Sonntag, 2. April 2017

Schlussstrich



Ist 72 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges Deutschland endlich ein normales Land wie alle Nachbarn?
Kann/darf/soll man aufhören sich für die Vergangenheit zu schämen?
Betreibt die deutsche Bundesregierung ihre internationale Politik erhobenen Hauptes? Endlich wieder ein aufrechter Gang?

Diese Fragen haben für mich einen verschwörungstheoretischen Ton und widerspiegeln nicht die Realität.
Während der Debatte um ein zentrales Denkmal für die ermordeten Juden Europas in den 90er Jahren stellten Konservative immer wieder diese Fragen und taten so, als wären sie in ihrer Freizeit gezwungen sich unablässig Guido-Knopp Dokumentationen über Hitlers Frauen anzusehen.
Damit müsse mal Schluß sein, empörten sich die Alten und die Rechten in genau dem Duktus, den Bernd Höcke auch 2017 benutzt, wenn er im Nazi-Sprech vom Denkmal der Schande“ faselt.
Was für ein Unsinn. Niemand ist gezwungen sich mit zeitgeschichtlichen Themen zu beschäftigen. Diese Zeit muß selbstverständlich in der Schule ihren Platz im Geschichtsunterricht haben – und in der Schule gibt es viele Inhalten, die nicht jeden Schüler begeistern – aber nach dem Schulabschluss beruht jede Beschäftigung dem der Zeit zwischen 1933 und 1945 auf Freiwilligkeit.

In einer der unendlich vielen Talkshowrunden zu Martin Walsers Holokaust-Keulen-Gejammer von 2002 saß Prof. Eberhard Jäckel und sagte zu einem der Protagonisten der „Schlußstrich“-Fraktion, die Beschäftigung mit dem Thema „Nationalsozialismus in Deutschland“ sei schließlich freiwillig.
Keiner sei dazu gezwungen sich damit zu beschäftigen, keiner könne einen „Schlußstrich“ verfügen und niemand könne ihn, Prof Jäckel, daran hindern weiter zu dem Thema zu forschen.

Damit war die Phantomdiskussion sehr schön entlarvt.

Es gibt selbstverständlich in Deutschland keinen einheitlichen Wissensstand.
Immer mal wieder zeigen Studien; insbesondere in der ehemaligen DDR; ein dramatisches historisches Unwissen. Breite Schichten der Jugend wissen rein gar nichts über den Zweiten Weltkrieg und das Hitler-Regime.
Andererseits gibt es natürlich eine ganze Reihe Forscher und Interessierte, die immer wieder neue Forschungsergebnisse begierig aufnehmen.
Verblüffender Weise verlangen also diejenigen einen „Schlußstrich“, bei denen bisher ohnehin noch keinerlei Informationen zu dem Thema angekommen sind, während die Personen, die überdurchschnittlich gut über jene Ereignissen informiert sind, umso mehr nach weiteren Informationen gieren.

Das erinnert mich ein wenig an Bundestagsdebatten, die ich immer wieder spannend finde.
Wer am lautesten behauptet „diese Politiker kann ich nicht mehr sehen“, ist in der Regel jemand, der ohnehin nie eine Bundestagsdebatte guckt und gar nicht weiß, daß es den Sender Phoenix gibt.

Wissen geriert Interesse, Nichtwissen geriert Desinteresse.

Je mehr Bücher man liest, desto bewußter wird einem wie wenige Bücher man bisher gelesen hat, wie viel man bisher verpasst hat. (…..)

Immer mal wieder schwappen feuilletonistischen Themenwellen durch Deutschland und offenbaren diese Wissenslücken auf breiter Front.

 Im März 1995 hatte ich das Glück als einer der Ersten die später so berühmte „Wehrmachtsausstellung“ zu besuchen. Der Andrang in der Kampnagelfabrik war enorm. Es herrschte eine sehr kontemplative Stimmung. Besucher aller Alterskohorten scharten sich um die Dokumente, um diese eingehend zu studieren. Meine halbe Familie war mitgekommen und wir alle kauften den ausführlichen Ausstellungskatalog; waren froh und stolz einen Jan-Philipp Reemtsma in Hamburg zu haben, der diese Forschung finanzierte.
Wir ahnten ja nicht, wie sehr in den nächsten beiden Jahren Teile der CDU, fast die gesamte CSU eingehakt mit Republikanern, NPD, DVU und Burschenschaften gegen diese wissenschaftliche Dokumentation Sturm laufen würden. Es war immerhin ein halbes Jahrhundert nach dem Kriegsende vergangen und immer noch hielt offensichtlich die Majorität der Deutschen an der absurden Legende fest, nur die SS habe Verbrechen begangen, während die 18 Millionen Wehrmachtssoldaten ausnahmslos edle Unschuldsengel gewesen wären, die nie einem Juden irgendetwas getan hätten.
Mir fehlte 1995 schlicht die Phantasie, um mir vorzustellen, daß es um diese Frage bundesweit Ausschreitungen geben könnte.

[…..] Als 1997 die Ausstellung in München eröffnet wird, startet CSU-Chef Peter Gauweiler eine Gegenkampagne. Mit Parteifreunden legt er nur wenige Schritte entfernt demonstrativ einen Kranz am Grab des Unbekannten Soldaten nieder. Gegen Jan Philipp Reemtsma, der als Gründer und Vorstand des Instituts für Sozialforschung für die Ausstellung verantwortlich ist, polemisiert Gauweiler, dieser solle besser "eine Ausstellung machen über die Toten und Verletzten, die der Tabak angerichtet hat, den er verkauft hat", anstatt "viele Menschen in ihrer Ehre zu kränken". [….]


Nur ein Jahr nach dem Beginn der Wehrmachtsausstellung erregte Daniel Jonah  Goldhagen die Gemüter.
Vermutlich war ich einer der wenigen Käufer von „Hitlers willige Vollstrecker“ (Siedler 1996), der das Werk tatsächlich gelesen hatte. Natürlich nutzte ich die Gelegenheit ihn am 04.09.1996 auch persönlich bei einer Lesung und Podiumsdiskussion zu treffen.
Ich glaube ihm heute noch; viele Deutsche haben nicht unter Zwang und widerwillig Juden ausgegrenzt und denunziert. Viele taten es gern und aus Überzeugung.
 


In dem Buch „Hitlers Volksstaat“ von 2005 fasste Prof Götz Aly seine bisherigen Untersuchungen zur Arisierung jüdischer Vermögen und der Raubzüge Nazideutschlands zugunsten seiner Bevölkerung zusammen.

[….] Dass Hunger in Deutschland erst in der Nachkriegszeit akut wurde, ist in der einschlägigen Literatur dargestellt worden, aber nicht ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Das gilt erst recht für das Ausmaß der sozialpolitischen und materiellen Beglückungen, mit denen die Nationalsozialisten die "Volksgenossen" bei Laune hielten und Loyalität erzeugten, eine Loyalität, die vielfach sogar den "Untergang" überlebte. Die Finanzierungsmethoden dieses Wohlfahrtsprogramms wurden derart tabuisiert, dass nicht einmal die historische Forschung sie in den Blick nahm. Mit diesem Tabu räumt Götz Aly in seinem neuen Werk auf. Seine zentralen Thesen: Die enorme innere Stabilität und Integrationsleistung des NS-Systems seien weniger durch Gewalt und Repression erzwungen worden, beides sei vielmehr Resultat eines "punktuellen Mitläufertums" und genereller Zufriedenheit. Das nationalsozialistische Deutschland sei eine "Gefälligkeitsdiktatur" gewesen, eine Diktatur, die sich die Zustimmung der Volksgenossen erkaufte und die dafür erforderlichen Ressourcen mit den Mitteln des Raub- und Rassekrieges eintrieb. [….]

Auch das ist kaum zu fassen; erst 60 Jahre nach Kriegsende, Jahrzehnte nachdem erstmals „ein Schlussstrich unter die Vergangenheit“ gefordert wurde, beschäftigte man sich erstmals in der Öffentlichkeit mit den Vermögenswerten, die man in ganz Europa (nicht nur) den Juden geraubt hatte.
Obwohl ich mich mein Leben lang intensiv mit diesem Thema beschäftigt hatte, staunte ich bei der Lektüre von Frank Bajohrs „Arisierungen in Hamburg“ von 1997. Die Hamburger, die angeblich doch gar nichts von Deportationen der Juden gewußt haben wollten, wußten sogar schon vor den Deportierungen so genau Bescheid, daß sich Myriaden Nachbarn vorsorglich bei den Behörden meldeten, um den Besitz der später Ermordeten an sich zu raffen.
„Die Jüdin Frau xy besitzt ein 12 Stück Silberbesteck und zwei Pelzmäntel, die ich haben will“ lauteten detaillierte Schreiben an die Gestapo.

Noch heute weigern sich Firmen jüdische Vorbesitzer zu entschädigen.

Erst 2012 wurde der breiteren Bevölkerung klar, daß in Deutschland Millionen kleine Jungs beschnitten werden und dies nicht mit den Kinderschutzgesetzen in Einklang zu bringen ist.
Ohne irgendeine medizinische Veranlassung aus kruden religiösen Überzeugungen an gesunden Organen herumschneiden und dabei riskieren, daß immer mal wieder ein Kind daran stirbt, oder schwer verletzt wird?
Das geht in einer Demokratie des 21. Jahrhunderts? Auch ich begriff damals erst wie unangenehm  Volker Beck ist.

Opfern wir die körperliche Unversehrtheit Hunderttausender und das Leben einiger weniger Kinder, um einen Konflikt mit „den Juden“ (als ob es keine Beschneidungsgegner unter ihnen gäbe) zu vermeiden?
Angetrieben von Beck, der Kanzlerin („sind keine Komikernation“) und den deutschen Bischöfen entschied der deutsche Bundestag diese Frage mit einem klaren „Ja“. Ich mutmaße, daß der Konflikt mit der zahlenmäßig größeren Gruppe der Muslime in Deutschland eher riskiert worden wäre, wenn sie nicht in diesem Fall mit den Juden in einem Boot gesessen hätten.

Stichwort „Nazi-Raubkunst“. Der Fall Cornelius Gurlitt stammt erst aus den Jahren 2013/2014. Auch 70 Jahre nach dem Krieg sitzen Deutsche immer noch auf der Beute.

Raubkunst im Wert von einer Milliarde Euro gefunden
Jahrzehntelang hatten wertvolle Meisterwerke der Klassischen Moderne in einer Münchner Wohnung gelagert. […..]

Die meisten Kandinskis. Picassos und Klees sind immer noch nicht zurückgegeben.
Stichwort Reparationen Griechenland. Stand 2017, 72 Jahre nach Kriegsende: Immer noch weigert sich die deutsche Bundesregierung das Geld, welches die deutsche Wehrmacht 1944 geraubt hatte zurück zu zahlen.

Prof. Hagen Fleischer, Historiker, Universität Athen:
„Es war eindeutig die blutigste Besatzung von allen nicht-slawischen Ländern. Weit über 30.000 exekutierte Zivilisten, darunter auch viele Frauen und Kinder. Systematisch zerstörte Infrastruktur und Wirtschaft. Plünderorgien, vom Raubbau in den Bergwerken, die für die deutsche Seite interessant war, bis hin zum Abtransport von Olivenöl und von Lebensmitteln. Und daraus resultierten die mindestens 100.000 Hungertoten vom ersten Besatzungswinter.“ 

Die deutschen Besatzer pressten dem ausgeplünderten Land zudem Millionen-Kredite ab. Jeden Monat musste die griechische Nationalbank eine so genannte Zwangsanleihe aufbringen.

Prof. Hagen Fleischer, Historiker, Universität Athen:
„Damit wurden dann vor allem solche Kosten und Ausgaben der Wehrmacht gedeckt, die nicht unter die normalen Besatzungskosten in einem Krieg fallen. Das waren dann die Kosten für die Kriegsführung im östlichen Mittelmeer. Selbst Rommels Nordafrikafeldzug wurde zum Teil von den Griechen mitfinanziert.“

Bemerkenswert ist: Noch kurz vor Kriegsende hatten die Nazis mit der Rückzahlung der Zwangsanleihe begonnen, wie aus Dokumenten hervorgeht, die Hagen Fleischer entdeckt hat. Eine von Nazi-Deutschland selbst berechnete und anerkannte Restschuld von 476 Millionen Reichsmark blieb aber offen.

Heute entspricht das rund 10 Milliarden Euro. Geld, das griechische Regierungen schon seit Jahrzehnten zurückverlangen.

Zwei Sätze, die ich in diesem Blog immer wieder ausgeführt habe, erwähne ich der Vollständigkeit halber auch in diesem Zusammenhang:

1.)
Es gibt keine Kollektivschuld und schon gar nicht ist ein viele Jahre nach dem Krieg geborener Deutscher für die Verbrechen seiner Vorfahren verantwortlich. Kein Twen oder 30er oder 40er trägt persönliche Schuld. Aber er ist dafür verantwortlich diese Dinge nicht zu vergessen und nicht zu wiederholen.

2.)
Selbstverständlich darf und soll man Israel kritisieren.
Dies wird auch schon seit 40 Jahren getan. Wer etwas anderes behauptet, schürt antisemitische Vorurteile und konstruiert aus politischen Gründen fiktive Tabus.

Natürlich ist die Beziehung Deutschlands zu Israel aber nicht normal und das ist auch gut so.

Was hieße eigentlich Normalität? Sind nicht alle Beziehungen zu Staaten besonders?
Und was spricht dagegen gegenüber anderen Ländern jeweils ein besonderes Fingerspitzengefühl anzuwenden?
Dazu gehört es, daß nicht ausgerechnet Deutsche der Israelischen Regierung „Nazi-Methoden“ vorhalten.
Kritik an der Israelischen Siedlungspolitik kann man auf unendlich viele andere Weisen verbalisieren.
Es steht Deutschland überhaupt nicht an den moralischen Zeigefinger zu erheben, so lange hier immer noch so viele Hausaufgaben nicht gemacht wurden.

Deutschland ist kein normales Land, solange sich Juden hier nicht frei bewegen können, wenn sie als solche zu erkennen sind.
Tatsächlich können Menschen aber in weiten Teilen Deutschlands nicht mit Kipa oder Schläfenlocken spazieren oder im Bus fahren, ohne gewalttätige Attacken zu erleben. Jüdische Einrichtungen müssen besonders geschützt und bewacht werden.

Wird ein deutscher Jude oder Israelischer Staatsbürger in Deutschland missbraucht, verletzt, oder verprügelt, wirft man ihm mitunter sogar vor, er habe selbst schuld. Was habe er auch ausgerechnet in Sachsen, ausgerechnet im Fussballverein zu suchen?

Immer wieder ungern erinnere ich mich an den Fall Lutz Battke, den NPD-Stadtrat, Fussballtrainer im 3000-Seelen-Städtchen Laucha an der Unstrut. 
Der Rechtsextreme Battke trainiert nicht nur die Kinder der Stadt, sondern ist außerdem Lauchas Schornsteinfeger, so daß jeder ihn kennt.

Im April 2010 geschah das Ungeheuerliche. Ein 17-Jähriger, der ebenfalls beim Lauchaer Fußballklub BSC 99 mitmachen wollte, wurde von Rechtsradikalen mit der Absicht das „Judenschwein platt zumachen“ schwer verletzt.
Angestiftet waren sie offensichtlich von ihrem Hitler-verehrenden Trainer Battke, der den Neuen aus vollem Herzen hasste, da dessen Mutter aus Israel stammt.

Als der Fall Schlagzeilen macht, stellen sich der  Präsident des BSC 99, Klaus Wege und Lauchas Bürgermeister Michael Bilstein nicht etwa vor das Opfer, sondern geben zu bedenken, was denn ein Jude ausgerechnet im Fussballverein zu suchen habe. 
Jeder wisse doch wie aktiv Trainer Battke in der rechtsradikalen Szene sei.
Einen Grund Battke zu entlassen konnten sie nicht erkennen. 
Er sei schließlich beliebt und ein guter Trainer.
Erst massiver Druck der überregionalen Presse sorgte schließlich dafür, daß Verein und Bürgermeister einknickten und Battke Ende August 2010 doch noch als Trainer entließen. 

Nicht allen Lauchanern gefiel das, Hunderte solidarisierten sich mit dem Geschassten.
Ende 2010 geht Battke sogar in das Rennen um das Bürgermeisteramt. Bei den Kommunalwahlen 2009 hatte die NPD in Laucha 13,5 % erreicht. Kandidat Battke konnte das Ergebnis verdoppeln. (…..)

Solange Deutschland nicht in der Lage oder nicht willens ist die körperliche Unversehrtheit von Schwulen, Dunkelhäutigen oder Juden überall zu garantieren, ist Deutschland kein Land, welches anderen Ländern Vorhaltungen machen darf.

Selbst im liberalen Hamburg wird jüdischen Schülern dringend empfohlen auf dem Weg zu Schule keine Kipa zu tragen, weil dies zu gefährlich wäre.

In Berlin-Friedenau mußte jetzt ein 14-Jähriger die Schule verlassen, weil er Jude ist. Seine Großeltern hatten knapp den Holokaust überlebt und nun ist es wieder nicht sicher für ihren Enkel in Deutschland.
Wo leben wir denn?

[…..] An der Friedenauer Gemeinschaftsschule im Berliner Bezirk Schöneberg wird viel dafür getan, dass alle miteinander klarkommen. […..] Ein 14-jähriger Junge aus einer jüdischen Familie soll über vier Monate dermaßen gemobbt worden sein, dass seine Eltern ihn aus der Schule nehmen mussten. […..]
Der Junge kam gut zurecht - jedenfalls bis er seinen Klassenkameraden erzählte, dass er Jude ist. Danach hätten die anderen begonnen, ihn zu mobben, so die Mutter. Ein Schüler habe zu ihm gesagt, er könne nicht mit ihm befreundet sein, denn "Juden sind alle Mörder". Vor einigen Wochen hätten ihn schließlich zwei weitere Jugendliche an einer Bushaltestelle in den Schwitzkasten genommen, gewürgt und mit einer täuschend echt aussehenden Spielzeugpistole bedroht. Die anderen Schüler hätten zugesehen und gelacht. "Als ich dort war, hatte ich keine Zeit, darüber nachzudenken", wird ihr Sohn zitiert. "Aber im Nachhinein denke ich mir: Oh mein Gott."
[…..] Die Schulleitung schreibt dazu auf ihrer Website, man habe mit "Bedauern und Entsetzen" von dem Übergriff erfahren, "wir verlieren hier einen besonders engagierten und leistungsorientierten Schüler". Als man von den ersten Beschimpfungen erfuhr, habe man versucht, den Vorfall mit der Klasse aufzuarbeiten und die Großeltern des Schülers, Holocaust-Überlebende, eingeladen, um über Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zu sprechen. […..] Es ist nicht der erste Fall dieser Art. Immer wieder kommt es in Berlin zu antisemitischen Übergriffen, an denen türkisch- oder arabischstämmige Jugendliche beteiligt sind. […..] (Verena Mayer, SZ vom 03.04.2017)

Antisemitische Übergriffe sind nicht selten in Deutschland.
Die CDU-Hamburg fordert jetzt sogar eine Meldestelle für antisemitische Vorfälle.
Merkel oder de Maizière sehen allerdings keinen Handlungsbedarf.
Deutschland hat ganz offensichtlich noch nicht gelernt wie man sich zivilisiert benimmt und mit Menschen umgeht. Schlussstrich; haha, von wegen.

[…..] Im vergangenen Jahr hat es in Deutschland mehr als 3500 Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte gegeben. Dabei wurden 560 Menschen verletzt, unter ihnen 43 Kinder. Das berichten die Zeitungen der Funke-Mediengruppe und berufen sich auf eine Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Parlamentsanfrage.
Demnach gab es 2545 Angriffe auf Flüchtlinge außerhalb ihrer Unterkünfte. Hinzu kamen 988 Angriffe auf Flüchtlingsheime - das waren geringfügig weniger als im Vorjahr (1031 Angriffe). Zudem wurden 217 Mal Hilfsorganisationen oder freiwillige Asyl-Helfer attackiert. […..]

Samstag, 1. April 2017

Impudenz des Monats März 2017



Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.

Die größten Idioten der Welt sind diesmal die Trump-Fans, die ihm immer noch frenetisch zujubeln. 35 % Approvalrating genießt der Mann immer noch.


Warum?

Aus Sicht eines Amerikaners mit einem IQ über Zimmertemperatur könnte man sich eigentlich freuen, weil Trump wenigstens genauso stinkend faul ist, wie man es erwartet hatte.
 Von 60 Amtstagen verbrachte er 15 beim Golfspielen. Die Wochenenden verbringt er chillend in Florida und auf Aktenstudium hat er sowieso schon mal keine Lust.

Gesetzgebung ist ihm zu kompliziert. Er verwendet lieber Anordnungen und selbst die vergisst er neuerdings zu unterschreiben.

[…..] President Donald Trump abruptly walked out of the Oval Office Friday without signing executive orders on trade, as he dodged questions about whether he wants the Department of Justice to grant immunity to Michael Flynn, his former national security adviser.
Mr. Trump didn’t acknowledge questions from CBS News’ chief White House correspondent Major Garrett as he stepped out of the Oval Office and into the next room, leaving a folder with the orders on his desk. Vice President Mike Pence snatched the folder and followed him out the door. […..]

Befände sich Trump in der Opposition, wäre eine möglichst große Faulheit natürlich zu begrüßen; so wie beim Hamburger AfD-Fraktionschef Kruse.

Der beste aktive AfD-Politiker ist zweifellos der Hamburger Fraktionschef Jörn Kruse, der während seiner Amtszeit für mehrere Monate in die USA zog und einfach von Kalifornien aus seine dreifachen Abgeordnetenbezüge (als Fraktionsvorsitzender) kassierte, ohne sich auch nur auf demselben Kontinent des Parlaments zu befinden, für das er als Volksvertreter gewählt und bezahlt wurde.

(……) Ich weiß nicht was CDU und SPD zu meckern haben wegen der 24.000 Euro, die Kruse kassiert.
Mir ist es lieber, wenn die AfD abkassiert und nicht im Parlament erscheint, als wenn sie das Geld nimmt und auch noch zu den Sitzungen erscheint; da womöglich sogar redet.

„Die Arbeit leidet nicht“, sagt Bernd Baumann, der als stellvertretender Vorsitzender zusammen mit Ex-Schill-Innensenator Dirk Nockemann nun die Fraktion leitet. „Wir sind täglich in Kontakt.“ Auf telefonische Anfragen der taz antwortete der 67-Jährige indes nicht.
Aus Sicht der Bürgerschaftskanzlei gibt es formal kein Problem: „Die Abgeordneten verfügen über ein freies Mandat“, sagt Ulfert Kaphengst, Sprecher von Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD). Sie seien „nur ihrem Gewissen und ihren Wählern verantwortlich“. Insofern bestehe für Volksvertreter auch keine Anwesenheitspflicht in Plenarsitzungen und Ausschüssen. Ihre vollen Diäten erhielten sie weiterhin. Bei Kruse sind dies gut 8.000 Euro monatlich, da er als Fraktionsvorsitzender die dreifache Diät eines einfachen Parlamentariers erhält. Begründet wird die Höhe dieser Vergütung im Abgeordnetengesetz damit, dass der Posten des Fraktionschefs ein „Vollzeitjob“ sei – zumindest in der Theorie.
Kruse hat Parlamentspräsidentin Veit am 12. November 2015 über seine Auszeit informiert. Die habe das „zur Kenntnis genommen“, sagt ihr Sprecher Kaphengst, zu erlauben oder zu untersagen habe sie nichts. Kruse habe bislang keinen bleibenden Eindruck im Parlament hinterlassen, spottet FDP-Fraktionschefin Katja Suding: „Sein dreimonatiger Auslandsaufenthalt dürfte deshalb wohl kaum auffallen.“ Ähnlich sieht das auch der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Kienscherf.

Ich wünschte, Höcke, Gauland und Petry nähmen sich ein Beispiel an dem Hamburger Kollegen und verschwänden für Monate aus Deutschland.
Ach was für Monate.
Wenn sie nie wieder kommen, ist das immer noch früh genug.
Das sollte dem Steuerzahler einiges wert sein! (…..)

Die Hamburger AfD-Fraktionen schwänzt entweder – fast nie sind AfD-Abgeordnete in den  Bürgerschaftssitzungen oder Ausschüssen anwesend. Sie betreiben weitgehend Arbeitsverweigerung.
Oder sie talibanisieren den Parlamentsbetrieb mit Gaga-Anfragen, um ihre politische Untauglichkeit zu demonstrieren. (……)

Trump agiert allerdings nicht für eine winzige Oppositionsfraktion eines Regionalparlaments, sondern ist der Kopf der Exekutive einer Supermacht.

Wenn der Chef ausspannt, drücken Bannon, Conway und Miller die Knöpfe. Das ist womöglich sogar noch schlimmer als No45 persönlich.


Die Unfähigkeit der Trumpschen Chaostruppe und ihre mangelnde Arbeitsmoral führen zu erstaunlicher Sprachlosigkeit.
Bei der Münchner Sicherheitskonferenz dieses Februars bettelten Diplomaten um die Visitenkarten der amerikanischen Delegation, weil sie immer noch keinerlei Ansprechpartner in der neuen US-Regierung hatten.
Die deutsche Regierung wartet immer noch.

[….] Die Bundesregierung hat Trumps Handelspolitik scharf kritisiert. Wenn er durch Zölle deutsche Maschinen in den USA teurer mache, schade er vor allem der dortigen Industrie, so Ministerin Zypries. [….] " Ein großes Problem sei derzeit aber auch, dass es noch immer keinen US-Handelsbeauftragten gebe, auch auf Arbeitsebene seien Hunderte Stellen nicht besetzt. "Wir haben also oft schlicht noch keine Ansprechpartner." [….]

Trump scheitert also schon an den absoluten Basics. Dem formalen Regieren an sich. Er ist noch nicht mal in der Lage ein personelles Gerüst zu errichten, um den amerikanischen Regierungsapparat überhaupt in Gang zu setzen.

Wie wir inzwischen alle wissen hält Nummer 45 regieren für faktenfreies Geplapper.
Natürlich funktioniert das in der echten Realität nicht.

[….] Donald Trump’s Ignorance Extends to Foreign Affairs. That’s A Big Problem.
The president’s meeting with Germany’s Angela Merkel offers a window into the foreign policy perils of a fact-free presidency.
Germany’s chancellor stood just a few feet away as President Donald Trump said her country’s trade negotiators had done a much better job than their American counterparts, but he would change that.
“Hopefully we can even it out,” Trump said. “We don’t want victory, we want fairness. All I want is fairness.”
If Angela Merkel appeared confused, she had good reason to be. A line that had worked brilliantly for Trump on the campaign trail was not working so well on the world stage.
Germany has no trade deal with the United States.
Nor does it owe the U.S. “vast sums of money,” as Trump reportedly insisted during his March 17 meeting with Merkel and then claimed in a tweet the following day.
And while Trump’s apologists last year explained how Americans needed to take his words seriously but not literally, the rest of the world could be on the verge of taking him neither literally nor seriously ― alarming foreign policy experts on both sides of the Atlantic.
“The fact that our president didn’t know we didn’t have a trade deal with Germany is mind-boggling,” said Yael Eisenstat, a former national security aide to Vice President Joe Biden.
“He doesn’t know anything about American trade. Let alone German trade,” said Thomas Mann, a political scientist with the liberal-leaning Brookings Institution. “His knowledge comes from his own experience in his businesses and a few anecdotes. And then he picks up things from what he sees on cable news.” […..]

 Den gemeinen Trump-wählenden Hinterwäldler wird der Fakt, daß es gar keine Handelsabkommen zwischen Deutschland und der USA gibt sicher nie erreichen. Sie glauben eher Trumps Pöbeleien wider die fürchterlichen Trade-Deals.
Während der Rest der Welt also immer noch darauf wartet, daß Washington arbeitsfähig wird und die vakanten Stellen besetzt, können die Amerikaner schon deutlich erkennen verarscht worden zu sein.

On his first day in office, Trump broke 34 promises
The new president made 36 promises about his first day, but kept only two of them. […..] [….]

Keine der wolkigen Ankündigungen Trumps wurde umgesetzt. Der Mann bricht alle seine Versprechen, respektive er scheitert bei deren Umsetzung.

Fully repeal and replace Obamacare
Status:   Promise broken

Defeat ISIS within 30 days.
Status: Promise broken

Make two- and four-year college more affordable
Status: Promise broken

Expand vocational and technical education
Status:  Stuck

Suspend immigration from terror-prone regions where vetting cannot safely occur
Status: Stuck

Prosecuting Hillary Clinton
Status: Promise broken

Deporting every single undocumented and illegal immigrants
Status: Stuck

Approve waterboarding "immediately" and "make it also much worse" because "torture works".
Status: Promise broken

Get rid of the Iran-Deal at the first day.
Status: Promise broken

Impose a five-year ban on White House and congressional officials becoming lobbyists after they leave government service
Status: Promise broken

Er lügt wie gedruckt. Ignoriert alle Wahlversprechen.

Faszinierenderweise stört es das Drittel der Amerikaner, die Trump immer noch bejubeln gar nicht, nach Strich und Faden verarscht zu werden.

Hartnäckig bejubeln sie Trumps totales Desaster.

(60 Sekunden Zusammenfassung)

(Sieben Minuten Clip)

Es gibt Umfragen, die belegen, daß große Teile der republikanischen Wähler selbst bei Beweisen für eine Kooperation zwischen Trump und Putin zu Manipulation der US-Wahl darin keinen Rücktrittsgrund für ihn sehen.
Legal, illegal, scheißegal.



Freitag, 31. März 2017

Reich fallen.



Das ist das Schöne an einen Job im Bundeskabinett unter Angela Merkel; man kann noch so grotesk versagen, auf noch so abenteuerliche Weise unqualifiziert sein; die Chefin stört das nicht.
Man kann maximalen Stumpfsinn verzapfen und bleibt wie Alexander Dobrindt doch immer Minister.
Das klappt sogar noch eine Ebene höher. Wie oft schon hat sich Günther Oettinger als größter Depp Europas bewiesen – und dennoch beläßt Merkel ihn kontinuierlich auf den mächtigsten Posten, den ein Deutscher in der EU besetzt.
Ohne irgendwelche Europapolitische Erfahrungen stieg der Mann im Februar 2010 zum EU-Energiekommissar auf, debakuliert nun seit mehr als sieben Jahren auf höchster Ebene. Der Mann dreht frei. Merkel ist es offensichtlich Wurscht.

Franz Josef Jung, Kristina Schröder, Ronald Pofalla, Michl Glos, Hermann Gröhe, Thomas de Maizière, Hans Peter Friedrich, Peter Ramsauer – die Liste ihrer kapitalen Kabinetts-Fehlbesetzungen ist lang.

Nicht nur läßt Merkel ihre Kabinettsflaschen gewähren, nein anschließend wird auch noch richtig dreist Lobbyismus betrieben.
Merkel hat nach 27 Jahren in der ersten Reihe der Politik immer noch nicht das geringste Gespür für politische Hygiene entwickelt.
Ackermann-Geburtstagssause im Kanzleramt, fliegende Wechsel von den Toppositionen im öffentlichen Rundfunk in die Regierung und zurück, Lobbyisten schreiben direkt in den Ministerien ihre Gesetze, Minister werden Lobbyisten.
Geschmäckle egal.

[…..] Der ehemalige Verteidigungsminister und Rheingauer CDU-Politiker Franz Josef Jung (CDU) soll in den Aufsichtsrat des Rüstungskonzerns Rheinmetall einziehen. "Kein gutes Signal", finden Kritiker.
Der 68 Jahre alte CDU-Politiker Jung solle auf der Hauptversammlung am 9. Mai in das Kontrollgremium des Rüstungskonzerns gewählt werden, berichtete Die Welt am Freitag. Ein Rheinmetall-Sprecher begründete die geplante Berufung mit der Expertise von Jung im Verteidigungsbereich. Die Anti-Korruptions-Organisation LobbyControl kritisierte die Personalie.
"Es ist nicht überraschend, aber zugleich bedauerlich, dass nun mit Herrn Jung ein weiterer Ex-Minister bei Rheinmetall anheuert", sagte LobbyControl-Sprecher Timo Lange dem Tagesspiegel. Der Rüstungskonzern, der zugleich auch Automobilzulieferer ist, baue damit sein politisches Kontaktnetzwerk weiter aus.
Dass gerade ein ehemaliger Verteidigungsminister zu einem Rüstungsunternehmen wechsle, "sendet aber kein gutes Signal", betonte Lange. "Hier hätten wir von Herrn Jung mehr Fingerspitzengefühl erwartet." Rein rechtlich gesehen, sei die Personalie aufgrund des langen Abstands zu seiner Zeit als Minister aber nicht zu beanstanden. [….]

Es verwundert wenig angesichts der Merkelschen Rüstungsexport-Rekorde, daß engste Bande zwischen CDU-Regierungsmitgliedern und der Waffenindustirie bestehen.
Man kennt das ja von der Kanzlerin.

Völlig ungeniert halten Unions- und FDP-Minister die Hände auf; lassen sich schmieren.

Seit November weiß Merkel, daß Pofalla beim Staatskonzern Deutsche Bahn richtig abkassieren will und kam trotz der Vorgängerfälle Hildegard Müller und Ecki von Klaeden nicht auf die Idee, daß es ein schlechtes Licht auf sie wirft.
Ist es ihr egal, was man über ihre Moral denkt?
Oder denkt sie sich (womöglich zu Recht), daß sie so extrem adoriert wird, daß an ihr doch nie etwas hängenbleibt?

Warum sollte man ihre Teflonbeschichtung auch ausgerechnet im Jahr Neun ihrer Kanzlerschaft erste Kratzer zufügen?
Ausgerechnet jetzt, während sie einen völlig willenlosen und willfährigen Koalitionspartner hat, der devot und still die causa Pofalla mitmacht.

[….] Bei Klaeden und Pofalla zeigt die Kanzlerin überraschende Schwächen in politischen Stilfragen.
Neulich beim kleinen Parteitag der CDU machte Angela Merkel während des Einzugs in den Tagungssaal plötzlich einen Abstecher von der vorgesehenen Route. Die Kanzlerin zwängte sich in eine der ziemlich engen Delegiertenreihen und reichte einer dunkelhaarigen Frau die Hand. "Ich muss ja die Wirtschaft begrüßen", sagte Merkel fröhlich in die Gesichter der umstehenden Parteifreunde, die nicht persönlich willkommen geheißen wurden. Die Frau hieß Hildegard Müller, war in Merkels erster Regierung drei Jahre lang Staatsministerin im Kanzleramt, galt als Vertraute der Chefin - und wechselte 2008 als Geschäftsführerin zum Hauptverband der Energie- und Wasserwirtschaft.
Aus Sicht mancher Kritiker war Müller eine Art Eva in der Beziehungsgeschichte zwischen dem Kanzleramt Merkels und der äußeren Welt, weil sie als Erste der Versuchung nicht widerstand, ihr politisches Amt gegen einen anderen Posten einzutauschen. [….]
Von Hildegard Müller zum mutmaßlichen neuen Bahn-Vorstand Ronald Pofalla zieht sich seither jedenfalls eine Kette aus ehemaligen engen und engsten Mitarbeitern Merkels, deren Gemeinsamkeit zunächst darin besteht, dass sie es alle nicht so lange im Kanzleramt ausgehalten haben wie die Frau, für die sie arbeiteten.
Man könnte es aber auch so sehen, dass Merkel in acht Jahren Kanzlerschaft ein Netzwerk von Vertrauten in einflussreichen Positionen geknüpft hat: Müller verdingte sich bei der Stromindustrie; ihren Wirtschaftsberater Jens Weidmann machte Merkel zum Bundesbankpräsidenten; ihr erster Regierungssprecher Ulrich Wilhelm wurde Intendant des Bayerischen Rundfunks; Ex-Staatsminister Eckart von Klaeden arbeitet jetzt als Cheflobbyist der Daimler AG - und Ronald Pofalla künftig in vergleichbarer Position bei der Bahn. [….]

So beschädigt Merkel das Image der Politik
Im Fall Pofalla möchte Merkel Abstand zeigen, ohne Abstand zu nehmen. Man kann nur hoffen, dass sie damit nicht durchkommt. Denn als Regierungschefin ist die Kanzlerin mit für die Affäre verantwortlich.
[….] Merkel lässt ausrichten, sie habe dem Ex-Minister "ihren Überzeugungen entsprechend" geraten, vor einem Wechsel eine "gewisse zeitliche Distanz" herzustellen. Dass es diese Distanz nun nicht gibt, will sie aber nicht kritisieren. Merkel möchte Abstand zeigen, ohne Abstand zu nehmen.
Man kann nur hoffen, dass die Kanzlerin mit dieser Pontia-Pilatus-Nummer nicht durchkommt. Denn der Fall offenbart nicht nur eine erschütternde Stillosigkeit im Umgang mit höchsten Staatsämtern, er schadet auch der Akzeptanz des gesamten politischen Systems. [….] Die Kanzlerin hat Staatsminister Eckart von Klaeden selbst nach der Ankündigung des Wechsels zu Daimler nicht entlassen. Und jetzt durfte sich auch noch Pofalla aus dem Kanzleramt heraus um einen hochdotierten Job bemühen. [….]

Merkel empfindet allerdings immer weniger Scham und Anstand.
Wieder geht einer ihrer engsten Mitarbeiter, der vorher die perfekten Industrie-freundlichen Regelungen formulierte auf direktem Weg zu den Auftraggebern – als hätte es die Fälle Pofalla, von Klaeden und Müller nie gegeben.

CDU-Staatssekretär Steffen Kampeter wird Cheflobbyist der Arbeitgeber. Der CDU-Staatssekretär im Bundesfinanzministerium startet im nächsten Jahr.
Die meisten Menschen kennen Reinhard Göhner nicht, aber Reinhard Göhner kennt so ziemlich alle Menschen, die in Berlin wichtig sind. Kein anderer Lobbyist in der Hauptstadt ist so gut vernetzt wie der Hauptgeschäftsführer der BDA, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. 19 Jahre hat Göhner, einst Staatssekretär im Bundesjustiz- und im Bundeswirtschaftsministerium, diesen einflussreichen Job ausgeübt; und er wird ihn, wie die BDA am Dienstag bekannt gab, im Juli 2016 an jemanden übergeben, der - wenn man die Lebensläufe vergleicht - geradezu prädestiniert ist dafür.
Auch Steffen Kampeter, 52, ist Parlamentarischer Staatssekretär; auch er gehört der CDU an und saß viele Jahre, genauer genommen: ein Vierteljahrhundert, im Bundestag; auch er wurde in Ostwestfalen geboren: nicht in Bünde, so wie Göhner, aber nur 35 Kilometer entfernt in Minden. Und noch etwas hat Kampeter mit seinem Vorgänger gemein: Er ist bestens vernetzt; in der Politik, in der Wirtschaft, in den Medien; er ist einer, der seine Kontakte hegt, sie pflegt und sie zu nutzen weiß. [….]

All das kann man in den ganz normalen Nachrichten verfolgen, den ganz normalen Zeitungen lesen.
Aber es tut Merkels Maxi-Popularität nicht den geringsten Abbruch.
Die Deutschen wollen offensichtlich verarscht werden.