Samstag, 13. Februar 2016

Am Thema vorbei - Teil II

Augenscheinlich gibt es in der Welt sehr geteilte Meinungen über Angela Merkels Flüchtlingspolitik.

Frauke Petry, Horst Seehofer, Donald Trump, Beata Szydlo, Victor Orban, Markus Söder und Wolfgang Bosbach sehen die Kanzlerin als diejenige, die unkontrolliert Ströme von Fremden nach Deutschland lässt und lehnen dies mit Verve ab.

Auf der anderen Seite stehen die Grünen, Joschka Fischer, Ruth Klüger oder Einzelpersonen wie George Clooney, die Merkel rückhaltlos bewundern dafür, daß sie auf ihr christliches Herz höre und so viele arme Verfolgte nach Deutschland einlade.

Die Journalisten rätseln. Wie üblich, wenn es um Merkel geht.
Da sie ihr aber in der Regel immer noch sehr gewogen sind, loben sie immerhin ihren enormen Fleiß und Einsatz. Was diese Frau leistet! Und wie viel sie arbeitet!

Allein das Pensum diese Woche wieder: Merkel war in Straßburg und Ankara, in Frankenthal und Montabaur. Und in Hamburg. In Berlin sowieso. Sie hat den Franzosen getroffen, der ihr nicht so recht helfen kann, weil er zu Hause schon Stress genug hat; den Türken, der noch überlegt; den Iraker, der vor allem selber Hilfe braucht; die Polin und den Briten, die mit Europa hadern und in der Flüchtlingskrise für die Kanzlerin auch keine große Hilfe sind. Dazu noch zwei Wahlkampfauftritte in Rheinland-Pfalz. Danach war das Flugzeug kaputt, Merkel saß in Köln auf dem Flughafen rum, bis die Ersatzmaschine kam, erst um halb eins in der Nacht war sie zu Hause.

Merkel, die Fleißige also.
Die SZ-Edelfeder hat zwar Recht, aber es ist auch eine Binse. Regierungschefs haben enorm aufreibende Jobs mit wenig Schlaf. Das gehört zur Jobbeschreibung.

Als Chefin einer 81-Millionen-Köpfe-Nation gehört es zu ihren Aufgaben zu delegieren.
 Das tut sie. Sie muß aber an fähige Menschen delegieren. Das gelingt ihr überhaupt nicht. Sie läßt den völlig unfähigen Thomas de Maizière immer weiter debakulieren, ohne daß die dringenden Aufgaben angegangen werden.
Merkels Minister tun schlicht und ergreifend nicht ihre Arbeit. Die Chefin lässt es desinteressiert geschehen.

Es ist Resultat ihrer zehnjährigen Kanzlerschaft, daß Deutschland kaum Freunde in Europa hat, daß das Verhältnis zu Russland, der Türkei und den USA, ja sogar zu Frankreich ruiniert ist.
In Moskau, Ankara und Warschau, aber auch in den für die Migrationsbewegungen so wesentlichen Hauptstädten Rom und Athen wird Merkels Regierung regelrecht verachtet, so daß man Berlin nur zu gerne im Stich läßt.
Rache ist zwar dumm und unvernünftig, aber eben auch menschlich und süß.

Und was ist das eigentlich für ein Mega-Problem, das 2015 über uns hereinbrach?
1 Million Menschen. Ein Strom? Eine Flut?
Es war ein zum Teil ebenfalls hausgemachtes Problem. Seit 2010 fliehen die Syrer und fünf Jahre weigerte sich Merkel das Thema international zur Kenntnis zu nehmen, ließ die anderen EU-Länder im Stich, beharrte auf das Dublin-Verfahren.

Und die Zahlen?

Trotz aller Herausforderungen: Ein bisschen weniger Drama täte uns allen vielleicht ganz gut!
Wer sich die Bilderflut der letzten Wochen angeschaut hat, kann ja tatsächlich auf den Gedanken kommen, über Deutschland sei so etwas wie eine Naturkatastrophe ungeahnten Ausmaßes hereingebrochen. Dabei reden wir von bisher rund 400.000 registrierten Flüchtlingen, die aus größter Not in diesem Jahr nach Deutschland gekommen sind. 400.000, das klingt für manche ziemlich viel. Klingt allerdings gar nicht mehr so viel, wenn man sich die Zahlen der Flüchtlinge anschaut, die Deutschland in der Vergangenheit schon aufgenommen hat. Allein in den vier Jahren nach dem zweiten Weltkrieg sind rund 12 Millionen Menschen aus den sogenannten ehemaligen deutschen Ostgebieten nach Deutschland geflohen oder vertrieben worden. 12 Millionen, die Arbeit und Wohnraum in einem völlig zerstörten Land suchten. Die zweite große Zuwanderungswelle dann in den 60er und 70er Jahren. Vor allem die sogenannten Gastarbeiter. Allein im Jahr 1973 kamen rund eine Million Ausländer nach Deutschland; insgesamt waren es zwischen 1969 und 1973 sogar 3,4 Millionen. Der nächste Höhepunkt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Fall der Mauer. Spätaussiedler und Asylbewerber aus Osteuropa, allein im Jahr 1992 waren es rund 700.000. Insgesamt kamen zwischen 1988 und 1993 3,1 Millionen Menschen nach Deutschland. Hat das Land alles gut überstanden. Auch deshalb täte uns allen ein bisschen weniger Drama vielleicht ganz gut - trotz aller Herausforderungen. Herausforderungen, auf die die deutsche und europäische Politik fast nur eine Antwort zu kennen scheint. Zäune hoch und Grenzen wieder dicht, wenn’s sein muss auch innerhalb Europas.

Der Staat, diese Minister, Merkels Regierung versagt, weil sie sich nie um die Basics kümmerte.
Die Ämter und Behörden sind im schwarze-Null-schlanker-Staat-Wahn total ausgedünnt und zudem auch noch von einem anachronistischen Beamtenrecht durchdrungen, so daß ausschließlich nach Alter bezahlt und befördert wird und nicht etwa nach Können und Elan. Alles sehr lange bekannt und sehr lange ignoriert von Merkels Mannschaft und ihrem Beamten-Minusminister de Maizière, der noch 2015 trotz eindringlicher Warnungen stoisch immer wieder Personalaufstockungen im BAMF ablehnte.

De facto sind ja gar nicht so viele Flüchtlinge gekommen. Ich meine, es sind zwischen 800.000 und 1,1 Millionen. Die ganz genauen Zahlen kennt man ja gar nicht. Es wird immer mit einer Million geredet, aber wahrscheinlich waren es ja "nur" 800.000. Das ist ein Prozent unserer Bevölkerung. Das ist eine Größenordnung: Wenn wir ein Einwanderungsgesetz hätten so wie Kanada und die USA, würden wir jedes Jahr so viele Leute aufnehmen. Ja, jedes Jahr! Und das ist auch das, was wir brauchen. Das heißt, wenn uns das schon an die Grenze unserer Leistungsfähigkeit bringt, dann haben wir versagt bei der Bereithaltung von staatlichen Strukturen, und das ist ja auch tatsächlich so. Der schlanke Staat, was man uns immer gelehrt hat, der Abbau der Infrastruktur, das macht sich jetzt sehr, sehr bitter bezahlt. Aber der Politik fehlt der Mut, das zuzugeben und zu sagen, kommt, Freunde, das kriegen wir hin, tatsächlich wir schaffen das, wir brauchen hier nur einen Kurswechsel im staatlichen Handeln.

Noch schlimmer ist allerdings, daß Merkel ihren eigentlichen Job gar nicht tut, nämlich für die Integration der zu uns Kommenden zu sorgen.

Erbärmlicherweise ist sie nur ganz im Sinne Seehofers unterwegs, um die Menschen außerhalb von Deutschland zu stoppen.
Die sollen nicht hierher und bitte irgendwo anders bleiben – koste es was es wolle. Dafür macht Merkels Kabinett auch Gesetze, die Kinder und Frauen zum Krepieren ins Meer schicken.

Deswegen bin ich überzeugt, daß die Kommentatoren, die wie Jakob Augstein auch Merkels Christlichkeit für ihren Flüchtlings-Kurs verantwortlich machen ……

Denn sie will, ich glaube, tatsächlich aus einem christlichen Ethos heraus Menschen in der Not schützen. Ich glaube, dass wir alle dramatisch unterschätzen, welche Rolle da das evangelische Pfarrhaus spielt bei dieser Bundeskanzlerin. Sie will Menschen in der Not helfen, das ist christliche Karitas, das ist schön.

….fundamental irren.


Vier Tage früher kritisierte Jakob Augstein das übrigens selbst noch - schob es allerdings allein der SPD in die Schuhe, während er die eigentlich Verantwortliche; Merkel; für ihre christliche Karitas lobt.

Das Wort der Stunde müsste Integration lauten. Aber es lautet Verschärfung. Auf Asylpaket I folgt Asylpaket II, und aus der Union kommt der Ruf nach noch mehr Verschärfung. Weniger Geld, weniger Rechte, mehr Auflagen, das ganze politische Handeln ist darauf ausgerichtet. Der Verschärfungswahn macht auch vor Kindern nicht halt. In letzter Sekunde ist der SPD gerade aufgefallen, dass sie in ihrem Furor dabei war, einer Regel zuzustimmen, nach der nicht einmal alleinreisende Minderjährige ihre Familie nachholen dürften. Deutschland produziert Waisenkinder und die SPD macht mit?

In der SPD gab es einen veritablen Aufstand gegen diese Regelung, so daß ein neuer Kompromiss gefunden werden mußte, in Merkels christlich-karitativer CDU störte sich nicht ein einziger daran Waisenkinder zu produzieren, aber sie ist die Gute?

Wenn die Merkels christliche Überzeugungen als Erklärung für ihren angeblich flüchtlingsfreundlichen Kurs stimmte, könnte sie auch nicht einen Bürgerkrieg absegnen, wie sie es de facto im Osten der Türkei tut und dort neue Flüchtlinge produziert.

„Bilder, die empören. Zivilisten mit weißen Fahnen werden auf offener Straße angegriffen und hinterrücks erschossen. Bilder eines Kameramanns, der gerade noch mal mit dem Leben davon kam. Bilder eines schmutzigen Krieges, direkt vor den Toren Europas. Ein Krieg, den die Bundesregierung partout nicht öffentlich kritisieren will. Kein Wunder, es geht ja um Wichtigeres: die Reduzierung der Flüchtlingszahlen. Guten Abend und willkommen bei Monitor. Seit Monaten tobt dieser Krieg, den die türkische Regierung offiziell gegen kurdische Terroristen führt; oder wen immer sie dafür hält. Das Schweigen der deutschen Bundesregierung wird von der Türkei dabei offenbar als Freibrief verstanden. Als Freibrief für einen brutalen Krieg, als Freibrief aber auch für die Unterdrückung der Opposition im eigenen Land. Nikolaus Steiner, Stephan Stuchlik und Halil Gülbeyaz über eine der schäbigsten Seiten der deutschen Flüchtlingspolitik.“


 „Jetzt sehen wir, dass Angela Merkel, die jahrelang die Verhandlungen mit der Türkei blockiert hat, so agiert, als ob alles Negative plötzlich verschwunden wäre. Und das zeigt, dass es mittlerweile um eine strategische Beziehung geht. Werte und Prinzipien gibt es dabei nicht mehr.
(Berkay Mandiraci, International Crisis Group Türkei)

Noch mal Jakob Augstein:

Sie will Menschen in der Not helfen, das ist christliche Karitas, das ist schön.

Wenn die Merkels christliche Überzeugungen als Erklärung für ihren angeblich flüchtlingsfreundlichen Kurs stimmte, würde sie nicht tumb die Fehler von vor 40 Jahren wiederholen, als es ebenfalls hieß Integration brauche man nicht, da die Gastarbeiter in Deutschland alle wieder in ihre Heimatländer zurück kehren würden.

Geschichte wiederholt sich
Wieder Familiennachzug, wieder „Flüchtlingskrise“, wieder Fehler
Die These, Deutschland ist kein Einwanderungsland galt teilweise bis ins neue Jahrtausend hinein. Heute muss es heißen, dass Deutschland auch ein Einwanderungsland für internationale Fluchtbewegungen ist. Das Land steht erneut vor einem migrationspolitischen Wendepunkt.
[……] Jahrzehnte lang, seit Beginn der Anwerbeabkommen ab 1955 bis kurz vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1.1.2005, wurde die Bevölkerung in Deutschland mit der Haltung, „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ und politischen Statements wie „Das Boot ist voll“, konfrontiert. Geprägt wurde diese Politik durch eine drastische Verschärfung der Asylgesetzgebung als Folge der Einwanderung von Kriegsflüchtlingen insbesondere aus Ex-Jugoslawien. Ebenfalls sei an Maßnahmen wie die Green-Card erinnert, die zum Ziel hatte, IT-Spezialisten anzuwerben, oder bilaterale Abkommen zur Beschäftigung von Erntehelfern beispielsweise. Dieses, einerseits durch Verweigerungshaltung und andererseits durch Widerspruch geprägte politische Programm lieferte die Grundlage für eine zwiespältige Einwanderungs-politik die auch noch heute anhält.
[……] Ab Anfang der 1990er Jahre setzte eine bis dahin noch nie da gewesene rasante Zunahme der Einwanderung von Flüchtlingen vorrangig aus Ex-Jugoslawien ein, auf die mit dem sog. Asylkompromiss vom 6.12.1992, vor dem sich SPD und FDP lange sträubten, reagiert wurde. [……] Am 28.1.2016 wurde von der schwarz-roten Bundesregierung das Asylpaket II beschlossen. Und schon wieder ist Familiennachzug Thema, neben weiteren Einschränkungen und Regelungen.
[……] Diese restriktive Politik orientiert sich dabei weniger am asylsuchenden Menschen, sondern wird beschleunigt durch eine Angst vor einem Verlust an Wählerstimmen, geschieht im Kontext der bevorstehenden Landtagswahlen in diesem Jahr sowie der Befürchtung eines noch deutlicheren Rechtsrucks der Gesellschaft. Erinnert sei an die Landtagswahl von 1992, als die als rechtsextremistisch eingestuften Republikaner als Folge der sog. Asyldebatte mit 11 Prozent in das Stuttgarter Parlament einzogen. [……]

Nein, Merkel ist nicht die Mutter der Flüchtlinge. Sie duckt sich vor den Rechten weg. Sie hat keinen Mut. Sie will keine Integration.

In dem Punkt hat Augstein allerdings Recht.

Was man [den Politikern] vorwerfen muss ist die Mutlosigkeit, mit der sie da zu Werke gehen. Ich glaube, dass die Politiker die Bevölkerung dramatisch unterschätzen und aus Angst vor den Rechten, aus Angst vor der AfD einen Fehler nach dem anderen machen und sich sozusagen von der rechten Rhetorik treiben lassen, statt mehr Mut und Zuversicht zu verbreiten und auch selber zu haben. [….] Aber ich glaube, dass [Merkel] an der Integration dieser Leute oder auch an der Umwandlung Deutschlands zum Einwanderungsland mit allem, was das heißt, Fordern und Fördern, in Wahrheit kein großes Interesse hat. Das heißt also, auch hier wieder ist schon die alte Angela Merkel, die eigentlich kein politisches Projekt hat und kein politisches Programm hat. Das bräuchte man jetzt aber.

Für Herrn Clooney im fernen Amerika mag es so aussehen, als ob Merkel die Flüchtlingsfreundin wäre, die sich für die armen Menschen einsetze.
Das tut sie aber nicht. Sie ist damit beschäftigt die Flüchtlinge abzuwehren, gibt dabei jede Menschlichkeit auf, verursacht damit noch mehr Elend und Tod.

Noch nicht einmal um die Menschen, die schon in Deutschland sind, sorgt sie sich. Auch ihnen gibt sie zu verstehen, daß sie wieder verschwinden sollen, erschwert Integration, indem sie beispielsweise Deutschkurse nun von den Flüchtlingen selbst mitbezahlen lässt, ja gibt das Projekt Integration überhaupt auf.

Jetzt muß ich schon einen Hamburger Morgenpost-Kommentar zitieren, um dem Vizekanzler den Vertrauensverlust in die Bundesregierung klar zu machen:

[….] Dies liegt auch daran, daß die Regierung nicht das geringste Signal sendet, wie es eigentlich im Land selbst weitergehen soll: Wo bleibt beispielsweise eine „Agenda Flüchtlinge“, vergleichbar mit der „Agenda 2010“? Wo ein Milliardenschweres staatliches Wohnungsbauprogramm? Oder eine Offensive zur Ausbildung und Einstellung von Lehrern und Polizisten? „Wir schaffen das“ ist zwar ein edles und richtiges Motto. Momentan hat man aber nicht den Eindruck, daß die Bundesregierung genug unternimmt. Stattdessen hat sie sich von EU-Partnern, der Opposition und engagierten Bürgern anhängig gemacht. [….]
Wir wissen doch nun schon seit vielen, vielen Monaten, daß CDU-de Maizière bei der Einschätzung der Flüchtlingszahlen und der Funktion des BAMF total versagt, wissen doch nun schon seit vielen, vielen Monaten, daß er Berliner CDU-Senator für Gesundheit und Soziales Mario Czaja beim LAGESO total versagt.
Kann ja passieren.
Aber es darf doch nicht sein, daß man den Zustand einfach so belässt, obwohl die Situation extrem pressiert.
Diese Typen gehören sofort entfernt. Mit schlichter Untätigkeit und Merkels General-Rezept „Abwarten“ kommen wir nicht weiter.