Dienstag, 10. Juni 2025

Außenpolitische Stilfragen

Wenn man als Kind für den Deutschunterricht einen Aufsatz schreibt, wird man für plumpes Aneinanderreihen und Wiederholungen gemaßregelt. Mit 11 Jahren begreift man es noch nicht, aber es klingt schlecht, wenn in jedem Satz „und dann“ vorkommt. Ich erinnere mich noch an meine latente Unzufriedenheit, wenn mir „Stil“ angekreidet wurde, weil mir der Begriff, anders als Grammatik- oder Rechtschreibfehler, so schwammig vorkam. Es gibt keine allgemein bekannten Eselsbrücken, nach denen ein Grundschüler guten Stil lernt.

Ein Problem stellt sich immer, egal, ob ein Romancier über seinen Helden, ein Sportkommentator über einen Tennisspieler, oder ein Journalist über Politiker schreibt: Es klingt miserabel, denselben Namen ständig zu wiederholen. Daher verwendet man Umschreibungen. Statt immerzu „Merz“, streut man auch „der Sauerländer“, der „Merkel-Konkurrent“, „CDU-Chef“, „Bundeskanzler“ ein. Für einen Roman-Autoren birgt das freilich auch Risiken, da er einen viel längeren Text bewältigen muss, aber auch viel mehr Ebenen zur Verfügung hat, um Umschreibungen zu ersinnen. Diese können nämlich auch zu kreativ oder abwegig werden, so daß dem Leser unangenehm auffällt, wie jemand krampfhaft versucht, denselben Terminus zu oft zu verwenden. Das ist auch schlechter Stil.

In der Politik, verwendet man weniger Ausweich-Worte, neigt aber dazu, sie völlig synonym zu verwenden, auch wenn erheblich unterschiedliche Topoi definiert sind. Schreibt man über den Krieg in der Ukraine, tauchen außer „Wladimir Putin“ die Begriffe „Moskau, Russland, Kreml, die Russen, russischer Präsident“ auf, die alle dasselbe meinen, aber nicht synonym sind. Natürlich ist Putin nicht Russland; das weiß aber auch der Leser und versteht, wie es in dem Zusammenhang gemeint ist.

Niemand versteht es als volksverhetzend gegenüber 130 Millionen Russen, wenn sie in einem Text sprachlich mit Putin gleichgesetzt werden.

Bei Israel funktioniert das allerdings weit weniger gut, weil der Staat, die Staatsbürgerschaft und das Judentum kollidieren. Bei der völlig legitimen Kritik am Vorgehen der gegenwärtigen Israelischen Regierung schwingt leicht einmal völlig illegitimer Antisemitismus mit.

Verkompliziert wird die Sache wegen der besonderen deutschen Geschichte, der Verwirrung um die genaue Definition, was eigentlich Antisemitismus ist und schließlich auch den fälschlichen Antisemitismus-Vorwurf, der aus Netanjahus Kabinett leider oft kommt, um legitime politische, moralische und rechtliche Kritik zu diskreditieren.

Daher sollte man unbedingt vermeiden, um des flüssigeren Lesens Willen, die Begriffe „Netanjahu, israelische Regierung, Israel, die Juden, Jerusalem, israelische Armee, Israelis“ synonym zu verwenden. Sie sind sehr unterschiedlich. Daher habe ich auch mehrfach in diesem Blog versucht, sie auseinander zu klamüstern

(….) Aber abgesehen von Raphaels persönlichem Martyrium; auch wenn sie keinerlei Bezug zum Hamas-Massaker hätte: Es ist die Paradedefinition von Antisemitismus, einer Person, wegen ihres Jüdisch-Seins zu drohen und sie aufgrund ihrer zufälligen Zugehörigkeit zu einem Kollektiv zu verurteilen. Hier verschwimmt alles: Judentum, Israel, Gaza, Netanyahu-Regierung, Ethnie, Religion.

Marcel Reich-Ranicki, 1920 im polnischen Włocławek geboren, hatte einen säkularen polnischen Vater (David Reich) und eine deutsche Mutter (Helene Auerbach). Er besuchte die deutsche Schule in Polen und zog 1929 mit seinen Eltern als kleines Kind nach Berlin. 1938 deportierte man ihn nach Polen, ab 1958 lebte er wieder dauerhaft in Deutschland. Eine Verbindung zu Israel hatte er gar nicht. Reich-Ranicki gehörte aber auch nicht zur jüdischen Religion, weil er immer Atheist war.

„Gott ist eine literarische Erfindung. Es gibt keinen Gott. […] Ich kenne keinen. Hab ihn nie gekannt. Nie in meinen Leben!“

(MRR)

Kein Israeli, kein Angehöriger des Judentums und dennoch zweifellos Jude, obwohl es gar keine „menschlichen Rassen“ gibt. Er gehörte nicht zu der Ethnie, nicht zu der Religion und nicht zu dem Nationalstaat (Israel), empfand sich aber eindeutig als Jude. Die Beispiele Marcel und Teofila Reich-Ranicki zeigen die Perfidie des Antisemitismus: Aufgrund nicht existenter, ausgedachter Zugehörigkeiten, wurden ihre gesamten Familien, ihre Eltern, alle Geschwister, alle Verwandte ermordet.

Yuval Raphael ist genauso wenig für den Gazakrieg und die Netanyahu-Regierung verantwortlich, wie Annalena Baerbock für Adolf Hitler oder ich für Donald Trump.

Menschen, die ihre außerordentlich berechtigte Kritik an Bibis inzwischen offenkundig genozidalen Krieg ausdrücken, indem sie einzelne Israelis und/oder Juden in Berlin, Malmö oder Basel angreifen, gehört meine ganze Verachtung.
Das ist Antisemitismus! Und es ist ebenfalls antisemitisch zu behaupten, man dürfe Israel nicht kritisieren, weil es die klassischen Stereotype aus der Nazizeit bedient: Es gäbe mächtige internationale jüdische Seilschaften, die so etwas verböten.

Selbstverständlich darf man Kritik üben.

(….)   Viele Rechtsextreme, viele Idioten und leider auch zu viele engagierte Linke, blamieren sich, seit die Hamas am 07.Oktober 2023 mehr als 1.400 Israelis massakrierte und rund 250 Menschen als Geiseln verschleppte, mit verstörenden Aussagen.

Möglicherweise gab es schon beim Jom Kippur-Krieg 1973, oder dem Sechstagekrieg von 1967 so abwegige deutsche Meinungen dazu. Aber glücklicherweise gab es damals noch kein Internet, so daß nicht jeder Depp seine irrelevanten Ansichten publizierte.

Ich möchte 20 Axiome zur Nahost-Meinungsäußerung in Deutschland nennen, die ich mir nicht etwa gerade selbst ausdenke, sondern seit Jahrzehnten rauf und runter gebeten werden. Aber offensichtlich dennoch immer weniger gehört werden.

1.   Niemand ist gezwungen sich zu positionieren.

2.   Niemand muss Nahost-Experte sein.

3.   Kritik an Israelischer Politik ist nicht verboten.

4.   Politisches Handlungen der Jerusalemer Regierung zu kritisieren, ist nicht antisemitisch.

5.   Einzelne Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland für Netanyahus Handlungen zu beschimpfen, ist antisemitisch.

6.   Die Hamas ist nicht identisch mit den Palästinensern.

7.   Ein nach 1945 geborener Deutscher ist nicht Schuld am Holokaust.

8.   Die Deutschen Bürger sind aber dafür zuständig, den Holocaust nicht zu vergessen und ihn nicht zu wiederholen.

9.   Für die historischen Leiden des jüdischen und des palästinensischen Volkes ist Deutschland sehr stark mitursächlich und sollte deswegen auf internationaler Ebene nicht ausgerechnet am Lautesten kritisieren und den moralischen Zeigefinger schwenken.

10.Hamas-Terror, der zum Beispiel beinhaltet, die deutsche Geisel Shani Louk, nackt zur Schau zu stellen, sie zu vergewaltigen, foltern, köpfen, zu zerstückeln und mit solchen Taten im Netz zu prahlen, ist eben nicht mit den Aktionen Israelischer Soldaten zu vergleichen.

11.Wenn man auf Social Media Israel beschimpft und dafür seinerseits kritisiert wird, bedeutet das nicht „man darf ja gar nichts mehr sagen“.

12.Meinungsfreiheit in Deutschland bedeutet nicht das Recht, seine Meinung immer widerspruchslos kund zu tun.

13.Wenn deutsche Juden nur unter besonderem Schutz in Schulen oder Synagogen gehen können, ist das nicht ihre Schuld, sondern eine elende Schande für die deutsche Gesellschaft.

14.Empathie für die getöteten Kinder im Gaza-Streifen zu empfinden, bedeutet nicht, israelfeindlich zu sein.

15.Empathie für die von der Hamas gefolterten und getöteten Israelis zu empfinden, bedeutet nicht, alle Palästinenser zu hassen.

16.Die internationale Gemeinschaft verlangt nicht von Fritze Meier in der Fußgängerzone von Buxtehude, eine Lösung des Nahostkonfliktes aus dem Ärmel zu schütteln.

17.Nicht jeder Deutsche muss über historisches Fachwissen verfügen.

18.Wer historische Vergleiche bemüht, sollte aber die Fakten kennen.

19.Deutsche Rechtsradikale, die mit ihrem extremen Hass auf Migranten und Muslime Stimmungen machen, sind nicht automatisch Israel-Freunde.

20.Die Kriegsverbrechen Putins rechtfertigen selbstverständlich nicht, 80 Jahre rückwirkend den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. (….)

(Historisch aufgeladene Zeiten, 04.11.2023)

Selbstverständlich wird auch Kritik geübt. Insbesondere in Israel selbst gibt es seit vielen Jahren massive deutliche öffentliche Kritik an Bibis Vorgehen. In Parteien, in der Presse, in der Zivilgesellschaft, sogar in Geheimdiensten und Armee. (…)

(Israel-Fragen, 17.05.2025)

Im SPIEGEL meldete sich zu dem Thema letzte Woche eine Kolumnistin des Hauses zum Thema.

[…] In politischen Debatten werden Länder oft wie Personen behandelt. Das kann gefährlich werden. Besonders im Umgang mit Israel ist sprachliche Präzision wichtig.  [….] Vor einigen Tagen stolperte ich über eine Umfrage, die der »Tagesspiegel« beim Meinungsforschungsinstitut Civey in Auftrag gegeben hat. Eine Frage lautete: »Welchen politischen Kurs wünschen Sie sich von Deutschland gegenüber Israel?« Die Befragten konnten sich zwischen drei Antworten entscheiden: »Distanzierung«, »Gleich«, »Annäherung«.

Ich versuchte, mir vor Augen zu führen, wie sich »Deutschland« von »Israel« distanzieren könnte. Es stellte sich kein Bild dazu ein, aber eine inhaltliche Aussage ergab sich dennoch, und die ist nun wirklich problematisch. Deutsche sollten sich nämlich nicht von Israel als Staat distanzieren, sondern sollten immer für ihn eintreten. Erst, wenn diese Prämisse gilt, kann etwa ein deutscher Bundeskanzler sich von bestimmten Handlungen eines israelischen Regierungschefs distanzieren. […] Gerade im Fall Israel zeigt sich also, dass es falsch sein kann, Orte mit ihren Regierungschefs gleichzusetzen. […] Wir sollten also differenzieren zwischen diesem Ministerpräsidenten und seinem Land, und wir sollten uns auch endlich das Wort »Israelkritik« abgewöhnen. […] »Netanyahukritik« wäre zwar eine Wortneuschöpfung, aber ich schlage den Begriff jetzt mal als bessere Alternative vor.  [….]

(Susanne Beyer, 01.06.2025)

Eine Art Entsprechung des Beyerschen Wunsches nach sprachlicher Differenzierung, lieferte heute London, aka Starmer, aka UK, aka die britische Regierung, aka England, aka das Vereinigte Königreich.


Sie wirft nicht alles in einen Topf, sondern adressiert präzise.

[…] Großbritannien und weitere Länder verhängen »mit sofortiger Wirkung« Sanktionen gegen zwei rechtsextreme israelische Minister. Das geht aus einer Erklärung des Außenministeriums hervor. […] Demnach werden die Vermögenswerte des Ministers für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, und von Finanzminister Bezalel Smotrich eingefroren sowie Einreiseverbote gegen die beiden Politiker verhängt. Zudem müssen britische Finanzinstitute Beziehungen zu den beiden einstellen.

»Die heute angekündigten Maßnahmen zeigen die Entschlossenheit des Vereinigten Königreichs, gegen diejenigen vorzugehen, die zu Hass und Gewalt aufstacheln«, heißt es in der Mitteilung. Der britische Außenminister David Lammy erklärte laut BBC, die Minister hätten »zu extremistischer Gewalt und schweren Verstößen gegen die palästinensischen Menschenrechte aufgerufen.« Diese Handlungen seien »inakzeptabel«. »Deshalb haben wir jetzt Maßnahmen ergriffen, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen«, so Lammy.

[…] Die Regierung in London schließt sich mit dem Schritt Kanada, Australien, Neuseeland und Norwegen an. In der Mitteilung heißt es zudem: »Das Vereinigte Königreich und seine Partner unterstützen die Sicherheit Israels und werden weiterhin mit der israelischen Regierung zusammenarbeiten, um einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza zu erreichen.« […] Großbritannien ist international zu einem der größten Kritiker der israelischen Regierung geworden. […]

(SPON, 10.06.2025)

Montag, 9. Juni 2025

Er will Bürgerkrieg

In Los Angeles, regiert von Karen Bass, leben vier Millionen Menschen, Im Großraum LA ballen sich 20 Millionen; in Kalifornien, regiert von Gavin Newsom, leben 40 Millionen US-Bürger.

Es ist der mit Abstand mächtigste Staat der USA. Nach Fläche der Drittgrößte, nach Bevölkerungszahl der Größte.

Insbesondere ist Kalifornien aber ökonomische Superpower, ohne die der Regierung in Washington die Luft ausginge.

[….] California's economy has overtaken that of the country of Japan, making the US state the fourth largest global economic force.

Governor Gavin Newsom touted new data from the International Monetary Fund (IMF) and the US Bureau of Economic Analysis showing California's growth.

The data shows California's gross domestic product (GDP) hit $4.10 trillion (£3.08 trillion) in 2024, surpassing Japan, which was marked at $4.01 trillion. The state now only trails Germany, China and the US as a whole.

"California isn't just keeping pace with the world - we're setting the pace," Newsom said.

The new figures come as Newsom has spoken out against President Donald Trump's tariffs and voiced concern about the future of the state's economy.

California has the largest share of manufacturing and agricultural production in the US. It is also home to leading technological innovation, the centre of the world's entertainment industry and the country's two largest seaports.

Newsom, a prominent Democrat and possible presidential candidate in 2028, filed a lawsuit challenging Trump's authority to impose the levies, which have caused disruption to global markets and trade.   [….]

(BBC, 25.04.2025)

Der Westküstenstaat gilt als demokratische Hochburg, wählt seit 33 Jahren zuverlässig links. Insbesondere bei den letzten drei Präsidentschaftswahlen, zu denen auf republikanischer Seite immer Donald Trump antrat, holte sich der orange geschminkte Faschist empfindliche Niederlagen. Alle 54, bzw 55, Wahlmänner gingen an die von Trump wie die Pest gehassten Clinton, bzw Biden, bzw Harris.

Kalifornien ist zudem ein melting pot und zeigt im Vergleich der US-Bundesstaaten ein ähnliches Phänomen, wie Hamburg im Vergleich zu den deutschen Bundesländern: Er wählt links, hat den zehnfachen Migrantenanteil der viel dünner besiedelten (stets stramm rechts wählenden) Staaten/Länder, aber eine unendlich größere Wirtschafts- und Anziehungskraft. Die Binnen-Migration geht weg von MeckPomm und Thüringen, hin nach Hamburg. Die klugen Köpfe der USA zieht es an die Küsten, die Doofen bleiben in den Red States in der Mitte.

Alle US-Bundesstaaten mit den höchsten Wirtschaftsleistungen pro Kopf sind blue states, werden schon lange demokratisch regiert.

Während Kalifornien 2024 auf ein BIP pro Kopf von 105.000 Dollar kam, liegen am anderen Ende der Skala nur stramm republikanisch regierte Red States: Die Habenichtse Mississippi (BIP pro Kopf 53.000 Dollar), Arkansas, West Virginia (je 60.000), Alabama (61.000), South Carolina (63.000), Idaho, Kentucky, Oklahoma (je 64.000). Das ist wenig verwunderlich, denn Republikaner, wie CDU, können keine Wirtschaft. Sie amputieren die eigene Kraft, indem sie gegen Wissenschaft, gegen Bildung, gegen Migranten, gegen Klimaschutz agitieren.

Unglücklicherweise sind die Wähler und die Mehrheit der Medien hüben, wie drüben, so dumm, genau das Gegenteil zu glauben.

 Sie wählen rechts, um die Wirtschaft zu stärken. Dabei verwechseln sie aber Milliardengeschenke an superreiche Industrielle mit „die Wirtschaft“.

Trump zeigt es gerade in Reinkultur; mit Rekordgeschwindigkeit ruiniert er die von Joe Biden boomend übernommene US-Wirtschaft. Rechte können nicht mit Geld umgehen. 

Trump gewinnt aber immer. Zumindest in seiner Selbstwahrnehmung. Wenn er mal nicht gewinnt, bekommt er sofort Schaum vorm Mund, beginnt zu schimpfen, wie ein Rohrspatz, verklagt den Gegner, bringt die Schiedsrichter vor Gericht und heult auf großer Bühne voller Selbstmitleid von Betrug. Alles ist „rigged against me.“


Die schiere Existenz Kaliforniens treibt Trump zur Weißglut.

Und so nutzt er seine enorme exekutive Macht, um den verhassten Staat ins Chaos zu stürzen. Sein Ego erträgt Kaliforniens Attraktivität nicht. Lieber zerschlägt er alles, treibt die USA in den Bürgerkrieg.


[…] Donald Trump beschreibt die Opposition mit Kriegsvokabular und entsendet Soldaten. Das löst nun sogar in seiner Gefolgschaft Unbehagen aus. […] Nach Los Angeles an der Westküste hat der US-Präsident am Wochenende „mindestens 2000 Soldaten“ beordert, um Proteste gegen seine Migrationspolitik zu beenden, wie er in einer Erklärung schrieb. Am Sonntag trafen die ersten Nationalgardisten in der Stadt ein, mobilisiert gegen den Willen der Regierung von Kalifornien und der Bürgermeisterin von Los Angeles. […] In einer Botschaft zum Pfingstsonntag feierte Trump „freudig die Herabkunft des Heiligen Geistes“ und stimmte ein Gebet für den Frieden an. Am Abend zuvor hatte er noch die Demonstrationen in Los Angeles zu einer „Form von Rebellion gegen die Autorität der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika“ erklärt. Der selten verwendete Passus war seine Rechtfertigung dafür, die Nationalgarde in Kalifornien unter den direkten Befehl des Pentagons zu stellen, ohne von den kalifornischen Behörden darum gebeten worden zu sein. […] Trump signalisierte, dass er bereit ist, noch schwereres Geschütz aufzufahren. „Eine einst großartige amerikanische Stadt, Los Angeles, wurde überrannt und besetzt von illegalen Ausländern und Kriminellen“, schrieb der Präsident auf den sozialen Medien. Nun wüte „ein gewalttätiger, aufständischer Mob“ in der Stadt. Das ist Kriegsvokabular. […] Trump selbst sagte am Wochenende lediglich mit drohendem Unterton: „Truppen werden überall sein.“ Das war nun sogar dem Editorial Board des Wall Street Journal zu viel. Der Verteidigungsminister habe „unnötig provoziert“, hielt das Meinungsgremium des konservativen Finanzblatts fest, das sonst viel Verständnis für die autoritären Neigungen des Präsidenten zeigt. „Das Land will keine Militärpatrouillen in den Straßen von Amerika, außer unter den schlimmsten Umständen“, ließ die Zeitung das Weiße Haus wissen. […]

(Fabian Fellmann, 09.06.2025)

Der Verbrecher, Faschist und Insurrectionist auf dem Thron in Washington ist unfähig, sich zu beherrschen. Das Wohl anderer; zum Beispiel das der US-Amerikaner; existiert in seiner Gedankenwelt gar nicht. Dort gibt es nur sein Ego.

Wer es wagt, wie Gouverneur Gavin Newsom zu widersprechen, wird mit übelsten Flüchen und Fäkalsprache überzogen, bedroht und niedergewalzt.


 […] Autokraten brauchen den Ausnahmezustand. Wenn die Ordnung zerfällt und Chaos ausbricht, dann schlägt bekanntlich die Stunde der Exekutive, dann gilt es, wer die Männer und Frauen mit den größten Waffen kommandiert. Und wieso nur auf den Ausnahmezustand hoffen und warten? Wieso ihn nicht gleich selbst herbeiführen? Das ist es offenbar, was Donald Trump vorhat, wenn er 2.000 Nationalgardisten nach Los Angeles beordert – gegen den Willen der demokratischen Regierung Kaliforniens. In L.A. demonstrieren Menschen seit Freitag, nachdem die Abschiebebehörde ICE eine groß angelegte Suchaktion nach nicht registrierten Migranten gestartet hatte. […] Nicht der Protest gegen Trumps brutale Abschiebeoffensive ist die Eskalation, sondern die Entsendung der Gardisten selbst, die einen Notstand schafft, wo es bislang keinen gab. Aber Trump sieht sich ohnehin nicht an das Recht gebunden. Wenn die Gesetze seinen politischen Vorhaben und autoritären Versuchungen im Weg stehen, dann muss eben das Recht gebogen oder übergangen werden.

Trump und seine Handlanger zeichnen derweil die nächste Drohkulisse. Verteidigungsminister Pete Hegseth bringt eine Entsendung von Marinesoldaten ins Spiel, und Trump denkt offen über die Anwendung des Insurrection Act nach. […] Der Showdown in Kalifornien zeigt auch erneut die Schwäche der Demokraten. Wieder einmal hat Trump die Initiative, wieder einmal reagieren sie. […]

(Leon Holly, 09.06.2025)

Sonntag, 8. Juni 2025

Genau wie ich

Ganz, ganz dosiert gucke ich mir gelegentlich Reality-TV an. Meine offizielle Rechtfertigung vor mir selbst lautet, daß man informiert darüber sein muss, wie sich Abermillionen Menschen in Deutschland amüsieren, welche Werte und Gedanken die Jugend umtreiben. Insbesondere die sprachlichen Moden interessieren mich, weil ich, als Mittfünfziger-Bücherwurm ohne Kinder, keinen Zugang zu dieser Sphäre habe. Es gibt aber eine weitere, heimliche Ebene, die ich mir ungern eingestehe: Im Entsetzen über die grotesken Moden, die bizarren Bodymodifications und sagenhafter Bildungsferne, liegt natürlich ein erhebendes Gefühl, selbst so viel klüger zu sein. Obgleich es unverdient ist, freue ich mich über meine eigene Lesekompetenz oder die Kenntnis von Sprichworten. Denn für meine Generation und mein Umfeld, ist das so selbstverständlich, daß es einem nie bewußt wird. Erst, wenn ich im Reality-TV sehe, wie die Mehrheit der Probanden daran scheitert, einfachste Sätze vorzulesen, fällt mir auf, was wir, im Gegensatz zu den Twens von heute, alles gelernt haben.


Auch Dank der großartigen Anja Rützel mit ihren geistreichen RealityTV-Analysen im SPIEGEL, gelange ich zu mehreren befremdlichen Erkenntnissen über (zumindest große Teile) unserer Gesellschaft.

1.   Es gibt keine Scham mehr.

2.   Je respektloser und unverschämter sich jemand benimmt, desto lauter fordert er Respekt ein, beklagt selbst respektlos behandelt worden zu sein.

3.   Längst vergangen geglaubte Geschlechterrollen kehren zurück. Junge Frauen wünschen sich maskuline Beschützer, die ihnen Entscheidungen abnehmen.

4.   Der ultimative Gütemaßstab ist das eigene Ego. Das höchste Lob lautet „Du bist genau wie ich“, respektive „die finde ich geil, weil ich bin genauso!“

Letzteres stößt mir besonders sauer auf, weil es die Entsprechung des Selfie-Wahns und Influencertums ist. Man präsentiert sich, weil man sich ganz selbstverständlich für den Nabel der Welt hält. Die eigene Relevanz wird gar nicht erst in Frage gestellt. Die Qualitäten der anderen, werden in der Ähnlichkeit zu einem selbst gemessen. Das erstaunt mich insofern, als das in meiner Jugend als extrem egoistisch angesehen worden wäre, während man heute dafür beglückwünscht wird.

Es passt aber auch rein zufällig nicht zu meiner Persönlichkeit; ich fand immer die Menschen interessanter, die anders als ich sind und mochte nie fotografiert werden. Das Internet ist frei von meinen Selfies, weil es sie nicht gibt.

Sehr gut kenne ich aber das parallele Gefühl aus der Welt der Kunst: Ich liebe natürlich Maler, Autoren, Musiker, die Stimmungen oder Ideen transportieren, durch die ich mich verstanden fühle. Romanfiguren, die etwas durchleben, in dem man sich wiedererkennt, berühren. Songs, die ein Gefühl vermitteln, welches in einem selbst rumort, ohne es exakt ausdrücken zu können, begeistern.

Dabei verschwimmen bewußte und unterbewußte Ebene, indem man sich für einen Gedanken erwärmt, der einem zwar ganz neu ist, aber sofort vertraut wirkt: „Das habe ich schon immer gesagt!“

Deswegen bin ich auch Anja Reschke-Fanboy der ersten Stunde. Seit 25 Jahren bewundere ich diese Frau, die sogar ein paar Jahre jünger als ich ist und ausgerechnet aus München stammt. Eine Bayerin.

Jede Ausgabe PANORAMA und RESCHKE FERNSEHEN lohnt sich. Ich freue mich auf jede ihrer Sendungen.

Vorgestern war sie zu Gast bei Michel Abdollahis Käpt'ns Dinner. Dort erfuhr man viel Persönliches über ihren familiären Hintergrund. Für mich durchaus faszinierend von ihrer Gymnasialzeit zu hören, weil sie nur vier Jahre nach mir Abitur machte, aber ihre Schilderungen wie aus einer anderen Welt klingen. Vielleicht ist es der Unterschied zwischen Hamburg und München, vielleicht Zufall.

[…] "Ich bin mit konservativen Werten aufgewachsen: Familie zählt, Verlässlichkeit zählt, Verbindlichkeit und all diese Sachen - und heute gilt man damit als links. Finde ich lustig. Die Frau, die an Weihnachten Klavier spielt und mit der ganzen Familie singt ist auf einmal links. Und wieso ist überhaupt seit Neustem "für Menschenrechte einstehen" links?" […]

(NDR, 07.06.2025)

Es amüsiert mich, zu hören, daß sie das Oktoberfest liebt, welches für mich das absolute Grauen darstellt. Es befremdet mich, wie sie erklärt, zwar ungläubig zu sein, aber trotzdem zahlendes Kirchenmitglied zu sein, weil sie es für wichtig hält, daß es über der Gesellschaft irgendeine höhere Instanz geben müsse, an die die Menschen glauben. Die Kirche habe zwar enorme Schuld auf sich geladen, aber ihr fiele nichts besseres ein.

Es schmeichelt mir, wenn sie Dinge benennt, die ich zufällig genauso sehe: Hamburg ist im Vergleich zu München eine Weltstadt. Oder, daß sie lange Zeit Fan der britischen Royals war, aber mit dem Tod der Queen, ihr Interesse völlig abgeklungen sei. Sie könne absolut keine Neugier für die Harry-Meghan-William-Kate-Kabale aufbringen.

Es blieb beim Käpt’ns Dinner natürlich nicht bei Oberflächlichkeiten. Es gab auch Deep Talk.

Michel Abdollahis Schlussfrage zielte auf die Zukunft; „guckst Du auf ein gutes Jahr 2030?“ (Minute 29:00)

Meine Antwort ist lange klar und wird kontinuierlich in diesem Blog wiederholt: Ich bin zutiefst pessimistisch. Aber was würde eine Profi-Journalistin sagen, die ihr Leben der tiefen Recherche widmet, erwachsene Kinder hat und auf Enkel hofft?

Reschke: „Ich bin kein Pessimist, aber ..Nein!“ [….] „Ich meine es nicht nur klimatisch, …, du siehst was sich in den USA abspielt, du siehst was sich in den europäischen Ländern abspielt, was sich in der Welt abspielt, was sich im Sudan abspielt; das ist alles grauenvoll und im Moment habe ich nicht das Gefühl, daß die Menschheit in der Lage ist, das in den Griff zu kriegen. Das ist total doof.“

Das war der „die finde ich geil, weil ich bin genauso!“-Part.

Aber es gab auch die erkenntnisreichen Sätze, in den Reschke Gedanken ausformuliert, die bisher nur eher schwammig in mir vorhanden waren.

Abdollahi fragt sie beispielsweise nach den drastischen Shitstorms, die sie 2015 von den Nazis erlebte. Minute 13:35. Sie stand aufgrund einiger klarer Worte im Tagesthemen-Kommentar in Zenit des AfD-Hasses. Damals noch etwas Besonderes, weil es nur wenige so heftig, wie Reschke traf, während zehn Jahre später, tausende öffentlich bekannte Personen, die sich mit humanen Ansichten zu Wort melden, mit Shitstorms überzogen werden.

Es war aber für Reschke 2015 dennoch leichter, weil sie noch von einem Grundoptimismus getragen wurde. Die Welt entwickelte sich schließlich  gesellschaftlich grundsätzlich in die richtige Richtung. Die Nazis, die sie angriffen, waren die Minderheit, die keinen Erfolg haben werden. Das sei jetzt aber anders. Nun fürchte sie, diejenigen, die mit Scheiße werfen, könnten Erfolg haben. Der Glaube an der stabile Land, daß der Faschismus überwunden sei, wurde ihr genommen.

Eine andere Frage Abdollahis lautete, wohin sich die Rechtspopulisten, die AfD, Trump eigentlich zurücksehnten. Die 1980er? (Minute 15:30)

 Reschke: „Die waren ja auch scheiße. [….] Am Ende ist der Mensch heute überfordert von dieser großen Anzahl der Möglichkeiten. Diese unfassbare Welt, die sich da aufgetan hat, wo du theoretisch alles werden kannst, alles haben kannst, alles sein kannst […] verspricht dir natürlich wahnsinnige Freiheit, bedeutet aber auch, daß mit jeder Entscheidung, die du in deinem Leben getroffen hast, du damit klarkommen musst, daß du irgendwas nicht geschafft hast. Es zeigt dir ja auch dauernd, ah guck mal, du hättest auch das sein können, ah guck mal, du hättest auch das kaufen können, du hättest auch dahin fahren können [….] dh du hast permanent das Gefühl es nicht richtig entschieden zu haben, was verpasst zu haben, andere zu sehen, die etwas besser gemacht haben, besser optimiert haben…“

Ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher Punkt. In den Zeiten, zu denen sich Höcke und Trumpanzees zurücksehnen, war die Welt kleiner. Die Wege, die man ging, bereute man anschließend weniger und hatte weniger Gelegenheit, andere zu beneiden und sich ungerecht behandelt zu fühlen.

Samstag, 7. Juni 2025

Pride-Trittbrettfahrer

Wenn die Forschungsgruppe Wahlen die „politische Stimmung“ abfragt, wird sie als eine Art Naturgewalt gedeutet. Sie verlangt nach niedrigeren Steuern oder scharfen Asylgesetzen. Nach dieser Lesart, sind Parteien dem hilflos ausgeliefert und bekommen viel Lob von der Presse, wenn sie diesen Stimmungen entsprechen. Auch wenn diese Stimmungen der deutschen Ökonomie schwer schaden. Gesetze, Moral, Humanismus stören da nur.

In Wahrheit werden diese Stimmungen maßgeblich von den Parteien und ihren Themensetzungen, sowie der Presse erzeugt.

Wenn die AfD rund um die Uhr gegen Ausländer hetzt, die deutschen Talkshows den Hetzern den Roten Teppich ausrollen und CDUCSU-Politiker die xenophoben Narrative eifrig nachplappern, dreht sich natürlich die Stimmung gegen Migranten. Diese Stimmung, von Merz und Söder herbeigeredet, manifestiert sich in Gewalt. So kommt es zu einem Rekordhoch der rechtsextremen Straftaten in Deutschland.

Natürlich hat es Konsequenzen, wenn Nius, Springer, AfD und CSU geradezu manisch gegen alles Queere hetzen. Wenn ein Homophober, wie Merz, Bundeskanzler wird und klare Gegner der Menschenrechte um sich schart. Dobrindt, Reiche, Warken, AfD-Plapperer Weimer – alles Überzeugungstäter, die auf keinen Fall die Ehe für alle wollen.

Die schwulen- und transfeindliche Gewalt in Deutschland nimmt drastisch zu.

[….] CSDs trotzen rechten Angriffen: „Wir haben Angst, dass es wieder wird wie in den 90ern“ In Brandenburg finden diesen Sommer 17 CSD-Paraden statt, in ganz Ostdeutschland 50. Mit Gegenprotest von jugendlichen Neonazis ist zu rechnen. [….] Die CSD-Saison startete Ende April im sachsen-anhaltinischen Schönebeck – und das gleich mit einem Eklat. Die Polizei beendete die Veranstaltung vorzeitig, angeblich wegen fehlenden Sicherheitspersonals, später kritisierte sie auch den ungenügenden politischen Charakter der Reden. Die Veranstalter sprachen von Vorwänden, fühlten sich gegängelt und nicht gewollt. Schlecht ging es dann Mitte Mai im Westen weiter: Der CSD Gelsenkirchen musste wegen einer „abstrakten Bedrohungslage“ abgesagt werden. [….] Besorgt sind die Veranstalter:innen nicht mehr nur aufgrund einer gesellschaftlichen Stimmung oder mitunter feindlich gesinnter Stadtverwaltungen. Inzwischen sind es ganz praktische Sicherheitsfragen wie die Angst vor Nazi-Übergriffen, die die CSD-Orgas auf dem ostdeutschen Land beschäftigen. Präsent sind die Erinnerungen aus dem vergangenen Sommer. Damals kam es erstmals zu großen rechtsextremen Gegenprotesten. In Bautzen durfte ein militanter Mob aus 700 Neonazis dem CSD-Aufzug hinterherlaufen und dabei seinem Hass frönen.  Gezählt wurden 2024 insgesamt 27 Mobilisierungen gegen CSDs. Es war das Outcoming einer neuen Generation junger Neonazis, die den Sprung von der Internetvernetzung auf die Straße vollzogen. Inzwischen hat sich die Szene gefestigt, organisiert in immer mehr Gruppen. Die Feindschaft gegen Queers ist dabei eines der Grund­elemente dieser ideologisch wenig gefestigten Szene. Für die Organisator:innen der CSDs war Bautzen eine Zeitenwende. Das Thema Sicherheit ist seitdem viel präsenter, sagt Anna Klumb vom CSD Rheinsberg. Ebenso wie in Eberswalde fand in der nordbrandenburgischen Kleinstadt vor einem Jahr der erste CSD statt – Bautzen stand noch bevor – und Sorge vor Naziübergriffen hatte man kaum. Damals stand die „Konfrontation mit der Stadt“ im Vordergrund, erzählt Klumb. Der CSD war eine Antwort darauf, dass sich der Bürgermeister geweigert hatte, eine Regenbogenfahne zu hissen.

„Dieses Jahr haben wir eher Sorge vor Angriffen von außerhalb“, sagt Klumb. Trotz der hohen Kosten und fehlender Unterstützung vom Land habe man sich daher extra eine professionelle „Schutzgruppe“ eingekauft, um für die Sicherheit der Teilnehmer:innen, die auch aus Berlin und Hamburg anreisen werden, zu sorgen. [….]

(taz, 31.05.2025)

In den USA macht Fritzes neuer Freund Trump mit seiner gesamten Administration Jagd auf alles, das nach queer riecht. Schwulenrechte stehen nicht nur wieder zur Disposition, sondern werden in Rekordtempo zerschmettert.

Nun sieht man sehr schön, was die große gesellschaftliche Unterstützung der queeren community wert war: Nahezu nichts.

[….] Trumps Kampf gegen LGBTQ-Rechte verdüstert die Festivitäten zum Pride Month. In [….] diesem Jahr haben es Amerikas LGBTQ-Festivitäten so schwer wie seit den Unzeiten der weitverbreiteten Diskriminierung nicht mehr. Sponsoren ducken sich weg, Gäste bleiben aus, Galakonzerte werden abgesagt, die Organisatoren fürchten um die Sicherheit der Paraden.

Der Hauptgrund, wie so oft in diesen Tagen: Donald Trump.

»Die Regierung zeigt nicht, dass sie der LGBTQ-Community gegenüber freundlich und unterstützend eingestellt ist«, sagt deHarte, 60, dem SPIEGEL. Eine diplomatische Formulierung: Seit Trumps Amtsantritt hat sich das Klima enorm zulasten sexueller Minderheiten verschärft.

Der US-Präsident tut viel, um die LGBTQ-Gemeinschaft zu diskriminieren, zu schikanieren und aus dem öffentlichen Leben zu tilgen . Trans Personen werden aus dem Militär und dem Sport geworfen, Gelder für die HIV-Bekämpfung gestrichen, Regenbogenflaggen verboten, Dragshows verteufelt. Auch erkennt das Weiße Haus den Juni nicht länger als »Pride Month« an, sondern hat ihn zum »Title IX Month«  ernannt. »Title IX« ist ein Gesetz von 1972 gegen sexuelle Diskriminierung im Bildungswesen, das Trump gegen trans Personen im Schulsport instrumentalisiert hat.

Der jüngste, plakative Schlag gegen die LGBTQ-Community: Verteidigungsminister Pete Hegseth hat angeordnet, das Marineschiff USNS »Harvey Milk« , benannt nach dem 1978 ermordeten schwulen Politiker aus San Francisco, umzutaufen. Milks Name und die Namen anderer Bürgerrechtler – meist Frauen, Schwarze oder Latinos – haben in Hegseths Militär künftig nichts mehr zu suchen.

»Wir bewegen uns als Gesellschaft rückwärts«, klagt Eric Holguin, ein schwuler Demokrat und Latino-Aktivist aus Texas. »LGBTQ-Menschen werden diffamiert. Und viele andere schweigen dazu.«

Besonders betroffen sind zurzeit die größten Pride-Veranstaltungen, bei denen die errungenen LGBTQ-Rechte mit Märschen, Straßenfesten und Dancepartys zelebriert werden – darunter in New York, Los Angeles, Atlanta und Chicago. »Doch das ist nichts Neues«, sagt Ron deHarte. »Wir mussten immer schon lange und hart für alles kämpfen, was wir erreicht haben. Das wird so weitergehen.« [….] Ähnliches erleben auch andere Pride-Festivals. Bei einer Umfrage  unter mehr als 200 US-Konzernen gaben fast 40 Prozent im April an, ihr LGBTQ-Engagement – Sponsoring, Pride-Merchandise, Social-Media-Posts – gedrosselt zu haben. Die Mehrheit fürchtet Boykotte durch Konservative oder Konsequenzen aus Washington, das jegliche unternehmerische Diversitätsmaßnahmen für illegal erklärt hat. »Es ist klar, dass die Regierung und ihre Anhänger hinter dem Sinneswandel stecken«, sagt Luke Hartig, der Chef der Consultingfirma Gravity Research, die die Umfrage veranstaltete, zu CNN. »Unternehmen stehen unter wachsendem Druck, keine offene Stellung mehr zu beziehen.« [….]

(Marc Pitzke, 07.06.2025)

Vor 20 Jahren begannen ökonomische Interessen, die kulturelle Borniertheit der Industrie über zu kompensieren. Die Wirtschaft sah in Schwulen etwas weniger die schrillen Sonderlinge und etwas mehr die DINKS – double income no kids. Sehr konsumfreudige Doppel-Gutverdiener. Wenn einen Marke bei Schwulen „angesagt ist“, zahlt sich das massiv in den Kassen der Hersteller aus. (In diesem Fall ist es richtiger von „Schwulen“, statt von dem inklusiveren „LGBTIQ*“ zu sprechen, weil es nun einmal Männer sind, die mehr Geld verdienen in dieser Gesellschaft.)

Allerdings kommt mit den MAGAs und Trump eine enorm mächtige Gegenbewegung, die frühere Pride-Unterstützer reihenweise einknicken lässt.

[….] Am Wochenende soll in Washington D.C. die WorldPride stattfinden. [….] Dieses weltgrößte Festival der Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Transmenschen, Queeren und Non-Binären war in den vergangenen Jahren in anderen Metropolen wie London, Madrid, Kopenhagen und Sydney zu Gast. Diesmal ist erstmals D.C. an der Reihe, der amerikanische Bundesdistrikt, der auch noch gleichzeitig das 50. Jubiläum des jährlich dort stattfindenden Capital Pride feiert.

Erst rechneten die städtischen Behörden mit zwei bis drei Millionen Besuchern, inzwischen wurden die Zahlen nach unten korrigiert. Man hört von fehlenden Hotelbuchungen und Aktivisten, die lieber zu Hause bleiben. Das liegt nicht daran, dass es am Wochenende etwa regnen soll – das Problem besteht eher darin, dass Donald Trump ins Oval Office zurückgekehrt ist. [….] Er regierte auch 2019, als der World Pride zuletzt in den Vereinigten Staaten Station gemacht hatte. Damals wurden in New York dennoch um die fünf Millionen Gäste gezählt, es war eine andere Zeit. Diesmal begann der US-Präsident seine zweite Amtszeit im Januar unter anderem mit der Verfügung, dass es in den USA nur noch zwei Geschlechter gebe, Männer und Frauen. Diese seien „unveränderlich und basieren auf einer fundamentalen und unumstößlichen Realität“.

Diese Verordnung trug den Titel „Schutz der Frauen vor dem sexuell-ideologischen Extremismus und Wiederherstellung der biologischen Wahrheit in der Bundesregierung“. Und in diesem Ton geht es seither weiter. Der oberste Amerikaner lässt keine Gelegenheit aus, über alles herzuziehen, was mit dem Wort „gender“ zu tun hat, es ist für ihn und seine Leute ungefähr so schlimm wie „wokeness“, also irgendwie links zu sein. Er ließ auch sämtliche Programme beenden, die mit „diversity, equity and inclusion“ zu tun haben. Vielfalt, Gleichheit und Inklusion, kurz DEI.

Transgender-Personen werden aus der US Army und von Wettkämpfen für Frauen ausgeschlossen. Falls sie im Gefängnis sitzen, dann ist die Verlegung in Haftanstalten für Männer vorgesehen. In Pässen und Visa muss wieder das „korrekte biologische Geschlecht“ angegeben werden, Trump will im Zuge seines Kahlschlags mit Steuersenkungen auch Hunderte Millionen Dollar bei der Bekämpfung von HIV kürzen. Kürzlich behauptete er wieder, dass mit der Zucht von „Transgender-Mäusen“ Geld verschwendet worden sei, dabei ging es um Forschung.

Aggressionen vor allem gegen Transgender-Menschen nehmen zu, im Viertel Adams Morgan von D.C. wurde kürzlich eine LGBTQ+-Bar demoliert. „Faggot“ hat jemand an eine Wand geschmiert, ein Schimpfwort für homosexuell. In diesem Klima also findet dieser World Pride 2025 statt, wobei das mehrheitlich demokratische Washington alles andere als eine konservative Hochburg ist, sonst wäre dieses Ereignis ja nie hier gelandet. [….]

(Peter Burghardt, 05.06.2025)