Mittwoch, 12. August 2015

Flüchtlinge in Zahlen.



Das Elend der Welt wird uns in Zahlen präsentiert.
Je größer die Zahlen, desto abstrakter. Wenn genügend Nullen hinten dran sind, ist es auch irgendwann egal.
Matthias Drobinsiki, der SZ-Haustheologe schrieb neulich in einem kleinen Chronik-Kasten über den TVE-Skandal der Bischofssitz sollte im Jahr 2012 auf einmal 9,5 Milliarden Euro kosten.


Vermutlich nur ein Druckfehler, aber es ist schon symptomatisch, daß es in so einer renommierten Zeitung niemand aufgefallen ist
Millionen, Milliarden, Billionen – da kommt man schon mal durcheinander.

Menschen können wir noch viel weniger in Zahlen  begreifen.
100 Tote, die im Mittelmeer ertranken, weil unsere beliebtesten Politiker ihnen die EU-Tür vor der Nase zuschlagen, bringen es kaum noch auf die vorderen Plätze der Tagesschau-Meldungen. Da müssen es schon eher 1000 angespülte Leichen sein.
 Bei 23.000 durch die EU-Politik Verreckten läuten sogar mal die Kirchenglocken – freilich, ohne daß es irgendwelche politischen Konsequenzen gäbe.
Die Kirchen läuten aber eben auch nur. Der Einsatz für die Toten ist gute PR.
Eigene Mittel will die Kirche aber nicht ausgeben und schon gar nicht ihre vielen verwaisten Pfarrhäuser und Klöster als Flüchtlingsunterkünfte zur Verfügung stellen.
Dazu sind die Zahlen zu groß.
Es würde die Kirchen überfordern, sagen sie.
Mit der Argumentation könnte man es sich auch sparen einen ölverschmierten Seevogel das Gefieder zu säubern und ihn so vor dem sicheren Tod zu bewahren- die Ölpest selbst wird ja schließlich nicht mehr verhindert.

So nehmen wir auch die Millionen Menschen hin, die jedes Jahr elend an Hunger verrecken.
Es sind 10.000 -20.000 Kinder, die jeden Tag auf der Welt verhungern. Früher waren es mal 30.000 JEDEN TAG. Wer weiß das schon so genau? Wer zählt nach? Was zählt ein Kind überhaupt? Insbesondere wenn es ein Afrikanisches oder Nordkoreanisches ist? Das sind dann keine Gründe für „den Westen“ seine Agrarpolitik dahingehend zu ändern, daß der Hunger beendet werden könnte.

Laut des letzten „World-Food-Reports“ steigt die Zahl sogar wieder. Sie kennen die Zahlen, alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren, 57.000 Menschen sterben am Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen jeden Tag und fast eine Milliarde Menschen sind permanent schwerstens unternährt.
Das sind riesige Zahlen. Dafür öffnet Papst Franz nicht die Kassen des IOR, dafür gefährdet der fromme Wolfgang Schäuble, der am 06.09.15 in einer Elsässischen Kirche predigen wird, nicht seine heilige schwarze Null.

Im Juli 2015 kamen 5.700 Flüchtlinge nach Hamburg.
Im gesamten Jahr 2014 waren es 7.000 in Hamburg, die neu kamen.
Bundesweit werden dieses Jahr womöglich 400.000 Asylanträge erwartet.
Die Sachsen-CDU zeigt sich mal wieder als ganz Rechtsaußen und begrüßt Grenzzäune gegen diese „Menschflut“.
Auf daß noch mehr Menschen in den Tod getrieben werden, wenn ihnen keine legalen Ausreisemöglichkeiten aus ihren Terrorländern bleiben.
Politiker und Journalisten sprechen leichtfertig von „Belastungsgrenzen“, die durch die Flüchtlingsströme, Asylantenflut oder den Massenandrang erreicht werde.
Über 200 Anschläge gab es dieses Jahr schon auf deutsche Flüchtlingsunterkünfte.
Tendenz stark steigend.
Die beliebteste Bundeskanzlerin aller Zeiten führt währenddessen eine „völlig gegenwartsblinde“ Regierung, die die Problematik einfach ignoriert.

Es fällt vergleichsweise leicht indolent und ignorant zu reagieren, wenn Menschen  als Massen, Fluten oder Ströme wahrgenommen werden.
Wenn sich ihre Schicksale hinter Zahlen mit vielen Nullen verstecken.
Es interessiert uns schlicht und ergreifend nicht, daß alle fünf Sekunden ein Kind verreckt, weil wir, der reiche Westen nach wie vor die ärmeren Länder massiv ausbeuten.
Doppelt so viel Geld fließt von der dritten in die erste Welt wie umgekehrt.

Ganz anders sieht es bei Einzelschicksalen aus.
Während uns 1000 oder 10.000 oder 20.000 tote Kinder vollkommen egal sind, wird unser Mitgefühl sofort getriggert, wenn von einem „tragischen“ Einzelfall die Rede ist.
 Das arme weinende Mädchen Reem als Palästina, das die gefühllose Kanzlerin zum Weinen brachte, rührte uns.
Wenn ein Kind mitten in Deutschland vermisst wird und jeder es zur Kenntnis genommen hat, weil BILD und TV-Boulevard tränenrührig davon berichteten, weinenden Eltern abfilmten und süße Bilder zeigten, werden auf einmal alle ganz aktiv.
Tausende melden sich freiwillig zu Suchaktionen.
Als 2012 in Hamburg die süße kleine Chantal, 11, starb, weil das Jugendamt sie zu Pflegeeltern gab, die Ex-Fixer waren und ihr versehentlich eine Überdosis Methadon verpassten, wurde über viele Monate auf den Titelseiten der gesamte Hamburger Presse berichtet. Jeder kannte das Bild des blonden Mädchens, für das sich zu Lebzeiten leider niemand interessiert hatte.

So sind die Menschen. Sie brauchen einen persönlichen Zugang. Eine boulevardisiert-personalisierte Aufbereitung einer Geschichte.
Nur dann hört man beim Einkaufen wie alle von der „armen kleinen Sophie“ oder dem „armen kleinen Kevin“ reden. Dann kommen die Menschen um vor ehrlichem Mitleid. Ich meine das völlig unironisch; tatsächlich leiden wir dann mit.
Daß gleichzeitig zig Familien auseinandergerissen und zerstört werden, weil die meisten Bundesländer rigoros abschieben oder im umgekehrten Fall keine Familienzusammenführungen zulassen, interessiert uns hingegen nicht, weil wir das gar nicht mitbekommen.

Das ist so wie mit dem Konflikt in der Ostukraine, der sich aus unserem Bewußtsein geschlichen hat.
Dort wird zwar weiter gemordet und Krieg geführt, aber wir richten unsere Aufmerksamkeit derzeit auf andere Dinge.

Eine Mitschuld trifft die Presse, die zwar richtigerweise von den vielen Problemen mit Flüchtlingsunterkünften und den widerlichen Angriffe auf dieselben berichtet – Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping schämt sich öffentlich für ihr eigenes Volk – aber so wird den Deutschen das Thema emotional nicht nahe gebracht.

Ich freue mich daher sehr über die wenigen Ausnahmen.
Es gibt durchaus TV-Dokus, die einzelne Flüchtlinge vorstellen, ihr Schicksal begreifbar machen und sich Zeit nehmen es dem Zuschauer nahe zu bringen.

Die Perspektive der geflohenen Menschen fehlt fast vollständig in der öffentlichen Debatte. Wie empfinden sie ihre neue Umgebung, die Lebensbedingungen? Was haben sie erlebt? Wie geht es ihnen?
Nur so kann man Empathie wecken.

Eine löbliche Ausnahme war auch der Bericht von Yahya Al-Aous in der Wochenendausgabe der SZ; prominent platziert auf der Kommentarseite, wo sonst Carolin Emcke schreibt.
Der Syrische Journalist, 41, zwei Jahre in Haft des Assad-Regimes, ist mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter, 9, in Berlin gelandet und beschreibt seine Eindrücke.
Ein hochinteressanter und überfälliger Perspektivwechsel in der deutschen Presse.
Bitte mehr davon!!

[….] Eine Variante der neuen Realität erwartete mich und meine neunjährige Tochter in Berlin an einer Bushaltestelle. Wir wollten zurück in unser Übergangswohnheim, als mein Blick auf ein junges Liebespaar fiel. Die beiden tauschten heiße Küsse in inniger Umarmung aus - als seien sie allein auf der Welt. Zum ersten Mal sah ich so eine Szene in der Öffentlichkeit - und es überraschte mich. Noch mehr überraschte mich aber, dass die anderen Wartenden das Geschehen nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen schienen.
Nur meine Kleine starrte das Paar an - mit einer Mischung aus Überraschung und Schüchternheit. Automatisch legte ich meine Hand auf ihre Augen, dann schob ich meinen Körper als Sichtschutz zwischen die Liebenden und mein Kind. Meine Reaktion war auch ein Schutz meiner selbst: Ich wollte meine Frau und mich vor einem kindlichen Fragesturm schützen. Denn meine Frau und ich fühlen uns noch nicht bereit, derartige Situationen erklären zu können. Also blieb mir nichts anderes übrig - vorerst.
Obwohl ich nicht aus einem besonders religiösen oder konservativen Umfeld stamme, so komme ich doch aus einer Gesellschaft, die Frauen als Bürger zweiter Klasse betrachtet und emanzipierte Mädchen, die sich weder von der Familie noch der Gesellschaft etwas vorschreiben lassen, Prostituierten gleichstellt. In Syrien wäre es nicht vorstellbar, dass eine Frau öffentlich küsst - auch nicht ihren Ehemann. [….] Wenn die Sonne scheint, bemerke ich, dass meine Augen sich angezogen fühlen von diesen jungen Männern und Frauen, die sich fast nackt und oft komplett tätowiert zeigen - genauso wie vom Anblick der Menschen, die sich die Nasen und Ohren mit großen Metallstücken verstopfen. Leider bringt meine Fantasie mich immer wieder in eine imaginäre Szene, in der sich diese Männer vor mir aufbauen und mit einer abgebrochenen Bierflasche vor meinem Gesicht rumwedeln und Unverständliches brüllen. Mittlerweile glaube ich aber, dass das nicht passieren wird. Der Körperschmuck ist einfach Ausdruck einer anderen Kultur, an die ich mich bald gewöhnen werde. Ob dieses Deutschland mit seinen Integrationsmaßnahmen auch dafür sorgen wird, dass ich mir eines Tages den Hals tätowieren und die Ohren durchstechen lasse? [….]

Dienstag, 11. August 2015

So nicht, Abendblatt. Teil II



Kürzlich heiratete ein alter Bekannter von mir.
Da er weiß, daß ich nicht zu den großen Fans dieser Institution gehöre, erzählte er mir lachend:
Ein Gutes hat es auf jeden Fall. Als wir im Standesamt das Aufgebot bestellten, haben wir gleich die Gelegenheit genutzt beide aus der Kirche auszutreten.

Klar, das hat mich auch gefreut. Er gehört zu den Menschen, denen ich seit Jahren sage, er müsse endlich austreten aus dem Verein. „Bist Du da etwa immer noch zahlendes Mitglied?“ fragte ich immer wieder, wenn wir auf das Thema kamen. Er wollte auch schon lange austreten, aber scheinbar war es ihm einfach nicht wichtig genug, um nicht doch zu prokrastenieren.

So etwas höre ich öfter. Leute sind automatisch seit Geburt Kirchenmitglied, völlig ungläubig, lehnen die Kirchen ab, aber treten nicht aus, weil irgendein Impuls fehlt diesen – gebührenpflichtigen!!! - Verwaltungsakt zu tun.
Würde wie bei Wahlen ein Formular an alle Haushalte geschickt, mit dem man dann nur mit einem Kreuz aus der Kirche austreten könnte, wären schlagartig Millionen Mitglieder weg. Insbesondere, wenn es dabei noch eine kleine Infobroschüre läge, über die gewaltigen finanziellen Mittel, die den Kirchen zufließen und die eben nur zu Bruchteilen in soziale Projekte fließen. Es könnten auch die Bischofsgehälter und Pensionen ausgewiesen werden, die vom Staat bezahlt werden und tabellarisch aufgelistet werden welches die homöopathischen Anteile der Eigenfinanzierung von Schulen, KITAs oder Pflegeheimen unter kirchlicher Trägerschaft sind.

Es gibt selbstverständlich diesen harten Kern der Religioten, die wie Kauder, Gröhe oder Nahles ihrem Verein immer treu bleiben werden.
Es sind in Deutschland immerhin auch ein bis zwei Millionen Evangelikale, Piusbrüder, Christdemokraten für das Leben, Forum deutscher Katholiken, Kath.net-Leser, Gloria-TV-Gucker, Jesusfreaks und sonstige metaphysisch Getriebenen unterwegs.

Könnte man aber ein Kirchenmitgliedschafts-Reset durchführen, so daß niemand mehr Mitglied wäre und man erst aktiv wieder eintreten müßte, kämen EKD und RKK nach meiner Schätzung auf insgesamt rund 5 Millionen Mitglieder in Deutschland.

Daß die Hälfte der Kirchenmitglieder einfach zu träge zum Austreten ist, bestätigen immer wieder Umfragen. Über eine berichtete gestern ausgerechnet das Kirchenportal „idea“.

Mehr als die Hälfte aller Mitglieder der beiden großen Kirchen (51 Prozent) überlegt bisweilen auszutreten. Die Gründe, warum die meisten den Schritt nicht vollziehen, sind vielfältig. Das geht aus dem am 10. August erschienenen Buch „Wie wir Deutschen ticken“ hervor. Es ist ein Projekt des Meinungsforschungsinstitutes YouGov (Köln). […]  Von den Kirchenmitgliedern, die über einen Austritt nachdenken, bleiben 46 Prozent „aus Bequemlichkeit“ in der Kirche. 14 Prozent entscheiden sich aus „Angst vor einem so radikalen Schritt“ gegen den Austritt, und vier Prozent geben an, dass sie ihren Glauben wiedergefunden haben. […]   Der Herausgeber und Diplompsychologe Holger Geißler kommt zu dem Schluss, dass es eine große Distanz zu den Kirchen als Institution gibt. So findet es nur jeder sechste Befragte richtig, dass der Staat die Kirchensteuer einzieht. […]  

Da Kirchen diskriminatorisches Arbeitsrecht anwenden, ihre Mitarbeiter bei Streikverbot schlecht bezahlen und Juden oder Muslime nicht in ihren Pflegeheimen dulden, ist es schon aus demokratischen und sozialen Erwägungen jeder Rückzug der Kirchen zu begrüßen.
Kirchen sitzen wie Parasiten im Wirtskörper Staat, saugen ihn finanziell aus, während sie gesellschaftlichen Unfrieden stiften und insbesondere den Kindern in ihrer Obhut schwer schaden.

Kirchen stehen für einen „Wir sind besser als die“-Gedanken. Sie halten sich für allein maßstabgebend. Die große irdische und finanzielle Macht der Kirchen wird durch ihre protzigen Gebäude gezeigt. Gebäude, in denen die Liebe zwischen zwei Menschen verdammt wird (wenn sie nicht kirchlich verheiratet oder gleichgeschlechtlich sind). Gebäude, in denen Kinder Bedrückung, Langweile, Ohnmacht und Angst erfahren, in denen psychisch verklemmte Penisfixierte erfahren wollen, wie oft sie onanieren. Die Gebäude zu entweihen, entwidmen und umzufunktionieren, ist eine Hoffnung für eine Gesellschaft, die tolerant sein ist und Kinder nicht mit Ängsten überfrachten will. Die Schließung der teuren Kirchen ist ein Glückfall für die Gemeinden, weil man die Mittel nun endlich sinnvoller ausgeben kann. Der Rückzug von Kirchen dokumentiert einen glücklichen Fortschritt der Gesellschaft, die nicht mehr aufgrund von Vorurteilen, uneheliche Kinder in Heime schickt, um sie dort zu quälen. Geschlossene Kirchen stehen für eine tolerante Gesellschaft, die sich Minderheiten zuwendet, Schwule und Lesben ganz selbstverständlich akzeptiert und Jugendliche nicht mehr mit Schamgefühlen quält, nur weil sie die Freuden der Masturbation entdecken.
Zum Glück gerät der Glaube, der Jahrtausende als Quelle für Unfrieden und Pogrome diente, in Vergessenheit. So kann sich endlich echte Solidarität entwickeln, wenn nicht mehr der Moloch Kirche Milliarden für sich selbst verschlingt.
Die Kirchen als Symbole der Abschreckung, die bis heute ihre Türen fest vor der Not der Flüchtlinge verschlossen halten, müssen endlich entmachtet werden. In den Kirchen findet Hass statt. Dort wird gegen Anders- und Nichtgläubige gehetzt. Fremde, Schwule, Muslims werden ausgegrenzt.
Fallen die Privilegien der Kirchen, werden die 700 Milliarden Euro schweren EKD und RKK ärmer und das Geld kann sinnvoller eingesetzt werden.

Ach ja – zum Titel des Postings:
Das Hamburger Abendblatt, veröffentlichte gestern diese bizarre Ansicht:

[…]  Kirchen  […]  weisen über sich selbst hinaus und stehen dafür, dass die Fragen, Sorgen und das Glück in dieser Welt nie allumfassend sind. Der Himmel wird durch Kirchgebäude in Erinnerung gebracht, so wird Raum gegeben für Glauben, Hoffnung und eine Liebe, die auch die Mitmenschen, vertraute wie fremde, und sogar die Feinde mit einschließt.
Deshalb ist die Schließung einer Kirche der GAU kirchlichen Handelns und für eine Gemeinde das Schmerzlichste, das geschehen kann. Es ist das Ende von Hoffnung, sieht aus wie die Abwesenheit von Glauben und tut weh, weil man sich fragt: Gibt es denn niemanden mehr, der diesen Ort lieb hat und braucht? Kirchenschließungen dokumentieren den Zustand einer Gesellschaft, die nicht mehr um den Wert ihrer symbolischen Orte weiß. Der Glaube ist vielen fremd, und die finanzielle Beteiligung via Kirchensteuer bringt nur noch solidarisch auf, wer eine echte Beziehung zur Kirche hat.
[…]   Die Kirchen können gastfreundliche, offene, einladende Orte sein, an denen Menschen ausruhen können, Erzählungen loswerden und von den großen Erzählungen der Menschheit hören. In Kirchen findet Liebe statt: Nächste werden geheilt und versorgt, Trauernden zugehört, Tränen abgewischt, Fremde werden heimatlich. […]   In Kirchen kann man über sich selbst hinausdenken. Der Mehrwert der Kirchen sollte unser Handeln leiten und der Gesellschaft bewusst werden. Sonst werden wir wirklich arm.

Montag, 10. August 2015

Unionsheuchler



Wer unter den CDU-Abgeordneten nicht so abstimmt, wie es die Parteiführung vorschreibt, wird geschnitten, verliert Pöstchen und schließlich den Parlamentssitz.
Parteikonformes Verhalten war schon immer DAS Kennzeichen der Konservativen, die deswegen auch „Kanzlerwahlverein“ genannt werden.
Daß man nicht in der CDU ist, um unangepasst und rebellisch zu sein, ist quasi die Grund-DNA der Kohl/Merkel-Partei.

Was für eine bizarre Geschichte, daß nun ausgerechnet Unionsparlamentarier ihren eigenen Fraktionsvorsitzenden Kauder für seine Gehorsamkeitsforderung kritisieren.
CDU/CSU-Parlamentarier, die nach persönlichen Gewissen und ohne die Erlaubnis ihrer Führung abstimmen?
Das wäre ja ganz was Neues.

Seit 50 Jahren weist Hildegard Hamm-Brücher auf den § 38 hin, der überhaupt nur in absoluten Ausnahmefällen tatsächlich mal gilt, wenn die Parteigroßkopferten gönnerhaft den Fraktionszwang aufheben - wie beispielsweise bei der Entscheidung über die neue Hauptstadt.

Artikel 38 GG
(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Das ist die Papierform, die in der Praxis aber ausgehebelt ist.
Willkommen in der Realität.
(……)
Ich habe gar nichts gegen Taktieren.
Als reine Spontan-Veranstaltung kann unsere parlamentarische Demokratie nicht funktionieren.

Es ist doch reichlich albern an diesen utopischen Vorstellungen aus dem Wolkenkuckucksheim festzuhalten.
Hildegard Hamm-Brücher weist schon seit 40 oder 50 Jahren immer wieder auf den Satz „….an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ hin, der in nur ganz seltenen Ausnahmefällen, wenn die Großkopferten den „Fraktionszwang“ aufheben, Geltung erlangt.

Normalerweise hat der Abgeordnete sein Gewissen und erst recht seine freie Willensbildung auszuschalten und strikt das abzusegnen, was ihm Partei- und Fraktionsführung befehlen.

Verhält sich ein Volksvertreter ausnahmsweise mal GG-konform und entscheidet nach eigenem Gewissen, verliert er sein Mandat.
Das passierte zuletzt Konrad Schily, der ausgerechnet im Lobbyverein der Großindustrie ( = FDP) versuchte sich an GG Art 38 zu halten.

Blicken Sie auf die Verabschiedung der sogenannten Gesundheitsreform: Da gab es bei Union und SPD einige Abweichler, doch die wurden aus Parteiräson einfach ausgetauscht. Und es kamen andere Abgeordnete in den Ausschuss, die gar keine Ahnung von der Sache hatten, aber eben dem Gesetz zustimmten. In dieser Frage hat sich eindeutig die Parteihierarchie durchgesetzt. (K.S.)

Das “Mitwirken” an der Willensbildung “DES VOLKES” ist im Falle der großkapitalhörigen CDU und FDP reine Satire.

Die Merkelpartei agiert eindeutig wider die ökonomische und ökologische Vernunft.

Hamm-Brücher ist das perfekte Beispiel dafür, wie es einem geht, wenn man das Grundgesetz hochhält und sich als unbestechliche, integre Person präsentiert. Man wird zwar möglicherweise geachtet, aber die ganz große Karriere bleibt einem dann verschlossen.
Maximal Staatssekretärin. Weiter konnte es die Parlamentarier-Legende nicht bringen, obwohl sie zweifellos zu dem Allerbesten gehört, was die FDP je zu bieten hatte.
Rückgratlose Apparatschiks, die nach der Melodie der Lobbyisten tanzen, konnten hingegen nahezu problemlos zu Ministern, Vizekanzlern und Bundespräsidenten aufsteigen.
Willkommen im politischen System Deutschlands.
In der SPD ist es Tradition auf der mittleren Parteiebene die schärfsten Kritiker der eigenen Parteiführung zu installieren.
Selbst der mächtige Gabriel konnte nicht verhindern, daß seine Intimfeindin Nahles wie eine Spinne über dem mit Abstand größten Etat der Bundesregierung hockt und als mächtige Arbeitsministerin die ganz großen Geldströme verwaltet.

 In der CDU genießt der Finanzminister aufgrund seines Alters und seiner Behinderung als einziger eine gewisse Merkel-Unabhängigkeit.
Alle anderen tun was die Vorsitzende möchte. Kritik wird nur hinter vorgehaltener Hand geübt und trifft immer nur einen Stellvertreter der übermächtigen Chefin.

So erging es jetzt Volker Kauder, der Impudenz des Monats Juni 2014 und somit einem der unangenehmsten Politiker überhaupt.

"Erschreckend und beschämend" seien Volker Kauders Äußerungen, sagt der CDU-Parlamentarier Alexander Funk. "Damit disqualifiziert er sich als Vorsitzender." Die Meinungsfreiheit werde mit Füßen getreten, beklagt sein Kollege Andreas Mattfeldt. "Es kann nicht sein, dass man nur noch Stimmvieh der Parteiführung ist." Das ist ziemlich deftig.
Mit seiner offenen Drohung, jene Abgeordnete, die Kanzlerin Angela Merkel bei der Griechenland-Rettung nicht folgen wollen, in Zukunft wichtige Ausschussposten vorzuenthalten, hat Unionsfraktionschef Kauder einen Sturm der Entrüstung in den eigenen Reihen ausgelöst.


Kauder kennt Ihr nicht? Macht nichts; erklär‘ ich Euch.

Der stramm konservative und fundamentalchristliche CDU-Fraktionschef im Bundestag hat anders als seine rechten Freunde Merz, Koch und Co verstanden wie man in der CDU des 21. Jahrhunderts Karriere macht: Bedingungslose Loyalität zu Angela Merkel.
(………..)
Der hässliche Kauder befürchtet womöglich auch trotz seiner ostentativen Merkelschleimerei als zu harter Hund eines Tages aussortiert zu werden.
Daher wird sein Einsatz für die Kirche und Christen immer extremer.
Dabei hält sich die Impudenz des Monats Juni 2014 streng an seine Maxime sich möglichst nie seine Meinung von Fakten verwirren zu lassen.


Die radikalen Evangelikalen sind für ihn nur „fröhliche und engagierte Christen“.






Und Kauder ruft zum Gebet gegen Christenverfolgung auf.


Um den Islam zurück zu drängen, müsse die Kirche viel mehr missionieren.

Ganz besonders dreist log Kauder erst im Juni 2014, als er das Christentum als Garant gegen Nationalsozialismus und als Quelle der Menschenrechte darstellte.


Und so weiter und so fort.
Man könnte fast meinen, Kauder sei Missionar, wenn da nicht sein Nebenjob als Politiker und Waffennarr wäre.

Kauder ist aber auch sonst ein treuer Erfüllungsgehilfe der Großindustrie, wenn sie nur schädlich genug daher kommt.
Es war Volker Kauder, der unter allen Umständen nach der Bundestagswahl 2009 eine Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke durchsetzen wollte. Er schreckte nicht davor zurück auch Parteifreunde fertig zu machen, um das Atom-Oligopol glücklich zu machen.

Schon lustig, diese CDUler. Kauder sitzt seit einem Vierteljahrhundert im Bundestag und macht dort Waffenlobbyismus. Seit inzwischen zehn Jahren ist er Fraktionsvorsitzender und paukt somit immer wieder die sinnlosesten Entscheidungen durch – von Herdprämie über Antiausländermaut. Es ging stets nach dem Motto „Angepasste werden befördert, Aufmüpfige geschasst“ und nur weil er das jetzt einmal laut sagt, empören sich einige Hinterbänkler öffentlich.

[…] Unionsfraktionschef Volker Kauder will Abweichler in der Fraktion bei den Bundestagsabstimmungen zu weiteren Griechenlandhilfen kaltstellen. "Diejenigen, die mit Nein gestimmt haben, können nicht in Ausschüssen bleiben, in denen es darauf ankommt, die Mehrheit zu behalten: etwa im Haushalts- oder Europaausschuss", hatte Kauder der "Welt am Sonntag gesagt.
Mit diesen Äußerungen hat der Fraktionschef viele Abgeordnete aus den eigenen Reihen erzürnt. Besonders scharf äußerte sich der CDU-Abgeordnete Alexander Funk. "Die Einlassungen von Volker Kauder sind für jeden Vertreter der parlamentarischen Demokratie erschreckend und beschämend. Damit disqualifiziert er sich als Vorsitzender", sagte Funk der "Bild"-Zeitung. […]
Sein CDU-Kollege Andreas Mattfeldt, der dem Haushaltsausschuss angehört, sagte der Zeitung Kauder habe "die Meinungsfreiheit, die im Grundgesetz für Abgeordnete fest verankert ist, mit Füßen getreten". Die CDU-Abgeordnete Veronika Bellmann sagte "Bild", Drohungen und Sanktionen stünden nicht in der Fraktionsordnung. "Wenn immer alle Nein-Sager "entmachtet" werden, hat die Union bald ein Besetzungsproblem."
[…] Sein Parteikollege Klaus-Peter Willsch reagierte fast schon sarkastisch auf Kauders Drohung. "Das ist doch wenigstens ein ehrliches Wort! Nach der Neuwahl 2013 wurde immer noch behauptet, unser Rausschmiss aus dem Haushaltsausschuss hätte mit unserem Abstimmungsverhalten nichts zu tun", sagte Willsch SPIEGEL ONLINE. […]

[…] Irgendetwas scheint Volker Kauder nicht ganz verstanden zu haben, als er zuletzt in der Arbeitsordnung seiner Fraktion von CDU und CSU gelesen hat. Vielleicht ist es auch zu lange her, als dass er sich noch richtig erinnern kann. In der Welt am Sonntag jedenfalls behauptet er, die 60 Abgeordneten, die im Juli gegen die Griechenland-Politik der eigenen Regierung gestimmt hätten, hätten ja auch "unserer Fraktionsordnung zugestimmt". Und "in der steht: Wir diskutieren, streiten und stimmen ab, aber am Schluss muss die Minderheit mit der Mehrheit stimmen".
Nun: In der Fraktionsordnung, tatsächlich Arbeitsordnung genannt, steht vieles. Aber was Kauder da behauptet, steht dort explizit nicht. Das Gegenteil ist richtig. In Paragraph 17 heißt es: "In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt es keinen Fraktionszwang. Die Abstimmung ist frei." Alles andere wäre auch ein Verstoß gegen die Verfassung.
Die Mitglieder sind lediglich verpflichtet, bis 17 Uhr am Vortag einer Abstimmung Bescheid zu geben, sollten sie vorhaben, im Plenum gegen die Fraktionsmehrheit zu stimmen. Mehr steht da nicht. […]