Montag, 12. September 2022

Linker Exodus.

Sahra Sarrazins Querfront-Kurs wird immer kompromissloser. Waren es vor Jahren vereinzelte völkische und queerfeindliche Floskeln, die sie von ihrem zweiten Ehemann übernahm, deckt sie inzwischen zuverlässig den gesamten Aluhut-Kosmos ab.

Völkisch, national, homophob, antisemitisch, covidiotisch und putinesk.

(….) Bei Sahra Sarrazin begann es mit der Übernahme der völkischen Ansichten ihres zweiten Mannes Oskar Lafontaine. Pegida? Eine legitime Protestbewegung, befand Wagenknecht im Januar 2015 und wollte mit ihnen reden. Nachdem sie einmal Multikulti und Migranten zu hassen gelernt hatte, ihre Liebe für den deutschen, weißen, nationalen, heterosexuellen Arbeiter entdeckte, posierte sie 2018 nur zu gern mit dem stramm antisemitischen Mouvement des Gilets jaunes, ließ sich demonstrativ auch in gelber Weste ablichten. Nun ging es Schlag auf Schlag: Covidiotie, Gender-Gegnerin und sie distanzierte generell sich von der Queer-Freundlichkeit der Linken, wollte nicht mehr jede „noch so skurrile Minderheit“ unterstützen.

(…) Ein sehr trauriger Fall einer schon seit Jahren auf der rechten schiefen Bahn wegrutschenden Frau ist Sahra Wagenknecht, die erst von ihrem Mann Oskar Lafontaine die xenophob-populistischen und völkischen Töne übernahm, dann aber auch bei den offensiv antisemitischen Gelbwesten mitmischte, sich gegen Homosexuelle positionierte, die US-Demokraten bekämpfte und Trump lobte, egoistisch gegen RRG agitierte, zur Freude der AfD migrantenfeindliche Mythen verbreitete und folgerichtig auch covidiotisch-populistisch gegen die „Inzidenz-Willkür“ wettert.

Wagenknecht ist lange verloren gegangen. Eine intelligente und gebildete Frau, die so tief im braunen Sumpf steckt, daß sie keine AfD-Trigger mehr auslassen kann. Kaum ein Nazi-Lieblingsthema, das sie nicht übernommen hätte.

Zuletzt erwischt es eine der letzten Minderheiten, gegen die sie noch nicht gepoltert hatte:

[….] Wagenknecht warnt vor "immer skurrileren Minderheiten"   [….] Sahra Wagenknecht will offenbar Wählerstimmen ergattern, indem sie die Minderheitenpolitik der AfD übernimmt.  "Dieses Buch ist durchzogen von Menschenverachtung." Dieses Urteil über Sahra Wagenknechts neuestes Werk "Die Selbstgerechten", das nächste Woche erscheinen soll, stammt nicht von einem politischen Gegner der ehemaligen Oppositionsführerin im Bundestag, sondern von einem Parteifreund: Frank Laubenburg, der Bundessprecher der parteiinternen Vereinigung Die Linke.queer, ist empört über die Äußerungen der wohl prominentesten Politikerin seiner Partei. [….] Wörtlich schrieb Wagenknecht: "Die Identitätspolitik läuft darauf hinaus, das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu lenken, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein." Als Beispiel für solche "Marotten" nennt sie sexuelle Orientierung, Hautfarbe und Ethnie. Arme Menschen, die lediglich "weiß und hetero" seien, würden dagegen den angeblich begehrten Opferstatus nicht erhalten. [….]

(Queer.de, 08.04.2021)

Bei solchen Wagenknecht-Tiraden bekommen Hedwig Beverfoerde und Gabriele Kuby vor Glück einen Eisprung. (…)

(Auf der rechten, schiefen Bahn, 08.04.2021)

Inzwischen wurde bei Sahra Sarrazin Morbus Aluhutus im Endstadium diagnostiziert. Da gibt es keine Hoffnung auf Heilung mehr.

Selbstverständlich schlägt sie sich beim Ukraine-Krieg auf Putins Seite und wird auch dafür von allen Rechtsextremen gelobt.  (….)

(Endlich Klassenkloppe, 03.08.2022)

Die rationalen Anhänger der Linken verzweifeln, weil ihre eigentlich bevorzugte Partei dadurch kontinuierlich unwählbar bleibt.

Ob dieses massiven Wagenknecht-Querfront-Problems, blieb die Linke bei der Bundestagswahl 2021 unter der 5%-Hürde und stürzte bei den folgenden Landtagswahlen sogar auf das „sonstige-Niveau“ ab.

(…) Aber nachdem die Linke nach der Bundestagswahl (4,9%), weitere dreimal bei Landtagswahl für ihre elende Schwurbelei und Unfähigkeit, sich von der Querfront zu trennen, schwer abgestraft wurde – 27.03. im Saarland 2,6%, 08.05. Schleswig-Holstein 1,7%, 15.05. NRW 2,1% - und bundesweit klar unter 5% entlangkrebst, demonstriert sie weiterhin ihre völlige Politikunfähigkeit. Geradezu erbärmlich, wie sich die einst so stolze Partei von ihrer völkischen AfD-Freundin Sahra Sarrazin und dem doppelten Partei-Zerstörer Lafontaine zerhacken lässt.  (…)

(Wie lange noch, Linke?, 15.06.2022)

Letzte Woche, am Donnerstag, den 08.09. gab Wagenknecht im Bundestag eine Gala-Vorstellung 100%iger Putin-Propaganda und schob die gesamte Verantwortung für die ökonomischen Folgen des Ukrainekrieges, der Bundesregierung in die Schuhe.

AfD, Verschwörungstheoretiker, Putin-Fans, RT und Aluhüte lobten ihre Sahra Sarrazin überschwänglich. Der rechtsextreme David Berger ejakulierte fast vor Glück und übernahm das Video der gesamten Bundestagsrede sofort auf seinen völkisch-verschwörungstheoretischen Blog.

[….] Sahra Wagenknecht sorgt mit ihrer Rede im Bundestag für Furore: Diese Regierung zerstört mit ihrem beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen Russland den Wohlstand in unserem Land und stürzt Millionen Menschen in bittere Armut.  Ein weiterer Höhepunkt der Rede: “ Wie bescheuert ist das denn? Wir haben die dümmste Regierung Europas!“  [….]

(PP, 08.09.2022)

In dem zurechnungsfähigen Teil ihrer eigenen Partei kam die russische Propagandashow weniger gut an.

[….] Die Linken-Parteispitze hat nach der "Wirtschaftskrieg"-Rede von Sahra Wagenknecht im Bundestag zu Geschlossenheit aufgerufen und vor einer Gefährdung der Partei gewarnt. "Wir haben eine Verantwortung, nicht für uns nur als Partei, sondern für Millionen von Menschen, die uns gewählt haben", sagte die Vorsitzende Janine Wissler am Sonntag nach einer Klausur des Bundesvorstands in Rathenow. [….] Die frühere Fraktionschefin Wagenknecht hatte der Bundesregierung am Donnerstag mit Blick auf Russland vorgeworfen, "einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen". Sie forderte einen Stopp der Wirtschaftssanktionen gegen Russland und Verhandlungen mit dem Kreml über eine Wiederaufnahme von Gaslieferungen nach Deutschland. [….] Der Konflikt zwischen der Parteispitze und dem Lager um Wagenknecht verschärft sich. Deren Unterstützer Klaus Ernst und Alexander Ulrich wiesen Kritik an ihr zurück und attackierten den Vorstand.  Der frühere Parteichef Ernst, der Wagenknechts Positionen teilt, erklärte am Samstag mit dem Bundestagsabgeordneten Ulrich: "Es ist völlig unverständlich, wie eine inhaltlich korrekte Rede aus den eigenen Reihen der Partei wieder einmal diskreditiert wird." Sie fügten hinzu: "Die Positionierung der Parteiführung gegen die Fraktion in dieser Situation, in der eine geschlossene Linke mehr als notwendig wäre, macht die Überforderung der handelnden Personen im Parteivorstand deutlich." [….] Drei ostdeutsche Landespolitikerinnen forderten Wagenknechts Ausschluss aus der Bundestagsfraktion und den Rücktritt der beiden Fraktionschefs Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, wie auf Twitter eine der drei, die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss, in der Nacht zu Samstag bekanntmachte. [….]

(BR, 11.09.2022)

Ich gehöre zu jenem Teil der SPD, für den RG oder eben RRG die bevorzugte Koalitionsoption ist. Richtigerweise schließt die SPD aber auf Bundesebene Koalitionen mit der Wagenknecht-Linken aus.

Da sich die debakulierende Führung der Linken seit Jahren außerstande und außer WILLENS sieht, sich von diesen rechtsschwurblerischen Abgeordneten zu trennen, verdient sie es dauerhaft weit unter der 5%-Hürde angesiedelt zu sein und damit selbstverständlich auch jede Chance auf Mitgestaltung zu verlieren.

Es ist immer noch außerordentlich bedauerlich, dies festzustellen, aber die LINKE fällt gegenwärtig als seriöse Partei aus, obwohl ihre Stimme dringend gebraucht würde gegen eine regierende FDP, während es sonst nur ganz rechts Opposition im Bundestag gibt.

Aber die Linke ist nicht nur derzeit unwählbar, sondern ihre fortgesetzte Duldung von rechtspopulistischen Rednern aus ihrer eigenen Fraktion, lässt den anständigen Mitgliedern, nur die Wahl zwischen Rück- und Austritt.

(….) Am 20.04.2022 hatte die Bundesvorsitzende Hennig-Wellsow hingeschmissen.

Diese Woche folge die Rheinland-Pfälzische Landeschefin.

[….] Linke Landeschefin tritt aus und rechnet mit Wissler ab

Melanie Wery-Sims kandidierte für einen Führungsposten. Jetzt verlässt sie die Linken in Rheinland-Pfalz – auch, weil »ein spezieller Kreisvorsitzender« Bilder von ihr ungestraft als »Wichsvorlage« bezeichnen könne.  [….]

(SPON, 02.08.2022)

So macht man sich unwählbar.

[….] Diese "Linke" braucht kein Mensch

Eine Schlangengrube ist die Partei "Die Linke", die sich am liebsten mit sich selbst beschäftigt, meint Stefan Giese - und sieht sich darin im Austritt der Landesvorsitzenden Melanie Wery-Sims in Rheinland-Pfalz bestätigt.  Sich selbst überflüssig zu machen ist eine Kunst, die kaum jemand so gut beherrscht wie die Partei "Die Linke". Die weit überwiegende Mehrheit der Bundesbürger weiß das schon lange. Mittlerweile ist die Erkenntnis auch in den obersten Etagen der Partei angekommen und führt zu Rücktritten. Nachdem bereits im April die damalige Bundesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow die Brocken hingeworfen hatte, ist es nun Melanie Wery-Sims, die als Chefin der rheinland-pfälzischen Linken zurück- und aus der Partei austritt. Die Abrechnung mit ihrer bisherigen politischen Heimat fällt schonungslos aus - und ist doch nur eine Ansammlung bekannter Abscheulichkeiten. Den Sexismus in den eigenen Reihen illustriert sie anhand eines Kreisvorsitzenden, der sie folgenlos zur "Wichsvorlage" reduziert hat. Den Antiamerikanismus erlebte sie in Form der Gleichsetzung von Putin und Obama. Den offen feindseligen persönlichen Umgang unter Parteimitgliedern beschreibt sie ausführlich.  [….]

(Stefan Giese, SWR, 02.08.2022)

Das Ende der Partei ist nicht nur nah, sondern womöglich auch unabwendbar. Sehr spät, womöglich zu spät, entdecken die Partei-Aktivposten im Bundestag nun ihre eigene Courage und wagen es, sich klar gegen Sahra Sarrazin zu stellen.

 

 Auf einer Lost-Skala von 1 bis 100 schafft #Wagenknecht mit diesem Tweet die 1000.  Natürlich geht es ihr um Provokation und um Aufmerksamkeit. Dennoch darf dieser wahnsinnige Tweet nicht unwidersprochen bleiben. Wagenknecht spricht nicht für DIE #LINKE, nur für sich und Moskau.

(Niema Movassat, 02.08.2022)   (….)

(Endlich Klassenkloppe, 03.08.2022)

Da aber Sahra Sarrazins öffentliches Putin-Hintern-Küssen uneingeschränkt fortgesetzt wird, bleibt nur der weitere Exodus aus dieser Partei.

Die besten Köpfe der letzten Dekade – Jan von Aken und Fabio de Masi – haben ohnehin schon den Bundestag verlassen.

Rette sich, wer kann, gilt nun für alle seriösen Linken-Mitglieder.

[….] Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, ist aus der Partei Die Linke ausgetreten. Das teilte der Soziallobbyist bei Twitter mit. Als Grund nannte Schneider den Auftritt der umstrittenen Linken-Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht im Bundestag in der vergangenen Woche. »Dass die Linksfraktion am letzten Donnerstag im Bundestag Sahra Wagenknecht ans Podium ließ, und was diese dann – man hätte es wissen müssen – vom Stapel ließ, war zu viel«, schrieb Schneider.  [….]

(SPON, 12.09.2022)

Sahra Sarrazins gegenwärtiger Ehemann Oskar Lafontaine war Parteichef zweier Parteien, gab sich in beiden Fällen größte Mühe, die Partei komplett zu zerstören, trat aus beiden aus.

Ihr Ex-Ehemann Ralph Niemeyer ist sogar noch durchgeknallter. Als selbst ernannter „Reichskanzler“ weilt er in Russland und orakelt öffentlich davon eine deutsche Exil-Regierung anzuführen, die von Putin und Trump anerkannt werde.

Und auch Sahra wird nicht ruhen, bevor sie die Linke nicht aufgelöst hat. Wenn die verbliebenen Mitglieder das mit sich machen lassen, ohne sich von der ganz offenkundig nicht mehr zurechnungsfähigen Aluhütin zu trennen, haben sie es nicht besser verdient.

Sonntag, 11. September 2022

Von der Leyens Verrat

Der rechtskonservative homophobe demokratieverachtende osteuropäische Block bekommt Risse.

Viele Jahre bildeten Viktor Orbán, Andrej Babiš und Jarosław Kaczyński einen illiberalen Kern der EU, der sich gegen unabhängige Justiz, freie Presse und Minderheitenrechte stemmte.

Die in Europa dominierenden Konservativen brauchen die Stimmen von ganz rechts, wie ich auf den Tag genau vor drei Jahren schrieb.

(….)  Nach der antisemitischen „Anti-Brüssel-Kampagne“ Orbáns ist seine Fidesz bis heute Mitglied der EVP-Fraktion, weil von der Leyen seine Stimmen brauchte.

Jarosław Kaczyńskis rechtspopulistische Prawo i Sprawiedliwość (PiS) schloss sich mittlerweile der offen EU-kritischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) an, die ebenfalls für von der Leyen stimmten.

Die PiS ist eigentlich so rechtsradikal, daß sie in die Nazi-Fraktion "Identität und Demokratie" (Vlaams Belang, Rassemblement National RN, Wahre Finnen, Lega, AfD, FPÖ,..) gehört, wie es sich der ID-Chef Marco Zanni von der italienischen Lega-Partei wünschte, aber die meisten europäischen Rechtsradikalen sind durch Millionenkredite aus Moskau sehr Russland-hörig. Hier nimmt die traditionell Russland-feindliche PiS eine Sonderstellung ein.

Sich in diesem Sumpf eine Mehrheit für eine EVP-Kandidatin zu suchen, kann nicht elegant sein und so verzeihe ich den europäischen Regierungschefs das Gekungel um von der Leyen, die aufgrund ihrer Verwurzelung in fundamental-christlichen rechtsradikalen Schwulenhasser-Kirchen viele Fürsprecher bei Fidesz und PiS hat.  Mauscheln ist in diesem Fall unumgänglich.

 Schwer zu ertragen ist aber die Personalie von der Leyen an sich.

 Sie hat als Ministerin ihre Unfähigkeit vielfach bewiesen und mit der Finanzierung von evangelikalen „Homo-Heilern“ bewiesen wie weit rechts sie in Wahrheit steht.

Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen reist auf radikal-evangelikalem Ticket und kam mit Stimmen der rechtsextremen Babiš, Orbán und Morawiecki ins Amt, bei denen sie sich auch sofort erkenntlich zeigte, als in ihren Ländern die Rechtsstaatlichkeit weiter abgebaut wurde.

Erbärmlicherweise konnten die EU-Regierungschefs keinen besseren Chef ermauscheln. (….)

(EU-Personal, 11.09.2019)

In den vergangenen drei Jahren verschärfte sich der antidemokratische Kurs in Polen und Ungarn. Beide Länder sind de facto Autokratien geworden, in denen demokratische Standards abgelöst wurden.

„Reporter ohne Grenzen“ erstellt jedes Jahr eine Rangliste der Pressefreiheit.

Im Jahr 2022 büßte Deutschland drei Plätze ein, liegt wegen der Übergriffe  durch ostdeutsche Leerdenker auf Journalisten nur noch auf Platz 16: Urteil „zufriedenstellend“. Aber äußerst blamabel für Brüssel: Polen sackte auf Platz 66, Ungarn liegt auf Platz 85!

Sorry, dass wir vom EU-Parlament Sie gerade wegen Untätigkeit im Falle Ungarn & Polen verklagt hat, Frau vonderLeyen. Anbei noch ein paar verbindliche Nettigkeiten zum Thema Kultur... Smiley

(Martin Sonneborn, 16. Juni 2021)

Den Deutschen Orbán-Fans; Nazis, Querdenker, AfD, Covidioten, CSU, Schwurblern, Reichsbürgern, Putin-Fans und sonstigen rechtsextremen Verschwörungstheoretikern, gefällt es, wenn auf Minderheiten, wie Juden, Sinti und Roma, Schwule, Flüchtlinge Jagd gemacht werden kann.

Polen und die baltischen Länder sind allerdings die vehementesten Gegner Russlands, während Ungarn und Bulgarien gegen die EU-Sanktionen Stimmung machen und damit die putineske deutsche Querfront (Wagenknecht-Berger-Weidel) begeistern.

[….] „Wenn wir den Problemen auf den Grund gehen wollen, landen wir immer an der gleichen Stelle: der Energiefrage. Und die Situation ist, dass Europa die Energie ausgeht“, schrieb Ministerpräsident Viktor Orbán auf Facebook am 10.9.2022.Orbán meinte außerdem: Dass die Energie, über die Europa verfügt, von außen herbei transportiert werden muss. Ohne Energie könnten wir aber nicht funktionieren. Doch Energie ist das A und O der Innovation“. [….] Weiters wäre die nach Europa importierte Energie teuer. Trotzdem aber müssen wir gegen die fundamentalistischen Grünen und die Bürokraten kämpfen, die in geopolitische Spiele verwickelt sind – sagte der Premierminister. [….]

(David Bergers Phimose-Blog, 11.09.2022)

Erbärmlich, wie die Pis- und Fidesz-Freundin an der EU-Spitze ihre schützende Hand über die homophoben autokratischen Regime in Osteuropa hält. Von der Leyen stellt sich gegen das demokratisch gewählte EU-Parlament und verrät die Werte der EU. Wie aber soll man glaubhaft gegen einen russischen  antidemokratischen Aggressor Politik machen, wenn man eben diesen rechts-autokratischen Bestrebungen im eigenen Laden nicht entgegentritt?

[….] Ursula von der Leyen sucht den Deal mit Autokrat Viktor Orbán[….] Lange drohte die EU-Kommission Ungarn wegen rechtsstaatlicher Defizite mit hartem Geldentzug. Doch nun schlägt die Behörde von Ursula von der Leyen plötzlich sanftere Töne an. Abgeordnete fürchten einen unheilvollen Pakt. [….] Ungarns Justizministerin Judit Varga hat in den vergangenen Tagen viele Hände geschüttelt in Brüssel. Mit der Vizepräsidentin, der Tschechin Věra Jourová, hat sich die Politikerin der rechtskonservativen Fidesz-Partei getroffen, mit Justizkommissar Didier Reynders und Haushaltskommissar Johannes Hahn. Von einem »konstruktiven Dialog« schrieb die Vertraute des ungarischen Autokraten Victor Orbán anschließend auf Twitter – und tatsächlich zeichnet es sich ab, dass im bislang so frostigen Rechtsstaatsstreit zwischen Budapest und Brüssel plötzlich Tauwetter einziehen könnte. [….]  »Die EU-Kommission darf sich jetzt nicht von Scheinreformen blenden lassen«, warnt der grüne Haushaltsexperte Daniel Freund. »Orbán macht Vorschläge, die ihm weiter EU-Gelder sichern, ohne die systematische Korruption seiner Freunde und Familie wirklich zu beenden.« Wäre die EU-Kommission konsequent, hätte sie zudem von vornherein mehr Gelder stilllegen müssen, findet der EU-Abgeordnete. [….]

(SPON, Michael Sauga, 11.09.2022)

Samstag, 10. September 2022

Mein katholisches Glück.

Gerade sorgte ich mich noch um die Zukunft meines liebsten deutschen Klerikers Woelki, der mir stets so viel Freude bereitet.

Das erkenntnisresistente katholische Fußvolk war, wie schon seit Jahrzehnten, wieder einmal blind in die bischöfliche/vatikanische Falle getappt: Ihr Unmut wurde in Gesprächsformate kanalisiert, die Mitsprache suggerierten, so daß alle Schäfchen brav bei der Stange blieben und Beiträge bezahlten. Dadurch waren sie so beschäftigt, daß sie die absolutistisch-antidemokratische Struktur ihrer Kirche ganz vergaßen, immer wieder das finale NEIN aus Rom verdrängten.

Es erinnert mich an James Clavells „Shogun“, meinem Lieblingsbuch als Teenager, das ich seither immer wieder verschlungen habe. (Tipp: Guckt niemals die Verfilmung mit Richard Chamberlain, die kommt dem Buch nicht ansatzweise nahe.)

Meisterstratege Fürst Yoshi Toranaga schwingt sich zum Herrscher Japans auf, indem er sagenhaft klug und raffiniert die anderen 150 Fürsten Japans ausmanövriert. Ein wichtiges Werkzeug stellt dabei der Brite Blackthorne mit seinem mächtigen Schiff voller moderner Kanonen dar, der just im Japan des späten 16. Jahrhundert gelandet war und von den meisten traditionellen Samurai als Barbar verachtet wird. Das Schiff wird konfisziert, die Mannschaft eingesperrt. Statt Navigator Blackthorne einfach hinzurichten, erkennt Toranaga seinen militärischen Nutzen. Der Kapitän stirbt im Kerker, aber Toranaga versteht, daß sein Navigator der viel klügere und aufgeschlossenere „Barbar“ ist. Er fördert ihn, manipuliert ihn dazu immer japanischer zu werden, motiviert ihn mit der Aussicht, ihm sein mächtiges Schiff zurück zu geben, um wieder nach Europa segeln zu können. Blackthorne ist ihm unendlich dankbar und revanchiert sich, indem er Toranagas mächtigste Konkurrenten bekämpft. Um einige dieser bedrohten Fürsten wieder auf seine Seite zu ziehen, lässt Tornanaga heimlich Blackthornes Schiff verbrennen, nutzt dessen Wut über den Verlust aus, zeigt sich dann wieder großzügig, indem er ihm die Mittel für den Bau eines neuen Schiffes stellt. Blackthorne ist noch dankbarer, engagiert sich noch stärker für Toranaga, weil er noch motivierter ist, mit dem neuen, möglicherweise noch schnelleren Schiff nach Hause zu kommen. Toranaga nutzt die erneut aufsteigende Furcht der anderen Fürsten vor dem Schiff voller Kanonen, welches auf Toranagas Geheiß vor ihren Küsten auftauchen könnte, sieht dem besessen bauenden Blackthorne wohlwollend und entspannt zu, weil er längst geplant hat, das neue Schiff kurz vor seiner Abfahrt nach England wieder zu verbrennen. Die Schuld wird er erneut seinen Feinden in die Schuhe schieben, Blackthornes Wut wieder ausnutzen und noch einmal einen Neubau finanzieren. Insgeheim lächelt Toranaga über die von ihm manipulierten Schachfiguren, weiß daß Blackthorne Japan niemals verlassen wird.

Die engagierten katholischen Laien, die sich im Synodalen Weg für die katholische Kirche engagieren, in Wahrheit aber durch ihr Geld und ihre Mitgliedschaft genau die Prälaten ermächtigen, die sie immer wieder blockieren, sind die Blackthornes unserer Zeit. Sehr nützliche Idioten, die mit voller Energie das Spiel ihrer Herren verrichten, ohne zu bemerken, wie sie von ihnen ausgelacht werden.

 [….] Homosexualität, Zölibat, Frauen: In Frankfurt treffen sich 230 Katholiken in Amt und Würden, um ihren Reformprozess Synodaler Weg fortzusetzen. Am Donnerstagabend aber sorgen sie für einen Paukenschlag - der die Reformen schon scheitern lassen könnte. [….] Fassungslosigkeit, gewaltige Enttäuschung und Tränen: Bei der Synodalversammlung der katholischen Kirche in Frankfurt ist am Donnerstagabend ein grundlegender Text zur kirchlichen Sexualmoral gescheitert. Die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit der Bischöfe erreichte der Text nicht, der eine Liberalisierung der kirchlichen Sexualmoral anstrebte. Nur 33 Bischöfe stimmten für den Text bei 21 Gegenstimmen und zwei Enthaltungen. [….] Am Abend dann rang Stetter-Karp [Präsidentin des Zentralrats der deutschen Katholiken (ZdK)] um Fassung. Wenn sich ein solches Abstimmungsverhalten wie bei der Sexualmoral auch beim Text über die Rolle der Frauen wiederhole, "stehen wir vor einem Scherbenhaufen", sagte sie. "Ich erwarte von den Bischöfen mit ihrer Macht, dass sie zu ihrer Meinung offen stehen." [….]  "Es kann doch nicht sein, dass die Gläubigen bei den Bischöfen bleiben müssen, aber die Bischöfe bleiben nicht bei uns!", rief die Ordensschwester Katharina Kluitmann.  Die Benediktinerin Philippa Rath sagte, sie fürchte, dass sich die Spaltung zwischen Gläubigen und Bischöfen angesichts solchen Verhaltens vertiefen werde. "Ich fühle mich, als sei ich ins Messer gelaufen", sagte eine Laienvertreterin. Ein Sprecher sah den Synodalen Weg bereits gescheitert. [….] Der Text über Sexualmoral übrigens galt im Vorfeld noch nicht einmal als der mit der meisten Sprengkraft. Deutlich kontroverser dürfte es bei der Diskussion über die Neubewertung von Homosexualität am Freitag zugehen. [….]

(Hessenschau, 08.09.2022)

Marcel Reich-Ranicki mochte keine Bücher, in denen der Ich-Erzähler ein Kind ist, weil er sich dadurch unangenehmerweise gezwungen sah, eine weniger intellektuelle Perspektive einzunehmen. „Ich schätze intelligente Erzähler“ pflege er zu sagen. Andere Literaturkritiker widersprachen vehement. Ich bin aber Team Reich-Ranicki. Obwohl es in „Shogun“ laufend wechselnde Erzähl-Perspektiven gibt, ist Yoshi Toranaga bis heute meine liebste Romanfigur, weil er schlauer als alle anderen Figuren des Buchs ist. Er mächtig und kann die meisten Menschen mit seinem direkten Befehl dirigieren. Aber die intelligentesten seiner Mitstreiter und diejenigen, die ihn aus freiem Willen unterstützen, manipuliert er, ohne daß sie es merken.

Meine Lieblingsstellen in dem Buch sind die, in denen eine intelligente Nebenfigur lächelnd, zumindest Teile der Toranaga-Pläne durchschaut und bemerkt, wie geschickt der Fürst anderen etwas vorspielt.

Es ist ein Vergnügen, zu lesen wie Toranagas Pläne funktionieren, weil ich mir seinen Erfolg wünsche.

Hier enden freilich die Parallelen mit den katholischen Bischöfen, weil ich mir den Misserfolg der Kirche wünsche. Ich staune, wie dämlich die katholischen Laien sind. Immer wieder lassen sie sich einlullen und bleiben in der Kirche.

Sie könnten einfach austreten; da haben sie es wesentlich einfach als Toranagas Untertanen, die ihn zwar auch gelegentlich verlassen, dann aber auch sofort dafür geköpft werden.

Erst wenn die Bischöfe wie jetzt beim Synodalen Paukenschlag von Frankfurt wirklich plump agieren, scheinen einige der manipulierten Schäfchen zu verstehen, wie sie verarscht werden.  Daß sie aus Enttäuschung weinen, also überhaupt Hoffnungen hatten, zeigt ihre grenzenlose Naivität.

Glücklicherweise sind nicht alle verbliebenen Mitglieder ganz so verblödet und ziehen den einzig richtigen Schluß, nämlich den Austritt aus der Kirche.

[…]  Demokratie à la Kirche: Eine Minderheit darf alles blockieren.

[….] Nun ist beim vierten Treffen des Synodalen Wegs ein Text zur Sexualmoral gescheitert. Zwar wurde die Zweidrittelmehrheit mit 82 Prozent insgesamt deutlich übertroffen. Aber es stimmten nur knapp 60 Prozent der Bischöfe zu. So geht Demokratie à la Kirche: 40 Prozent können verhindern, was mehr als 80 Prozent wollen. [….]  Diese Kirche hat sich über Jahrzehnte auch als Vereinigung organisierter Sexualkriminalität erwiesen. Und nun verhindern Bischöfe einen Text, in dem Schuld festgestellt sowie beklagt wird, dass die Kirche durch eine Fixierung der Sexualität auf die Ehe "Menschen ausgegrenzt, tief verletzt und in ihrer Menschwerdung behindert" hat. Was gibt es an dem Satz abzulehnen? Immer wieder erstaunlich, mit welcher Akribie so viele Bischöfe daran arbeiten, die Gläubigen zu vertreiben. [….]

(SZ, 09.09.2022)

Toranaga wäre das nicht passiert. Zum Glück sind die meisten Bischöfe nicht annähernd so schlau wie er.

Freitag, 9. September 2022

Energiewende hoffnungslos?

So lange ich mich zurück erinnern kann, bzw seit ich in den 1980ern die Begriffe „Uni“ und „Studieren“ mit einer Vorstellung erfüllte, hörte ich immer von Fächern, mit denen man unweigerlich als Taxifahrer, bestenfalls als Lehrer endete. Philosophie, Germanistik, Geschichte und natürlich die Exotenfächer wie Ägyptologie oder Slawistik. Dummerweise waren alle Fächer, die mich am meisten interessierten, „brotlose Künste“ und ich war mit 17 so brav, darauf zu hören, lieber etwas „Anständiges“ zu studieren.

(Nachdem ich die Uni verlassen hatte, riet ich jungen Leuten immer das Gegenteil: Stellt die Berufsaussichten auch mal hintan und sucht euch lieber etwas aus, das euch wirklich interessiert und Spaß macht).

Das Anständigste waren damals Ingenieure und Informatiker. Die würden nämlich dringend gesucht in Deutschland. (So anständig konnte ich leider nicht studieren, weil ich in den beiden Bereichen unfähig bin.)

Die nächsten 20 Jahre wurde der Mangel immer schlimmer. Es fehlten MINT-Absolventen und Naturwissenschaften waren ein Problem, weil die Studiengänge wegen der umfangreichen Laborausstattung teuer waren. Deutschland sparte also an den Unis, so daß ich nach meinen persönlichen Erfahrungen auch abriet, Chemie oder Physik zu studieren. Dafür sind die deutschen Universitäten einfach zu schlecht. Man erhält dort eine Ausbildung, die gegenüber anderen Ländern 20 Jahre zurückhängt. Weltklasse-Chemiker aus Deutschland gibt es nur, wenn die sich schon in den ersten Semestern in eine bessere Uni außerhalb Deutschlands abgesetzt haben.

In der Rotgrünen Zeit 1998-2005 war der IT/Ingenieurs-Mangel eklatanter denn je. Der Bund ist nicht wirklich zuständig für Bildungspolitik, aber wenigstens war die Schröder/Fischer-Regierung nicht so xenophob borniert, wie die vorangegangene Kohl/Merkel-Regierung. Es gab Versuche, das Staatsbürgerschaftsrecht zu modernisieren und unkomplizierter die dringend benötigten hochqualifizierten Arbeitsmigranten nach Deutschland zu holen. Beides scheiterte an der CDUCSU. Die neue CDU-Generalin, eine gewisse Angela Merkel, zettelte 1999 erfolgreich mit Roland Koch einen Antiausländer-Wahlkampf an, ließ Listen auslegen, um „gegen Ausländer zu unterschreiben“. Merkels rechtsextremer Kurs, der dann von „deutsche Leitkultur“-Getöse untermalt wurde, funktionierte. Koch gewann gegen RotGrün in Hessen, die Sozi-Bundesratsmehrheit war weg. Fortan blockierte Merkel über den Bundesrat jeden Fortschritt.

Die anderen Unions-Größen kopierten natürlich den so erfolgreichen Merkel/Koch-Rechtskurs.

[…]  "Kinder statt Inder" Rüttgers verteidigt verbalen Ausrutscher

Wie einst Roland Koch hat Jürgen Rüttgers die Ausländerpolitik im Wahlkampf entdeckt. In einem Rundumschlag sagte der CDU-Politiker, es sei "schlichtweg unmoralisch", sogar "ausländerfeindlich", die Computer-Elite aus Indien abzuziehen. Außerdem kündigte er an, im Falle seines Wahlsieges in NRW den muttersprachlichen Unterricht abzuschaffen.

Setzt auf Angst vor Ausländern: Wahlkämpfer Jürgen Rüttgers. […] Rüttgers bekräftigte am Donnerstag seine umstrittenen Äußerungen zur geplanten Anwerbung ausländischer Computer-Experten. Der von Ministerpräsident Wolfgang Clement erhobene Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit sei "schlichtweg abartig", sagte der CDU-Spitzenkandidat für die NRW-Landtagswahl am Donnerstag in Düsseldorf.  Rüttgers hatte zur Green-Card-Initiative von Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärt: "Statt Inder an die Computer müssen unsere Kinder an die Computer." In der Sprache des deutschen Stammtisches empörte er sich: "Statt sich um die Integration der hier lebenden Ausländer zu kümmern, sollen jetzt noch Hindus hinzukommen". [….]

(SPIEGEL, 09.03.2000)

Das Ende ist bekannt; 2005 wurde Rüttgers tatsächlich NRW-Ministerpräsident und Merkel für 16 Jahre Bundeskanzlerin. Bildungspolitik und moderne Techniken interessierten sie nie. Bundesbildungsministern wurde ihre Freundin Annette Schavan, die extrem fromme Abiturientin aus BW, die zwar keine akademische Expertise besaß (alle höheren Grade als das Abitur hatte sie erschummelt und wurden ihr entzogen), dafür aber täglich das katholische Stundengebet praktizierte.

Diese Peinlichkeit übertraf dann noch die hoffnungslos desinteressierte und unterqualifizierte CDU-Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, die verkündete, Forschung habe sich der Religion unterzuordnen.

(…..) Was nicht der Bibel entspricht, hat laut der Forschungsministerin nichts in der Forschung zu suchen. Dieses IT- und KI-Zeug sollen doch China oder die USA machen, Deutschland ist ein christliches Land und braucht den neumodischen Kram nicht.

[….] Wir sind nicht in China. Totale Kontrolle durch den Staat werden wir niemals akzeptieren. Wir sind aber auch nicht in den USA. Wir gehen einen anderen, einen eigenen Weg. Wir lassen uns von unserem christlichen Menschenbild leiten. Jeder technologische Fortschritt hat sich dahinter einzureihen. Wir sind überzeugt: Künstliche Intelligenz muss dem Menschen dienen. Menschenwürde, Persönlichkeitsrechte und individuelle Freiheit sind die Grundlagen unseres Zusammenlebens. [….]

(Ministerin Karliczek vor dem Bundestag am 15.02.2019)

Immerhin, eins weiß die Bildungsministerin: Schwule sind schlecht. Und deswegen dürfen die keine Kinder haben.

[…..] Bundesbildungsministerin Anja Karliczek will in einer Langzeitstudie klären lassen, welche Auswirkungen es für Kinder hat, in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft aufzuwachsen. In der n-tv Sendung "Klamroths Konter" sagte die CDU-Politikerin, es sei "eine spannende Forschungsfrage", dieses Thema "wirklich langfristig zu erörtern".  Auf die Frage von Moderator Louis Klamroth, ob sie im Jahr 2018 wirklich noch Studien brauche, um sich bestätigen zu lassen, dass Kinder von homosexuellen Paaren genauso glücklich und gut erzogen seien, antwortete Karliczek: "Es geht nicht um 'glücklich' und um 'gut erzogen'. Es geht um etwas grundsätzlich anderes. […..] Karliczek hatte im Juni 2017 im Bundestag gegen das "Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts" gestimmt. Bei "Klamroths Konter" sagte sie, es sei ein Fehler gewesen, gesellschaftliche Strukturen "mal eben so im Federstrich" zu verändern. [….]

(NTV, 20.11.2018)

Diese ostentativ und stolz vorgetragene bornierte Ahnungslosigkeit macht auch Hartgesottene fassungslos. (…..)

(Müssen die Deutschen, den Amis alles nachmachen?, 23.02.2019)

Gute 20 Jahre nach Rüttgers ist das der Stand der Dinge:

[….] Überall fehlen Fachkräfte. Die Klagen der Unternehmen und ihrer Lobbyisten werden immer lauter. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein Verband oder ein Institut eine neue Studie über das Ausmaß des Mangels veröffentlicht. Der Arbeitsmarkt für Ingenieure erreicht im zweiten Quartal 2022 mit 171 300 offenen Stellen einen neuen Rekordwert, meldet der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) am Freitag. Dies sei ein Zuwachs um 46,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal, heißt es im Ingenieurmonitor, den der VDI gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft herausgibt.  [….]

(Elisabeth Dostert, 09.09.2022)

Christian Lindner schoss immer gegen die von Grünen und Sozis und FFF geforderten Klimaschutzmaßnahmen. Das wären „Verbotsorgien“, die FDP setze statt dessen auf intelligenten technische Lösungen.

Das war immer eine billige Lüge, um sich als Großspendenempfänger der Industrielobby zu empfehlen. Selbstverständlich sind klare Grenzwerte, Verbote und Verzicht notwendig, wenn der Klimawandel wenigstens ein bißchen verlangsamt werden soll. Aber selbst wenn Lindner nicht ganz falsch liegen sollte: Wer soll denn den Ausweg aus der carbonbasierten Energiewirtschaft Deutschlands erfinden, wenn wir gar keine Ingenieure und Naturwissenschaftler haben?

Woher sollten die auch kommen, wenn unsere Schulen so verrottet sind, daß Myriaden Kinder jedes Jahr von deutschen Schulen völlig ohne Abschluss in die Hoffnungslosigkeit entlassen werden? Immerhin, die Ampel sieht im Gegensatz zu Merkel das Thema und müht sich. Aber die gelbe Bildungsministerin Stark-Watzinger ist wieder ein Totalausfall.

[….] Die Bundesregierung hat einiges zusammengetragen, um zu zeigen: Wir kümmern uns, wir gehen gegen den Fachkräftemangel vor. Und zwar umfassend, von mehr Azubis für Klimatechnik bis hin zum Servicepaket für bürokratiegeplagte Einwanderer. Wen man aber vergeblich sucht in der Fachkräftestrategie, die am Mittwoch vorgestellt wurde: die Schulabbrecher in Deutschland. Schon klar, Schulen sind Ländersache, deshalb ist das Themengebiet vermint mit föderalen Empfindlichkeiten. Fehlen darf es trotzdem nicht. [….] Jedes Jahr verlassen etwa 45 000 Jugendliche die Schule, ohne irgendeinen Abschluss erreicht zu haben, das sind an die sieben Prozent eines Jahrgangs und deutlich mehr als vor zehn Jahren. Dies gehört zu den stillen Skandalen des Bildungssystems, denn ohne Abschluss verbauen sich viele dieser Jugendlichen die Aussicht auf einen Ausbildungsplatz, auf qualifizierte Jobs und auf ein Studium ohnehin. [….]

(Roland Preuß, SZ, 07.09.2022)

Nach so viel Unions-Blockade auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene, steht Deutschland vor kaum lösbaren Problemgebirgen.

SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt plante in den 1970er Jahren den flächendeckenden Glasfaserausbau in Deutschland, brachte vor 41 Jahren (sic!) einen Kabinettsbeschluss dazu auf den Weg. 16 Jahre Kohl plus 16 Jahre Merkel begruben die Pläne, so daß man heute froh sein kann, wenn man in Deutschland ein funktionierendes Kupferkabel vorfindet.

Klimaschutz/Energiewende, Beispiel E-Mobilität: Natürlich hängt Deutschland auch bei Elektro-Autos anderen Nationen hoffnungslos hinterher, verfügt über kein flächendeckendes Ladenetz.

Ein Ausweg sind die geförderten „Wallboxen“. Wer ein Privathaus oder einen Garagenplatz besitzt, sollte staatlich gefördert seine eigene „Auto-Steckdose“ bekommen. Das Geld dafür, ist allerdings schon aufgebraucht.

[….]  Im Herbst 2020 startete der Bund eine Förderprogramm, um Mieterinnen und Mieter, Eigenheimbesitzerinnen und -besitzer und Vermieterinnen und Vermieter finanziell beim Einbau privater Ladestationen zu unterstützen. Seit Ende Oktober 2021 sind die zur Verfügung stehenden Mittel allerdings ausgeschöpft, eine Förderung ist derzeit deshalb nicht möglich.  Nach Auskunft der KfW sind laufende Anträge vom Antragsstopp nicht betroffen: Sofern alle Voraussetzungen für die Förderung erfüllt sind, werde man eine Antragsbestätigung erhalten. [….]

(ADAC, 20.06.2022)

Als stolzer Besitzer eines Garagenplatzes in einer Tiefgarage mit 30 Stellplätzen wurde auch ich mit dem Thema konfrontiert. Auch wenn es keine Förderungen mehr gibt, wäre zu überlegen, ob man nicht auf eigene Kosten diese privaten Ladestationen einbaut, um Stellplatzmieter mit E-Autos zu gewinnen.

In diesem konkreten Fall wehrten 29 von 30 Stellplatzbesitzern sofort jede Investition ab. Aber immerhin einer wollte für seinen Platz eine Wallbox.

Wir reden hier von der Hamburger Innenstadt, also einem absolut urbanen Ort in Deutschlands reichster Stadt. Die Haustechnik-Firma musste die Gegebenheiten prüfen und gab folgende Stellungnahme ab:

[…] Vorhanden ist ein stark veralteter Hausanschluss mit einer Absicherung von 3 mal 160A. Bei einer zu beachtenden Reserve von ca 20% kommen wir auf einen maximal möglichen Spitzenstrom von 3 mal 128A. Es wird bereits jetzt ein Spitzenstrom von 116A erreicht. Daraus folgt, dass maximal eine Wallbox mit 11kW über die bestehende Anlage betrieben werden könnte. Davon ist dringend abzuraten. Für die Umsetzung wäre eine Erneuerung des Hausanschlusses und der Zähleranlage notwendig. Allein hierfür werden Kosten von mindestens 50.000 Euro netto entstehen“ [….]

(Hamburg, August 2022)

Also mindestens 60.000 Euro um eine einzige Wallbox in einer Garage mit 30 Stellplätzen zu installieren. Überraschung; für diesen Plan gab es keine Mehrheit auf der Eigentümerversammlung.

E-Mobilität ist gut. Private Wallboxen sind eine feine Idee, liebe rotgrüne Politiker. Aber der Fördertopf ist leer und selbst, wenn man so reich ist, die Dinger selbst zu finanzieren, scheitert es oft an der total veralteten deutschen Infrastruktur.

Anderes Beispiel, wieder aus Hamburg: Um bis 2050 (sic!) klimaneutral zu werden, sollen Solaranlagen auf die Dächer gesetzt werden, um erneuerbaren, saubreren Strom zu erzeugen. Da trifft es sich doch gut, daß wir seit 2015 einen Grünen zuständigen Senator haben.

[….] Jens Hinrich Kerstan (* 18. Februar 1966 in Hamburg) ist ein deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen) und seit April 2015 Hamburger Umweltsenator, zunächst im Senat Scholz II[1], im Senat Tschentscher I und seit 10. Juni 2020 im Senat Tschentscher II. Von 2015 bis 2020 führte er als Präses eine Behörde für Umwelt und Energie, seit 2020 eine um den Bereich der Landwirtschaft erweiterte Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft.  […]

(Wikipedia)

Außer seinem großen Hobby Straßenbäume fällen und nicht wieder aufforsten, hat der Klima- und Energie-Senator noch ein anderes Steckenpferd: Klimawandel ignorieren und alle Maßnahmen dagegen verschlafen.

[….]  Solardächer: So versagt Hamburg im Vergleich zu anderen Großstädten. Hamburg liegt beim Bau von Solardächern im Großstädtevergleich schon wieder auf dem letzten Platz. Dabei ist Solarenergie einer der Bausteine, die Hamburg bis 2050 klimaneutral machen sollen.  [….]

(Mopo, 09.09.2022)

Gerade einmal 10,3% der neu gebauten geeigneten Dachflächen Hamburgs werden mit Solarpaneelen ausgestattet.

Das wird nichts mit der Bekämpfung des Klimawandels in Deutschland. Wir sind einfach zu rückständig. Zu unfähig und zu bräsig.

Donnerstag, 8. September 2022

Irrationale Queen-Sympathie

Wenn die berühmteste und bekannteste Person der Gegenwart unter acht Milliarden Menschen, im 97. Lebensjahr stirbt, ist das eine feine Sache für die Weltpresse. Die Nachrufe sind längst geschrieben, müssen nur aus der Schublade geholt werden. Ohne viel Dazutun, sind hohe Klickzahlen/Auflagen garantiert.

Ein Riesenglück ist die Angelegenheit für die Inkarnation des menschlichen Debakels Liz Truss. Eiiner Person, die unfassbarerweise sogar noch dämlicher, unsympathischer und unseriöser als Boris Johnson zu sein scheint. Zehn Tage lang werden sich Milliarden Augen der Weltöffentlichkeit auf London richten. Truss wird immer mit dabei sein und kann nur schwer Fehler machen, weil selbstverständlich jeder einzelne Schritt nach dem Tod der Queen minutiös durchgeplant ist.

Was für eine Chance, sich international in Szene zu setzen – die gibt es nur alle paar Jahrhunderte einmal und Truss ist erst zwei Tage im Amt.

[….] Truss war von Beginn an die Favoritin. In einer normal tickenden Welt wäre das vollkommen unverständlich - es sei denn, um mit Shakespeare zu sprechen, die Hölle wäre leer, und alle Teufel wären hier. Truss hat sich bereits als Außenministerin dadurch profiliert, dass sie sich als noch stärker kognitiv eingeschränkt, noch undiplomatischer erwies, als es selbst Johnson in dieser Rolle gelungen war. Der russische Außenminister Lawrow stellte sie bloß, indem er sie dazu brachte, zu behaupten, die russische Herrschaft über Rostow und Woronesch sei illegitim. Er hatte allerdings einen unfairen Vorteil, weil er im Gegensatz zu ihr wusste, dass diese Gebiete unumstritten auf russischem Territorium liegen. Truss stolpert von einem dummen, aggressiv-kämpferischen Fauxpas zum nächsten. Sie wirkt dabei wie eine Fünfjährige, die gerade gegen eine Tür gelaufen ist - und die Gefallen daran gefunden hat. […]

(A.L. Kennedy, 06.09.2022)

Jeder rationale Menschen muss Gegner einer Erbmonarchie sein. Nichts ist undemokratischer, als ein System, in dem man durch Geburt Staatsoberhaupt wird. Im Falle Großbritanniens nicht nur von England, Wales, Schottland und Nordirland, sondern auch Staatsoberhaupt von Antigua und Barbuda, Australien, Bahamas, Belize, Grenada, Jamaika, Kanada, Neuseeland, Papua-Neuguinea, St. Kitts und Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, Salomonen und Tuvalu.

Verrückt; kein Jamaikaner, kein Australier, kein Kanadier, kein Brite hat Wahlrecht zur Bestimmung des eigenen Präsidenten.

Jeder rationale Menschen muss im Jahr 2022 bei einer am 21. April 1926 Geborenen jederzeit damit rechnen, daß sie stirbt.

Jeder rationale Menschen muss einer 96-Jährigen, die de facto ihr ganzes Leben ununterbrochen 24/7 diszipliniert arbeitete und unter strengster Beobachtung der ganzen Welt stand, von Herzen gönnen, diese Last endlich los zu sein. Man sollte sich für Elisabeth II. freuen, es endlich hinter sich zu haben.

Jeder rationale Menschen muss King Charles III. dafür bedauern, nun, in dem Alter, in dem andere längst ihre Rente genießen, eine ungeheuerliche Last auferlegt zu bekommen. Repräsentativer Chef eines zerfallenden Staaten-Konglomerats, dessen UK-Kern durch ein Regierungsquartett aus der Hölle – Cameron, May, Johnson, Truss – so massiv in den Dreck gefahren wurde, daß die nächsten Jahre unweigerlich schwere ökonomische und soziale Verwerfungen bringen werden.

Jeder rationale Menschen kann die endlosen Bilderstrecken mit Lebensstationen der Queen ignorieren, muss keinen der Myriaden Nachrufe lesen, weil es bereits so viele Großjubiläen mit entsprechenden Fernsehübertragungen und Titelseiten gab, daß man schwerlich noch etwas Neues erfahren kann.

Ich halte mich für einen rationalen Menschen und dennoch bin ich emotional vom Tod der britischen Monarchin betroffen, lese Nachrufe und gucke mir Queen-Berichterstattungen an. Ich bin sogar überrascht von ihrem Tod; dachte eigentlich, sie würde ihre Mutter, die mit 102 starb, locker übertreffen. Warum bloß?

Keiner ist völlig rational und die ungeheuerliche Länge ihrer Regentschaft – über 70 Jahre – führt dazu, daß man selbst schon hoch in den 80ern sein muss, wenn man sich überhaupt an einen anderen britischen König erinnert.

Wenn eine Person einem so lange durch eine unendliche Bilderflut bekannt ist, bildet man sich irgendwann ein, sie tatsächlich zu kennen.

Ich kann mich dem auch nicht entziehen und meine zu wissen, wie Elisabeth Windsor privat tickt. Was ihr gefällt, welchen Humor sie hat, wie sie privat mit Menschen umgeht.

Aber das ist weitgehend Unsinn. Wir alle haben immer nur das öffentliche Bild der Queen gesehen und ich wage zu bezweifeln, ob es mehr als eine Handvoll Menschen gibt, die die private Person Elisabeth kennen, die nicht das gekrönte Staatsoberhaupt ist. Wer so lange amtiert und gleichzeitig, anders als jeder Regierungschef niemals persönliche Meinungen oder politische Ansichten mitteilt, bildet eine gewaltige Projektionsfläche, auf der von links bis rechts, von jung bis alt, von arm bis reich, jeder seine Queen sieht.

Mir ist die Queen seltsamerweise immer sehr sympathisch gewesen, während ich Diana absolut nicht ausstehen konnte. Diana ist für mich ein manipulatives, eitles Miststück, das mich mit ihrem debil-doofen Blick aus gesenkten Kopf mit nach oben geöffneten Augen, stets abstieß. Harry, Meghan und Kate kann ich ebenfalls nicht leiden. William wirkt etwas sympathischer, allerdings scheint er recht dämlich und langweilig zu sein. Vielleicht habe ich auch nur Mitleid, weil ihm schon als Teenager die Haare ausfielen. Ich mochte Queen Mum, Anne und Margareth. Und ich bin definitiv Team Charles und Camilla. Die beiden dürften die intelligentesten Mitglieder der Windsor-Familie sein. Insofern haben die Briten noch Glück mit ihrem neuen König.

Queen Elisabeth II. hielt ich neben ihrer offensichtlich perfekten Fassade, für witzig, schlagfertig und selbstironisch. Ich glaube, sie tickte eher liberal, mochte die Labour-Premierminister lieber als die Tories. Zudem interpretiere ich ihre privaten Touren im Schottland-Urlaub; dort war sie Jahrzehnte lang am Steuer eines kleinen Jeeps mit Kopftuch und Gummistiefeln unterwegs; als das Fehlen jeder Eitelkeit. Sehr sympathisch. Privat sind ihr Titel, Kronen und königliche Roben offenbar schnurz.

Gleichzeitig weiß ich auch, daß ich diese privaten Erkenntnisse über die Royal-Family gar nicht verifizieren kann. Das sind weitgehend subjektive Empfindungen aus laienhafter Ferndiagnose.

Philipp Amthor veröffentlichte heute ein Queen-Bild mit CDU/CSU-Logo, vereinnahmt die just Gestorbene frech, als Ikone des Konservatismus.

Aber vermutlich gehört das zur Faszination an den hoffnungslos anachronistischen, irrationalen und undemokratischen Monarchien Europas.

Da sie nun einmal da sind, macht man sich gar nicht erst Gedanken über personelle Alternativen. Zudem amtieren viele Monarchen so lange, daß die Gewöhnungseffekte so stark werden, daß sich selbst überzeugte Republikaner nicht trauen, die Abdankung eines Monarchen zu fordern.

Die schwedische und die dänische Königin sitzen zwar erst ein halbes Jahrhundert und keine 70 Jahre wie Elisabeth auf dem Thron, aber des Effekt ist ähnlich. Sie genießen enorme Zustimmungswerte. Die Antimonarchiebewegung ist praktisch tot, weil nahezu jeder lebende Schwede und Däne inzwischen einen eigenen psychologischen Dreh gefunden hat, wieso er Silvia, bzw Margarethe so besonders gern mag.

Mittwoch, 7. September 2022

Sorge um Köln.

Johannes Dyba starb völlig überraschend am 23. Juli 2000 im Alter von nur 70 Jahren im Amt.

Walter Mixa wurde zurück getreten nach seinen wunderbaren NS-Vergleichen, den Berichten über seine Prügelattacken auf Schüler, Veruntreuung von Bistumsvermögen und sexuellen Übergriffen auf Seminaristen. Am 21. April 2010 bot er Papst Benedikt XVI den Rücktritt an.

Franz-Peter Tebartz-van Elst wurde nach einer unfassbaren Skandalserie, als er weltweit als „der Protzbischof“ bekannt geworden war, sogar am 23. Oktober 2013 gegen seinen Willen vom Heiligen Stuhl von seinen Pflichten als Bischof von Limburg entbunden.

Joachim Meisner wurde am 28. Februar 2014 achtzigjährig in den Ruhestand geschickt.

Vier fürchterlich traurige Tage für den deutschen Atheismus. So begnadete Säkularisierungsbeschleuniger, die unermüdlich und effektiv die Gläubigen dazu animieren in großen Scharen aus der römisch-katholischen Kirche auszutreten, sind ein seltenes Glück für mich.

Umso erfreulicher, daß Papst Franziskus mit Rainer Maria Kardinal Woelki, 66, am 11. Juli 2014 einen so wirkungsmächtigen Säkularisierungsbeschleuniger zum wichtigsten und reichsten deutschen Metropoliten machte. Als Kölner Erzbischof vermochte es Woelki, erst in Köln und dann bundesweit, die Terminvergabe für Kirchenaustrittsgesuche kollabieren zu lassen! Dank seiner Leistung unterschritten protestantische und katholische Kirche zusammen bereits 2022 die 50% Grenze und stellen nun erstmals seit vielen Jahrhunderten eine Minderheit in Deutschland.

Woelki ist mein Held und ich werde ihm für seinen Einfallsreichtum immer dankbar sein.

Langsam steigen in mir aber Sorgen um meinen Helden auf. Könnte mir nach Dyba, Mixa, TVE und Meisner etwa auch Woelki vorzeitig genommen werden?

Es spricht eigentlich wenig dafür, denn der Stellvertreter Gottes setzte ihn mit seiner unfehlbaren Weisheit nach einer kurzen Zeit des hochbezahlten Chillens (mit B11 auf Steuerzahlerkosten) am Aschermittwoch, dem 2. März 2022, wieder in seine Amtsgeschäfte ein. Ein Unfehlbarer kann nicht irren und daher wäre es schwierig für Matteo Bruni, den Direktor der Pressestelle des Heiligen Stuhls, wenige Wochen später zu erklären, Bergoglio habe da wohl Mist gebaut und nun müsse Woelki doch gehen.

Aber die braven Kölner Katholiken sind in derartiger Aufruhr gegen ihren verhassten Kardinal, daß selbst die treuesten der Treuen, Geistliche, wie Laien; jede Zusammenarbeit mit dem Kardinal verweigern.

Ein Oberhirte, der so verachtet wird, daß noch nicht mal Katholische Priester mit ihm zusammen gesehen werden wollen, ist für mich persönlich zwar äußerst amüsant, aber ich mache mir ernsthafte Sorgen, der Vatikan könnte doch noch einknicken und den Mann absägen.

[….]  Mit einer Boykott-Aktion haben führende Geistliche und Laienvertreter im Erzbistum Köln gegen Kardinal Rainer Maria Woelki protestiert. Ein wichtiges Beratergremium, der Diözesanpastoralrat, war nicht beschlussfähig.  Der Diözesanpastoralrat hat am Montagabend in Düsseldorf getagt. Allerdings hat deutlich weniger als die Häfte der mehr als 70 Mitglieder des Gremiums daran teilgenommen. Deshalb war der Rat nicht beschlussfähig. Bereits kurz nach der Einladung hatte es immer wieder Absagen gegeben, am Wochenende kamen weitere dazu, wie aus einem internen Schreiben des Erzbistums hervorging, dass dem WDR vorliegt. Hintergrund ist, dass viele Mitglieder des Rates in einem eigenen Tagesordnungspunkt über die aktuelle Krise des Bistums sprechen wollten. Das sei aber nicht möglich, man könne höchstens am Rande das Thema diskutieren, so das Erzbistum. [….]

(WDR, 06.09.2022)

Selbst das ultrareaktionäre Katholiban-Organ „Domradio“ lässt durch seinen Chefredakteur wissen:

[….] Es wird ganz offensichtlich, dass immer mehr wichtige Gremienvertreter keinen Sinn mehr in einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Kardinal sehen. Ein hoher Geistlicher hat gegenüber der Deutschen Presse-Agentur von einer "neuen Eskalationsstufe" gesprochen. Das ist wohl ganz offensichtlich so. Das wichtigste Beratungsgremium des Kardinals verweigert seinen Rat. Es sind nicht nur die Vertreter der Laien - acht von zehn Vertretern des Diözesanrates hatten ihre Nichtteilnahme angekündigt.  Zudem haben die pastoralen Dienste im Vorfeld mit großer Mehrheit "Nein" zur Sitzung gesagt und auch der eigene Klerus steht mehrheitlich offensichtlich nicht mehr hinter dem Kardinal. Man konnte hören, dass mindestens zehn der 15 Stadt- und Kreisdechanten der Sitzung fernbleiben wollten. Das muss für den Erzbischof ernüchternd sein, hatte er doch gerade noch in Interviews signalisiert, dass viele Priester hinter ihm stünden und Gläubige wegen ihm wieder in die Kirche eintreten würden.  Auffällig ist auch der verhärtete Ton: Wenn der Generalvikar, das "Alter Ego" des Kardinals, Dompropst Guido Assmann, schreibt, er stelle den Mitgliedern die Teilnahme frei, dann spricht das schon Bände. Hatte doch Kardinal Woelki gerade klargestellt, er sei kein absolutistischer Alleinherrscher.  [….]

(Ingo Brüggenjürgen, 05.09.2022)

Welche ein Dilemma für den Vatikan. Köln ist nach dem Bistum Rom die zweitreichste Diözese dieses Planeten. Geldströme sind wichtig und so kann Bergoglio nicht zusehen, wie dieser Säkular-Agent die Gläubigen verjagt. Er muss Woelki abberufen, wenn er nicht ganz Deutschland dem Atheismus vorwerfen will.

Der Papst hat aber andererseits bereits entschieden, Woelki im Amt zu lassen. Würde er sich auf Druck des Fußvolkes umentscheiden, wäre das ein ungeheuerlicher Präzedenzfall, der seine umfassende Allmacht unwiederbringlich ramponierte. Wenn das Schule macht, könnten überall auf der Welt, Gläubige ihren Bischof boykottieren, bis sie einen anderen bekommen. Also kann Bergoglio Woelki gar nicht abberufen.

Unterdessen löst sich das Erzbistum weiter auf.

[….] Brief an Woelki Schock-Werner zieht sich aus Protest aus Hochschul-Stiftungsrat zurück.

Die frühere Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner hat sich aus Protest aus dem Stiftungsrat der umstrittenen „Kölner Hochschule für Katholische Theologie“ (KHKT) zurückgezogen. „Ich kann nicht Verantwortung übernehmen für etwas, das ich nicht mehr durchschaue“, schrieb Schock-Werner in einem Brief an Kardinal Rainer Woelki sowie die Leitung und den Stiftungsrat der Hochschule, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt.  [….]

(KSTA, 06.09.2022)

Dienstag, 6. September 2022

Hitze-Todesspirale

Heute bin ich spazieren gegangen. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. Der größte Parkfriedhof dieser Erde und außerdem auch der schönste Park Hamburgs, der glücklicherweise wegen des Friedhofscharakters nicht von kreischenden Teenager, Grillfanatikern und Hobbysportlern missbraucht wird.

Normalerweise gehe ich da regelmäßig hin. In den letzten vier Monaten war es aber nicht möglich, weil es kontinuierlich viel zu heiß für mich war.

Obwohl dort eine Armee aus Friedhofsgärtnern die Flora wässert, war gegen den knochentrockenen hanseatischen Sahara-Sommer mit bis zu 40,1°C im Schatten (am 20.07.2022 in Hamburg-Neuwiedenthal) nicht anzukommen. 

Die Natur präsentiert sich braun in braun, die verzweifelten Laubbäume warfen schon im Juli ihre vertrockneten Blätter ab und sogar das stabile Efeu wickelt sich nur noch in totem graubraun um die Baumstämme.

Ich glaube, ich kann zukünftig nur in Deutschland überleben, wenn ich meine Lebenssituation so verändere, daß ich mit einer leistungsstarken Klima-Anlage die gesamte Wohnung auf jede beliebige Temperatur runterkühlen kann. Bei meinem amerikanischen Verwandten in L.A. herrschen heute 42°C.

Ich frage am Telefon gar nicht mehr „wie haltet Ihr das bloß aus?“, denn sie leiden kaum darunter, da ohnehin alles eiskalt gemacht wird. Das Haus, die eigene Wohnung, Autos, Bahnen, Busse, Büros, Restaurants, Geschäfte, Parkhäuser, Garagen.

Der gewöhnliche Ami geht auch nicht zu Fuß und erlebt die 42°C höchsten für die wenigen Sekunden, die es braucht, um aus dem Autos auszusteigen und dann wieder ein Geschäft zu betreten. In den asiatischen schwülheißen Supermetropolen wie Singapur oder HongKong oder Macao ist es noch abartiger. Da werden Hotels und Einkaufszentren derartig gekühlt, daß sie Passanten innen ihre teuerste Pelzmode vorführen können. Kalte Räume sind ein Statussymbol.

Und jeder, der in Deutschland im Sommer schon einmal Besuch aus den USA hatte, kennt die geschockten Gesichter seiner Amifreunde, wenn sie erzählen, sie hätten unglaublicherweise in einem Bus gesessen, in dem die Klimaanlange nicht ging. Selbst in einfachsten Hotels wird die Rezeption bei über 20°C Raumtemperatur angerufen „AC isn’t working“. Daß es gar keine Klimaanlage gibt, liegt außerhalb der Vorstellungskraft der USAner.

Ami-Vlogger, die schon länger in Deutschland leben, berichten mit einer Mischung aus Grusel und Faszination von dieser deutschen Eigenart „auf Kipp“. Mit dieser kuriosen mechanischen Fenster-Einstellung, die in den Staaten unbekannt ist, könne man nachts, bei kühleren Temperaturen eine Luftzirkulation bewirken, um sein Zimmer abzukühlen.

Aber erstens hilft „auf Kipp“ auch nicht, wenn man bei ständigen Tropennächten in einem nicht isolierten Gebäude lebt und zweitens bin ich nun einmal US-Amerikaner und brauche ein kühles Schlafzimmer. Das ist offenbar genetisch.

Andererseits bin ich schon so eingedeutscht, daß ich in der Lage bin, weiter als bis zu meiner Nasenspitze zu denken. Amerikaner bewerten die Güte ihrer Regierung weitgehend danach, ob Benzin und Strom lächerlich billig sind.

Steigen die Preise an den Zapfsäulen, sind Biden und die Demokraten bei den nächsten Wahlen chancenlos. Obwohl viele Amerikaner sogar begreifen, daß der US-Präsident nicht willkürlich die Benzinpreise bestimmen kann. Dennoch werben sämtliche linken und liberalen Pundits für Biden mit dem Argument, wie billig das „gasoline“ wieder sei.

Die Erkenntnis, daß Benzin- und Strompreise aus Umweltschutz- und Klimaschutzgründen HOCH sein sollten, damit man WENIGER verbraucht, gibt es noch gar nicht.

Auch die Ampel scheint diesen Zusammenhang zu vergessen und trachtet nur noch danach mit Geldgeschenken (Tankrabatt!) den Benzinverbrauch zu verbilligen und damit zu fördern. Das ist aber Politik, um den Klimawandel zu beschleunigen und nicht zu verlangsamen.

Ja, natürlich will ich auch eine Power-Klimaanlage und so billigen Strom, daß ich sie 24/7 laufen lassen kann. Das würde mich enorm entspannen. Endlich wieder gut schlafen im Sommer. Keine Furcht vor dem nächsten, noch heißeren Sommer.

Leider denken aber viel zu viele Leute so und leider handeln viel zu viele Regierungen so, um das möglich zu machen. Klima-Anlagen verbrauchen so viel Energie, daß sich davon allein schon der Planet relevant weiter aufheizt.

[….] Klimaanlagen sorgen für Abkühlung an heißen Tagen, dabei verschlimmern sie die Erderwärmung. [….] Die Nachfrage nach Raumkühlern wächst - allein in Deutschland laut Statistischem Bundesamt zwischen 2019 und 2020 um 28 Prozent. Aus dem Mittelmeerraum oder den Vereinigten Staaten sind "A/Cs" (Air Conditioner) ohnehin kaum mehr wegzudenken. Mit fatalen Folgen für die Umwelt: Einer Schätzung des Internationalen Kälteinstituts (IIR) zufolge werden 20 Prozent des weltweit produzierten Stroms von Kühlschränken, Klimaanlagen und anderen Kälteaggregaten verbraucht, wodurch jährlich 2,3 Gigatonnen Kohlendioxid freigesetzt werden.  Und die Geräte sind nicht nur Stromfresser: Der unbeabsichtigte Ausstoß von Fluorkohlenwasserstoffen, die als Kältemittel vor allem in Klimaanlagen in großen Mengen zum Einsatz kommen, ist für etwa vier Prozent der globalen Erwärmung verantwortlich. Diese sogenannten F-Gase, die eigentlich in einem geschlossenen Kreislauf zirkulieren, können wegen Undichtigkeit, bei Reparaturen oder bei der Entsorgung alter Kühlsysteme entweichen - und sind dann tausendfach klimaschädlicher als CO₂ [….] Es gebe Milliarden Kühlgeräte auf der Welt, die so viel klimaschädliche Gase emittieren "wie der Flug- und Schiffsverkehr zusammen", sagt Gottschall. Ein Drittel davon gehe auf fluorierte Kältemittel zurück, sodass selbst mit regenerativem Strom die herkömmliche Kühltechnologie nicht grün werde. Die Menschheit werde in Zukunft mehr Energie für Kühlung verbrauchen als fürs Heizen, sagt Gottschall. Der sich aufheizende Planet mache mehr Kühlung nötig, was wiederum die Erderwärmung vorantreibe. "Ein Teufelskreis."  [….]

(Andreas Jäger, SZ, 05.09.2022)

We are doomed.

Es gibt zwar Hoffnung auf andere technische Lösungen, mit denen man Kühleffekte erreicht, ohne der Umwelt so schwer zu schaden, aber das kostet! Und es bräuchte Einsicht der Konsumenten, sowie sinnvoll-pragmatisch handelnde Regierungen, um die Änderungen durchzusetzen. Mit anderen Worten: Hoffnungslos.

 [….] Anstelle eines Gases, das durch einen Kompressor verflüssigt und später, nach Passieren eines Ventils, wieder gasförmig wird, wodurch es sich ausdehnt und der zu kühlenden Umgebung Wärme entzieht, könnten in zukünftigen Kreisläufen feste Kältemittel zum Einsatz kommen. So hat ein Team um Adam Slavney von der Universität Harvard kürzlich einen Prototypen vorgestellt, bei dem ein Perowskit das Kältemittel bildet. Perowskite sind mineralische Verbindungen aus drei chemischen Elementen. Wie von dem Materialwissenschaftler kürzlich auf der Konferenz der American Chemical Society präsentiert, beruht der Kühlzyklus der Erfindung auf dem sogenannten barokalorischen Effekt, einer druckinduzierten Temperaturänderung in Festkörpern. Bereits im Mai hatten Slavneys Team in Nature Communications über zwei Halogen-Perowskite berichtet, die wegen ihrer starken Wärmeänderung bei Druckeinfluss als geeignete Materialkandidaten ausgemacht wurden.  Neben dem barokalorischen Effekt gibt es eine Reihe ähnlicher Mechanismen, die alle quantenphysikalischen Ursprungs sind und sich für Kühlung nutzen lassen. Ob elasto-, magneto- oder elektrokalorischer Effekt: Sie eint, dass sich die Entropie - das Maß für die Unordnung eines Systems - durch einen äußeren Einfluss verringert, zum Beispiel durch Druck, mechanische Spannung, sowie durch äußere magnetische oder elektrische Felder. [….]

(Andreas Jäger, SZ, 05.09.2022)

 

Montag, 5. September 2022

In Deutschland kann es schon mal länger dauern

In der vorletzten deutschen Regierung, der Merkel-Groko Nr. 2, verfielen SPD, CDU und CSU auf eine bahnbrechende Idee. Wie wäre es, wenn die Bürger nicht mehr persönlich „zum Amt“ gehen müssten, um endlose Formulare auf Papier auszufüllen, sondern dafür diese wundersame neue Dings, wie heißt das noch mal? Also nicht mit Fragebögen auf Papier, nicht mit dem Kugelschreiber schreiben, na, ich komme gleich drauf, ach ja #Neuland! Wenn Bundesbürger Ummeldungen oder Anträge auf dem Bildschirm zu Hause erledigen könnten? Ein Onlineportal für alle Ortsamtsleistungen.

Also natürlich nicht so hypermodern wie in den baltischen Staaten oder der Ukraine, wo die Verwaltung generell digital funktioniert.

Das nicht, denn „es ist Deutschland hier“, wie schon der große G. Westerwelle feststellte. Deutschland…

[….]  in dem es behördlicherseits schon als eine "Onlineleistung" gilt, wenn man ein Formular am Laptop ausfüllen kann, auch wenn man es am Ende dann doch wieder ausdrucken und per Post abschicken muss.  [….]

(Boris Herrmann, SZ, 30.08.2022)

Aber 2017, im Wahljahr, traute sich die Merkel-Regierung Großes. Eine „bürokratische Revolution, keine dicken Pakete mit Zetteln.

[….]  Mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG), das im August 2017 in Kraft trat, wurden Bund, Länder und Kommunen dazu verpflichtet, 575 Verwaltungsdienstleistungen zu digitalisieren, die wiederum aus 6000 Einzelleistungen bestehen. Kfz-Ummeldungen, Kindergeldanträge, solche Dinge sollten digital möglich werden. Und das alles bis zu einem klar vorgegebenen Stichtag, dem 31. Dezember 2022.  [….]

(Boris Herrmann, SZ, 30.08.2022)

Ach ja, die Papiersammlungen meines Einbürgerungsverfahrens, welches seit vielen Jahren dahinplätschert, waren stets so umfangreich, daß ich sie als Paket schicken musste. Ich wußte gar nicht, daß ich überhaupt so viele Papiere habe. Aber es geht schließlich nicht nur um alles, das ich je auf Papier produzierte – angefangen von Schulzeugnissen über sämtliche Bank- und Steuerunterlagen, sondern das ganze musste auch zwei Generationen zurück verfolgt werden. Circa einmal im Jahr erhalte ich ein Schreiben, mit der Bitte um eine letzte Auskunft. Zum Beispiel wo meine Mutter geboren wäre und wo sie vor 72 Jahren lebte. Natürlich Jahre nachdem ich sämtliche Urkunden (Geburtsurkunde, Lebenslauf, Einkommensnachweise, Vermögensverhältnisse, Hochzeit, Scheidung, Tod) meiner Eltern längst eingereicht hatte. Logisch, wer keine Meldebestätigung seiner Großeltern zu jedem beliebigen Zeitpunkt des letzten Jahrtausends vorlegen kann, darf auch nicht Deutscher werden.

Selbstverständlich habe ich seit dem Oktober 2021 nie wieder etwas von der Behörde gehört und dort auch niemanden erreicht.

Da nun fünf Jahre seit der Verabschiedung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) verstrichen sind, ist es an der Zeit mal nachzusehen, wie weit es die Blitzbirnen Seehofer, Scheuer und ihre Länderkollegen gebracht haben.

Haben wir unter der Aufsicht dieser IT-Genies und der weisen treibenden Aufsicht Merkels aufgeholt und liegen bei der Digitalisierung nicht mehr auf dem letzten Platz in Europa? (Rhetorische Frage)

[….] Bis Ende des Jahres sollten eigentlich die meisten Behördengänge auch online möglich sein. Doch bei der Digitalisierung hakt es an vielen Stellen. [….] Eine Waffenbesitzkarte online beantragen, das geht in Berlin. In Stuttgart kann man seinen Hund digital anmelden. Für einen neuen Personalausweis oder die Anmeldung des Wohnsitzes muss man weiterhin persönlich aufs Amt. Der Grund sind zum Teil rechtliche Hürden, vor allem aber ist die Digitalisierung der deutschen Verwaltung nach wie vor eine riesige Baustelle. Das zeigt auch eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Die Linke. Die Antwort des für die Behördenmodernisierung zuständigen Bundesinnenministeriums (BMI) liegt dem ARD-Hauptstadtstudio exklusiv vor.  Es ist ein Dokument des Schulterzuckens, in dem der Bund immer wieder auf Länder und Kommunen zeigt. Digitale Aufbruchstimmung oder gar digitaler Führungsanspruch, wie sie die Ampel doch eigentlich versprochen hat, sucht man vergebens. Dabei fällt beispielsweise auf, dass viele Gelder, die der Bund für die Digitalisierung der Verwaltung bereitstellt, dieses und vergangenes Jahr von den Ländern nicht abgerufen wurden. Aus Sicht des BMI scheint das unproblematisch zu sein, weil am Anfang von Projekten weniger Mittel gebraucht würden als im Fortgang. Faktisch heißt es aber, es geht sehr langsam voran.  Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Linksfraktion ist wenig überrascht, aber ernüchtert: "Es zeigt, dass Bund, Länder und Kommunen nicht an einem Strang ziehen." [….] Eigentlich müssten Behörden die meisten Verwaltungsdienstleistungen - vom Arbeitslosengeld bis zur Sterbeurkunde - bis Jahresende bundesweit digital anbieten - so lautet die Vorgabe im Onlinezugangsgesetz (OZG), das 2017 verabschiedet wurde. Von diesem Ziel hat sich die Bundesregierung aber wohl schon verabschiedet und setzt nun darauf, dass in den Ländern wenigstens ein Grundgerüst an Leistungen flächendeckend online zur Verfügung steht. [….] Dabei geht es um sogenannte Einer-für-alle-Projekte, also Onlinedienste für Verwaltungsleistungen, die von einem Bundesland entwickelt und betrieben werden und von anderen genutzt werden können. Dazu gehören etwa die KFZ-Zulassung, das Elterngeld, die digitale Baugenehmigung - und eben auch die Beantragung von Waffenerlaubnissen, zeigt die Auflistung des Ministeriums.  "Das macht mich wirklich fassungslos", sagt Digitalpolitikerin Domscheit-Berg. [….] Auch Wissenschaftlerin Heine hat Zweifel, dass zumindest die 35 priorisierten OZG-Leistungen bis Ende des Jahres flächendeckend nutzbar sind, denn laut Innenministerium ist bislang nicht mal die Hälfte verfügbar. [….]  Dass eine Leistung als digital verbucht wird, heißt nicht, dass sie wirklich durchdigitalisiert ist, kritisieren Fachleute. Zwar kann man vielleicht seine Eingaben für einen Antrag online machen, in der Behörde selbst wird dann trotzdem wieder alles ausgedruckt und analog verwaltet, sagt Expertin Heine. "Viele Prozesse im Hintergrund sind überhaupt nicht digitalisiert. Jeder wurschtelt vor sich hin." [….]

(Tagesschau, 23.08.2022)

Die Süddeutsche Zeitung bietet zumindest eine einleuchtende Erklärung für das totale Regierungsversagen auf Bundes-, Länder- und Kommunalebene: Wie bereits Westerwelle als Vizekanzler feststellte: Es ist Deutschland hier und wir sind nun einmal generell verblödet. Das gilt für die Politik, aber noch mehr für den Urnenpöbel, der nach einen halben Jahr Ampel schon wieder den Offline-Dinosaurier Merz zum Kanzler machen will und sich die Scheuers und Spahns zurück in die Ministerämter wünscht.

[….]  Und das alles bis zu einem klar vorgegebenen Stichtag, dem 31. Dezember 2022. 18 Wochen sind bis dahin noch Zeit, aber das Ergebnis steht schon fest: Deutschland wird die Zielmarke von 575 nicht einmal ansatzweise schaffen.  Das sagt zum Beispiel Lutz Goebel, der Vorsitzende des Normenkontrollrats, einer Art Kompetenzzentrum für Bürokratieabbau der Bundesregierung. Goebel geht davon aus, dass bis zum Jahresende "nicht mehr als 50" Verwaltungsdienstleistungen flächendeckend digitalisiert sein werden. 50 von 575. [….] Das für die Umsetzung dieses Gesetzes zuständige Bundesinnenministerium (BMI) rechnet offenbar anders als der Normenkontrollrat. Eine BMI-Sprecherin teilt auf SZ-Anfrage mit: "Zur Zeit sind 81 OZG-Leistungen flächendeckend verfügbar. Eine weitere Leistung ist in elf Bundesländern verfügbar." So viel erst einmal zur gröbsten Zahlenverwirrung. Fest steht: Die Revolution muss noch ein bisschen warten.  Was immer klappt: gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen föderalen Ebenen. [….][….]  Wie viel genau bis jetzt passiert ist, gehört zu den großen Mysterien des OZG.

(Boris Herrmann, SZ, 30.08.2022)

Wir schaffen also in fünfeinhalb Jahren keinerlei Fortschritte bei der Digitalisierung? Immerhin gibt es nun eine pragmatische Idee, wie es damit weiter geht. Einfach eine andere Frist zum Verstreichen lassen setzen! Konsequenzen keine.

Es ist Deutschland hier.