht nur in Moskau, sondern auch in Washington und Peking".
[…..] Nun sagt SPD-Außenpolitiker Annen: "Fehler wie ihre Zugeständnisse an Trump beim 2-Prozent-Aufrüstungsziel dürfen sich nicht wiederholen."
Die SPD sucht nach Sollbruchsstellen, bei denen sie Merkel stellen kann.
[…..]

Wäre halt ganz gut, wenn Martin Schulz das auch begriffe und nicht weiter die außenpolitische Flanke offen ließe.

Samstag, 27. Mai 2017

Lokale Angelegenheiten

Das muß ich schon zugeben, Hamburger sind steinreich.
Sobald die Sonne durchkommt, sieht man rund um die Alstern nur noch offene Cabrios rumfahren. Offensichtlich besitzt hier jeder Zweite neben seinem normalen Auto noch irgendeinen Roadster-artigen Oben-ohne-Untersatz irgendeiner Edelmarke.

[….] Generell werden in Hamburg die meisten Cabrios zugelassen.
Cabrios sind Liebhaberautos, ihr Anteil an den Kfz-Zulassungen beträgt derzeit etwa vier Prozent. Im Vergleich der Bundesländer liegt Hamburg vorn: Nicht im sonnigen Süden werden die meisten Cabrio-Verträge abgeschlossen, sondern im vermeintlich kühlen Norden. [….]

Wirklich hanseatisch ist immer noch das Understatement. In den teuersten Gegenden am Rothenbaum und Harvestehude sieht man neben den obligatorischen Porsches daher auch jede Menge Smarts und Minis. Durchaus auch VW Golfs. In keiner deutschen Statdt gibt es annähernd so viele Millionäre wie in Hamburg.

[….] "Die Anzahl der Personen mit einem liquiden Vermögen von über einer Million Euro ist in Hamburg gewachsen", sagt Dirk Wehmhöner, Leiter Private Banking Hamburg beim Bankhaus Berenberg. Statistiken zufolge ist die Hansestadt mit rund 42.000 Millionären bezogen auf die Einwohnerzahl spitze in Deutschland, laut einer Untersuchung der Schweizer Großbank UBS weist Hamburg sogar 18 Milliardäre auf. [….]
(Abla, 24.09.2014)

Hamburger sind so wohlhabend, daß es verpönt ist das allzu deutlich zur Schau zu stellen. Anders als in Düsseldorf oder München, sieht man die Insignien des Geldes erst auf den zweiten Blick.
Ja, sicher, die Damen in der Schlange der EDEKA-Käsetheke tragen natürlich alle die obligatorischen goldenen Tragegurte der Louis-Vuitton-Handtasche über der Schulter, aber dazu eben keine protzige diamantbesetzte Rolex, die jeder erkennt, sondern vorzugsweise eine unauffällige Patek Philippe-Nautilus; gibt es in der einfachen Stahlausführung schon ab 25.000 EUR; Preise nach oben offen.

Das durchschnittliche Einkommen eines Hamburger beträgt inzwischen rund 50.000 Euro und liegt damit in ganz anderen Dimensionen, als in anderen Bundesländern.
Das zweithöchste BIP/Person hat Bayern mit etwa 31.000 EUR. Der Stadtstaat Berlin liegt bei 23.000 EUR und Schlußlicht MeckPomm bei 18.000 EUR/Person.

Mit etwas Lokalpatriotismus könnte ich jetzt behaupten, der enorme Wohlstand meiner Heimatstadt liege an der Großartigkeit der Hamburger oder der Tatsache, daß wir üblicherweise links regiert werden und damit klügere politische Entscheidungen treffen als schwarze Bundesländer. Hamburger sind kirchenfern, lassen sich weniger als andere von der Religion bremsen und aufhetzen.

Tatsächlich stammt Hamburgs Geld hauptsächlich aus der Weltoffenheit. Wir waren immer eine Hansestadt, die nie Fürstensitz war. Hier gab es nie einen König, der alles entschieden hätte, sondern die Bürger organisierten sich auf liberale Weise selbst, betrieben Handel mit der ganzen Welt.
Hamburger sind polyglott und polylingual. Nur New York hat mehr Konsulate als Hamburg. Hamburgs Wahl- und Werbespruch „Das Tor zur Welt“ ist nicht nur eine Floskel. Hamburger ermutigen seit Jahrhunderten ihre Kinder in die Welt hinauszugehen und laden umgekehrt auch die Welt zu sich ein.
Hamburg wird seit dem Mittelalter kulturell befruchtet. Wenn es in London regnet, spannen die Hamburger ihre Regenschirme auf, heißt es. Das Hamburger Platt ist eine Mischung aus Hamburgisch, französisch und englisch.
„Das Tor zur Welt“ bedeutet aber auch im wörtlichen Sinne „weltoffen“.
Wir empfinden Besucher aus anderen Kontinenten als Bereicherung, laden sie ein und jagen sie nicht grölend durch die Straßen, wie es immer wieder in Sachsen vorkommt.

Hamburgs Reichtum ist eine Folge unserer Fähigkeit zur Selbstbefruchtung durch die enorme Migrantenquote in unserer Mitte.

Von den gegenwärtig 1,8 Millionen Menschen in Hamburg haben mehr als ein Drittel „einen Migrationshintergrund“.
Das ist so selbstverständlich, daß „die Migranten“ es nicht nötig haben zur Kompensation für ihr Leben in der Fremde ihrer Ethnie oder kulturellen Nische zugehörig zu bleiben.
Mein Friseur ist halb Türke und halb Portugiese, mein Gemüsemann hat eine litauische Mutter und einen deutschen Vater, mein Orthopäde stammt aus Schweden mit einer Hongkonger Mutter. Meine Optikerin ist eine lesbische Dänin und als Ami aus binationalem Elternhaus kann ich meine Nachbarin, die ihr vierjähriges Kind dreisprachig (englisch, deutsch, japanisch) erzieht, wirklich nicht beeindrucken.

 [….] Mehr als jeder dritte Bewohner Hamburgs hat einen Migrationshintergrund – in einigen Stadtteilen sind sie sogar deutlich in der Mehrheit. Ende vergangenen Jahres hätten mehr als 630.000 Migranten in der Hansestadt gelebt, teilte das Statistische Amt für Hamburg gestern mit. [….] Als Menschen mit Migrationshintergrund zählt das Statistikamt die ausländische Bevölkerung einschließlich aller EU-Ausländer sowie alle ab 1950 von außerhalb Deutschlands Zugewanderten und ihre Kinder. Die mit Abstand häufigsten Herkunfts- und Bezugsländer von Migranten in Hamburg sind die Türkei (15 Prozent Anteil) und Polen (zwölf Prozent).
Der Anteil der Migranten an der Gesamtbevölkerung liegt derzeit bei 34 Prozent – sechs Prozentpunkte oder 145.000 Personen mehr als 2009. Signifikant ist die Veränderung im Jahr 2015, in dem die Flüchtlingskrise ihren Höhepunkt erreichte. Den Statistikern zufolge lebten Ende 2014 rund 570.000 Menschen mit Migrationshintergrund in der Hansestadt. Seitdem stieg ihre Zahl um rund 60.000. [….] Grundsätzlich gibt es unter jüngeren Hamburgern mehr Migranten als unter älteren. So ist jeder Zweite der unter 18-Jährigen ein Migrant. […]

Ich blicke schadenfroh auf die Dresdner PEGIDA-Marschierer, die HAUT-AB-Gröler, die sich bei ein oder zwei Prozent Ausländeranteil so sehr in ihre kulturelle Hose machen, daß sie befürchten auszusterben und Höcke hinterher laufen.
Ihr seid nicht nur geistig und moralisch verarmt, sondern auch ökonomisch arm, weil niemand zu Euch kommen mag.