Samstag, 16. April 2016

Unbelehrbare Welt.


So genau weiß man es gar nicht wie viele Menschen jeden Tag verhungern, obwohl die Erde locker die dreifache Anzahl Individuen ernähren könnte.

(….) So nehmen wir auch die Millionen Menschen hin, die jedes Jahr elend an Hunger verrecken.
Es sind 10.000 -20.000 Kinder, die jeden Tag auf der Welt verhungern. Früher waren es mal 30.000 JEDEN TAG. Wer weiß das schon so genau? Wer zählt nach? Was zählt ein Kind überhaupt? Insbesondere wenn es ein Afrikanisches oder Nordkoreanisches ist? Das sind dann keine Gründe für „den Westen“ seine Agrarpolitik dahingehend zu ändern, daß der Hunger beendet werden könnte. (…..)

Verreckte Kinder interessieren uns rein gar nicht, wenn sie sich hinter anonymen Zahlen verstecken und unseren Lebensstandard nicht mit ihrem Elend bedrohen.

[…]  Viele Menschen haben gar keine klaren politischen Vorstellungen. Aber sie sagen: Etwas stimmt nicht auf einem Planeten, auf dem alle fünf Sekunden ein Kind verhungert. In einer Welt, in der ein Prozent der Weltbevölkerung so viele Vermögenswerte besitzt wie die restlichen 99 Prozent. Da ist eine Unruhe. Schließlich hat jeder ein Gewissen.
[…]  Natürlich, die Konsequenzen der neoliberalen Wahnidee sind mörderisch. Menschen sterben. Nicht virtuell, sondern tatsächlich. 57 000 pro Tag. Punkt. […] Armageddon, die letzte Schlacht, die steht bevor. Wenn das transatlantische Handelsabkommen TTIP durchkommt, dann ist es vorbei mit der Demokratie. […] Dass Kinder verhungern, das war in den vergangenen Jahrzehnten immer weit weg. Jenseits der Meere. Jetzt sagt Unicef, dass 11,8 Prozent der Kinder unter zehn Jahren in Spanien permanent unterernährt sind. In Spanien! Das ist der Dschungel, und der […] Ach, die G7. Was die tun, ist uninteressant. Von dem, was in Heiligendamm im Jahr 2007 beschlossen wurde, wurde nichts umgesetzt. Die G7, das sind nur die Befehlsempfänger und ihre Befehle bekommen sie von den Konzernen.   […]
 (Jean Ziegler in der SZ am 04.06.15)

Verreckende Kinder sind allerdings dann ein Problem, wenn ihre Eltern mobil genug sind, um sich bis nach Europa durchzuschlagen.
Wir, die EU, wollen das Elend nämlich auf keinen Fall sehen.
Wenn Arme, Verzweifelte, Hungernde, durch deutsche Waffen Ausgebombte es bis in die EU schaffen, verfallen 500 Millionen Europäer in Kollektiv-Hysterie, wählen rechtsradikal, bewaffnen sich, befestigen Grenzen und bringen ihre Regierungen dazu mit schäbigen Deals die Armen wieder außer Sichtweite zu schieben.
Wenn die Myriaden Frauen und Kinder schön weit weg krepieren – im Mittelmeer, in der Türkei oder den Syrischen Anrainer-Staaten, gratulieren wir uns zu dieser erfolgreichen Politik, der Innenminister befindet wir wären „auf gutem Wege“ und die Beliebtheit der Kanzlerin steigt wieder in gewohnte Höhen.

Wäre Merkel zu strategischem Denken fähig, hätte Deutschland nicht in der letzten Dekade die außenpolitischen Beziehungen so eingefroren, daß gemeinsames Handeln kaum noch möglich ist, könnte man natürlich angesichts sich anbahnender menschlicher Superkatastrophen vorausschauend handeln, Verhungernde und Kriegsflüchtlinge rechtszeitig versorgen, bevor sie notgedrungen gen EU pilgern und im Mittelmeer ertrinken.
Schließlich fallen die Krisen nicht vom Himmel sondern bahnen sich lange an.
Aber Merkels Strategie des prinzipiellen Phlegmas, die scheinbar vom Wähler so geliebt wird, hilft da leider gar nicht.

[….] "Die meisten Ereignisse sind Vorwegnahmen anderer Ereignisse, oder Teile dieser Ereignisse." Ein Beispiel für diese Sorte Ereignis, das andere Ereignisse vorwegnimmt, ist die Entscheidung des "World Food Programme" (WFP) der Vereinten Nationen im Jahr 2015, die monatlichen Zuschüsse zu den Lebensmittelkarten für syrische Flüchtlinge zu kürzen. Konnte eine Flüchtlingsfamilie im Sommer 2014 noch Nahrungsmittel und Hygieneartikel im Wert von rund 25 Dollar pro Mitglied mit ihrer Karte beziehen, war es ein Jahr später nur noch die Hälfte. Dieses Ereignis war wiederum nur die Folge eines anderen Ereignisses, nämlich der mangelnden Spendenbereitschaft internationaler Geber, die trotz eindringlicher Bitten des WFP das nötige Geld nicht aufbrachten und so das Budget immer weiter sinken ließen - bis eben die Unterstützung für syrische Flüchtlinge gekürzt werden musste. Erst um ein Drittel, dann noch einmal bis auf erbärmliche zwölf Dollar im Monat.
Die Ereignisse danach sind bekannt: Statt zu verhungern, wagten syrische Familien zu Hunderttausenden den Aufbruch nach Europa. Anschließend waren sich alle einig, dass es günstiger gewesen wäre, dieser verzweifelten Fluchtbewegung zuvorzukommen. Alle waren sich auch einig, dass dieses Ereignis hätte antizipiert und vermieden werden können, wenn die Hinweise des WFP auf die drohende Katastrophe ernst genommen worden wäre. Bundeskanzlerin Angela Merkel gestand bemerkenswert zerknirscht ein: "Hier haben wir alle miteinander - und ich schließe mich da mit ein - nicht gesehen, dass die internationalen Programme nicht ausreichend finanziert waren." [….]

Brüssel und Berlin werden aber nicht nur von Paralyse und Apathie geplagt, sondern sind zudem auch noch lernunfähig.

Dabei müßte Merkel nicht etwa erst Sherpas aus ihrem eigenen Kanzleramt losschicken, um zu erfahren, wo in der Welt das nächste Ungemach droht.
Peter Altmaier kann in Berlin bleiben; längst haben sich Agenturen darauf spezialisiert die Nahrungsmittelversorgung in allen Teile der Welt zu beobachten und zu analysieren.

Ein Blick auf Wikipdia genügt.

FEWS NET, the Famine Early Warning Systems Network, is a leading provider of information and analysis on food insecurity. Created in 1985 by the US Agency for International Development (USAID), and the US Department of State, after devastating famines in East and West Africa, FEWS NET today is a valuable resource to a vast community of governments, international relief agencies, NGOs, journalists, and researchers planning for, responding to, and reporting on humanitarian crises. [….]

Vor 30 Jahren, wir erinnern uns an die Live-Aid-Konzerte, die Bilder von den Marasmus-Kindern, verhungerten allein in Ostafrika über eine halbe Million Kinder.

In Eritrea, dem Sudan, dem Südsudan, dem Jemen und Äthiopien herrschen inzwischen noch schlimmere Verhältnisse.

[…..] Äthiopische Farmer, die diese [1985 – T.] Katastrophe überlebt haben, bezeichnen die derzeitige Dürre schon jetzt als weitaus schlimmer als alle vergangenen. Nach einer Reise in die östliche Region Äthiopiens Anfang April erklärte eine Sprecherin von "Catholic Relief Services": "Die Landschaft sieht apokalyptisch aus - alles Staub und Steine. Überall liegen tote Rinder zwischen Kakteen. Es gibt mehr tote Tiere, als die Hyänen verzehren können." Und das ist nur Äthiopien. […]

Wir tun aber wieder einmal nichts, stellen nicht genügend Mittel für die Lebensmittelversorgung zur Verfügung und wundern uns was all diese Eritreer plötzlich nach Europa treibt.

Das "World Food Program" (WFP) ist katastrophal unterfinanziert, es ist den westlichen Ländern offensichtlich nicht wichtig genug.

An assessment of historical rainfall data indicates that central/eastern Ethiopia has experienced the worst drought in more than 50 years. As a result, a major food security Emergency is expected to persist through much of 2016. This report presents a series of maps which illustrate the extent and the severity of the drought as well as its impacts on water availability, crop and rangeland conditions, and food security.

    Moving into the typical lean season period, broad areas of northern Greater Upper Nile will be in Emergency (IPC Phase 4), with households facing an increased risk for high levels of malnutrition and excess mortality. Some households in central Unity State are expected to be facing an extreme lack of food and are in Catastrophe (IPC Phase 5).

    The shortage of foreign currency and consistent depreciation of the South Sudanese Pound continue to make importing food commodities difficult. In the face of restricted supply of foreign exchange and depreciation of the South Sudanese Pound, local food prices continue to increase, constraining household market access. The price of 3.5 kg of sorghum in Rumbek was 70-80 SSP in March, 300 percent higher than the pre-crisis price.

    Concern for urban food insecurity remains high where many households are completely dependent on markets to access food and are unable to supplement their consumption through farming or livestock rearing. However, income-earning opportunities remain significantly below average. Additionally, the South Sudanese Pound further depreciated from 21.6 SSP/USD in mid-March to 32.2 SSP/USD on April 1st, further reducing the purchasing capacity of urban households.

    On March 29th, the Sudanese Government again closed its border with South Sudan, after opening the border in January for the first time since 2011. The open border had prompted a large number of people from Northern Bahr el Ghazal to migrate to Sudan in search of income-earning opportunities and greater food access. Increased migration from Eastern Equatoria to Uganda and Kenya was also reported in March.

Fluchtursachen bekämpfen?
Das tut ohnehin niemand.

Aber wir, Deutschland, die EU, sind noch nicht einmal bereit bei den akuten Symptomen, den mörderischen Hungerkatastrophen helfend einzugreifen.

Freitag, 15. April 2016

Wie mich die allgemeine Verblödung nervt.



Natürlich und völlig zu Recht empören sich heute viele Journalisten über die Anti-Böhmermann-Entscheidung der Kanzlerin.
Ich schließe mich dem an.

Es gibt eine zweite Gruppe, die sehr viel empörter über das „Schmähgedicht“ an sich sind und immer wieder einzelne Zeilen zitieren. So würden sie sich auch nicht beschimpfen lassen und im Übrigen wäre es rassistisch, weil damit alle 78 Millionen Türken diskriminiert würden.

Das ist schon erstaunlich, wie viele Menschen nach zwei Wochen des medialen Dauerfeuers immer noch nicht begriffen haben worum es geht: Böhmermann zeigte auf was erlaubte Satire ist und grenzte dagegen verbotene „Schmähkritik“ ab, die er zur Illustration mit bösem Gesicht vortrug; immer betonend, daß man dazu nicht klatschen dürfe, daß dies nicht erlaubt sei. Selbst ein juristisch hochgebildeter Heribert Prantl, der zu Recht fordert den Schahparagraphen abzuschaffen, kann es sich nicht verkneifen immer wieder drauf hin zu weisen wie abscheulich und dumm er diesen kleinen Teil aus Böhmermanns Satire findet.
Dabei ist es juristisch selbstverständlich vollkommen irrelevant ob irgendeinem dieses „Schmähgedicht“ gefällt. Satire muß überhaupt niemand gefallen. Auch wenn jeder einzelne Mensch des Planeten Böhmermanns Satire-Strecke schlecht findet, wäre das noch lange kein Grund sie zu verbieten.

Ein dritte Gruppe Journalisten mischt sich nicht in die persönliche Bewertung der Causa ein, geriert sich aber als besonders schlau, indem sie allen Anderen Unwissenheit unterstellt, weil diese eine Entscheidung des Gerichts vorweg nähmen. Es wäre doch sehr schlau von der Kanzlerin nun den Fall in die Hand unabhängiger Richter abzugeben und ob die gegen Böhmermann entschieden, wäre schließlich noch offen.

Beispiele:

Die Bundesregierung überlässt das Urteil deutschen Gerichten. Gelingt mir beim besten Willen nicht, mich darüber zu empören.
(Stefan Niggemeier 13:14 - 15 Apr 2016)

Merkels Entscheidung ist richtig: Im Fall Böhmermann muss die Justiz urteilen, nicht die Politik. Ein Maulkorb für Satire ist das aber nicht.

Greven und Niggemeier verstehen offenbar nicht, daß die juristische Klärung ohnehin auf dem Wege des § 185 StGB erfolgt. Erdogan hatte Böhmermann schließlich auch schon privat wegen Beleidigung verklagt.
Dafür ist der § 185 StGB da; unabhängige Gerichte klären, ob es sich um eine erlaubte Äußerung handelt, oder strafbar beleidigend ist.

Die Kanzlerin hat nun aber – gegen den ausdrücklich Protest ihres SPD-Außenminister, ihres SPD-Vizekanzlers und ihres SPD-Justizministers – noch zusätzlich eine juristische Prüfung über den § 103 StGB freigemacht. Die Besonderheit dieses Paragraphs liegt eben darin, daß der Strafrahmen extrem hoch ist und daß Ermittlungen der Zustimmung der Bundesregierung bedürfen. Die ist in diesem Fall eben nicht neutral, weil Merkel schon vor zwei Wochen in vorauseilendem Gehorsam Böhmermann verurteilt hatte, indem sie der türkischen Regierung erklärte das „Schmähgedicht“ wäre „bewußt verletzend“.
Abgesehen davon, daß also Merkel auch zu denen gehört, die offensichtlich die gesamte satirische Strecke gar nicht gesehen und daher den Zusammenhang nicht verstanden hatte, hätte sie als Exekutive keine juristisch Bewertung vorab vornehmen dürfen, bevor sie eben diesen von ihr schon schuldig Gesprochenen mit der Autorität der Kanzlerin der Judikative vorwirft.

Rechtsanwalt Ströbele erklärt das wunderbar:

Die Kanzlerin will Erdogan milde stimmen und verheddert sich. Presse- und Meinungsfreiheit drohen auf der Strecke zu bleiben. Sie entscheidet politisch, die Ermächtigung zu erteilen, daß Böhmermann nun auch nach § 103 StGB wegen Beleidigung des türkischen Präsidenten Erdogan mit einer höheren Strafdrohung Freiheitsstrafe von 3 bis 5 Jahren verfolgt werden kann. Danach klingen Ihre Beschwörungen des hohen Wertes von Pressefreiheit, Meinungs- und Satirefreiheit hohl. Die Begründung, die unabhängige Justiz - Staatsanwaltschaft und Gericht - sollten entscheiden, ob eine strafbare Beleidigung vorliegt, rechtfertigt ihre Entscheidung keineswegs. Die Justiz entscheidet sowieso, nachdem Erdogan Strafantrag gestellt hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und prüft, ob Anklage wegen Beleidigung nach § 185 StGB erhoben wird. Völlig absurd, daß die Kanzlerin den Weg frei macht für die Anwendung der Strafvorschrift, die sie selbst für entbehrlich hält und abschaffen wird. Das alles nur, um Erdogan milde zu stimmen.

Wie ist die Angelegenheit aber politisch zu bewerten?
Hat nicht Herr Erdogan ein Eigentor geschossen, weil er eine kleine Spartensender-Sendung mit homöopathischen Einschaltquoten erst bekannt gemacht hat? 99% der Menschen, die jetzt über die angeblichen Beleidigungen Erdogans reden, wüßten gar nichts davon, wenn der türkische Präsident sie nicht selbst so aufgebauscht hätte.
Ist Erdogan etwa genauso dumm wie Joseph Ratzinger, der im Juli 2012 mit seiner Klage gegen die Titanic ein ihn schmähendes Bild, das sonst gar nicht bemerkt worden wäre, erst bundesweit bekannt gemacht hatte?

In diese Richtung dachte Claus Kleber vor einigen Tagen, als er Michael-Hubertus von Sprenger,  den Anwalt von Erdoğan, grillte.


Ein interessanter, aber irrelevanter Gedanke. Ich bin überzeugt, daß es Erdoğan persönlich recht gleichgültig ist was ein ihm unbekannter Nachwuchssatiriker in einem Minisender erzählt.
Dem türkischen Präsidenten geht es um eine Machtdemonstration und um Rache.

Als er 2003 Regierungschef wurde, ging er mit großen Schritten auf die Europa zu, krempelte sein Land um, liberalisierte und generierte ein gewaltiges Wirtschaftswachstum. Die EU-Mitgliedschaft war der Türkei schon lange versprochen worden.
2005 kam dann aber Merkel ins Amt und trat ihm mit Wucht ins Schienbein.
Sie bedeutete ihm, daß 40 Jahre Versprechungen nicht zählten, daß sie die Türkei generell für zu minderwertig hielte, um jemals zur EU zu gehören, allenfalls eine „privilegierte Partnerschaft" sei drin.
Erdoğan wurde durch die Kanzlerin schwer gedemütigt. Offensichtlich wuchs sich diese Kränkung im Laufe der Jahre zu einer echten Psychose aus. Jahr für Jahr wurde er immer skrupelloser und machtgieriger. Vor zwei Jahren zettelte er sogar die militärische Auseinandersetzung mit den Kurden wieder an, obwohl er selbst Jahre zuvor den Friedensprozess eingeleitet hatte.
Ab 2010 empfand der Türke die Herablassung und Geringschätzung durch Merkel möglicherweise noch viel stärker, weil der NATO-Partner Türkei mit dem Flüchtlingsstrom aus Syrien allein gelassen wurde. 2,5 Millionen Syrer hat Erdoğan aufgenommen, während sich „der Westen“ einen schlanken Fuß machte, im Falle Merkels die Nahostkonflikte durch Waffenlieferungen noch anheizte; 2015 sogar direkt an die von Ankara so verhassten Kurden.

2016 bekommt Erdoğan nun endlich die Chance sich zu rächen. Die geopolitischen Umstände haben sich so gedreht, daß Merkel nun ihn braucht. Das will er sie spüren lassen, weil er eine Dekade Wut auf Deutschland angesammelt hat.
Nun kann er Merkel springen lassen wie er möchte und das beweist er mit dem Vorgehen gegen Extra3 und das Neo-Magazin-Royale.

Merkel badet also auch ihre eigenen Fehler aus. Ihre Ablehnung der EU-Mitgliedschaft von vor zehn Jahren, ihr absurdes Flüchtlingstausch-Konzept mit Ankara und nun auch noch ihre erbärmliches Vorpreschen, als sie Böhmermanns Text als „bewußt verletzend“ verurteilte.

Möchte man der ganzen Angelegenheit etwas Gutes abgewinnen, so ist es der klare Unterschied zwischen SPD und Union. Alle SPD-Bundesminister haben sich scharf gegen Merkels § 103 StGB-Entscheidung ausgesprochen.
Möge man also bei den nächsten Wahlen für die SPD und nicht für die CDU stimmen.

Der kleine parteitaktische Vorteil für die Sozis wird allerdings durch den gewaltigen Imageschaden für die Politik insgesamt überstrahlt.
Seit Jahr und Tag wird das politisches Desinteresse der Jugendlichen, der Rückgang der Wahlbeteiligung, die EU-Skepsis, die Re-Nationalisierung beklagt.

Und genau dem Affen gibt Merkel nun Zucker.
AfDler und Aluhüte haben nun die Bestätigung: Politik ist korrupt, der EU geht es nur um Machtinteressen, man steht nicht für Werte ein…

Deswegen ist Merkels heutige Entscheidung auch so scharf zu verurteilen.

Georg Restle, Oliver Kalkofe und Michael Schmidt-Salomon haben das bereits so schön aufgeschrieben, daß ich abschließend die drei Herren zitiere, statt selbst in Koprolalie zu verfallen.

[…] Auch wenn die Zulassung einer Klage und das Verweisen an die Gerichte sachlich eine korrekte Alternative war und ist -
ich persönlich schäme mich gerade ganz furchtbar...
für die massive Eierlosigkeit und Rückgratschwäche unserer Regierung
(wobei das Statement der Kanzlerin deutlich sagte, dass ihre Entscheidung wohl nicht von vielen mit getragen wird, weshalb sie die Erklärung auch komplett alleine abgab).
Mein Bauchgefühl sagt mir, wir erlebten hier gerade den Anfang vom Ende der Ära Merkel...
Ein mutloses, unsouveränes und potentiell fatales Zeichen.
In einer Lose-Lose-Situation wurde am Ende die Doppel-Lose-Entscheidung gewählt...
und egal ob das inhaltlich korrekt ist oder nicht, egal wie es begründet wird - das Zeichen der Kanzlerin gegen unsere Presse-Meinungs-Satirefreiheit und das Einknicken vor der überzogenen Reaktion eines schnaubenden Despoten, nur um das wichtige Abkommen nicht zu gefährden -  dieses Zeichen zeigt keine Stärke, keinen Mut und keine Souveränität.
Und wird letztendlich als trauriges Einknicken und Verrat an den Werten des eigenen Landes stehen bleiben.  Egal ob das nun stimmt oder nicht.
Der Bumerang wurde vielleicht lasch geworfen, wird aber mit Wucht im eigenen Nacken landen. Und den falschen Leuten in die Hände spielen...
Ich habe solch eine Entscheidung zwar befürchtet, hätte aber niemals geglaubt dass sie so wirklich geschieht.
Dies ist vielleicht nicht der Tod der Satirefreiheit, aber ein kräftiger Tritt von Mutti in deren Eier, die ihr selber gerade verloren gegangen sind.


Was für ein Kotau! Die Bundeskanzlerin geht vor dem türkischen Präsidenten in die Knie und erlaubt es tatsächlich, dass deutsche Staatsanwälte gegen Jan Böhmermann ermitteln. Dabei hat Böhmermann nur das getan, was man von einem Satiriker erwarten darf: Er hat provoziert. Er hat die Regeln des Anstands bewusst verletzt. Er hat einen selbstherrlichen Herrscher der Lächerlichkeit Preis gegeben. Das muss nicht jedem gefallen; soll es auch gar nicht. Schon gar nicht dem türkischen Präsidenten.
Dass die Bundeskanzlerin ihre Entscheidung jetzt auch noch mit dem Hinweis auf Rechtsstaat und Gewaltenteilung rechtfertigt, macht allerdings sprachlos. War sie es doch selbst, die Böhmermann gegenüber dem türkischen Präsidenten auf beispiellose Art und Weise vorverurteilt hat. Dabei ist der Spezialparagraph 103 StGB ein rechtsstaatlicher Anachronismus. Er soll die auswärtigen Beziehungen schützen, ganz gleich ob es um Despoten, Diktaturen oder Folter-Regime geht.
Und da droht demnächst noch Schlimmeres. Wenn die Pläne der Bundesregierung und der EU Wirklichkeit werden, werden wir demnächst mit Libyen, Äthiopien oder dem Sudan die nächsten Deals abschließen. Man mag gar nicht dran denken, wenn sich die Bundesregierung künftig nicht nur von Herrn Erdogan, sondern auch von einem sudanesischen Präsidenten erpressen lässt, der ein international gesuchter Kriegsverbrecher ist. Auf genau diesen Pfad hat sich die Bundeskanzlerin heute begeben. Ein Pfad, der zeigt, dass diese Kanzlerin und diese Bundesregierung offenbar vor nichts mehr zurückschrecken, wenn es nur darum geht, Flüchtlinge von Europa fern zu halten. Dass sogar elementare Menschenrechte verhandelbar geworden sind, nicht nur in der Türkei, sondern auch hier in Deutschland.
Jan Böhmermann hat all dies nolens volens offen gelegt. Dafür sollte man ihn mit Preisen überhäufen; statt ihm die Staatsanwälte auf den Hals zu hetzen.


"Wer hat Böhmermann verraten? Christdemokraten!"
Der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon hat die Entscheidung der Bundesregierung, eine Strafverfolgung gegen Jan Böhmermann auf der Basis von §103 StGB zuzulassen, als "Kniefall vor einem Despoten" kritisiert, der "in seinem eigenen Land den überkommenen Straftatbestand der Majestätsbeleidigung nutzt, um politische Gegner auszuschalten."
Die Erklärung von Kanzlerin Merkel, in Deutschland solle nicht die Regierung, sondern die Justiz "das letzte Wort" haben, weshalb die Ermächtigung zur Strafverfolgung "keine Vorverurteilung Böhmermanns" bedeute, bezeichnete Schmidt-Salomon als "heuchlerisch": "Eine Ermächtigung zur Strafverfolgung kann nur dann erteilt werden, wenn ein hinreichender Tatverdacht besteht. Insofern muss die deutsche Kanzlerin zumindest unterstellen, dass Jan Böhmermann gegen §103 StGB verstoßen haben könnte. Dies ist jedoch absurd, wenn man den Kontext berücksichtigt, in dem das umstrittene Gedicht ‚Schmähkritik‘ vorgetragen wurde."
"Echte Schmähkritik setzt voraus, dass der Kritiker seine Schmähungen ernstmeint", erklärte Schmidt-Salomon. "Liegt diese Voraussetzung hier vor? Ganz sicher nicht! Denn niemand, der die Sendung gesehen hat, und noch halbwegs bei Verstand ist, wird davon ausgehen, dass Jan Böhmermann ernsthaft unterstellen wollte, dass der türkische Präsident ungewöhnlich kleine Genitalien hat und sexuell mit Ziegen und Schafen verkehrt! Böhmermann ging es um etwas völlig anderes (siehe das Transkript der Sendung): Seine Satire zielte darauf ab, dass Erdogan zwischen berechtigter Satire und verbotener Schmähkritik nicht unterscheiden kann, was der türkische Präsident mit seiner Reaktion auf die ZDF-Sendung dann ja auch eindrucksvoll unter Beweis stellte. Schon allein dies wäre tragisch-komisch genug und ein Beleg für Böhmermanns satirische Qualitäten! Leider aber scheint auch die deutsche Kanzlerin samt ihrer Berater, wie sich heute gezeigt hat, nicht über das erforderliche Differenzierungsvermögen zu verfügen, denn ansonsten hätte sie dem Strafverfolgungsinteresse der Türkei aufgrund fehlenden Tatverdachts niemals nachgeben dürfen!"
Positiv hob Schmidt-Salomon hervor, dass sämtliche SPD-Minister gegen die Strafverfolgung gestimmt haben: "In Anlehnung an eine alte Redewendung, die ursprünglich gegen die SPD gerichtet war, könnte man heute sagen: ‚Wer hat Böhmermann verraten? Christdemokraten!‘ Wie schon bei der Sterbehilfedebatte ist die CDU/CSU nun auch bei der Frage des Umgangs mit der Türkei all jenen in den Rücken gefallen, die die Prinzipien einer offenen Gesellschaft stärken wollen. Die Kanzlerin hätte heute die Chance gehabt, ein klareres Profil zu zeigen und dem türkischen Präsidenten eine Lehrstunde in Sachen Demokratie, Meinungs- und Kunstfreiheit zu erteilen. Diese Chance hat Angela Merkel kläglich vergeben." […][…]

Donnerstag, 14. April 2016

Endlich Schluss mit der Groko.



Ein Termin steht zwar noch nicht genau fest, aber der 19. Bundestag wird vermutlich am 17. oder 24. September 2017 gewählt.
Natürlich könnte eine Bundesregierung, die sich auf eine parlamentarische 80%-Mehrheit stützt noch anderthalb Jahre nutzen, um Nägel mit Köpfen zu machen.
Das Steuersystem entrümpeln, ein Einwanderungsgesetz schaffen, das Renten- und Sozialsystem fairer gestalten.

Aber wieso sollte sich die Bundesregierung damit belasten?
Immerhin zeigen alle Umfragen, daß der Urnenpöbel die Minister am liebsten hat, die ihre Arbeit verweigern und Politik höchsten simulieren.

Die Umfragekönige Merkel und Schäuble drücken sich seit zehn Jahren um ihre eigentliche Arbeit.
Da können sie von noch so gewaltigen Skandalen tangiert sein; der Wähler vergisst es im Handumdrehen und generiert vermehrten Speichelfluss bei dem vorfreudigen Gedanken wieder sein Kreuz bei der CDU zu machen.

[….] Zugleich gerät Wolfgang Schäuble in den Sog der Panama Papers. Unter seiner Mitwirkung verhinderte die Bundesregierung offenbar ein Transparenzregister von Offshoreunternehmungen. Während die ihm unterstellte Bundesdruckerei - ein hundertprozentiges Staatsunternehmen - mit Offshorefirmen und mutmaßlich verschobenen Millionenbeträgen geradezu jonglierte. Ein Aufklärungsversuch im Jahr 2015 wurde per Anwaltsdrohung niedergerungen, und Schäuble schweigt. Der Mann also, der 100.000 Mark Barspenden für die CDU in einem Hotelzimmer von einem steuerhinterziehenden Waffenhändler entgegennahm und dann leider vergaß. Der Mann, der trotz dieses Umstands nicht müde wird, aller Welt Lektionen in Finanzmoral zu erteilen - dieser Mann hat Offshorefirmen seines eigenen Hauses nicht im Griff und schweigt dazu. Ein Superskandal, beinahe begraben.
Diese sehr essenziellen Entwicklungen sind weitgehend aus dem sogenannten News Cycle in Deutschland verschwunden [….]
(Sascha Lobo, 13.04.2016)

Die Koalitionsspitze besteht aus drei Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen dem Regierungsphlegma verfallen sind.
Merkel widerstrebt es einfach grundsätzlich politische Entscheidungen zu treffen, Seehofer hat alle Hände voll zu tun mit den innerparteilichen Kabalen. Söder will ihn bewerben und den kann er nicht leiden.
Gabriel schließlich scheint von der Erkenntnis erschlagen zu sein, daß es mit seiner Partei kontinuierlich bergab geht, egal was er macht.

[…..] Die 23 Prozent bei der Bundestagswahl 2009? Konnten sie mit der Agenda 2010 erklären, der Rente mit 67, außerdem mit dem Kanzlerkandidaten Steinmeier. Die 25,7 Prozent vier Jahre später? Begründeten sie mit dem Kanzlerkandidaten Steinbrück und, na ja, Rente mit 67, Agenda 2010, Sie wissen schon. Die gut 20 Prozent bei der Landtagswahl in Bayern? Hm, Bayern halt. Knapp 13 Prozent in Baden-Württemberg, gerade noch zehn in Sachsen-Anhalt? Kretschmann, der Osten, die Wutbürger, die Kandidaten, das Wetter.
Aber jetzt, 21 Prozent? Nachdem die große Koalition im Bund, AfD hin, Flüchtlinge her, zweieinhalb Jahre lang sozialdemokratische Politik unter einer christdemokratischen Kanzlerin gemacht hat? Nach Mindestlohn, Mietpreisbremse, Rente mit 63? Und bevor man überhaupt einen Kanzlerkandidaten hätte, dem man den ganzen Schmodder in die Schuhe schieben kann? […..]

Warum also etwas riskieren, wenn man an der Wahlurne sowieso immer einen Tritt in den Hintern bekommt?

„Opposition ist Mist!“ lautete Franz Münteferings Diktum. Jeder verstand, wie das gemeint war: Es ist schwer für eine Partei voller Tatendrang, die „den Menschen draußen im Land“ helfen will, zur Untätigkeit verdammt zu sein.
Aber ist es nicht noch mistiger, wenn man zum Erstaunen der Presse konsequent all die sozialdemokratischen Wunschprojekte durchsetzt und dafür vom Wähler nichts als Undank erntet?

Gabriel ist ein schwacher Vizekanzler, wird wahrscheinlich ein sehr schwacher Kanzlerkandidat 2017 sein und noch wahrscheinlicher ein ganz bitteres Bundestagswahlergebnis holen.

Wie schwach die ganze Parteispitze ist, erkennt man daran, daß niemand weit und breit zu sehen ist, der wie Lafontaine 1995 den schwachen Chef wegschubst und selbst das Ruder übernimmt.
Den Job will keiner.
Kein SPD-Vize oder Ministerpräsident traut sich zu aus eigener Kraft die SPD wieder stark zu machen.
1998 gab es gleich zwei SPD-MPs, die kaum gehen konnten vor lauter Kraft. Das scheint ewig her zu sein.

Die einzige Chance für die deutsche Sozialdemokratie besteht darin, daß Merkel eines Tages die Lust verlässt und sich die traurigen Parteireste hinter ihr selbst zerlegen.

Im Gegensatz zu den SPD-Politikern scheint es Merkel aber nicht im Geringsten zu frustrieren, wenn sie nichts umsetzt und Deutschland nicht vorankommt.

Wie albern von den tausenden Journalisten immer noch nach dem „Merkel-Geheimnis“ zu fahnden, zu rätseln, was sie im Innersten antreibt, zu orakeln welche Visionen sie verfolgt.

Ich bin davon überzeugt, daß Merkels Persönlichkeit in Wahrheit unterkomplex ist.
Sie mag einfach gern Kanzlerin sein. Nichts weiter.
Da Merkel die Kanzlerschaft 2017 nicht zu nehmen ist, wird eben das Regieren jetzt schon mal ganz eingestellt. Bis auf ein paar Restaufgaben.
Die GroKo-II, die Merkel III-Regierung ist aber schon vorbei.

Bis zum Sommer, so hat es Angela Merkel am Dienstag vor den Unionsabgeordneten vorgegeben, sollen die wichtigsten, verbliebenen Gesetzesvorhaben von Schwarz-Rot auf dem Weg sein. Der Bundestag könnte dann bis Weihnachten darüber abstimmen. Denn was bis dahin nicht durchs Parlament ist, daraus wird womöglich nichts mehr. Der aufziehende Wahlkampf dürfte Kompromisse in der Koalition deutlich erschweren.
Schon im Herbst dieses Jahres wählen Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Im März 2017 wird im Saarland ein neuer Landtag gewählt, im Mai folgen Schleswig-Holstein und die wichtige Wahl in Nordrhein-Westfalen. Nach der Sommerpause beginnt schließlich die heiße Phase für den Bundestagswahlkampf im September.