Vor einem Bundeskanzler Merz wurde viel gewarnt.
Von einem Kanzler Merz wurde viel erwartet.
In den Fritzekanzler wurde viel projiziert.
Er wurde mit viel Vorschusslorbeeren bedacht und zunächst sehr wohlwollend berichtet. Die Presse lag ihm für seine Rolle als „Außenkanzler“ – Germany is back – zu Füßen. Toll, endlich spielen wir wieder mit im weltweiten Konzert der ganz Großen.
Uns Linksgrünversifften passte der sozialpolitische und migrantenfeindliche Kurs natürlich nicht. Genau das feierte die mehrheitlich konservative Presse. Die Chefredaktionen erfreuen sich an der Lust der Dekonstruktion, fühlen sich, wie Trumpanzees befriedigt, wenn der Chef auf die verhassten Linken und Grünen und Roten eindrischt; zertrümmert, was denen so wichtig ist.
Nur verständlich, wenn es in der Koalition knirscht. Und hatte diese Frauke Brosius-Gersdorf nicht auch irgendwas mit „Gendern“ zu tun? Gut, daß sie weg ist.
Mit dem energetischen Sauerländer käme aber nun die Wirtschaft wieder in Gang, gewänne Dynamik, weil der Blackrocker ihr die finanziellen Mittel gäbe und sie von bürokratischen Fesseln befreie. So läuft das in der neoliberalen Ideologie. Das grandiose Angebot generiert Wachstum, Wachstum und nochmal Wachstum. So prudeln die Steuereinnahmen, trotz niedrigerer Steuersätze immer mehr. Der Bundeshaushalt saniert sich von allein, der weise Führer im Kanzleramt muss nur noch grob die Weichen stellen.
Zudem hatte zog Merkels Nemesis auch noch mit 1.000 aus der Zukunft geliehenen Milliarden Euro im Gepäck ins Kanzleramt ein. Damit musste die Konjunktur erst Recht anspringen. Das klang alles so gut, das war alles so stimmig.
Blöderweise grätscht aber nach einem halben Jahr die lästige Realität in die Rezeption des Kanzlers. Die Wirtschaft schmiert ab, es gibt mehr Insolvenzen, die Arbeitslosigkeit steigt, die Koalition pfeift aus dem letzten Loch, die AfD steigt auf Rekordwerte, bei den fünf Landtagswahlen in 2026 drohen finale Demütigungen für die Kleiko-Regierungsparteien, Merz ist unbeliebt wie nie und redet sich beinahe täglich um Kopf und Kragen. Andrea Römmele, Professorin für Politische Kommunikation, staunt.
[…] Römmele: Ich glaube, dass im Fall von Friedrich Merz die Fehlerkultur gar nicht so das Thema ist, sondern die Impulskontrolle. Damit hat er ein Problem. Sie haben es ja selbst angedeutet, so was passiert ihm immer wieder: Das »Stadtbild«-Thema , im Zusammenhang damit die »Fragen Sie Ihre Töchter«-Aussage oder die über »kleine Paschas« – das sind ja nur ein paar Beispiele unter vielen. […] SPIEGEL: Das mag stimmen, aber es gilt dann ja nur für den Moment, in dem der Kanzler es ausspricht. Hinterher hätte er Zeit zu korrigieren, richtigzustellen, sich zu entschuldigen.
Römmele: Ja, das kann man einmal machen und auch ein zweites Mal. Aber nicht jeden Monat. […] Wenn man ein Problem mit Impulskontrolle hat, dann benötigt man ein Umfeld, das einen schützt. Und das scheint er nicht zu haben. Wenn ich seine Presseverantwortliche wäre, würde ich ihm zu weniger Fernsehauftritten in offenen Formaten raten. Das heißt konkret: weniger Interviews und Talkshows. […]
Der Kanzler ist so unheilbar verblödet, daß wohlmeinende Fachleute ihm raten, sich von der Presse fernzuhalten. Schließlich sei er nicht in der Lage, sich unfallfrei auszudrücken.
Sogar seine frenetischen Fanclubs können es nicht mehr ignorieren: Friedrich Merz ist ein Depp, der dauernd Unsinn und Beleidigungen von sich gibt. Selbst die FUNKE-Zentralredaktion rekapituliert in seinen großen konservativen Blättern:
[….] Wer rettet Friedrich Merz?
Stadtbild, Brasilien, Junge Union: Der Kanzler redet sich immer wieder um Kopf und Kragen. Den Schaden müssen dann andere beheben. [….] Im Moment läuft es nicht rund bei Friedrich Merz. [….] Eigentlich sind Preisverleihungen erfreuliche Routinetermine im Leben eines Kanzlers. Die Gastgeber und das Publikum sind dankbar, die Preisträger stolz, am Ende gibt es schöne Fotos. Nicht so bei Merz, als er bei der Vergabe des Talisman-Preises für gesellschaftlichen Zusammenhalt der Deutschlandstiftung Integration sprechen will. Rund 30 Stipendiatinnen und Stipendiaten verlassen demonstrativ den Raum. [….] Der Protest bei der Preisverleihung erinnert Merz daran, dass Worte eine anhaltende Wirkung haben. Besonders, wenn sie vom Bundeskanzler kommen. Die Stadtbild-Debatte war nicht Merz’ erster Fehlgriff. Schon als Oppositionsführer fiel er mit Äußerungen auf, die als ungenau, provozierend oder gar verletzend wahrgenommen wurden. Es gab in der Union aber die Hoffnung, dass er sich als Kanzler gemäßigter, genauer und konzentrierter äußert. Merz blieb jedoch Merz. [….] Vor wenigen Tagen sprach er bei einem Kongress über seinen Besuch bei der Klimakonferenz in Belém. [….] Es ist ein wiederkehrendes Muster: Merz haut einen raus und sein Kommunikationsteam um Regierungssprecher Stefan Kornelius muss ihn richtigstellen, interpretieren, einordnen. Beim letzten Koalitionsausschuss bestätigte Merz bei der Präsentation der Beschlüsse auf Nachfrage zweimal, die Runde werde sich in der weiteren Sitzung auf eine gemeinsame Position zum Verbrenner-Aus einigen. Huch? Verwunderte Mienen bei den Partnern von SPD und CSU, aus dem Umfeld des Kanzlers wird die Aussage umgehend eingeordnet. War nicht so gemeint.
Im Oktober irritierte Merz auf europäischer Bühne, als er nach einem EU-Gipfel freie Bahn für das umstrittene Mercosur-Freihandelsabkommen verkündete. Ratspräsident António Costa kassierte das umgehend: „Wir haben darüber nicht diskutiert.“ [….] Die Kommunikation des CDU-Chefs macht Probleme mitunter größer, als sie ohnehin schon sind. [….] Beim „Deutschlandtag“ der Jungen Union am vergangenen Wochenende im baden-württembergischen Rust machte der Kanzler schließlich falsch, was man falsch machen konnte: [….]
(Jan Dörner und Thorsten Knuf, 21.11.2025)
Und so treten wir nun in eine neue Phase der medialen Merz-Beschreibungen ein.
Nun wird er als retardierte Trottellumme konnotiert. Der Elefant im Porzellanladen.
Der peinliche Opa, den man verstecken muss und für dessen Entgleisungen man sich mitschämt.
Dieser Kanzler ist eine Witzfigur. Der Pannenonkel aus dem Sauerland. Der peinliche Depp, mit dem man nichts zu tun haben will.
[….] Das Feld der Blamagen auf den Bühnen der Welt ist allerdings groß. Überall lauern die Gefahren. Gerade wenn man aus dem Sauerland kommt. Wie Heinrich Lübke, der als Bundespräsident in Madagaskars Hauptstadt Tananarive die Frau des Präsidenten einst mit „sehr geehrte Frau Tananarive“ begrüßte. Wer kann sich als erdverbundener Sauerländer auch diese ganzen Namen merken. Lübke war froh, wenn er nach Reisen in die Fremde endlich wieder „die frische, raue Luft des Sauerlands“ atmen durfte.
Friedrich Merz ist auch Sauerländer. Er war auf demselben Gymnasium wie Lübke, in Brilon. Das Sauerland ist bekannt für gute Luft, Schützenfeste und einen zu Starrsinn neigenden Menschenschlag. Für lässige Weltläufigkeit eher nicht. Der Sauerländer, bei dem eine gewisse Übellaunigkeit ja schon im Namen angedeutet ist, ist vielleicht besser zwischen Schmallenberg und Niedereimer als zwischen Brasilien und Madagaskar aufgehoben. Der Kanzler war in Belém bei der COP und trompete danach, wie froh er war, wieder nach Hause zu dürfen.
Das kam in Brasilien nicht so gut an. [….] Merz erinnert an den reichen Onkel, der immer alles besser weiß, gern über das Ausland herzieht, wo das Wetter zu heiß, die Straße zu holprig, das Bier zu warm ist. Sein Vorwurf an das Ausland ist fundamental: Es ist nicht Niedereimer. [….]
Der Fritzekanzler vermochte in nur sechs Monaten, was keinem Kanzler vor ihm gelang: Er ist ins Satire-Genre abgerutscht; wurde zum Gegenstand der Comedy.
Die Inkarnation germanischer Peinlichkeit, über die Kolumnisten angewidert herziehen.
[….] Man dachte ja wirklich, dass sich Friedrich Merz nach seiner Stadtbildhauerei, nach den kleinen Aufregungen und großen Protesten, erst einmal eine kreative Pause gönnen würde. Aber da hatte man den Peinlichkeitsfleiß des CDU-Bundeskanzlers unterschätzt, die nächste Kernschmelze seiner rhetorischen Kompetenz ließ nicht lange auf sich warten. Wieder war ihm offenbar etwas zu ausländisch – dieses Mal einfach direkt das Ausland selbst. Nach seiner Rückkehr von der Klimakonferenz in Belém, der Stadt am Amazonas und diesjährige Gastgeberin, spottete er vor Wirtschaftsvertretern beim Handelskongress in Berlin, wie schnell seine Delegation bloß weg da und zurück nach Deutschland wollte , zu »einem der schönsten Länder der Welt«.[….] [….] »Diese Bundesregierung verdient Kritik, keine Frage«, fuhr Merz einsichtig fort, »und ich bin derjenige, der hinter verschlossenen Türen sie mit am deutlichsten und klarsten äußert«. Aber, und hier kommt mein Lieblingspart, »wir wollen bitte auch gemeinsam Maß und Mitte halten, in dem, wie wir miteinander umgehen.«
Nun beginnt der zu Recht kritisierte Brasilienteil seiner Rede – erst mit der Feststellung, dass Deutschland eines der schönsten Länder sei. Diese teutonische Anbiederung soll uns als Kontrastfolie auf die nun albtraumhaften Eindrücke vorbereiten, die der kosmopolitische Kanzler auf seiner Reise gesammelt haben will, er betreibt hier im Grunde eine Art Erwartungsmanagement. Denn verglichen mit dem Zustand in Belém scheint das von ihm bewunderte Deutschland – und damit zusammenhängend ja dann auch die deutsche Regierungsarbeit – doch plötzlich gar nicht mehr so kritikwürdig: »Ich habe einige Journalisten, die mit mir in Brasilien waren, letzte Woche gefragt: Wer von euch würde denn gerne hierbleiben? Da hat keiner die Hand gehoben.«
Ha! Diese verlogenen Tintenfässchen, die ganze Zeit nur am Meckern, wie oll alles in der maroden Republik ist. Aber kaum sind sie von dort weg, wollen sie wieder zurück. Und um noch einmal zu betonen, wie wenig genehm Belém für das deutsche Empfinden gewesen sein muss, versichert Merz, wie froh doch alle waren, »dass wir – vor allen Dingen von diesem Ort, an dem wir da waren – in der Nacht von Freitag auf Samstag wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind«.
Das ist die argumentative Logik: Seid nicht so kritisch, denn woanders ist ja wohl schlimmer!
Die kaputte Sozialmotorik des Kanzlers offenbart hier abermals Menschenbild und Weltbezug, die von Abschätzigkeit und Angst gegenüber dem anderen geprägt sind. Merz hat nicht nur die Geister imperialer Überheblichkeit wiederbelebt, sondern auch den gewöhnlichen Eurozentrismus der Gegenwart: [….] Merz selbst möchte sich (wie üblich) trotz immenser Empörung für seine Aussagen nicht entschuldigen, er bemerkt nicht mal ein Problem in dem von ihm Gesagten. Man sieht sich einem Mann gegenüber, dem die Wirkung seiner Worte so vollständig abhandengekommen zu sein scheint, dass selbst die deutsche Sprache wirkt, als wolle sie am liebsten diskret den Raum verlassen. Am Ende sprach er gar nicht über die Armut Beléms, sondern über seine. [….]







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