Jetzt bricht wieder die
nervige Zeit der Jahresrückblicke an.
In vielen Kategorien werden die besten
und auffälligsten Gestalten 2012 gesucht.
Ich schließe mich dabei
übrigens dem derzeit (sehr knappen) Mehrheitsvotum an und stimme ebenfalls für
Thierse als verbaler Vollhonk des Jahres.
In
der DDR gab es keinen Religionsunterricht an den Schulen, keine
Militärseelsorge, keine öffentlichen Bekenntnisse. Und siehe da, das Ding ging
unter!
(Wolfgang
Thierse)
Ein
anderer Sieger eines Jahres-Polls ist Nordkoreas neuer Obermacker Kim Jong Un,
der die bizarre Juche-Kommunistische Familiendiktatur nun in der dritten
Generation leitet.
Die
Wahl Kim Jong Uns zu Times „Man Of The Year“ stellte sich zwar bald als
Hacker-Scherz heraus, aber gepasst hätte es.
Nordkoreas Diktator Kim
Jong Un erfreut sich im Internet offenbar großer Beliebtheit. Bei der
Leserabstimmung zur "Person des Jahres 2012" auf der Internetseite
des "Time"-Magazins erhielt Kim 5,6 Millionen Stimmen - und gewann
damit mit großem Vorsprung. Die renommierte US-Zeitschrift teilte allerdings mit,
dass das Ergebnis größtenteils auf Kampagnen verschiedener Hacker-Gruppen
zurückzuführen sei. Diesen hätten den Diktator mit speziellen Klick-Programmen
nach vorne gebracht.
(Spon 13.12.12)
Warum auch nicht?
Das TIME-magazine hatte
auch schon Arschgeigen wie Haile Selassie I. (1935), Hitler (1938), Stalin
(1939), Ayatollah Khomeini (1979), Newt Gingrich (1995), George W. Bush (2000,
2004) und Marc Zuckerberg (2010) erwählt.
Kim
Jong Un ist tatsächlich in den letzten zwölf Monaten weltweit gegenwärtig
geworden.
Dafür daß am Todestag seines Vater Kim Jong Il, dem 17.12.2011 noch
niemand Jong Uns Namen kannte, hat sich der Nachwuchs-Diktator in einer
beeindruckenden PR-Offensive in die Weltöffentlichkeit katapultiert!
Als
the Onion ihn am 14.11.12 zum „Sexiest man alive“ hochjazzte, verbreiteten
chinesische Nachrichtenagenturen die Meldung weiter.
The Onion is proud to announce
that North Korean supreme leader Kim Jong-un, 29, has officially been named the
newspaper’s Sexiest Man Alive for the year 2012.
With his devastatingly
handsome, round face, his boyish charm, and his strong, sturdy frame, this
Pyongyang-bred heartthrob is every woman’s dream come true. Blessed with an air
of power that masks an unmistakable cute, cuddly side, Kim made this
newspaper’s editorial board swoon with his impeccable fashion sense, chic short
hairstyle, and, of course, that famous smile.
“He has that rare ability to
somehow be completely adorable and completely macho at the same time,” Onion
Style and Entertainment editor Marissa Blake-Zweibel said. “And that’s the
quality that makes him the sort of man women want, and men want to be. He’s a
real hunk with real intensity who also knows how to cut loose and let his hair
down.”
The online version of China's
Communist Party newspaper has hailed a report by The Onion naming North Korean
dictator Kim Jong Un as the "Sexiest Man Alive" – apparently unaware
it is satire.
The People's Daily ran a
55-page photo spread on its website Tuesday in a tribute to the round-faced
leader, under the headline "North Korea's top leader named The Onion's
Sexiest Man Alive for 2012."
Ich
bin mir nicht ganz sicher, ob es sinnvoll ist, sich über das Nordkoreanische
Terrorregime lustig zu machen.
Das
Volk hat da recht wenig zu lachen.
Ein
Kasernenstaat, in dem 22 Millionen Menschen eingesperrt sind, davon 1,2 Millionen
als Soldaten. Sechs Millionen stehen als Reservisten bereit. Schon 1978 schätzte
die CIA, dass 12 Prozent der Männer zwischen 17 und 49 Jahren regulären Armeedienst
leisteten: »Ein Höchst stand«, bilanzierte die CIA, »den nur Israel
übertrifft.« Die forcierte Hochrüstung unter der »Armee zuerst«-Politik
erniedrigte das Volk buchstäblich:
Laut
einer Studie von UN und EU aus dem Jahr 2002 ist ein siebenjähriger
Nordkoreaner im Schnitt 20 Zentimeter kleiner und 10 Kilo leichter als sein
Landesbruder im Süden. Und es ging immer rasanter bergab. Die Wirtschaft schrumpfte
seit Mitte der neunziger Jahre innerhalb von zehn Jahren um 40 Prozent. Fluten (1995/96)
und Dürren (1997) von biblischem Ausmaß – mit verursacht durch die Abholzung der
Wälder – führten zum Hungertod von zwei Millionen Menschen. Hunderttausende
suchten Rettung in China. Auch heute treibt die Hoffnung auf ein besseres Leben
Nordkoreaner über die Grenze, obwohl auf Flucht Lager, Folter oder Todesstrafe
stehen. Etwa 200 000 Menschen vegetieren im Gulag; die früheren 14 Lager sind
zu sechs Strafkolonien zusammengelegt worden. Rund die Hälfte der Opfer sind
politische Gefangene, für die Sippenhaft gilt. Wer zu fliehen versucht, hat die
öffentliche Hinrichtung im Beisein eingesperrter Verwandter zu gewärtigen.
(DIE ZEIT 13.12.12)
Neben
dem PR-Coup um seine Person hat Kim Jong Un auch einen großen politischen
Erfolg zu verzeichnen, indem es ihm erstmals gelang so eine Art
Interkontinentalrakete zu starten.
Zwar
ist er technisch noch Lichtjahre davon entfernt die USA oder Europa tatsächlich
mit einem Atomsprengkopf zu treffen, aber allein die Vorstellung läßt den Westen
so sehr schlottern, daß Nordkorea nun ein gewaltiges Verhandlungspfand in der
Hand hat.
Eine
Rakete des Typs Unha-3 hat "ein Objekt" in den Erdorbit gebracht, wie
es das Nordamerikanische Luft- und Weltraum-Verteidigungskommando (Norad)
formulierte.
[…]
Nordkoreas Raketenstart [hat] den Westen doppelt überrascht. Anders als beim
letzten Raketentest, zu dem sogar die internationale Presse geladen war, hat
Pjöngjang diesmal auf großes Tamtam verzichtet - und sogar technische Probleme
und eine Verschiebung des Starts vorgetäuscht. Zudem ist es einigermaßen
verblüffend, dass es den Ingenieuren von Diktator Kim Jong Un überhaupt
gelungen ist, den Start im vierten Anlauf pannenfrei hinzubekommen. […]
"Dieser
Start stärkt die Glaubwürdigkeit der Nordkoreaner, wenn sie behaupten, mit
ihren Raketen die USA treffen zu können", sagte James Schoff vom Carnegie
Endowment for International Peace. "Das kann man jetzt nicht mehr so
einfach abtun."
Unsereins
steht immer wieder fassungslos vor dem Kim-Regime und wundert sich, daß es so
einen grotesken Kult in der echten Realität gibt.
Vom
Himmel gefallen ist die politische Situation in Korea aber nicht.
1000
Jahre lang bildete die Halbinsel Korea ein einheitliches Königreich, welches
sich immer wieder Angriffen aus Japan und der Mandschurei erwehren mußte.
1910
annektierte Japan ganz Korea und beutete es als Kolonie aus. Die Grausamkeiten
der Besatzungsarmee waren extrem - aber Japan konnte sich das Vorgehen leisten,
da es eine geheime Übereinkunft gab,
„die
1905 zwischen dem US-Kriegsminister und späteren Präsidenten William H. Taft
und Japans Außenminister geschlossen worden war. Darin billigte Washington,
dass Asiens neue, dynamische Großmacht Japan die Herrschaft über Korea an sich riss.
Als Gegenleistung erkannte Tokio das koloniale Regime der USA über die Philippinen
an.“
(DIE ZEIT 13.12.12)
Diese
eigenartigen Asiaten galten Amerika als Verhandlungsmasse, die keine eigenen Rechte
besaßen. Dementsprechend konnte man sie meucheln und ausbeuten - gedeckt und
für gut befunden von den beliebtesten US-Präsidenten und der bis heute geltenden
Verfassung.
Spanien hatte einst die
Philippinen kolonialisiert und christianisiert.
Allerdings erdreisteten sich die Unterjochten vor rund 100 Jahren unabhängig
werden zu wollen und riefen 1898 die Republik aus.
Das brachte die USA auf den Plan - so ging es ja nun nicht, daß Nicht-Weiße
plötzlich machen was sie wollen - die Amerikaner erklärten den Krieg. Von 1899
bis 1902 killten sie dann etwa eine Million Philippinos (20 % der
Gesamtbevölkerung) und das Land wurde zur amerikanischen Kolonie.
So dehnte sich das christlich-imperiale Amerika tief in den Pazifik aus.
The land oft he free.
Noch heute haben die USA Hoheitsrechte über 23 Militärstützpunkte auf den
Philippinen.
Mit Farbigen kann man es ja machen.
Beim Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg - was sich tatsächlich als ein
Segen für Europa heraus stellte - gab es also große amerikanische
Flottenstützpunkte auf Hawaii und den Philippinen.
Dort lebten reiche Amerikaner ein HERRLICH koloniales Leben.
In der Navy war alles klar geregelt:
Schwarze durften dienen, servieren, putzen und Kohlen schaufeln. Nicht aber mit
den Weißen zusammen arbeiten. Schwarze Offiziere waren verboten, Schwarze und
Gelbe saßen hinten im Bus.
Nach dem Beginn des Kriegs im Pazifik (Pearl Harbor, 7. Dezember 1941) war in
den USA klar, wie man mit diesen „Gelben“ umzugehen hatte - sie wurden
weggesperrt.
Alle. Auch die Amerikaner.
Rasse allein war das Kriterium, um Menschen zu enteignen, zu entwürdigen und
entrechten.
Etwa 120.000 Japan-stämmige Menschen - davon 62 % amerikanische Staatsbürger
wurden in War Relocation Centers zusammen gepfercht.
Eine Kriegs-Umsiedelungs-Behörde sorgte dafür, daß niemand diesen Lagern
entkam.
Die Christen in Gods Own Country fanden das nicht im Geringsten verwerflich und
so dauerte es bis 1992 (!!!!), daß eine Entschuldigung ausgesprochen wurde.
Der große Superpräsident Ronald Reagan, die Ikone der Freiheit („Tear down this
wall, Mr. Gorbatschow“) mochte so einen Satz nicht über die Lippen bringen.
Bekanntlich verstanden
sich die pazifischen Co-Kolonialmächte Japan und USA nicht immer.
Am 10. August
1945, nachdem Amerika soeben auch Nagasaki mit einer Atombombe ausradiert
hatte, beschlossen ein paar untergeordnete Militärs in Washington Japans
ehemaligen Kolonien mit der Sowjetunion zu teilen.
Willkürlich zog man am 38.
Breitengrad eine Grenze.
Die Koreaner selbst waren
zu dem Zeitpunkt begeistert davon die verhassten Kolonialmächte von der
östlichen Nachbarinsel loszuwerden.
Man hätte sich gerne wieder selbst gehört.
Man hätte sogar demokratisch gewählt - aber, und das ist ein großes ABER: Die
Ergebnisse müssen schon passen.
Amerika akzeptiert nur
Demokratien, die genehme Wahlergebnisse generieren. Wenn wie in Palästina die
Hamas oder wie in Algerien die FIS* gewinnen, dann will der Westen doch keine
Demokratie und unterstützt stattdessen lieber Besatzungsarmeen oder
Militärdiktaturen.
Auch in Korea drohten
1945 nicht-amerikagenehme Ergebnisse.
Spontan
formierten sich überall im Lande lokale Selbstverwaltungsorgane. Am 6.
September beschlossen ihre über 1000 Delegierten in Seoul die Gründung der
Volksrepublik Korea, um sich den ankommenden Amerikanern wieder als
selbstständiger Staat zu präsentieren. Die neue Regierung war linksorientiert,
aber legitimiert. Auch im südlichen Teil wünschten sich 70 Prozent der Bevölkerung
den Sozialismus, 14 Prozent bevorzugten den Kapitalismus, nur 7 Prozent den Kommunismus.
Das ergab noch 1946 eine Umfrage der US-Militärregierung. Am 8. September 1945
führte Generalleutnant John R. Hodge seine US-Truppen nahe Seoul an Land. Zur
Begrüßung schickte ihm die neue Regierung drei Englisch sprechende Koreaner entgegen.
Doch der Kommandeur hatte den Befehl, keine Repräsentanten einer provisorischen
Regierung zu empfangen. Das US-Militär zog in Seoul ein und übernahm sogar Beamte
der bisherigen japanischen Besatzer für die Verwaltung. Zum zweiten Mal fühlten
sich die Koreaner von Amerika verraten. […] [Franklin D. Roosevelt] hielt das
1910 von Japan annektierte Korea für »nicht reif genug«, sich selbst zu
regieren. Deshalb gewann er die Briten und die Chiang-Kai-shek- Regierung in
China 1943 dafür, die Halbinsel 20 bis 30 Jahre lang von den Großmächten verwalten
zu lassen. Mit welcher »Reife« die USA selbst dieses Projekt angingen, ließ ihr
damaliger Außenminister Edward Stettinius erkennen, als er noch 1945 einen
Untergebenen bat, ihm zu zeigen, wo Korea liege. Die Aufteilung zerreißt eine
alte Nation, die ihren einheitlichen Staat rund neun Jahrhunderte vor den
Vereinigten Staaten bildete.
(DIE
ZEIT 13.12.12)
Daß
Kim Jong Uns Großpapa Kim Il Sung als Major der Roten Armee und Chef der
nördlichen Besatzungszone auf die Anweisungen Stalins pfiff und sich
erdreistete der Kolonialmacht USA zu widersprechen und Korea den Koreanern zurückgeben
wollte, entsetzte die Amis!
Ein
selbstständiges Korea hätte die USA um ihre schöne Kriegsbeute betrogen.
Die
40 Jahre von Japan unterdrückten und drangsalierten Koreaner sollten keinesfalls
frei und demokratisch leben dürfen!
Dafür
überzogen sie die Halbinsel mit Krieg. Und was für einen!
Die
Bilanz des Krieges war schrecklich: drei Millionen Tote, fünf Millionen
Flüchtlinge und eine Million bis heute getrennte Familien. Es gab weder einen
Sieger noch einen Frieden, nur den Waffenstillstand von Panmunjeom am 27. Juli 1953;
Grenze blieb der 38. Breitengrad.
Der
Friedensbruch durch Kim Il Sung hatte für die USA fast alle Waffen geheiligt.
Der Krieg war gerade zwei Wochen alt, als US-General Douglas Mc Arthur, der die
UN-Truppen in Korea führte, nach nuklearen Sprengsätzen rief. Er bekam sie
nicht. Stattdessen ließ die Air Force Tausende Tonnen Napalm auf Nordkorea
regnen. Schließlich mahnte selbst Englands Premier Winston Churchill: Niemand
habe sich bei der Erfindung von Napalm vorstellen können, dass es einmal über
eine ganze zivile Bevölkerung »versprüht« werden würde. Städte sanken in Schutt
und Asche, große Dämme wurden bombardiert (was seit 1949 als Kriegsverbrechen
galt). 1952 war vor allem die nördliche Hälfte dem Erdboden gleichgemacht. Die
Menschen lebten, wohnten, lernten, produzierten im Untergrund. Es war vor allem
dieser Krieg – und die darauf folgende jahrelange Stationierung von
US-Atomraketen in Südkorea –, die den Wunsch der Kims bestimmte, Land und
Regime durch Nuklearwaffen zu sichern.
(DIE
ZEIT 13.12.12)
Es
ist nicht zu rechtfertigen, wie drei Generationen Kim-Diktatoren ihr eigenes
Volk quälen.
Aber daß es eine ausgeprägte Feindschaft gegenüber Kolonialmächten
im Allgemeinen und Amerika im Besonderen gibt, ist psychologisch zu verstehen.
Die
Kims haben gesehen, wie Amerika mit missliebigen Ländern umgeht, die wie der
Irak oder Afghanistan KEINE Atomwaffen haben.
Sicher
gegen erneute von Amerika aufgezwungene Kriege ist man nur mit
Massenvernichtungswaffen.
Das
haben Kim Jong Il und Kim Jong Un verstanden.
Das
ist aber auch ein naheliegender Schluß Achmadinedschads.
Kim
Jong Un ist sicher kein Sympath und ich bemitleide ihn nicht, weil er zum
Gespött der Satiriker wird.
Aber
da findet eben auch Weltpolitik statt, die man erst nehmen muß.